Gespenster-Krimi 101 - Michael Schauer - E-Book

Gespenster-Krimi 101 E-Book

Michael Schauer

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Beschreibung

Germanien, 9. n. Chr.

Der Wald hatte tausendfach den Tod gesehen. Der metallische Geruch von Blut lag in der Luft, überall waren die Schreie der Verletzten und der Sterbenden zu hören. Der Regen prasselte auf den von Leichen übersäten Weg nieder, und es hatte den Anschein, als würde es Tage dauern, bis all das Blut von den knorrigen Wurzeln und den Rüstungen der Unglücklichen weggewaschen wäre. Die Sieger streiften umher und plünderten die Toten aus. Es waren kräftige Männer mit dichten Bärten, manche noch Knaben, viele mit nicht mehr als einem Jagdspeer oder einem Beil bewaffnet.
Irgendwann breitete sich Stille aus. Wer zum Sterben bestimmt gewesen war, war gestorben, und das Plündern war vorüber.
Als der Abend kam, durchbrach ein Grollen die Stille. Schleimige Wesen gruben sich aus einem Erdwall. Sie stießen klagende Laute aus, ihre Bewegungen waren langsam und unbeholfen, und sie verströmten einen Geruch wie die Pest selbst.
Die Totenfresser waren gekommen, um ein Festmahl abzuhalten ...


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Inhalt

Cover

Ein Tor in die Finsternis

Special

Vorschau

Impressum

Ein Tor in die Finsternis

von Michael Schauer

Germanien, 9. n. Chr.

Der Wald hatte tausendfach den Tod gesehen. Der metallische Geruch von Blut lag in der Luft, überall waren die Schreie der Verletzten und der Sterbenden zu hören. Der Regen prasselte auf den von Leichen übersäten Weg nieder, und es hatte den Anschein, als würde es Tage dauern, bis all das Blut von den knorrigen Wurzeln und den Rüstungen der Unglücklichen weggewaschen wäre. Die Sieger streiften umher und plünderten die Toten aus. Es waren kräftige Männer mit dichten Bärten, manche noch Knaben, viele mit nicht mehr als einem Jagdspeer oder einem Beil bewaffnet.

Irgendwann breitete sich Stille aus. Wer zum Sterben bestimmt gewesen war, war gestorben, und das Plündern war vorüber.

Als der Abend kam, durchbrach ein Grollen die Stille. Schleimige Wesen gruben sich aus einem Erdwall. Sie stießen klagende Laute aus, ihre Bewegungen waren langsam und unbeholfen, und sie verströmten einen Geruch wie die Pest selbst.

Die Totenfresser waren gekommen, um ein Festmahl abzuhalten ...

Als Pulpigus Domus die Augen öffnete, sah er zunächst alles verschwommen. Nur langsam klärte sich sein Blick. Über sich erblickte er dunkle Baumkronen, dazwischen einen trüben, grauen Himmel. Unter ihm fühlte sich der Boden kühl und glitschig an. Etwas Nasses tropfte ihm ins Auge, und er musste blinzeln. Es roch nach Erde und feuchtem Holz.

Wo war er?

Vorsichtig wandte er den Kopf. An seiner rechten Schläfe setzte augenblicklich ein schmerzhaftes Pochen ein, und er verzog stöhnend den Mund.

Dann fiel es ihm wieder ein.

Der unheimliche Gesang, der einem markerschütternden Dröhnen gleich aus dem dichten Unterholz drang. Die geisterhaften Schatten, die unablässig zwischen den Bäumen und Sträuchern umher huschten. Speere, aus dem Dunkel des Waldes geworfen, ihre scharfen Spitzen, die sich in das Fleisch seiner Kameraden gruben. Das Klirren von sich kreuzenden Schwertklingen. Die Schreie. Die Angst. Das Sterben.

Wie hatte das nur passieren können?

Die siebzehnte Legion, der er angehörte – oder angehört hatte? –, war zusammen mit der Achtzehnten und der Neunzehnten auf dem Weg ins Winterlager Vetera gewesen. Dann hatte Legat Varus entschieden, die Route zu ändern, und sie waren in dieses undurchdringliche Waldgebiet marschiert. Der Weg war schmal, vom ständigen Regen rutschig und auf beiden Seiten von dichten Bäumen und flachen Hängen gesäumt. Eine unheimliche, menschenfeindliche Landschaft.

Pulpigus hatte keine Ahnung gehabt, warum Varus sie in den Wald geführt hatte. Es waren Gerüchte durch ihre Reihen gegangen, dass es einen germanischen Aufstand gegeben hatte und der Legat diesen sozusagen im Vorbeigehen niederschlagen wollte. Um schneller voranzukommen, hätte er sich dazu entschieden, den Wald nicht zu umgehen, sondern mitten hindurchzumarschieren.

Es war eine Falle gewesen. Erst waren die Speere geflogen, dann waren germanische Krieger zwischen den Bäumen aufgetaucht und hatten sich auf sie gestürzt. Kaum, dass sich die Legionäre zur Verteidigung formiert hatten, hatten sie sich zurückgezogen. Dieses Spiel hatten sie unermüdlich wiederholt, und auf diese Weise hatten sie ihnen mit jeder Stunde neue, empfindliche Verluste zugefügt.

Von den Auswirkungen, die diese Taktik auf die Moral der Soldaten gehabt hatte, ganz zu schweigen. Am zweiten Tag hatte Pulpigus vor Angst kaum noch atmen können, und ein Blick in die Gesichter seiner Kameraden hatte ihm genügt, um zu wissen, dass es ihnen genauso ging. Niemand hatte es ausgesprochen, aber allen war klar gewesen, dass sie dem Untergang geweiht waren.

Seine Kameraden. Wo waren sie? War er der Einzige, der übrig war?

Stöhnend richtete er sich auf, wobei er jede schnelle Bewegung vermied, damit das Klirren seiner Rüstung mögliche Feinde in der Nähe nicht auf ihn aufmerksam machte. Vorsichtig sah er sich um und ignorierte den Schmerz an seiner Schläfe. Vom Prasseln des Regens abgesehen, war es vollkommen still. Ausrüstungsgegenstände lagen überall zerstreut, dazwischen die reglosen Körper der Gefallenen. Einige von ihnen waren Germanen, die meisten jedoch Römer.

Mit zusammengebissenen Zähnen kam er auf die Füße. Unwillkürlich tastete er nach seinem Gladius, dem Kurzschwert der Legionäre. Sein Griff ging ins Leere. Die hölzerne Scheide, die an einem Riemen an seiner rechten Hüfte baumelte, war leer. Dann kehrte die Erinnerung zurück, so heftig, dass er zusammenzuckte.

Ein Germane war auf ihn zugestürmt, ein riesiger Krieger mit einem langen Bart, vollkommen nackt, mit fremdartigen Tätowierungen auf seiner muskulösen Brust. Mit seinen großen Händen hatte er eine Axt geschwungen, die er auf Pulpigus' Schädel hatte niedersausen lassen wollen. Pulpigus war ausgewichen und hatte ihm sein Schwert in den Hals gerammt. Im nächsten Moment hatte er einen heftigen Schlag gegen den Hinterkopf abbekommen, einen zweiten gegen die Schläfe, und vor seinen Augen war ein Sternenmeer explodiert.

Er entdeckte den toten Krieger zwei Schritte von sich entfernt im Schlamm. Keine Spur von seinem Schwert, jemand musste es mitgenommen haben. Warum hatten sie ihn nicht getötet, nachdem sie ihn niedergeschlagen hatten? Vielleicht war ihm einer seiner Kameraden zu Hilfe geeilt. Er würde es wohl nie herausfinden.

Was sollte er jetzt tun? Sich allein nach Vetera durchschlagen? Aber was, wenn die Germanen ihm auflauerten? Möglicherweise hockten sie irgendwo zwischen den Büschen und warteten nur darauf, dass sich römische Überlebende den Weg entlang schleppten.

Der Gedanke, dass drei Legionen vernichtet worden sein sollten, schien Pulpigus unvorstellbar. So viele Soldaten, so viele tapfere Krieger Roms, hervorragend ausgebildet, jeder für sich allein eine tödliche Waffe. Vielleicht hatten sie den Feind doch noch zurückschlagen können und waren weitermarschiert.

Narr, schalt er sich. Du warst dabei. Du hast gesehen, was passiert ist. Unsere Jungs sind gestorben wie die verfluchten Fliegen.

Ein Geräusch hinter ihm.

Er wirbelte herum, woraufhin der Schmerz so heftig durch seinen Schädel zuckte, dass er beinahe aufgeschrien hätte. Mit angehaltenem Atem lauschte er in die Dämmerung.

Ein dumpfes Grollen war zu hören. Da, an einem flachen Hang, etwa fünfzig Schritte von seiner Position entfernt, geriet die Erde in Bewegung. Einzelne Brocken wurden herausgesprengt, als würde jemand von innen mit einer Axt dagegen hämmern. Dann entdeckte er etwas Helles. Würmer, die aus dem Erdreich ins Freie drängten.

Nein, das waren keine Würmer. Das waren Finger! Dünn und langgliedrig, mit Krallen bewehrt. Jetzt folgten die Hände, danach die Unterarme, dann die Schultern.

Mit zwei schnellen Sprüngen, die ihm abermals Schmerzwellen durch den Schädel jagten, erreichte er einen besonders dicken Baumstamm und ging dahinter in die Hocke.

Eine Gestalt hatte sich aus dem feuchten Erdreich geschält. In dem Hang klaffte jetzt ein mannshohes Loch, das in einen Tunnel zu führen schien. Einen Tunnel, den offenbar nur eine dünne Erdschicht vor der Außenwelt verborgen hatte.

Aber, bei den Göttern, was für eine Kreatur war das?

Sie war größer als er und stand leicht nach vorn gebeugt da. Doch eigentlich stand sie nicht, sondern schwankte wie ein Betrunkener. Sie war beinahe nackt, nur ein zerfetztes, schlammbraunes Gewand bedeckte ihren mageren Körper. Die Haut schimmerte in einem seltsamen Grauweiß und schien von einer dünnen, durchsichtigen Schleimschicht bedeckt zu sein. Der Schädel lief am Kinn spitz zu, was ihm eine beinahe dreieckige Form verlieh. Die Ohren waren verkümmert, statt einer Nase prangten zwei schwarze Löcher in dem seltsam unförmigen Gesicht, in dem alles irgendwie verschoben wirkte. Am grauenvollsten waren die Augen. Sie leuchteten in einem tiefen Rot, so wie die glühenden Kohlen in den bronzenen Becken, die den Römern als Heizung dienten.

Die Kreatur öffnete ihr Maul und stieß ein klagendes Stöhnen aus. Dabei entblößte sie zwei Reihen spitzer Zähne, die nicht wie die eines Menschen waren. Sie erinnerten Pulpigus an die furchterregenden Gebisse der exotischen Raubtiere, die er bei einem seiner seltenen Besuche im Circus Maximus in Rom bestaunt hatte.

Er wagte kaum zu atmen. Für einen entsetzlich langen Augenblick glaubte er, das Wesen habe ihn entdeckt, vielleicht gewittert. Doch dann schlurfte es auf die Leiche eines Kameraden zu, der nur einige Schritte von ihm entfernt am Wegrand auf dem Rücken lag. Es ließ sich auf die Knie sinken und betastete mit seinen klauenartigen Fingern den leblosen Körper, als wolle es ihn untersuchen.

Dann geschah etwas, das Pulpigus beinahe hätte aufschreien lassen.

Die Krallen des Monsters wühlten sich in das tote Fleisch, dunkelrotes Blut quoll zwischen den bleichen Fingern hervor. Mit einem heftigen Ruck riss es ein handtellergroßes Stück heraus, führte es zum Mund, schlug die Zähne hinein und begann mit einem widerlich schlürfenden Schmatzen zu kauen. Blutsfäden liefen über sein eckiges Kinn.

Pulpigus wurde übel. Ein saurer Geschmack stieg in seiner Kehle auf, und nur mit schier übermenschlicher Willenskraft konnte er verhindern, dass er sich übergeben musste. Die damit verbundenen Geräusche hätten unweigerlich die Aufmerksamkeit des Wesens auf ihn gelenkt.

Jetzt wankten weitere Kreaturen aus dem Tunnel. Er zählte insgesamt fünf von ihnen. Sie schwärmten aus, torkelten zwischen den Toten umher, bevor sie sich niederließen und dem schaurigen Beispiel der Ersten folgten. Zwei hielten sich nicht damit auf, ihren Opfern das Fleisch mit den Händen herauszureißen, sondern gruben ihre Zähne direkt in Hals und Lenden. Eine schaurige Kakophonie aus Stöhnen, Schmatzen und Gurgeln drang durch den Regen zu Pulpigus herüber. Warme Flüssigkeit rann an den Innenseiten seiner Oberschenkel herab. Er hatte sich gerade angepisst, aber das war ihm in diesem Moment gleichgültig.

Wie auf ein geheimes Zeichen hin hoben die Wesen plötzlich die Köpfe, wendeten ihre blutverschmierten Fratzen in die Richtung des Hangs, aus dem sie gekommen waren.

Eine weitere Kreatur trat ins Freie. Sie war anders als die anderen. Viel größer, ein Riese mit schwarzer Haut, muskulös und in ein scharlachrotes Gewand gehüllt, das mit fremdartigen schwarzen Zeichen bestickt war, die zu leben schienen und unablässig miteinander verschmolzen, um sich gleich darauf wieder voneinander zu lösen.

Der Riese hatte einen kantigen, vollkommen glatten Schädel, aus dessen Stirn eine Art Geweih, ähnlich dem eines Hirschs, entwuchs. Die schmalen Enden öffneten und schlossen sich unablässig wie grotesk geformte Knochenfinger. Statt einer Nase hatte auch er nur zwei Löcher, doch seine Augen glommen nicht in einem düsteren Rot, sondern in einem fahlen Gelb. Seine Hände waren mit schwarzen Krallen bewehrt.

Pulpigus duckte sich tiefer, als der Riese seine Blicke über die Szenerie schweifen ließ. Ein zufriedener Ausdruck huschte über sein Gesicht. Er öffnete den Mund und entblößte ein gelbliches Gebiss, das noch furchterregender war als das der anderen Monster. Als er zu sprechen begann, kam seine Zunge zum Vorschein. Sie glänzte schwarz wie Öl.

»Meine Diener, der Tag, den wir so lange ersehnt haben, ist endlich da«, rief er mit dröhnender Stimme. »Die Kraft des tausendfachen Mordens hat das Tor aufgestoßen, und so werden wir nun Ernte halten unter den Schwachen, die sich Menschen nennen. Esst und stärkt euch, meine Diener. Lange genug habt ihr, haben wir alle auf diesen Moment gewartet.«

Zur Antwort erhob sich ein schauriger Chor aus Stöhnen und Gurgeln, was der Riese mit einem grollenden Lachen quittierte. Die Kreaturen neigten ihre schleimigen Oberkörper, als sei er ihr Gott, dem sie huldigten.

»Halt!«

Ein beinahe kahlköpfiger Mann kam zwischen den Bäumen hervor. Er mochte an die vierzig Sommer alt sein und trug ein weißes Gewand, dessen Saum mit Schlamm bespritzt war, darüber einen rotbraunen Umhang. Entschlossenheit stand in seinem Blick.

Der Riese musterte ihn argwöhnisch.

»Wer bist du?«, spie er ihm entgegen.

»Man nennt mich Ragin, und ich bin ein Priester meines Volks«, lautete die Antwort. »Nur bin ich keiner von jenen, die sich in Schande gestürzt haben, indem sie der Geisterkönigin Morrigan dienen. Ich werde dich in den Abgrund zurückstoßen, aus dem du gekrochen bist, Noros. Dich und deine Vasallen.«

»Du kennst meinen Namen? Ich bin beeindruckt. Sag mir, Ragin, was sollte meine Diener davon abhalten, dich auf der Stelle zu zerfetzen, dein Fleisch zu verschlingen und sich an deinen Gedärmen zu laben?«

Diesen Worten ließen die Kreaturen ein gieriges Heulen folgen. Unbeholfen rappelten sie sich auf.

»Das hier«, rief Ragin und deutete hinter sich.

Pulpigus sah einen jungen Mann den Weg hinabkommen. Sein Hemd und seine langen Hosen verrieten ihn als Germanen. Ein Umhang aus Tierfell lag um seine breiten Schultern. Er hatte blonde, sanft gewellte Haare und trug einen gepflegt wirkenden Kinnbart. In den Händen hielt er einen gespannten Jagdbogen, die Pfeilspitze war auf den Riesen gerichtet. Pulpigus bemerkte, dass das Metall zu glühen schien. Der Schaft war völlig weiß, als sei er mit Farbe bestrichen worden.

Als er den Pfeil erblickte, wandelte sich Noros' Gesichtsausdruck. Seine Überheblichkeit verschwand und machte etwas Platz, was Furcht sein mochte.

»Der Pfeil«, knurrte er, und die Unruhe in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Die Kreaturen krochen hastig in den Tunnel zurück. Sie schienen den Pfeil ebenso zu fürchten wie der Riese.

Ein schwaches Lächeln umspielte Ragins Lippen, als er dem Jüngeren ein Zeichen gab. Der nickte und ließ die Sehne los. Der Pfeil raste auf den Riesen zu und bohrte sich mit einem dumpfen Knall in seine Brust. Die gelben Augen weiteten sich. Wie von einem Seil gezogen, taumelte er rückwärts auf die Öffnung zu. Als er den Hang erreicht hatte, verlor er das Gleichgewicht und fiel rücklings in den Tunnel. Wie von unsichtbarer Hand begann sich das Loch mit Erde zu füllen, bis nichts mehr davon zu sehen war. Alles hatte sich binnen weniger Herzschläge abgespielt.

Die beiden Männer standen stumm nebeneinander und beobachteten die Stelle. Nichts erinnerte daran, dass hier die abscheulichen Kreaturen ins Freie gedrängt waren. Pulpigus bangte zwar, dass sie jeden Moment zurückkehren würden, doch es geschah nichts dergleichen. Dann wandten sich die Männer ab und gingen mit gemessenen Schritten in die Richtung davon, aus der sie gekommen waren.

Pulpigus lehnte sich mit dem Rücken gegen den Baumstamm und ließ sich auf den feuchten Boden sinken. Sein Herz raste, als wolle es ihm aus der Brust springen. Hatte er das eben gerade tatsächlich erlebt? Vielleicht war es nur ein Traum gewesen.

Nein, kein Traum. Die Monster existierten, er brauchte nur auf die mit Bisswunden übersäten Leichen seiner Kameraden zu blicken. Die Bilder hatten sich in sein Gedächtnis eingebrannt, für alle Zeiten.

Ob er die beiden Männer hätte ansprechen sollen? Vielleicht hätten sie ihm helfen können. Aber es waren Germanen und damit seine Feinde gewesen.

Nur allmählich gelang es ihm, sich zu beruhigen. Irgendwann fielen ihm die Augen zu, und er schlief ein.

Germanien, 64 n. Chr.

»Das Wetter hier ist genauso beschissen wie in Britannien«, murrte Kimon. Mit verächtlicher Miene zog er den braunen Mantel fester um seine Schultern.

Vermutlich war er genauso durchnässt wie er selbst, dachte Castor Pollux, der neben ihm ritt. Sie trugen die gleichen Umhänge, und obwohl er seinen vor ihrem Aufbruch gründlich mit Tierfett eingerieben hatte, hatte sich der Regen seinen Weg durch den groben Stoff gebahnt. Nass und klamm klebte ihm die Tunika, die er darunter trug, am Rücken.

Der Weg vom Hafen zum Legionslager Vetera war nicht besonders weit, doch das Unwetter hatte in dem Moment eingesetzt, als sie sich auf ihre Pferde geschwungen hatten. Am Anfang hatten Blitz und Donner die Tiere nervös gemacht. Das Gewitter hatte zum Glück bald nachgelassen. Im Gegensatz zu dem strömenden Regen.

Wie durch einen feuchten Schleier erhob sich vor ihnen das Lager.

Sie sehen wirklich überall gleich aus, dachte Castor und ließ seine Blicke über die Palisaden schweifen, die auf der zu ihnen gewandten Seite von einem Tor unterbrochen wurden.

Es war geöffnet, bewacht von zwei Legionären, die durch den Regen nur schemenhaft zu erkennen waren. Sie hatten sich in ihre roten Mäntel gehüllt und auf ihre Speere gestützt. Einer von ihnen musste sie gerade entdeckt haben, denn er hob den Knopf und blickte in ihre Richtung.

Die Luft war nicht nur feucht, sondern auch kühl. Wenn er ausatmete, bildeten sich kleine Wölkchen vor Castors Mund. Er sehnte sich danach, aus der klammen Kleidung herauszukommen und sich an einem Kohlebecken aufzuwärmen. Noch lieber wäre es ihm gewesen, in einer von Roms Thermen zu schwitzen und danach in Florentinas Bett zu schlüpfen.

Unwillkürlich huschte ein Lächeln über seine Lippen, als er an sie dachte. Wie lange es dauern wohl würde, bis er sie wieder in seine Arme schließen konnte? Es war völlig ungewiss. Erst musste er mit Kimon die Aufgabe erledigen, die in Germanien auf sie wartete.

Wenn er nur gewusst hätte, um was es sich dabei handelte.

Beim Kampf gegen die Meduse Eunika war ihm sein Vater Aurel erschienen und hatte ihm befohlen, das wilde Land aufzusuchen. Mehr hatte er ihm nicht verraten, und dazu war auch keine Zeit gewesen, denn Castor war kurz davor gewesen, von Eunika in Stein verwandelt zu werden. Nur mit Hilfe des von Mars geschmiedeten Schwerts, seiner mächtigen und einzigen Waffe gegen die unheimlichen Wesen, die sich die Finsteren nannten, hatte er sie im letzten Moment vernichten können.

Germanien war groß. Wohin hätte er sich wenden sollen?

Kurz vor ihrer Abreise hatte er die Antwort erhalten. Im Traum war ihm ein unbekannter junger Mann mit blonden Haaren und einem Kinnbart erschienen. Seine blauen Augen hatten geleuchtet wie die Sonne, sein Blick war so intensiv gewesen, dass ihn Castor beinahe körperlich hatte spüren können.

»Begebe dich nach Vetera«, hatte er gesagt, und seine Stimme hatte warm und fest geklungen. »Suche nach Legionär Pulpigus.«

Dann war Castor aufgewacht. Eine Weile hatte er ins Dunkel gestarrt und den leisen Atemzügen von Florentina gelauscht, die neben ihm gelegen hatte. In dieser Nacht hatte er nicht mehr einschlafen können.

Als sie am frühen Morgen erwacht war, hatte er sie geküsst, und sie hatten sich so leidenschaftlich geliebt, als sei es das letzte Mal. Castor wusste, dass das tatsächlich der Fall sein konnte. Sein Leben war gefährlicher geworden, seit Florentinas Vater, Senator Urbanus, ihm eröffnet hatte, dass er ein Bezwinger war, wie sein Vater Aurel dazu bestimmt, die Menschheit vor den Finsteren zu beschützen.