Gespenster-Krimi 106 - Michael Schauer - E-Book

Gespenster-Krimi 106 E-Book

Michael Schauer

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Beschreibung

Wie aus dem Nichts stand sie plötzlich vor ihm.
Die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel auf ihn herab, das Meer umspielte seine Knöchel, und das Rauschen der Brandung klang wie eine schöne Melodie in seinen Ohren. Doch all das war jetzt vergessen, denn sie zog ihn in ihren Bann. Sie war nackt und von vollkommener Schönheit. Lange blonde Locken fielen ihr über die schmalen Schultern und verdeckten ihre Brüste. Ihre Augen strahlten so blau wie das Meer selbst, und ein feines Lächeln umspielte ihre vollen Lippen. Verlangen ergriff ihn. Dann dachte er an seine Liebste, die zu Hause auf ihn wartete, und er drängte es zurück. Sie bedeutete ihm so viel mehr als alles andere auf der Welt.
Die Haut der Fremden war seltsam, fiel ihm auf. Bleich wie die einer Toten. Sie öffnete den Mund und entblößte ebenmäßige weiße Zähne. "Möchtest du mein Gefährte sein?", fragte sie.
Er starrte sie an. Er wollte nein sagen, doch er konnte es nicht ...


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Inhalt

Cover

Die schwarze Galeere

Special

Vorschau

Impressum

Die schwarze Galeere

von Michael Schauer

Wie aus dem Nichts stand sie plötzlich vor ihm.

Die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel auf ihn herab, das Meer umspielte seine Knöchel und das Rauschen der Brandung klang wie eine schöne Melodie in seinen Ohren.

Doch all das war jetzt vergessen, denn sie zog ihn in ihren Bann. Sie war nackt und von vollkommener Schönheit. Lange blonde Locken fielen ihr über die schmalen Schultern und verdeckten ihre Brüste. Ihre Augen strahlten so blau wie das Meer selbst, und ein feines Lächeln umspielte ihre vollen Lippen. Verlangen ergriff ihn. Dann dachte er an seine Liebste, die zu Hause auf ihn wartete, und er drängte es zurück. Sie bedeutete ihm so viel mehr als alles andere auf der Welt.

Die Haut der Fremden war seltsam, fiel ihm auf. Bleich wie die einer Toten. Sie öffnete den Mund und entblößte ebenmäßige weiße Zähne. »Möchtest du mein Gefährte sein?«, fragte sie.

Er starrte sie an. Er wollte Nein sagen, doch er konnte es nicht ...

Sardinien, 64 n. Chr.

Bonza runzelte missmutig die Stirn. Der kleine Mann am Tisch neben der Tür trank zu viel. Mal wieder. Er lag bereits mehr auf seinem Hocker, als dass er saß. Die Ellenbogen hatte er auf dem Tisch abgestützt, mit der rechten Hand umklammerte er seinen Holzbecher, als fürchtete er, jemand könne ihm den Wein entreißen.

Der Blick aus seinen dunklen Augen war trübe, das Gesicht faltig und unrasiert, die breite Nase leicht gerötet. Mit der linken Hand rieb er sich über den kahlen Schädel, wobei er um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte und vom Hocker gefallen wäre.

Petronella kehrte mit dem leeren Tablett hinter den Tresen zurück und fuhr sich mit den Fingern durch ihre schwarzen Locken.

»Die zwei Römer wollen noch einen Krug Wein«, informierte sie ihn.

Mechanisch griff er in das Fach unter dem Tresen und holte einen sauberen Krug hervor. »Caros hat mehr als genug«, sagte er tonlos.

»Da geht es ihm wie mir«, zischte sie.

Bonza verdrehte die Augen, wandte sich aber sicherheitshalber ab, damit sie es nicht sehen konnte. »Was soll denn das schon wieder bedeuten?«, fragte er in einem so gelassenen Tonfall wie möglich.

»Das weißt du sehr genau«, gab sie zurück.

Ihre Stimme hatte diesen gefährlichen, vibrierenden Unterton angenommen, den er nur zu gut kannte. Das bedeutete, dass sie in einer Stimmung war, in der sie dem berüchtigten griechischen Feuer glich. Wenn es einmal loderte, konnte es nicht mehr gelöscht werden. Deshalb war es das Beste, wenn es gar nicht erst entflammte.

»Es ist doch alles in Ordnung«, erwiderte er, ging in die Knie und zapfte aus dem Fass unter dem Tresen den Wein ab.

Leise plätschernd strömte der Rebensaft in den Krug. Die Qualität war mäßig, wie er sehr wohl wusste, aber in dieser Ecke von Sardinien schienen die Menschen sowieso keinen besonderen Wert auf einen guten Tropfen zu legen. Dementsprechend gaben sie auch kein Geld dafür aus, es lohnte sich also nicht, in etwas Besseres zu investieren. Seine römischen Gäste lobten den Wein zudem in höchsten Tönen, vor allem, wenn sie vorher in Germanien stationiert gewesen waren. Daraus schloss er, dass das Zeug, das sie dort ausschenkten, von erlesener Scheußlichkeit sein musste.

Routiniert stellte er den Krug auf das Tablett. Petronella griff danach und kehrte ohne ein weiteres Wort zu dem von den beiden Römern besetzten Tisch zurück. Erleichtert atmete er auf. Obwohl er auch nach zwanzig Jahren Ehe noch immer in sie verliebt war, fand er ihre Streitlust zunehmend bedrückend. Schon in Rom war es manchmal schlimm gewesen, aber seit sie im vergangenen Sommer nach Sardinien gegangen waren, fürchtete er sie regelrecht.

Ihm war bewusst, dass er selbst schuld daran war. Petronella hatte nie hierher gewollt, und all ihre Befürchtungen und Ängste schienen sich erfüllt zu haben.

Die Schenke, die sie in Rom besessen hatten, hatte ordentlich was abgeworfen, doch Bonza war in der riesigen Stadt nie richtig heimisch geworden. Die vielen Menschen, der Gestank und das fortwährende Gedränge in den Straßen und Gassen machten ihn nervös. Es war dort so ganz anders gewesen als in der friedlichen Idylle des Dorfs, in dem er geboren war.

Als er die Nachricht erhalten hatte, dass sein Onkel Molipeter verstorben war und ihm als einzigen lebenden Verwandten seine Taverne vererbt hatte, hatte er die Gelegenheit beim Schopf gepackt, sein eigenes Wirtshaus verkauft und war mit Petronella – ungeachtet ihrer Proteste – zurück in seine Heimat gezogen.

Der glückliche Fisch befand sich an einer Verbindungsstraße zwischen den beiden Dörfern Kalabrus und Fordongianus. Letzteres war im Schatten des gleichnamigen römischen Legionslagers entstanden, und in den Straßen brummte es vor Geschäftigkeit. Wobei das nicht mit den Zuständen in Rom vergleichbar war.

Von Anfang an waren die Geschäfte mehr schlecht als recht gelaufen. Wie sie gleich bei ihrer Ankunft festgestellt hatten, schien sich Molipeter zuletzt nicht mehr besonders um das Haus gekümmert zu haben, die Einrichtung wirkte veraltet und heruntergekommen. Jedoch scheute Bonza die Investition, die nötig gewesen wäre, um den Laden wieder auf Vordermann zu bringen.

Zum anderen hatte er bald herausgefunden, dass es im nahen Fordongianus bereits mehrere Tavernen gab, die natürlich eine starke Konkurrenz darstellten. Die meisten seiner wenigen Gäste waren römische Soldaten, die einen Narren an seinem Wein – oder an dem besonders günstigen Preis – gefressen hatten und deshalb den zwanzigminütigen Fußmarsch zu ihm nicht scheuten.

Doch das waren nur ein paar Handvoll. Einheimische ließen sich noch seltener sehen, und aus dem weiter entfernten Kalabrus kam gar keiner, wenn man von Caros absah. Und der lebte, soweit er da informiert war, nicht im Dorf selbst, sondern in einer Hütte oder Höhle in der Nähe.

Petronella war vom ersten Tag an in ihrem neuen Heim unglücklich gewesen, und mit den Monaten waren die Spannungen zwischen ihnen gewachsen. Sie fühle sich wie eine verdorrende Pflanze, hatte sie ihm ein ums andere Mal vorgeworfen. Sie hasse Sardinien, sie hasse die Menschen hier und ganz besonders hasse sie die Taverne.

Insgeheim hatte Bonza bereits beschlossen, dass sie nach Rom zurückkehren würden, wenn sich an der Situation bis zum Ende des Winters nichts geändert hatte. Auf Dauer konnte er es nicht ertragen, sie leiden zu sehen. Und wenn es sich nicht einmal finanziell lohnte ...

Petronella hatte den Krug bei den Römern abgeliefert und kehrte zum Tresen zurück. Dabei musste sie an Caros' Tisch vorbei. Mit seinem durch unzählige alkoholgeschwängerte Abende erfahrenen Blick sah Bonza das Unheil kommen, doch es ging so schnell, dass er es nicht verhindern konnte. Caros griff nach ihrem Gewand. Seine Finger gruben sich in den groben Stoff und zerrten daran. Ruckartig kam sie zum Stehen. Das leere Tablett entglitt ihrer Hand und landete scheppernd auf dem unebenen Dielenboden. Wütend fuhr sie herum und riss sich dabei los.

»Was fällt dir ein, du widerliche Missgeburt?«, kreischte sie.

»Ich will noch Wein!«, brüllte er. »Du beachtest mich überhaupt nicht.«

Sie bückte sich und hob das Tablett auf. Ihr Gesicht war so rot angelaufen wie die Sonne, wenn sie abends im Meer zu versinken schien. »Du hast genug, du versoffenes Schwein!«, fuhr sie Caros an und holte mit der freien Hand aus.

Er zuckte zurück, aber wenn sie vorgehabt hatte, ihn zu schlagen, hatte sie es sich im letzten Moment anders überlegt. Sie warf ihm einen düsteren Blick zu und verschwand mit schnellen Schritten hinter dem Vorhang neben dem Tresen, der die Treppe zu ihren privaten Räumen vom Schankraum abtrennte.

Bonza seufzte leise. Es würde eine unerfreuliche Nacht werden.

Caros hatte seine Überraschung überwunden. »Ich will Wein!«, heulte er.

»Du hast genug«, donnerte Bonza. »Raus mit dir, und lass dich so bald nicht wieder blicken.«

Er spürte, wie der Zorn in ihm immer stärker zu lodern begann. Nach diesem Vorfall würde es ihn viel Mühe kosten, Petronella zu beruhigen und sie zu überreden, morgen wieder die Arbeit aufzunehmen. In der Ecke neben ihm stand ein Knüppel, für alle Fälle. Wenn der alte Säufer nicht gleich das Weite suchte, würde er ihn zu spüren bekommen.

Caros' Gesicht hatte einen trotzigen Ausdruck angenommen. »Wenn du wüsstest«, rief er mit bebender Stimme. »Ich bin nämlich reich. Reicher als du.«

»Was du nicht sagst.«

»Du glaubst mir nicht, was?«, geiferte er. Speichel sprühte aus seinem Mund, seine Augen rollten wild in ihren Höhlen. »Solltest du aber. Ich hüte einen Schatz. Einen gewaltig großen Schatz. Und wenn du nicht aufpasst, dann kaufe ich mir damit deine verdammte Taverne und jage dich von der Insel.«

Womit du Petronella einen Gefallen tun würdest, dachte Bonza.

»Und ich hüte einen Knüppel«, entgegnete er ungerührt. »Den lasse ich auf deinem Rücken tanzen, wenn du nicht augenblicklich verschwindest.«

Caros' Augen verengten sich zu Schlitzen, und einen Herzschlag lang glaubte Bonza, dass er es darauf ankommen lassen würde. Dann rutschte er von seinem Hocker, wobei er beinahe ausgerutscht und lang hingeschlagen wäre. Schwankend blieb er stehen und warf ihm einen letzten wütenden Blick zu, bevor er sich umdrehte, die Tür aufriss und in die kühle Abendluft hinaustorkelte.

Bonza sahs zu den beiden Römern, die die Auseinandersetzung schweigend verfolgt hatten. Ihre Blicke waren auf die Tür gerichtet, die in diesem Moment ins Schloss fiel.

»Wir haben genug für heute«, verkündete Volat und sah dabei in seine Richtung.

Menus hockte mit seinem jüngeren Bruder Lobus im Heck des Boots und war damit beschäftigt, die silbrig glänzenden Fische aus dem Netz zu befreien und in die Holzkisten zu werfen. Er strich sich eine Strähne seines dichten schwarzen Haars aus dem Gesicht und fing den Blick seines Vaters auf.

Trotz seiner fünfzig Jahre war Volat noch immer von kräftiger, sehniger Statur. Seine Haut war von der jahrzehntelangen Arbeit auf dem Meer braun gebrannt, sein schütteres Haar schlohweiß.

Er nickte ihm zu. »Die Netze waren heute wieder ganz schön voll.«

»Da hast du recht, mein Sohn. Die Götter haben es gut mit uns gemeint, als sie unsere Familie an diesen Ort verschlagen haben. Beeilt euch, ihr beiden. Sobald ihr alle Fische in die Kisten gepackt habt, brechen wir auf.«

Sie fuhren mit ihrer Arbeit fort, wobei es Menus nicht besonders eilig hatte, denn er genoss jede Minute, die er auf dem Meer verbringen konnte. Er liebte den salzigen Geruch, den immerwährenden Wind und die friedvolle Einsamkeit, die hier draußen herrschte. Und er war stolz darauf, in nicht allzu ferner Zeit in die Fußstapfen seines Vaters treten zu dürfen.

Bei seinem Bruder schien das anders zu sein. Wenn sie morgens hinausfuhren, vermeinte er seit einigen Wochen stets einen leichten Widerwillen bei ihm zu bemerken. Und nicht nur ihm war aufgefallen, dass sich Lobus plötzlich brennend für die Arbeit des Schmieds interessierte. Was auch an dessen hübscher Tochter liegen konnte, die zwar erst dreizehn war, doch schon jetzt jedem Burschen im Dorf den Kopf verdrehte.

Er kniff die Augen zusammen und spähte in Richtung Küste. Aus dieser Entfernung war Kalabrus kaum mehr als ein Schatten, hinter dem sich die Wälder und Berge Sardiniens erhoben. Seine Gedanken schweiften zu Elene. Sie war fünfzehn und damit ein Jahr jünger als er, und ihre Schönheit strahlte heller als die Sonne.

Er sah sie vor sich, ihr ebenmäßiges Gesicht mit der Stupsnase, das von glatten schwarzen Haaren umrahmt war. In ihren dunklen Augen konnte er regelrecht versinken. Sie hatten sich erst ein Mal geküsst, ihre Eltern ahnten noch nichts von ihrer Liebe. Es war seltsam, in Elenes Gegenwart fühlte er sich gleichzeitig geborgen und unsicher, denn er wusste nicht recht, wie er mit ihr umgehen sollte und wollte auf keinen Fall etwas falsch machen. Frauen schienen Wesen voller Mysterien zu sein. Er nahm sich vor, heute Abend seinem Vater von ihr zu erzählen und ihn um Rat zu bitten.

»Bist du eingeschlafen, Menus?« Volats kräftige Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Rasch griff er nach dem nächsten Fisch.

»Du hast bestimmt an Elene gedacht«, flüsterte Lobus und kicherte leise.

Obwohl es ihm schier den Atem verschlug, hielt er nicht inne und zog weiter Fisch um Fisch aus dem Netz. Woher wusste sein kleiner Bruder von ihr? Er musste ihm gefolgt sein, als er sich aus dem Haus geschlichen hatte, um sich heimlich mit Elene zu treffen.

»Ein Wort, und ich ...«, begann er, als ein riesiger Schatten auf ihn fiel.

Menus hob den Kopf. Sein Mund öffnete sich wie von selbst, doch er brachte kein Wort heraus. Als wäre seine Zunge plötzlich gelähmt.

Das Schiff, das wie aus dem Nichts erschienen war, trieb so nah neben ihnen, dass er es mit ausgestrecktem Arm fast hätte berühren können. Von ihren gelegentlichen Ausflügen zum Hafen von Karali kannte er sich mit Schiffen aus und wusste sofort, dass es sich um eine Galeere handelte.

Sie war vielleicht fünfzig Schritt lang. Die Bordwand ragte etwa zehn Fuß aus dem Meer empor. Das an den Rändern ausgefranste dunkle Segel hing trotz des Winds schlaff am Mast herunter. Soweit er das von hier unten erkennen konnte, schien niemand an Deck zu sein. Am seltsamsten war, dass man das Schiff vom Heck bis zum Bug vollkommen schwarz gestrichen hatte. So etwas hatte er noch nie gesehen.

»Vater?«

Volat antwortete nicht. Er stand am Bug und starrte die schwarze Bordwand hinauf. Seine Haut war blass geworden. Jetzt drehte er den Kopf, und als sich ihre Blicke trafen, zuckte Menus erschrocken zusammen. Sein Vater sah aus, als wäre er einem Gespenst begegnet. In seinen Augen flackerte nackte Furcht.

»Wir müssen zurück!«, rief er mit zitternder Stimme. »Schnell, das Segel!«

Menus sprang auf und erreichte mit einem Satz den Mast, der im Vergleich zu jenem der Galeere lächerlich klein wirkte. Gerade als er das Segel setzen wollte, erscholl ein dumpfes Röhren.

Lobus stieß einen schrillen Schrei aus, und sein Vater stöhnte entsetzt auf. Menus wirbelte herum. Beinahe hätte er ebenfalls aufgeschrien. Ein Dutzend Männer stand an der Reling und starrte auf sie herunter. Aber das waren keine gewöhnlichen Männer. Ihre Kleidung war zerlumpt und hing größtenteils in Fetzen an ihnen herab. Ein Geruch nach Algen und Verwesung lag plötzlich in der Luft. Ihre Haut war bleich. Bei einigen schienen die Nasen und Ohren weggefressen worden zu sein, an manchen Stellen waren die blanken Knochen zu sehen.

Am schlimmsten waren ihre Augen. Sie waren vollkommen weiß und glühten hell wie Sterne.

Eines der Wesen hob den rechten Arm. In seiner Hand, die mehr einer Klaue glich, hielt es eine Axt. Die Klinge starrte vor Rost, als hätte sie jahrelang im Wasser gelegen. Alles ging vollkommen lautlos vor sich. In einer schnellen Bewegung holte der Unheimliche aus und warf die Axt.

Menus hörte ein schmatzendes Geräusch neben sich. Sein Kopf flog herum. Die Schneide hatte sich in Lobus' Stirn gebohrt. Mund und Augen seines Bruders waren weit aufgerissen. Ohne einen Laut kippte er nach hinten und stürzte mit einem Klatschen ins Meer.

Menus war wie gelähmt. Er sah seinen Vater auf sich zustürzen. Von der Seite kam ein Schatten angeflogen. Eine Lanze bohrte sich in Volats Hüfte und riss ihn von den Füßen. Blut spritzte aus der Wunde. Als er den Kopf hob, war sein Gesicht schmerzverzerrt.

»Flieh«, keuchte er. »Ins Meer. Versuch an Land zu schwimmen.«

»Vater, ich ...«

»Du sollst fliehen, du Narr. Rasch!«

Ein zweiter Speer bohrte sich neben ihm in die Planken und blieb zitternd darin stecken. Menus warf sich herum und sprang in die Fluten. Um diese Jahreszeit war das Wasser kalt. Ein eiserner Reif schien sich um seine Brust zu legen und ihm die Luft abzuschnüren. Sofort schwamm er tiefer. Wenn er zu dicht an der Oberfläche blieb, würden sie ihn mit einem besser gezielten Speerwurf auch unter Wasser erwischen. Erst als seine Lungen förmlich nach Luft schrien, tauchte er wieder auf.

Erleichtert stellte er fest, dass die Galeere abgedreht hatte. Doch dann änderte sie den Kurs, beschrieb einen scharfen Halbkreis und steuerte auf ihr Boot zu. Mit einem lauten Krachen bohrte sich der Bug in die Bordwand. Holzteile wurden durch die Luft geschleudert, als die Galeere über die Reste dessen hinwegwalzte, was noch vor wenigen Minuten der ganze Stolz seines Vaters gewesen war. Danach drehte sie erneut ab und nahm Kurs aufs offene Meer. Während sie sich entfernte, wurde sie durchscheinend, als löse sie sich langsam in Luft auf.

Dann war sie verschwunden.

Menus hatte ihr nachgestarrt. Jetzt merkte er, dass er vor Kälte und Entsetzen zitterte. Die Trauer um seinen Vater und seinen Bruder schnürte ihm die Kehle zu, doch er drängte sie zurück. Er musste nach Hause. Er musste seinen Leuten erzählen, was passiert war.

Eine Träne löste sich aus seinem linken Auge, rann über seine Wange und vermischte sich mit dem Salzwasser auf seiner Haut. Er begann zu schwimmen.

Castor Pollux und sein Freund Kimon saßen stumm an ihrem Tisch und hingen ihren Gedanken nach. Sie hatten einen Platz in der hintersten Ecke der Taverne ergattert, die sich Zum rauen Gesellen nannte. Wenn er sich umsah, schien ihm der Name mehr als passend. Außer ihnen waren etwa zwei Dutzend Männer anwesend, allesamt muskulöse und wild aussehende Kerle. Augenscheinlich hatten sie etwas zu feiern, denn sie orderten Krug um Krug des blassroten, wässrigen Weins, der hier ausgeschenkt wurde. Castor tippte auf freigelassene Sklaven oder Gladiatoren.

Die beiden Huren des Hauses, ein blondes und ein schwarzhaariges Mädchen, von denen keine älter als achtzehn war, hatten buchstäblich alle Hände voll zu tun. Kaum kehrte eine von ihnen aus ihrer Kammer in der oberen Etage zurück, sprang schon der nächste Bursche auf und forderte lautstark ihre Dienste ein, woraufhin sie mit ihm im Schlepptau die Treppe wieder hinaufstieg. Inzwischen wirkten beide Frauen etwas müde.