Lassiter 2773 - Michael Schauer - E-Book

Lassiter 2773 E-Book

Michael Schauer

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Beschreibung

"Dieser Ort ist wie geschaffen für uns." Die Männer nickten zustimmend. Hier unten roch es zwar muffig, dafür gab es genug Platz, um sich zu verstecken und Beute zu lagern. Ihre Öllampen sorgten für flackerndes Licht. Hin und wieder wehte ein Luftzug vom anderen Ende des Tunnels herein. Dieser General hatte ganze Arbeit geleistet. Sogar eine kleine Zelle mit einem Schloss an der Tür hatten sie entdeckt. Der Schlüssel steckte. Wen auch immer er darin hatte einsperren wollen. Der Anführer atmete tief durch. Das Schicksal meinte es gut mit ihnen. Es hatte sie hergeführt, und hier standen sie nun. Gekommen, um für eine lange Zeit zu bleiben.

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Seitenzahl: 147

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

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Ma Baker

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Impressum

Cover

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsbeginn

Impressum

Ma Baker

von Michael Schauer

»Dieser Ort ist wie geschaffen für uns.«

Die Männer nickten zustimmend. Hier unten roch es zwar muffig, dafür gab es genug Platz, um sich zu verstecken und Beute zu lagern. Ihre Öllampen sorgten für flackerndes Licht. Hin und wieder wehte ein Luftzug vom anderen Ende des Tunnels herein.

Dieser General hatte ganze Arbeit geleistet. Sogar eine kleine Zelle mit einem Schloss an der Tür hatten sie entdeckt. Der Schlüssel steckte. Wen auch immer er darin hatte einsperren wollen.

Der Anführer atmete tief durch. Das Schicksal meinte es gut mit ihnen. Es hatte sie hergeführt, und hier standen sie nun. Gekommen, um für eine lange Zeit zu bleiben.

Der Knall zerriss die Stille der Nacht und ließ Dave Braddle aufschrecken. Hektisch sah er sich in alle Richtungen um. Wie in so vielen warmen Sommernächten befand er sich auf seiner Lieblingslichtung, nur ein paar Minuten zu Fuß von Wild Creek entfernt. Er liebte es, auf dem Rücken liegend die Sterne zu beobachten, die wie tausende Glühwürmchen am endlosen Himmel leuchteten. Hier draußen war es viel besser als in dem stickigen Zimmer, das er im einzigen Hotel der Stadt bewohnte. Manchmal schlief er sogar im Wald ein und wachte erst bei Morgengrauen wieder auf. Er durfte bloß nicht zu spät zur Arbeit kommen. Das konnte Mr. Cooper, dem das Hotel gehörte und für den er arbeitete, auf den Tod nicht ausstehen.

Wenn es um Ohrfeigen ging, saß Mr. Coopers Hand wesentlich lockerer als an den Tagen, an denen er ihm den Lohn auszahlen musste. Obwohl Dave mit seinen achtzehn Jahren den Verstand eines Sieben- oder Achtjährigen besaß, hatte er diesen Umstand schnell begriffen.

Er lauschte in die nur vom Vollmond erleuchtete Dunkelheit. Der Knall wiederholte sich nicht, dafür hörte er das Knacken von Zweigen. Obwohl kein Wind wehte, drang das Rascheln von Blättern an seine Ohren. Dann vernahm er Schritte. Jemand näherte sich, und zwar schnell. Und er kam genau auf ihn zu.

Hatte Mr. Cooper gemerkt, dass er sich nicht in seinem Zimmer aufhielt und jemanden losgeschickt, um ihn zu suchen? Nein, warum sollte er das tun? Dave durfte seine Unterkunft jederzeit verlassen, solange er nur seine Arbeit erledigte.

»Er ist hier irgendwo!«, schrie ein Mann, der nicht weit entfernt sein konnte. Gleich darauf folgte ein zweiter Knall.

Ein Schuss!

Furcht überkam ihn. Er wollte aufstehen, doch seine Beine fühlten sich mit einem Mal so weich und labbrig an wie der schrecklich fade Brei, den ihm Mrs. Cooper zum Frühstück aufzutischen pflegte. Auf allen vieren kroch er von der Lichtung und versteckte sich im Unterholz, wo er zitternd verharrte.

Waffen machten ihm Angst. Waffen waren böse. Durch sie wurden Menschen verletzt oder sogar getötet. Vor einigen Jahren hatte es in Wild Creek eine große Schießerei gegeben. Ein Höllenlärm, viele Schreie. Den Grund dafür kannte er bis heute nicht. Er wusste nur, dass mehrere Männer ums Leben gekommen waren und er sich einen ganzen Tag lang in seinem Zimmer verkrochen und nicht herausgewagt hatte. Woran selbst Mr. Coopers Wutausbrüche nichts hatten ändern können.

Ein Mann brach durch die Büsche. Daves Augen wurden groß. Diesen Mann kannte er. Er war immer sehr nett zu ihm, was man nicht von jedem der Bewohner von Wild Creek sagen konnte.

Jetzt hielt er inne und sah sich um. Er bückte sich, zog einen Umschlag aus seiner Jackentasche, schob ihn unter einen Busch und beschwerte ihn mit einem daneben liegenden Stein von der Größe einer Kinderfaust. Als er sich gerade wieder in Bewegung setzen wollte, krachte abermals ein Schuss. Wie von einer unsichtbaren Faust in den Rücken getroffen, stürzte er mit dem Gesicht voran zu Boden. Seine Schultern zuckten noch einmal, dann lag er still.

Dave zog sich tiefer ins Unterholz zurück. Ein unangenehmer Geruch sagte ihm, dass er sich eingenässt hatte, was ihm ewig nicht mehr passiert war. Sein Herz pochte rasend schnell. Dennoch versuchte er, so flach und leise wie möglich zu atmen. Damit ihn die beiden mit Revolvern bewaffneten Männer nicht bemerkten, die soeben die Lichtung betreten hatten. Im Gegensatz zu ihrem Opfer waren sie ihm unbekannt.

Einer von ihnen ging neben dem am Boden Liegenden in die Hocke und wälzte ihn auf den Rücken. Währenddessen hielt der andere seine Waffe auf den Getroffenen gerichtet.

»Der ist hinüber«, brummte er. Sein hageres Gesicht war von einem dichten schwarzen Bart umrahmt. Sein Kumpan dagegen war glattrasiert.

»Schau nach, ob er es bei sich hat«, verlangte der Bärtige.

Der Glattrasierte steckte seinen Revolver weg und durchsuchte den Toten. Augenscheinlich fand er nicht, worauf er es abgesehen hatte. Jedenfalls schloss Dave das aus seinem enttäuschten Gesichtsausdruck.

»Nichts«, verkündete er und erhob sich.

»Es muss in seinem Büro sein.«

»Das überprüfen wir später. Bleib du hier, ich hole die Schaufel. Hab sie am Waldrand verloren.«

»Beeil dich. Und verlauf dich nicht.«

»Machst du dir allein in die Hosen, oder was?«

»Jetzt geh schon.«

Der Glattrasierte verschwand zwischen den Bäumen in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Während der Bärtige wartete, schaute er sich ständig um. Als ob er ahnte, dass er beobachtet wurde. Trotz der lauen Sommerluft begann Dave zu schwitzen. Einmal glaubte er sogar, dass ihn der Mann direkt anstarrte.

Falls er ihn in seinem Versteck erwischte, würde er ihm weh tun.

Nein, das stimmte nicht. Er würde ihn umbringen.

Als der andere mit der Schaufel zurückkehrte, schienen Stunden vergangen zu sein. Wortlos begann er neben der Leiche ein Loch auszuheben. Nach ein paar Minuten gab er das Werkzeug an seinen Kumpan weiter. Auf diese Weise wechselten sie sich einige Male ab, bis das Loch groß genug für seinen Zweck war. Sie packten den Toten an Armen und Beinen, legten ihn hinein und schaufelten die Grube wieder zu. Zum Schluss deckten sie die Stelle mit Ästen und Blättern ab.

»Lass uns zurückgehen«, brummte der Glattrasierte. »Hier sind wir fertig.«

»Weißt du, was seltsam ist?«

»Was denn?«

»Zwischendurch hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden.«

Dave riss erschreckt den Mund auf. Wäre seine Blase nicht leer gewesen, hätte er sich ein zweites Mal in die Hosen gemacht.

Der Glattrasierte lachte auf. »Wer soll uns hier beobachten? Du wirst wohl langsam alt. Mein Großvater fing irgendwann auch an, Dinge zu sehen, die nicht da waren.«

»Red keinen Scheiß, Mann.«

»He, Spion!«, rief der Glattrasierte und trat einen Schritt auf Daves Versteck zu. »Komm raus und zeig dich.«

Dave hörte sogar auf zu blinzeln. Mit aller Macht kämpfte er dagegen an, aufzuspringen und wegzurennen. Die Männer würden ihn einholen. Bestimmt waren sie schneller als er. Ihre Kugeln waren es ganz sicher.

»Okay, ich sehe schon, du bleibst lieber in deinem Versteck«, fuhr der Mann in belustigtem Ton fort. »Falls wir dich je erwischen, kannst du dich auf was gefasst machen. Merk dir das.« Er wandte sich an den Bärtigen. »Zufrieden, du Spinner?«

»Idiot«, knurrte er. »Komm jetzt, wir verschwinden.«

Es verging beinahe eine halbe Stunde, bevor es Dave wagte, sich zu rühren. Auf Zehenspitzen schlich er an dem frischen Grab vorbei und vermied es, auch nur einen Blick darauf zu werfen. Für die Sterne hatte er kein Interesse mehr. Jetzt wollte er bloß nach Hause. Alle paar Schritte hielt er an und lauschte, weil er fürchtete, die Mörder könnten sich noch in der Gegend herumtreiben, doch bis auf das Zirpen der Grillen blieb es still.

Falls wir dich je erwischen, kannst du dich auf was gefasst machen.

Die Worte hallten unentwegt in seinem Kopf wider. Obwohl ihm der Tote schrecklich leidtat, schwor er sich, niemandem zu erzählen, was er heute Nacht beobachtet hatte.

Der Planwagen rumpelte in gemächlichem Tempo über die unebene Straße. Bei jedem Schlagloch beschwerten sich die jungen Frauen, die dichtgedrängt zwischen dem Gepäck auf der Ladefläche hockten. Ma Baker scherte sich nicht darum, das war sie gewohnt. Stattdessen genoss sie den Ausblick auf die majestätisch aufragenden Berge links von ihr, die zu ihrem Bedauern bald hinter einem dichter werdenden Wald verschwanden.

Von beiden Seiten ragten jetzt dünne Äste in die Straße hinein, die sich allmählich zu einem schmalen Pfad verengte. Ma Baker musste den Kopf einziehen, um sich an den manchmal scharfen Enden keine blutigen Striemen zu holen. Eigentlich hieß sie Charlotte, doch seitdem eine ihrer Ladys sie eines Tages als Ma bezeichnet hatte, wurde sie nur noch so genannt. Wie lange war das her? Sie konnte sich nicht erinnern.

Trotz ihres Spitznamens hatte sie kein leibliches Kind. Was zu einem nicht unerheblichen Teil an den potenziellen Vätern lag, die ihren Ansprüchen nie hatten genügen können. Ein einziges Mal hatte sie es mit einem Mann länger als ein paar Wochen ausgehalten und ihn sogar geheiratet. Keine zwei Jahre später war ihr klar geworden, wie sehr sie ihr früheres unstetes Leben liebte und es vermisste. Er verstand sie und nahm es ihr nicht übel. Sie hatten sich im Guten getrennt und waren stets in Kontakt geblieben.

Die Nachricht von Clint Fosters Tod hatte sie mehr erschüttert, als sie es nach all der Zeit für möglich gehalten hätte.

Inzwischen zählte sie siebenundvierzig Jahre und war nach wie vor eine attraktive Frau. Ihre schlanke Figur hatte sie sich bewahrt, und in ihrem feuerroten glatten Haar zeigten sich nur wenige graue Strähnen. Den Gedanken an eine feste Bindung hatte sie aufgegeben. Ihr genügten ihre Ladys. Und die benahmen sich, obwohl die älteste von ihnen schon dreiundzwanzig war, manchmal wirklich wie Kinder.

Edwina, Pearl und Shirley hatten sich von ihren Plänen nicht unbedingt begeistert gezeigt, was vor allem für Pearl galt. Sie waren allesamt Gewohnheitstiere, die ihr vertrautes Terrain ungern verließen, selbst wenn sie es nicht besonders mochten. Schlussendlich waren sie mitgekommen. Sie wussten, was sie an ihr hatten.

Ma Baker hielt ihnen den Rücken frei und kümmerte sich um die geschäftlichen Angelegenheiten, damit sie sich voll und ganz ihrer eigentlichen Arbeit widmen konnten. Falls ein Kunde frech oder gar handgreiflich wurde, konnte er sich warm anziehen. Unter ihrem eisigen Blick gingen die meisten Kerle in die Knie. Reichte das nicht aus, hatte sie immer noch ihre Kanone, mit der sie durchaus umzugehen vermochte.

Nettie, mit ihren zwanzig Jahren die jüngste von ihnen, hatte es dagegen kaum erwarten können, Rocktown den Rücken zu kehren. Sie hatte es satt, sich ihre Dollars in den verlausten Zimmern über dem einzigen Saloon der Stadt zu verdienen. In Wild Creek plante Ma Baker ein Edelbordell zu eröffnen, wie sie es in ihrer Jugend in San Francisco kennengelernt hatte. Plüsch und feiner Stoff statt wurmstichiger Betten und zerschlissener Matratzen.

Das linke Hinterrad rumpelte über einen Stein, was eine erneute Klagewelle zur Folge hatte.

»Ma!«, rief Edwina mit ihrem schrillen Organ, das sie unter tausend anderen herausgehört hätte. »Kannst du nicht vorsichtiger fahren? Ich bin von der Bank gefallen und hab mir das Knie aufgeschlagen.«

»Halt dich eben besser fest, Edwina«, gab Ma Baker zurück, die Zügel fest in der Hand und den Blick über die Schädel der beiden Zugpferde hinweg auf den Waldweg gerichtet, der eben eine langgezogene Kurve beschrieb. »Ist eine holprige Strecke. Viele Steine, viele Löcher.«

»Was du nicht sagst. Ist mir noch gar nicht aufgefallen.«

Die anderen Frauen lachten, und auch Ma Baker musste schmunzeln. Gleich darauf wurde sie wieder ernst. Am Ausgang der Kurve blockierten drei Reiter den Pfad. Sie zügelte die Pferde, und das Gefährt kam zum Stillstand. Auf den ersten Blick erkannte sie, dass es die Männer nicht auf einen kleinen Plausch abgesehen hatten. Alle drei sahen heruntergekommen aus, trugen speckige Hüte und schmutzige Kleidung. Zwei grinsten übers ganze Gesicht, der dritte dagegen sah so finster drein, als leide er an höllischen Magenschmerzen. Seine Hand lag auf dem Knauf des Revolvers, der in einem Holster an seinem Gürtel steckte.

Ma Baker gönnte sich einen Moment, um ihre Situation einzuschätzen. Umkehren konnte sie auf dem engen Weg nicht. Und selbst, falls ihr ein solches Kunststück gelungen wäre, hätte sie mit dem schwerfälligen Planwagen keine Chance, den Reitern zu entkommen. Ihr blieb nichts übrig, als sich ihnen zu stellen.

»Warum halten wir ...«, hörte sie Pearl neben sich, die sofort verstummte, als sie die Reiter entdeckte.

»Zurück nach hinten«, sagte Ma Baker so leise, dass nur sie es hören konnte. »Lasst euch nicht sehen. Und keinen Mucks.«

Das Henry Rifle-Gewehr lag zu ihren Füßen auf dem Bock. Sie brauchte bloß danach zu greifen. Nur würden die Fremden das kaum zulassen.

Einer der grinsenden Männer trieb sein Pferd an und näherte sich ihr. Unter seinem löchrigen braunen Hemd wölbte sich sein mächtiger Bauch wie eine große Kugel. Er hatte ein rundliches Gesicht mit glänzenden Wangen und kleinen Augen. Als er seine wulstigen Lippen öffnete, entblößte er ein lückenhaftes Gebiss.

»Guten Tag, Ma'am«, begrüßte er sie und zog in einer übertrieben affektierten Geste seinen Hut. »Wo soll's hingehen?«

»Wild Creek«, antwortete sie tonlos und stieß mit dem linken Fuß gegen ihr Gewehr. Es war so nah und hätte sich genauso gut auf dem Mond befinden können.

Der Mann hob eine Braue.

»Wild Creek? Nettes Städtchen, liegt nur etwa drei Stunden von hier. Das weiß ich deshalb so genau, weil wir von da kommen. Was führt Sie dorthin?«

»Eine Erbschaft.«

»Eine Erbschaft, verstehe.« In seinen Augen blitzte etwas auf. »Geld?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ein Haus.«

»Ein Haus? Und die Kleine, die vor einer Minute den Kopf rausgestreckt hat, ist Ihre Tochter, nehme ich an.«

Leugnen machte keinen Sinn. Der Kerl hatte Pearl schließlich gesehen.

»Sie arbeitet für mich.«

Ein grüblerischer Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, das kurz darauf von einem Grinsen abgelöst wurde, noch breiter als vorher.

»Ihr seid Huren, stimmt's?«

»Erraten«, antwortete sie kühl.

»Nur ihr beide? Oder verstecken sich da hinten noch mehr Täubchen?«

»Wie wär's, wenn Sie und Ihre Freunde uns durchlassen?«, ging sie nicht auf die Frage ein. »Es geht auf den Abend zu, und wir würden Wild Creek gerne vor Einbruch der Dunkelheit erreichen.«

Er nickte scheinbar verständnisvoll. Sein Blick dagegen sagte etwas ganz anderes. Ma Baker musste sich beherrschen, um nicht nach ihrem Gewehr zu schielen. Ihre Ladys hatten Revolver, nur waren sie im Umgang mit den Schießeisen längst nicht so geübt wie sie. Außerdem besaßen sie nicht ihre Nerven. Sie glaubte, ein leises, angsterfülltes Schluchzen wahrzunehmen, das wahrscheinlich von Edwina stammte. Die junge Frau verlor in brenzligen Situationen schnell die Fassung.

Der Fremde schnalzte mit der Zunge. »Es ist so, Mrs. ..., äh, jetzt habe ich glatt Ihren Namen vergessen.«

»Ich hatte ihn nicht genannt, und er lautet Baker.«

»Also, Mrs. Baker, ich und meine Jungs sind ein bisschen abgebrannt und würden uns über eine kleine Spende freuen. Als künftige Hausbesitzerin können Sie bestimmt den einen oder anderen Dollar erübrigen, nehme ich an. Und gegen ein bisschen Spaß hätten wir auch nichts einzuwenden, falls Sie verstehen. Wir können die Sache für euch angenehm oder schmerzhaft gestalten, was denken Sie?«

Jetzt begann sogar sein Kumpan mit der finsteren Miene zu grinsen. Außerdem hatte er die Hand von seiner Kanone genommen. Offenbar war er zu dem Schluss gekommen, dass von ihr keine Bedrohung ausging. Sie ruhte auf dem Sattelhorn, was ihre Chancen schlagartig verbesserte.

»Ich habe einen Gegenvorschlag«, erwiderte sie.

Ein erstaunter Ausdruck erschien auf dem Gesicht des Dicken. »Da bin ich ja mächtig gespannt. Lassen Sie hören.«

»Er lautet: Verpiss dich, oder ich schieße dir deine winzigen Eier weg.«

Sein Grinsen verschwand schlagartig.

Sie vergeudete keine Sekunde, beugte sich vor und riss die Rifle hoch. Bevor er reagieren konnte, jagte sie ihm die erste Kugel in den Leib. Mit einem Aufschrei kippte er vom Pferd. Die zweite Kugel traf einen seiner Kumpane in die Schulter. Der dritte Mann hatte seine Knarre gezogen und feuerte zurück. Ma Baker ließ sich vom Bock fallen. Mit einem dumpfen Plock schlug das Blei an der Stelle ein, wo sie eben noch gesessen hatte.

Sie landete schmerzhaft auf der Seite, wälzte sich herum und wollte das Gewehr in Anschlag bringen, als ihr verbliebener Gegner wie aus dem Nichts nur wenige Schritte entfernt vor ihr stand. Wie hatte er es geschafft, so schnell vom Pferd zu springen? Auf diese Frage würde sie wohl keine Antwort finden. Das Mündungsloch seines Revolvers kam ihr übergroß vor.

»Verfluchtes Miststück«, zischte er und spannte den Hahn. »Das hättest du besser bleiben gelassen.«

Der Schuss krachte. Ma Baker spürte keinen Einschlag. Stattdessen taumelte der Mann zurück. Auf seiner Weste war in Höhe der linken Brust ein roter Fleck erschienen, der rasch größer wurde. Mit verdrehten Augen brach er zusammen,

Blieb der mit der Schulterwunde. Er hing mit schmerzverzerrtem Gesicht halb im Sattel und versuchte, sie ins Visier zu nehmen, als ihn eine Kugel am Hals traf und vom Pferd beförderte.

Schwer atmend blieb sie auf dem Bauch liegen. Das konnte nur eine ihrer Ladys gewesen sein. Sie hatte nicht gewusst, dass sich eine so gute Schützin unter ihnen befand.

Zwei Stiefel traten in ihr Blickfeld. Sie hob den Kopf und sah in das kantige Gesicht eines Fremden, der sich zu ihr hinabbeugte und ihr eine Hand hinhielt. Sie ergriff sie und ließ sich von ihm auf die Füße ziehen. Schweratmend schaute sie sich um. Der Dicke, den sie zuerst erwischt hatte, lag leblos auf dem Rücken und blutete wie ein Schwein. Auch die anderen rührten sich nicht. Die Bedrohung war vorüber.

»Danke, Mister«, sagte sie. »Sie sind keinen Augenblick zu früh aufgetaucht.« Aus den Augenwinkeln bemerkte sie ihre Ladys, die hinter dem Bock hervorlugten. »Ich heiße Charlotte Baker.«

»Die Kerle wollten Sie ausrauben?«

»Das und Schlimmeres. Wir sind auf dem Weg nach Wild Creek, ist nicht mehr weit. Sollte das ebenfalls Ihr Ziel sein, hätte ich nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie uns für den Rest des Wegs begleiten.«

»Das Angebot nehme ich gerne an. Mein Name lautet übrigens Lassiter.«