Hestia - Carolyn J. Cherryh - E-Book

Hestia E-Book

Carolyn J. Cherryh

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Beschreibung

Zwischen zwei Kulturen

Der Ingenieur Sam Merritt soll auf dem Planeten Hestia einen Damm bauen. Die menschlichen Kolonisten versprechen sich davon, endlich dem engen Flusstal, in dem sie unter ärmlichen Bedingungen leben, zu entkommen. Schnell stellt Merritt fest, dass ein Damm die katzenartigen Ureinwohner des Planeten zur Umsiedlung zwingen würde. Als bei einem Unfall eine junge Eingeborene verletzt wird, kümmert Merritt sich um sie. Nach und nach lernt er ihre Kultur kennen – und sieht, welche Bedrohung ihr Bauprojekt für die Aliens darstellt. Dier Kolonisten bestehen jedoch darauf. Sam muss sich etwas einfallen lassen, wenn er beide retten will …

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Das Buch

Der Ingenieur Sam Merritt soll auf dem Planeten Hestia einen Damm bauen. Die menschlichen Kolonisten versprechen sich davon, endlich dem engen Flusstal, in dem sie unter ärmlichen Bedingungen leben, zu entkommen. Schnell stellt Merritt fest, dass ein Damm die katzenartigen Ureinwohner des Planeten zur Umsiedlung zwingen würde. Als bei einem Unfall eine junge Eingeborene verletzt wird, kümmert Merritt sich um sie. Nach und nach lernt er ihre Kultur kennen – und sieht, welche Bedrohung ihr Bauprojekt für die Aliens darstellt. Die Kolonisten bestehen jedoch darauf. Sam muss sich etwas einfallen lassen, wenn er beide retten will …

 

 

 

 

Der Autor

Caroline Janice Cherryh, geboren am 1. September 1942 in St. Louis, Missouri, wuchs in Oklahoma auf und begann im Alter von zehn Jahren mit dem Schreiben von Science-Fiction-Geschichten, als ihr die Handlung ihrer Lieblingsserie »Flash Gordon« nicht mehr gefiel. Sie machte ihren Universitätsabschluss in Archäologie, Mythologie und Ingenieursgeschichte. Mitte der Sechzigerjahre unterrichtete sie Latein und Altgriechisch an der John Marshall High School in Oklahoma. In den Ferien schrieb sie Romane, die auf der antiken Mythologie und Geschichte beruhten. 1976 wurden ihre ersten beiden Romane veröffentlicht und legten den Grundstein für ihre erfolgreiche Karriere als Schriftstellerin, in der sie mehrfach mit dem Hugo-Award ausgezeichnet wurde. Sie lebt mit ihrer Frau im Bundesstaat Washington in den USA.

C. J. CHERRYH

 

HESTIA

 

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Titel der Originalausgabe

HESTIA

Aus dem Amerikanischen von Thomas Schichtel

 

 

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1979 by C. J. Cherryh

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 6, 81673 München.

Covergestaltung: Das Illustrat

Satz: Thomas Menne

ISBN 978-3-641-19149-8V002

www.heyne.de

1

 

Durch das regenbesprühte Glas hindurch konnte man die Fähre sehen, eine in New Hope fremde Form, die sich schnittig und silbern zwischen braunen, nicht gestrichenen Gebäuden erhob. Sie stand hier nur für kurze Zeit: die ADAM JONES befand sich im Orbit um den Planeten, ein Zwischenspiel von wenigen Tagen auf ihrer Reise von Stern zu Stern, und die Fähre gehörte zu ihr und zu einem anderen Dasein, ein fremdartiger Traum in Hestias einziger, brauner Stadt.

Regen war die vorrangige Realität auf Hestia, Nebel verschleierte die Entfernungen und ließ die Kanten von Gegenständen im Mittelgrund verschwimmen. Auf den schlammigen Straßen bildete der Regen Pfützen, und er tropfte wie Schweiß von verfallenden Gebäuden. Die graue Eintönigkeit der Wolken und des Brauns der Erde und des Wassers blieb, während die Kolonie im Sterben lag.

Ein dünner Ruf erhob sich in den Straßen. Eine Gruppe Zecher schlängelte sich Arm in Arm vorbei; sie winkten, rutschten im Schlamm aus und missachteten den Nieselregen. Ein Schiff war im Hafen, und das war ein Fest. Sie blieben stehen, erhoben eine Flasche zum Betrunkenensalut, riefen etwas und torkelten davon, immer noch Arm in Arm, eintönig braun gekleidete Leute, die rasch hinter dem Regenschleier und im Irrgarten der baufälligen Häuser verschwanden.

Sam Merritt ließ den heimgewebten Vorhang über den niederdrückenden Anblick fallen und ging zu seinem Stuhl zurück, vor dem Papiere auf einem verschrammten Tisch verstreut lagen. Dieses ungestrichene Zimmer mit dem knarrenden Holzfußboden war alles, was Hestia an Regierungspracht zu bieten hatte, New Hopes offizieller Amtssitz, die höchste Form seiner Gastfreundschaft. Merritt warf einen bedauernden Blick auf sein immer noch ungeöffnet herumstehendes Gepäck, eine verlorene Ansammlung schwarzer Kisten mitten auf dem Fußboden.

Unten an der Treppe ging eine Tür auf und fiel krachend wieder zu; schwere Schritte knarrten die Stufen empor. Merritt setzte sich auf den harten Stuhl am Tisch, lehnte sich gegen dessen Kante und blickte wie beiläufig auf, als die Tür geöffnet wurde und Don Hathaway regenfeucht und grimmig hereinlatschte. Hathaway wischte sich Regentropfen von der Jacke, strich sich das Haar zurück und sank mit hängenden Schultern auf eine Ecke des näherstehenden Bettes hinab. Er war älter als Merritt mit seinen achtundzwanzig Jahren, und seine Schläfen waren ergraut. Sein Gesicht stand im Begriff, einen schwermütigen und gewohnheitsmäßig verdrossenen Ausdruck anzunehmen, und seit ihrer Landung hatten sich die Furchen darin vertieft.

»War draußen in der Stadt«, sagte Hathaway.

Merritt nickte. Dieser finstere Blick lud nicht zum Kommentar ein.

»Sam«, sagte Hathaway, »nachdem wir gelandet waren und uns umgesehen hatten, blieb ich dabei, mir selbst einzureden, dass es irgendwo besser sein müsste … in der Stadt, draußen auf dem Land, irgendwo. Aber die Anweisung des Gouverneurs heute morgen …« Er gestikulierte unbestimmt zu dem Tisch mit den verstreuten Papieren. »Es ist vorbei, Sam.«

»Was meinst du damit?«

»Vor wenigen Minuten habe ich draußen in der Stadt mit Al gesprochen. Und wenn diese Fähre startet, werden wir an Bord sein.«

Merritt sah ihn an, schluckte, schüttelte den Kopf: keine Zurechtweisung, sondern ein Echo auf Hathaways Verzweiflung. Sein Herz schlug heftig. »Wir waren sieben Jahre lang unterwegs, um herzukommen, Don – nur um wieder umzukehren …?«

»Und vielleicht leben wir lange genug, um wieder nach Hause zu kommen.« Hathaway wischte sich über das ergrauende Haar, stand auf, trat an den Nachttisch, auf dem eine Flasche stand, nahm sie und die schmutzigen Gläser, trug sie zum großen Tisch, stellte sie darauf und goss ein. Eines der Gläser setzte er ab und schob es zu Merritt hinüber. »War draußen in der Stadt. Habe sie mir angesehen. Habe genug gesehen, Sam. Schlamm und Bauern und Dinge, die auseinanderfallen. Und die Mentalität dieser Leute – sieh dir nur diesen Ort an. Er zerfällt, und keine Hand rührt sich, um ihn zu säubern, geschweige denn, ihn wieder instand zu setzen. Habe dort draußen einen Mann im Regen sitzen sehen – er saß nur da, war betrunken und starrte ins Wasser. Habe mit Holzteilen ausgebesserte Maschinen gesehen, die von Hand bedient werden. Mit Holz und Papier ausgebesserte Fenster. Letzte Nacht hat ein Junge versucht, einen Mannschaftsangehörigen zu erdolchen. Hast du davon gehört?«

»Wahrscheinlich betrunken.«

»Hat versucht, ihn zu berauben.«

»Diese Leute haben vor fünfzig Jahren um Hilfe gebeten, Don. Sie sind verarmt. Ist das ihr Fehler?«

»Es ist aber auch nicht unsere Schuld. Wir müssen keineswegs mit einem Jahr unseres Lebens dafür bezahlen.«

»Die Regierung bezahlt uns reichlich. Denk daran. Rechne zusammen, was dabei für uns herausspringt.«

»Die Übereinkunft besagt …« – Hathaway stach mit einem Finger in seine Handfläche –, »… dass wir hierherkommen und uns zuerst einen Überblick über die Lage verschaffen sollten, dass wir nachsehen sollten, ob wir ein System ausarbeiten können, um die Fluten unter Kontrolle zu bringen – oder um festzustellen, ob die Welt überhaupt die Ressourcen hat, um dem Problem beikommen zu können. Ob ihr die Ressourcen verblieben sind. Ich habe meine Entscheidung in dieser Frage getroffen. Falls du mir zustimmst und folgst …«

»Uns davonmachen, bevor wir überhaupt einen Blick in das obere Tal geworfen haben? Don, zumindest soviel schulden wir ihnen.«

»Das Schiff ruft die Fähre und wird nicht warten. Du weißt, was alles daranhängt, wenn man ein Sternenschiff aus seinem Fahrplan bringt.«

»Also wirst du wegen einem Jahr Wartezeit auf das nächste Schiff diese Kolonie und eine gute Scheibe unseres eigenen Lebens wegwerfen …«

»Sam, Sam, wenn ich der Meinung wäre, dass etwas dabei herauskommen könnte, würde ich dort hinaufgehen und das Tal anstarren, bis die Sonne gefriert. Aber hör mir einmal zu! Selbst der ursprüngliche Bericht besagte, dass dieses Tal nicht für eine ständige Siedlung geeignet ist. Und was haben diese Leute gemacht? Sie haben die Anweisung ignoriert und hier Häuser gebaut. Das ist ihre eigene Dummheit. Ein weiterer Punkt ist die Ausrüstung. Sie kann nicht wiederhergestellt werden, ist weggeschwemmt, verloren, ausgeschlachtet, kaputt, was auch immer. Unser Vertrag beläuft sich auf höchstens fünf Jahre Planetenaufenthalt. Was können wir in dieser Zeit hier ausrichten? Nichts. Nichts, das einen Unterschied machen würde. Sie würden weitere Ingenieure brauchen, die uns ablösen, und das würde Jahrzehnte dauern, in denen alles, was wir geschaffen hätten, wieder im Schlamm versunken und von Bürokraten vertrödelt worden wäre. Hestia kann keine weitere lange Wartezeit durchstehen. Nein. Jemand muss die Entscheidung treffen, diese Leute von dieser Welt wegzubringen oder zumindest aus diesem Tal hinaus, und das ist nicht unsere Zuständigkeit. Ich schlage vor, dass wir die Aussiedlung empfehlen, eine Notbasis, und nichts in den Händen der Bürokraten belassen. So streichen wir die Millionen dafür ein, dass wir hergekommen sind und uns umgeschaut haben. Dann teilen wir sie, fahren zur nächstgelegenen reichen Welt und ziehen uns zurück. Das wird das Beste sein, auch für die Hestianer. Wir brauchen uns nicht dafür zu schämen. Ein anderer Weg wäre grausamer.«

Merritt schüttelte den Kopf, ließ den Blick durch das Zimmer zu Hathaway schweifen. »Sie werden nicht gehen wollen. Ein Jahr, ein Jahr, nur den Versuch, selbst wenn er nutzlos ist … Meinst du nicht, dass sie die Entscheidung, die Kolonie aufzugeben, wesentlich leichter akzeptieren würden, wenn sie wüssten, dass wir die Situation selbst kennengelernt haben, wenn sie wüssten, dass wir es versucht haben?«

»Sam, ich bin vierzig Jahre alt. Zu der Zeit, wenn ich wieder woanders hinkomme, werde ich näher an den Fünfzig sein. Ich bin hergekommen, um mich vielleicht niederzulassen und meinen Beruf auszuüben; aber es ist hoffnungslos. Hier gibt es nichts. Ich werde jetzt von hier verschwinden, solange es noch ruhig ist, bevor diese betrunkenen Bauern die Gelegenheit haben zu erkennen, worum es geht. Selbstsüchtig – vielleicht. Aber soweit es mich angeht, habe ich diesen Vertrag erfüllt, und es gibt nichts, dessen ich mich schämen müsste. Ich bin hergekommen, was die meisten nicht getan hätten; ich habe die Gelegenheit ergriffen und gesehen, was ich sehen wollte und was ich jemals sehen möchte. Ich werde nicht den Rest meines Lebens hiermit verschwenden.«

»Ist Al …«, fragte Merritt schließlich, »ist Al derselben Meinung?«

»Ja. Sieh mal, du wirst wohinkommen, wo es sich zu leben lohnt, wenn du sechsunddreißig, siebenunddreißig bist, ungefähr. Du wirst Zeit haben, um neu anzufangen und dich an der halben Million zu erfreuen. Vielleicht hast du jetzt gerade noch den Raum, Fehler zu machen, oder glaubst ihn zu haben. Denk nicht, dass ich deine Gefühle nicht verstehe. Ich war sieben Jahre jünger, als ich mit diesem verrückten Vorhaben angefangen habe. Sieben weitere Jahre werden deine Perspektive mächtig ändern. Du schuldest dir selbst Besseres, als Hestia dir geben kann.«

»Gib der Sache ein Jahr.«

Hathaway runzelte die Stirn, blickte zu Boden und wieder auf. »Ich bin zu lange auf der ADAM JONES gewesen, um das Schiff zu wechseln, wenn dabei für jeden nur ein so kleiner Vorteil herausspringt. Na gut, ich gebe ja zu, dass ich Leute um mich haben möchte, die ich kenne. Ich will zu meinen Freunden. Ich möchte an dem Ort leben, den ich gewohnt bin. Ich habe Hestia den größten Teil meiner Jugendjahre gegeben, und ich werde nicht auch noch die übrigen für eine verlorene Sache wegwerfen. Ich gehe wieder auf das Schiff, mit dem wir gekommen sind.«

»Ist das nicht vielleicht etwas, was du schon beschlossen hast, bevor du diese Welt überhaupt gesehen hast?«

»Sam – das weise ich zurück.«

»Ist es nicht doch die Wahrheit? Jetzt hast du Al dazu überredet, dir zuzustimmen. Du wirst ihn dazu bringen, diesen Rückzug zu unterschreiben, und alles, was du jetzt noch brauchst, bin ich.«

»Sieh mal, in jedem Jahr, in dem wir diese Leute noch mit falschen Hoffnungen hinhalten, werden auf lange Sicht mehr von ihnen sterben. Das ist keine Wohltat. Du weißt: Wenn wir nicht bleiben, wenn wir einen Marker mit dieser Order oben zurücklassen, werden sie mit dem nächsten Schiff von hier weggebracht. Und das ist das beste, was wir für sie tun können.«

»Die Kolonisten würden nicht gehen wollen. Sie werden darum kämpfen, dass es auf andere Weise geschafft wird. Das haben sie bewiesen. Die ADAM JONES hat schon einmal versucht, sie wegzubringen; auch andere Schiffe haben es versucht. Die Leute wollen nicht. Du, Al und ich, wir könnten ihnen beweisen, dass es für sie so am besten wäre.«

»Wir können das beweisen, indem wir gehen. Sie werden nachgeben, wenn sie die Wirklichkeit erkennen, wenn sie einsehen müssen, dass von der Erde keine Hilfe kommen wird. Und wenn sie wirklich wegen dieser Frage kämpfen wollen, erhalten wir dadurch Ausrüstung oder Hilfe, um den Regen zu beenden?«

»Es ist einfach nicht richtig.«

»Es ist nicht mehr so, dass das ganze Kolonisierungsprogramm noch weiterhin von Hestia abhängen würde. Sie …«

»… sind unwichtig.«

»Sam, sie hätten vor fünfzig Jahren schon von Phase Eins zur Industrialisierung übergehen sollen, aber stattdessen geht es mit ihnen ständig bergab. Sie haben keine Maschinen und keine Energie. Der größte Teil der jüngsten Generation hat nicht einmal lesen gelernt.«

»Also bringen wir sie von Hestia weg in eine Kultur, die zu begreifen sie nicht hoffen können.«

»Oder lass sie hier darben. Sam, sie wussten es, sie wussten, dass es soweit kommen musste. Sie wussten von Anfang an, dass das Tal jedes Mal überflutet werden würde, sobald das Wetter zu einem seiner langen nassen Zyklen umschwenkt. Sie hätten das Tal nutzen und dann verlassen sollen; aber nein, sie haben dem Geogutachten nicht geglaubt. Hundert Jahre lang haben sie, stur wie sie sind, hier gehockt und die Hilfeleistungen absorbiert, die man ihnen zukommen ließ. Und jetzt erwarten sie, dass wir ihnen ihre Dämme bauen, so dass sie weiterhin hier hocken und vegetieren können.«

»Die Fluten haben sie erwischt, bevor sie eine Chance hatten. Was konnten sie denn noch machen, sobald sie einmal die Maschinen und ihren Impuls verloren hatten? Sie haben überlebt, und das haben sie selbst geschafft.«

»Erzähl mir nicht, dass sie es versucht haben. Diese verrottende Villa ist das einzige Gebäude in der ganzen Stadt, das wirklich als Amtssitz gebaut worden ist, und es war der alte Schlafsaal der Kolonie. Die anderen Gebäude waren nur Lagerhäuser oder sind es bis auf den heutigen Tag. Kein einziges Haus in der ganzen Stadt ist jünger als hundert Jahre. Sie haben diesen Ort unverändert gelassen, sie haben nichts gemacht und nichts gebaut, seitdem die Kolonie gegründet wurde. Sie haben ihre kleinen Flecken Erde flussaufwärts ausgesucht und kümmerten sich weder um eine Regierung noch um die Zukunft der Kolonie. Sie ließen alle gemeinschaftlichen Vorhaben liegen, bis es fast zu spät war. Um Himmels willen, sie haben nicht einmal Elektrizität! Jetzt ist das Anbauland fort, in die Bucht geschwemmt, und jetzt können sie auch das nicht mehr nutzen. Im Sommer brüten sie dort draußen in dieser Lagune Insekten und Krankheiten aus. Sie sterben an Krankheiten, von denen niemand sonst etwas gehört hat. Auf der ADAM JONES wird man uns alle einer Entseuchung unterziehen müssen oder anderenfalls riskieren, eine Seuche von hier nach Pele zu schleppen.«

»Durch Trockenlegung, Dämme, Energieerzeugung …«

»Ach, Sam, das werden sie machen, wenn sie keine Hilfe erhalten. Nein. Al und ich haben angeordnet, dass unser Gepäck zurück auf das Schiff gebracht wird. Möchtest du deines mitgehen lassen, oder willst du es allein machen?«

Merritt starrte anderswo hin, auf die Fenster, auf das stetige Tropfen von Regen. Dünne Rufe schallten von draußen herauf.

»So sieht es aus«, sagte Hathaway. »Wenn du den Rückzug nicht unterzeichnest, wird er nicht durchkommen. Wir werden das Geld verlieren. Al bekommt seines. Sein Vertrag ist im Voraus bezahlt. Alles, was du tun kannst, ist, mich um mein Geld zu bringen, meine Zukunft zu zerstören, mir alles zu nehmen, was ich zurückgelassen habe. Willst du das tun?«

Merritt schüttelte den Kopf. »Wenn du und Al gehen, kann man nicht mehr groß diskutieren, nicht wahr? Wenn du ohne das Geld gehen willst – da kann man nichts machen. Na gut. Ich unterschreibe dein Papier.«

»Die Mannschaft wird uns helfen. Sie wird einige unauffällige Lattenkisten verladen, unser Gepäck wegschaffen. Wenn die Leute hier herausfinden …«

Die Tür unten an der Treppe ging auf und wieder zu. Hathaway sprang auf die Füße, ebenso Merritt, der ans Fenster trat und ängstlich hinausblickte. Dort war niemand. Einzelne Schritte waren auf den Holzstufen zu hören, leicht und schnell, und sie erreichten die Tür.

Sie ging auf. Lilith Courtenay schlüpfte mit einer geschmeidigen Bewegung herein und schloss sie wieder. Sie trug einen silbrigen Anzug und glitzerte vor Regen, ein Schimmer von anderswo in diesem eintönigen Zimmer. Sie warf ihre Kapuze zurück und sah sich mit einer Grimasse und einem Ausdruck des Unglaubens um. Der Name ADAM JONES war auf ihren Ärmel eingestickt, ebenso die Embleme von Welten und Sternen, lichtjahreweit von Hestia entfernt. Sie gehörte zur Mannschaft, verachtete die Welten, die dort genannt waren – war von anderer Herkunft als Weltlinge.

»Dich hätte ich nicht erwartet«, sagte Merritt. Sein Puls raste noch wegen eines Augenblickes schuldbewusster Furcht. Und plötzlich war er verlegen, schämte sich dafür, hier gefunden zu werden, von ihr, inmitten dieser Schäbigkeit. Sie zuckte mit ihren silbernen Schultern.

»Wieso, könnten wir dem Karneval fernbleiben, Liebster? Den ganzen betrunkenen Bauern? Hörst du sie nicht auf den Straßen? Ganz New Hope feiert am Hafen, und wir auch.« Ihre Miene wurde sachlich. »Al hat mir die Neuigkeit erzählt. Du kommst wieder zu Vernunft.«

»Neuigkeiten verbreiten sich zu schnell. Wer weiß es sonst noch?«

»Ich habe es von Al erfahren. Er ist an Bord.«

»Ich laufe am besten in dieselbe Richtung«, meinte Hathaway. »Sam, du wartest besser noch ein wenig, dann machst du einen beiläufigen Spaziergang und gehst ebenfalls in Richtung des Landeplatzes. Kein Gepäck! Wir werden es uns besorgen, wenn wir können. Wenn sie uns erwischen – das könnte unangenehm werden.«

»Denke ich auch«, stimmte Merritt zu und beobachtete mürrisch, wie Hathaway ging.

Lilith Courtenay zuckte zu Achseln, Hände in den Hüften, ging um den Tisch herum und legte die Hand auf Merritts Arm. Sie sah auf und drückte seinen Ellbogen. »Sam, ich freue mich sehr darüber, dass du wieder zu Vernunft kommst, auch wenn es sieben lange Jahre bis dahin gedauert hat. Haben wir dir nicht dauernd erzählt, wie es auf Hestia sein würde? Wir haben versucht, dich zu warnen.«

»Don hat schließlich die Ausrede gefunden, nach der er gesucht hatte.«

Ihre dunklen Augen blickten besorgt. »Aber du stimmst ihm doch zu. Du begreifst, wie es hier aussieht. Du stehst im Begriff, wegzugehen.«

»Das nehme ich an.«

»Du begreifst diese Leute nicht. Sie würden dir nicht dankbar sein, wenn du es versuchst und scheiterst. Wahrscheinlich würden sie sich auf dich stürzen und dich töten. So ist ihre Art. Und manche von uns würden dich vermissen, wenn du zurückbliebst. Ich würde es, ich. Wir sind sieben Jahre lang zusammen gewesen.«

»Keine Bindungen, Lil, das hast du immer gesagt.«

»Es würde vierzehn Jahre dauern, bevor ich wieder nach Hestia komme. Wenn du den ganzen Fünf-Jahres-Vertrag lang hierbleibst und dann woanders hingehst, würde ich dich bei dieser Runde verfehlen, und wir beide wären dann fast fünfzig, bevor wir wieder eine Möglichkeit hätten, uns zu treffen. Du warst ein Durchreisender. Ich gehöre zur Mannschaft. Wir bleiben bei unserer Aufgabe. Das könnte sich jedoch ändern. Wenn du zur Familie gehören würdest …«

»Für dich ist das richtig, Lil, aber ich bin mir nicht sicher, ob es auch für mich richtig wäre. Du bist auf dem Schiff geboren worden, die vierte oder fünfte Generation, die so lebt. Ich bin anders. Ich bin erdgeboren.«

Sie lachte lautlos, nur ein Abwinkeln der Augenlider. »Na ja, ein Teil von mir gehört zur ADAM, aber meine Mutter hat ihre Leidenschaften zwischen Sol und Centauri und wieder zurück verstreut, und ich bin niemals neugierig genug gewesen, das zurückzuverfolgen und Bescheid zu wissen. Also haben wir vielleicht die Erde gemeinsam, wer weiß? Würdest du dein Leben an Hestia verkaufen?«

»Ich schaffe es nicht, mir darüber klarzuwerden. Ich werde gedrängt. Ich kann dir keine Versprechungen machen.«

»Das kannst du nicht? Aber ich dachte, ich hätte niemals nach welchen gefragt.« Sie machte eine Handbewegung in Richtung der Fenster. »Heute Nacht gibt es eine Feier, das Ende der Festlichkeiten. Die Leute von der ADAM sind da draußen und führen eine weitere unserer zahlreichen Dienstleistungen durch – sie kümmern sich darum, dass es im Gen Pool keine Inzucht gibt. Und in neun Monaten wird es wieder neue Hestianer geben, so grausam das auch ist. Ein Kolonist hat jedes Jahr Karneval; für uns liegen Jahre dazwischen. Diesmal habe ich aber kein Interesse daran. Ich will dich zurückhaben. Du weißt, dass ich Kinder von dir haben wollte, bevor wir auseinandergehen, wirklich. Ich konnte mir nicht vorstellen, mein erstes von jemand anderem zu haben. Du hättest das nicht gewollt. Jetzt ist das anders – wird anders werden.«

»Du hättest dich immer dafür entscheiden können, mit mir auf Hestia zu bleiben. Ich habe darauf gewartet.«

Sie schauderte sichtlich und schüttelte den Kopf. »Manche Dinge sind einfach zuviel, als dass man jemand darum bitten könnte.«

»Arme Zigeunerin. Du weißt nicht, wie es ist, einen Ort als Heimat zu haben.«

»Die ADAM ist meine Heimat. Komm zurück auf das Schiff! Wir lieben Erdlinge und Passagiere nicht. Komm zurück! Bleib bei uns! Jetzt kann alles anders werden.«

Er nickte langsam. »Na gut. Okay, du hast gewonnen. Ich werde kommen. Verschwinde hier und geh wieder zum Hafen. Ich denke, dass du am besten zuerst an Bord gehst. Es wird bald dunkel sein. Sobald es dämmert, mache ich einen Spaziergang in diese Richtung.«

»Nein, komm jetzt!«

»Wir würden Aufmerksamkeit erregen. Am besten gehen wir getrennt.«

»Ich habe Angst, Sam, ich habe Angst vor diesen Leuten.«

»Dann sei vorsichtig, ich werde es auch sein.« Er berührte ihr Gesicht, küsste sie mit der beiläufigen Leidenschaft einer langen Gewöhnung. Es war anders – die Berührung dauerte, und Schuld und Verlangen vermischten sich in ihm zu einem Knoten im Bauch. Er fasste sie am Arm und schob sie zur Tür. »Geh jetzt, geh, verschwinde von hier! Je länger zu bleibst, desto länger wird es dauern, bis wir beide auf dem Schiff sind. Ich folge dir, sobald ich dir genug Zeit gelassen habe, dorthin zu kommen.«

 

Es regnete wieder, prasselte in Sturzbächen herab, als Hestias Sonne von einem grauen Tag in einen düsteren Abend sank. Merritt zog den Vorhang zurück und beobachtete die Straße. Sie war menschenleer, zeigte nichts außer zertrampelter Erde und vom Regen aufgerührten Pfützen. Nur das Rauschen des Regens war zu hören.

Er zog seine Jacke an und zog den Reißverschluss bis zum Kinn, stopfte die persönlichen Habseligkeiten, an denen er am meisten hing, in die Taschen, durchsuchte das Gepäck auf irgendeinen Gegenstand, der ihm fehlen würde, schloss es wieder und hoffte trotzdem, dass die Mannschaft es würde an Bord bringen können. Gleichzeitig neigte er dazu, sie darum zu bitten, es nicht zu versuchen, keinen Schaden für Einwohner oder Mannschaftsangehörige bei einem Streit zu riskieren. Auch ohne das hatte er schon genug Last auf seinen Schultern.

Die Tür unten an der Treppe wurde aufgerissen. Zahlreiche Schritte polterten die Stufen empor. Die Mannschaft, dachte er und fürchtete, zu lange gewartet zu haben. Und dann ging die Tür auf, und er wurde eines Besseren belehrt.

Hestianer. Ein halbes Dutzend von ihnen, braungekleidet und mit den Armbinden der örtlichen Polizei.

»Wollen Sie irgendwo hingehen, Mr. Merritt?«

Merritt rührte sich nicht, erinnerte sich daran, dass seine Hand noch in einer Tasche steckte, und zog sie ganz langsam heraus. Er war unbewaffnet. Die Hestianer hatten Polizeiknüppel und Schusswaffen am Gürtel.

»Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte er und hoffte, dass sie immer noch zögern würden, die lebenspendende Mutter Erde herauszufordern.

»Der Gouverneur will Sie sprechen«, antwortete der diensthabende Offizier. »Sofort.«

Merritt überdachte das zahlenmäßige Verhältnis und die geringe Chance, zwischen bewaffneten Polizisten hindurch und durch eine feindliche Stadt zu rennen. Wahrscheinlich gab es draußen noch Mannschaftsangehörige, die Möglichkeit eines Aufruhrs. Er vermutete, dass Lilith Courtenay schon auf dem Schiff wartete, und dass das Warten zur Ungeduld und zu Nachforschungen und Handlungen führen würde. Er hoffte verzweifelt darauf.

Er zuckte die Achseln, zeigte seine leeren Hände und ging mit.

 

Gouverneur Lee war ein dicker Mann mit beginnender Glatze und freundlichen Umgangsformen – ein andauernd besorgter Mann, der abgelenkt wirkte, keine Gestalt, die Furcht einflößte. Merritt hatte ihn schon getroffen, sich Gedanken über ihn gemacht und ihn eingestuft. Und diese Überlegungen lagen jetzt in Trümmern. Lee betrachtete ihn mit demselben besorgten Ausdruck von Kopf bis Fuß, während die Polizisten in einer Reihe um das Zimmer standen und die Tür bewachten, und Merritt fühlte sich in diesem Augenblick sehr einsam.

Lee besaß weder Ansehen noch Autorität. Die von der ADAM gegebenen Instruktionen sprachen von zwanzig Jahren Untätigkeit, von zwanzig Jahren Kontakt mit Sternenschiffen, von Zusammenkünften, die auf Seiten der Besatzungen von Verachtung und auf Seiten Lees von schmeichelnder Ängstlichkeit geprägt worden waren. Es gab in der Tat einige Leute, die für Lees Regierungsstil empfänglich waren, und er stützte sich verzweifelt auf die Versorgungsgüter und die Wohltätigkeit der Erde. Aber urplötzlich machte dieser Mann einen Zug, den niemand für möglich gehalten hatte, und allein diese Tatsache ließ die Situation als unsicher erscheinen. Merritt faltete die Hände vor sich und verzichtete auf Proteste, die nichts eingebracht hätten.

»Setzen Sie sich, setzen Sie sich!«, sagte Lee.

Merritt tat wie geheißen und betrachtete Lee über die Breite des Tisches hinweg, begegnete diesen faltigen Augen und versuchte, diesen Kontakt nicht zu unterbrechen.

»Sie wollten weglaufen, Mr. Merritt.«

Merritt sagte nichts.

»Nun«, meinte Lee, »ich habe es am Tage der Landung in Ihren Gesichtern gelesen, und heute Nachmittag – ich wusste, dass ich die anderen nicht überzeugt hatte, aber ich hatte gehofft, wenigstens Sie überzeugt zu haben.«

»Ich wollte gerade hinausgehen und mir die Stadt ansehen. Ihre Polizei …«

»Bitte, Mr. Merritt! Sie waren im Begriff zu verschwinden. Wir wissen, wo die anderen sind. Ein Mann, der das herausgefunden hat, ist tot. Es wäre viel leichter, wenn wir ehrlich miteinander sein würden.«

»Wir dachten …« Die Worte kamen nur zögernd heraus. »Wir dachten, wir könnten mit Ihnen reden, wenn wir uns zurückziehen, könnten Sie überzeugen, die Kolonie aufzugeben. Gouverneur, Sie haben selbst zugegeben, dass keinerlei Ausrüstung vorhanden ist, überhaupt keine. Was erwarten Sie von uns?«

»Rat, Mr. Merritt. Knowhow. Berufliche Qualifikation. Sie sagen uns wie – und wir machen die Arbeit.«

»Eine Kolonie von fünftausend Menschen, ohne Maschinen und ohne verfügbare Arbeitskräfte. Und wenn Sie einen Fehler machen, Gouverneur, werden Sie gar nichts erreichen. Hören Sie auf meinen fachmännischen Rat. Verlassen Sie das Tal; noch besser, verlassen Sie Hestia, solange Sie noch können!«

»Wir haben um Waffen gebeten, um Metall für Maschinen und Treibstoff, um sie zu betreiben; wir haben um Sensoren gebeten, wie Sie sie haben, damit wir uns im Hochland selbst schützen können. Aber wir bekommen diese Dinge nicht. Wir können nicht damit umgehen – das ist die Meinung, die wir zu hören bekommen. Es würde bedeuten, ein Sternenschiff für mehrere Jahre umzuleiten, um eine solche Expedition zu unterstützen, und fünftausend Menschenleben sind das Geld nicht wert, nicht wahr? Wir hatten nie eine Chance, und man ist nicht bereit, die Finanzen des Büros zu gefährden, nur um Hestia zu retten. Nein, es ist alles eine Frage des Budgets. Das ist immer so. Sie verlängern unsere Qual, Mr. Merritt, darin besteht Ihre ganze Hilfe.«

»Sir …«

Die müden Augen des Gouverneurs fingen Merritts Blick ein und hielten ihn fest. »Sie drei waren genug motiviert zu kommen. Was geschah dann? War Ihnen das Geld nicht genug?«

»Warum wollen Sie diese Kolonie nicht aufgeben? Warum wollen Sie nicht zuhören?«

»Warum kann uns ein anderer Bodenbewohner nicht begreifen, Mr. Merritt? Dies ist unsere Heimat, so einfach ist das. Und eines Tages wird auch der Regen wieder aufhören. Aber es ist recht wenig, an das wir uns halten können – unsere Felder stehen während beider Wachstumsperioden unter Wasser, im Winter haben wir kein Wasser und im Sommer haben wir Fieber.«

»Sie müssen Hestia ja auch nicht verlassen. Im Hochland gibt es alles, was Sie brauchen. Wenn Sie dem Gutachten gefolgt wären …«

»Die Hochlandgebiete haben auch andere Bewohner, Mr. Merritt.«

Merritt verschränkte die Arme und starrte abwesend zu Boden.

»Sie glauben mir nicht.«

Merritt zuckte die Achseln und blickte kalt in Lees Augen. »Die Menschen haben schon immer Geister gesehen. Vielleicht folgen die uns sogar von Welt zu Welt. Nein, Sir. Ich habe von ihnen gehört, aber die Überprüfung hat keine Ergebnisse gebracht.«

»Es gibt sie wirklich, Mr. Merritt, und sie sind zahlreicher als wir. Sie hinterlassen ihre Spuren in der Umgebung unserer Höfe, töten unser Vieh, zerbrechen manchmal Zäune oder legen Feuer. Manchmal töten sie uns, wenn wir nicht aufpassen. Es gibt sie wirklich, und Sie wollen uns keine Waffen und keine Sensoren geben. Also bleiben wir im Tal. Das haben sie uns überlassen, und wir werden es halten, solange es Menschen auf Hestia gibt. Sie drei waren unsere letzte wirkliche Hoffnung, und jetzt, so Sie sich anders entschieden haben, was bleibt uns noch?«

»Es tut mir leid, Sir, ich sehe einfach keine Möglichkeit.«

»Auch ich habe keine Wahl. Nein, nein, Mr. Merritt, dies ist unsere Gelegenheit. Ich habe Sie hier in der Stadt, und ich denke nicht, dass die ADAM JONES in dieser Sache etwas unternehmen wird. Wenn Sie ein Sternenschiff nicht für die Rettung von fünftausend Menschen aus dem Fahrplan werfen wollen, werden sie es auch wegen eines Mannes nicht tun, denke ich. Sie sind ein Opfer derselben Art von Logik wie wir, Mr. Merritt. Es tut mir leid. Ganz gewiss möchte ich Ihnen nichts antun, aber bedenken Sie meine Motive. Fünftausend Leben gegen die Bequemlichkeit von einem: wiederum die Logik der Zahlen.«

»Die ADAM JONES wird einen Marker zurücklassen, und was wird dann aus Ihnen? Kein Sternenschiff wird hierherkommen.«

»Aber wir haben unseren Ingenieur.«

»Ich kann nicht allein arbeiten, Sir.«

»Ich wünschte, die anderen hätten Sie nicht im Stich gelassen und wären geblieben, und dies wäre nicht nötig. Aber sie können diesen Signalmarker zurücklassen, ob wir Sie nun gehen lassen oder nicht, habe ich nicht recht? Dann ständen wir völlig mit leeren Händen da. Wir würden hier sterben. Es tut uns leid, Mr. Merritt. Der Zug ist getan. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.«

Merritt ließ langsam den Atem fahren, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und dachte über Lee und die Männer um ihn herum nach. »Ich mag es nicht, wenn man mich drängt. Egal, was Ihre Gefühle sind, mir gefällt es nicht, gedrängt zu werden. Meine Möglichkeiten sind eindeutig begrenzt – aber ich habe sie noch.«

»Ja.«

»Dann werde ich ein Geschäft mit Ihnen machen und mich daran halten.«

»Was für eine Art von Geschäft, Mr. Merritt?«

»Sie benötigen meine Mitarbeit, und ich will Hestia verlassen. Also werde ich ein Jahr lang an diesem Projekt arbeiten, und zwar nach bestem Vermögen, solange Sie mir die nötige Unterstützung gewähren. Aber wenn das nächste Schiff kommt, mache ich Schluss, sofern ich bis dahin keine Lösung für Ihr Problem gefunden habe.«

»In Ihrem Vertrag steht etwas von fünf Jahren.«

»Eines.«

»Wenn das Schiff erst einmal weg ist, gibt es wirklich nur noch sehr wenig Grund für einen Handel, nicht wahr? Wenn wir es nicht zulassen, gibt es für Sie keine Möglichkeit, auch nur in die Nähe dieses nächsten Schiffes zu kommen. Sie werden hier leben, wie wir es tun, mit uns zusammen. Falls dieser Damm nicht gebaut wird, Mr. Merritt, bleiben Sie. Das ist die letzte und einzige Drohung, die ich Ihnen gegenüber ausspreche.«

»Was für eine Ausrüstung soll ich benutzen? Alles, was ich habe, ist in der Fähre.«

»Dann lassen Sie es ausladen.«

»Aber selbst das wird nicht reichen. Das wissen Sie.«

Lee machte eine kleine und unvollständige Handbewegung. »Das liegt bei Ihnen und Ihren Freunden. Fragen Sie sie. Wir werden die Verbindung herstellen.«

 

»Wir haben Alternativen«, sagte Don Hathaways Stimme. »Verbinde uns mit dem Gouverneur. Wir werden sie ihm klarmachen.«

»Ich denke, sie sind es schon«, antwortete Merritt. Die Statik knisterte. Das mit Sonnenenergie betriebene Funkzentrum der Villa war eine Sammlung von Flickwerk aus überholter Ausrüstung, die einmal jährlich abgestaubt worden sein musste, um mit den Sternenschiffen und Fähren Kontakt aufzunehmen. »Hör mir zu! Es wird Tote geben, wenn ihr etwas in dieser Richtung unternehmt, und das will ich nicht. Abgesehen davon würde es Ärger für die ADAM geben. Das Kolonialamt würde kein Verständnis für einen Schusswechsel zwischen einem Sternenschiff und einer Kolonie haben. Diese Leute hier sind verzweifelt und werden kämpfen. Also begnügt euch damit, die Geräte und Vorräte aus dem Schiff zu bringen. Kein Streit! Bitte!«

»Spiel nicht den Märtyrer, Sam. Gib mir ein Zeichen, dass du nicht mit einer Gewehrmündung an deinem Kopf sprichst.«

Der Wachoffizier bewegte sich, fuhr mit der Hand dazwischen. Merritt hielt die Hände von den Apparaturen fern, machte eine kleine Geste und erhielt die Erlaubnis.

»Es ist mein freier Wille, Don, so sicher, wie wir uns auf der Stationsfähre getroffen haben.«

»Das genügt. Alles klar!«

»Ich wünschte, du wärest hier bei mir. Ich könnte die Hilfe brauchen. Aber das wäre zuviel verlangt, nicht wahr?«

Schweigen. »Ja«, sagte Hathaway schließlich.

»Das habe ich mir gedacht«, sagte Merritt. Seine Stimme klang hohl, und sein Herz fühlte sich genauso an. Seltsamerweise verspürte er keine Bitterkeit. »Ist Lil da?«

»Ich bin hier, Sam.«

»Dieselbe Einladung, Lil. Ich könnte die Gesellschaft brauchen.«

Es entstand eine lange Pause. »Ich kann nicht«, sagte sie schließlich elend.

»Auch das habe ich erwartet. Keine bösen Gefühle.«

»Es tut mir leid, Sam.«

Es war unglaublich – es hörte sich so an, als weinte sie, und das entsprach keineswegs ihren Gewohnheiten.

»Mach's gut«, sagte sie.

Die Verbindung wurde unterbrochen.

2

 

Wiederum kam ein Sprühregen herab, der Himmel über New Hope zeigte sein gewohntes hässliches Grau, das Wasser war farblos vom Schwimmdock bis zur Lagune und zum Himmel. Merritt schritt die hölzernen Stufen zum Schwimmdock hinab, blieb stehen und zog sich die Kapuze über den Kopf wegen des kalten Windes, der hier im Freien blies und ihn durchnässte.

Er hatte sich gerade gefragt, welche Transportmöglichkeiten es auf Hestia geben mochte, als sie ihm ein stromaufwärts gelegenes Boot versprachen. Hier lag die Antwort: CELESTINE, und sie hatte einen breiten Boden und mittschiffs einen hohen Schornstein. Das Ruderhaus beanspruchte den größten Teil des Decks, und der Rest des verfügbaren Platzes war mit Seilwerk und Lattenkisten vollgestopft; Merritt nahm an, dass sie seine Ausrüstung enthielten. Die CELESTINE, oft geflickt und mittlerweile dringend einen neuen Anstrich erfordernd, schien ein gutes halbes Jahrhundert alt zu sein, zumindest halb so alt wie Hestia.

Merritt blickte zurück zu den Polizisten des Gouverneurs, die am Ufer standen, mit Leuten aus der Stadt hinter ihnen. Es war überflüssig. Die Fähre war vom Feld verschwunden, die ADAM war fort und das lange Schweigen wieder über Hestia gekommen. Er zuckte die Achseln, drehte sich um, spürte ihren kollektiven Blick auf seinem Rücken, ging über die sich hebende und senkende Oberfläche des Docks zur Laufplanke, ein tückisches Brett, das zwischen dem schwankenden Dock und dem stampfenden Boot lag. Er schaffte es, taumelte nur geringfügig und gewann auf dem Deck wieder das Gleichgewicht.

Ein grauhaariger Mann stand gegen das Ruderhaus gelehnt und betrachtete ihn – regte sich nicht, um ihn willkommen zu heißen, hatte die Hände in die Taschen seines vielfach geflickten Mantels gesteckt, während der unrasierte Kiefer gemächlich einen Zahnstocher bearbeitete.

»Amos Selby?«, erkundigte sich Merritt, da ihm schien, als wolle der Mann ihn bis in alle Ewigkeit anstarren.

Der Hestianer regte sich, zog eine Hand aus der Tasche und bot sie an, ohne dabei ein Zeichen des Willkommens zu geben. »Sie sind ganz sicher Mr. Merritt. Ihre Sachen sind alle an Bord.«

»Wo bleibe ich?«

Selbys Mund zuckte, vielleicht ein Zeichen von Humor. »Nun, Sie werden da bleiben, wo Sie Platz zum Sitzen finden, Mr. Merritt. Wo es Ihnen beliebt. Wir haben hier ein Deck und keine Polizei, nur Wasser, ringsherum.«

Auf dem Dock rührte sich etwas. Schnelle Schritte hallten auf den Holzplanken. Ein Junge raste die Stufen hinab und über das Schwimmdock. Amos knurrte.

»Mein Junge«, erklärte er. »Los komm, Sohn! Beeil dich!«

Der Junge sprang herüber, zog die Mütze von seinem blonden Haar, setzte sie wieder auf und starrte Merritt an. Er war etwa zwanzig Jahre alt, beinahe zierlich und blonder, als es sein Vater jemals gewesen sein konnte. Merritt dachte an die Sternenschiffe und den alljährlichen Karneval in New Hope und fragte sich, ob …

»Sam Merritt – Mr. Merritt – mein Sohn Jim. An die Arbeit, Jim. Wir müssen irgendwann heute noch losfahren, wie du weißt.«

»Ja, Sir«, sagte Jim, machte ein zerknirschtes Gesicht und verschwand, um sich um den Motor zu kümmern. Amos schüttelte den Kopf und machte sich zum Ruderhaus auf, zu dem er vier Stufen einer hölzernen Leiter emporklettern musste.

Mit viel Geduld wurde der Motor, ein zischendes, schwerfälliges Museumsstück, zum Leben erweckt. Merritt ging zum Heck, um ihn sich zu betrachten, und Jim blickte mit einem scheuen Grinsen zu ihm auf, jedoch war der Lärm zu laut, als dass sie sich hätten unterhalten können. Jim rief den Leuten am Ufer Befehle zu; zwei Männer warfen die Seile herüber, und der Motor fing an zu arbeiten, während Jim hin und her rannte und die Seile einzog. Merritt betrachtete vom Heck aus das sich ausbreitende Kielwasser, ein weißes Kräuseln auf dem braunen, regengepeitschten Strom. Er blickte zum Ufer, und die Menschen verwandelten sich in bloße Umrisse neben einer Ansammlung brauner Häuser. Das Ufer blieb zurück; zu beiden Seiten war der Strom jetzt gleich breit, und die Uferbänke waren mit Sand und Gras bedeckt.

Dann ging Merritt nach vorne zum Bug und starrte voraus auf die Landschaft und den Strom. Das Land war flach und überflutet und hinter Sprühregen verborgen. Der Wind schnitt durch seine Jacke. Er begann schließlich zu zittern, suchte sich seinen Weg zum Ruderhaus zurück und kletterte die Stufen zu diesem dürftigen Unterstand hinauf, in dem Amos das Ruder führte. Die offene Kabine gewährte Ausblick und ließ den Wind hindurchpeitschen.

»Es friert«, sagte Merritt mit zusammengebissenen Zähnen.

»Es wird ein bisschen kalt«, stimmte Amos zu.

»Fahren Sie diese Strecke auch im Winter?«

»Auf Hestia bewegt sich auf andere Art nichts. Das Boot muss verkehren.«

»Wie viele andere Boote gibt es?«

»Fünf.«

»Man hat mir gesagt, dass Sie den Strom am besten kennen.«

»Das muss ich.« Amos nahm den Zahnstocher aus dem Mund und steckte ihn in die Tasche, als ob er sich endlich zu einer Unterhaltung entschlossen hätte. »Ich soll Sie bis zu Burns Station bringen und bei Ihnen bleiben. Wie ich höre, sollen Sie Hestia retten.«

Merritt ließ sich an einer Stelle, wo er wenigstens etwas geschützt war, auf die abgenutzte Bank nieder, die an einer Seite des Ruderhauses entlanglief. »Ich habe den Eindruck, Mr. Selby, dass Sie von dieser Sache nicht viel halten.«

»Sie sind seit hundert Jahren der erste Erdenmensch, der beide Füße auf Hestia setzt, und, wie ich höre, gefällt es Ihnen nicht sehr. Was mich angeht, ich traue Außenweltlern nicht sonderlich. Ich meine, wir haben nie viel von draußen erhalten.«

»Ich meine, wir haben nie viel von Hestia bekommen, bei allem, was hineingesteckt wurde.«

Amos Selby nickte kurz. »Richtig, das kann man nicht bestreiten, Mr. Merritt. Aber Sie haben auch niemals etwas benötigt, das wir hätten geben können. Da haben Sie es. Ich nehme an, wir sollten Ihnen dafür etwas schuldig sein, nicht wahr?«

Merritt verzichtete darauf, sich auf die Diskussion einzulassen. Es schien kein Gewinn darin zu liegen.

»Nun«, sagte Amos schließlich, »mein Rat ist frei erhältlich, wenn Sie Verstand genug haben, danach zu fragen.« Er langte nach der Pfeife und blies sie scharf, zeigte auf den Anlegeplatz, als Merritt aufstand und Ausschau hielt. Ein baumumstandenes Haus erhob sich auf einem Hügel außer Reichweite des Stromes. »James' Haus«, erklärte Amos. »Hier war mal ein Dock. Der schönste Platz am Strom, dicht bei der Stadt. Das Dock wurde diesen Herbst weggespült und ist bislang nicht wiederhergestellt worden.«

»Haben Sie auf dieser Strecke planmäßige Aufenthalte?«

»Diesmal nicht. Sie sind meine einzige Fracht. Aber gewöhnlich ja. Manche sind planmäßig, manchmal signalisiert man mir, anzulegen. Eine Gruppe von Höfen kann überall für mich einen Anlegeplatz bereithalten. Ohne uns Flussleute gäbe es Hestia nicht. Ich musste die CELESTINE schon oft dicht heranfahren, um eine Familie von der Veranda zu holen, oder hatte das Deck voller Schafe und Schweine, wenn jemandes Felder überspült worden waren. Wir sind ein eigensinniges Volk, aber bisher hat noch keiner von uns gelernt, Wasser zu atmen.«

 

Um Mittag brachte Jim Tee und Brötchen ins Ruderhaus herauf, dessen Wände mit Merritts Zeichenblättern übersät waren und in dem in einer Ecke ein Kartenbuch aus Plastik lag. Amos zog eine Schlinge über das Ruder und blickte mit einem Auge weiterhin voraus, während er aß, was er hin und wieder unterbrach, um den Kurs zu korrigieren oder Merritt anzustarren.