Hinter unserem Horizont - Jona Dreyer - E-Book

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Jona Dreyer

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Beschreibung

»Ich werde dich finden, mi corazón.« Seit Jahren lebt Ramón illegal in den Staaten und arbeitet als Hauswart für die wohlhabende, texanische Familie Klein. Mit dem einzigen Sohn des Hauses, Brady, der gerade erfolgreich sein Studium abgeschlossen hat, verbindet ihn eine besondere Freundschaft. Als Bradys Eltern dahinterkommen, melden sie Ramón bei der Einwanderungsbehörde und er wird nach Mexiko abgeschoben. Brady weigert sich, zu akzeptieren, was seine Eltern getan haben und begibt sich kurzentschlossen auf die Reise nach Mexiko, um den Mann zu finden, den er liebt. Doch als er ihn endlich aufspürt, muss er erkennen, dass noch ein steiniger Weg zum Glück vor ihnen liegt ...

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Hinter unserem Horizont

Gay Drama

© Urheberrecht 2020 Jona Dreyer

 

Impressum:

Tschök & Tschök GbR

Alexander-Lincke-Straße 2c

08412 Werdau

 

Text: Jona Dreyer

Coverdesign: Jona Dreyer

Coverbilder: depositphotos.com

Lektorat/Korrektorat:   Kelly Krause, Kristina Arnold, Sandra Schmitt & Shannon O’Neall

 

Kurzbeschreibung:

»Ich werde dich finden, mi corazón.«

Seit Jahren lebt Ramón illegal in den Staaten und arbeitet als Hauswart für die wohlhabende, texanische Familie Klein. Mit dem einzigen Sohn des Hauses, Brady, der gerade erfolgreich sein Studium abgeschlossen hat, verbindet ihn eine besondere Freundschaft. Als Bradys Eltern dahinterkommen, melden sie Ramón bei der Einwanderungsbehörde und er wird nach Mexiko abgeschoben.

Brady weigert sich, zu akzeptieren, was seine Eltern getan haben und begibt sich kurzentschlossen auf die Reise nach Mexiko, um den Mann zu finden, den er liebt. Doch als er ihn endlich aufspürt, muss er erkennen, dass noch ein steiniger Weg zum Glück vor ihnen liegt ...

Über die Autorin

»Fantasie ist wie ein Buffet. Man muss sich nicht entscheiden – man kann von allem nehmen, was einem schmeckt.«

Getreu diesem Motto ist Jona Dreyer in vielen Bereichen von Drama über Fantasy bis Humor zu Hause. Alle ihre Geschichten haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Die Hauptfiguren sind schwul, bi, pan oder trans. Das macht sie zu einer der vielseitigsten Autorinnen des queeren Genres.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

»Das Suchen und Irren ist gut, denn durch sie lernt man neue Wege kennen.« (Ebo Rau)

VORWORT

Diese Geschichte ist ein wenig anders aufgebaut, als sonst üblich. Die Liebe steht hier nicht in der Mitte oder am Ende, sondern direkt am Anfang, und wie es dazu kam, wird erst nach und nach entblättert. Ich bin gespannt, wie euch dieser Aufbau gefällt; schriftstellerisch war er für mich auf jeden Fall eine Abwechslung.

 

Bevor ihr anfangt, die Geschichte von Ramón und Brady zu lesen, lasst mich euch einen kleinen Exkurs zum besseren Verständnis geben: Die Mexikaner und ihre Namen.

 

Ich habe ja eine kleine Schwäche für Namenskunde und der Ausflug in die Welt der mexikanischen Namen – beziehungsweise generell die der spanischen Sprachwelt – war deshalb äußerst interessant. Und zum Teil etwas kompliziert.

Grundsätzlich haben so ziemlich alle Mexikaner vier Namen: zwei Vornamen, zwei Nachnamen. Der doppelte Nachname setzt sich immer aus dem ersten Nachnamen des Vaters und dem ersten Nachnamen der Mutter zusammen. Wenn der Vater also mit Nachnamen Flores García heißt und die Mutter Ortiz Rivera, dann heißt das Kind mit Nachnamen Flores Ortiz. Auch nach einer Hochzeit behält jeder seine Namen. Im Alltag werden dann in der Regel nur der Rufname und der erste Nachname benutzt, aus Ramón Antonio Flores Ortiz wird dann also Ramón Flores.

Halt – Ramón? Nein. Mexikaner lieben Spitz- und Kosenamen. Ein Ramón ist ein Moncho, ein Francisco ein Paco, ein Jesús ein Chuy. Und weil das auch noch nicht reicht, werden die Namen gern noch mit den Suffixen -(s)ito oder -(s)ita weiter verniedlicht. Monchito. Ich wäre dann wahrscheinlich Jonasita.

Manche Leute bekommen jedoch einen ganz eigenen Rufnamen, der so gar nichts mit ihrem richtigen Namen zu tun hat, sondern eher mit irgendwelchen Eigenschaften. Chaparro zum Beispiel, das heißt im mexikanischen Spanisch so viel wie »Zwerg«. Die richtigen Namen dieser Spitznamenträger kennt oft kaum noch einer, aber wenn man nach Chaparro fragt, weiß jeder im Dorf, wer gemeint ist.

In Familien wiederum nennt man sich gern einfach beim Verwandtschaftsgrad. Die Abuela, also die Oma, wird natürlich zur Abuelita verniedlicht. Kleine Geschwister sind Hermanita und Hermanito. Und Gringo ist ein eher abwertendes Wort für einen weißen Amerikaner. Die Narcos sind die Drogenhändler.

Ich hoffe, ich konnte etwas Licht ins Dunkel der wirklich großartigen, mexikanischen Namenswelt bringen.

 

Eine Sache noch: Was meine Protagonisten äußern, entspricht nicht immer meinen persönlichen Ansichten. Ich schreibe über Menschen. Nicht über Schablonen.

 

Und nun viel Spaß bei der Lektüre!

KAPITEL 1

»Ramón? Ramón! Wo steckst du?«

Mit einem leisen Fluchen hielt Ramón in seiner Arbeit auf der Leiter inne und drehte sich suchend um. »Hier drüben, Mrs. Klein!«

Hektisch kam sie über den marmorgepflasterten Weg durch den Garten gestöckelt. »Vorne am Gartentor«, begann sie wild gestikulierend und etwas außer Atem, »wieso ist da noch keine Beleuchtung?«

»Weil ich gerade noch mit der Beleuchtung hier am Dach des Gartenhauses beschäftigt bin, Mrs. Klein«, erklärte Ramón geduldig, obwohl er ihr am liebsten den Hals umdrehen würde. Ramón, tu dies, Ramón, mach das, ständig unterbrach sie ihn bei seiner Arbeit, sodass er tausend Aufgaben begonnen, aber keine richtig beendet hatte.

Vete a la mierda! Verpiss dich!

»Du musst dich beeilen! Brady wird in spätestens einer halben Stunde hier eintreffen und ich will, dass bis dahin alles picobello fertig ist.«

»Ja, Mrs. Klein. Alles wird fertig sein.«

Vorausgesetzt, du hörst auf, mich von der Arbeit abzuhalten.

»Gut.« Hoch erhobenen Hauptes stöckelte sie davon, ihr blondes, geföhntes Haar wippte mit jedem Schritt und Ramón fand ihr schickes Sommerkleid etwas zu knapp für eine Frau ihres Alters, aber sie wollte wohl unbedingt zeigen, wie schlank sie noch war.

Seufzend wandte er sich wieder seiner Arbeit zu und fuhr fort, eine Lichterkette am Dach des Gartenpavillons zu befestigen.

»Ramón?« Wieder schnitt ihre Stimme in seine Beschäftigung und am liebsten würde er sich umdrehen und mit dem Tacker auf sie schießen.

»Ja?«

»Das ist schief.«

Er runzelte die Stirn und betrachtete sein Werk. Da war nichts schief, die Kette war gleichmäßig verteilt. »Also für mich sieht das gerade aus«, gab er zurück und versuchte, nicht allzu genervt zu klingen.

»Bei euch in Mexiko geht das vielleicht als gerade durch, aber bei uns nicht.« Es waren Sprüche wie dieser, die ihn an manchen Tagen zur Weißglut trieben. In Mexiko war alles schief, schlecht, primitiv, jedenfalls, wenn es nach den Kleins ging. Auch wenn es in manchen Aspekten sogar stimmen mochte, hasste es Ramón, wenn sie es benutzten, um seine Arbeit abzuwerten.

»Dann sagen Sie meinem schiefen, mexikanischen Blick bitte, wo es schief ist und wo ich es noch geraderücken muss.«

»Ganz links. Da muss es noch etwas weiter rüber.«

»Ganz links? Dann muss ich die ganzen Befestigungen wieder entfernen und alles neu machen.«

Sie hob die Hände, als könnte sie nichts dafür. »Hättest du es von Anfang an ordentlich gemacht, hättest du jetzt keine Mehrarbeit. So wirst du es wohl oder übel noch mal machen müssen. Und beeil dich, vorn am Gartentor muss dann auch alles fertig werden!«

Ramón fluchte leise und riss die Kette vom Dach. Fast eine halbe Stunde Arbeit umsonst, weil Mrs. Klein der Meinung war, es sei schief. Für die Willkommensparty ihres verwöhnten, einzigen Söhnchens musste natürlich alles perfekt sein. Und wenn sie nicht herummeckerte, dann ihr Mann. Irgendjemandem passte immer irgendetwas nicht.

Man sollte meinen, nach acht Jahren hätte sich Ramón an die Macken dieser Familie gewöhnt, aber die Wahrheit war, dass sie ihn an manchen Tagen noch immer in die Verzweiflung trieben und er mit seinem Schicksal haderte. Es war nie sein Plan gewesen, so lange als Hausmeister für die Kleins oder überhaupt irgendjemanden zu arbeiten, aber das Schicksal hatte andere Pläne gehabt und so war er noch immer hier und pflegte und wässerte tagtäglich den Garten, wartete den Pool und nahm allerlei Reparaturen am und im Haus vor.

Der Einzige, den er hier wirklich leiden mochte, war neben der Haushälterin María Fernanda ausgerechnet der verwöhnte Sohn, Brady. Im Gegensatz zu all den anderen und trotz seines Elternhauses behandelte er Ramón stets mit Respekt. Allerdings war er schon vor über vier Jahren von Corpus Christi an die Ostküste gezogen, um in Princeton Wirtschaftswissenschaften zu studieren, damit er eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten konnte. Mr. Klein war erfolgreich im Öl-Business tätig. Und hielt sich illegale mexikanische Hausangestellte, während er gleichzeitig vor dem Fernseher Beifall klatschte, wenn Trump mal wieder davon sprach, eine Mauer zu Ramóns Heimatland zu bauen.

Pendejos.

Jedenfalls tauchte Brady seit Beginn seines Studiums nur noch in den Semesterferien hier auf. Das waren immer schöne Wochen, denn Brady war ein tiefsinniger, gesprächiger junger Mann. Ramón unterhielt sich gern mit ihm, weil er dabei das Gefühl hatte, doch nicht völlig zu verblöden. Früher waren ihre Gespräche manchmal sogar sehr intim gewesen. Brady hatte sich ihm in sehr privaten Dingen anvertraut. Heutzutage war er damit etwas zurückhaltender, aber ihre Unterhaltungen waren immer noch herzlich. Daher freute sich Ramón durchaus auf seine Ankunft, nur die Vorbereitungen raubten ihm den letzten Nerv.

Aber dann war es endlich vollbracht, und zwar rechtzeitig, bevor Brady eintraf. Ramón hatte sogar noch einen Moment Zeit, um zu duschen und sich etwas Frisches anzuziehen, dann sah er schon, wie das noble Taxi im Hof einfuhr und Brady ausstieg, während der Fahrer sein Gepäck aus dem Kofferraum holte. Ramón lächelte. Und ging noch einmal vor den Spiegel, um zu kontrollieren, ob seine Frisur ordentlich aussah.

Es war sicher schon eine Stunde vergangen und Ramón hatte immer noch keine Gelegenheit bekommen, Brady zu begrüßen. Der war sofort von seinen Eltern, Verwandten und Partygästen in Beschlag genommen worden und als Hausmeister konnte sich Ramón da natürlich nicht einfach mit einmischen. Also wartete er, bis er an der Reihe war und bot bis dahin Snacks und Aperitifs an.

»Man könnte meinen, der Messias sei gekommen«, witzelte Fernanda und gesellte sich zu ihm.

»Ja«, raunte Ramón, »das Kind in der Krippe und jetzt bringen alle Gold, Weihrauch und Myrrhe. Aber lass ihn mal. Er ist der einzig Nette hier.«

»Wer weiß, wie lange noch«, gab sie zu bedenken. »Spätestens, wenn er der Juniorchef in der Firma seines Vaters ist, wird es seinen Charakter verderben. Ich hab schon wirklich liebe Kinder zu Arschlöchern werden sehen.«

»Dass er mit dreiundzwanzig noch keines ist, gibt mir trotzdem Hoffnung«, erwiderte Ramón. »Bei den meisten geht es ja spätestens mit dem High-School-Abschluss los.«

»Hast du ihn heute schon gesprochen?«

Er schüttelte den Kopf. »Wann denn? Er ist ja die ganze Zeit mit Händeschütteln beschäftigt.«

Sein Blick wanderte zu dem großen Banner, dass er zwischen zwei Palmen im Garten hatte aufhängen müssen:

Herzlichen Glückwunsch zum Abschluss, Brady!

Brady hatte seinen Universitätsabschluss mit Auszeichnung geschafft und Ramón war regelrecht überrascht gewesen, dass die Kleins ihre Freunde und Verwandten zu diesem Anlass in ihren Garten eingeladen hatten und nicht in das teuerste Restaurant der Stadt. Allerdings passte eine Gartenparty sehr viel besser zu Brady als ein feines Dinner und vielleicht hatten seine Eltern tatsächlich Rücksicht darauf genommen.

»Darf ich Ihnen einen Aperitif anbieten?«, sprach Ramón einen der Gäste an, der gerade an ihm vorbeilief. Wortlos nahm der Mann das Glas entgegen und nickte ihm dankend zu, bevor er sich entfernte. Ramón seufzte. »Denkst du, wir dürfen uns nachher auch einen genehmigen?«, fragte er Fernanda.

»Ach, klar. Und wenn nicht: Ich hab noch Tequila vorrätig. Dann trinken wir einfach einen im Geräteschuppen, wo uns keiner sieht.«

Sie grinsten sich an. Fernanda kam ebenfalls aus Mexiko und Ramón war froh, eine Verbündete in diesem Haus zu haben, die seine Muttersprache sprach und der gleichen Kultur entstammte. Es wäre sicher einfacher gewesen, wenn die Kleins toleranter und verständnisvoller wären, aber das waren sie nun einmal nicht und daran würde sich auch nie etwas ändern. Er musste es hinnehmen, wenn er nicht zurück nach Mexiko wollte.

Die Sonne verschwand hinter dem Horizont und wich einem herrlichen Abendrot. Ramón starrte es eine Weile lächelnd an, ehe er das leere Tablett fortschaffte, um es mit neuen Häppchen zu befüllen. Doch auf halbem Wege hielt ihn eine bekannte Stimme auf.

»Ramón!«

Er blieb stehen und drehte sich um. Winkend und mit einem strahlenden Lächeln auf dem hübschen Gesicht kam Brady auf ihn zu.

»Ramón, mein Freund, jetzt komm schon her!«

Ramón stellte das Tablett beiseite, stand einen Moment unschlüssig da, aber als Brady einladend die Arme öffnete, tat er es ihm gleich und sie umarmten einander herzlich.

»Da bist du ja endlich!« Brady schob ihn ein Stück von sich und musterte ihn mit funkelnden, blauen Augen. Eine vorwitzige, hellbraune Strähne fiel ihm in die Stirn und verlieh ihm etwas Lausbubenhaftes. »Kannst du mir mal sagen, warum du dich schon den ganzen Abend vor mir versteckst?«

»Ich verstecke mich nicht!«, erklärte Ramón entrüstet. »Du warst doch die ganze Zeit mit deinen Verwandten beschäftigt. Da wollte ich nicht stören.«

»Nicht stören? Ich hatte gehofft, dass du mich vor ihnen rettest!«

»Retten? Da hätte ich doch keine Chance gehabt. Und warum sollte ich dich vor deinen Glückwünschen retten?«

»Ramón ...« Brady verdrehte die Augen. »Das sind die gleichen Leute, die früher Applaus geklatscht haben, wenn ich ein Bäuerchen gemacht habe. Wenn die mir gratulieren, komme ich mir wie ein Hochstapler vor.«

»So ein Quatsch.« Ramón runzelte die Stirn. »Im Gegensatz zum Bäuerchen sind die Glückwünsche diesmal wirklich verdient. Einen Abschluss mit Auszeichnung in Princeton schafft nicht jeder. Also freu dich.«

»Hm.« Brady lächelte, legte einen Arm um Ramóns Schulter und führte ihn mit sich.

Er war etwas größer und besaß die schlanke, trainierte Figur eines Surfers, obwohl er in New Jersey vermutlich eher nicht zum Surfen gekommen war. Ramón war durch die viele, körperliche Arbeit eher bepackter und robuster. Sie steuerten die Palme hinter dem Gartenhaus an und ließen sich dort auf einer Bank nieder.

»Und wie geht’s dir so?«, wollte Brady wissen.

»Ach ...« Ramón kratzte sich hinterm Ohr und lachte. »Überfordert und unterbezahlt, also wie immer.«

»Soll ich mal mit meinen Eltern reden, dass sie dich besser bezahlen?«

»Um Gottes willen!« Er zog eine Grimasse. »Sie würden mir zwar vielleicht wirklich mehr Geld geben, aber ihren Ärger über diese Dreistigkeit an mir auslassen. Da hab ich lieber weniger Geld und halbwegs gute Laune hier.«

»Das geht doch so nicht.« Brady klang zerknirscht und sah nach oben auf den wogenden Palmwedel, der sich schwarz gegen den graublauen Abendhimmel abzeichnete. »Ich werd jetzt für eine Weile hier sein, bis ich was Eigenes für mich gefunden habe.«

»Oh!« Das waren erfreuliche Neuigkeiten. Ein paar Wochen in angenehmer Gesellschaft. »Weißt du schon, wo du hinwillst?«

»Ich werd hier wohl in der Nähe bleiben«, erwiderte er. »Wegen der Firma. Aber ich will was Eigenes. Ich ziehe auf keinen Fall dauerhaft zurück in mein altes Kinderzimmer.«

»Kann ich verstehen.«

Brady legte ihm erneut einen Arm um die Schulter und bettete seine Schläfe an Ramóns Kopf. Ramón war immer etwas irritiert, wenn Brady so eine große, körperliche Nähe suchte. Von zu Hause war Ramón es gewohnt, bei einem Amerikaner erschien es ihm ungewöhnlich. »Ich muss nachher noch über etwas mit dir reden«, verkündete Brady schließlich.

»Warum nicht gleich?«

»Weil ich erst mal in den Pool gehen und eine Runde schwimmen will!« Brady ließ ihn los und sprang erwartungsvoll auf.

»Aber ich bin neugierig.«

»Ja, das musst du jetzt noch einen Moment aushalten. Komm mit!«

»Ich weiß nicht ...«

»Komm, wir sind auch nicht die ersten. Da sind schon Leute im Pool.«

Ramón stand nun ebenfalls auf und linste um die Ecke. Es stimmte, ein paar von Bradys alten High-School-Freunden, die ebenfalls eingeladen waren, tollten wie Kinder im Pool herum. »Ich kann nicht. Ich bin hier, um zu arbeiten. Ich muss den Leuten Getränke und Häppchen anbieten.«

»Du arbeitest bestimmt schon den ganzen Tag. Ich gebe dir hiermit frei.«

»Das wird deine Eltern herzlich wenig interessieren.«

»Hey, das ist meine Party. Die sollen sich ja nicht aufspielen. Ich will, dass du jetzt frei hast, fertig, aus.«

»Na schön. Aber wenn sie mir blöd kommen, werde ich sie an dich verweisen.«

»Tu das.« Brady griff nach Ramóns Hand und zog ihn mit sich. »Jetzt wird gebadet, dann wird getanzt und dann ... dann reden wir!«

»Tanzen auch noch?«, rief Ramón atemlos.

»Natürlich, du bist doch hier der beste Tänzer!«

Ramón gab sich geschlagen. So war Brady eben auch: Er bekam immer seinen Willen. Fast immer.

KAPITEL 2

Es wurde lustiger, als Ramón gedacht hatte. Die ehemaligen High-School-Freunde waren zu betrunken oder zu vergesslich, um sich daran zu erinnern, dass er hier eigentlich nur der Hausmeister war, und hielten ihn für einen weiteren von Bradys Freunden. Die Kleins sahen davon ab, ihn zu ermahnen, weil sie wahrscheinlich erkannt hatten, dass Brady ihn dabeihaben wollte.

Ramón fühlte sich geschmeichelt und gleichzeitig doch wie eine Kakerlake. Er hatte zwischen all diesen schönen, jungen, reichen und erfolgreichen Leuten nichts zu suchen. Er war Anfang dreißig und hatte gestern eine verstopfte Toilette repariert, bevor er für die Hausherrin ein neues Wandbild aufgehängt hatte. Dass er eigentlich einmal Arzt hatte werden wollen, interessierte hier niemanden – er war keiner geworden und das war alles, was für privilegierte Menschen zählte.

Brady wusste von Ramóns ursprünglichen Plänen und in seiner ebenso privilegierten Naivität sagte er manchmal, dass er diese Pläne doch noch nachholen konnte. Aber Ramón wusste es besser. In seinem Alter und mit immer noch viel zu wenig Geld war dieser Zug längst abgefahren. Er würde kein Arzt werden. Er würde Hausmeister bleiben und mit dem Geld, das er entbehren konnte, seine Familie in Mexiko unterstützen.

Ein wenig erschöpft stieg er aus dem Pool, schüttelte wie ein Hund das Wasser von seinem Körper und nahm sich ein Handtuch. Er verspürte ein schlechtes Gewissen, weil Fernanda immer noch arbeitete und die Gäste bediente, während er sich amüsierte, aber sie schien bester Laune und winkte ihm nur lachend zu. Er würde sich alsbald bei ihr revanchieren, so viel war sicher.

Auch Brady kam aus dem Wasser, nahm sich ebenfalls ein Handtuch und frottierte sich ab.

»Wolltest du nicht noch über irgendwas mit mir reden?«, fragte Ramón vorsichtig.

»Stimmt.« Bradys Lächeln wirkte plötzlich unsicher und er legte sich etwas zu betont lässig das Handtuch über die Schultern. »Komm mit.«

Ramón folgte ihm wieder zu der Bank hinter dem Gartenhäuschen. Hier waren sie ungestört. Der Duft von Jasmin lag in der sommerlichen Nachtluft. »Irgendwie machst du mir gerade Angst.«

»Angst? Nee.« Brady zwinkerte ihm zu, ließ sich auf der Bank nieder und klopfte auf den leeren Platz neben sich. »Eher hab ich Angst. Ich würde gerade gern schon wieder kneifen. Ich hab mir das schon lange vorgenommen, aber mein Abschluss war das persönliche Ultimatum, das ich an mich gestellt habe. Und den hab ich jetzt in der Tasche und fange mein eigenes Leben an und ... jetzt muss ich mal Nägel mit Köpfen machen. Setz dich doch endlich mal neben mich, Mann.«

Stirnrunzelnd tat Ramón, wie ihm geheißen. Er war völlig ahnungslos, worauf Brady hier hinauswollte. »Dann mach. Und spann mich nicht länger auf die Folter.«

Brady räusperte sich. Einmal, zweimal. »Also. Wie ich schon gesagt hatte, jetzt, wo ich den Abschluss habe, will ich mir was Eigenes aufbauen.«

»Wolltest du nicht in der Firma deines Vaters anfangen?« Es war eigenartig, feucht und fast nackt neben Brady zu sitzen, seinen angenehmen Duft einzuatmen und dabei über solche Sachen zu diskutieren.

»Ja, dort fang ich ja auch an, das meinte ich nicht. Ich meinte eher das Leben außerhalb der Arbeit. Ich werde dort nicht schlecht verdienen und kann mein eigenes Ding durchziehen. Ich habe dich so sehr vermisst.« Es schien so vollkommen zusammenhanglos, was er da redete.

»Ja, du hast mir auch gefehlt.«

»Und jetzt bin ich wieder hier.«

»Ja.« Hatte er zu viel getrunken?

»Ich habe dich wirklich vermisst. Nicht nur jetzt so, sondern die ganzen viereinhalb Jahre, die ich weg war. Darum bin ich jedes Mal in den Semesterferien nach Hause gekommen, anstatt auf Reisen zu gehen oder so. Ich wollte dich sehen. Mit dir reden, Zeit mit dir verbringen. So wie jetzt.«

Ramón schluckte trocken. Worauf lief das hier hinaus? Es war sehr verwirrend. »Das können wir ja jetzt öfter machen, wenn du wieder da bist«, erwiderte er unsicher.

»Ja. Ja, unbedingt! Aber du bist hier nicht glücklich bei meinen Eltern, oder?«

»Ach.« Ramón winkte ab. »Das sollte kein Thema sein. Ist egal.«

»Ist es nicht. Sie behandeln dich dauernd wie ein Stück Dreck und ich will mir das nicht länger mit ansehen.«

»Ich habe ein Dach über dem Kopf, einen vollen Magen und werde bezahlt. Ich bin nicht anspruchsvoll. Im Vergleich zur Arbeit auf dem Bau damals ist mein Leben hier ein Luxus.«

»Nein, nein, so darfst du nicht denken.« Brady legte ihm eine Hand auf die Schulter und ließ sie sanft an seinem Oberarm hinabgleiten, wie ein schmetterlingshaftes Streicheln.

Ramón bekam unwillkürlich eine Gänsehaut. Das Herz schlug ihm mittlerweile bis in die Kehle.

»Ich wünsch mir das hier immer«, fuhr Brady fort. »Jetzt bin ich hier und nun stellt sich die Frage: Was wird aus mir?«

»Na, du fängst bei deinem Vater an«, erklärte Ramón mit zunehmender Verwirrung. Seine Haut brannte dort, wo Brady ihn berührt hatte.

»Nein, das war jetzt scheiße von mir formuliert. Scheiße und egoistisch. Ich meinte: Was wird aus uns?«

»Uns?«, echote Ramón.

»Ja.« Brady rückte näher und Ramón wagte es nicht, zurückzuweichen. »Ich will, dass du Teil meines Lebens bleibst.«

»Brady ... ich war die letzten vier Jahre nicht Teil deines Lebens. Wahrscheinlich haben wir uns schon total entfremdet.« Er wusste kaum noch, wie er atmen sollte und ihm wurde schwindelig. Bradys Geruch schien mit jedem Augenblick intensiver zu werden und das nächtliche Zirpen der Grillen klang nicht mehr beruhigend, sondern schrill.

»Nein, haben wir nicht. Das ist es ja! Jedes Mal, wenn wir uns wiedersehen, knüpfen wir genau da an, wo wir aufgehört haben. Als wären wir nie getrennt gewesen! So was habe ich sonst mit niemandem, nicht mal mit meinen Eltern, und ich glaube, das ist absolut wertvoll. Fühlt es sich für dich nicht so an?«

»Doch ... doch, das tut es.«

»Siehst du.« Sanft strich ihm Brady eine Haarsträhne aus der Stirn. Die Berührungen machten ihn kirre, sandten ein schmerzhaftes Kribbeln, das ihn dazu brachte, die Zehen zu kräuseln. »Ich will, dass du mit mir kommst.«

»In deine Wohnung ... Haus ... was auch immer?«

»Ja.«

Das kam trotz allem überraschend und Ramón wusste nicht so recht, was er darauf erwidern sollte. Natürlich würde er sehr viel lieber mit Brady gehen, als bei den Kleins zu bleiben, aber welchen Nutzen sollte er dort haben? »Planst du jetzt schon so ein großes Anwesen, dass du dort einen Hausmeister brauchen wirst?«

»Du sollst doch nicht als Hausmeister mitkommen.«

»Als was denn dann? Dekorationsobjekt?«

Brady lachte kehlig und räusperte sich erneut. »Okay, jetzt kommen wir zum echt schwierigen Teil, den ich tausendmal vor dem Spiegel geübt habe.«

Ramón schnaubte. »Du hast ein Gespräch mit mir vor dem Spiegel geübt?«

»Hmhm.«

»Und du sagst, wir hätten uns nicht entfremdet.«

»Ich mach das sonst nie!«, beteuerte Brady eilig. »Nur in dieser Angelegenheit. Weil es so heikel ist und gleichzeitig so unheimlich wichtig. Ich will’s nicht versauen. Ich will nicht, dass du nein sagst, nur weil ich mich doof ausdrücke. Es ist einfach so: Ich hab dich wirklich sehr, sehr gern.«

»Ich dich auch«, entfuhr es Ramón, bevor er darüber nachdenken konnte, ob es klug war, so etwas zu äußern. Noch immer hatte er die Befürchtung, dass es sich vielleicht um einen schlechten Scherz handelte und Bradys Freunde gleich aus einer Ecke springen und ihn auslachen würden. Denn das, was er hier scheinbar andeuten wollte, konnte unmöglich sein.

»Es ist schon lange so. Schon viele Jahre. Eigentlich, seit du für uns arbeitest. Ich dachte, dass es vielleicht weggeht, wenn ich zum Studieren ans andere Ende des Landes ziehe, aber so war es nicht, im Gegenteil. Je länger ich von hier fort war, desto mehr habe ich dich vermisst und gemerkt, dass meinem Leben einfach was fehlt ohne dich.«

»Brady ... ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Ramóns Mund wurde trocken wie eine Wüste. Das musste ein merkwürdiger Traum sein. Brady war neun Jahre jünger als er und ein feiner Kerl aus einer gutsituierten Familie mit einer vielversprechenden Zukunft. Ramón war ... das Gegenteil.

»Sag einfach, dass es dir genauso geht«, bat Brady. »Falls es zutrifft.«

Ramón legte den Kopf in den Nacken und starrte in den Nachthimmel. »Ich freue mich, dass du nicht mehr so weit fort bist. Und ich habe auch immer den Semesterferien entgegengefiebert. Aber ich weiß trotzdem nicht, was das hier werden soll. Du willst, dass ich mit dir zusammenziehe?«

»Genau.« Brady griff nach Ramóns Hand. »Nicht als mein Hausmeister, sondern als mein Freund und vielleicht auch mehr als das. Du hältst mich gerade womöglich für irre, aber ich mein’s ernst. Ernster als ernst. Ich hab’s die ganzen Jahre für mich behalten, weil wir in meiner Studienzeit ja nicht viel hätten machen können, aber jetzt bin ich frei.«

Aber ich nicht.

Ramón seufzte. Er war vollkommen überfordert. »Wovon sollte ich denn leben, wenn ich bei dir wohne? Ich habe keine Ausbildung, gar nichts.«

»Du könntest eine machen, wenn du willst. Oder endlich studieren. Wenn ich keine Luxusbude miete, sondern eine normale Wohnung, werde ich genug Geld für uns beide verdienen.«

»Ich werd mich nicht wie eine Kakerlake bei dir durchfressen«, erklärte Ramón entschieden.

»Hör auf, dich ständig mit einer Kakerlake zu vergleichen!«, fuhr Brady auf und atmete einmal tief durch. »Hör mal ...«, er klang wieder deutlich sanfter, »das ist kein Durchfressen, wenn ich dich freiwillig unterstütze. Du wolltest doch nie für immer Hausmeister bleiben.«

»Ich habe keine Wahl.« Die hatte er tatsächlich nicht, selbst wenn er Bradys großzügiges Angebot annehmen würde.

»Man hat immer eine Wahl. Hör auf, diese ganzen unwichtigen Sachen als Ausrede aufzutischen. Mir ist gerade nur eins wichtig: Was fühlst du für mich? Komm mir jetzt nicht damit, dass du nicht schwul wärst. Ich weiß, dass du es bist, seit du mir mit unseren Gesprächen geholfen hast, mich zu outen. Wenn du nichts für mich empfindest, lasse ich dich auf der Stelle in Ruhe. Versprochen. Aber wenn doch, dann werde ich nicht zulassen, dass deine falsche Bescheidenheit uns im Weg steht.«

Völlig erschlagen von Bradys Worten horchte Ramón in sich hinein, aber er musste nicht lange lauschen, denn es schrie ihm ziemlich laut entgegen. Natürlich empfand er etwas für Brady. Er fühlte sich sowohl körperlich, als auch geistig zu ihm hingezogen, seit sich Brady vor ihm geoutet hatte, aber mehr als ein paar gelegentliche Fantasien hatte er sich nie erlaubt. Es brachte ihn nicht weiter, sich in Ideen hineinzusteigern, die keine Zukunft hatten, und jetzt saß Brady mit ihm hier und verkündete ihm, dass er mit ihm zusammenziehen und offenbar eine Beziehung wollte. Es machte Ramón Angst. Riesengroße Angst. Sein Herz raste inzwischen so schnell, dass es sicher bald erschöpft den Geist aufgeben würde. Aber er schuldete Brady für seine Ehrlichkeit ebenfalls eine ehrliche Antwort. »Ich empfinde etwas für dich. Keine Frage–«

Weiter als bis dahin kam er nicht, denn plötzlich lagen Bradys Lippen auf seinen und ihm gelang nur noch ein überraschtes Keuchen.

Du bekommst ja immer, was du willst.

Jetzt wäre der Moment, in dem Ramón weglaufen sollte, aber sein Körper sagte etwas ganz anderes. Er rutschte auf Brady zu, bereit, berührt, umarmt zu werden, und genau das geschah. Brady zog ihn eng an sich, als müsste er ihn am Weglaufen hindern, und seine Zunge fand ihren Weg in Ramóns Mund. Er schmeckte so süß, so unwiderstehlich. Ramón zerfloss in seiner Umarmung, strich über die nackten, festen Flanken, um sich zu vergewissern, dass er nicht träumte. Die Welt drehte sich um ihn, versetzte ihn in einen ungekannten, süßen Taumel.

»Das war alles, was ich hören wollte«, flüsterte Brady an seinen Lippen und hauchte ihm noch einen Kuss auf den Mundwinkel.

»Deine Eltern werden mich umbringen lassen«, murmelte Ramón sorgenvoll und sah sich verunsichert um, suchte aber gleich, als er niemanden entdeckte, wieder Bradys hungrigen Mund. Sie küssten sich erneut, diesmal schon etwas wilder, und Ramón spürte, wie Erregung in ihm wuchs. »Gott, ich kann einfach nicht mehr aufhören, dich zu küssen.«

»Das gefällt mir ausgesprochen gut. Und ich werde dich vor meinen wilden Eltern beschützen.«

Langsam entspannte sich Ramón, denn es hatte nicht den Anschein, als kämen gleich die High-School-Freunde aus einem Versteck und würden ihn auslachen, weil alles nur ein dummer Prank war. Brady meinte das hier ernst. Aber genau darüber kehrte die Anspannung augenblicklich zurück. Es konnte gar nicht funktionieren. Weil Ramón nicht auslöschen konnte, wer er war. Das mochte Brady in seinem jugendlichen Frohsinn nicht interessieren, andere Leute aber schon, und das bedeutete großen Ärger. Wenn er eines in den zwölf Jahren, die er sich in den Staaten aufhielt, gelernt hatte, dann, dass er kein gleichwertiger Mensch war. Aber mit jedem weiteren Mal, das er Brady küsste, wurde seine Sehnsucht größer, tatsächlich mit ihm zu gehen. Die Blutzufuhr zu seinem grübelnden Hirn wurde gedrosselt und in andere Körperregionen gelenkt.

»Ich will nicht mehr länger warten«, raunte Brady und leckte ihn direkt unter dem Ohrläppchen, dass Ramón ein leises Stöhnen entfuhr. »Ich hab Jahre auf diesen Moment hingefiebert und hatte Angst, dass er nie kommt. Lass uns rauf in mein Zimmer gehen.«

Was Brady dort wollte, musste Ramón nicht erst erfragen, er wusste es. Und selbst wenn er skeptisch war, was Bradys hochfliegende Zukunftspläne anging: Diese eine Nacht durfte er sich doch erlauben, oder nicht? Er hatte so gut wie nie Sex, mangels Zeit und Gelegenheit. Mit Brady zu schlafen, wäre eine wahrgewordene, verbotene Fantasie. Vielleicht auch eine kleine Entschädigung für all die Demütigungen, die er durch Bradys Eltern erlitten hatte. Er fühlte sich wie betrunken, euphorisch und wackelig zur gleichen Zeit.

»Okay«, flüsterte er und pflückte sich von diesen süßen Lippen noch einen Kuss. Nie hätte er geglaubt, dass Bradys Rückkehr das hier mit sich bringen würde. Überhaupt hatte ihm nie zuvor jemand gesagt, dass er tiefere Gefühle für ihn hatte. Und jetzt sollte ausgerechnet Brady derjenige sein?

»Komm mit!« Brady lachte übermütig, schien genauso trunken von der Nachtluft wie er. Er nahm ihn bei der Hand und zog ihn mit sich.

KAPITEL 3

Wie die Einbrecher schlichen sie sich ins Haus und gelangten von den anderen Feiernden hoffentlich unbemerkt in Bradys Zimmer, das eigentlich aus zwei Zimmern und einem Bad bestand – wesentlich mehr, als Ramón hatte.

»Endlich.« Brady schloss die Tür, ließ die Rollläden herunter und bewegte sich wie eine Raubkatze auf Ramón zu. »Lass uns die ganze Nacht vögeln.«

Erschrocken lachte Ramón auf. »Du gehst heute richtig in die Vollen, was?«

»Hab ja lange genug gewartet.«

»Du willst mir jetzt nicht weismachen, dass du in den letzten vier Jahren keinen abgeschleppt hast, oder?«

»Keinen wie dich.«

Ramón lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und ließ sich zwischen Bradys Armen gefangen nehmen.

»Du wirkst immer noch skeptisch«, bemerkte Brady.

»Es fühlt sich ja auch immer noch surreal an.«

»Warum?«

»Weil ausgerechnet du es bist, der mich verführt.«

»Ah, deine Selbstzweifel. Immer noch.« Brady stupste Ramóns Nase mit dem Finger an.

»Ist das denn so schwer zu verstehen? Andererseits – wie sollst du dich auch in mich reindenken, unsere Realität ist zu verschieden.«

»Ich bin nicht wie meine Eltern«, insistierte Brady mit Nachdruck.

»Das weiß ich doch.«

»Dann gib mir doch eine Chance. Auch wenn du’s nicht glaubst, du bist mir wichtiger als jeder einzelne Mensch, der heute auf meiner Party war. Uns hat die ganzen Jahre schon so viel verbunden, das hier ist nur die letzte Konsequenz.«

Ramóns Gedanken flogen einen Moment in die Vergangenheit, wie oft sie schon auf der Bank hinter dem Gartenhaus gesessen und miteinander geredet oder gelacht hatten. Wie sie sich im Pool voller Übermut gegenseitig untergetaucht hatten, wenn Bradys Eltern nicht zu Hause gewesen waren. Wie Brady ihm mit dunkelrotem Kopf und abgekauten Nägeln anvertraut hatte, dass er den Verdacht hatte, auf Jungs zu stehen. Und wie Brady in all der Zeit der Einzige war, dem Ramón ab und zu seine persönlichen Sorgen anvertraut hatte, auch wenn er sich danach schlecht gefühlt hatte, einen jungen Mann mit seinem Scheiß zu belasten. Sie waren auf eine Art Verbündete. Schon immer.

»Die letzte Konsequenz«, wiederholte Ramón.

»Ja. Bist du bereit dazu?«

»Sí.« Er konnte nicht anders, als wieder über diese schlanken Seiten zu streichen, die sich langsam erwärmende Haut zu spüren und seine Fingerspitzen darüber tanzen zu lassen. Brady lehnte die Stirn gegen seine und schloss die Augen.

»Alles okay?«, fragte Ramón leise.

»Ja. Jetzt ist endlich alles okay und ich genieße es. Ich will dich nachher ganz tief in mir haben.«

Ramón erschauerte bei dem Gedanken und sein Schwanz richtete sich endgültig auf. Ja, manchmal hatte er sich schon vorgestellt, ihn bis zum Anschlag zwischen Bradys knackigen Pobacken zu versenken und ihn zum Wimmern zu bringen, zum Betteln nach mehr, mehr, mehr. Er schlang ihm einen Arm um die Taille, zog ihn mit einem Ruck an sich und presste seinen Unterleib an Bradys. »Ganz tief«, raunte er zur Bestätigung. Brady weckte das Tier in ihm. Und dieses Tier ließ sich vermutlich erst morgen wieder zurück in seinen Käfig scheuchen.

Sie küssten sich erneut, wild, gierig, durstig, und währenddessen zogen sie sich ungeduldig und unkoordiniert ihre feuchten Badehosen aus. Brady war der Größere von ihnen, aber auch der Leichtere, und so sprang er an Ramón hoch und schlang ihm die Beine um die Hüften. Sein Schwanz war ebenfalls hart und drückte Ramón gegen den Bauch, als er ihn bei den Hinterbacken packte und festhielt.

Sie lösten ihre Lippen immer nur kurz voneinander, um Atem zu schöpfen. So wenig, wie Ramón klargewesen war, dass er tatsächlich in Brady verliebt war, so wenig hatte er geahnt, wie überfällig das hier gewesen war. Schon Jahre hatte es diese eigenartige Spannung zwischen ihnen gegeben, dieses Surren und Vibrieren der Luft und diesen Drang, den anderen anzufassen und es doch nicht zu wagen.

Er ließ ihn auf dem Bett nieder, ein wenig zu unsanft, weil seine Selbstbeherrschung mit jeder Sekunde schmolz, aber Brady schien es zu gefallen, denn er zog die gespreizten Beine an den Körper und hielt sie mit den Händen in den Kniekehlen fest. Wenn das keine Einladung war!

»Wehe, du beklagst dich morgen«, raunte Ramón und ging vor dem Bett in die Hocke.

»Worüber?«

»Dass du nicht richtig sitzen kannst. Wir Mexikaner sind feurige Liebhaber.«

Brady stöhnte und sein schöner Schwanz zuckte. »Ich will eine Woche nicht sitzen können. Ich will, dass es pocht und ziept und mich bei jedem Schritt an unsere wilde Nacht erinnert.«

Ramón lachte und seine Stimme wurde wie von selbst einen Ton dunkler. »Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.« Mit beiden Händen umfasste er die festen Pobacken, knetete sie und zog sie auseinander. Bradys rosiges Loch zuckte genauso erwartungsvoll wie sein Schwanz. Ramón befeuchtete es mit seiner Zunge und erbebte von dem sauberen, leicht herben Geschmack und dem unterschwellig moschusartigen Geruch. O ja, er würde Bradys Wunsch erfüllen, und wenn es vielleicht doch bloß dieses eine Mal war. Als er Brady leckte, legte der ihm eine Hand an den Hinterkopf und drückte ihn noch fester zwischen seine Pobacken.

Du bist ja unersättlich!

Seine Zunge bohrte sich tiefer und mit jeder Sekunde wuchs seine eigene Euphorie. Von seiner Erregung ganz zu schweigen. Zweifel und Sorgen verbrannten in der Hitze des Moments, als er diesen wunderschönen, schlanken Körper eroberte. Er glitt über Brady, aber der packte ihn zu seiner Überraschung bei den Schultern und warf ihn auf den Rücken.

»Jetzt bist du fällig.«

Ehe Ramón fragen konnte, was genau er damit meinte, lutschte Brady hingebungsvoll seinen Schwanz. Leider nicht annähernd so lange, wie es Ramón gefallen hätte, denn bald sprang er wieder auf und begann, nervös seinen Nachttisch zu durchwühlen.

»Suchst du Kondome?«, fragte Ramón und stützte sich auf die Ellenbogen. Seine pulsierende Schwanzspitze glänzte feucht und bei der Erinnerung daran, wie gerade eben noch Bradys Zunge daran gespielt hatte, stöhnte er leise.

»Ich suche Gleitgel. Kondome brauchen wir nicht. Ich bin negativ und nehme PrEP und gehe nicht davon aus, dass du irgendwelche Geschlechtskrankheiten hast, vor denen es nicht schützt.« Brady drehte sich zu ihm um und schenkte ihm einen flammenden Blick. »Ich will dich ohne alles in mir spüren. Und wenn ich dieses scheiß Gleitgel nicht gleich finde, dann machen wir es ohne, auch wenn mir alles ausfranst!«

»Ist es bescheuert, wenn ich sage, dass mich deine Ungeduld irgendwie scharf macht?« Ramón war zu überwältigt für weitere Bedenken.

Brady drehte sich nochmals um und grinste. »Das will ich doch hoffen.«

»Trockensex mach ich trotzdem nicht mit dir.« Ramón reckte den Hals und warf einen Blick in die Schublade. »Was ist das da hinten?«

»Hm? Oh! Oh, das ist es ... das ist das Gleitgel. Ha! Ich hatte die Tube irgendwie anders in Erinnerung.« Brady nahm sie an sich, versetzte Ramón einen Stoß, der ihn zurück auf den Rücken fallen ließ, und kniete sich über ihn. »Willst du mich vorbereiten?«

Ramóns Hand glitt zwischen Bradys Beine, massierte die Hoden und strich mit einem Finger zwischen die Pobacken. »Und ob.« Er nahm Brady das Gel ab, befeuchtete seine Finger und ließ sie in das wartende Loch gleiten. Fühlte einen Vorgeschmack auf das, was ihn erwartete. Ein heißes Paradies. Mit einem Mann wie Brady hatte er noch nie geschlafen, keiner war so hübsch gewesen. Und so ungestüm. »Du bist so eng«, knurrte Ramón, vor Lust fast ein bisschen wütend. »Du wirst es lieben, wenn mein Schwanz dich richtig dehnt.«

»O ja!« Brady legte den Kopf in den Nacken und keuchte erregt, während er Ramóns Finger ritt. Der Blick, den er ihm sandte, flimmerte vor Hitze. Ramón wollte ihn füllen, mit seinem Schwanz, mit seinem Sperma, wollte ihm den Schweiß vom Hals lecken und sich noch mehr von diesen süchtigmachenden Küssen holen.

Brady packte ihn beim Handgelenk und zog seine Hand fort, und schon einen Augenblick später setzte er sich auf seinen Schwanz und ließ ihn in sich hineingleiten. Wie gebannt beobachtete Ramón, wie er Zentimeter für Zentimeter in Brady verschwand.

»Ich liebe diesen Anblick«, entfuhr es ihm.

»Und ich liebe das Gefühl. Es ist unfassbar geil.« Brady stützte sich auf seiner Brust ab und schenkte ihm ein überraschend verträumtes Lächeln.

Ramón lächelte zurück, und als sich Brady auf ihm zu bewegen begann, packte er ihn bei seinen schmalen Hüften und dirigierte den Rhythmus. Mit ihm zu schlafen, fühlte sich an wie ein verrückter Traum und gleichzeitig so natürlich, als würden sie es schon Jahre tun. Als wäre das schon immer ihr gemeinsames Ritual, wenn Brady nach Hause zurückkehrte. Vielleicht, weil sie sich schon länger näher gewesen waren, als Ramón bis zu diesem Punkt begriffen hatte.

»Du hast recht«, stöhnte er, »wir sollten es die ganze Nacht tun.«

Er spielte an Bradys Nippeln, reizte sie mit seinen Daumen und kniff sie sanft, bis sie ganz klein und hart wurden.

»¡Más! ¡Más! ¡Más!«, rief Brady und der Rhythmus seiner Hüften wurde schneller und wilder.

Du willst mich wirklich in den Wahnsinn treiben!

Wenn Brady Spanisch sprach, schmolz Ramón regelmäßig dahin. Er beherrschte es in Wort und Schrift, hatte dabei aber einen unverkennbaren, amerikanischen Akzent, der einfach nur zuckersüß wirkte.

»¡Te daré más!«, grollte er, angespornt von Bradys Betteln nach mehr, wie in seinen Träumen. »Ich geb dir mehr!« Er umfasste ihn bei der Taille und warf sich mit ihm herum, bis Brady auf dem Rücken unter ihm lag. Sofort schlangen sich lange Beine um seine Hüften und er trieb sich wie ein Presslufthammer in ihn hinein, schnell und heftig, bis Schweiß in Strömen floss. Und Brady war keiner, der beim Sex leise war. Wäre Ramón nicht so vollkommen gefangen im Strudel seiner Lust, hätte er Sorge, dass alle anderen Partygäste sie hörten. Es war regelrecht erschreckend, wie sehr sie auf Anhieb im Bett harmonierten, und irgendwie hatte Brady recht: Es war die letzte Konsequenz, die logische Fortsetzung ihres sonstigen Verhältnisses.

»So gut!«, rief Brady und stützte sich mit den Händen am Kopfteil des Bettes ab. Ramón verschloss ihm den keuchenden Mund mit einem Kuss.

Gern würde er ihn noch stundenlang so vögeln, in allen erdenklichen Stellungen, aber er spürte, wie unweigerlich sein Orgasmus heranrollte und es immer schwerer wurde, ihn zurückzuhalten. »Ich werde so tief in dir kommen«, verkündete er zwischen abgehackten Atemstößen. »Ich mache dich voll mit meinem Sperma.«

»Ja, ja, ja!«, stöhnte Brady begeistert. »Mach mich voll, mach mich richtig voll. Ich will alles von dir, Ramón. Alles!«

Die Art, wie er seinen Namen rief, trieb Ramón über den Abgrund. Er gab Brady, wonach der so lautstark verlangte, stieß noch einmal tief in ihn hinein und pumpte sich leer. Verlor für einen süßen, köstlichen Moment die Beherrschung, presste sich an diesen herrlichen, schweißnassen Körper unter ihm und drückte die Nase in Bradys Halsbeuge, um ihn zu atmen, während er ihm gab, was er zu geben hatte.

Brady kraulte ihm zärtlich den Rücken, während er danach einen Augenblick keuchend auf ihm lag. »Das war unglaublich«, flüsterte er.

»Du bist unglaublich, caramelito«, wisperte Ramón und küsste ihm die Wange.

Dann löste er sich aus Bradys Umklammerung und glitt hinab. Leckte über das etwas malträtierte Loch, aus dem ein wenig von seinem Sperma sickerte, saugte genüsslich an den glattrasierten Hoden und nahm schließlich den immer noch steinharten Schwanz in den Mund. Er musste nicht lange lutschen und lecken, bis Brady kam und ihm gab, was er wollte.

War sein Leben an einem Tag je so sehr auf den Kopf gestellt worden? Er konnte sich nur an einen erinnern, dessen Auswirkungen sich ähnlich drastisch angefühlt hatten: Damals, als sein mittlerweile verstorbener Vater ihm aufgeregt mitgeteilt hatte, dass Chaparro, ein im Dorf bekannter Kleinkrimineller, der Kontakte zu Schleppern unterhielt, neue Leute über die US-amerikanische Grenze schleuste und noch einen Platz für Ramón frei hatte. Noch am selben Tag hatte Ramón seine wenigen Habseligkeiten packen und sich von allen verabschieden müssen, denn es war sein Wunsch gewesen, diese Chance zu ergreifen. Er hatte nicht geahnt, dass er seine Familie zwölf Jahre nicht mehr sehen würde. Aber auf Stippvisite nach Mexiko zu gehen, war ein zu großes Risiko, wenn man illegal hier war. Schlimmstenfalls gab es keinen Weg mehr zurück.

Aber vielleicht gab es irgendwann endlich eine Lösung dafür. Vielleicht konnte Brady ihm helfen. Irgendwie.

KAPITEL 4

Brady konnte nicht aufhören, Ramón anzustarren, wie er nackt und schweißnass neben ihm lag. Sein Atem ging immer noch schwer, auf den wohlgeformten Lippen lag ein Lächeln.

Verträumt ließ Brady einen Finger durch eine Schweißspur gleiten, berührte die straffe, goldbraune, dunkel behaarte Haut. Wie oft hatte er sich vorgestellt, genau das zu tun, aber er hatte sich nie getraut, Ramón diese Wünsche zu offenbaren. Jetzt ärgerte er sich, dass er es nicht schon viel früher getan hatte, aber nun war es eben, wie es war, und eigentlich war der Zeitpunkt perfekt. Brady musste nicht mehr zurück nach New Jersey und konnte in Ruhe seine Zukunft mit Ramón planen. Es hatte nie einen Moment gegeben, in dem Ramón nicht Teil seiner Zukunftsplanung gewesen war. Nur hatte Brady bisher nicht gewusst, ob sein Angebeteter selbst das überhaupt auch so sah.

Jetzt hatte er die Gewissheit – auch wenn Ramón noch etwas zurückhaltend schien und offenbar Schwierigkeiten hatte, zu glauben, dass Brady meinte, was er sagte. Ein Wunder war es wohl nicht, so sehr, wie man in all den Jahren mit Ramóns Hoffnungen gespielt hatte. Aber Brady war fest entschlossen, ihm zu beweisen, dass er einer von den Guten war. Dass er es ehrlich meinte und ihn wirklich unterstützen würde, denn jetzt war er endlich dazu in der Lage.

»Mi corazón«, flüsterte er.

Ramón drehte sich zu ihm und blinzelte ihn aus seinen kaffeebraunen, funkelnden Augen an. Für Brady war er der schönste Mann, den er kannte, mit seinem südländischen Teint und dem nachtschwarzen Haar. »Wie nennst du mich gerade?«

»Mi corazón. Einfallslos, ich weiß. Und trotzdem der erste Kosename, an den ich denke, wenn ich dich sehe.«

»Du bist verrückt.«

»Bestimmt ein bisschen. Aber du denkst immer noch, ich meine es nicht ernst, oder?«

»Ich will es gern glauben«, erklärte Ramón. Brady liebte seine Stimme, sie war dunkel und der Akzent hinreißend. »Aber du hast mich ganz schön überfahren. Vor einer Stunde hatte ich noch keine Ahnung, dass du solche Gefühle für mich hast, und jetzt liegen wir in deinem Bett und haben miteinander geschlafen und du willst, dass ich mit dir zusammenziehe.

---ENDE DER LESEPROBE---