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Noch ahnen Jessica und Jim beide nicht, dass der Fotograf mit seinen Worten unrecht hat - und dass Jessica sehr wohl zu einem Teufel werden kann.
Denn sie ist keinesfalls immun gegen jegliche magische und übersinnliche Einflussnahme, und das zeigt sich schon in ihrem nächsten Abenteuer, das sie an einen wahren Hort des Bösen führt. Dort wird der jungen Journalistin schnell klar: Sie steckt in einer tödlichen Falle!
Der Geist einer Mörderin schlägt sie in seinen Bann, lenkt ihr Denken und Handeln - bis Jessica zur grausamen Teufelin wird ...
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Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Die Hauptpersonen
Ein Teufel namens Jessica
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Alla Falkovskaya / shutterstock
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-5812-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Die Hauptpersonen:
Jessica Bannister
Sie ist Reporterin beim London City Observer und auf mysteriöse Fälle spezialisiert. Sie hat übersinnliche Fähigkeiten, kann in Visionen und Träumen in die Vergangenheit reisen und die Zukunft voraussehen. So sah sie als Zwölfjährige auch den Tod ihrer Eltern voraus. Sie wuchs danach bei ihrer Großtante Beverly Gormic auf, bei der sie noch heute lebt.
Jim Brodie
Er ist Fotograf beim London City Observer. Als Jessica ihren Job bei der Zeitung antritt, steht er ihr sogleich mit Rat und Tat zur Seite, und es entwickelt sich schon bald eine enge Freundschaft zwischen den beiden. Wenn Jessica an einem Auftrag arbeitet, ist er fast immer als Fotograf an ihrer Seite.
Beverley Gormic
»Tante Bell« ist Jessicas Großtante. Nach dem Tod von Jessicas Eltern hat sie ihre Nichte bei sich aufgenommen und großgezogen. Jessica hat auch heute noch ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Ziehmutter. Beverly weiß über Jessicas übersinnliche Fähigkeiten Bescheid, sie selbst befasst sich intensiv mit Spiritismus und Okkultismus.
Martin T. Stone
Der Chefredakteur des London City Observer
Ein Teufel namens Jessica
von Janet Farell
Ein Geräusch ließ mich erschrocken herumfahren, und ich starrte in Richtung des hohen Fensters, durch dessen staubblindes Glas der blasse Schein des Mondes in das alte Haus drang. Spinnweben hingen zwischen den kleinen Holzstegen, die das Fenster in kleine Rechtecke unterteilten, und ich sah im Licht des Mondes sogar eine dicke beharrte Spinne, die in ihrem Netz auf Beute lauerte.
Angeekelt wandte ich mich wieder ab.
Die muffige, abgestandene Luft legte sich auf meine Atemwege, und ich überlegte fieberhaft,wieich nur an diesen unheimlichen Ort gelangt war.
Es war ein Hort des Bösen, ich steckte in einer tödlichen Falle – das sollte mir nur allzu schnell klar werden …
Nachdenklich ließ ich den Blick durch den düsteren Raum schweifen.
Der einfallende Schein des Mondes tauchte die Szenerie in ein gespenstisches Dämmerlicht, die Wände waren mit altmodischen geblümten Tapeten bespannt, wie sie vor Jahrzehnten modern gewesen sein mochten, und in den Ecken sah ich dunkle Stockflecken.
Vor einer mit rotem Samt bezogenen Couch stand ein schwerer Tisch mit Marmorplatte, auf dem sich eine Blumenvase ohne Inhalt befand. An der gegenüberliegenden Wand stand ein bis zur Decke reichender Schrank, der bedrohlich auf mich wirkte, und neben der Zimmertür eine kleinere Kommode, deren dunkles Holz mit reichhaltigen Schnitzereien versehen war.
Ich trat näher, um sie im fahlen Licht des Mondes betrachten zu können. Ein Kloß bildete sich in meiner Kehle, als ich die winzigen Monsterfratzen erkannte, mit den weit aufgerissenen Mäulern.
Ich streckte die Hand aus und strich mit den Fingerspitzen über die hölzernen Dämonen.
Plötzlich zog ich die Hand zurück. Ich hatte mir einen Splitter in den Zeigefinger gerammt.
Blut sammelte sich an der Stelle des Fingers, wo der Splitter steckte. Ich lutschte daran, bis der Splitter wieder draußen war.
Da war es wieder, das unheimliche Geräusch!
Ich zuckte erneut zusammen und hielt den Atem an. Das Blut rauschte in meinen Ohren.
Das Geräusch war von der Decke gekommen.
Ich legte den Kopf in den Nacken und hörte nun Schritte. Schlürfende, bedachte Schritte aus dem Stockwerk über mir. Wer außer mir war verrückt genug, sich mitten in der Nacht ein altes, verlassenes Haus anzusehen?
Unheilvoll knarrten die morschen Dielen der Decke. Das Geräusch jagte mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Ich glaubte, Staub von der Decke rieseln zu sehen.
Die Person musste sich nun genau über mir befinden.
Panik stieg in mir auf. Wartete man auf mich?
Ich presste eine Hand vor den Mund, um nicht aufzuschreien, als mich ein schriller, fiepender Laut abermals zusammenzucken ließ.
Ich senkte den Blick und erkannte einen dunkelgrauen, pelzigen Schatten, der sich mit huschenden Bewegungen in eine dunkle Ecke des Raumes verzog. Mit vor Schreck geweiteten Augen sah ich auch den unbehaarten, dicken Schwanz.
»Eine Ratte«, flüsterte ich angewidert, denn ich mochte diese ekligen Biester nicht.
Als die Dielenbretter über mir erneut ächzten, setzte sich ein Gedanke in meinem Kopf fest.
Ich muss hier raus!, hämmerte es hinter meiner Stirn.
Mit hastigen Schritten näherte ich mich der Zimmertür, schritt hindurch und auf den Korridor, der zur Treppe ins Erdgeschoss führte, wo völlige Finsternis herrschte.
Meine Schritte wurden von einem dicken, staubigen Teppich gedämpft. Zu meiner Linken befanden sich Türen zu anderen Zimmern, und ich rechnete fast damit, dass gleich eine aufflog und mir dann ein grauenerregendes Monster den Weg vertrat.
Für die alten Ölgemälde zu meiner Rechten hatte ich kein Auge.
Wie gebannt starrte ich zum Treppenabsatz, lief darauf zu, immer schneller, doch ich erreichte die Treppe nicht, ich kam ihr einfach nicht näher, obwohl ich nun rannte. Dabei musste ich den Flur längst durchquert haben.
Der Korridor schien länger geworden zu sein …
Ein Schauer rieselte über meinen Rücken, ich blieb stehen und schüttelte den Kopf.
»Das ist unmöglich«, keuchte ich, doch dann setzte ich meinen Weg fort, und nach endlos scheinenden Minuten erreichte ich endlich das hölzerne Treppengeländer.
Ich legte die Hand auf den Lauf und hielt den Atem an. Ich lauschte, und ein unheimliches Knacken drang an meine Ohren. Ich zuckte völlig überreizt zusammen und schalt mich hysterisch. Sicherlich gab es eine rationelle Erklärung, denn ein altes Haus war immer voller unheimlicher Geräusche. Das Holz arbeitete bei jeder Temperaturschwankung, und dann knackte und ächzte es im Gebälk.
Die Schritte hatte ich nicht mehr gehört, seit ich fluchtartig aus dem Zimmer gestürzt war. Wenn es denn wirklich Schritte gewesen waren, denn jetzt war ich mir dessen unsicher.
Ich beugte mich vor und blickte hoch und durch die Windungen der Treppe zum über mir liegenden Stockwerk empor. Es lag finster und verlassen da. Ich konnte keine Spur von einem Eindringling entdecken. Hatte ich mir die Schritte letzten Endes tatsächlich nur eingebildet?
Zweifelnd wandte ich mich ab und blickte in die Tiefe. Nichts als Finsternis herrschte dort unten.
Vorsichtig stieg ich die Treppe hinab. Ich musste höllisch achtgeben, um nicht über den wellig gewordenen Kokosläufer zu stolpern. Die Messingstangen, die ihn halten sollten, fehlten zum Großteil.
Das geschwungene Geländer ächzte, als wolle es zusammenbrechen.
Ein Stein fiel mir vom Herzen, als ich unbeschadet im Erdgeschoss anlangte.
Eine Sekunde lang stand ich in der Halle und blickte auf das gläserne Halbrund über der doppelflügeligen Türe, durch das bleiches Mondlicht sickerte und ein seltsames, bizarres Licht verbreitete. Es war hier unten nicht annähernd so dunkel, wie es oben auf der Treppe ausgesehen hatte.
»Du willst schon gehen?«
Ein spitzer Schrei kam über meine Lippen, als die schneidende Stimme, die jegliche Freundlichkeit entbehrte, direkt an meinem Ohr erklang. Mein Kopf ruckte herum. Eine eiskalte Hand lag schwer wie Blei auf meiner Schulter, und ich blickte in das bleiche Gesicht einer Frau.
Ihre Augen wirkten kalt und leblos und doch lauernd, während sie mich musterte.
Sie war vielleicht dreißig, höchstens fünfunddreißig. Die Haare trug sie offen, sie waren hellbraun mit einem Stich ins Rötliche. Das schulterfreie, eng anliegende Kleid betonte ihre schlanke Figur. Überhaupt war diese Frau eine Schönheit.
Aber etwas Kaltes, Erbarmungsloses ging von ihr aus. Ich fühlte, dass diese Frau böse war.
Ob ich schon gehen wolle, hatte sie gefragt. Ich war nicht in der Lage, zu sprechen und nickte nur furchtsam.
»Wie schade«, erwiderte die Frau und nahm die Hand von meiner Schulter.
Es war kein echtes Bedauern, das in ihrer Stimme mitklang, sie klang vielmehr höhnisch. Sie trat mit schräggelegtem Kopf einen halben Schritt zurück und verschränkte die Arme hinter dem Rücken wie ein dozierender Professor. Keine Sekunde ließ sie mich dabei aus den Augen.
Nun trat ein diabolisches Lächeln in ihr bleiches Gesicht. »Vielleicht kann ich dich doch überreden, zu bleiben.«
Ihre schnarrende, emotionslose Stimme rief tiefes Unbehagen in mir hervor.
Und dann flammte Panik in mir auf, als ich registrierte, dass ich außerstande war, mein Handeln selbst zu bestimmen. Mein Wille wurde von dieser Frau diktiert.
Ich starrte nach wie vor in ihre kalten, stechenden Augen. Vergeblich versuchte ich, mich von ihrem Blick zu lösen. Hatte sie mich … hypnotisiert?
Meine Knie wurden weich, als ich mir meiner Ohnmacht bewusst wurde. Ich wollte den Kopf abwenden, doch es war mir schlichtweg unmöglich. Diese Frau hatte mich völlig in ihrer Gewalt.
Ich konzentrierte mich, versuchte mich aus ihrer mentalen Umklammerung zu lösen. Mein Schädel dröhnte, heftiger Schmerz pochte hinter meiner Stirn.
Plötzlich holte die Unbekannte etwas hinter ihrem Rücken hervor, das sie in der rechten Hand hielt. Ihr kaltes Lächeln war wie ausradiert. Das Gesicht glich nun einer grausamen, wutverzerrten Dämonenmaske.
Starr vor Schreck haftete mein Blick auf dem langen, metallisch glänzenden Gegenstand in ihrer Hand. Ein spitzer Dolch, dessen Klinge sie auf mich richtete.
Ich bezweifelte keine Sekunde, dass sie die tödliche Waffe gegen mich einsetzen würde. Der Tod schien nach mir zu greifen.
Aber jetzt konnte ich mich wenigstens wieder bewegen. Die Lähmung war auf einmal von mir abgefallen. Abwechselnd blickte ich in ihr verzerrtes Gesicht und auf die Klinge des Messers, die im Mondlicht unheilvoll blitzte. Mit katzenartigen, geschmeidigen Bewegungen trat die Unheimliche wieder auf mich zu.
»Jetzt gehörst du mir!«
Ich taumelte zurück, stieß gegen das Treppengeländer und strauchelte. Unkontrolliert ruderte ich mit den Armen, zog mich am Geländer wieder hoch und wich weiter zurück. Es war unmöglich, die Tür zu erreichen, ohne in die Reichweite des tödlichen Messers zu geraten. Sollte ich die Treppe hinaufstürmen und mich in einem der zahlreichen Zimmer verbarrikadieren?
»Du wirst meine Pläne nicht durchkreuzen, Jessica Bannister!«, sprach die Unbekannte mit gefährlich leiser Stimme. Unbeirrt näherte sie sich mir.
Ich wollte mich zurückziehen, flüchten oder mich zur Wehr setzen, fühlte mich aber so unheimlich träge und lahm. Mein Verdacht, dass sie mich hypnotisiert hatte, musste den Tatsachen entsprechen.
Ich zitterte am ganzen Leib und brachte nur ein stummes Kopfschütteln zustande. Schweiß perlte auf meiner Stirn, als ich versuchte, mich innerlich gegen sie zu behaupten.
Sei stark, Jessi!, rief ich mir in Gedanken zu.
Die Beeinflussung der Unheimlichen war jedoch stärker als ich. Ich starrte auf die erhobene Hand, mit der sie den Dolch auf mich richtete, wollte schreien, doch meine Kehle war wie zugeschnürt.
»Du kannst dich meiner Macht nicht entziehen, Jessica Bannister!«, höhnte die Frau.
Ich schloss die Augen, versuchte Kraft zu sammeln.
Als ich die Augen wieder aufschlug, hatte ich mich endlich aus der Hypnose befreit. Ich wollte mich mit einem beherzten Sprung aus dem Gefahrenbereich bringen.
Doch es war zu spät! Die Hand, die die Waffe führte, sauste auf mich zu! Die Klinge wischte zischend durch die Luft, dann spürte ich den heftigen brennenden Schmerz, und gellend schrie ich auf.
Dann wurde es dunkel um mich herum, stockfinster, und ich stürzte in eine kalte, undurchdringliche Nacht, die erfüllt war vom Hohngelächter des grausamen Weibes …
***
Die leuchtenden Ziffern des Elektroweckers zeigten die zweite Stunde des neuen Tages. Regen prasselte gegen das Fenster und rann in breiten Wasserbahnen an der Scheibe herab. Die mächtigen Pappeln, die das Haus umgaben, wiegten sich im Nachtwind. Ein Blitz zuckte vom Himmel und tauchte das Zimmer in ein grelles, unwirkliches Licht.
Im nächsten Augenblick ertönte ein ohrenbetäubender Donnerschlag.
Ein Donnerschlag, dessen explosionsartiges Krachen mich aus den Tiefen des seltsamen Traumes riss.
Sofort war ich hellwach, fuhr im völlig zerwühlen Bett auf.
Während ich nach dem Schalter der Nachttischlampe tastete, versuchte ich mich an den eigenartigen Albtraum zu erinnern.
Eine unheimliche Frau hatte versucht, mich mit einem Messer zu töten. Was, um alles in der Welt, hatte das zu bedeuten? Handelte es sich bei dem Traum etwa wieder um eine Vision, wie sie mich immer wieder heimsuchten?
Nur meine Großtante Beverly Gormic und ich wussten von meinen übersinnlichen Fähigkeiten, die ich jedoch nicht kontrollieren konnte. Nach dem Tod meiner Eltern hatte mich Tante Bell in der alten viktorianischen Villa im Londoner Stadtteil Hampstead aufgenommen, da war ich gerade mal zwölf Jahre alt gewesen. Sie bewohnte das große Haus allein, da ihr Mann, der berühmte Archäologe Franklin Gormic, von einer seiner zahlreichen Expeditionen nicht heimgekehrt war und seitdem als verschollen galt.
Auch heute, ich war inzwischen Mitte zwanzig, arbeitete als Journalistin beim Boulevardblatt London City Observer und stand mit beiden Beinen fest im Leben, wohnte ich noch bei Tante Bell. Wir verstanden uns einfach prächtig, sie war Großtante, Mutter und eine gute Freundin zugleich für mich. Und bei meinen Reportagen unterstützte sie mich stets, sobald es ums Übersinnliche und Mystische ging, denn für Okkultismus und Spiritismus interessierte sie sich sehr.
So half sie mir auch, mich mit meiner Gabe abzufinden, in meinen Träumen Geschehnisse zu sehen, die sich so oder ähnlich sowohl in der Zukunft als auch in der Vergangenheit ereignen konnten.
Genau das aber war es, was mich in dieser verregneten Nacht so verunsicherte: Ich hatte in einer Vision einem Mord beigewohnt. Und meinem eigenen Tod!
Nachdenklich starrte ich in den gelblichen Schein der Nachttischlampe. Schließlich schlug ich die Bettdecke zur Seite und erhob mich. In Gedanken versunken, trat ich an das Fenster.
Als ein weiterer Blitz vom düsteren Himmel niederzuckte, glaubte ich, im Schatten der Pappeln, die die Einfahrt säumten, eine Gestalt zu erkennen.
Angestrengt blickte ich zu den alten Bäumen hinüber, konnte aber im Zwielicht niemanden erkennen. Vermutlich hatte mir meine Fantasie im bizarren Licht des Blitzes einen Streich gespielt.
Mit einem Schulterzucken wandte ich mich ab. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich Tante Bells Bibliothek im Erdgeschoss aufsuchen und ein Buch über Traumdeutungen zurate ziehen sollte.
Den langen Dolch, den die Mörderin – meine Mörderin – in der Hand gehalten hatte, sah ich noch genau in meiner Erinnerung. Ich fröstelte bei dem Gedanken, von so einer Klinge vom Leben in den Tod befördert zu werden.
Ich zögerte. Meine Großtante wurde sicherlich wach, wenn ich nachts durchs Haus schlich. Sie hatte einen leichten Schlaf, das wusste ich.
War ich in den ersten Minuten nach meinem Albtraum hellwach gewesen, so befiel mich nun eine bleierne Müdigkeit. Meine Augen brannten, und ich gähnte herzhaft.
Ich war froh, dass Sonntag war und ich nicht rechtzeitig in der Redaktion des London City Observer sein musste. Martin T. Stone, der bärbeißige Chefredakteur, hätte mir sicherlich den Kopf abgerissen, wenn er mich völlig übermüdet am Schreibtisch vorgefunden hätte. Er verlangte stets vollen Einsatz von seinen Mitarbeitern und duldete keine Müdigkeit.
Barfuß tappte ich hinüber zu meinem Bett und schlug die Bettdecke frisch auf, bevor ich wieder in die Federn kroch. Ich streckte mich wohlig, löschte das Licht und versuchte, meinen seltsamen Traum zu verdrängen.
Es war immerhin Sonntag, ich konnte ausschlafen. So versuchte ich, meine Gedanken auf unbeschwerliche Dinge zu lenken, was mir aber nur allmählich gelang.
Irgendwann versank ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
***
Die Sonne fiel hell ins Zimmer, als ich wieder erwachte. Es war ein Geräusch gewesen, das mich aus meinem Schlaf geweckt hatte. Ich blinzelte in das Licht, dann richtete ich mich im Bett auf.
Tante Bell hatte das Zimmer betreten und entschuldigte sich, mich geweckt zu haben.
»Tante Bell …«, murmelte ich schlaftrunken und rieb mir die Augen. »Was ist denn?«
»Es tut mir leid, Kind, aber das Telefon …«, sagte sie und machte eine hilflose Geste. Ihr rundliches Gesicht wirkte zerknirscht, und das entlockte mir ein Lächeln.
»Was ist mit dem Telefon?«, fragte ich.
Meine Großtante winkte ab. »Nichts ist mit dem Apparat. Jemand ist dran, er will dich sprechen.« Sie brachte ein verlegenes Lächeln zustande.
»Es ist Sonntag.« Ich schlug die Decke beiseite und setzte mich auf die Bettkante. »Wer ruft da morgens früh an und reißt rechtschaffene Bürger aus dem Schlaf?«
»Jim Brodie«, antwortete meine Großtante.
Ich war sofort hellwach. Was wollte der recht unkonventionelle Starfotograf des London City Observer an meinem freien Wochenende von mir? Steckte er in Schwierigkeiten?