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Jessica Bannister sieht sie in ihren Träumen. Zwei junge Männer in altertümlicher Kleidung stehen vor dem alten Haus. Sie tragen Puderperücken, und jeder von ihnen hält eine Pistole in der Hand. Sie stellen sich auf zum Duell, dann schießen sie aufeinander!
Es sind keine lebenden Menschen, die sich da gegenseitig umbringen. Es sind Gespenster, das erkennt Jessica an ihren durchscheinenden Körpern. Aber warum müssen sie ihr tödliches Duell so oft wiederholen? Und warum in Jessicas Träumen? Was ist das Geheimnis, das diese bemitleidenswerten Spukgestalten umgibt?
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Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Die Hauptpersonen
Duell der Gespenster
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock / Kiselev Andrey Valerevich
Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-4604-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Die Hauptpersonen:
Jessica Bannister
Sie ist Reporterin beim London City Observer und auf mysteriöse Fälle spezialisiert. Sie hat übersinnliche Fähigkeiten, kann in Visionen und Träumen in die Vergangenheit reisen und die Zukunft voraussehen. So sah sie als Zwölfjährige auch den Tod ihrer Eltern voraus. Sie wuchs danach bei ihrer Großtante Beverly Gormic auf, bei der sie noch heute lebt.
Jim Brodie
Er ist Fotograf beim London City Observer. Als Jessica ihren Job bei der Zeitung antritt, steht er ihr sogleich mit Rat und Tat zur Seite, und es entwickelt sich schon bald eine enge Freundschaft zwischen den beiden. Wenn Jessica an einem Auftrag arbeitet, ist er fast immer als Fotograf an ihrer Seite.
Beverley Gormic
»Tante Bell« ist Jessicas Großtante. Nach dem Tod von Jessicas Eltern hat sie ihre Nichte bei sich aufgenommen und großgezogen. Jessica hat auch heute noch ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Ziehmutter. Beverly weiß über Jessicas übersinnliche Fähigkeiten Bescheid, sie selbst befasst sich intensiv mit Spiritismus und Okkultismus.
Martin T. Stone
Der Chefredakteur des London City Observer
Duell der Gespenster
von Janet Farell
»… deshalb erwarte ich Sie sofort in meinem Büro, Jessica«, bellte Martin T. Stones Stimme aus dem Telefonhörer. »Und wenn ich sofort sage, dann meine ich das auch!«
»Jawohl, Mister Stone. Ich bin sozusagen schon auf dem Weg.« Ich legte den Hörer wieder auf die Gabel und schob seufzend meinen Stuhl vom Schreibtisch zurück.
Der Chefredakteur des London City Observer schien wieder einmal seinen schlechten Tag zu haben, und er hatte mich als Opfer auserwählt, damit er mit seiner miesen Laune nicht allein fertigwerden musste.
Ich strich mir den Rock meines nachtblauen Kaschmir-Kostüms glatt, und jemand direkt hinter mir fragte: »Na, bist du auch zum großen Boss befohlen worden?«
Jim Brodie hockte sich lässig auf eine Ecke meines Schreibtischs.
»Befohlen ist noch ein harmloser Ausdruck«, sagte ich. »Es klang eher wie eine Drohung!«
»Warum soll es dir auch besser ergehen als mir?« Jim zuckte mit den Schultern. »Ich hatte auf jeden Fall das dringende Bedürfnis, mein Ohr in Eiswasser zu kühlen, nachdem ich das Telefonat mit unserem lieben Mister Stone beendet hatte.«
»Du Armer.« Mit gespieltem Bedauern strich ich Jim durchs blonde Haar. Ich mochte den jungen Fotografen und seine lockere Art. »Glaubst du, Mister Stone hat wieder einmal einen gemeinsamen Auftrag für uns?«
»Sieht ganz so aus«, sagte Jim und grinste mich an. »Aber schließlich sind wir auch das beste Team in seinem Stall.«
»Nun werden Sie aber nicht gleich größenwahnsinnig, Mister Brodie, bloß weil Sie ein paar anständige Bilder abgeliefert haben. Das ist schließlich Ihr Job …«, ahmte ich die Stimme des Chefredakteurs nach.
»… und Sie brauchen sich gar nichts darauf einzubilden, dass Ihnen ein Artikel gelungen ist.« Jim übernahm nun Martin T. Stones Rolle in unserem kleinen Schauspiel. Er versuchte, eine grimmige Miene aufzusetzen, was ihm aber nur unzureichend gelang.
»Das war bloß Anfängerglück. Ihr wahres Können wird sich erst im Laufe der Zeit zeigen.« Mahnend erhob er den Zeigefinger.
Wir mussten beide laut loslachen, was uns einige verständnislose Blicke unserer Kollegen im Großraumbüro einbrachte.
»Sag mal, glaubst du, dass du für eine Audienz bei unserem Chef passend angezogen bist?« Ich musterte Jim ausgiebig. Seine Jeans wies deutliche Grasflecken an den Knien auf, sein Baumwollhemd hatte in unzähligen Waschgängen bereits einiges an Farbe eingebüßt.
»Wie meinst du das?« Erstaunt blickte er an sich hinunter. »Stimmt irgendetwas nicht?«
»Lass nur. Es ist schon in Ordnung«, seufzte ich. Der junge Fotograf war wirklich ein lieber und fähiger Kollege, aber was die Kleidungsfrage anbetraf, schien er auf beiden Augen blind zu sein. Er gehörte zu der Sorte Menschen, die mit der größten Selbstverständlichkeit in durchlöcherten Jeans in der Oper auftauchen – und sich dann noch wundern, dass sie dort mit erstaunten Blicken verfolgt werden. Praktisch, das war das Hauptkriterium, nach dem Jim seine Garderobe zusammenstellte.
»Jetzt müssen wir uns aber wirklich beeilen.« Jim hatte das Thema Bekleidung schon wieder vergessen und blickte auf seine Armbanduhr. »Sonst reißt uns Stone die Köpfe ab.«
»Das wollen wir lieber nicht riskieren.«
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zum Büro unseres Chefredakteurs.
***
Demonstrativ sah Martin T. Stone auf seine Armbanduhr, als wir in sein Büro traten, dann hob er missmutig die Augenbrauen und deutete stumm auf die beiden Stühle, die seinem Schreibtisch gegenüberstanden.
Wir beeilten uns, Platz zu nehmen.
Martin T. Stone wühlte in den Unterlagen, die sich auf seinem Schreibtisch stapelten, ohne uns dabei eines Blickes zu würdigen. Schließlich schob er dann doch seine Notizen beiseite und lehnte sich in seinem ledernen Schreibtischstuhl zurück. Er musterte uns wortlos.
»Bin ich plötzlich taub geworden, oder finden hier die Unterhaltungen auf telepathischem Wege statt?« Jim war der Erste, der das Schweigen brach.
Martin T. Stone bedachte ihn mit einem missbilligenden Blick, bevor er antwortete: »Warum so ungeduldig, Mister Brodie? Schließlich haben Sie sich auch genügend Zeit gelassen, um nach meinem Anruf hierherzukommen.«
»Das war meine Schuld«, warf ich rasch ein. Aus Erfahrung wusste ich, dass eine Diskussion zwischen den beiden Männern wahrscheinlich zu einem endlosen Match ausarten würde, wenn ich ihnen nicht sofort den Wind aus den Segeln nahm. »Ich hatte Jim gebeten, mir noch rasch bei einer Sache behilflich zu sein.«
»Na gut«, knurrte Stone. »Dann wollen wir nicht noch mehr Zeit vertrödeln. Jessica, kennen Sie sich mit Antiquitäten aus?«
»Ich bin sozusagen zwischen ihnen aufgewachsen«, entgegnete ich. Ich dachte dabei an die Villa meiner Großtante Beverly. Das Haus quoll von skurrilen Gegenständen regelrecht über. Ihr Mann Franklin, ein seit Jahren verschollener Archäologe, hatte sie von seinen zahlreichen Expeditionen mitgebracht. »Allerdings könnte ich nicht behaupten, dass ich eine Expertin auf diesem Gebiet wäre«, schränkte ich ein.
»Macht nichts«, entgegnete der Chefredakteur knapp. »Es werden genügend Leute da sein, die sich damit auskennen.«
»Wo werden diese Leute sein?«, erkundigte sich Jim ungeduldig.
»Auf der Auktion.« Martin T. Stone schien Gefallen daran gefunden zu haben, uns ein wenig zappeln zu lassen.
»Findet die Versteigerung hier in London statt?«, kam ich Jim mit einer weiteren Frage zuvor.
»Nein.« Stone schüttelte den Kopf. »In der Grafschaft Cambridgeshire, genauer gesagt, im Haus von Lord Albert Melanson.«
»Nicht schlecht.« Jim pfiff anerkennend durch die Zähne. »Ich habe schon gehört, dass seine Lordschaft einige wertvolle Sammlerstücke bei sich beherbergen soll. Und warum will er sich nun von seinen Schätzen trennen?«
»Es gibt Gerüchte, nach denen sich Lord Albert Melanson in Geldnot befindet«, erklärte Stone. »Deshalb soll er gezwungen sein, einen Großteil seiner Sammlung zu verkaufen, um wenigstens die alte Familienvilla behalten zu können.«
»Und warum hat man bisher nichts von der bevorstehenden Auktion gehört?«, fragte ich verwundert. »So etwas müsste in Sammlerkreisen doch für gehörigen Wirbel sorgen. Wie haben Sie denn davon erfahren?«
»Ich habe es mir zur Gewohnheit werden lassen, in regelmäßigen Abständen bei den hiesigen Auktionshäusern anzurufen.« Martin T. Stone verfiel wieder einmal in seinen väterlichen Ton. Den stimmte er immer an, wenn er mir Tipps aus seiner langjährigen Berufspraxis gab. »So habe ich schon oft interessante Hinweise erhalten, bevor die Konkurrenz auch nur etwas von der Sache ahnte.«
»Und wann soll das Ereignis nun stattfinden?«, wollte Jim wissen.
»Jetzt am Wochenende«, antwortete Stone. »Ich möchte, dass Sie beide schon morgen zu den Melansons fahren und sowohl von den Vorbereitungen, als auch von der Versteigerung selbst berichten.«
»Gibt es Details, auf die Sie besonderen Wert legen?«, fragte ich.
»Ich verlasse mich dabei auf Ihre Spürnase, Jessica.« Er lächelte mich freundlich an. »Und von Ihnen erwarte ich Aufnahmen der schönsten Versteigerungsstücke und von der anwesenden Prominenz.« Damit war mein Partner Jim Brodie gemeint.
»Ich werde mein Bestes tun, Sir.« Jim legte seine Hand zum militärischen Gruß an die Stirn.
»Das möchte ich Ihnen auch geraten haben.« Obwohl er sich bestimmt über die Respektlosigkeit des jungen Fotografen ärgerte, konnte sich Martin T. Stone ein Grinsen nicht verkneifen. »Schließlich werden Sie auch gut genug dafür bezahlt.«
»Da haben Sie wirklich recht.« Jim sprang von seinem Stuhl auf. »Wenn Sie mich allerdings jetzt bitte entschuldigen würden. Ich muss nämlich meine fünf Porsche noch zum Polieren bringen, außerdem wartet zu Hause der Innenarchitekt auf mich – er soll in meiner Dreißig-Zimmer-Villa noch einen weiteren Swimmingpool einbauen …«
Die freche Antwort Jims ließ Martin T. Stone für einen Moment nach Luft schnappen.
Auch ich erhob mich von meinem Platz und folgte Jim zur Tür. Mir wäre es sehr unangenehm gewesen, vor meinem Chef mit einem Lachanfall herauszuplatzen.
»Auf Wiedersehen«, verabschiedete ich mich. »Ich werde mich von der Auktion aus telefonisch bei Ihnen melden.«
Mr. Stone nickte stumm. Doch als wir sein Büro beinahe schon verlassen hatten, schien er plötzlich die Sprache wiedergefunden zu haben.
»Ach, Mister Brodie«, rief er uns hinterher.
»Ja, Sir?«, antwortete Jim.
»Ich wollte Sie nur schon einmal darauf hinweisen, dass ich mir Ihre Spesenrechnung dieses Mal ganz besonders genau ansehen werde.« Ein triumphierendes Grinsen stahl sich in das Gesicht des Chefredakteurs.
»Ganz wie Sie wünschen, Sir.« Jim trug ein süßsaures Lächeln zur Schau. »Wenn Sie meinen, dass Sie in all dem Stress die Zeit dafür aufbringen können …« Er schloss die Tür. »Pedantischer Geizkragen«, murmelte er, als er sich sicher war, dass Martin T. Stone ihn nicht mehr hören konnte.
»Nun lass dir nicht die Laune vermiesen«, versuchte ich Jim ein wenig aufzumuntern. »Schließlich haben wir einen Auftrag bekommen, der sich recht interessant anhört.«
»Interessant – und absolut ungefährlich«, fügte Jim hinzu. »Ich gerate noch immer ins Schwitzen, wenn ich an unser letztes Abenteuer denke, das wir gemeinsam mit diesem geheimnisvollen Ashley Brown durchgestanden haben. Seelenwanderung und Magie … Mein Bedarf an Aufregung ist auf jeden Fall erst einmal gedeckt. Aber was soll auf einer Auktion schon Besonderes passieren …?«
Wenn er geahnt hätte, was wir in den folgenden Tagen noch erleben sollten, wäre seine gute Laune bestimmt verflogen.
***
»Meine Güte, ist das ein gewaltiger Kasten.« Jim stand in der Auffahrt zum Herrenhaus der Familie Melanson und legte den Kopf in den Nacken. »Da kann ich mir vorstellen, dass man den Unterhalt dafür nicht einfach mal so aus dem Portemonnaie bezahlt.«
»Lord Albert Melanson wird eine ganz hübsche Summe aus der Versteigerung erwirtschaften müssen, wenn er das Gebäude damit instand halten will.«
Auch ich war überwältigt von den Ausmaßen des Hauses. Es erinnerte mit seinen unzähligen Erkern und Türmen schon beinahe an eine Burg; jede Generation der Melansons schien das Gebäude durch einen weiteren Anbau vergrößert zu haben, bis es schließlich gewaltig wie ein Berg in der Mitte des herrlichen Parks aufragte.
»Hast du eine Vermutung, warum der alte Herr sich das alles nicht mehr leisten kann?« Jim sah mich fragend an.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Man spricht von Geldnöten, in die er plötzlich hineingeraten sein soll.«
»Vielleicht hat er sein gesamtes Vermögen beim Pferderennen verspielt.« Jim grinste. »Das wäre dann wenigstens eine standesgemäße Art, sein Geld loszuwerden. Oder er wird von einem bösartigen Stubenmädchen erpresst, das hinter ein intimes Geheimnis gekommen ist …«
»Jim Brodie, benimm dich«, ermahnte ich ihn. »Ich glaube nicht, dass der Lord in der Stimmung ist, sich deine dummen Witzchen anzuhören.«
»Ist schon gut.« Jim hob beschwichtigend die Hände. »Ich werde seine Lordschaft wie ein rohes Ei behandeln.«
»Ich werde dich bei Gelegenheit an dieses Versprechen erinnern.«
Ich wandte meine Aufmerksamkeit von Jim wieder dem Gebäude zu. Bei genauerem Hinsehen waren deutlich Spuren des Verfalls zu erkennen. An vielen Stellen bröckelte der Putz von der Fassade, die Regenrinne hing schief am Dach und wies Rostflecken auf, auf einige der zahlreichen Balkone hätte ich keinen Fuß setzen wollen, aus Angst davor, gemeinsam mit dem losen Steinwerk in die Tiefe zu stürzen.
Aber da war noch etwas anderes, das mich innerlich frösteln ließ. Es war nicht der Zerfall, der an so vielen Stellen des Gebäudes zu nagen begann, der mich zum Schaudern brachte. Es war viel mehr die Ahnung eines dunklen Geheimnisses, die das Haus wie ein Nebel umhüllte und mir die Wärme aus dem Körper zu saugen schien.
Plötzlich begann mein Herz rasend in meiner Brust zu hämmern.
Doch dann ließ ein Geräusch von der Eingangstür her mich aus meinen Gedanken erwachen.
»Guten Tag. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« Eine junge Frau stand in der geöffneten Pforte und sah zu uns herüber.
»Guten Tag«, erwiderte ich ihren Gruß. »Mein Name ist Jessica Bannister. Ich arbeite für den London City Observer. Und das hier ist mein Kollege Jim Brodie.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen.« Zu meiner Erleichterung konnte ich feststellen, dass Jim sein charmantestes Lächeln aufgesetzt hatte.
Die Frau nickte freundlich. Sie hatte ihr langes, blondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebändigt. Ihre dunkelbraunen Augen waren fest auf uns gerichtet.
»Wir haben gehört, dass hier im Haus eine Versteigerung stattfinden soll«, fuhr ich in meinen Erklärungen fort. »Ich denke, dass der Verkauf einer so wertvollen Sammlung sehr interessant für unsere Leser ist, und wir würden deshalb gerne über die Auktion berichten.« Unter dem strengen Blick der Frau wurde ich plötzlich ein wenig unsicher. »Ich meine, natürlich nur, wenn Sie es erlauben.«
»Da fragen Sie am besten meinen Vater.« Die Frau machte eine einladende Geste in Richtung des Hauses. »Ich glaube nicht, dass er etwas dagegen haben wird. Ein bisschen Publicity wird für den Verkauf bestimmt ganz gut sein. Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Deborah Melanson.«
Wir schüttelten uns die Hände, dann folgten wir ihr in das Haus.
Das Sonnenlicht fiel warm durch die farbigen Mosaikfenster und zauberte bunte Muster auf die Wände der Eingangshalle. Durch den hellen Marmor des Fußbodens und die beigen Seidentapeten wirkte der Raum viel freundlicher, als die äußere Fassade vermuten ließ.
An manchen Stellen aber waren an den Wänden helle Flecken zu erkennen, als wäre erst vor kurzer Zeit dort etwas entfernt worden – es fehlten dort offensichtlich Bilder.
Deborah Melanson schien meine Gedanken erraten zu haben. »Wir sind noch mitten in den Vorbereitungen für die Versteigerung«, erklärte sie. »Wie Sie sehen, müssen wir uns auch schweren Herzens von den Gemälden einiger unserer Ahnen trennen.« Sie zeigte auf eine blasse Stelle an der Wand. »Sie können mir glauben, es tut weh, wenn man plötzlich gezwungen ist, von Dingen Abschied zu nehmen, die einem über lange Jahre hin vertraut waren.«
Gedankenverloren strich sie mit einer Hand vorsichtig über ein antikes Regal. Kratzspuren verrieten, dass dort lange Zeit ein schwerer Gegenstand gestanden haben musste.
»Sind Sie sicher, dass der Verkauf der Sammlung das Richtige für Sie ist?«, erkundigte ich mich. »Ich frage das, weil es Ihnen offensichtlich sehr schwer fällt, sich von den Dingen zu trennen.«
»Es bleibt uns leider nichts anderes übrig«, erwiderte die junge Frau. »Gewisse … Umstände zwingen uns dazu, diesen Weg zu beschreiten.« Sie biss sich auf die Lippen. Offensichtlich kämpfte sie dagegen an, von ihren Gefühlen überwältigt zu werden. »Ich habe im Lauf der Zeit gelernt, mich mit Realitäten abzufinden. Ich mache mir vielmehr Sorgen um meinen Vater. Er leidet sehr unter der bevorstehenden Auktion – auch wenn er versucht, es sich nicht anmerken zu lassen.«
»Mit wem sprichst du, Deborah?« Eine Flügeltür in eines der angrenzenden Zimmer war geöffnet worden, und ein Mann trat nun in die Eingangshalle, den ich auf vielleicht Mitte dreißig schätzte. Er fuhr sich mit einer Hand kontrollierend über das perfekt gescheitelte Haar, seine blassgrauen Augen wanderten von einem zum anderen. »Haben wir Besuch?«
»Das sind Miss Jessica Bannister und Mister Brodie vom London City Observer«, erklärte Deborah Melanson. »Sie wollen eine Reportage über die Auktion in ihrer Zeitung veröffentlichen.«