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Nizza - eine Stadt, die romantische Träume und sehnsüchtiges Verlangen weckt. Ein Urlaubsparadies für die Begüterten, ein Ort der Liebe unter strahlender Sonne. Hierhin werden Jim Brodie und Jessica Bannister geschickt, um für den London City Observer über die kleine Monique Brassé zu berichten, das siebenjährige Mädchen, das man voller Furcht das "Poltergeist-Kind" nennt. Denn wo immer sich Monique aufhält, kommt es zu übernatürlichen Phänomenen, die den Menschen das Blut in den Adern gefrieren lassen - und es hat sogar schon Verletzte gegeben!
Doch als Jessica Monique gegenübersteht, hat sie ein ängstliches, völlig eingeschüchtertes Mädchen vor sich, und ihr wird klar, dass Monique unschuldig ist an den schlimmen Ereignissen um sie herum. Eine fremde Macht verfolgt sie, will das Kind quälen. Und Jessica nimmt sich vor, Monique von diesem grausamen Fluch zu befreien ...
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Die Hauptpersonen
Geisterspuk in Nizza
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock / Andrij Garry; Matej Kastelic; Pan_Da
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-5240-5
www.bastei-entertainment.de
Die Hauptpersonen:
Jessica Bannister
Sie ist Reporterin beim London City Observer und auf mysteriöse Fälle spezialisiert. Sie hat übersinnliche Fähigkeiten, kann in Visionen und Träumen in die Vergangenheit reisen und die Zukunft voraussehen. So sah sie als Zwölfjährige auch den Tod ihrer Eltern voraus. Sie wuchs danach bei ihrer Großtante Beverly Gormic auf, bei der sie noch heute lebt.
Jim Brodie
Er ist Fotograf beim London City Observer. Als Jessica ihren Job bei der Zeitung antritt, steht er ihr sogleich mit Rat und Tat zur Seite, und es entwickelt sich schon bald eine enge Freundschaft zwischen den beiden. Wenn Jessica an einem Auftrag arbeitet, ist er fast immer als Fotograf an ihrer Seite.
Beverley Gormic
»Tante Bell« ist Jessicas Großtante. Nach dem Tod von Jessicas Eltern hat sie ihre Nichte bei sich aufgenommen und großgezogen. Jessica hat auch heute noch ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Ziehmutter. Beverly weiß über Jessicas übersinnliche Fähigkeiten Bescheid, sie selbst befasst sich intensiv mit Spiritismus und Okkultismus.
Martin T. Stone
Der Chefredakteur des London City Observer
Geisterspuk in Nizza
von Janet Farell
Ich parkte den Leihwagen mit offenem Verdeck am Rande der Altstadt von Nizza. Jim Brodie hängte sich gewohnheitsmäßig seine Teleobjektivkamera um. Wir schlenderten durch die Altstadt zum Blumenmarkt auf dem Cours Saley, der jeden Werktag zwischen 14 und 16 Uhr stattfand. Etwas trieb mich dahin, eine Vorahnung. Hier würde etwas geschehen, das spürte ich mit jeder Faser meines Seins …
»Was für ein herrliches Blumenmeer«, sagte Jim in Anbetracht der vielen Stände mit der vielfarbigen, duftenden Pracht.
Der Platz, die Treppe, selbst die Erdgeschosse der Häuser rundum waren davon überflutet. Die Häuser schienen aus den Blumen hervorzuwachsen, und Marktleute, Passanten und Touristen drängten sich hier.
»Wenn ich könnte, würde ich dir die Blumen allesamt schenken, Jessica«, fuhr der schlaksige Fotograf fort.
Ich roch gerade an einem Strauß besonders schöner Anemonen – als sie plötzlich in meiner Hand verwelkten!
Es ging ganz schnell. Eben noch waren die Blütenkelche von frischem Rosa und Weiß gewesen, blühend und duftend. Dann verdorrten sie wie im Zeitraffer!
Zunächst dachte ich an eine Chemikalie. Der Meinung war auch die Marktfrau des Standes, wo ich an den Blumen gerochen hatte. Sie hatte sich gerade mit einer anderen Kundin unterhalten. Jetzt, als die untersetzte Frau mit der grünen Kittelschürze ihre verwelkten Blumen sah, verdächtigte sie mich.
»Mademoiselle, was haben Sie mit meinen Blumen gemacht? Das ist ein schlechter Scherz. Sind Sie vom Sender …«
Ich verstand nur die Hälfte von dem, was sie sagte. Mein Französisch war nicht besonders gut. Die Marktfrau schimpfte, und ich hörte das Wort Television, während sich der Effekt ausbreitete. Die Blumen des ganzen Standes verwelkten, dann griff das seltsame Phänomen auch auf den Nachbarstand über.
Dass Jim Brodie eine auffällig große, professionelle Kamera bei sich hatte, ließ uns noch verdächtiger erscheinen.
Sämtliche Blumen an dem Stand, vor dem wir standen und an dem daneben welkten innerhalb einer Minute. Völlig verdorrt wie nach einer Woche ohne Wasser in der Sonne sahen sie nun aus.
Die Kundschaft und die Passanten rotteten sich zusammen. Weitere Marktfrauen und Blumenhändler bildeten eine Front gegen uns.
Schon hörte ich Schimpfworte. Fäuste wurden drohend geschüttelt. Langsam bekam ich es mit der Angst. Die Südfranzosen waren temperamentvoll, und wenn der Volkszorn kochte, konnte das für Jim und mich übel werden.
Ein breitschultriger Blumenhändler, sommerlich leicht gekleidet, packte Jim am Kragen und schüttelte ihn. Jim Brodie hätte gegen den Hünen nicht viel ausrichten können. Ich ging dazwischen.
»Lassen Sie meinen Begleiter los, Monsieur!«, sagte ich. »Wir haben nichts getan.«
Nur der Umstand, dass ich eine Frau war, rettete mich davor, gleichfalls gepackt und geschüttelt zu werden.
Noch mehr Blumen verwelkten, es war wie eine Seuche. Ähnlich musste der Effekt im Dschungel gewesen sein, wenn zu kriegerischen Zwecken ein Entlaubungsmittel gesprüht wurde. Im Umkreis von erst zehn, dann zwanzig, schließlich fünfzig Metern verdorrten die Blumen wie von einem Pesthauch getroffen.
Auch Obst und Früchte wurden hier angeboten und verdorrten ebenfalls.
Die Marktleute regten sich immer mehr auf und umringten uns. Was sie uns an den Kopf warfen, waren Schimpfworte der übelsten Sorte.
»Verdammtes Pack!«, war noch das Mildeste.
Wieder hörte ich das Wort Television und vernahm den Namen eines Regionalsenders und einer Sendung. Da begriff ich. Wie in England und anderen Ländern gab es auch hier eine Ulksendung. Dabei spielte man Leuten Streiche und filmte die Reaktion. Die Fernsehzuschauer konnten sich dann auf Kosten der Opfer amüsieren, denn wer den Schaden hat, braucht bekanntlich für den Spott nicht zu sorgen. Die Marktleute glaubten, wir wären vom Fernsehen und hätten ihre Blumen mit einer Chemikalie zum Welken gebracht und dass das nun gefilmt würde. Das fanden sie gar nicht lustig.
»Wir sind nicht vom Fernsehen!«, rief ich. »Wir sind Engländer, ich bin eine englische Reporterin! So hören Sie doch, geben Sie uns den Weg frei! Wir können nichts für das, was hier geschieht!«
Die Marktleute glaubten mir nicht. Sie fuchtelten, brüllten und redeten durcheinander. Einige forderten Schadensersatz.
Die Passanten am Blumenmarkt ergriffen teils für uns, teils gegen uns Partei. Mir wurde es langsam zu dumm, und ich forderte, dass man die Polizei holen sollte.
Doch jetzt geschah etwas anderes.
Plötzlich wimmelte es überall von fetten, hässlichen schwarzen Kröten!
Sie schienen vom Himmel zu regnen und aus der Erde zu quellen. Von einer Minute zur anderen waren sie da, quakten und hüpften grotesk.
»Das sind Sumpfkröten«, sagte Jim. »Die gibt es hier doch überhaupt nicht. Das ist schlimmer als die biblische Heuschreckenplage.«
Sensible Frauen und Kinder rannten schreiend davon. Die Marktfrau, deren Blumen zuerst verwelkt waren, zog eine Kröte aus der Tasche ihrer Kittelschürze und warf sie mit angewidertem Gesicht weg. Auf den Dächern und Markisen der Blumenstände, zwischen den Blumen, ja, sogar im Spezialanhänger eines Blumentransporters, eines Lkw, der gerade geöffnet wurde, sprangen und quakten die fetten warzigen Kröten.
Ich ekelte mich im ersten Moment vor ihnen, sagte mir dann aber, dass es auch Lebewesen waren.
Sie sahen zwar eklig aus, waren jedoch harmlos, auch wenn sie hier in Massen auftraten.
»Ob sie aus der Kanalisation kommen?«, fragte Jim.
Ich schüttelte den Kopf.
Und da spürte ich, wie sich wieder ein Schleier vor mein Bewusstsein legte. Ich spürte das Übernatürliche, Fremde wie einen kalten Hauch. Etwas – jemand – bewirkte die Phänomene auf paranormale Weise.
Jetzt wurde es auch den Marktleuten unheimlich. Sie wichen von uns zurück. Der Mann, der Jim geschüttelte hatte, deutete auf die Kröten.
»Television?«, fragte er.
»Non Television«, erwiderte ich und erklärte ihm auf Englisch, weil meine Französischkenntnisse mich im Stich ließen: »Damit haben wir nichts zu tun!«
Die Marktleute und die Passanten sahen sich an. Niemand wendete sich mehr gegen uns.
Jetzt erfüllte ein Brausen die Luft, und sie geriet in Bewegung. Das war kein Wind, sondern eine Art Sog oder Luftwirbel!
Dutzende von Blumen flogen durch die Luft oder fielen von den Regalen herunter. Auslagen gerieten durcheinander. Katastrophal war der Luftwirbel nicht, jedoch ein weiteres unerklärliches Phänomen.
»Da ist das teuflische Kind, das Poltergeist-Mädchen!«, rief eine Marktfrau. Sie bekreuzigte sich mehrfach. »Alle Heiligen mögen uns schützen. Das ist Monique Brassé!«
Niemand kümmerte sich mehr um Jim Brodie und mich. Die Menge am Blumenmarkt wich auseinander. Sie bildete quasi einen Trichter, an dessen spitzem Ende wir beide standen, Jim und ich.
Am breiten Trichterende sahen wir ein siebenjähriges Mädchen an der Hand einer jungen, dunkelhaarigen Frau stehen. Auch das Kind hatte schwarzes Haar. Und blaue Augen. Es trug auch ein blaues Kleid.
Die junge Frau neben ihr – ich hielt sie zu Recht für das Kindermädchen – sah sehr erschrocken aus. Jeder spürte, dass der Luftwirbel von dem kleinen schwarzhaarigen Mädchen ausging, es schien so, als ob es das Brausen verursachte. Man wusste es einfach. Es kam aus seiner Richtung.
»Monique, bitte, hör auf!«, raunte das Kindermädchen.
Ich las es von seinen Lippen ab.
Das Mädchen schaute die junge Frau an. Was es zu seinem Kindermädchen sagte, verstand ich nicht.
Ich stieß Jim an. »Los, fotografiere sie. Ihretwegen sind wir in Nizza. Sie ist es.«
Jim Brodie erwachte aus seiner Starre und besann sich auf seinen Job. Sonst war er ein sehr cleverer Fotoreporter. Aber heute hatte es ihm einfach das Fotografieren verschlagen.
Jetzt riss er die Kamera hoch und knipste die kleine Monique und die übernatürlichen Effekte, die sich schon wieder legten. Das Brausen wurde schwächer. Der Luftwirbel ließ nach.
Beides erstarb ganz, und es regnete noch ein paar verdorrte Blütenblätter auf das Durcheinander im Markt, in dem die Kröten umherkrochen und -sprangen.
In abergläubischer Scheu wagten die Marktleute und Besucher kein böses Wort gegen das kleine Mädchen zu richten. An der Hand seiner Zofe, die um ihre Fassung rang und einer Ohnmacht nahe wirkte, stand es da.
Jims Fotokamera klickte, der Motor surrte.
»Genug«, sagte ich und legte ihm die Hand auf den Arm.
Jim senkte die Kamera.
Was in dem kleinen Mädchen vorging, was es empfand, konnte ich nicht deuten. Ganz offensichtlich rührten die unheimlichen Effekte von ihm her. Es musste über gewaltige paranormale Kräfte verfügen.
Eine Telekinetin, dachte ich, also jemand, der mit der Kraft seines Geistes Gegenstände bewegen konnte. Und mehr als das. Das Erzeugen oder Herbeizaubern der Kröten, das Verdorren der Blumen – das war mehr als Telekinese!
Das war etwas Beispielloses, eine ungeheure Kraft, und dass gerade ein Kind sie hatte, war paradox.
Die Leute um uns herum hatten abergläubische Furcht vor der Kleinen. Sie verstummten, und es wurde so leise auf dem Blumenmarkt, dass man die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können.
Aus der Miene des Kindes konnte ich nicht entnehmen, ob es sich über den Spuk und den Schrecken freute, den es hervorgebracht hatte, oder nicht.
Wir hörten die Sirene eines sich nähernden Polizeiautos. Aber es war klar, dass die Flics, wie die französischen Polizisten genannt wurden, nichts gegen die siebenjährige Monique Brassé unternehmen konnten.
Monique knickste. Es wirkte grotesk. Mit unbewegtem Gesicht drehte sie sich dann um. Zunächst gab sie ihrem Kindermädchen einen Ruck und zog es schließlich mit sich.
Dann rannte die junge Frau fast, froh, dieser Szene zu entkommen, und lief mit Monique an der Hand davon.
Die uns umstehenden Leute atmeten hörbar auf.
»Ein Glück, dass sie weg ist«, hörte ich jemanden sagen. »Irgendwann wird sie noch mal einen Menschen umbringen oder die Stadt in Brand stecken. Was soll man dagegen machen?«
»Dieses Kind ist vom Teufel besessen«, murmelte eine zahnlose alte Marktfrau. »Man sollte es auf die Teufelsinsel schicken, wo früher die Sträflinge waren, und es nie mehr an Land lassen.«
»Wenn das meine Tochter wäre, würde ich ihr den Hintern versohlen«, sagte ein dicker Mann in Bermuda-Shorts.
Was für ein Idiot, dachte ich. Als ob man damit der Parapsychologie beikommen und übernatürliche Kräfte beseitigen könnte.
Ich zog Jim Brodie zur Seite. Das Polizeiauto hielt. In der nächsten halben Stunde hatten die Leute auf dem Markt eine Menge Arbeit, die fetten schwarzen Kröten einzusammeln, mit Schaufeln oder den bloßen Händen. Polizei, Privatleute und das Technische Hilfswerk transportierten sie ab und schütteten sie wohl an irgendwelchen Wasserläufen aus.
Einige Kröten würden im Polizeilabor und beim Veterinäramt untersucht werden, um festzustellen, was das für Tiere waren. Ganz normale Kröten waren es, davon war ich überzeugt, nur wo und wie sie hergekommen waren, das war das Rätsel.
Genauso würden auch die verwelkten Blumen im Labor untersucht werden. Der Ordnung halber würde ich bei der Stadtverwaltung anrufen, um abzuklären, ob hier Chemikalien im Spiel gewesen waren oder nicht. Agent Orange zum Beispiel.
»Mann«, sagte Jim, »so was habe ich noch nicht erlebt. Das geht unter die Haut. Die Kleine ist eine echte Sensation, Jessi!«
»Das müssen wir noch genau feststellen«, sagte ich. »Die Frage ist, ob sie glücklich damit wird.«
»Du meinst, ob sie von Natur aus böse ist und ihre Kräfte gezielt einsetzt, um die Menschen in ihrer Umgebung zu ängstigen und zu quälen?«, fragte Jim. »Oder ob sie ihre Fähigkeiten nicht kontrollieren kann, es sie überkommt und sie darunter leidet?«
»Ja.«
»Sie sieht aus wie ein Unschuldsengel«, bemerkte Jim.
»Das Äußere ist nicht ausschlaggebend«, erwiderte ich. »Es gibt Mörder, die wie nette und harmlose Jungs ausschauen. Und andere, die brutale Gesichter haben, können treusorgende Familienväter sein. Wir fahren zur Villa der Brassés und versuchen, mit Monique Kontakt aufzunehmen.«
Dazu mussten wir zuerst mit den Eltern sprechen.
Während wir den Blumenmarkt verließen, auf dem das Geschäft für heute gelaufen war, schoss Jim noch ein paar Fotos. Ich bat ihn, aufzupassen, weil er fast auf eine fette Kröte getreten wäre. Sie glotzte uns an. Der Luftsack an ihrem Hals bewegte und blähte sich.
»Das ist aber ein hässliches Vieh«, sagte Jim.
»Das ist relativ«, sagte ich. »Sie hält uns vielleicht auch für hässlich, und aus ihrer Sicht stimmt das wohl auch.«
Kopfschüttelnd folgte mir Jim zu unserem nicht gerade feudalen Leihwagen, der aber seinen Zweck als fahrbarer Untersatz erfüllte.
Ich dachte zurück, wie dieser Auftrag begonnen hatte, der uns nach Nizza geführt hatte, an die sonnige Côte d’ Azur. Ein fantastischer Job. Leider auch sehr gefährlich.
***
Zwei Tage zuvor
Jim eröffnete mir im Großraumbüro des London City Observer, dass uns Martin T. Stone, unser Chefredakteur, nach Nizza schicken wollte. Wir hatten gerade ein Abenteuer in Schottland hinter uns, waren dort dem Ungeheuer von Loch Maree auf der Spur gewesen und hatten uns auch mit einer gefährlichen Satanssekte herumschlagen müssen.[1]
Mein Spezialgebiet als Journalistin war nämlich Spuk, Okkultismus, Menschen mit paranormalen Fähigkeiten und sonstige übersinnliche Phänomene. In der Redaktion des Observer hatte ich deshalb schon den Spitznamen Spookie Jessi weg. Manchmal tuschelten die Kollegen hinter meinem Rücken. Aber meine Artikel kamen bei den Lesen an.
Der Herausgeber, Sir Arnold Reed, hatte mich deshalb bereits mal in sein Landhaus vor den Toren von London eingeladen und sich lobend geäußert.
Er hatte mir eine große Karriere prophezeit, wenn ich so tüchtig blieb und mich weiterentwickelte. Leider jedoch keine Gehaltserhöhung.
Mit meinem Erfolg auf dem okkulten Sektor hing unmittelbar zusammen, dass ich von Kind auf Wahrträume und Vorahnungen hatte. Ich verfügte über eine Intuition, die mich auf übernatürliches Wirken hinwies, und hatte eine spezielle Begabung, immer wieder mit dieser Materie in Berührung zu geraten.
Doch immer wieder erschien mir mein Talent mehr als ein Fluch. Ein hübsches junges Mädchen von Mitte zwanzig, das Journalistik studiert hatte und als Reporterin arbeitete, hatte in seinem Beruf schon genug Hektik und brauchte nicht noch Belastungen durch Spuk und durch Übersinnliches. Von den damit verbundenen Gefahren ganz zu schweigen.
Zum Glück wussten nur meine Großtante Beverly Gormic – Tante Bell, bei der ich nach dem Tod meiner Eltern aufgewachsen war – und ich von meiner Gabe, sonst wäre alles wohl noch viel komplizierter gewesen …
Jim und ich machten uns auf zum Büro des Chefredakteurs. Seine neue Sekretärin – seit zwei Tagen arbeitete sie hier – winkte uns gleich hinein.
Martin T. Stones Schreibtisch war wie immer mit Manuskripten und sonstigen Papieren vollgestapelt. Nur eine Arbeitsecke war frei. Ich bewunderte immer wieder Stones fotografisches Gedächtnis.
Ein Griff in die Papierberge, und er hatte gefunden, was er suchte. Wenn ich da an meine Tante Bell dachte … Sie hatte es schon fertiggebracht, zwei Stunden lang im Haus herumzugehen und ihre Lesebrille zu suchen. Dabei hatte sie sie nach oben über die Stirn geschoben.
Auf Stones Wink hin setzte ich mich. Stone war Mitte vierzig, dunkelhaarig, graumeliert an den Schläfen, und kleidete sich gemäßigt konservativ, die Hemdsärmel hatte er jedoch stets nach oben gerollt, und häufig stand seine Krawatte auf halb acht.
Der Chefredakteur war groß und stattlich, ein durchaus attraktiver Mann, aber für mich eher so etwas wie eine Vaterfigur. Seine Anforderungen waren hoch, aber er stellte sich vor seine Reporter, wenn etwas schieflief, weil wir angeblich falsch oder unsachlich berichtet oder jemanden journalistisch angegriffen hatten.
Und ich hatte eine Menge gelernt bei Stone. Er beherrschte sein Handwerk aus dem Effeff, er hatte Druckerschwärze in den Adern, wie es im Zeitungsjargon heißt.
»Jessica, Mister Brodie hat es Ihnen also schon gesagt, wie ich seiner feixenden Miene entnehme.« Unverblümt kam Stone sofort zur Sache. »Können Sie sich sofort freimachen?«
Ich meinte, im Prinzip ja, es käme darauf an, für wie lange.