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In dem schottischen Städtchen Carlisle verschwinden spurlos junge Frauen, und Zeugen berichten von elfenhaften Wesen aus Licht, die die Frauen entführen. Jim Brodie und Jessica Bannister sollen sich um die Sache kümmern und machen sich auf nach Carlisle - und schon bricht das Übernatürliche über sie herein.
Da ist die unheimliche Ruine einer mittelalterlichen Abtei, dann eine Spukgestalt, die nachts die nebelverhangenen Gassen von Carlisle schreitet und Jim und Jessica beinahe in den Tod reißt. Bald erfahren die beiden auch, dass ein alter Hexenorden - die wicca - in Carlisle tätig ist und geheimnisvolle Rituale in den nahen Wäldern durchführt, dass es einen Hexenschatz geben soll, hinter dem der ruhelose Geist eines Inquisitors noch immer her ist - und schließlich erfährt Jessica den Sinn der Worte, die einst jener unheimliche Mönch in ihrer Vision zu ihr sprach ...
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Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Die Hauptpersonen
Ich suchte den Hexenschatz
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: conrado / shutterstock Hintergrund: Vera Petruk / shutterstock
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-5502-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Die Hauptpersonen:
Jessica Bannister
Sie ist Reporterin beim London City Observer und auf mysteriöse Fälle spezialisiert. Sie hat übersinnliche Fähigkeiten, kann in Visionen und Träumen in die Vergangenheit reisen und die Zukunft voraussehen. So sah sie als Zwölfjährige auch den Tod ihrer Eltern voraus. Sie wuchs danach bei ihrer Großtante Beverly Gormic auf, bei der sie noch heute lebt.
Jim Brodie
Er ist Fotograf beim London City Observer. Als Jessica ihren Job bei der Zeitung antritt, steht er ihr sogleich mit Rat und Tat zur Seite, und es entwickelt sich schon bald eine enge Freundschaft zwischen den beiden. Wenn Jessica an einem Auftrag arbeitet, ist er fast immer als Fotograf an ihrer Seite.
Beverley Gormic
»Tante Bell« ist Jessicas Großtante. Nach dem Tod von Jessicas Eltern hat sie ihre Nichte bei sich aufgenommen und großgezogen. Jessica hat auch heute noch ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Ziehmutter. Beverly weiß über Jessicas übersinnliche Fähigkeiten Bescheid, sie selbst befasst sich intensiv mit Spiritismus und Okkultismus.
Martin T. Stone
Der Chefredakteur des London City Observer
Ich suchte den Hexenschatz
von Janet Farell
Schottland, das kleine Bauerndorf CarlisleHerbst im Jahre 1628
Der Scheiterhaufen stand in der Mitte des Marktplatzes. Ein eisiger Wind fuhr klagend durch die schmalen Gassen zwischen den umstehenden Häusern. Fackeln, die an den verschiedenen Ecken des Platzes aufgestellt worden waren, gaben der Szenerie durch ihren flackernden Schein eine gespenstische Atmosphäre, und es herrschte eine gespannte, lastende Stille.
Plötzlich wurde vom flüsternden Wind Stimmengewirr auf den Platz getragen. Die stummen Fachwerkhäuser ringsum ließen den Schall auf eine bizarre, unheimliche Weise widerhallen.
Es waren mehrere raue Kehlen, die einstimmig einen grausamen Chor des Hasses intonierten.
»Brenne! Brenne! Brenne!«
Das Johlen der tobenden Menge klang wie das heisere Zorngeschrei eines wütenden Dämons. Die Dunkelheit zur Ostseite des Marktes schien zu gerinnen und in unwirklicher Bewegung hin- und herzuwiegen, und dann spie die formlose Finsternis Menschen aus.
Ein ganzes Heer von Körpern zeichnete sich wie schwarze, vorwärtskriechende Scherenschnitte gegen den verhangenen Oktoberhimmel ab. Wolkenfetzen jagten vorbei. Ab und zu übergoss der Mond die Szenerie mit silbrigem, kalten Licht.
»Brenne! Brenne! Brenne!«
Aus der Menge ragten Sensen hervor, Sauspieße, Heugabeln. Die Ackergeräte wurden drohend im Takt der unzähligen Stimmen geschwenkt.
Die Menschen drängten hinter der kleinen Prozession vor ihnen her, die würdevoll über die schlammigen Straßen von Carlisle schritt. Sechs Männer rahmten eine einzelne Frau ein, eine ältere, ausgemergelte Bäuerin, wie es schien. Man sah ihr Spuren der Folter an.
Die Männer waren in grobe Mönchskutten gehüllt, und jeder trug eine blakende Fackel in der Hand. Allen voran schritt, in ein purpurnes, weites Gewand mit einer weiten Kapuze gehüllt, ihr Herr. Sein Gesicht war nicht zu erkennen, lediglich seine dürren, langen Finger umklammerten beinahe krampfhaft das auf einem langen Holzstab montierte Messingkreuz der Kirche.
Er war hier der Herr über Leben und Tod, und das zeigte seine Haltung auch deutlich sichtbar. Er war derjenige, der hier direkt nach der Instanz Gottes zu entscheiden hatte.
Der Inquisitor.
Die Menge schob sich vorwärts und grölte dabei wie ein Haufen irrsinniger Derwische.
Im zuckenden Feuerschein sahen die Gesichter gespenstisch aus, und ihre Schatten wurden unwirklich verschwommen an die Mauern der kleinen Häuser des Marktplatzes geworfen. Der Feuerschein half nicht viel. Die Dunkelheit, die sich scheinbar widerwillig vor dem Licht der Fackeln zurückzog, schien außerhalb des flackernden Lichtkreises nur noch dichter und undurchdringlicher zu werden.
»Brenne! Brenne! Brenne!«
Die ehemals friedlichen Bürger von Carlisle hatten sich in einen blutgierigen Mob verwandelt, der nicht eher wieder ruhen würde, als bis die Hexe endlich brannte.
Die Hexe Jasprey.
Die sechs Laienbrüder stießen die Frau grob vor sich her. Sie taumelte und wäre beinahe gestürzt, konnte sich aber im letzten Moment fangen. Keiner der Männer streckte ihr eine Hand entgegen, um ihr zu helfen.
Finster und drohend ragten die kleinen, schmutzigen Gebäude gegen den Himmel. Schlamm schmatzte unter den Füßen der Menschen, als sie sich jetzt in einem Kreis um den großen Scheiterhaufen formierten. Immer noch fuhr der kalte Wind klagend durch die momentan verlassenen Straßen und ließ die zornige Menge unwillkürlich erschauern.
Der Inquisitor blieb stehen und hob die Hand. Abrupt hielten die Kuttenträger inne, und gleichzeitig verstummte das Johlen der Menge. Eine unheimliche Ruhe kehrte über dem Platz ein. Nur der Wind war zu hören; kalt und böse.
Der Inquisitor verharrte eine Weile reglos, ehe er seine Hand wieder senkte. Langsam streifte er sich mit beiden Händen die Kapuze vom Kopf.
Seine bleichen Gesichtszüge und die dünne, grausame Hakennase wirkten in dem roten Feuerschein der Fackeln dämonisch. Um seinen schmalen, zusammengepressten Mund spielte ein leichtes Lächeln, als er seine Stimme hob und über den Platz brüllte.
»Wir, Henry James Trebleford, verkünden hiermit in Gottes Namen das Urteil, das der Hohe Rat über die Angeklagte Jasprey gefällt hat!«
Es war absolut still. Natürlich wusste jeder Einzelne in der Menge, welches Urteil die Frau zu erwarten hatte, aber trotzdem waren sie wie von einer seltsamen Spannung paralysiert.
Die Frau hielt sich hoch aufgerichtet. Silbrig glänzende Spuren auf ihrem schmutzigen Gesicht zeichneten den Weg der Tränen nach, die ihr beinahe unmerklich aus den Augen rannen. Sie verzog jedoch nicht einmal eine Miene.
»Wir konnten der Angeklagten die Buhlschaft mit dem Satan nachweisen. Sie hat schwarze Messen abgehalten und lasterhafte Frevel im Angesicht des Herren begangen.«
Die Menge schwieg atemlos. Der Inquisitor drehte sich betont langsam zu der Frau um und starrte ihr direkt in die Augen.
Sie wich seinem Blick nicht aus.
Seine Augen funkelten triumphierend. Er hob die Stimme noch ein wenig an, als er weitersprach.
»Wir verurteilen Jasprey zum Tod durch den Scheiterhaufen, auf dass ihre Seele geläutert werde und nicht der ewigen Verdammnis anheimfällt!«
Den Bruchteil einer Sekunde herrschte noch Ruhe auf dem Platz, dann brach ein unbeschreiblicher Tumult aus.
»Brenne! Brenne! Brenne!«
Das Toben der Menge hatte sich nun zu einem unmenschlichen, rasenden Zorn gesteigert. Die Menschen brauchten ein Ventil, jemanden, dem sie die Missernten der letzten Zeit zuschieben konnten. Und hier präsentierte der Kirchenmann den Sündenbock: eine Hexe.
Jasprey, die jetzt von den Laienbrüdern auf den Scheiterhaufen gezerrt wurde, zeigte keine Regung. Sie wusste, dass jede offene Träne, jedes Betteln um Gnade nur den Triumph des grausamen Inquisitors erhöhen würde.
Aber sie wusste auch, warum sie in Wirklichkeit hier brennen sollte.
Niemand hatte bisher zu behaupten gewagt, dass Jasprey eine Hexe war oder mit dem Teufel im Bunde stände. Im Gegenteil, keiner hatte etwas gegen die Frau und ihre kleine Anhängerschar gehabt, die tief in den Wäldern der Umgebung Kräuter geschnitten hatte. Alle hatten die Frau aufgesucht, um sie um Rat und natürliche Arzneien zu bitten, und der Erfolg gab ihren Behandlungsmethoden recht.
Viele Dorfbewohner hatten sich trotz ihrer eigenen Armut aus Dankbarkeit erkenntlich gezeigt und sie beschenkt, sodass sie mit der Zeit einen nicht geringen Teil an Wertsachen gesammelt hatte.
Und genau diese Wertsachen wollte Trebleford.
Der Inquisitor hatte irgendwoher Nachricht erhalten, dass die seltsame Alte im Wald Geld und Wertgegenstände hortete, und es war ihm sehr schnell gelungen, Jasprey mithilfe seines Einflusses und des Vertrauens, das die Menschen der Kirche entgegenbrachten, vor den Dorfbewohnern als Hexe darzustellen.
Sie hatte ihm kein Wort gesagt, während der Folter nicht, während der langen Wochen im Verlies der Portree Abbey nicht.
Und jetzt sollte sie brennen.
Die Männer hatten Jasprey mit einem starken Strick an den senkrecht in den Boden gerammten Holzpfahl gefesselt, und zu ihren Füßen war der Scheiterhaufen – dürres, trockenes Reisig, extra für den heutigen Tag gesammelt und gelagert.
Jasprey ließ ihren Blick über die Menge gleiten. Sie spürte tiefe, dumpfe Verzweiflung in sich aufsteigen, als ihr jetzt der Flammentod so nahe war. In der rasenden Menge sah sie bekannte Gesichter. Menschen, denen sie einstmals geholfen hatte und die jetzt verschämt den Blick zu Boden senkten, als Jasprey sie ansah.
Der Inquisitor nahm eine Fackel in die Hand und trat auf Jasprey zu. Er beugte sich vor, bis sein Gesicht beinahe das ihre berührte. Jasprey konnte die Hitze der Flammen neben ihrem Gesicht spüren.
»Das ist die letzte Möglichkeit, mir zu sagen, wo du deine Schätze versteckt hast, elendes Kräuterweib«, zischte er. Speichel sprühte aus seinem Mund und besprenkelte ihr Gesicht.
»Ich werde es Euch nie verraten, Trebleford«, erwiderte sie mit fester Stimme. Sie blickte ihn stolz an.
»Sag es mir, und ich hole dich von diesem Scheiterhaufen herunter!« Seine Stimme klang verlockend, einschmeichelnd.
»Ihr belügt mich. Ich werde so oder so sterben.«
Das Gesicht des Inquisitors verzerrte sich für Sekunden in eine Grimasse des Hasses. Er drehte sich abrupt um und riss die Fackel in die Höhe.
»Sie weigert sich, ihre Freveltaten zu bereuen!«, schrie er dem Volk entgegen. »Möge der Herr sie gnädig aufnehmen!«
Und damit stieß er die Fackel in den Scheiterhaufen.
Sofort züngelten Flammen gierig empor. Eine heftige Hitzewelle wogte über Jaspreys Körper und in den Himmel.
Der Inquisitor trat ein paar Schritte zurück, legte den Kopf in den Nacken und begann, wie irrsinnig zu lachen.
»Ich werde ihn finden, Jasprey, verlass dich darauf! Ich finde ihn!«
Die Hitze wurde immer unerträglicher. Knisternd flogen Funken umher und brannten auf ihrer Haut. Es knackte und loderte gespenstisch. Jasprey verbiss sich den Schmerz. Tränen standen in ihren Augen.
»Niemals! Nur Angehörige meines Blutes können an meine Schätze gelangen!«
Der dürre Mann schüttelte sich vor Lachen. »Das werden wir ja sehen, Hexe! Ich schwöre dir, ich werde nicht eher ruhen, als bis ich den Schatz in meinen Händen halte!«
»So sei es«, murmelte Jasprey mit einem letzten Lächeln.
Dann erreichten die leckenden Flammen ihre Beine.
***
Ich saß vor meiner Schreibmaschine in dem weitläufigen Großraumbüro der Redaktion des London City Observer und grübelte.
Der allgemeine Lärm, die Hektik der umhereilenden Journalisten, das Stimmengewirr und das allgegenwärtige Schrillen der Telefone drang schon gar nicht mehr richtig zu mir durch. Wenn ich wirklich mit einer Sache beschäftigt war, konnte neben meinem Arbeitsplatz im Büro eine Bombe detonieren, und ich würde es nicht bemerken.
Ich starrte missmutig auf das mit wenigen Zeilen beschriebene Blatt Papier, das in meine alte Schreibmaschine eingespannt war.
Martin T. Stone hatte mir einen Auftrag gegeben, der – wie sehr viele seiner Ideen für obskure Stories und Reportagen – zunächst überhaupt keinen Sinn zu ergeben schien. Es ging um Hunde, die in großer Zahl aus dem East End von London verschwunden waren, und irgendein wirrer Säufer war bereit, jeden Eid zu schwören, dass er ein hellerleuchtetes UFO gesehen hatte, das die Hunde in den Nachthimmel getragen hatte.
Ich seufzte innerlich. Wahrscheinlich hatte ich Stone irgendwie verärgert, denn solche undankbaren Aufträge bekamen immer die Journalisten, die sich bei ihm unbeliebt gemacht hatten. Ich hoffte nur, diese Sache möglichst schnell und möglichst zu Stones Zufriedenheit erledigen zu können, um mich endlich wieder meinen wirklichen Interessengebieten widmen zu können.
»Ah, Miss Bannister, wie ich sehe, sind Sie mit einer anspruchsvollen Arbeit bedacht worden!«
Ich wusste schon, bevor ich mich umdrehte, wem diese gehässige Stimme gehörte. Es war Sarah Johnston, eine unserer älteren Journalistinnen.
Ich konnte mir keinen Grund vorstellen, warum sie ausgerechnet mich zu ihrer erklärten Feindin gemacht hatte, denn ich hatte sie nie irgendwie unfreundlich behandelt oder beleidigt. Vielleicht konnte sie es nicht verkraften, dass ich trotz meiner Jugend – ich war gerade mal Mitte zwanzig – schon große Erfolge zu verbuchen hatte. Mein Name war im Zeitungsgeschäft bekannt.
Sarah Johnston arbeitete in der Rubrik Vermischtes, und ihre spannendste Story hatte meines Wissens nach von einem Streik der Angestellten in den Londoner Gastronomiebetrieben gehandelt.
Manchmal dachte ich, dass Martin T. Stone Sarah nur aus Mitleid beschäftigte – ein Wesenszug, den er zwar nicht zu haben schien, der aber, wie jeder Journalist wusste, in Wahrheit bei ihm deutlich ausgeprägt war.
Sarah musterte mich immer noch herablassend, und ich merkte, dass sie auf eine Antwort von mir wartete.
»Ich schreibe über verschwundene Hunde«, erklärte ich, so ruhig ich konnte.
Sarah lächelte böse.
»Eine Ihrer Begabung durchaus angemessene Aufgabe«, erwiderte sie spitz.
Ich seufzte und sandte einen hilfesuchenden Blick in Richtung des Fotos von Tante Bell, das ich an einer der dünnen Steilwände aus Pressholz befestigt hatte, mit denen mein Arbeitsbereich im Großraumbüro abgegrenzt war.
»Ich bin leider beschäftigt, wie Sie sehen«, murmelte ich und deutete mit einem Kopfnicken in Richtung Schreibmaschine. Es hatte keinen Sinn, sich mit Sarah zu streiten.
»Ja, das sehe ich durchaus. Wenn Sie allerdings …«
Sarah wurde unterbrochen.
»Hey, Jessi. Was, in Gottes Namen, machst du hier?«
Ich wandte mich um und sah Jim Brodie. Der junge Mann war mit einer mehrfach geflickten Jeans und einem ausgewaschenen T-Shirt bekleidet, und sein schlaksiger Körper wippte vor mühsam unterdrückter Aufregung hin und her.
»Was meinst du damit?«
»Der Alte ruft seit einer halben Stunde nach dir, und du erscheinst nicht!«, erklärte er vorwurfsvoll.
Ich schluckte trocken. Wenn das stimmte, dass Martin T. Stone nach mir verlangte und ich nicht sofort bei ihm im Büro auftauchte, dann bedeutete das Ärger. In Gedanken richtete ich mich darauf ein, ein halbes Jahr lang über streikende Gastronomie-Angestellte und entführte Hunde schreiben zu dürfen.
Sarah Johnston lächelte immer noch, während sie Jim abfällig musterte. Sie warf ihm einen anzüglichen Blick zu. »Ich sehe, dass sie eine Menge zu besprechen haben. Viel Spaß noch.«
Damit wandte sie sich um und rauschte davon.
Jim wurde rot und rief ihr hinterher: »Einen schönen Gruß an die Gastronomie, Sarah!«
Es war eigentlich kein großes Geheimnis, dass Jim mich sehr mochte. Ich hatte es schon in den ersten Tagen beim Observer bemerkt.
Auch ich fand den jungen Mann sympathisch, aber er war nicht der Typ Mann, in den ich mich hätte verlieben können. So waren wir einfach nur sehr gute Freunde.
Außerdem war Jim seit einiger Zeit mit der jungen Susan Marriott zusammen, die wir bei einem unserer Abenteuer aus der Gewalt der Hüter der blauen Flamme gerettet hatten. Jim schien sie wirklich zu lieben, tief und aus ganzem Herzen …
Ich war jetzt aufgestanden und wandte mich zum Gehen, als Jim mich hastig am Arm zurückhielt.
Ich blickte ihn fragend an.
»Martin T. Stone hat nicht nach dir gerufen«, erklärte er grinsend. Seine Augen blitzten.
»Nicht? Aber wie …«
»Ich musste doch einen Weg finden, um diese blöde Ziege Sarah von deinem Arbeitsplatz wegzuscheuchen«, sagte er und gab mir einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. »Jeder im Observer weiß, dass ihr zwei euch nicht grün seid.«
Ich musste lachen. Jim hatte schon des Öfteren bewiesen, dass er ein Talent dafür hatte, zur richtigen Zeit das Richtige zu sagen – wenn auch etwas vorlaut.
Er ließ mir keine Zeit für eine Antwort, sondern beugte sich vor und schaute auf den Papierbogen in meiner Schreibmaschine.
»Von UFOs entführt – Außerirdische Experimente an Hunden?«, las er stirnrunzelnd. »Meine Güte, Jessi, wenn der alte Eisenfresser einem ein solches Thema zuteilt, dann muss man ihm aber mehr als einmal kräftig auf die Zehen getreten sein!«
Ich lächelte leise. Jim wusste ebenso gut wie ich, wie man Stone zu nehmen hatte – und wie nicht.
In diesem Moment hastete eine kleine, blonde Frau hektisch auf meinen Arbeitsplatz zu. Ihr Haar war zu einem dünnen Türmchen aufgesteckt, und ihre Augen blitzten energisch hinter ihrer randlosen Brille.
Soviel ich wusste, war das Martin T. Stones neue Sekretärin. Die alte hatte aufgrund einiger Meinungsverschiedenheiten sowie ihrer Überzeugung, von Stone hoffnungslos überfordert zu werden, ihre Kündigung eingereicht. Ich fragte mich manchmal, ob es auf dieser Welt überhaupt eine Sekretärin gab, die Stone nicht nach wenigen Wochen vergraulte.
»Jessica?«
Ich nickte mechanisch. Viele Angestellte des Observer duzten mich vertraulich.
»Mister Stone wünscht Sie zu sprechen. Sofort!« Sie bedachte mich mit einem schnellen, beinahe mitleidig wirkenden Blick. »Und er meint sofort!«
Ich warf Jim einen Hilfe suchenden Blick zu, aber er lächelte nur gequält und zuckte mit den Schultern. »Na los, bring es hinter dich. Schlimmer als die UFO-Hunde kann es ja nicht mehr werden …«
***
Mit einem unguten Gefühl näherte ich mich der Tür mit der Milchglasscheibe, die das Arbeitszimmer von Martin T. Stone vom lärmenden Rest des riesigen Büros abschirmte. Der Name des Chefredakteurs war in das Glas eingraviert.
Ich atmete noch einmal tief durch, dann fasste ich mir ein Herz und öffnete forsch die Tür.
Martin T. Stone saß hinter seinem riesigen Schreibtisch, der wie immer vor Notizen, Büchern, Zeitungen, Bildern und tausend anderen Dingen überzuquellen schien. Wenn Stone nicht selbst ein solch kräftiger Mann gewesen wäre, dann wäre er hinter den Papierbergen wohl gänzlich verschwunden, gar nicht mehr zu sehen gewesen.
Stone hob den Kopf leicht von einem Buch, in das er bis eben vertieft gewesen war. In seiner linken Hand hielt er einen grünen Textmarker, mit dem er offenbar einige Passagen in dem Text hervorgehoben hatte.
Er legte das Buch und den Stift nun beiseite und bot mir mit einem leichten Nicken Platz an. Er selbst schwenkte in seinen Ledersessel ein wenig herum, damit er mir direkt ins Gesicht sehen konnte.
Ich setzte mich schüchtern und blickte ihn fragend an.
Stone schien einen Moment zu überlegen, dann fuhr er sich mit einer hektisch wirkenden Geste durch sein dunkles Haar, das an den Schläfen schon ein wenig graumeliert war.
»Sie werden eine kleine Reise machen«, begann er schließlich das Gespräch. »Ich habe eine Story für Sie.«
Ich schwieg erstaunt.
Stone musterte mich wohlwollend von oben bis unten. »Es gibt da eine Sache, auf die ich Sie ansetzen werde. Es scheint mir genau das Richtige für Sie zu sein.«
»Was für eine Story?«, fragte ich vorsichtig. Die entführten Hunde waren mir noch sehr deutlich im Gedächtnis.
»Es ist jemand entführt worden«, erläuterte Stone.
Ich schluckte. Nicht schon wieder!