Juran - Tanja Rast - E-Book

Juran E-Book

Tanja Rast

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Beschreibung

Epische High Fantasy mit Helden, Schlachten, Magie und einer Romanze, die sich wie ein rotes Seidenband durch die Geschichte zieht und weder drohende Niederlagen noch selbst den Tod fürchtet. Seit Jahren lebt der einstige Marschall Juran als scheinbar frommer Mönch in einem Kloster. Das ändert sich, als Vega auftaucht: kühl, stur und nur ihrem Prinzen treu ergeben. Dem soll Juran den Weg zum Thron ebnen. Rasch muss Vega erkennen, dass unter der Kutte nicht nur ein Krieger steckt, sondern ein unverbesserlicher Frauenheld. Doch auf der gemeinsamen Reise entdeckt sie zunehmend liebenswerte Eigenschaften an Juran, dessen Schutzwall zu bröckeln beginnt. Und auch Vega könnte schwach werden, wäre da nicht ihr eigenes düsteres Geheimnis. Die Schatten ihrer Vergangenheit holen sie endgültig ein, als sich die Toten erheben …

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Veröffentlichungsjahr: 2018

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Juran

 

 

 

 

Tanja Rast

 

 

 

 

 

Für Gabrielle

Inhaltswarnungen

 

Kann Spuren von Erdnüssen enthalten!

 

Es gibt Inhalte, die Betroffene triggern können, das heißt, dass womöglich alte Traumata wieder an die Oberfläche geholt werden. Deswegen habe ich für diese Personen eine Liste mit möglichen Inhaltswarnungen für alle meine Romane zusammengestellt:

 

www.tanja-rast.de/inhaltswarnungen

Inhaltsverzeichnis
1 Bruder Juran
2 Von Königen und Vergangenheit
3 Dorfleben
4 Flussquerung
5 Schülerin und Meister
6 Der Marschall
7 Fahnenflüchtige
8 Träume aus Dunkel
9 Aus Gräbern und Schlamm
10 Nach der Schlacht
11 Metis Hald
12 In der Stadt
13 Schwarze Magie
14 Heimweg

 

Die Autorin

1.

Bruder Juran

 

Das Kloster lag auf einer kleinen Anhöhe und schien wohlgefällig auf das fruchtbare Tal hinab zu lächeln. Oder selbstgefällig, auch das war möglich.

Der Wagen rumpelte über eine befestigte Straße zum großen Gebäudekomplex hinter dicken Mauern hinauf. Das Tor stand einladend offen. Zwei Mönche verbeugten sich tief und in offenkundiger Demut, als das Fahrzeug vorbei und auf den gepflasterten Innenhof fuhr.

Vega blickte aus dem Fenster auf die beiden Männer hinab, sah blaue, staubige Kutten und kahlgeschorene Köpfe. Nichts Bemerkenswertes, und schon gar nicht das, weswegen sie hierhergekommen war. Sie fühlte Anspannung und Sorge, da sie jetzt das erste Ziel erreicht hatte.

Das Hauptgebäude grenzte direkt an den Hof an, aber rechts und links lag freies Gelände. Obstgärten und kleine Felder wurden von Mönchen bewirtschaftet. Vega blickte sich neugierig um. Auf einem Getreidefeld nahe der Umfassungsmauer wurde sie fündig.

Sie holte tief Luft und lächelte. Es kam ihr vor wie ein Zeichen einer höheren Macht, dass sie ihn gleich nach ihrer Ankunft im Kloster sah. Er musste es sein.

Er stand mitten auf dem Acker, der schon zur Hälfte abgeerntet da lag. Die Sonne brannte vom Himmel, und der Mönch hatte seine Kutte von den breiten Schultern geschoben, sodass nur sein Gürtel den blauen Wollstoff über seiner Hüfte hielt. Außerdem, Vega sah es mit einem breiteren Grinsen, hatte der Mönch die normalerweise bodenlange Kutte geschürzt, sodass er ihr einen freien Blick auf muskulöse Waden preisgab, ohne es zu wissen.

Seinetwegen war sie hier. Sie war sich sicher, dass er der Mann sein musste, wegen dem sie eine äußerst ermüdende Reise hinter sich gebracht hatte. Sie sah ihn nur von hinten, aber das reichte vollkommen.

Er überragte jeden anderen Mönch. Ein so breites Kreuz, so starke Arme bekam man nicht vom Unkrautjäten. Er war sonnenverbrannt, was die Muskelstränge nur noch mehr betonte. Krass und weiß hoben einige Narben sich von der gleichmäßig dunklen Haut ab.

Dieser Kerl war niemals von klein auf an ein Mönch gewesen. Spätberufen, wie man das hier nennen mochte, war er ins Kloster gekommen. Was er vorher gewesen war, schrie jeder Zoll seiner hünenhaften, wuchtigen Gestalt dem Betrachter entgegen.

Ein Krieger. Aber nicht irgendein Krieger.

Juran, Marschall des Königs.

Und genau das sollte er wieder werden!

Der Wagen hielt an. Einer der Begleiter kletterte vom Kutschdach und öffnete den Schlag. Vega atmete noch einmal tief ein und stieg dann leichtfüßig und immer noch lächelnd aus. Sie konnte den Blick nicht von Juran wenden. Das war er, ganz bestimmt. In diesem Kloster konnte wohl kaum noch ein zweiter Krieger seines Formats Unterschlupf gefunden haben.

Sie hatte bloß die verschwommenen Erinnerungen ihrer Kindheit an diesen Mann. Doch wenn nur die Hälfte der Geschichten über ihn der Wahrheit entsprach, war Vegas Auftrag schon jetzt ein voller Erfolg. Falls sie den Marschall aus seinem sicheren, friedlichen Kloster zerren konnte.

Sie löste den Blick von diesem breiten Rücken, als eine Schar alter Mönche zum Wagen kam. Sie trugen Schüsseln mit Wasser und grobe Tücher. Die Sitten eines Klosters. Ein Gast musste sich reinigen können, bevor man auch nur mit ihm sprach. Wie hatte Juran es hier nur so lange ausgehalten?

Sie wusch sich artig die Hände und erkannte an fünf entsetzten Augenpaaren, dass diese ach so keuschen Männer gerade verstanden hatten, dass eine Frau in ihrer Mitte weilte. Ob die armen Kerle sich vor ihr fürchteten? Ob es reichte, einmal laut zu rufen, um diese alten Männer in wilder Flucht davon stürzen zu sehen?

Sie taten ihr leid, bemerkte Vega verwundert. Ihr ganzes Leben hier eingesperrt und von der Welt ferngehalten. Keiner von denen hatte je mit einer Frau geschlafen und musste bei unzüchtigen Gedanken garantiert zwei Stunden zusätzlich zur Strafe beten.

Mit einem Lächeln bedankte Vega sich für die Ehrerbietung, die man ihr erwiesen hatte. Sie freute sich über den Luxus, denn es war warmes Wasser, und sogar ein kleines Seifenstückchen war ihr gereicht worden. Eine Wohltat nach langer Reise. Aber Vega überließ es einem ihrer Begleiter, um eine Audienz beim Vorstand des Klosters zu bitten. Schlimm genug, dass die armen Mönche eine Frau in ihrer Mitte ertragen mussten.

Sie trat einen Schritt zurück und lächelte zufrieden, während sie ihrem alten Lehrer Tigenus zuhörte. Er machte das ganz wunderbar und sehr diplomatisch, fand sie. Er klang höflich und bescheiden. Was kein Wunder war, da er sein ganzes Dasein als Diener verbracht hatte. Ein Lehrer stand lange nicht so hoch im Ansehen wie ein guter Stallmeister. Tigenus war genügsam, er musste nicht so tun als ob.

»Wir erbitten eine Audienz beim Vorstand dieses Klosters. Und wenn es möglich ist, möchten wir eine Nacht seine Gastfreundschaft genießen. Ich weiß, dass dies ungewöhnlich ist, da wir eine Frau ins Kloster gebracht haben. Aber es ist wichtig.«

Allgemeines Getuschel. Vega sah über die Schulter zum Feld. Juran hatte sich – neugierig oder einfach aufmerksam – halb umgedreht. Sie sah ein kantiges Gesicht unter kurz geschorenem Haar und fragte sich, welche Farbe seine Augen wirklich hatten. Sie kannte ihn nur aus der Ferne und aus der unzuverlässigen Erinnerung der Kindheit. Zumindest der erste Eindruck enttäuschte sie nicht. Doch sie hatte Angst, dass der Marschall im Kloster alt oder weich geworden sein könnte.

Dann hätte sie ein Problem. Eines anderer Art als die schlichte Weigerung des Marschalls, sie zu begleiten. Vega wog beide Möglichkeiten gegeneinander ab. Die Vorstellung, einen Mann zurückzubringen, der seine Blüte hinter sich hatte, der nur noch dumm, fromm und untauglich für seine Aufgabe war, schnürte ihr die Kehle zu. Dann war es wirklich besser, wenn er diesen Hort nicht verlassen wollte.

Die Mönche gaben zu verstehen, dass sie den Vorstand benachrichtigen würden. Der Älteste von ihnen wagte schließlich, nach Knechten zu rufen, die die Zugtiere versorgen sollten. Dann sah er die Besucher des Klosters ein wenig unsicher an. »Ich bringe euch ins Gästehaus. Wir werden für eine warme Mahlzeit sorgen.«

Tigenus nickte und bedankte sich höflich.

Vega folgte den Männern und streichelte im Vorbeigehen das Zugtier. Sie fühlte dicken Schuppenpanzer über gewaltigen Muskelpaketen unter ihren Fingern. Die große Echse grunzte freundlich, offenkundig dankbar für die Liebkosung. Vega trat einen Schritt beiseite und streichelte auch das zweite Zugtier, bevor sie sich eilig den Männern anschloss, ehe sie diese im Gewirr der Klostergebäude aus den Augen verlieren konnte.

Stallungen, Lagerscheunen, dazwischen die Wohnhäuser der Knechte. Mägde gab es hier natürlich nicht. Wie überlebten die Mönche es, dass im Schatten des Klosters mehrere kleine Dörfer und noch kleinere Weiler lagen, in denen selbstredend Frauen lebten und Kinder geboren wurden? Oder war das weit genug weg? Wie hatte Juran das überstanden? War er keusch geblieben, wie die Regeln des Klosters es von ihm verlangten? Vega grinste ein wenig böse. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie der Marschall nachts über Mauern kletterte, um sich in einem Stall oder notfalls mitten auf dem Feld zu einer Verabredung mit einer Dorfschönheit einzufinden. Den Ruf eines Weiberhelden hatte er in der Hauptstadt Metis Hald auf jeden Fall gehabt.

Konnte ein Mann sich von einem Tag auf den anderen wirklich so ändern, dass er brav und tugendsam im Kloster hockte, während keine halbe Stunde Fußmarsch entfernt Mädchen nach ihm vergingen?

Vega rief sich selbst zur Ordnung, während sie leichtfüßig hinter den Männern hereilte. Es war gar nicht gut, wie sie über Juran dachte. Überhaupt nicht. Dazu war sie nicht hierhergekommen. Sie würde bestimmt nicht schmachtend zu seinen Füßen sitzen, seinen Heldenerzählungen lauschen und vor Sehnsucht nach seiner Berührung vergehen.

Aber er musste gut im Bett sein, nicht wahr? Bei all der Übung, über die hinter vorgehaltenen Händen getuschelt wurde – noch heute!

Doch Vega war nicht den langen Weg gekommen, um die Wahrheit hinter diesen Gerüchten zu erforschen. Sie war hier, weil das Reich seinen Marschall dringend brauchte. Der Thronfolger rief nach seinem besten Mann, doch dieser hörte die Rufe nicht, da er sich hinter Mauern, Keuschheitsgelübde und Gebeten verschanzte. Vega war zum Kloster gekommen, damit Juran die Stimme seines Prinzen vernahm. Oh, sie würde dafür sorgen, dass der alte Mann dieser Stimme lauschte und sich den Befehlen beugte, die sie ihm übermittelte!

Er musste einfach gehorchen. Vega kannte seinen Charakter und seine Auffassung von Ehre nur aus Erzählungen. Doch war Vega überzeugt, dass Marschall Juran nicht einen Augenblick zögern würde, dieses triste Asyl sofort zu verlassen.

Sie trat durch den Torbogen, wo ein Mönch mit missbilligender Miene auf sie wartete. Ganz offenkundig wurde Bummeln hier nicht gerne gesehen. Vega war es gleich. Die Mönche durften von ihr denken, was sie wollten. Sie waren nutzlos für ihren Prinzen.

Angenehme Kühle nach der Hitze zwischen den Gebäuden empfing sie. Sie konnte freier atmen und wischte sich Schweiß von der Stirn.

Das Gebäude roch ein wenig feucht, als würde es nicht oft benutzt werden. Wann verirrten sich schon einmal Besucher in diese Einöde? Ganz offensichtlich nicht häufig.

Vega folgte dem griesgrämigen Mönch in eine geräumige Halle mit großem, rußigem Kamin und Tischen und Bänken aus Holz. Ihre Begleiter luden gerade das Gepäck ab und sahen sich ein wenig unsicher um.

Sie nahm auf einer der Bänke Platz und winkte Tigenus zu sich, kaum dass die Mönche unter Verbeugungen gegangen waren.

»Wie lange mag es dauern, bis wir den Vorstand sprechen können? Muss ich mich ihm gegenüber ebenfalls im Hintergrund halten?«

»Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, Hohe Dame. Vielleicht einige Stunden. Der Vorstand ist zwar das Oberhaupt dieser Gemeinschaft, aber ohne Beratungen mit den Ältesten wird auch er keine Entscheidungen treffen. Es gibt kleinere Zimmer im ersten Stock. Du solltest dir als Erste eines aussuchen. Wir tragen dir dein Gepäck hoch.«

»Aber wie lange müssen wir wohl warten? Und fallen alle Mönche in Ohnmacht, wenn ich draußen spazieren gehe und mich ein wenig umsehe?«

Tigenus lächelte. »Hohe Dame, alleine wirst du dich hier nicht bewegen können. Ich komme gerne mit dir, wenn du an die frische Luft willst. Und zu deiner ersten Frage: Ich erwarte, dass man uns erst eine Mahlzeit servieren wird, bevor wir an eine Begegnung mit dem Klostervorstand auch nur denken dürfen.«

»Verdammt!«

»Tu das bitte nicht in Gegenwart von Mönchen, Hohe Dame.«

»Was?«

»Fluchen. Schlimm genug in den Augen dieser Männer, dass du nicht in langen Röcken und verschleiert bist.«

»Und dass ich keine Frau zur Gesellschaft und zum Hüten meiner Moral bei mir habe?«

»Das auch.« Sein Lächeln inmitten des weißen Barts wurde etwas deutlicher.

Vega nickte. »Damit müssen sie leben. Ich lasse mir keine Vorschriften machen, wie ich mich zu benehmen habe. Ich will ihren Erwartungen an das Betragen einer Frau auch gar nicht entsprechen. Je furchtbarer sie meine Anwesenheit in ihrem Haus finden, desto schneller kriegen wir diese Audienz. Tigenus, ich glaube, ich habe ihn gesehen!«

»Den Vorstand?«, fragte er verwirrt.

Sie wedelte mit einer Hand, als würde sie eine Fliege verscheuchen. »Nein: Juran! Ich bin mir ganz sicher, dass er es gewesen sein muss. Ein riesiger Kerl mit Muskeln wie gesponnener Stahl. Ich will ihn mir noch einmal aus sicherer Entfernung ansehen.«

»Vielleicht nicht gerade jetzt …«

»Aber in einer halben Stunde oder noch später muss er bestimmt zu irgendeinem Gebet. Komm, Tigenus, jetzt!«

Sie sprang auf und packte ihren Lehrer an der Hand, um ihn energisch hinter sich herzuziehen. Im Torbogen hielt sie an und drehte sich zu den Männern um. »Ich nehme das erste Zimmer links. Mir doch egal, wie es aussieht. Ich habe nicht vor, lange hierzubleiben.«

»Hohe Dame«, wollte Tigenus noch einmal einwenden, aber sie zog ihn mit sich aus dem Gästehaus hinaus.

Schweiß trat ihr aus den Poren, als sie in die Sonnenhitze kam. Aber sie begrüßte die frische Luft und den hellen Schein des Himmelsgestirns. Alles war besser, als in diesem muffigen Haus zu hocken und darauf zu warten, dass ein alter Mann mit Furcht vor Frauen zu einer Audienz lud.

Vega wusste, dass Ungeduld ihre größte Charakterschwäche war. Aber sie beschloss, dass sie damit umgehen konnte. Sie wollte Juran sehen. Einem Gespräch musste sie noch aus dem Weg gehen, bis der Klostervorstand ihr dazu die Erlaubnis gab. Es war natürlich ein Ding der Unmöglichkeit für eine Frau, einfach einen Mönch anzusprechen. Wie albern!

Wie hatte der Marschall des Königs das nur jahrelang überstanden? Früher hatte er alle Befehle gegeben, die Anweisungen seines Königs notfalls sogar ignoriert oder zumindest abgewandelt, bevor er sie an seine Armeen weitergereicht hatte. Jetzt und hier musste Juran auch dem unsinnigsten Gebot gehorchen, demütig den Kopf senken und hatte bestimmt mehr als eine Moralpredigt über sich ergehen lassen müssen. Ein Krieger im Kloster, ein Wolf unter Lämmern – der vor dem Oberschaf auf die Knie fiel und Gehorsam versprach. Das musste ihm doch in der Seele wehtun!

Vega empfand es schon als furchtbar, wenn sie sich nur vorstellte, in einer ähnlichen Lage zu sein.

»Wir wollen nach unseren Tieren sehen. Das wird wohl selbst der Vorstand nicht übel nehmen können«, sagte Vega und strebte auf die Stallungen zu. Der Wagen stand neben einem großen Tor. Es war also anzunehmen, dass die Echsen in genau diesen Stall geführt worden waren.

Im Hauptbau wurde ein Gong geschlagen, und Vega beschleunigte ihre Schritte, wobei sie Tigenus einfach mit sich zog. Sie wollte noch einen Blick auf den Marschall erhaschen, bevor der sich im Gebet vor dem Altar zu Boden warf und der Welt noch ein Stück mehr entrückt war. Sie wollte ihn gerne von vorne und vor allem aus direkter Nähe sehen, besorgt überprüfen, ob er einen Wohlstandsbauch bekommen und Fett angesetzt hatte. Männern in seinem Alter geschah das allzu rasch, wenn sie nicht mehr in ständiger Waffenübung standen.

Aber sie wurde enttäuscht. Vom Feld her kam eine Gruppe Mönche, alle brav in ihre knöchellangen Kutten gehüllt, die Kapuzen über die Köpfe gezogen, diese gesenkt, sodass selbst Vegas spähender Blick nicht mehr die Gesichter im Schatten erkennen konnte. Einzig an seiner Körpergröße erkannte sie den Marschall mühelos, der seine Begleiter leicht und weit überragte.

Sie biss zornig die Zähne zusammen und stieß erbost das Tor auf, wobei sie Tigenus zuflüsterte: »Ich konnte nichts mehr erkennen. Werden die Knechte auch zitternd vor einer Frau zurückweichen? Müssen die sich ebenfalls an die Klosterregeln halten?«

»Sie tragen nicht die Kutte des Gottes. Sie werden Frauen in den Dörfern haben. Und Kinder.«

Vega kicherte böse. Doch selbst den Mönchen sollte klar sein, dass es ohne sündige Weiber, die Ehe und auch Sex keinen Nachschub an gottesfürchtigen Klosterschülern gab, die irgendwann die blaue Kutte überstreiften und dann ebenso keusch waren oder taten wie der Rest. Eine Welt ohne Frauen wäre auch eine Welt ohne Gottesdiener. Konnten die Mönche das noch erkennen und verstehen?

Ein Knecht kam ihnen entgegen, verbeugte sich wortlos und wies auf die beiden Echsen, die in geräumigen Abteilungen untergebracht, zugedeckt und gefüttert worden waren.

Als erinnerten sie sich an Vegas Freundlichkeit, hoben beide die massigen Schädel und grunzten leise.

Ohne zu fragen, ob ihr das erlaubt wäre, griff Vega zwei Äpfel aus einem Korb und fütterte die großen Tiere, die ihr die Früchte sanft aus den Händen nahmen und genüsslich kauten. Apfelsaft vermischt mit Speichel tropfte aus den gewaltigen Kiefern.

»Schlaft gut, ihr Braven. Ihr habt uns gut hierhergebracht. Genießt die Ruhepause, denn wir müssen bald weiter.«

Wieder sanftes Grunzen, bevor die Echsentiere die Köpfe senkten und Heu kauten. Zumindest diese beiden waren zufrieden.

»Gehen wir zurück?«, fragte Tigenus, und Vega hörte, wie schwer es ihm fiel, ihre Ehrenanrede zu unterdrücken. Sein Leben lang war er ein Diener, und nun musste er anders denken und vorsichtig sein.

Vega tätschelte ihm die Schulter und lächelte. »Ja, wir gehen zurück. Die beiden sind gut versorgt. Jetzt kann ich beruhigt selbst etwas essen.«

Tigenus nickte und lächelte erleichtert, bevor er sie wieder aus den Stallungen führte.

Der Hof war wie leergefegt. Keine blaue Kutte mehr weit und breit.

»Wie vertraut bist du mit den Regeln dieses Klosters?«, fragte sie leise.

»Ich habe mich vor unserer Abreise so umfassend wie möglich informiert. Dieses Kloster dient dem Gott der Fruchtbarkeit …«

»Fruchtbarkeit? Und alle Mönche nehmen die Knie zusammen, sobald sie eine Frau sehen?«

»Fruchtbarkeit der Felder, Wälder und Tiere, Hohe Dame.« Ihr guter alter Tigenus klang tatsächlich ein wenig schockiert über ihre Respektlosigkeit. Dabei kannte er sie von klein auf an und sollte doch wirklich verstanden haben, dass Regeln für Vega nur dem Zweck dienten, gebrochen zu werden.

»Nicht der Mönche. Arme Kerle.«

»Wenn dich jemand hört!«

»Keine Sorge, die liegen alle vor dem Altar und beten. Oder warum sonst hat der Gong sie gerufen?«

»Zum Gebet, zu einer Besprechung, die sehr gut uns betreffen könnte. Vielleicht auch zum Essen.«

»Also werden Knechte uns unser Essen bringen?«

»Entweder das, oder einige Mönche haben eine Sondererlaubnis bekommen, dem Gebet fernzubleiben, um uns zu versorgen. In einer solchen Gemeinschaft kann nicht alles Knechten überlassen werden. Du hast selbst die Mönche auf den Feldern gesehen. Ebenso werden sie in der Küche und in den Stallungen arbeiten. Die Knechte sind nur zur Unterstützung hier, weil stets mehr zu tun ist, als die Mönche alleine schaffen können.«

Vega nickte und ließ sich weiter zu ihrem Quartier zurückführen. »Und was machen die Mönche sonst den ganzen Tag?«

»Arbeiten, beten – das reicht ihnen, und alles dient der Ehre des Gottes.«

Vega schüttelte sich vor Abscheu. Was für ein Dasein, das nicht einmal durch die Freuden des Familienlebens gemildert wurde. Und das hatte Juran mehr oder weniger freiwillig auf sich genommen? Das konnte Vega nicht glauben. Sie war gespannt, wie viel sie aus dem Marschall herausbekommen konnte, wenn er ihr nur endlich in die Hände geriet.

Das Haus roch nicht mehr ganz so muffig wie zu Beginn. Die Männer hatten das Gepäck auf Zimmer verteilt und jedes Fenster weit aufgerissen. Die Wärme des Tages war leichter zu ertragen als der feuchte Mief im Haus. Es roch, als würde in jeder Ecke Moos und Schimmel wachsen. Doch nun wurde es rasch besser.

»Vielleicht möchtest du dein Zimmer besichtigen, Hohe Dame?«, schlug Tigenus vor, und sie beugte sich seinem vorsichtigen Ansinnen. Er wollte sie für den Augenblick aus dem Gemeinschaftssaal heraushaben, damit sie keine Mönche verschrecken und somit ihre eigene Mission erschweren konnte.

Vega stieg die Treppe hinauf und stieß die erste Tür links auf. Ihr Gepäck stand auf dem Boden vor einem schmalen Bett. Auch hier war das Fenster geöffnet, und Vega trat an die breite Fensterbank, stützte die Ellenbogen auf das vom Sonnenschein erwärmte Holz, legte das Kinn in die Hände und sah nach draußen.

Hühner zogen würdevoll wie aufgeblasene Federkugeln ihre Runden, kratzten unter Bäumen und auch auf einem frisch umgegrabenen Feld. Stille lag lastend über dem Kloster. Hin und wieder sang ein Vogel, blökte eine Echse im Stall.

Vega hob überrascht den Kopf, als sie eine verdammt große Katze aus einer Scheune auftauchen sah. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie kannte Katzen wie diese! Ihr Vater hatte sie früher gezüchtet und war sehr stolz auf die Ergebnisse seiner Mühen gewesen. Dies war ein besonders schönes Exemplar in warmen Goldtönen mit schimmernden, hellbraunen Klecksen im Fell. Der kleine, wilde Kopf pendelte zur Seite, als das Tier die Hühner betrachtete, dann wie ein gelangweilter Mensch die Schultern zuckte und auf einer schurgeraden Linie zum Hauptbau des Klosters ging. Weich bewegte sich der muskulöse Körper auf großen Tatzen.

Vega sah der Katze nach, bis diese über eine niedrige Mauer sprang und im Grün hinter dem Hauptbau verschwand.

Unten im Gemeinschaftssaal brandeten Geräusche auf – kein Lärm, immerhin war dies ein würdevolles Kloster. Vega löste sich von der Fensterbank und trat zu ihrer Zimmertür, um zu lauschen. Sie hörte Schüsselklappern und leise Stimmen. Das Essen war also da.

Wie als Zeichen, dass es ihr Magen gewesen war, der die letzten Worte gedacht hatte, knurrte dieser vernehmlich. Vega drückte eine Hand auf ihre flache Bauchdecke und wartete ungeduldig, dass Tigenus nach ihr rufen oder sie höflich sogar abholen würde – sobald die verängstigten Mönche das Gebäude verlassen hatten.

Was für Geschichten erzählte man den Jungen, wenn sie ins Kloster zogen, um sie von den Verlockungen der Frauen fernzuhalten? Machte man ihnen Angst? Und konnte ein Spätberufener, der sich voller Ehrfurcht dem Leben der Gemeinschaft anschloss, diese Gruselgeschichten noch glauben, da er doch Frauen kennengelernt hatte und wusste, dass diese keinesfalls Männer zum Frühstück fraßen? Konnte Juran, der angeblich in ungezählten Betten gelegen hatte, die Schauermärchen auch nur einen Herzschlag lang ohne mühsam unterdrücktes Gelächter anhören? Ganz bestimmt nicht!

Es klopfte leise an der Tür, und Vega öffnete. Tigenus stand vor ihr und sagte schlicht: »Essen. Frisches Brot, Obst und kaltes Fleisch.«

»Haben Mönche es gebracht?«

Er nickte und setzte hinzu: »Danke, dass du abgewartet hast. Sie schlichen herein wie geprügelte Hunde.«

»Ob Juran auch so ist? Ob sie es geschafft haben, ihn so zu verändern?«

»Hohe Dame, er wird sich an seine Eide halten.«

»Das meinte ich nicht!«, sagte sie empört und fühlte, wie ihr Röte aus dem Kragen stieg.

Tigenus sah sie nur an und schwieg.

Natürlich hatte sie das nicht so gemeint! Sie war nicht darauf aus, einen alternden Helden des Königreichs zu verführen, verdammt. Sie wollte nur den Marschall dorthin bringen, wo er gebraucht wurde, wo seine Talente nicht länger brachlagen. Sollte er doch keusch bleiben, alle zwei Stunden beten und sich ausnahmsweise nicht durch alle verfügbaren Betten arbeiten! Umso besser, wenn er sich an seine Klostereide hielt, dann hatte er mehr Zeit, sich mit wichtigeren Dingen zu beschäftigen. Und mehr Kraft.

Sie rauschte an ihrem Lehrer vorbei und hastete die Treppe nach unten.

 

Vega war froh, dass das Gästehaus abseits des Hauptgebäudes, vom Tempel und den übrigen von Mönchen intensiv genutzten Häusern stand.

Kaum hatte sie die Schwelle des Klosterhauses übertreten, als sie auch schon eilig eine Falte ihres Schals nach oben zog und fest vor Mund und Nase hielt. Sie kannte Räucherwerk aus den Tempeln in Metis Hald. Aber diese dicke Rauchwand stellte alle bisherigen Erfahrungen in den Schatten.

Tigenus griff hilfreich nach ihrem Oberarm. »Geht es?«, fragte er leise.

Sie nickte, kniff die Augen halb zu und marschierte entschlossen weiter. Einer der alten Mönche vom Vortag führte sie durch hallende Gänge, in denen der Rauch wie Nebelfäden hing.

Verdammt, die halbe Nacht hatte der Gong sie wach gehalten, wenn er wieder und wieder die Mönche zum Gebet gerufen hatte. Kein Wunder, dass die Männer zu mehr als Beten und Gartenarbeit nicht taugten.

Ein Tor schwang auf, und Vega und Tigenus betraten die Gemächer des Vorstands. Ein sonniges, geräumiges Zimmer, fand Vega. An den Wänden hingen Szenen aus dem heiligen Buch des Ordens, kunstvoll mit Edelsteinfarben auf flachen Holzplatten angefertigt. Es roch nach Bienenwachs, Räucherwerk und ehrwürdigem Alter.

Tigenus und Vegas übrige Begleiter verbeugten sich leicht vor dem Klostervorstand, und Vega tat es ihnen zähneknirschend nach. Vielleicht würde es reichen, Marschall Juran an den Falten seiner Kutte zu packen und ihm ins Gesicht zu schreien, dass er gebraucht wurde, dass es keinen Grund für ihn mehr gab, sich hinter Klostermauern zu verschanzen. Dass die Zeit der Ausreden einfach vorbei war und er sich zu rühren hatte, weil Reich und Prinz ihn brauchten. Doch ohne das Einverständnis des Klostervorstands konnte der Mönch sein Dasein in dieser Gemeinschaft nicht aufgeben, durfte Vega noch nicht einmal mit dem ehemaligen Oberbefehlshaber der Armee sprechen.

Es war ihr egal. Wenn dieser alte Kerl auf seinem thronähnlichen Stuhl nicht parierte, würde sie trotzdem zu Juran gehen. Sie war sich sicher, dass sie ihn zum Mitkommen bewegen könnte. So viel Ehre musste er noch im Leib haben. Wenn Pflichtgefühl und Gehorsam nicht reichten, dann war der Marschall gewiss immer noch stolz genug, um sich nicht zu verkriechen, während er gebraucht wurde.

Tigenus trat vor und legte dem Vorstand eine Pergamentrolle in die welken Hände. »Wir reisen unter dem Siegel des Thronfolgers, Ehrwürdiger. Und wir …«

»Ihr seid hier, um Bruder Juran um Unterstützung zu bitten«, unterbrach der alte Mann und sah auf das königliche Siegel hinab. Er atmete tief durch.

Vegas Kopf ruckte hoch. Woher wusste der alte Kerl das? Wenn er Gerüchte gehört hatte, dann konnten diese auch schon anderen Personen zu Ohren gekommen sein – den falschen Personen!

»Ja, ich denke, das ist eindeutig, wenn der Prinz uns sendet«, antwortete Tigenus freundlich.

»Zur Unterstützung oder will sein König jetzt Rache an ihm üben? Bruder Juran ist ein wertvolles Mitglied unserer Gemeinschaft. Er ist fromm, arbeitsam und schier unermüdlich. Ich werde nicht meine schützende Hand von ihm abziehen, nur weil ein König nach seinem Blut dürstet.«

Tigenus warf einen besorgten Blick zu Vega. Ja, jetzt war es an der Zeit, fand sie. Sie trat mit einem Lächeln vor. »Der König, dessen Rache du fürchtest, ist tot. Wir sind offenbar schneller gereist, als diese Nachricht durch das Königreich gejagt ist. Es ist sein Sohn, der die Hilfe des Marschalls braucht.«

»Die Hilfe Bruder Jurans. Er ist kein Marschall mehr«, antwortete der Alte milde. »Aber es liegt in der Macht des jungen Thronerbens, Bruder Juran wieder dieses Amt zu übertragen. Wenn Bruder Juran mit euch gehen möchte.«

»Ich denke, das liegt auch in deinen Händen, nicht wahr, Ehrwürdiger?« Vega legte den Kopf ein wenig schräg und lächelte freundlich. Dieser alte Mann war nicht halb so senil, wie sie befürchtet hatte. Vielleicht war das gut, aber möglicherweise erschwerte es auch alles.

»Ich diene meinem Gott, liebes Kind. Ich habe keinen Herrn außer ihm. Das ist etwas, was für Könige und Fürsten sehr schwer zu verstehen ist. Vor sechs Jahren kam ein entehrter Marschall hier an und bat um Aufnahme in unseren Orden. Er war auf der Flucht vor der Wut seines Königs, wie er mir ebenso glaubhaft versicherte, wie Gerüchte über seine überstürzte Abreise aus Metis Hald mir schon berichtet hatten. Aus dem Marschall Juran wurde Bruder Juran. Er ist ein guter Mönch und ein Bruder, über dessen Anwesenheit wir uns freuen. Ich kann keinem König gehorchen, wenn mein Gott mir anderes befiehlt. Aber ich achte den freien Willen der Menschen, denn auch er ist ein Geschenk meines Gottes.«

Vega ballte im Schutz ihres Mantels die Hände zu Fäusten. Jeder hatte dem König zu gehorchen. Der alte Mann sollte sehen, welchen Schutz sein Gott bedeutete, wenn Kriegsmaschinen vor den Toren standen, wenn marodierende Soldatenbanden die Klosterschätze plünderten und die Vorräte wegtrugen. Dazu würde es kommen, wenn das Reich seinen Marschall nicht zurückbekam!

»Ich halte Bruder Juran nicht auf. Ich werde mit ihm sprechen und ihm den Befehl – es ist doch ein Befehl? – seines Königs übermitteln. Aber es ist seine Entscheidung, ob er sein Leben im Dienste des Gottes – wenn auch vielleicht nur vorübergehend – aufgeben will. Er wird alleine entscheiden, ob er in die Welt zurückkehren möchte und kann, die ihn verstoßen hat.«

Vega wollte eine scharfe Antwort geben und hielt sich nur mit Mühe zurück. Wusste der Vorstand nicht, warum Juran vor der Rache des Königs hatte fliehen müssen? Oder stellte der Kerl sich absichtlich dumm? Konnte Frömmigkeit das Hirn soweit erweichen, dass ein Klostervorstand nur noch das als wahr erkannte, was er so sehen wollte?

Fest biss Vega sich auf die Unterlippe. Mit Königen war es wohl nicht anders.

Der Vorstand sah sie an, lächelte zahnlos und nickte. »Ich werde mit ihm sprechen und ihn bitten, euch im Gästehaus aufzusuchen. Ich bin kein Tyrann, und ich werde keinen meiner Brüder gegen dessen Willen zu etwas zwingen. Aber er wird euch aufsuchen und eure Argumente anhören. Das kann ich versprechen.«

Das ist wenig genug, verdammt, dachte Vega bitter. Aber wo bei diesem Kerl Hopfen und Malz verloren waren, weil er schon seit Jahrzehnten in seiner frommen Hochburg hockte und sein kleines bisschen Macht genoss, konnte es vielleicht ganz einfach sein, den Marschall zu überzeugen. Der besaß hier nicht einen Funken seiner gewohnten Befehlsgewalt. Das musste doch an ihm nagen.

 

Wieder hieß es warten, im Gästehaus herum hocken und darauf lauern, dass ein Mönch es betrat. Meistens brachten sie nur Essen und verschwanden hastig wieder. Einer kam und erklärte, dass der Vorstand des Klosters die Wünsche der Gäste bei der Abendversammlung der Bruderschaft besprechen wollte. Ein weiterer Tag Verlust! Vega kochte vor Wut.

In einem unbeobachteten Moment schlüpfte sie aus dem Haus. Sie brauchte Luft und Platz, sie lechzte nach einem Spaziergang, nach irgendeiner Abwechslung, die ihr die Wartezeit verkürzte.

Sie wanderte entlang der Außenmauer des Klosterhauptbaus. Schließlich blieb sie stehen und legte den Kopf in den Nacken. Diese verzierten Fenster über ihr gehörten zu den Gemächern des Klostervorstands, dessen war sie sich sicher. Die Fensterflügel standen ein Stück weit auf, Rauch zog nach draußen.

Vega sah sich behutsam in alle Richtungen um. Sie war ganz alleine hier. Vor nicht allzu langer Zeit war der Gong geschlagen worden. Sie spitzte die Ohren. Ja, von dort oben vernahm sie leise Stimmen. Also lagen nicht alle Mönche platt am Boden zur Lobpreisung ihres Gottes.

Noch einmal sah sie sich verstohlen um, dann trat sie an die Mauer heran, betrachtete mit einem Lächeln den am Gemäuer nach oben rankenden Wein und suchte sich einen stabilen Ast aus.

Sie war klein und leicht, und nachdem sie probeweise am Stamm gerüttelt hatte, war sie sich sicher, dass der Wein ihr Gewicht mühelos tragen würde. Außerdem war die Fassade unter dem wuchernden Gewächs mit vielen Vorsprüngen und Simsen verziert. Vega war schon an Gebäuden hinaufgeklettert, deren Mauern erheblich weniger Halt geboten hatten!

Sie klomm rasch und lautlos nach oben, duckte sich hin und wieder in das üppige Laub des Weins und sah sich um, ob vielleicht doch gerade jetzt ein Mönch, Knecht oder einer ihrer eigenen Begleiter unter ihr entlang ging.

Endlich erreichte sie ein gemütliches Plätzchen direkt unter dem Fenster. Sie konnte sich in eine breite Astgabelung setzen, sich dicht an die Mauer drücken und hoffte, so ziemlich unsichtbar zu sein.

Die Stimme des Vorstandes erkannte sie mühelos. »Es ist deine Entscheidung. Das habe ich unseren Gästen auch gesagt. Sie legten mir ein Dokument mit königlichem Siegel vor. Ich gehe davon aus, dass sie die Wahrheit sagten.«

Eine tiefe Stimme mit dem unverkennbaren Akzent von Metis Hald antwortete. Der Mann klang gereizt, aber beherrscht. »Sie sind die Ersten, die vom Tod des Königs berichten. Ehrwürdiger, du weißt, warum ich in diesem Orden Schutz suchte. Wir beide fürchten seit Jahren, dass ich unter Beobachtung stehe. Es wäre keine gute Idee, wenn ich auf ein Gerücht hin diesen Ort verlasse.«

»Ich weiß, mein armer Bruder. Ich bin mir aller Unwägbarkeiten nur zu genau bewusst. Und ich sage dir ehrlich, dass ich dich nicht verlieren will – dich und den Schutz, den du bedeutest.«

»Ich habe mir stets Mühe gegeben, alle Regeln unserer Gemeinschaft zu befolgen. Ich bin kein Krieger mehr. Ich bin der Diener unseres Gottes.« Das klang schon richtig böse.

Vega lächelte. Ja, so hatte sie seine Stimme in Erinnerung und sich seine Launen vorgestellt. Lag er etwa noch auf Knien vor seinem Vorstand? Er hörte sich vielmehr so an, als würde er unruhig auf und ab gehen. Aber sie vernahm keine Schritte. Sechs Jahre sollten auch einem Marschall klösterliche Manieren beigebracht haben. Es schien nun unmöglich, dass das Kloster ihn für seine Aufgabe verdorben hatte. Die Stimme und vor allem der Tonfall klangen nicht danach.

»Als dein Vorstand muss ich dir befehlen, mit jenen Gästen zu sprechen. Ich kann mich hinter meinem Gott verstecken und sagen, dass ich nur ihm Gehorsam und Rechenschaft schuldig bin. Wir beide wissen es besser, Bruder Juran. Du kommst aus der Welt, die ich fürchte. Ich lebe in dieser Gemeinschaft, seit ich ein kleiner Junge war. Ich kenne die Welt da draußen nicht, aber ich weiß, dass Klostermauern kein Schutz vor ihr sind.«

Juran klang erheblich sanfter, als er darauf antwortete: »Nein, das sind sie nicht, Ehrwürdiger. Die Belange der Mächtigen betreffen auch die Kleinen und Schwachen. Ein Grund mehr, warum ich nicht mehr in der Welt der Machtkämpfe und Intrigen leben möchte. Ja, es stimmt. Ich kam hierher, weil ich mich auf der Flucht befand und es meinem König genügte, dass ich diesem Orden beitrat. Entweder die Mönchskutte oder mein Kopf. Aber ich kann hier das erste Mal frei atmen. Ich bin zuhause angekommen, Ehrwürdiger. Dies ist mein sicherer Hafen.«

»Der vielleicht nicht mehr sicher ist, Bruder Juran.«

Sie hörte, wie jemand tief einatmete. Es mussten Jurans Lungen sein, die sich da mit Luft füllten, weil dieses Volumen niemals Platz finden würde in der schmächtigen Brust des Klostervorstands.

»Ich weiß, Ehrwürdiger. Ich unterwerfe mich gehorsam deinem Gebot. Ich werde mit deinen Gästen sprechen.« Wieder ein tiefer Atemzug, bevor die dunkle Stimme erneut mehr an Kraft gewann. »Aber dir ist klar, dass ich das Kloster schutzlos zurücklasse, wenn ich wirklich mit ihnen gehen muss?«

Vega horchte auf. Schutzlos? Was hatte Juran die letzten Jahre alles getan außer Unkrautjäten und Beten?

»Das habe ich durchaus bedacht, Bruder Juran. Aber du schützt das Kloster dann auf andere Weise. Du hast meinen Segen, mein Bruder. Ich weiß, dass du die richtige Entscheidung treffen wirst.«

»Du wirst mich nicht dieser Mauern verweisen, Ehrwürdiger? Wenn ich mich entschließe, nicht mit jenen zu gehen und hierzubleiben, werde ich immer noch willkommen sein?«

»Natürlich wirst du das, mein armer Sohn. Wer bin ich, dir die Tür zu weisen, wenn du hier deine wahre Berufung gefunden hast? Dein Seelenheil und deinen Frieden? Du bist einer von uns, Bruder Juran. Dein Platz in unserer Mitte wird schmerzhaft leer bleiben, wenn du gehst. Aber er wird für dich freigehalten, solltest du jemals zurückkommen wollen.«

»Ich werde zurückkommen.«

Eine Gänsehaut überlief Vega. Nicht nur, weil dieser beinahe kalt ausgesprochene Satz den Erfolg ihrer Mission andeutete. Sondern weil Juran so selbstsicher und überzeugt klang. Ihm musste klar sein, welche Gefahren auf ihn lauerten, und doch war er sicher, diesen die Stirn bieten zu können, den Auftrag seines Königs zu erfüllen – und dann hierher zurückzukehren. Zu Frömmigkeit, Keuschheit und Gebet.

Doch seine Stimme klang nicht wie die eines Mönches. Vega hörte den Oberbefehlshaber, der sich notfalls sogar über die direkten Befehle eines Königs hinwegsetzte, wenn er diese für unsinnig oder sogar gefährlich hielt.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich.

 

Der Gong schlug noch zweimal. Vega langweilte sich. Tigenus hatte ihre Abwesenheit sehr wohl bemerkt und war ungehalten darüber – soweit ihm das als Diener nur möglich war.

Die Abenddämmerung kroch über den Hügel, auf dem das Kloster lag, als es endlich an der Tür klopfte. Vega setzte sich angespannt auf. War das jetzt nur das Abendessen? Oder … Sie hatte Mühe, sich ein triumphierendes Grinsen zu verkneifen, als sich eine hünenhafte Gestalt tief unter dem Türrahmen duckte und sich zur vollen Größe aufrichtete, kaum dass Juran den Gemeinschaftssaal erreicht hatte.

Die verdammte blaue Kutte verbarg viel zu viel von seiner Figur, doch hielt sich Vega an dem Klang seiner Stimme fest, dass er keinesfalls alt und weich geworden sein könnte.

Mit einer nahezu beiläufigen Bewegung schlug Juran die Kapuze zurück und sah sich dann um. Sein Blick schien beinahe gelangweilt über die kleine Gesandtschaft hinwegzugehen. Sonnengebräunt, wie er war, leuchteten die grünen Augen wie regenfeuchte Edelsteine, umgeben von klarem Weiß und dunklen Wimpern. Es war ein wachsamer Blick trotz der zur Schau gestellten Trägheit. »Ich bin Bruder Juran. Mein Vorstand sagte mir, dass ihr mit mir sprechen wollt.«

Tigenus stand auf. Hunderte Male hatten sie besprochen, wer zuerst mit dem Marschall reden sollte, wie sie ihm den Befehl des Königs überbringen sollten. Es war kein Befehl, denn der Erbe war noch ungekrönt und auf der Flucht. Es war ein Hilferuf. Die Armeen standen in den Städten, und wenn Soldaten sich langweilten, kamen sie auf merkwürdige Ideen und neigten dazu, jedem ihr Ohr zu schenken, der ihnen rasche Beute, leichte Siege und gute Anteile versprach. Es gab keinen Oberbefehlshaber des Heeres mehr. Er war der Erste gewesen, der den Klingen der gedungenen Mörder zum Opfer gefallen war. Es gab keinen König, zu dem die Soldaten vertrauensvoll aufblicken konnten. Da war niemand mehr, der Ordnung in die Horden bringen konnte, um sie zur Verteidigung der Krone zu führen.

Niemand außer Juran.

»Marschall Juran …«

»Ich bin kein Marschall. Das solltest du wissen, wenn du schon einmal von mir gehört hast. Dieser Titel wurde mir ebenso aberkannt wie meine weltlichen Besitztümer.«

»Durch den alten König.«

»Der tot sein soll.« Juran klang ungeduldig, als wollte er dieses Gespräch nur rasch hinter sich bringen. Er erweckte nicht den Anschein, Tigenus aussprechen lassen zu wollen.

»Er ist tot«, sagte Vega sanft. »Er wurde wie ein Schwein abgestochen.«

Sie hörte, wie ihre Begleiter entsetzt nach Luft rangen, weil sie den Königsmord so respektlos beschrieb, weil sie keinerlei Gefühl zu empfinden schien. Es war ihr egal, was diese Männer von ihr dachten. Sie waren alle ersetzbar und unwichtig. Außer Tigenus, dem sie viel verdankte, dem sie deswegen auch vieles nachsah. Verstand keiner von den Kerlen, dass sie alle nichts waren gegen den Marschall? Alleine sein Einverständnis, zurück nach Metis Hald zu kommen und die Armee an der Gurgel oder an den Eiern zu packen, war wichtig.

Er wandte den Kopf mit einem Ruck, und seine Augen weiteten sich aufmerksam. Kutte oder nicht, Vega konnte die Anspannung des großen Körpers sehen und spüren.

»Berichte weiter. Er hat einen Sohn.«

Vega nickte. »Und dieser Sohn bittet dich um deine Hilfe.«

Juran warf den Kopf zurück und lachte trocken auf. Er schüttelte sein Haupt und sah Vega tief in die Augen. Als könnte er auf den Grund ihrer Seele blicken. »Ein König bittet nicht. Und schon gar nicht bittet er einen Mann, der in Unehre vertrieben wurde.«

»Er bittet. Er weiß, dass er keine Befehlsgewalt über dich hat, Marschall Juran.«

Dieses Mal nahm er den Titel hin, ohne mit der Wimper zu zucken oder diese Bezeichnung so vehement wie kurz zuvor abzulehnen. »Ich denke, ich sollte alles erfahren, bevor ich mich zu einer Entscheidung hinreißen lasse, die nicht auf Fakten basiert – und die ich später von Herzen bereue. Welche Rolle spielst du, Mädchen? Bist du der Köder, falls alle Bitten und Erklärungen nicht reichen?«

Röte kroch in Vegas Wangen. Sie richtete sich gerade auf und funkelte Juran erbost an. Sie hörte Tigenus nach Luft schnappen angesichts eines Angriffs, den er wohl nicht vorausgesehen hatte.

Juran machte einen Schritt zurück und senkte den Blick. »Entschuldige, mein Kind. Ein böser Gedanke, meiner und deiner nicht würdig. Ich bitte um Vergebung, falls ich dich gekränkt haben sollte.«

Sie musste die Zähne zusammenbeißen und sich zwingen, die geballten Fäuste zu öffnen, bevor sie antworten konnte. »Ich nehme deine Entschuldigung an, Marschall Juran.«

»Ich bitte dich inständig, diesen Titel nicht zu verwenden. Wir wissen beide, dass ich das nicht mehr bin. Und wenn der Sohn meines Königs noch nicht gekrönt ist, kann er mich ebenfalls nicht so nennen. Ich bin Mönch, und ich lebe im Einklang mit den Geboten meines Gottes. Der Erbe bittet mich, diesen sicheren Hafen zu verlassen. Ein außergewöhnlicher Fall, liebes Kind.«

Sie nickte. Ja, mit dieser Umschreibung hatte er vollkommen recht. Sie gab Tigenus einen kleinen Wink, und der Lehrer fasste all das zusammen, was im Reich offiziell bekannt war und dieses Kloster in seiner idyllischen Abgeschiedenheit nur noch nicht erreicht hatte.

»Der König wurde ermordet. Wer genau dahintersteckte, ist noch nicht bekannt. Aber wer auch immer es war: Er wiegelt den Adel auf und hetzt die Meute gegeneinander auf. Drei Fürsten sind nachts in ihren Betten getötet worden, ehe wir aufbrachen. Drei, von denen wir wissen. Wie viele inzwischen tot sind, können wir dir nicht beantworten, Bruder Juran.«

»Und die Armee?«

»Ist überall verteilt stationiert.«

»Und wird unruhig«, ergänzte Vega. »Es gab bereits Gerüchte von Übergriffen, zerstörten Palästen und geplünderten Tempeln.«

Jurans Kiefermuskeln spannten sich an, aber das kantige Gesicht blieb ansonsten ausdruckslos. Als er nickte, war es eine knappe, beinahe abrupte Bewegung. »Wo ist der Prinz?«

Ja, der Prinz. So hast du ihn früher schon genannt, nicht wahr, Juran? Du hast ihn selten gesehen, da er ja immer im Sommerpalast lebte, nachdem sein Vater die zweite Königin heiratete. Weißt du überhaupt seinen Namen?

»Im Augenblick in Sicherheit«, antwortete Tigenus.

»Er ist der Schlüssel«, erklang Jurans ruhige Stimme. Vega meinte, ein leises Vibrieren zu hören, mehr zu spüren, als würde hinter dieser kalten Maske ein Vulkanausbruch reinster Empörung drohen. Ja, der König hatte ihn seines Amtes enthoben, aber im Grunde seiner Seele hatte Juran niemals diesen Titel abgegeben. Das war genau das, worauf sie gehofft hatte.

»Wenn sie ihn ebenfalls ermorden, versinkt das Reich im Bürgerkrieg. Eine Kostprobe davon liefern uns bereits die Fehden der Adelsfamilien. Bruder Juran, das Reich braucht dich. Es braucht seinen Marschall«, sagte Vega eindringlich.

Wieder das Anspannen der Kiefermuskeln. Doch dieses Mal war es mehr. Die breiten Schultern hoben, der Brustkorb weitete sich. Ein tiefer Atemzug, dann trat ein beinahe flehentlicher Blick in die kalten grünen Augen, ließ die Farbe ein wenig zu Regengrau wechseln, als wären diese Iriden wirklich der Spiegel einer Seele. »Wo ist die Königin?«

Vega fühlte einen kalten Klumpen in ihrem Magen. Wusste er es wirklich nicht? Hatte er nicht einmal diese Nachricht aus der fernen Hauptstadt vernommen? Oder wollte er einfach die Worte von jemandem ausgesprochen hören, der wusste, dass sie wahr waren?

»Sie starb vor drei Jahren.«

»Woran?«

»Sie war lange krank. Ihre Ärzte sagten, sie wäre der Krankheit erlegen.«

»Und der König nahm sich die nächste Hure in sein Schlafzimmer und vögelte sich durch die Gesindekammern.« Er wandte den Kopf mit einem Ruck, sog zischend Luft ein. »Das hätte ich nicht sagen sollen. Sie ist tot. Der Erbe ist auf der Flucht und derzeit in Sicherheit. Das Reich braucht seinen Marschall. Ich komme mit euch. Ich werde dafür sorgen, dass der Sohn gekrönt wird. Ich will, dass er mir meinen Titel zurückgibt, sodass ich das Amt in Ehren ablegen und hierher zurückkehren kann. Ich verlange Gerechtigkeit und Anstand. Ich denke, ich habe ein Recht, diese Dinge zu fordern.«

Vega nickte, bevor sie diese Forderung auch nur im Ansatz überdenken konnte. Das stand ihm zu. Der Marschall kehrte zurück. Das war das Entscheidende.

Der Prinz war anders als sein Vater. Er würde ein guter König werden. Er würde Leistung und Treue mit Respekt vergelten. Sonst sollten ihm die Götter gnaden.

»Ich werde meinen Vorstand und meine Brüder unterrichten. Von ihrer Entscheidung hängt es ab, wann wir abreisen können. Ich bitte um Verständnis für die Gebräuche dieser Bruderschaft.«

Vega nickte wieder nur. Sie zitterte vor Anspannung. Sie hatte den ersten Schritt geschafft. Den Ersten von wie vielen? Sie wusste es nicht, und der vor ihr liegende Weg war furchterregend. Doch sie hatte Juran für die Sache des Thronerben gewonnen. Ein kleiner Sieg. Dem hoffentlich weitere folgen würden. Sonst ging das ganze Reich in Flammen auf, bis die Erde sich mit Blut vollgesogen hatte. Eine Gänsehaut überlief Vega.

Juran deutete eine Verbeugung an, wandte sich um und verließ den Gemeinschaftssaal und das Gästehaus. Mit Bewegungen, die kraftvoll und meilenweit von der würdevollen Behäbigkeit eines alternden Mönches entfernt waren.

 

Der Vorstand berief seine Gäste noch einmal zu sich, aber Vega verzichtete darauf, den Herrn der Mönche noch einmal zu sehen. Ihre Aufgabe war zum Teil erfüllt, sodass sie sich einen erneuten Besuch in den nach Räucherwerk stinkenden Gängen und Räumen des Hauptgebäudes gern ersparte.

Stattdessen sah sie nach den Zugtieren, fütterte sie mit Äpfeln und Möhren, streichelte dicke Schuppenpanzer und freute sich, dass die Tiere sie bereits beim Betreten der Stallungen begrüßt hatten. Wahrscheinlich war es eher die Aussicht auf Leckereien gewesen, die die fröhlichen Grunzlaute erzeugte, aber das war Vega im Augenblick gleich.

Als sie sich umwandte, saß die Katze hinter ihr. Große, bernsteinfarbene Kulleraugen wurden fest auf Vegas Gesicht geheftet.

Das Äußere mit dicken, runden Ohren, in deren Innenseite flaumiges Fell wuchs, die leuchtend rosa Nase und die treuherzigen Kinderaugen täuschten, dessen war Vega sich sicher. Sie kannte Katzen wie diese. Und so wie das Gesicht mit dem breiten Nasenrücken geschnitten war, vermutete sie, dass diese Katze aus einer guten Zucht stammte und nicht eher zufällig durch eine freie Verpaarung entstanden war.

Sie ging nicht in die Hocke, lockte das Tier auch nicht mittels eines verniedlichenden Kosenamens, sondern betrachtete die muskulöse und doch so graziöse Gestalt kritisch.

Die Katze legte den Kopf schief und maunzte leise.

»Tu nicht so harmlos. Ich habe Deinesgleichen schon gesehen. Ich weiß, was du bist, und ich kann mir denken, zu wem du gehörst. Deine Zeiten als gelangweilter Rattenfänger sind vorbei.«

Wieder ein kurzes, beinahe gebelltes Maunzen als Antwort. Die Katze stand auf, reckte sich mit weit nach oben erhobenem Hinterteil, streckte den dicken Schwanz zur Decke und gähnte hemmungslos. Schneeweiße Dolche saßen im kraftvollen Kiefer. Die Katze fuhr die Krallen aus, jede einzelne ein Krummsäbel.

»Nein, ich habe keine Angst vor dir.«

Ein fröhliches Maunzen, dann sprang die Katze auf, als hätte jemand sie nass gespritzt, wirbelte einmal um die eigene Achse und rannte über den gepflasterten Hof, sprang über eine Hecke und verschwand im Gemüsegarten.

Vega sah dem Tier nach, wandte sich halb um und blickte zum Hauptgebäude, wo Tigenus und die anderen beim Klostervorstand saßen. Was mochten sie aushandeln? Sonderangebote für das Kloster? Irgendeine Art von Schadenersatz?

So wie Juran aussah, hatte er seine Zeit hier nicht nur mit Gottesdiensten und Gemüseernten verbracht. Ein solcher Körper erhielt sich nicht von alleine. Auch ein derartiger Athlet verfiel ohne tägliche Arbeit an den Waffen rasch der Fettsucht, weil seine Muskeln sich abbauten. Davon war beim Marschall wirklich nichts zu erkennen gewesen, und Vega hatte ihn genau betrachtet.

Es stand also zu erwarten, dass der angeblich so friedliche und fromme Mönch womöglich das Kloster vor Räubern verteidigt hatte. Er alleine gegen Rotten von zwanzig Mann und mehr.

Vega lächelte beinahe selbstvergessen. Das Gemetzel konnte sie sich leicht vorstellen. Ein unfairer Kampf. Eine Horde Halbwilder gegen einen vollausgebildeten Krieger der Krone. Aber wer konnte unter der blauen Kutte schon einen ernsthaften Gegner vermuten?

Sie grinste: jeder mit Augen im Kopf!

Kein Wunder, dass der Klostervorstand den Hünen nur widerstrebend gehen ließ.

Vega stieß sich vom Türpfosten ab und schlenderte zurück zum Gästehaus, wobei sie immer wieder zu den Gärten spähte. Sie hatte das Gefühl, zu wenig über Juran zu wissen. Alte Geschichten, mehr besaß sie nicht. Doch er hatte sich in den vergangenen sechs Jahren gewiss verändert. Wie sehr er das getan hatte, würde sie wohl erst auf dem Heimweg entdecken können. Sie hoffte, dass die Frömmigkeit ihm nicht im Weg stehen würde, sein Amt zu erfüllen.

2.

Von Königen und Vergangenheit

 

Der Karren stand bereit. Die Zugtiere wurden aus dem Stall geführt und eingeschirrt. Vegas Begleiter trugen Gepäck heran, und der Klostervorstand war aus seinem verräucherten Haus getreten, um den Reisenden seinen Segen zu erteilen.

Es maunzte deutlich hinter Vega, und da saß die Katze wieder und sah neugierig aus.

»Ja, es geht los. Wo ist dein Herr?«

Sie war sich vollkommen sicher, dass ein solches Tier nur einem Marschall gehören konnte. Je länger sie die Farbkleckse des Fells betrachtete und den Schimmer der seidigen Haare bewunderte, desto überzeugter war sie, dass die Katze aus fürstlicher wenn nicht sogar königlicher Zucht stammte. Sie musste ein Vermögen gekostet haben.

»Bruder Juran«, sagte der Klostervorstand leise. Vega hatte die beinahe geflüsterten Worte ebenso vernommen wie die Katze, die die Ohren aufstellte und leise schnurrte.

Er kam die Stufen der großen Treppe des Hauptgebäudes langsam und fast lässig herab.

Bruder Juran war die falsche Anrede. Das war der Marschall des Reiches, der begleitet nur vom leisen Klirren seiner Rüstung die Stufen herab schritt. Hinter ihm fegte ein langer, blauer Mantel die Treppe, während das Sonnenlicht auf den zahllosen metallenen Beschlägen blinkte und die ziseliert wirkenden Verzierungen des Helmes blitzen ließ.

Juran war groß, das wusste Vega, aber nun wirkte er riesig. Drei Paar Schulterstücke verliehen ihm noch mehr Wucht, während der Brustpanzer einem Körper angepasst worden war, der von der Natur mehr als gütig ausgestattet worden war. Vegas Gedanken flogen zum jungen Prinzen, zu Fürsten, die sie in Metis Hald kennengelernt hatte. Kein Wunder, dass das Heer auf diesen Mann hören musste. Er sah aus wie der ideale Krieger, und was die Kutte vorher verschleiert hatte, betonte die Rüstung. Wer sich mit diesem Kerl anlegte, musste wirklich an Hirnerweichung leiden.

Sie biss sich auf die Lippe. Er war alt genug, ihr Vater zu sein. Er hatte zahlreiche Skandale hinter sich, deren unverschämtester ihm die Verbannung ins Kloster eingebracht hatte. Aber er würde seinen Zweck erfüllen und dem Thronerben den Weg zur Krone ebnen. Wenn Juran dann unbedingt zurück und dieser Pracht und Macht entsagen wollte, sollte er das gerne tun.

Die Katze neben ihr machte ein leises, zufriedenes Geräusch in der Kehle und rannte dem gerüsteten Hünen dann entgegen. Der Schwanz wehte wie ein Banner hinter der geschmeidigen Gestalt her.

Vegas Gesicht verzog sich zu einem selbstzufriedenen Grinsen, als Juran sich hinab beugte, um über den dreieckigen Kopf der Kriegskatze zu streicheln. Natürlich hatte Vega recht gehabt. Ein solches Tier fand man nicht im Hinterland auf einem Bauernhof oder in einem Kloster. Dies war die Kriegskatze eines großen Mannes. Ein Wunder, dass Juran es geschafft hatte, das Tier auf seiner Flucht mitzunehmen. Jeder musste ihn um diesen Besitz beneidet haben.

So wie jeder Vega beneiden würde, dass sie diesen Krieger zurückgeholt hatte? Ihr stieg Hitze in die Wangen, und so beeilte Vega sich, zur Kutsche zu treten.

Juran kam die letzten Stufen herab und hielt direkt auf den Klostervorstand zu. Er nahm den Helm ab.

Vega hatte den Marschall im Verdacht, den Helm nur aufgesetzt zu haben, um noch eindrucksvoller zu wirken. Eitel und sich seiner Wirkung nur zu bewusst. Egal, denn genau diese Wirkung brauchte ihr Prinz!

Juran fiel vor dem alten Mann auf ein Knie. »Ich bitte um deinen Segen, Ehrwürdiger.«

Seine tiefe Stimme trug weit und mühelos über den ganzen Hof, erreichte jeden Mönch und Knecht, die respektvollen Abstand hielten. Sie erklang auch bis zu Vega, die die Zähne zusammenbiss. Machte er das absichtlich? Oder war er wirklich so fromm geworden? Sie hatte das Gefühl gewonnen, dass hinter der Maske des braven Mönches noch immer das große Tier lauerte, das jahrelang für das Reich gekämpft hatte. Irrte sie sich, oder war Juran nur ein guter Schauspieler? Aber warum sollte er ihr etwas vorspielen? Das machte sie zornig, und sie fühlte Hitze in ihrem Inneren brodeln.

»Bruder Juran, geh mit meinem Segen, den Hoffnungen dieser Gemeinschaft für das Reich, für den König und für deinen Gott. Wir werden für dich und deinen Erfolg beten.«

Die Mönche murmelten den Gottesgruß, und endlich stand Juran wieder auf. Vega beobachtete ihn dabei ganz genau. Es gefiel ihr, wie mühelos er sich trotz seiner eindrucksvollen Körpermasse und des wahrscheinlich nicht mehr allzu sehr vertrauten Gewichts der Panzerung bewegte.

Ein Knecht trug ihm eine Reisetruhe nach und hob sie auf das Dach der Kutsche. Die Katze sah dieser Vorbereitung misstrauisch zu und sprang dann aus dem Stand auf das Wagendach, um sich zwischen Kisten und Reisesäcken zusammenzurollen.

»Faulpelz«, sagte Juran freundlich, und zum ersten Mal sah Vega ihn wirklich lächeln. Ein wenig selbstvergessen, als er zu seiner Kriegskatze aufsah, die zur Antwort auf diese Anschuldigung nur frech schnurrte.

»Aus welcher Zucht stammt sie?«

»Er. Sein Name ist Civo. Aus der Königlichen.«

Vega errötete leicht vor Freude, dass sie mit ihrer Schätzung erneut richtig gelegen hatte.

»Steig ein, meine Liebe. Wir wollen los.«

»Willst du nicht mit mir in der Kutsche reisen? Es ist bequemer als auf dem Dach.«

Er setzte den Helm wieder auf und zog den Lederriemen unter dem Kinn stramm. »Weder noch. Ich gehe. Ich muss mich erst wieder an das Gewicht der Rüstung gewöhnen. Es war hier in letzter Zeit sehr friedlich.«

»Du willst laufen?«

»Gehen. Deine Echsen sind keine Renntiere, sie werden mich schon nicht abhängen. Die Bewegung wird mir gut tun. Erwarte nicht, dass ich wie ein Tattergreis neben dir im Wagen sitze. Sollten wir angegriffen werden, bin ich erheblich schneller zur Hand, wenn ich draußen bin. Ich bezweifle, dass wir attackiert werden. Ich weiß, wie ich in Rüstung aussehe.«

Eitler, selbstgefälliger Geck, dachte Vega spöttisch.

»Außerdem bin ich ein bescheidener Mönch, der Luxus abhold sein sollte. Ein Fußmarsch ist genau das Richtige, um sich in Demut zu üben.«

»Ganz wie du meinst«, gab sie zurück, kletterte leichtfüßig in den Wagen, dessen Kabine sie nur mit Tigenus und Lebensmitteln teilte, und knallte den Schlag mit mehr Schwung als notwendig zu.

Der Karren setzte sich in Bewegung, und Vega starrte aus dem Fenster auf die hochgewachsene Gestalt, die neben dem Wagen herging.

Dunkelblaue Seide – vom gleichen Farbton wie der lange Umhang – auf mehreren Schichten Leinen, alles miteinander verleimt und so zu der Härte von Knochen gebracht, ohne viel zu wiegen. Die Schichten wurden dem Körper des Trägers angepasst, sodass der Panzer wie maßgeschneidert saß. Dann wurden die Metallplättchen aufgebracht, in Ketten miteinander verbunden. Selbst komplett gerüstet trug Juran kein einem Metallpanzer vergleichbares Gewicht. Er konnte sich in seiner Rüstung leicht bewegen und einen längeren Marsch durchaus problemlos bewältigen.

Vega vertiefte sich in die Muster der Metallornamente auf einem Schulterstück, ließ den Blick tiefer gleiten über den sichtbaren Rest des muskulösen Oberarmes, bis zum eingearbeiteten Gelenk der Armpanzer, weiter bis zu den dünnen und gepanzerten Handschuhen, auf deren Fingerknöcheln Dornen saßen.

Eine wundervolle Rüstung, anders konnte Vega es nicht nennen. Die kampferprobte Panzerung des Marschalls. Wozu einen hochstehenden Titelträger in eine Prunkrüstung stecken, die niemals einen Tropfen Blut zu sehen bekam, ihren Träger behinderte und somit in tödliche Gefahr brachte? Auch ein Marschall zog in den Krieg, watete wie seine Männer durch Morast und Bäche und tauchte in Blut, wenn es nötig war.

Vega wandte den Kopf ab, schloss die Augen und kämpfte die Hitze nieder, die in ihrer Magengrube brodelte.

Das alles und noch viel mehr lag möglicherweise vor ihnen. Es gab genügend Getreue, die den Prinzen aufnehmen und verteidigen würden. Wo hatte der Thronfolger die letzte Nacht geschlafen? Wer hatte über ihn gewacht?

Vega hob die Lider wieder, sah auf ihre im Schoß verkrampften Hände hinab und bekam es mit einem Mal mit der Angst. So lange waren sie im Kloster durch die betuliche Art der Mönche und des Vorstands aufgehalten worden. So viel Zeit war zwischen ihren Händen zerronnen. Sie hatte Angst um ihren Prinzen, dem sie auf ewig treu dienen würde. Aber jetzt war sie nicht an seiner Seite, wo sie ihrer unumstößlichen Meinung nach hingehörte.

Sie schrak aus ihren Gedanken hoch, als sich etwas über ihr bewegte. Nur Momente später blickte ein auf dem Kopf stehendes Katzengesicht zu ihr in die Kutsche. Civo gab etwas von sich, was nur aus Ms und Rs zu bestehen schien.

»Er möchte bei dir reisen. Natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht«, sagte Juran höflich.

Der Helm ließ seinen Gesichtsausdruck im Schatten liegen. Nur die Augen leuchteten spöttisch. War das ein Lächeln gewesen, das in seiner Stimme mitklang? Vega hoffte es ein wenig.

»Das darf er, aber …« Sie wollte hinzufügen, dass es in der Kutsche relativ ungemütlich war, doch so lange wartete die Kampfkatze nicht ab, wand sich wie ein Aal auf vier Pfoten durch das Seitenfenster des Schlags, sprang auf den Wagenboden, sah sich kurz um und kletterte dann ganz nach oben auf die Vorratskisten, rollte sich ein und schnurrte leise.

»Danke«, sagte Juran, und er klang aufrichtig. »Civo hat Luxus offenbar bitterer vermisst als ich.«

Vega sah zu der nun offensichtlich zufriedenen Katze und lachte. Sie prustete los, als sie Tigenus‘ Gesicht sah, da dieser das Tier beobachtete. Natürlich, jeder, der in Metis Hald groß geworden war oder auch nur einige Jahre dort gelebt hatte, kannte diese Katzen und wusste, wozu sie imstande waren. Wer sie einmal in einem Schlachtgetümmel gesehen hatte, konnte dies niemals vergessen. Die Tiere, die zur Stadtwache gehört und zusammen mit ihren Führern Patrouillen durchgeführt hatten, stammten niemals aus der königlichen Zucht. Vega war gespannt, wie gut Civo war.

Die Reise war ermüdend, da langweilig. Die Echsen legten kein großes Tempo vor. Vegas Begleiter und auch Juran konnten leicht mit ihnen Schritt halten. Der Wagen war eher robust denn sportlich und die Straßen nicht sehr gut. Nicht zu vergleichen mit den gepflasterten Alleen im Umkreis der Hauptstadt. Hier handelte es sich nur um befestigte Wege, die normalerweise von Bauernkarren und Viehherden genutzt wurden.

Vega wusste, dass sie im Wagen nicht schlafen konnte. Dafür rumpelte das Gefährt zu schwer über Unebenheiten und durch Wasserlöcher. Eine höhere Geschwindigkeit wäre gar nicht möglich gewesen.

Nach der ersten Stunde holte Tigenus seine Pergamentrollen hervor, sah Vega auffordernd an und wartete auf ihre Bereitwilligkeit, sich mit den letzten bekannten Truppenaufstellungen und natürlich mit vergangenen Schlachten zu beschäftigen. Nein, danke. Das Wetter war warm und sonnig, Vögel sangen, und neben dem Karren ging der hünenhafte Marschall des Königreiches.

»Heute nicht«, sagte sie, öffnete den Schlag und schätzte die Geschwindigkeit des Wagens ab. Sie wollte nicht, dass die Echsen anhalten mussten, damit sie aussteigen konnte. Eine Hand im Lederhandschuh reckte sich ihr entgegen, und dankbar legte sie ihre Finger in die weiche Innenseite des Leders. Jurans Hand schloss sich kraftvoll, aber doch behutsam um ihre, und Vega sprang leichtfüßig aus dem Wagen, landete sicher auf dem sandigen Boden und spürte, wie der Krieger ihre Bewegung ausglich.

»Danke«, sagte sie einfach, reckte sich und fiel neben Juran in Schritt.

»Du hast mir noch nicht alles gesagt.«

»Was willst du wissen, Marschall Juran?«

Er sah aus den Schatten des Helmes auf sie herab und sagte nichts.

»Muss ich wirklich Bruder Juran sagen?«

»Es ist mir ziemlich egal, wie du mich nennst, solange du mich nicht mit einem geborgten Titel bedenkst.«

»Du bist empfindlich.«

»Du bist zu jung, um zu wissen, was mein König mir alles an den Kopf geworfen hat, bevor er mich aus der Stadt jagte. Eines ist mir deutlich in Erinnerung geblieben: Was immer ich auch bin, der Marschall bin ich nicht mehr. Bevor der Prinz nicht gekrönt ist, kann ich das auch niemals wieder sein. Und wenn ich die Worte meines Königs bedenke, werden die Götter es verhindern. Oder waren es die Geister der Unterwelt? Möglich, dass es auch die waren.«

»Er dürfte sehr viel gesagt haben.«

»Das hat er, und ich habe keinen Grund, seine Worte leicht zu nehmen.« Er senkte den Kopf, und trotz vor Beschlägen schimmernder Rüstung schaffte er es, demütig auszusehen.

Wenn nur die Hälfte aller Gerüchte über ihn stimmte, dann sollte er die Flüche und Verwünschungen seines Königs ernst nehmen, fand Vega. Sie selbst war froh, dass der alte Mann tot war. Sie hatte den König niemals gemocht, und er hatte wirklich alles getan, um sie in dieser Einstellung zu bestärken. Er war ungerecht und hart gewesen, und seine Königinnen hatten einem leidtun können. Keiner von beiden war er treu gewesen und hatte sich nicht einmal bemüht, diesen Umstand vor ihnen geheim zu halten.

Die erste Königin hatte ihm einen Sohn geschenkt, Vegas Prinzen, für den sie sogar durch die Unterwelt gehen würde, für den sie Juran aus seinem Kloster geholt hatte. Vor zehn Jahren war diese Königin gestorben. Sie hatte ihr Ehrenbegräbnis bekommen, und noch am Abend der Beisetzungsfeierlichkeiten hatte der König sich seine Gespielinnen für die kommende Nacht ausgesucht. Bauernmädchen, Mägde, die jüngsten Töchter von Adligen. Seinen Sohn hatte er mitsamt einem Gefolge von Lehrern und Leibwächtern in den Sommerpalast geschickt und ihn niemals wieder zu Gesicht bekommen. Vega vermutete, dass der Prinz seiner toten Mutter einfach zu ähnlich sah. Ein schlechtes Gewissen seitens des Königs konnte sie nicht erwarten.

Dann hatte er erneut geheiratet, die Götter mochten wissen, warum. Vielleicht war er der Meinung, die Fortschritte seines Erben wären nicht ausreichend. Möglicherweise wollte er auch nur ganz sicher gehen und zusätzlich zu seiner Horde von königlichen Bastarden noch einen zweiten ehelichen Sohn zeugen, falls dem Erstgeborenen etwas geschah. Vor sieben Jahren war das gewesen, und die junge Königin hatte Vega von Anfang an leidgetan. Die jüngste Tochter eines Adligen, im Kloster erzogen und dort verwahrt, bis ihr Vater sie verheiraten konnte. Sie wusste nichts von der Welt des Hofes, von Intrigen und Männern.