Klosterschatz - Tanja Rast - E-Book

Klosterschatz E-Book

Tanja Rast

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Beschreibung

Der Magie verfallen – das ist eine Gay-Fantasy-Reihe um Krieger und Magier, Priester und Diebe. Jeder Roman erzählt die Romanze zweier gegensätzlicher junger Männer – zwischen Gefahren, Abenteuern und großen Gefühlen. Schwer verwundet wird der Rebell Torik zusammen mit einer Handvoll Nonnen von den machthungrigen Eroberern gefasst, um in der Hauptstadt als abschreckendes Beispiel hingerichtet zu werden. Doch während einer Rast in einer Klosterruine erscheint Torik die atemberaubende Fiebervision eines hochgewachsenen, muskulösen jungen Mannes. Verblüffend nur, dass dieses Traumgebilde die Gegner mittels einer Schaufel niedermacht und sich während Toriks Genesung als ein rücksichtsvoller vormaliger Mönch namens Livan entpuppt. Zusammen mit den Nonnen schmieden die beiden ungleichen Männer einen Plan, das Reich von dem Joch der Eroberer zu befreien. Bis Livans dunkle Vergangenheit sie einholt …

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Veröffentlichungsjahr: 2017

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Der Magie verfallen III

 

 

Klosterschatz

 

 

 

 

Tanja Rast

 

 

 

 

 

Inhaltswarnungen

 

Kann Spuren von Erdnüssen enthalten!

 

Es gibt Inhalte, die Betroffene triggern können, das heißt, dass womöglich alte Traumata wieder an die Oberfläche geholt werden. Deswegen habe ich für diese Personen eine Liste mit möglichen Inhaltswarnungen für alle meine Romane zusammengestellt:

 

www.tanja-rast.de/inhaltswarnungen

Inhaltsverzeichnis
1. Strandgut des Krieges
2. Der Kriegshammer der Anide
3. Ein kleiner Vorgeschmack
4. Bezaubert und verhext
5. Mittendrin statt nur dabei
6. Häschen in der Grube
7. Freuden des Lagerlebens
8. Der Klosterschatz
9. Stollenschwärze
10. Königliche Attacke
11. Anides Segen

 

Die Autorin
Eine kleine Bitte
Danksagung

1. Strandgut des Krieges

 

Livan verwünschte seine Unaufmerksamkeit. Das Wetter war daran schuld, der strömende Regen, die Finsternis, als wäre es mitten in der Nacht. Aber in erster Linie hatte Livan geträumt, während er durch Pfützen und Matsch gestapft war, bis er einen Ochsen brüllen gehört hatte und gleichzeitig beinahe mit dem Wachposten einer kleinen Soldatentruppe am Wegesrande zusammengestoßen war. Halzans Männer. Herzlichen Glückwunsch, Livan.

Und ohne Sinn und auch nur die geringste Provokation seitens Livans hatte im Lager jemand gebrüllt: »Ergreift ihn!«

Seitdem rannte er, obwohl er das Gefühl hatte, dass seine Lungen in Flammen standen und glühende Nadeln zwischen seinen Rippen staken.

Eine Körpergröße, dank der er so gut wie jeden überragte, konnte mitunter von Vorteil sein. Aber nicht bei einem Rennen um Leben und Tod durch den Wald, wo jeder tief hängende Ast, den Livan im niederprasselnden Wasser zu spät entdeckte, ihn fällen konnte, sodass die Verfolger bequem zu ihm aufschlossen, um ihm den Rest zu geben.

Außerdem hatte er längst die Orientierung verloren, drei Bäche übersprungen und hörte immer noch die Soldaten des Königs hinter sich. Anide und ihre Heerschar von Heiligen mochten ahnen, warum die Kerle nicht aufgaben! Die konnten doch nicht jeden harmlosen Bauern zu Tode hetzen!

Doch die Soldaten nahmen den Befehl wohl ernst.

Keuchend sprang Livan in vier langen Sätzen einen steilen Abhang hinab, prallte beinahe gegen einen Baum und hetzte am nächsten vorbei. Er brach durch Unterholz, und mit einem Mal rissen die Wolken für einen Wimpernschlag auf, gestatteten mattem, grünem Licht, eine alte Straße zu beleuchten, bevor der nächste Blitz den Himmel spaltete.

Livan hatte keine Ahnung, wohin diese Straße führen mochte, aber er rannte weiter. Seine Kehle fühlte sich wie von einer Raspel wund gerieben an. Jeder Atemzug machte es schlimmer, und wenn er die Bastarde nicht bald abhängte, würden sie ihn am Wegesrand einsammeln, während er sich gerade die Seele aus dem Leib kotzte.

Er überquerte die Straße, sprang über niedriges Buschwerk hinweg und schaffte es gerade noch, einen Schrei zu unterdrücken, weil es hinter der harmlosen Hecke etliche Ellen tief in einen breiten Graben hinab ging.

Mit einem Bauchklatscher landete Livan in brackig stinkendem Wasser, wobei er sich noch einigermaßen abstützen konnte. Er hob den Kopf, wollte sich gerade hochstemmen, als er vor sich eine Röhre erblickte, aus der schwarzes Nass quoll. Eine Zuwegung über den Graben, und damit das Wasser fließen konnte, war ein Tunnel unter der Straße verlegt worden.

Livan keuchte erleichtert, krabbelte durch Morast und viel dreckiges Nass und verbarg sich in der Röhre. Er kroch so tief wie möglich hinein, bis er sich sicher war, genau in der Mitte zu stecken. Und wenn seine Verfolger das irgendwie mit angesehen hatten, steckte er in der Falle.

Mühsam versuchte er, seine wilden Atemzüge zu beruhigen, sich im über seine Beine hinwegströmenden Wasser klein zusammenzukrümmen und ganz leise zu verhalten.

Die sture Verfolgung ging über seinen Verstand. Üblicherweise ging er Soldatengruppen soweit wie möglich aus dem Weg. Sie gehörten nicht in dieses Reich, sondern waren als Unterdrücker gekommen. Doch meistens gab es außer einer Gepäckdurchsuchung und ein paar bohrenden Fragen keine Unannehmlichkeiten, falls Livan wirklich einmal Truppen in die Arme lief. Schlimmer waren die Versprengten der herzoglichen Armee. Die träumten davon, immer noch echte Soldaten zu sein, obwohl sie in Höhlen hausten und gar nichts mehr waren. Die meisten wollten Livan als Rekruten einkassieren, und von den vormaligen Verteidigern der eigenen Heimat musste er sich blöde Sprüche anhören. Warum so ein riesiges Prachtexemplar wie er nicht dem Heer angehörte. Welchem Heer? Der Krieg war verloren. Ende. Je eher die Männer das einsahen, desto mehr würden lebend zu ihren Familien zurückkehren können.

Livan hielt die Luft an, als er in seiner Nähe Schritte vernahm, dann Fetzen einer Unterhaltung. Das wenige, das er verstand, lief darauf hinaus, dass seine Spur gründlich verloren worden war. Er schloss die Augen, lehnte den Hinterkopf an die Tonröhre und gestattete sich ein lautloses Aufatmen. Immer noch hämmerte das Herz in seiner Brust und erinnerte ihn daran, dass er alles Mögliche war, aber niemand, der stundenlang durch Wald und Matsch rennen konnte, ohne eine horrende Rechnung von seinem Körper vorgelegt zu bekommen. Und wenn er jetzt in dieser Röhre einschlief, wachte er vielleicht sogar als weißgewaschenes, mausetotes Treibgut wieder auf.

Also harrte er durchnässt aus, lauschte auf Geräusche in seiner Umgebung und fragte sich, wie lange er in der sanften Strömung kauern musste. Während des Rennens hatten seine Muskeln ihn warmgehalten, und es war nicht nur Regenwasser gewesen, das in Strömen an ihm hinabgelaufen war, sondern auch jede Menge Schweiß. Jetzt kühlte Livan langsam aus, und als seine Zähne zu klappern begannen, beschloss er, dass seine Feinde gefälligst weg zu sein hatten. Er konnte nicht mehr. Die Aussicht, nur in einem Windschutz zu zittern und zu frieren, weil er ein Feuer nicht riskieren konnte, verursachte sofort noch stärkeres Beben.

Auf Händen und Knien kroch Livan wieder aus der Röhre und wurde von einem Hagelschauer begrüßt. Doch er konnte nicht länger nass, kalt und untätig herumsitzen. Die Kleidung klebte an ihm, scheuerte bei jeder Bewegung. Das Bündel mit Livans Habseligkeiten, von denen etliche vom Wasser verdorben sein würden, wog schwer und ließ die Riemen tief einschneiden.

Geduckt kletterte er aus dem Graben, krallte die Finger um Grasbüschel oder grub sie in kalten Matsch, um endlich die Böschung zu erreichen. Er ließ den Blick schweifen, um ein Versteck, einen Unterstand zu finden, und genau in diesem Augenblick hörte der Hagel auf, und die tief hängenden Wolken schienen erst Kraft für den nächsten Regenguss sammeln zu müssen.

Vor Livan lag eine grüne Wildnis, in der die alte Straße verschwand. Doch das geübte Auge machte Konturen inmitten von Sträuchern, wuchernden Brennnesseln und jungen Bäumen aus. Steinklötze, die bitter vertraut wirkten: Ein Muster aus Rosenranken zierte sie, wo der Zahn der Zeit es noch nicht abgeknabbert hatte. Ein Kloster, womöglich vor Jahren schon aufgegeben. Livan merkte, dass er grinste. Wie passend, dass er dort Unterschlupf suchen würde, denn abgesehen von den Hauptgebäuden bestand ein Kloster aus vielen Hütten, Werkstätten und Stallungen inmitten einer schützenden Einfriedung, und im Gegensatz zu den königlichen Soldaten kannte Livan sich in einer solchen Anlage aus. Er würde ein Versteck finden, wo er den Rest des Tages und die Nacht verbringen würde, ohne dass irgendjemand ihn aufstöbern konnte.

So schnell wie möglich setzte er sich erneut in Bewegung, spürte die Wärme in seine Muskeln zurückkehren, zitterte trotzdem vor Kälte und trat durch eine Bresche, wo früher ein Torhaus gestanden haben mochte, auf den Hof des Klosters.

Vielleicht hätte Livan ein wärmeres Gefühl in der Herzgegend spüren sollen, als die Reste vertrauter Gebäude unter Wildwuchs ihn umgaben. Oder Grauen hätte kalte Krallen in seine Brust schlagen müssen angesichts der Zerstörung und Vernachlässigung. Eingesunkene Strohdächer, vom Wind fortgerissene Fensterläden, überall Brennnesseln, Brombeerranken und von Baumwurzeln angehobene Pflastersteine. Es gab vielerlei Gründe, warum ein Dorf oder auch ein Kloster aufgegeben wurde, wusste Livan. Krankheiten sorgten immer wieder dafür, dass die Leute mit Sack und Pack flüchteten. Oder ein vermuteter Fluch. Hier, erkannte er, war der Grund noch einfacher gewesen: Feuer. Offenbar war der Brand vor Jahren im Tempel, dem Mittelpunkt der Anlage, ausgebrochen und hatte diesen gründlich zerstört. Das hohe Dach, das bei allen Tempeln in dieser Form an den Rücken eines Wals erinnerte, existierte nicht mehr. Alle bunten Glasfenster waren geplatzt, ihre Scherben glitzernde Juwelen im Unkraut oder durch Ruß geschwärzt.

Eine Stätte, von der Göttin verlassen, und als Anide sich abgewandt hatte, waren ihre überlebenden Diener geflohen – hoffentlich. Wahrscheinlich, so verwildert, wie es hier aussah.

Ein friedlicher Ort, den die Natur sich zurückholte.

Livan fühlte sich sehr wohl hier.

Er packte die einschnürenden Riemen des Gepäcks fester, um seine Schultern zu entlasten, und bahnte sich einen Weg tiefer in den noch jungen Wald, der aus geborstenen Mauerresten spross und dort zu wachsen begann, wo früher Menschen und Tiere gelebt hatten. Der Regen ging in ein Tröpfeln über, und kleine Reste Tageslicht berührten das klatschnasse Grün, durch das Livan behutsam ging, um möglichst keinen weithin sichtbaren Trampelpfad zu hinterlassen, falls seine Verfolger doch noch nach ihm suchten.

Durch eine Öffnung, in deren Rändern noch Reste von Bleistreifen und Fensterglas hingen, kletterte Livan schließlich in den Tempel selbst, sah sich staunend um und entdeckte, dass der halbrunde Raum hinter dem Altar noch ein wenig überdacht war und Schutz für die Nacht bieten konnte.

Der Brand hatte unübersehbare Spuren hinterlassen, winterlicher Frost hatte den Rest besorgt. Glassplitter von zerbrochenen Schmuckfenstern bildeten bunte, glitzernde Pfützen inmitten Mörtelbrocken und zerschlagener Dachpfannen, die das Marmormosaik des Tempelbodens in eine Kraterlandschaft verwandelt hatten. Selbst im vormaligen Heiligtum erhoben junge Brennnesseln frischgrüne Zackenblätter und eroberten allen nutzbaren Boden, der ihnen früher verwehrt gewesen war.

Livan suchte sich wachsam einen Weg, hinterließ kaum Spuren, bis er die Hand auf den Altar legen konnte und diesen umrundete, wobei er nach oben zum Dachrest blickte, ob der noch eine weitere Nacht artig dort oben bleiben würde.

Der rechte Fuß trat ins Leere, und Livan warf sich zur Seite und zurück, hielt sich am Altar fest und starrte erschrocken in einen schwarzen Abgrund.

Eine gewaltige Säule war seit dem Brand umgestürzt und hatte den Boden durchschlagen. Livan fand sein Gleichgewicht wieder, zerrte sich die Riemen des Gepäcks über die Schultern und legte das triefend nasse Bündel auf die Steinplatte des Heiligtums. Eine Pfütze bildete sich unter dem Leinensack.

Langsam ging Livan auf die Knie, stützte sich mit den Händen ab und blickte in das Loch. Die Säule stak noch darin, war sie doch zusammen mit Mosaik und Bodenplatten in die Tiefe gerauscht. Der Schuttberg stützte den Pfeiler.

Aber da unten war noch mehr. Dort befand sich die Krypta. Livan wusste, dass auf dem Friedhof, der in der Regel an den Tempelplatz angrenzte, nur die einfachen Brüder und Schwestern und etliche Laiendiener bestattet wurden, während unter dem Altarraum in einem besonders geschützten und heiligen Keller die Klostervorstände, reiche Gönner und mitunter sogar Kleinadlige aus der Umgebung eine letzte Ruhestätte fanden.

Livan richtete sich wieder auf und fühlte Gänsehaut Arme, Rücken und Brustkorb überziehen. Seit vier Jahren schlug er sich irgendwie durch, grollte jedem Diener Anides, und jetzt führte ihn ein Zufall hierher! Eine wilde Flucht vor Königssoldaten, ein Schlammbad im Graben … Nein, nicht zu früh freuen. Der Brand lag mindestens drei Jahre in der Vergangenheit, das bewiesen die jungen Bäume, die sich an die Rückeroberung des Areals machten. Klein noch und schlank. In diesem Zeitraum konnte jemand anderes bereits den Zugang zur Krypta entdeckt haben. Aber die angespannte Freude ließ sich von diesen Gedanken nicht beeindrucken.

Hastig stand Livan wieder auf, öffnete die Schnüre des Bündels und suchte nach seiner Feuerbüchse und einem Talglicht. Mit ein wenig Glück hatten Regen und Grabenwasser den Zunder in der kleinen Metallkiste nicht aufgeweicht. Livan sah sich fahrig um, nachdem er den Zunder tatsächlich trocken vorgefunden hatte. Er benötigte Werkzeug. Ein Brecheisen, eine Schaufel, irgendetwas. Ein Seil befand sich in seinem Gepäck, nicht sehr lang, aber stabil.

Er tat einen tiefen Atemzug, um den rasenden Herzschlag zu beruhigen. Einen Schritt nach dem anderen tun. Und vielleicht gab es da unten auch gar nichts mehr zu holen. Aber falls doch …

Livan hastete zurück zu dem Fenster, durch das er den Tempel betreten hatte. Jedes Kloster verfügte über Werkstätten. Irgendetwas würde sich da bestimmt finden lassen.

 

Torik lag still in einem Winkel des Gitterkäfigs, schlotterte vor Kälte und versuchte, sich an seiner Lage zu erfreuen. Der Käfig besaß kein Schutzdach, nicht einmal eine alte Decke war darübergeworfen worden, als der Dauerregen in Hagel überging. Nun konnte Torik nur noch hoffen, dass eine Lungenentzündung ihn dahinraffte, bevor er die Hauptstadt Kelvers Hald erreichte, falls seine Wunden ihn nicht bis dahin erledigt hatten. Beides keine Todesarten, die irgendwie nach Heldenmut schmeckten, aber Torik zog beide einer öffentlichen Hinrichtung vor.

Er vernahm Unruhe rund um den Kerkerwagen. Gebrüllte Befehle, die ihn nichts angingen, denn er stellte nun wirklich keine Gefahr mehr dar. Zitternd krümmte er sich noch ein wenig mehr zusammen, um einen letzten Rest Wärme zu bewahren.

Irgendwann, als Torik es gerade beinahe geschafft hatte, trotz der nassen Kälte ein wenig wegzudämmern, klirrten die Schlösser am Wagen. Torik vernahm einen leisen Schrei – weiblich –, der ihn dazu bewegte, die Augen zu öffnen und den Kopf ein wenig zu heben. Gerade rechtzeitig, um sehen zu müssen, wie die Soldaten eine Frau in der unverkennbar dunkelroten Kutte einer Nonne der Anide in den Wagen stießen.

Einige der Soldaten lachten, und dann flog nahezu eine zweite Nonne in den Wagen, fiel hart auf die Knie, da sie nicht auf ihre Schwester stürzen wollte, und fing einen Zusammenprall mit der gegenüberliegenden Gitterwand knapp ab. Torik sah ein vor Angst bleiches Gesicht mit weit aufgerissenen Augen und sogar zwei kupferfarbene Löckchen, die unter der strengen weißen Haube hervorblitzten. Er versuchte daraufhin, sich hochzustemmen. Doch zu mehr als einer schwächlichen Bemühung reichte es nicht. Wie mit Feuerkrallen fraß der Schmerz der Bauchwunde sich in seine Eingeweide und raubte ihm den Atem.

Noch zwei Nonnen, dann wurde die Gittertür zugeschlagen und das Schloss erneut angebracht.

»Hab die Rebellenhuren in einem Dorf nicht weit von hier aufgegabelt. Die machten die Bauern aufmüpfig mit ihren Reden, da hab ich die Weiber einkassiert.« Eine fremde, tiefe Stimme, der Torik Kasernen und Bordelle anhörte. Rau, befehlsgewohnt und ein Großkotz.

Wie die Barmherzigkeit in Person rückten die Nonnen dichter zu ihm. Eine Hand legte sich auf seine Schulter, sanft und behutsam, und Torik begriff, dass die Schwester nicht wünschte, dass er sich noch einmal aufzurappeln versuchte.

»Es tut mir so leid«, flüsterte er, obwohl er an dem Schicksal der Nonnen keine Schuld trug. Doch die Angst der Frauen schnitt ihm ins Herz. So weit war es in Kelverde schon gekommen, dass selbst Dienerinnen der Göttin nicht mehr sicher waren vor den groben Männern des Königs, der das ganze Reich mit Krieg überzogen hatte.

»Beunruhige dich nicht«, wurde ihm leise geantwortet. Unter der tropfnassen weißen Haube entdeckte Torik ein altes Gesicht, aus dem ihm klarblaue Augen entgegenstrahlten. Weiche, nur ein wenig welke Haut und vor Empörung gerötete Wangen. Irgendwie erinnerte dieser Anblick ihn an einen Apfel, der am Ende seiner Lagerzeit angekommen war. Es war eine gütige Miene, abgesehen von der Nase, welche Furcht einflößend wirkte, ein wenig wie ein Schwert, gerade, groß und scharf wie eine Klinge.

Obwohl die Gefangenen, um die das Gespräch ging, direkt neben den beiden Hauptmännern im Käfig hockten, unterhielten die Männer sich weiter. Heißer Zorn stieg in Torik auf, als er zuerst die Stimme des Rothaarigen vernahm, der das Kommando über den Gefangenentransport innehatte und Torik bis vor zwei Tagen sogar noch getreten hatte, als er schon lange nicht mehr zur Gegenwehr fähig gewesen war.

»Wir nehmen sie mit zur sogenannten Hauptstadt, Kamerad. Sollen sich auf dem Weg dorthin nützlich machen, denn ich habe da einen Hochverräter, der vor dem Palast hingerichtet werden soll. Leider fault er mir gerade weg, und ich weiß, dass ich Anschiss kriege, wenn ich nur einen Kadaver dort abliefere.«

»Und ich habe eine Sorge weniger!« Der Kasernenbulle mit der Vorliebe für Bordelle.

Torik hasste beide Männer gleichermaßen.

Die alte Nonne neben ihm richtete sich gerader auf, jeder Zoll an ihr Würde und Gewohnheit, dass ihre Worte angehört und höflich berücksichtigt wurden. »Der Mann hat hohes Fieber und stinkt nach Eiter. Was er braucht, sind ein Bett und Wärme, viel heißer Tee und Ruhe. Und ich benötige unser Gepäck.«

»In dem du Gift und Waffen versteckt hast, möchte ich wetten. Vergiss es, Betschwester!« Der Rothaarige, und Torik fragte sich, wie ein Mann im Vollbesitz von so viel Dummheit es zum Befehlshaber über selbst die kleinste Soldatenschar gebracht haben konnte.

Die beiden Hauptmänner verabschiedeten sich, und die Gruppe schrumpfte wieder auf ihre ursprüngliche Kopfzahl: Der Rothaarige und sechs Mann, von denen zwei die Ochsen anzutreiben pflegten, während die anderen als Wachtrupp neben und hinter dem Karren hergingen.

»Ich will ein Dach über dem Kopf und ein Feuer, an dem meine Klamotten trocknen können. Dann sehen wir uns an, was die Frauen in ihrem Gepäck haben. Kleine Seidenhöschen, hoffe ich.«

Gelächter antwortete dieser dämlichen Bemerkung, die in Torik den Wunsch entfesselte, dem Rothaarigen zumindest noch ins Gesicht spucken zu können, bevor Wundbrand und Fieber ihn selbst dahinrafften.

»Laut der Karte müsste ein größeres Anwesen in der Nähe sein«, sagte ein anderer Mann.

Die Worte klangen hohl und von ganz weit entfernt, als ob sie vom obersten Rand eines tiefen Brunnens zu Torik herab gerufen werden würden. Ein Loch, in das der Rothaarige Torik wohl wegen des Gestanks zu gerne werfen wollte. Denn zumindest in der Hinsicht hatte der Kerl die Wahrheit gesprochen. Torik faulte. Er roch es selbst, Eiter und schwärendes Fleisch. Dabei war seine Verletzung gar nicht so schwer gewesen. Doch war sie unversorgt geblieben, er selbst schmutzig und nun schon von einigen Regengüssen durchnässt. Er spürte, wie sein Körper den Kampf gegen die Entzündung verlor, wie das Fieber auch seinen Verstand umnebelte und ihn über lange Strecken in wirre Träume zog.

 

Einer der Schuppen, der geschützt im Schatten der Mauer und unter den ausladenden Zweigen eines riesigen Baumes stand, hatte die Zeiten seit dem Brand verblüffend unbeschadet überstanden. Hier fand Livan fast alles, was er für den Abstieg in die Krypta benötigte. Ein ausreichend langes Seil und mehrere Gartenwerkzeuge, unter denen sich auch eine nur leicht verrostete Schaufel mit stabilem Holzstiel befand.

Mit heftig klopfendem Herzen bemächtigte Livan sich der Ausrüstung und lief zurück zum Tempel. Immer noch achtete er darauf, möglichst wenige Spuren zu hinterlassen, und als irgendwo ein Vogel ärgerlich schrie, suchte Livan sofort Deckung hinter einem Mauerrest und spähte wachsam um sich. Doch die Klosterruine lag verlassen und still unter den letzten Sonnenstrahlen des Tages, die das Unwetter so launisch abgelöst hatten.

Er hastete wieder in den Tempel, verankerte sein Seil rund um einen Säulenstumpf und blickte in die Krypta. Es ließ sich bestimmt viel Schlechtes über den Einfall des königlichen Heeres in das kleine Reich Kelverde sagen, aber für Leute wie Livan selbst offenbarten sich dadurch auch Möglichkeiten, auf die er niemals zu hoffen gewagt hätte.

Er schnürte Schaufel und sonstiges Werkzeug mit einem Lederriemen zusammen, ehe er sich das tropfnasse Hemd über den Kopf zog und es zum Trocknen über eine Ranke hängte. Dann schlang Livan sich den Lederriemen über eine Schulter und raffte seinen Mut zusammen, wirklich in die Krypta zu steigen. Alte Geschichten aus Kindertagen tauchten ungebeten auf, schwafelten von Störung der Grabruhe und von Gaben für das Jenseits. Energisch sagte Livan sich, dass er die Lebenden erheblich mehr fürchten sollte als staubige Überreste. Hexen zum Beispiel. Hastig führte er das Segenszeichen der Anide aus, das ihm von klein auf an so selbstverständlich geworden war. Nein, vor halb zerfallenen Knochen musste er keine Angst haben. Doch jemand, der seit über einhundert Jahren goldenen Wein schlürfte, konnte auch mal etwas für die Lebenden tun. Für Livan zum Beispiel. Eine knappe Handbewegung beförderte das freie Ende des sorgfältig aufgerollten Seils in das klaffende Loch hinter dem Altar.

Kelverde hatte jahrzehntelang in Frieden geschlummert und war nun überrannt worden. Schon immer hatten viele Adelsfamilien und reiche Händler überzählige Söhne in Klöster abgeschoben, damit die Erbfolge von ihnen unbelastet blieb. Das hatte sich natürlich bei dem Überfall gerächt. Starke junge Männer hatten dem Heer der Verteidiger gefehlt. Genaugenommen, dachte Livan, während er sich an den Rand des Lochs setzte und das Seil ein letztes Mal versuchsweise vor dem Abstieg belastete, hatte er selbst dem Heer ja auch gefehlt. Nicht sein Fehler. Die Klöster rafften schließlich auch jeden an sich, den sie bekommen konnten, um dann selbst kleinste angebliche Verfehlungen sehr übel zu nehmen, wenn sie von Brüdern geringeren Ranges verschuldet wurden. Verbrechen an Anide, ihren Heiligen und vor allem an ihren Dienerinnern und Dienern, während Livan fand, dass es einigen vollgefressenen Möchtegern-Priestern sehr gut bekäme, den feisten Hintern von mit seidenen Kissen belegten Sesseln hochzuwuchten und zur Abwechslung mal etwas Nützliches zu tun. Ganz davon abgesehen, dass Anide wahrscheinlich mit Migräne darniederlag, statt den Heerscharen Betender zur Hilfe zu eilen, hielt Livan die Vorstellung eines gemästeten Klostervorstands beim Hantieren mit einem Schwert für sehr erheiternd.

Doch der größte Vorteil des eroberungslustigen Königs Halzan für pfiffige Leute lag darin, dass nun auch jemand ohne Verbindungen, ohne eine andere Ausbildung als der der Schriften Anides und vieler Gebete, es mit ein wenig Kleingeld in der Börse zu einem Aufstieg bringen konnte. Die Eindringlinge würden sich nicht lange mit der Rolle der Unterdrücker zufriedengeben, sondern heimisch werden, Handel treiben wollen und dann jene, die sich als weniger störrisch und freigiebig genug erwiesen hatten, nicht vergessen.

Und hier in dieser Ruine lag Livans Schlüssel zu einer Zukunft, von der er sonst nur hatte träumen können. Hier wartete nichts anderes als Strandgut auf jemanden, der es aus dem Sand aufklaubte, denn es gab in der Ruine keine Herren und keine Knechte mehr.

Falls die Krypta seit dem Brand wirklich unberührt lag. Das würde Livan sogleich herausfinden. Behände seilte er sich ab, baumelte in schummrigem Dämmerlicht und bekam einen ersten Eindruck davon, was sich unter dem Tempel befand.

Worauf Livan fast nicht zu hoffen gewagt hatte: Die wuchtigen Steinsarkophage schienen unversehrt.

Sein Herzschlag beschleunigte sich, und er ließ sich das letzte Stück zu Boden fallen, kniete in fieberhafter Aufregung nieder, um mit Stein und Stahl Funken zu schlagen. Beinahe konnte er sich kaum auf diese Aufgabe konzentrieren, weil er immer wieder den Blick heben und die stumme Versammlung der Grabstätten ansehen wollte. Doch kaum hatte das verkohlte Leinen einen Funken gefangen, entzündete Livan den Docht seines Talglichts und hob dieses hoch, während er aufstand.

Er konnte gar nicht fassen, was er hier sah. Einfache Betbrüder und Nonnen bestattete man im Kloster in ihren Kutten in einem schlichten Holzsarg. Höchstens ein Amulett aus Holz oder Ton wurde diesen Leuten mitgegeben. Aber die Reichen, Adligen und jene, die am Futtertrog die besten Plätze besetzten, deren Wangen vom Bratenfett glänzten und vom Rotwein glühten …

Livan musste sich die Hand an der Hose trocken wischen, bevor er sein behelfsmäßiges Brecheisen aufklauben konnte. Selbst wenn in jedem Sarkophag nur ein Schmuckstück liegen sollte … Er schluckte hart. Alleine die Ordensringe der Klostervorsteher waren jeder für sich genommen ein Vermögen wert. Und niemand war vor Livan auf die Idee gekommen, sich hier unten umzusehen.

 

Der Ochsenkarren setzte sich wieder in Bewegung, und im Schutze des Reifenknirschens über eine vom Regen vollkommen durchweichte Sandstraße flüsterte Torik noch einmal: »Es tut mir so leid, Mutter.«

Sie nickte, während ihr wachsamer Blick über die Soldaten des Königs, die stabile Gitterkonstruktion und schließlich über die drei anderen Schwestern flog. Ein herber Zug lag um ihren Mund, und Torik konnte das und die Sorge der Mutter um die jüngeren Nonnen nur zu gut verstehen. Er selbst war unfähig, auch nur das Geringste zum Schutz der Frauen zu leisten.

Der Karren rumpelte aus dem Forst und folgte offenbar einer alten, unter Moos und Wildpflanzen kaum erkennbaren Straße. Torik versuchte heldenhaft, wach zu bleiben, als könnte das den Nonnen irgendwie helfen oder ihnen zumindest Mut machen.

»Das ist kein Anwesen«, murrte ein Soldat, »das ist ein Wald!«

»Ruinen. Zeigt, wie alt die Karte ist. Ihr zwei, lauft vor und sucht ein Haus, das noch ein Dach hat. Der Verräter bekommt eine Nacht Ruhe und Pflege durch die Weiber. Morgen entscheide ich, was wir weiter machen.«

Torik fand sich in einem entsetzlichen Zwiespalt wieder. Noch vor Kurzem hatte er gehofft, an Wundbrand oder Fieber zu verrecken. Nicht nur, um einer öffentlichen Hinrichtung zu entgehen, die nach Willen der Eroberer ein paar Stunden dauern konnte, sondern vor allem auch, damit der Rothaarige teuer dafür bezahlen musste, den König und dessen Hofstaat um das besondere Vergnügen ebenjener Exekution gebracht zu haben. Doch nun galt es, die Nonnen zu bedenken, und obwohl Torik nie viel Kontakt zu Dienern der Göttin, Priestern oder gar Heiligen gehabt hatte, seitdem er als Jüngling über die Schwelle der Kaserne getreten war, besaß er doch einen tief verwurzelten Respekt vor diesen Menschen. Besonders vor Nonnen, während er junge Männer, die sich vor dem Heeresdienst ins Kloster flüchteten, von Herzen verabscheute. Ohne Zweifel würde der Rothaarige die Nonnen büßen lassen, falls Torik in dieser Nacht starb.

Der Karren hielt vor einem lang gestreckten Gebäude an, das zumindest zur Hälfte noch über ein intaktes Dach verfügte. Kleine Fenster wie Perlen an einer Kette durchbrachen die efeuüberwucherte Fassade, sodass das Haus ein wenig wie eine der Kasernen in Kelvers Hald auf Torik wirkte. Wahrscheinlich war dies einst das Wohnhaus der Klosterbewohner gewesen.

 

Livan saß mit klopfendem Herzen neben seinem Talglicht und drehte einen mit Perlen und Edelsteinen verzierten Ring in den schmutzigen Fingern hin und her, um jedes Kleinod kurz aufleuchten zu lassen.

Den Erzählungen der Priester zufolge nahmen die Verstorbenen die Grabbeigaben mit in jene andere Welt, die nur denen ohne Sünde und Fehl nach dem Tod offenstand. Dieser Ring – und die anderen Schmuckstücke, Amulette und goldenen Amtsketten, die Livan zwischen halb zerfallenen Knochen aus dem Staub geklaubt hatte – bewies, dass das Geschwafel der Priester eine Lüge war. Oder dass nicht ein einziger Klostervorstand, Gönner und Adliger in dieser Krypta frei von Verfehlungen das Zeitliche gesegnet, sodass Anide ihnen die Tür vor der Nase zugeknallt hatte. Wahrscheinlich saß die Göttin mutterseelenalleine auf ihrem goldenen Thron und langweilte sich zu Tode. So Göttinnen das zu tun vermochten.

Livan atmete tief durch, was sich ziemlich zittrig anfühlte. Egal. Angeblich war er ja schon jenseits jeder Vergebung gewesen, als er aus dem Kloster ausgeschlossen worden war. Nicht mehr bei sich als die dunkelrote Mönchskutte am Leib und ein mageres Bündel mit Leibwäsche, exakt drei Kupfermünzen der sogenannten Barmherzigkeit und einen Brotkanten. Er kam ohnehin nicht in die Halle, wo es goldenen Wein und eine gelangweilte Göttin gab.

Da konnte er es auch gleich richtig machen.

Er staubte jedes juwelenbeladene Schmuckstück an seiner Hose ab und verstaute die Kleinodien dann in einem Lederbeutel, der am Ende erstaunlich schwer wog. Einen Herzschlag lang drückte Livan diesen unerwarteten Reichtum an seine Brust. Vor ihm lag ein Leben, das seit einem Vierteljahrhundert nur auf ihn und den Klosterschatz gewartet hatte.

Die Furcht vor einer Rache der Toten hatte sich schon nach der ersten Sargöffnung gelegt, als Gold, Silber, Perlen und Rubine im Staub gelockt hatten. Niemand hatte sich erhoben, um den Grabschänder zu verjagen. Keine rächende Anide im Feuerschein war erschienen. Nur Knochenreste, Staub, Alter und Reichtum, der Livan den Atem nahm.

Ein Vermögen im Dreck, und kein Toter brauchte all das. Die Lebenden allerdings – allen voran Livan, der sich ganz leicht im Kopf fühlte – konnten mit all diesem Zierrat durchaus noch etwas anfangen!

Lederstiefel, die wirklich passten, deren Sohlen nicht binnen eines halben Jahres durchgelaufen waren. Mehr als ein Hemd zum Wechseln. Sich satt essen und zur Abwechslung in einem Gasthaus in einem echten Bett schlafen, statt nach schweißtreibendem Tagewerk auf einem Bauernhof ins Stroh kriechen zu müssen, in dem sich, dem Gestank nach zu urteilen, mehr als eine Katze erleichtert hatte.

All das war nun vorbei.

Livan zurrte den Beutel zu, sammelte seine Werkzeuge ein und machte sich an den deutlich mühevolleren Aufstieg.

---ENDE DER LESEPROBE---