Konkurs oder Die Stunde der Konzerne - Roland Heller - E-Book

Konkurs oder Die Stunde der Konzerne E-Book

Roland Heller

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Beschreibung

Der Staat Urusilien ist zahlungsunfähig. Die Banken der Welt leiten ein Konkursverfahren ein. Doch ein Staat ist kein Fabriksunternehmen, das man so einfach schließen kann. Haben Sie sich einmal überlegt, was passiert, wenn unsere Banken die ausstehenden Kredite nicht mehr eintreiben können? Was passiert, wenn unser Kreditsystem zusammenbricht? Die Lösungsvorschläge unserer Politiker sind nur ein schaler Vorgeschmack auf das, was tatssächlich auf uns zukommen könnte. Schaut unsere Zukunft so aus? Sie muss nicht wahr werden, aber sie kann es ... 

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Roland Heller

Konkurs oder Die Stunde der Konzerne

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Titel

 

 

KONKURS

Science Fiction Roman von

Roland Heller

 

Eine Dystopie

 

 

1

 

Buch 1

 

Manuel de Freitas blickte besorgt durch die riesige Scheibe des Büros in die Morgendämmerung hinaus. Eine eigenartige Stimmung beherrschte den Himmel. Eine schneeweiße Wolke, geformt, wie Kinder stets Wolken malen, füllte die Hälfte der Scheibe aus. Rund um die Wolke bot sich der Himmel dunkelrot dar. Etwas weiter im Hintergrund zeigten sich weitere Wolken, schon nicht mehr weiß, eher mit der Farbe von Orangen behaftet, und auch diese Wolken wurden von einem blutroten Himmel umrahmt. Wenn man seinen Blick weiter in die Ferne schweifen ließ, wurden die Wolken farblich wieder heller, doch erreichten sie nie mehr das Weiß der am nächsten stehenden Wolke.

De Freitas war alles andere als abergläubisch, dennoch wertete er diese Stimmung sofort negativ für den Ausgang der Verhandlung. Er zog seine Stirn in Falten. Dadurch wirkte er noch älter, aber nicht nur älter, auch verzweifelter.

Ja, der Himmel wirkte unheilverkündend. Ein böses Omen, denn Unheil drohte nicht nur ihm, wenn die Verhandlung nicht zu einem positiven Abschluss gebracht werden konnte.

Ohne es richtig wahrzunehmen, hatte er seine Hände zu Fäusten geballt und die Fingerspitzen dabei so fest in die Handballen gedrückt, dass sich die Spuren seiner Fingernägel als dunkle Striche abzeichneten. Er bemerkte es unbewusst, als er die Hände öffnete, da er plötzlich bemerkte, wie sehr er schwitzte. Verstohlen, obwohl er allein war in dem Raum, wischte er sich die Hände an der Hose trocken.

Er wartete.

In seiner Einsamkeit wirkte er irgendwie verloren, wie er so in dem Büro stand, mit all dem Aufruhr in seinen Gedanken. Manuel de Freitas war eine große, schlacksige Gestalt. Er war knapp sechzig Jahre alt. Er trug einen dunklen Anzug und dazu eine dunkle Krawatte, als müsste er sich für eine Trauerfeier bereithalten. Schlohweißes Haar bedeckte sein Haupt. Er trug sein Haar am Hinterkopf lang; es kräuselte sich über seinen Hemdkragen.

Es dauerte eine Zeitlang, bis sich de Freitas von dem Schauspiel am Himmel abwenden konnte.

Ich darf mich nicht davon beeinflussen lassen, dachte er und ging langsam zu seinem Schreibtisch zurück, der in der Mitte des Raumes seinen Platz hatte. Er vertiefte sich in die Papiere, die dort lagen. Sie enthielten seine Instruktionen, an die er sich halten musste. Schreibtischbürokraten, die sich stets eng im Rahmen ihrer Befugnisse hielten, hatten diese Instruktionen ausgearbeitet. Dadurch wurde sein Handlungsspielraum eng begrenzt, und das bereitete ihm Kummer. Jeder Schritt, jedes Nachgeben war vorgegeben, es blieb kaum Platz für eine situationsgerechte Alternative. De Freitas wusste das, und es vertiefte seine Sorgen. Die anderen konnte jede Bedingung stellen und, da sie im Recht waren, auch durchsetzen.

Die schwerste Stunde meines Lebens?, fragte sich de Freitas unwillkürlich

Die Sonne kletterte langsam höher. Je höher sie stieg, um so mehr nahm die blutig rote Färbung des Himmels ab, aber Manuel de Freitas schenkte der Stimmung des Morgens keinen Blick mehr. Dafür blickte er jetzt immer öfter auf seine Uhr. Die achte Morgenstunde näherte sich nun unerbittlich.

Die Stunde der Wahrheit.

Die Stunde der Entscheidung.

Er atmete mehrmals tief ein und aus und versuchte sich zu entspannen, aber der Aufruhr in seinen Gedanken ließ kein Entspannen zu. Mit welchen Forderungen würde er konfrontiert werden?

Manchmal in diesen Stunden wünschte er sich weit weg, vor allem fort von der Verantwortung, die man auf seine Schultern gelegt hatte. In anderen Momenten wünschte er, er könnte bereits Klarheit darüber haben, was Larkin und Buchanan vorschwebte. Dann war ihm alles lieber als die Ungewissheit.

Sie würden bald kommen und ihn abholen.

*

Man hatte die Sitzung auf neutralen Boden, nach Genf, verlegt.

Jetzt, wenige Minuten vor der offiziellen Eröffnung, befanden sich nahezu alle Delegierten mit Ausnahme von Larkin und Buchanan in dem Raum und hatten sich in heftige Diskussionen verstrickt. In einer Ecke debattierte Fahd mit Benoit und Kitamura, und wenn man ihren Gesten zusah, musste das Gespräch sehr hektisch und emotionsgeladen geführt werden. Sie alle hatten ja Lösungsmöglichkeiten vorbereitet, die sie nun untereinander besprachen, aber das, was Weltbankpräsident Buchanan und Larkin, die eigentlichen Vertreter der meisten Banken, ihnen allen präsentieren würden, ließ alles verblassen, was sie in privaten Gesprächen als Lösungsmöglichkeiten vorbereitet hatten.

Zehn Minuten vor Sitzungsbeginn war ihnen von Buchanan die Tagesordnung ausgehändigt worden, die in groben Zügen wohl seit gut zwei Wochen bekannt gewesen war und seither für allerhand Gerüchte gesorgt hatte, aber nun hatten die beiden einen weiteren Punkt angefügt.

Dr. Wehrli, der Vertreter der Schweizer Banken, hatte sie schweigend entgegengenommen und gleich nachdem er einen Blick darauf geworfen hatte, zog sich seine Stirn in Falten. Die Hand mit dem Blatt der Tagesordnung sank auf den Tisch, während er sich mit der anderen Hand heftig um sein Kinn fuhr, dann atmete er hörbar aus und schüttelte gleichzeitig den kopf. Jetzt hielt es ihn nicht mehr an seinem Platz. Er stand auf und ging zu der Gruppe um Fahd und sagte: „Was soll man nur davon halten?“

„Ich weiß nicht, was die beiden ausgeheckt haben“, meinte Fahd. „Eigentlich treffen wir uns zu Umschuldungsverhandlungen, die Tagesordnung spricht aber von einem Konkursverfahren. Wer zum Teufel hat uns dieses zusätzliche Ei gelegt?“

„Sie werden die Sachlage wohl gleich klären“, vermutete Kitamura ruhig und blickte zu Buchanan, der seinen Platz bereits eingenommen, aber absolut keine Anstalten traf, die ihn fragend anblickenden Augen überhaupt nur zu beachten.

Verhandelt wurde am runden Tisch, nicht daneben, wie sich Buchanan öfters auszudrücken pflegte.

Obwohl man den Ausdruck „runder Tisch“ nicht immer wörtlich nehmen konnte, traf er diesmal zu. Der Tisch, eigentlich ein technisch überladenes Monstrum, bot bequem den zehn Teilnehmern Platz, die hier selbstverständlich jeder über ein eigenes Kommunikationsnetz zu ihren Außenstellen verfügten. Bildschirm, Computer und Internetverbindung zählte zu den Selbstverständlichkeiten, die jeder Platz aufwies.

Auch der Platz des Sitzungspräsidenten machte hier keine Ausnahme. Samuel Larkin, der diese Position innehatte, erschien kurz vor acht Uhr. Larkin war etwa mittelgroß und recht gut beleibt, aber man konnte nicht sagen, dass er dick war, obwohl es sich sicherlich nicht ausschließlich um Muskeln handelte, die seine Leibesfülle ausmachten.

Bei seinem Eintritt wurde es schlagartig still im Sitzungssaal. Zu bekannt war seine autoritäre, fast lehrerhaft wirkende Art, sich Gehör zu verschaffen. Tatsächlich hatte Larkin drei Jahre als Lehrer gewirkt, ehe er erkannte, dass seine Interessensgebiete eigentlich woanders lagen. In der Folge lief seine Karriere steil bergauf. Heute stellte er so etwas wie den unumschränkten Vertreter der Banken dar, die Forderungen an Schuldnerländer zu stellen hatten.

Als er eintrat, begnügte er sich mit einem kurzen Kopfnicken als Gruß für alle Anwesenden, dann schritt er schnell zu seinem Platz. Während er seinem Platz zustrebte, taten es ihm die anderen gleich, denn sie kannten seine Pedanterie. Wenn er eine Sitzung für acht Uhr ansetzte, begann er pünktlich mit seinen Worten und scherte sich nicht darum, ob die anderen bereits Platz genommen hatten oder nicht. Doch, es kümmerte ihn, denn er konnte in diesem Fall sehr boshaft werden und versprühte einen ätzenden Spott.

Natürlich lag es nicht im Sinn der Anwesenden, Larkin gleich zu Beginn einer Sitzung zu reizen, und so folgten sie bereitwillig dem Vorsitzenden zu ihren Plätzen.

Larkin legte den Aktenstapel, den er unter dem Arm hereingetragen hatte, sorgfältig vor sich ab, strich mit den Händen noch die Seiten des Stapels glatt, damit er einen geraden Turm bildete, dann griff er nach dem Mikrophon vor seinem Platz, prüfte es kurz.

Pünktlich um 8.00 Uhr eröffnete Samuel Larkin die Sitzung mit der obligaten Begrüßungsformel.

„Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zu der heutigen Sitzung im Rahmen der Verhandlung über Urusilien. Ich darf Ihnen kurz die Tagesordnung vorlesen:

Lesung des Protokolls der letzten Sitzung.

Beschluss der Konkurseröffnung oder eines anderen Vorgehens.

Beratung über die Durchführung des Konkursverfahrens oder unseres weiteren Vorgehens.

Beschluss des Konkursverfahrens oder Beschluss anderer Möglichkeiten.

Allfälliges.

Besitzt jemand Einwände gegen die Tagesordnung, bzw. (er sagte bezetwe, nicht beziehungsweise) möchte einen weiteren Punkt in die Tagesordnung aufgenommen haben?“

Larkin blickte nicht auf während der drei, vier Sekunden, in denen er schwieg, dann fuhr er unbeirrt fort:

„Die Tagesordnung ist damit angenommen. Es wurde kein weiterer Zusatzpunkt gefordert. Das lässt uns hoffen, dass wir heute mit unserer Arbeit ein Ende finden werden.

Bevor wir zum ersten Punkt unserer Beratungen kommen, möchte ich den Anwesenden nochmals in Erinnerung rufen, dass sich der Vorstand dieses Gremiums bereit erklärt hat, einen Vertreter Urusiliens an den Beratungen teilnehmen zu lassen. Dieser Beschluss wurde einstimmig beschlossen und protokolliert.“

Jetzt blickte Larkin das erste Mal auf und ließ seinen Blick über die Runde schweifen. Er kannte sie alle, die hier saßen, aus den letzten Verhandlungsrunden. Diesmal blickten sie ihm erwartungsvoll entgegen. In manchen Augen wollte er jedoch so etwas wie eisige Ablehnung lesen, aber diese Vertreter blieben stumm, meldeten sich nicht zu Wort – noch nicht -, also brauchte er ihre Ablehnung nicht zu beachten. Die erhobenen Hände, die Zustimmung signalisierten, befanden sich eindeutig in der Mehrheit.

„Der erste Antrag ist somit angenommen und protokolliert“, sagte Larkin mit fester Stimme. „Der Vertreter Urusiliens, de Freitas, wird sich demnach an den Verhandlungen beteiligen, wenn wir so weit sind.“

Er legte das Blatt Papier zuunterst des Stapels, den er anschließend wieder glattstrich, dann richtete er seine Augen auf die Person, die ihm genau gegenüber saß, und sagte: „Da wir alle genügend mit den Umständen vertraut sind, beantrage ich, auf die Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung zu verzichten. Zu diesem Punkt beantrage ich eine einfache Mehrheitsentscheidung.“

Seine eisgrauen Augen funkelten direkt, während er sie der Reihe nach über die Gesichter der an dem runden Tisch Anwesenden wandern ließ. „Es genügt, wenn wir mit der Hand abstimmen“, meinte er noch und warf einen Blick auf die Tastatur vor sich, die eine geheime Abstimmung ermöglichen würde. Die erhobenen Hände, die daraufhin Zustimmung signalisierten, befanden sich eindeutig in der Mehrheit.

„Auch dieser Antrag ist somit protokolliert und angenommen“, sagte er mit fester Stimme, dann hielt er einen Augenblick absolut ruhig inne, und in diesem Moment hätte niemand in ihm den eiskalten Manager gesehen, der nur den Zahlen vertraute und jegliches Gefühl aus seinen Überlegungen herauszuhalten versuchte, denn fast hatte es den Anschein, als sei es ihm unangenehm, was er nun den Anwesenden mitzuteilen hatte. Larkin war jedoch kein Unbekannter für die Anwesenden und alle wussten ziemlich genau, was sie von ihm zu halten hatten. Seine große, fast hagere Gestalt strahlte Autorität aus. Die grauen Haare, die für sein Alter – er näherte sich dem sechzigsten Geburtstag – noch erstaunlich dicht waren, verstärkten diesen Eindruck und ließen es glauben, dass er über einen großen Erfahrungsschatz verfügte.

„Kommen wir nun…“, hier stockte er erneut für ein paar Sekunden, als suche er nach passenden Worten, in Wirklichkeit handelte es sich um eine dramaturgische Pause, die zusätzliche Spannung aufbaute und ihm dienen sollte, sein Gegenüber schneller von seiner Meinung zu überzeugen, „… zum zweiten Punkt der Tagesordnung, dem Beschluss der Konkurseröffnung über Urusilien.

Ich bin mir durchaus im Klaren, welche Konsequenzen unser Schritt für die gesamte Weltöffentlichkeit besitzen muss. Im Rahmen der vielfältigen Verflechtungen der gesamten Wirtschaft ist die Zahl der Betroffenen naturgemäß sehr hoch, trotzdem, innerhalb des bestehenden Rechtssystems, befürworte ich den Konkursbeschluss, denn er soll die Gleichheit im Wirtschaftsleben sichern. Und Sie können mir glauben, mir fällt dieser Beschluss nicht leicht.“ Larkin blickte nun traurig und ernst, und fast hatte es den Anschein, als gehe es ihm wirklich zu Herzen, was er nun zu verkünden hatte. Vielleicht lockerte er deshalb seine Aussage mit einem alten Witz auf.

„Sie alle kennen den alten Witz: Schuldest du der Bank 100 Millionen, bist du ruiniert, schuldest du der Bank 100 Milliarden, ist die Bank ruiniert. Die Entwicklung der letzten Jahre ging stets den zweiten Weg und das Bankensterben bedeutete für uns alle einen enormen Verlust. Schwerer wiegt aber nun ein weiterer Punkt, nämlich der Wegfall der Garantie einzelner Staaten, für die Verluste von Staatsanleihen an Drittstaaten aufzukommen. Das allein verbietet uns, in Zukunft den Weg der Umschuldung zu gehen. An Urusilien soll nun ein Beispiel statuiert werden, das allen anderen Staaten ein für alle Mal klarmachen soll, dass sie mit ihren Schulden eine Verantwortung übernommen haben und im Rechtssinn wie jede beliebige andere juristische Person behandelt werden.

Wenn ich nun unseren geschätzten Präsidenten der Weltbank bitten darf, uns die aktuellen Zahlenwerte darzulegen, werden sie gleich verstehen, warum es für Urusilien keinen anderen Ausweg mehr geben kann.“

Weltbankpräsident Buchanan dankte mit einem kurzen Kopfnicken in Richtung Larkin. Äußerlich stellte er das genaue Gegenteil von Larkin dar, klein, überaus schlank und mit einem sanften Babygesicht behaftet, ansonsten kam Buchanan mit einem Minimum an Bewegung und Gestik bei allem, was er sagte und tat, aus. Wer ihn unvoreingenommen kennen lernte, hätte ihm niemals sein Durchsetzungsvermögen zugetraut, das ihn in diese Position gebracht hatte. Sein äußeres Erscheinungsbild hatte Buchanan auf dem Weg zum Erfolg mehr geholfen als geschadet, denn seine Konkurrenten neigten ihn auf Grund seines sanften Aussehens zu unterschätzen. Vielleicht war es gerade dieses unscheinbare Äußere, das bei Buchanan zu einem völligen Wegfall von Gewissengründen bei Entscheidungen geführt hatte, vielleicht hatten ihn bereits seine Mitschüler zu oft als „Babyface“ gehänselt, so dass nun nur mehr harte Fakten zu seinen Entscheidungen führten und er keine Ausnahmen mehr gelten ließ. „Meine Damen und Herren, ich möchte vor allem anderen beteuern, dass wir, bevor wir uns zu diesem drastischen Schritt entschlossen haben – und Sie, die Vertreter der Hauptschuldnerbanken, hierher eingeladen haben -, sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft haben, wie das Problem auf vielleicht weniger radikale Weise gelöst werden kann.“ Auch er legte hier eine dramaturgische Pause ein.

„Wenn wir nicht zu unserem eigenen Untergang beitragen wollen, müssen wir drastisch durchgreifen!

Ich möchte Ihnen nun das Zahlenmaterial der letzten zehn Jahre kurz umreißen. Sie zeigen das rapide Ansteigen der Schulden. Wenn wir diese Kurve weiterführen würden…, nein, hören sie sich zuerst einfach das Zahlenmaterial an. Die Schlussfolgerungen ergeben sich dann ohnehin von selbst.“

Gleichzeitig mit seinen Worten erschien eine graphische Projektion der Zahlen auf jeder der vier Wände, so dass jeder an dem runden Tisch die Graphik bequem in Augenschein nehmen konnte. Die Graphik zeigte das übliche Raster, unten die Jahreszahlen, links die Höhe der Schuld. Die Kurve im Bild zeigte steil nach oben.

„1986 betrug die Schuld Urusiliens 70.000 Milliarden Dollar. Damals war das Land bereits so gut wie zahlungsunfähig und suchte um einen Kredit zur Zinsentilgung an. Da das Land zahlreiche Rohstoffvorkommen besitzt und die Schulden ursprünglich zur Ausbeutung dieser Rohstoffe getätigt worden waren, wurde der Kredit erneut gewährt. Gleichzeitig erfolgten jedoch wirtschaftliche Auflagen, den Lebensstandard der Bevölkerung zu erhöhen.

1987 folgte ein weiterer Kredit und die Auflage, endlich die nötige Landreform durchzuführen. Die Schuld stieg bis Ende des Jahres auf satte 90.000 Milliarden.

1988 nahm die Regierung die Landreform in Angriff. Der Großgrundbesitz wehrte sich. Ein Putsch war die Folge, die Zinszahlungen wurden überhaupt eingestellt.

Unsere Forderungen blieben selbstverständlich aufrecht. 1989 betrug die Schuld Urusiliens 120.000 Milliarden Dollar.

1990 kam es zu dem ersten größeren Sprung, der die Schulden in ungeahnte Höhen schnellen ließ. Die Militärdiktatur Urusiliens tätigte umfangreiche Waffenkäufe und die Angst vor zurückkehrenden kommunistischen Umtrieben brachte mehrere westliche Regierungen dazu, Druck auf die Banken auszuüben, die somit einen weiteren Kredit in Höhe von 50 Milliarden Dollar gewährten.

Ende 1990 betrug der Schuldenstand Urusiliens nahezu 200.000 Milliarden Dollar.

1992 kam es erneut zu einem Putsch, diesmal zu einer kommunistischen Diktatur, die sämtliche Schulden für null und nichtig erklärte. Die neue Regierung führte die längst notwendige Bodenreform durch, übernahm aber auch eine blühende Industrie in Staatseigentum. Nun rächten sich jene, welche die Säuberung von rechts überlebt hatten.

Auch diese Regierung gab ihr Steuergeld für Waffenkäufe aus und auf Umweg über Drittländer nahm Urusilien weitere Kredite auf. Die Anschaffung moderner Landwirtschaftsgeräte in großer Stückzahl erforderte einen weiteren Kredit und wurde mit der Grenzöffnung auf Druck der U.S.A. von der Weltbank besorgt.

1993 näherte sich der Schuldenstand Urusiliens der 400.000 Milliarden-Grenze. Bereits zu diesem Zeitpunkt war es rechnerisch kaum mehr möglich, die Zinsenzahlungen zurückzuerstatten, ohne den Lebensstandard der Bevölkerung nicht auf ein Minimum reduzieren zu müssen.

1994 kam es erneut zu einem Putsch und die Rechte setzte sich wieder durch.

Seit diesem Zeitpunkt tagen die Umschuldungsverhandlungen quasi permanent.

2005 wurden neue, weite Erdölfelder in Urusilien entdeckt, die sich günstig auf die Umschuldungsverhandlungen auswirkten. Ein neuer Kredit wurde gewährt und gleichzeitig wieder harte Auflagen an die Staatsführung zur Besserung der Lage der Bevölkerung beigefügt.

Das Attentat von November 15 dürfte noch in guter Erinnerung sein. Die unterirdische Zündung von Atombomben in den Erdölfeldern hat das halbe Land verwüstet und die Ausbeutung dieses Rohstoffes in Urusilien für immer eine Illusion werden lassen. Angesichts des Elends dieser Menschen gewährten die Kreditbanken der Welt erneut riesige Summen, damit die ärgsten Qualen der Bevölkerung gemildert werden konnten.

Im März 2016 schließlich brach der Bürgerkrieg in Urusilien aus. Und Kriege sind teuer, wie wir alle wissen. Heute, drei Monate nach Ausbruch des Bürgerkrieges, steht das Land vor dem Ruin und UNO-Truppen kontrollieren die Lage.

Die Gesamtschuld Urusiliens beläuft sich auf 10 Billionen Milliarden Dollar. Die kaum vorstellbare Höhe dieser Schuld und die Uneinbringbarkeit vor allem hat das Bankenwesen der Welt arg erschüttert.

Meine Damen und Herren, wir müssen uns selber schützen, denn die Zeit ist absehbar, in der nicht nur die Weltbank zahlungsunfähig sein wird, sondern der Großteil der Banken überhaupt, wenn unsere Wirtschaft weiterhin auf Schulden aufgebaut wird. Angesichts unserer Lage weigern sich bereits zahlreiche Staaten, ihren Anteil in die Weltbank einzubringen, nicht nur das, es stehen uns bereits Rückzahlungsforderungen ins Haus.

Das ist die Lage.“

Buchanans Ausführungen wurden ruhig zur Kenntnis genommen. Die Zahlen waren schließlich allen bekannt und stellten somit nicht Neues dar. Das Interesse der Anwesenden richtete sich nun vielmehr auf das, was die beiden Vorsitzenden – Larkin und Buchanan – ihnen als Lösungsansatz präsentieren wollten. Insofern sahen sie die bisherigen Ausführungen lediglich als Zusammenfassung, als Erinnerungshilfe.

„Ja, so sieht die Lage aus“, sagte Larkin. „der Ernst der Lage muss uns allen sehr eindringlich klargemacht werden. Es besteht ja kaum eine Chance, auch nur einen Bruchteil dieses Geldes wieder hereinzubringen – es sei denn, wir betreten den Weg, den wir vorschlagen. Es geht um unser Überleben! Nicht nur um unser persönliches Überleben, sondern auch um das Überleben unseres Wirtschaftsmodells. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Egal, welche Lösung wir anpeilen und schlussendlich auch beschließen, wir müssen uns überlegen, wie unsere Wirtschaft weiter funktionieren kann.

Also, welche Möglichkeiten besitzen wir? Eine Möglichkeit tritt klar zutage: der Konkurs.

Ich persönlich weiß nicht, wie eine zweite Möglichkeit zu realisieren wäre. Natürlich können wir unsere Ansprüche aufgeben, doch liegt das kaum in unserem Interesse. die Vergangenheit hat uns allerdings sehr deutlich eines gezeigt: Wir müssen unser Wirtschaftssystem gründlich überdenken, wenn wir weiterhin effektiv arbeiten wollen, denn wir verstricken uns zusehends in Fallen, die wir selbst gelegt haben. Ich erinnere nur an die Rückversicherungsverträge, die wir alle untereinander geschlossen haben. Sie fallen uns nun in den Rücken. Krass ausgedrückt kann man sagen, wir versichern uns selber. Darüber müssen wir reden. Ich weiß allerdings nicht, wie ein vollkommen neues Wirtschaftsmodell auszusehen hat.“

„Reden wir nicht lange herum!“, forderte energisch eine Stimme. „Wie soll der Konkurs durchgeführt werden?“ Die Stimme gehörte einer Frau, die schräg gegenüber von Larkin saß. Sie hieß Sandra Bishop. Sie war Engländerin und als solche vertrat sie hier die Versicherungen, allen voran natürlich Lloyds, in dessen Dienst sie stand. Bishop zählte vielleicht fünfzig Jahre. Alles in allem war sie eine unscheinbare Person, wie jeder in dieser Runde allerdings ein erstklassiger Experte auf seinem Gebiet.

Larkin nickte ihr wohlwollend zu, obwohl er eigentlich alles andere denn erfreut war über die Unterbrechung zu diesem frühen Zeitpunkt.