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LEATHERFACE – DIE PSYCHOLOGIE DES WAHNSINNS
Hinter der Maske aus fremder Haut verbirgt sich kein Monster, sondern ein Mensch, der nie gesehen wurde.
„Leatherface – Die Psychologie des Wahnsinns“ ist kein typisches Filmbuch, sondern eine tiefenpsychologische Reise in das Herz des Horrors.
Autor Markus Brüchler analysiert Tobe Hoopers „The Texas Chainsaw Massacre“ auf radikal neue Weise, nicht als Slasherfilm, sondern als psychologisches und kulturelles Phänomen.
Basierend auf den Theorien von Freud, Adler, Jung und moderner Traumaforschung zeigt das Buch, wie Familie, Angst und Identitätsverlust das Fundament des Wahns bilden.
Leatherface wird hier nicht zum Monster, sondern zum Spiegel der Familie und der Gesellschaft:
Ein Produkt einer Gesellschaft, die Mitgefühl verloren und Gewalt zur Sprache ihrer Ohnmacht gemacht hat.
Der Autor seziert die symbolischen Ebenen von Maske, Körper, Ritual und Stille, und entlarvt darin die Mechanismen menschlicher Verdrängung.
Dieses Buch geht weit über Filmgeschichte hinaus.
Es ist eine Analyse über das, was wir verdrängen, und ein Essay über die fragile Grenze zwischen Opfer und Täter.
Für Leser, die Horror verstehen wollen – nicht als Effekt, sondern als Ausdruck des Menschlichen.
Was Sie erwartet
Eine filmphilosophische Analyse von The Texas Chainsaw Massacre
Psychologische Deutung von Leatherface anhand klassischer Theorien
Verbindung von Filmkunst, Gewalt und Identität
Gesellschaftskritische Betrachtung des amerikanischen Traumas
Literarischer Essay-Stil mit filmischer Bildsprache
Teil der renommierten Reihe Movies-To-Go by MovieCon
Warum dieses Buch?
Weil Horror mehr ist als Blut und Schreie.
Weil The Texas Chainsaw Massacre ein Abbild unserer Ängste ist, und Leatherface eine tragische Figur in einem moralisch verwesenden Universum.
Dieses Buch entschlüsselt, was unter der Haut verborgen liegt: die Psychologie der Angst und den Preis der Menschlichkeit.
Zitat aus dem Buch
„Das wahre Grauen liegt nicht in Leatherface,
sondern in der Welt, die ihn erschaffen hat.“
— Markus Brüchler
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Impressum
Verlag:
Colla & Gen Verlag und Service UG & Co. KG, Hauptstr. 65, 59439 Holzwickede
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
Cover: Vortex/Henkel/Hooper
Autor: Markus Brüchler
Layout: Heribert Jankowski, Markus Brüchler
Lektorat: Saskia Meyer
© 2025 Markus Brüchler
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Verlag verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig.
Wichtiger Hinweis:
Dieses Buch ist eine psychologische und philosophische Analyse des Films
The Texas Chainsaw Massacre (1974) von Tobe Hooper.Es handelt sich nicht um eine offizielle oder lizenzierte Veröffentlichung
des Filmstudios oder seiner Rechteinhaber. Alle Filmausschnitte, Zitate und Bezüge dienen der wissenschaftlichen und kulturellen Auseinandersetzung. Die dargestellten Interpretationen spiegeln ausschließlich
die Perspektive des Autors wider. Gewalt, Trauma und Angst werden in diesem Werk analytisch,
nicht sensationalistisch behandelt. Leserinnen und Leser sollten beachten, dass dieses Buch Themen berührt,
die psychisch belastend wirken können.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über die Adresse http://portal.dnb.de abrufbar.
Der vorliegende Text darf nicht gescannt, kopiert, übersetzt, vervielfältigt, verbreitet oder in anderer Weise ohne Zustimmung des Autors verwendet werden, auch nicht auszugsweise: weder in gedruckter noch elektronischer Form. Jeder Verstoß verletzt das Urheberrecht und kann strafrechtlich verfolgt werden.
Markus Brüchler ist Autor, Herausgeber und leidenschaftlicher Filmanalyst. Schon seit seiner Kindheit faszinieren ihn die dunklen Seiten des Kinos – eine Faszination, die sich mit frühen Begegnungen wie „The Fog – Nebel des Grauens“ oder „Tanz der Teufel“ tief in sein kreatives Schaffen eingebrannt hat. Was einst verstohlene Blicke auf den Fernseher in der elterlichen Küche waren, wurde über die Jahre zu einer professionellen Auseinandersetzung mit filmischer Erzählkunst und psychologischen Tiefen.
Seit den 1990er Jahren ist Markus Brüchler beruflich selbstständig und hat dabei von der IT- und Programmierwelt den Sprung in den kreativen Bereich des Filmbuchs geschafft. Seine Arbeit umfasst die Gründung der Filmzeitschrift MovieCon Magazin sowie den Aufbau des Colla & Gen Verlags, in dem er regelmäßig neue, tiefgehende Analysen zu Filmklassikern und modernen Genreproduktionen veröffentlicht.
In seiner Freizeit bleibt Markus dem kreativen Ausdruck treu – sei es durch das Schreiben eigener Geschichten oder das Erkunden von Drehorten und Filmkulissen, um Inspiration für neue Projekte zu sammeln.
Leatherface: Die Psychologie des Wahnsinns
I
Markus Brüchler
Widmung
Für all jene, die im Lärm der Welt verstummen – und trotzdem weiter sägen.
Wie dieses Buch gelesen werden kann
Dieses Buch kann auf mehreren Ebenen gelesen werden:
Als Filmanalyse: für jene, die verstehen möchten, warum The Texas Chainsaw Massacre mehr ist als ein Schocker, nämlich ein Spiegel amerikanischer Identität.
Als psychologischer Essay: für Leser, die den inneren Mechanismen von Angst, Gewalt und Schweigen folgen wollen.
Als philosophische Meditation: über das, was bleibt, wenn das Menschliche verstummt.
Es ist kein Werk, das Antworten liefert.
Es öffnet Räume, in denen die Leser ihre eigenen Fragen hören können, irgendwo zwischen Denken und Zittern, zwischen Vernunft und dem Nachhall einer laufenden Motorsäge.
1.Teil I – Prolog: Die Stille der Kettensäge 12
2.Teil II: Die Familie 17
Kapitel 1: Die Familie als Ursprung von Geisteskrankheiten 18
Adlerianischer Rahmen: Verwandtschaft, Minderwertigkeit und Dominanz 18
Psychoanalytische Dimensionen: Das entfesselte Es, das zerfallende Ich 20
Symbolik und Mythos: Rituale einer verkommenen Tradition 24
Soziokultureller Kontext: Ländlicher Niedergang und Kannibalismus im Kapitalismus 30
Leatherface als Symptom, nicht als Ursache 35
Kapitel 2: Die Maske als Identität 38
Leatherface: Die Psychologie des Wahnsinns 38
Die Maske als psychologischer Schutz 38
Archetypen und das Schatten-Selbst 44
Die kulturelle Funktion der Maske 50
Filmische Semiotik und cineastische Sprache 58
Der Zusammenbruch des Selbst 70
Kapitel 3: Gewalt als Sprache 76
Das Versagen der Sprache 76
Gewalt als Kommunikationsmittel 79
Filmische Grammatik der Gewalt 85
Die Semiotik des Schmerzes 93
Gewalt, Rituale und Kontrolle 100
Übergang zum nächsten Kapitel 109
Kapitel 4: Das amerikanische Trauma 112
1. Das Ende des Traums 112
2. Leatherface als amerikanisches Monster 117
3. Das Amerika des Films: Zwischen Realismus und Albtraum 124
4. Das Vietnam Echo 132
5. Moralischer Verfall und der Verlust von Empathie 140
6. Kulturelle Resonanz und Vermächtnis 149
Kapitel 5: Das Monster, das wir lieben 157
1 – Empathie für die Entstellten 157
2 – Vom Monster zum Spiegel 160
3 – Horror als moralische Katharsis 164
4 – Die zerbrechliche Menschlichkeit des Monsters 169
5 – Der Mythos jenseits des Horrors 175
6 – Abschließende Überlegungen 181
3.Nachwort: Die Stille nach der Kettensäge 186
Die Rückkehr zur Stille 186
Der Klang der Erinnerung 187
Die Erlösung des Monsters 189
Der menschliche Makel 190
Schlusspassage: Licht und Staub 192
„Das wahre Grauen liegt nicht in Leatherface – sondern in der Welt, die ihn möglich gemacht hat.“— Markus Brüchler, Leatherface – Die Psychologie des Wahnsinns.
Die texanische Sonne steht am späten Nachmittag tief und brennt wie ein bernsteinfarbener Ofen auf die brachliegenden Felder und verlassenen Bauernhäuser. In der Stille scheint alles kurz vor dem Verfall zu sein, vom süßlichen Geruch verwesender Tierkadaver am Straßenrand bis hin zur abblätternden Farbe der verwitterten Scheunen. Dies ist das ländliche Texas der 1970er Jahre, eine Landschaft geprägt von Hitze, Verfall und Beklemmung, so intensiv, dass sie an das Psychologische angrenzt. In dieser bedrückenden Welt vibriert die Luft vom Zirpen der Zikaden und dem entfernten Rattern eines Generators, einem unheimlichen mechanischen Surren, das das Dröhnen einer Kettensäge ankündigt. Die Kulisse selbst wird zu einer Persönlichkeit, die mit ihrer feindseligen Stille, die jeden Moment von brutalen Geräuschen durchbrochen werden kann, auf unsere Nerven drückt. In einem heruntergekommenen Bauernhaus liegt die Quelle dieses Lärms und das Epizentrum unserer Angst. Eine Gestalt mit einer Maske aus Menschenhaut, die eine Kettensäge umklammert. Das ist Leatherface, der in der Stille wartet.
Wir begegnen Leatherface zum ersten Mal nicht als Mensch, sondern als plötzlicher Ausbruch von Gewalt. Eine Tür schlägt auf und da steht er, riesig, stumm, maskiert, und versetzt einem ahnungslosen Eindringling einen Hammerschlag. Sein Auftritt ist wortlos und schockierend abrupt, ein Monster in Menschengestalt. Doch als der Schrecken nachlässt, bemerken wir etwas Beunruhigendes in seinen Bewegungen. Nach dem Mord schreitet er auf und ab und wimmert panisch, während er aus dem Fenster späht, als hätte er Angst vor dem, was noch kommen könnte. In diesen flüchtigen Momenten ist Leatherface sowohl Raubtier als auch Opfer, eine riesige Horror-Ikone mit dem Verstand eines Kindes. Der Schauspieler Gunnar Hansen, der Leatherface in diesem Film verkörperte, sagte einmal, dass die Figur „im Gegensatz zu vielen anderen Slasher-Bösewichten nicht durch und durch böse“ sei. Tatsächlich wirkt Leatherface im Gegensatz zu den berechnenden Sadisten anderer Horrorfilme eher verwirrt, reaktiv statt proaktiv.
Er führt die Befehle seiner Familie aus und verteidigt ihr Zuhause, jedoch ohne erkennbare Bosheit oder Freude. In einem Genre voller ikonischer Killer fällt er aus der Reihe, eine imposante Gestalt, die Angst einflößt, aber auch bemitleidenswert verletzlich ist. Wir spüren, dass sich hinter der blutbefleckten Schürze und der Maske aus abgezogener Haut ein psychisch gebrochenes Wesen verbirgt. Er ist kein Bösewicht im klassischen Sinne, sondern ein gestörtes Produkt seiner Umgebung.
Um Leatherfaces Wahnsinn zu verstehen, müssen wir einen Schritt zurücktreten und die realen Alpträume und kulturellen Schatten betrachten, die ihn hervorgebracht haben. Die Schöpfer von „The Texas Chain Saw Massacre“ bedienten sich der dunkelsten Abgründe Amerikas. Die Figur des Leatherface und bestimmte makabre Details im Film wurden direkt von den Verbrechen von Ed Gein inspiriert, einem berüchtigten Mörder und Grabräuber, dessen Horrorfarm (Möbel aus menschlichen Knochen, Masken aus menschlicher Gesichtshaut) in den 1950er Jahren die Welt schockierte. Geins groteskes Vermächtnis war bereits durch „Psycho“ (1960) und andere Werke in die kulturelle Vorstellungswelt eingedrungen und hatte den Keim für einen Mörder gesät, der die Haut seiner Opfer trägt. Aber über Geins Einfluss hinaus entstand „Texas Chain Saw“ aus dem kollektiven Unterbewusstsein einer Nation in Aufruhr. Bis 1974 wurde Amerika von einer Reihe traumatischer Ereignisse erschüttert, darunter die Ermordung von John und Robert Kennedy sowie Martin Luther King Jr., der Vietnamkrieg, die Morde der Manson-Familie und die Watergate-Affäre. Der Optimismus der Nachkriegszeit war einer Generation gewichen, die zum ersten Mal das Gefühl hatte, dass es ihr „nicht besser gehen würde als ihren Vorgängern”. Es war eine Zeit der Angst nach dem Vietnamkrieg und des moralischen Zerfalls. Die Nachrichten zeigten täglich drastische Gewalt und institutionelles Versagen. Das Vertrauen in die Autoritäten schwand, als sich herausstellte, dass Präsident Nixons öffentliches Auftreten nur eine Maske war, hinter der sich Korruption verbarg. Die wirtschaftliche Stagnation und die Ölkrise von 1973 ließen die Menschen ratlos und verzweifelt zurück, ähnlich wie die Jugendlichen im Film, denen auf einer abgelegenen Straße das Benzin ausging. In diesem Klima verlagerten sich Horrorfilme von gotischen Schlössern und übernatürlichen Ungeheuern hin zu etwas Unmittelbarerem und Viszeralem. "The Texas Chain Saw Massacre" wurde als „wahre Geschichte“ vermarktet, nicht nur, um Zuschauer anzulocken, sondern auch als „subtiler Kommentar zum politischen Klima der Zeit“. Beim Anschauen des Films hatten die Zuschauer der 1970er Jahre das Gefühl, dass er real sein könnte, dass vielleicht irgendwo auf einer Landstraße die Struktur der Zivilisation zugrunde gegangen war und eine rohe Apokalypse des Alltäglichen zum Vorschein kam.
Vor diesem Hintergrund erhebt sich Leatherface aus unseren Alpträumen wie eine Art Urschrei aus dem amerikanischen Unterbewusstsein. Er ist furchterregend, weil er skrupellose Gewalt und sinnlose Brutalität verkörpert, das plötzliche, willkürliche Gemetzel, von dem uns die 1970er Jahre gelehrt hatten, dass es überall ausbrechen kann, sei es in einem abgelegenen Dschungel oder in einer ruhigen Vorstadtgegend. Paradoxerweise erkennen wir jedoch auch seine Verletzlichkeit und Opferrolle. Er ist wohl genauso gefangen wie seine Beute, ein Sklave seiner Familie und seiner Umstände, ein erwachsener Mann mit der emotionalen Intelligenz eines Kleinkindes. Während der Film durch seinen letzten Akt voller Schreie, Verfolgungsjagden und Blutvergießen rast, blitzt zwischen der ständigen Angst ein unerwartetes Gefühl auf: Mitgefühl. Wir empfinden Mitleid mit Leatherface, obwohl wir ihn fürchten. Warum empfinden wir diese widersprüchliche Mischung aus Entsetzen und Empathie? Was ist es an Leatherface, das uns in einem Moment vor Angst zurückschrecken und im nächsten fast Mitleid mit ihm empfinden lässt? Vielleicht ist es die Art und Weise, wie der Film ihn in dieser ikonischen Schlussszene darstellt. Sally, die letzte Überlebende, entkommt im Morgengrauen und lacht hysterisch vor Erleichterung, während Leatherface mit seiner Kettensäge mitten auf der Straße zurückbleibt, wo er einen wütenden, verletzten Tanz im Sonnenaufgang aufführt. Die Kamera verweilt nicht auf ihm als besiegtem Bösen, sondern als frustriertem Kind, das sein summendes Spielzeug einer Welt entgegenstreckt, die ihn verlassen hat. Das warme Licht der Morgendämmerung taucht ihn in orange-rote Farbtöne, fast mitfühlend, während er die Säge in ohnmächtiger Wut schwingt. Der mehrdeutige Blick des Films in diesen letzten Momenten fasst die zentrale philosophische Frage zusammen, die im Mittelpunkt unserer Wahrnehmung steht: Warum empfinden wir gleichzeitig Angst und Mitgefühl für Leatherface?
Um diese Frage zu beantworten, wird sich dieses Buch mit den psycho-philosophischen Tiefen von Leatherfaces Welt befassen und untersuchen, wie Gewalt, Identität und Trauma in der Figur und im Film miteinander verflochten sind. Wir werden nicht einfach nur die Handlung nacherzählen, sondern die Symbolik dieses Albtraums und die psychologischen Grundlagen seiner Figuren analysieren. Der Ansatz ist interdisziplinär, wobei wir uns auf Alfred Adlers Theorien zu Familie und Minderwertigkeit, Sigmund Freuds Modell der Psyche, Carl Jungs Archetypen und wissenschaftliche Erkenntnisse von Filmtheoretikern und Horrorphilosophen (darunter Carol J. Clover und Noël Carroll) stützen. Auf diese Weise verliert Leatherface seinen Charakter als bloßer „Buhmann“ und wird zu etwas weitaus Komplexerem, einer Verkörperung familiären Wahnsinns und kultureller Verzweiflung, der eine Maske der Grausamkeit trägt, um seine gebrochene Identität zu verbergen. Wir werden sehen, dass seine Kettensäge, dieses schreiende Instrument des Todes, mehr ist als ein billiger Schreckensmoment, sie ist vielmehr ein groteskes Symbol für das Überleben in einem mechanisierten, entmenschlichten Zeitalter. Letztendlich konfrontiert uns Leatherfaces Geschichte mit unangenehmen Wahrheiten darüber, wie Monster entstehen und wie sie in den dunkelsten Winkeln unseres Mitgefühls Teile von uns selbst erkennen lassen.
Damit ist die Grundlage geschaffen, um uns nun dem Ursprung von Leatherfaces Wahnsinn zuzuwenden: der Familie. Denn wenn Leatherface ein Symptom ist, dann ist die Familie Sawyer die Krankheit, ein Clan, dessen verzerrte Bindungen und perverse Werte den Wahnsinn begünstigen. In Kapitel 1 untersuchen wir die Familie als Nährboden des Grauens und analysieren, wie Verwandtschaft zu Pathologie wird und wie die Identität eines Mannes von der kollektiven Neurose seiner Verwandten verschlungen wird.
Die Familie Sawyer in „The Texas Chain Saw Massacre“ ist ein Beispiel für eine in den Wahnsinn abgeglittene Sippe. Um ihre Dynamik zu verstehen, können wir Alfred Adlers Individualpsychologie heranziehen, insbesondere seine Konzepte des Gemeinschaftsgefühls (soziales Interesse), des Machtstrebens, des Minderwertigkeitskomplexes und der Kompensation. Adler glaubte, dass eine gesunde Psyche in einem Gefühl der Empathie und Verbundenheit mit anderen (Gemeinschaftsgefühl) verwurzelt ist. Umgekehrt entwickeln Menschen, denen dieses soziale Interesse fehlt, oft tiefe Gefühle der Minderwertigkeit und Unzulänglichkeit, die sie durch ein kompensatorisches Streben nach Dominanz und Macht zu überwinden versuchen. In der Familie Sawyer sehen wir einen vollständigen Zusammenbruch von Empathie und sozialem Interesse. Sie nehmen keine Rücksicht auf Menschen außerhalb ihres Clans (ihre Opfer werden buchstäblich als Schlachtvieh betrachtet). In Adlerschen Begriffen ist ihr Gemeinschaftsgefühl praktisch gleich Null. Dieses Manko wird jedoch nicht durch Nichts ersetzt, sondern durch ein Übermaß an dessen toxischen Gegenstück: Machtstreben. Da ihnen jegliches Mitgefühl oder Gefühl gemeinsamer Menschlichkeit fehlt, verbinden sich die Sawyers durch Dominanz, Brutalität und die Ausübung von Macht über andere. Ihre Familienzusammengehörigkeit wird nicht durch Liebe oder gegenseitige Ermutigung gestärkt, sondern durch gemeinsame Gewalt.
Man kann sich vorstellen, dass jedes Mitglied dieser Familie angesichts der Außenwelt ein inneres Gefühl der Schwäche oder Minderwertigkeit verspürt. Schließlich sind sie sozial und wirtschaftlich isoliert und werden von der modernen Gesellschaft als „überflüssig“ angesehen (mehr zur sozioökonomischen Situation folgt in den kommenden Abschnitten). Nach Adlers Ansicht entstehen Minderwertigkeitsgefühle oft in der Kindheit und im familiären Umfeld, und Einzelpersonen oder Gruppen können diese Gefühle durch das Streben nach Macht über andere überkompensieren. Die Sawyers kompensieren dies mit aller Härte. Da sie in der normalen Gesellschaft keinen Platz finden und nicht erfolgreich sein können, schaffen sie sich ihr eigenes brutales moralisches Universum, in dem sie uneingeschränkt herrschen können. In ihrem verfallenen Haus des Schreckens gilt, wer stark ist, hat Recht. Der Großvater, ein verkrüppelter alter Patriarch und Kannibale, wird für seine früheren Heldentaten im Schlachthaus verehrt. Der ältere Bruder (der Koch) behauptet seine Autorität durch Schikanen und psychische Qualen. Der Anhalter (der jüngere Bruder) beweist sich durch Sadismus und das Aufstellen von Fallen. Am unteren Ende dieser perversen Hierarchie steht Leatherface, das hünenhafte Kind, das den anderen gehorcht wie ein übergroßes Kleinkind, das verzweifelt versucht, seinen grausamen Eltern zu gefallen.
Adlers Konzept des familiären Einflusses kommt hier auf tragische Weise zur Geltung. Leatherface ist in extremem Maße ein Produkt des Umfelds der Familie Sawyer. Alle Kinder lernen von ihren Familien, wie sie mit der Welt umzugehen haben, wie sie andere sehen sollen und wie sie mit Gefühlen der Unzulänglichkeit umgehen können. Im Haushalt der Sawyers wurde Empathie durch Dominanz ersetzt, und jede Minderwertigkeit wird durch Gewalt maskiert. Leatherface verhält sich dementsprechend wie ein abhängiges, emotional zurückgebliebenes Kind, das in einem permanenten Zustand der Angst und Aggression lebt. Er zeigt offensichtliche Anzeichen einer geistigen Behinderung oder Entwicklungsverzögerung. Er kann nicht kohärent sprechen (nur grunzen und quietschen), er trägt Masken, um buchstäblich eine andere Identität anzunehmen, und er sucht verzweifelt nach Anerkennung durch seine älteren Familienmitglieder. Der Psychologe Alfred Adler stellte fest, dass Menschen, denen es an gesundem Selbstwertgefühl und sozialem Interesse mangelt, sich oft in Neurosen oder Aggressionen zurückziehen, anstatt sinnvolle Beziehungen aufzubauen. Leatherfaces gesamte Identität ist eine Art Neurose, die ihm von seiner Familie auferlegt wurde. Er ist nie erwachsen geworden und hat nie ein Selbstbewusstsein entwickelt, das über seine familiäre Rolle hinausgeht.
Er hat große Angst, ihnen gegenüber etwas falsch zu machen. In einer Szene, nachdem ein Opfer entkommen ist, tadelt der Koch Leatherface scharf, und dieser hochgewachsene Mörder kauert wie ein gescholtener Junge und wimmert vor Angst vor der Strafe. Es ist eine groteske Umkehrung einer normalen Eltern-Kind-Beziehung, in der das Böse die Führung ersetzt. Leatherfaces Kettensäge und der Vorschlaghammer sind seine „Spielzeuge“, und Mord wird als seine Hausarbeit dargestellt. Er ist praktisch die verkörperte kollektive Neurose der Familie, eine Personifizierung all ihrer aufgestauten Wut und Perversion, die er ohne Gewissen ausübt, weil ihm nie erlaubt wurde, eines zu entwickeln. Wie die Filmwissenschaftlerin Carol J. Clover feststellte, ist Leatherface (im ersten Film) „für immer in der Kindheit gefangen“, ein erwachsener Körper, der von einem kindlichen Geist beherrscht wird, vollständig geprägt von der monströsen Familie um ihn herum. Die Sawyer-Familie hat einen Mörder geschaffen, so wie ein gestörter Töpfer seinen Ton formt, indem sie jeden Funken unabhängiger Menschlichkeit in Leatherface zerstörte und ihn zu einer Waffe formte, um ihre Lebensweise aufrechtzuerhalten.
Während Adler uns eine sozialfamiliäre Sichtweise vermittelt, ermöglicht uns Freuds psychoanalytisches Modell einen Einblick in Leatherfaces Psyche und die kollektive Psyche der Familie Sawyer. Freud unterteilte die Psyche bekanntlich in drei Teile: das Es (primitive Triebe und Wünsche, die nach dem Lustprinzip funktionieren), das Ich (das rationale Selbst, das mit der Realität verhandelt) und das Über-Ich (das verinnerlichte moralische Gewissen und die sozialen Normen). Bei einem ausgeglichenen Menschen halten sich diese drei Komponenten gegenseitig in Schach, wobei das Ich zwischen den Trieben des Es, den Regeln des Über-Ichs und den Grenzen der Realität vermittelt. Doch was geschieht, wenn das Umfeld völlig versagt, indem es keine moralischen Werte vermittelt und keine gesunde Ich-Entwicklung fördert? Das Ergebnis ist eine Psyche, in der das Es ungehindert und praktisch unkontrolliert wütet. Leatherface ist ein Musterbeispiel für die Dominanz des Es aufgrund eines Versagens des Umfelds. Er handelt fast ausschließlich aus reinem Instinkt heraus, dem Drang, vermeintliche Eindringlinge zu töten, dem Drang, sich zu ernähren (durch Kannibalismus), dem Drang, Schmerzen zu vermeiden (indem er sich vor dem Missbrauch durch seine Familie duckt) und dem Drang, Anerkennung zu suchen (wie ein Hund, der durch Schläge gefügig gemacht wurde, „benimmt“ er sich, um Strafe zu vermeiden).
Es gibt keine Anzeichen für ein funktionierendes Über-Ich in ihm, keine innere Stimme des Gewissens oder gesellschaftlicher Gesetze. Wie könnte es auch? Seine einzigen „Lehrer“ für Recht und Unrecht sind eine Familie von Kannibalen, die normale Moral ausdrücklich ablehnen. Nach Freuds Begriffen wurde Leatherfaces Über-Ich nie richtig ausgebildet. Wenn überhaupt, wurde es durch die Stimme seiner Familie ersetzt, die als eine Art Anti-Moral fungiert. Das Über-Ich nach Sawyer sagt nicht „Du sollst nicht töten“, sondern „Du sollst tun, was Opa und der Koch sagen, egal wie abscheulich es ist“. Unter einer solchen Führung wurde jedes aufkeimende Ego, also der Teil von Leatherface, der sich rational mit der Außenwelt hätte auseinandersetzen können, unterdrückt. Anstatt zu lernen, seine Impulse konstruktiv zu kanalisieren, hat Leatherface nur Unterdrückung und explosive Entladung gelernt. Er versteckt sich größtenteils im Haus (wie ein Kind, das sich hinter den Beinen seiner Eltern versteckt), bis Eindringlinge ihn zu plötzlicher Gewalt zwingen.
Das Haus der Sawyers selbst wirkt wie die Externalisierung einer gestörten Psyche. Wenn wir uns das kollektive Bewusstsein der Familie als eine Struktur vorstellen, dann ist es ein verfallenes viktorianisches Haus voller unbewältigter Traumata und Chaos. Leatherfaces Es wird durch das blutgetränkte Schlachtzimmer mit seinen Schlachtwerkzeugen und dem mit Blut bespritzten Gefrierschrank symbolisiert; das verzerrte Über-Ich der Familie wird durch die schrillen Tiraden des Kochs und den altersschwachen Großvater verkörpert, der wie ein parodistischer Richter am Esstisch sitzt. Und jeder Hinweis auf das Ich, das zwischen Wunsch und Wirklichkeit vermitteln sollte, fehlt auffällig oder ist dysfunktional. Das Haus ist vollgestopft mit grausigen Totems (Möbeln aus menschlichen Knochen, Federn und Haut), die der Psyche der Familie eine physische Form verleihen. Es ist, als hätte sich ihr Geist von innen nach außen gekehrt und die Wände mit den Zeugnissen ihres Wahnsinns geschmückt. Hier gibt es keinen ordentlichen Salon und keinen gemütlichen Herd, sondern nur Räume, die einer psychiatrischen Anstalt oder einer Kammer des Unterbewusstseins ähneln, in der primitive Motive Amok laufen. In einer Ecke gackert ein Huhn wie wild in einem Käfig (ein Bild von Panik und Gefangenschaft); in einer anderen suggeriert eine Couch aus Knochen die Normalisierung von Tod und Brutalität in diesem Raum. Die Architektur selbst widerspricht jeder Logik. Ähnlich wie in einem Albtraum führen Türen zu Räumen des Grauens und schmale Treppen zu einem Dachbodenschrein der Sterblichkeit (der ausgetrockneten Leiche der Großmutter). Wir können dieses Haus als Freuds Geist in Großformat interpretieren. Die normalen Grenzen zwischen Es, Ich und Über-Ich sind zusammengebrochen. Das Es (Urinstinkte) ist herausgebrochen und hat jede Oberfläche befleckt; das Über-Ich existiert nur noch als groteske Verhöhnung (die leichenähnliche Gestalt des Großvaters und die verzerrten Moralpredigten des Kochs); und das Ich, das den Menschen in der Realität verankern sollte, ist ebenso zerbrochen wie die Eingangstür, die die Opfer unwissentlich durchschreiten.
Leatherface ist also wie eine Psyche ohne starkes Ego oder echtes Über-Ich, ein Wesen, das fast ausschließlich von unbewussten Impulsen und der Prägung durch seine Familie getrieben wird. Wenn er angreift, handelt er reflexartig. Dringt ein Eindringling in sein Zuhause ein, schlägt er zu wie ein aufgeschrecktes Tier. Wenn keine unmittelbare Bedrohung vorliegt, ist er lustlos oder ängstlich und weiß nicht, was er mit sich selbst anfangen soll. Er trägt buchstäblich verschiedene Masken und Outfits, um Rollen anzunehmen (einmal zieht er eine Frauenhautmaske und eine Schürze an, um während des Familienessens die „Hausfrau” zu spielen), weil er kein stabiles inneres Ego hat, das seine persönliche Identität begründet. In Freudschen Begriffen ist seine Identität fragmentiert und neigt dazu, von dem stärksten äußeren Einfluss des Augenblicks überrollt zu werden (in der Regel ein Familienmitglied, das ihn herumkommandiert, oder die rohe Angst vor jemandem, der in seinen Raum eindringt). Die Psyche von Leatherface wurde von einem Rezensenten als „eher tierisch als menschlich“ beschrieben. Er hat Schwierigkeiten, Worte zu bilden, und kommuniziert durch lautes Gebrüll. Seine emotionalen Reaktionen sind direkt und ungefiltert (Wut, Angst, Verwirrung), wie bei einem Kind oder einem Tier. Dies ist das Es in seiner reinsten Form: vorverbal, vorrational, vormoralisch. Die Tragik besteht natürlich darin, dass Leatherface nicht als Monster ohne Gewissen geboren wurde, sondern durch ein Umfeld, das die Entwicklung seiner höheren psychischen Funktionen nie zuließ, zu einem solchen gemacht wurde.
Wenn wir Freuds Theorie berücksichtigen, dass das Über-Ich weitgehend durch die Verinnerlichung der Stimme der Eltern und der Regeln der Gesellschaft gebildet wird, erkennen wir genau, welche Stimme Leatherface verinnerlicht hat, und zwar das Credo der Familie Sawyer, das auf Mord und Chaos basiert.
Das Ergebnis ist so katastrophal, wie man es erwarten würde – ein Mensch, der wie eine Albtraummaschine funktioniert, seine Kettensäge eine Verlängerung seines Es. Mit einer solchen Psyche gibt es keine Verhandlungen oder Argumente, es gibt nur das Binäre, entweder konsumieren oder konsumiert werden. In Leatherfaces Welt wurde das Gesetz des Über-Ichs (in psychoanalytischer Terminologie das Gesetz des Vaters) durch das Gesetz des Großvaters ersetzt, eine Parodie patriarchalischer Autorität, die buchstäblich das Blut der nächsten Generation trinkt, um sich selbst zu erhalten. Das Sawyer-Über-Ich ist vampirhaft und wahnsinnig, verlangt absoluten Gehorsam und bietet keine ethische Struktur, die über das Überleben der Familie hinausgeht. So erhält Leatherfaces Es freie Hand, vorausgesetzt, es dient den skurrilen Interessen der Familie. Leatherface ist also, aus freudianischer Sicht, das, was aus einem Menschen werden könnte, wenn die Schutzmechanismen der Zivilisation wegfallen und die dunkelsten Potenziale der Psyche gefördert statt gezähmt werden. Das Haus der Sawyers gleicht dem Verstand eines Serienmörders, der zu einem Ort geworden ist. Es ist ein Spiegelkabinett, das nur Angst und Aggression zeigt, in dem das Ego verstummt ist und das Es eine Kettensäge schwingt.
Unter seiner schonungslosen Realitätsnähe bewegt sich „The Texas Chain Saw Massacre“ im Bereich der Symbolik und der düsteren Mythologie. Die Sawyer-Familie mag aus kannibalistischen Wahnsinnigen bestehen, doch sie ahmt unbewusst traditionelle Strukturen und Archetypen nach, wenn auch in umgekehrter Form. Die wohl berühmteste und erschreckendste Sequenz des Films ist die Abendessensszene, eine albtraumhafte Parodie auf ein Familienessen. Hier erreicht der Film eine Art halluzinatorischen Ritualismus, als wären wir Zeugen einer schwarzen Messe oder eines Anti-Sakraments. Kritiker und Wissenschaftler haben diese Szene oft mit einer umgekehrten Eucharistie verglichen, und es ist leicht zu verstehen, warum. In einer christlichen Kommunion versammeln sich die Gläubigen um einen Tisch, um symbolisch am Leib und Blut Christi teilzuhaben, ein Akt der spirituellen Nahrung und Einheit. Bei der „Kommunion“ der Sawyers versammelt sich die Familie, um buchstäblich Menschenfleisch zu sich zu nehmen, wobei das Blut echt ist. An einen Stuhl am Kopfende des Tisches gefesselt, ist das Opfer (Sally) sowohl Gast als auch Hauptgericht. Ihr Finger wurde aufgeschnitten, damit der ausgetrocknete Großvater ihr Blut saugen kann, eine bizarre Persiflage auf das Trinken des Messweins.
Die Szene ist beleuchtet und inszeniert wie ein höllisches Abendmahl, das Oberlicht schwankt und beleuchtet grinsende, schwitzende Gesichter und die mumifizierte Leiche der Großmutter, die wie eine unheilige Reliquie schweigend über dem Festmahl thront. Leatherface, gekleidet in einen frisch gebügelten schwarzen Anzug und eine Frauenmaske mit Make-up (seine Vorstellung von „sich für das Abendessen kleiden”), serviert das Essen in einer Pantomime häuslicher Normalität.
Die Formen der Tradition sind vorhanden (Zusammenkommen, Brot brechen (oder Körper zerlegen), ein Ältester an der Spitze, sogar das Aussprechen einer Art verdrehter Tischgebete in Form des spöttischen Lachens des Kochs), aber die gesamte Bedeutung wird ins Gegenteil verdreht. Es handelt sich eher um ein Ritual der Erniedrigung als um eines der Erlösung. Wenn ein Familienessen traditionell die Verwandtschaft und gemeinsame Werte bekräftigt, so festigt dieses Abendessen die Mission der Sawyers, nämlich die Grausamkeit. Sie verehren damit praktisch ihre eigene Verderbtheit. Der Wissenschaftler Joseph Lanza merkt an, dass Kannibalismus-Ereignisse in den Nachrichten (wie die Überlebenden des Flugzeugabsturzes in den Anden 1972, die sich dazu gezwungen sahen, Menschenfleisch zu essen) den Film subtil beeinflusst haben, wodurch die Abendessensszene eine zusätzliche Dimension aktueller Angst erhält. Es ist, als hätte die Familie Sawyer den Kannibalismus zu ihrem Sakrament gemacht, einer verdorbenen Tradition, die über Generationen weitergegeben wird.
Die Gestalten in diesem Ritual können auch als symbolische oder archetypische Figuren interpretiert werden. Der Koch oder „alte Mann“ (der sich später als älterer Verwandter der Brüder herausstellt) fungiert als eine Art autoritärer Patriarch. Interessanterweise ist er jedoch auch der Koch, der für die Versorgung sorgt (wenn auch in Form von menschlichem Barbecue). Diese Doppelrolle macht ihn sowohl zu einer Vaterfigur als auch zu einer „düsteren Mutterfigur“, da das Kochen traditionell eine mütterliche Aufgabe ist. Tatsächlich fehlt der Familie eine „echte Mutter“. Die „Oma“ ist verstorben (sie wird als verschrumpelte Skulptur auf dem Dachboden aufbewahrt) und es gibt keine mütterliche Sanftheit, die diesen Haushalt durchdringt. Die unbeholfenen Versuche des Kochs, seine jüngeren Brüder zu schelten und zu kontrollieren („Ich hab‘ einfach keine Freude am Töten ... wichtig ist, dass jeder hier seine Pflicht tut, ob’s ihm gefällt oder nicht“, murmelt er scheinheilig), lassen eine Karikatur eines Elternteils erkennen, der seine moralische Autorität verloren hat. Er schlägt Leatherface in der Abendessensszene mit einem Besen und schimpft mit ihm, weil er Unordnung gemacht hat, genau wie eine Sitcom-Mutter ein Kind dafür ausschimpfen würde, dass es die Küche verschmutzt hat, nur dass es sich hier um eine gewalttätige Hetzjagd handelte. Das völlige Versagen der mütterlichen Fürsorge in dieser Familie führt wohl zu ihrer außergewöhnlichen Grausamkeit.
In Jung'schen Begriffen kann die Sawyer-Familie als Ganzes als Manifestation des Schatten-Archetyps des amerikanischen Familienideals angesehen werden. Jungs Schatten repräsentiert die unterdrückten, dunklen Aspekte eines Individuums oder einer Gesellschaft, all die Eigenschaften, die wir in uns selbst leugnen und nach außen projizieren. Die Sawyers sind Amerikas Familien-Schatten. Sie kehren das gesunde Bild der Kernfamilie (Vater als Versorger, Mutter als Betreuerin, Kinder als gehorsam) in etwas Unangenehmes um. Sie haben einen „weisen alten Mann“ in Form des Großvaters, aber er ist ein leichenähnlicher Vampir, der nichts außer einem Erbe der Gewalt beiträgt. Sie haben eine Vaterfigur (den Koch), aber er ist feige, sadistisch und drückt sich vor der Verantwortung. Die beiden haben sogar so etwas wie jugendliche Geschwister (Der Anhalter und Leatherface), aber diese „Kinder“ sind Psychopathen, der eine hyperaktiv und sadistisch, der andere stumm und in seiner Entwicklung zurückgeblieben.
Die Rolle der Mutter wird manchmal auf bizarre Weise von Leatherface selbst übernommen. Er setzt eine Frauenmaske auf und zieht eine Rüschenschürze an, um das Abendessen zu „servieren“, fast so, als könne die Familie den Gedanken an eine Mutter nicht ganz loslassen und zwinge daher eines ihrer Mitglieder, ihre gespenstische Rolle zu übernehmen. Es ist auffällig, dass Leatherface seine formellste Kleidung im Film trägt, wenn er die Rolle des „Hausmanns“ übernimmt, obwohl er gleichzeitig auch der Schlächter ist. Diese Vermischung der Rollen verdeutlicht die brutale These des Films, dass die Werte der Fürsorge und Empathie (verkörpert durch den Mutterarchetyp) „ausgezogen und wie ein Kostüm getragen“ werden können. Sie sind zwar in ihrer Form vorhanden, aber im Geiste völlig tot.
Ein besonders eindrucksvoller symbolischer Moment ist, als der Anhalter fröhlich darauf besteht, dass der Großvater, der gebrechliche alte Patriarch, Sally am Esstisch töten soll, weil „Großvater ist der Beste Killer, den es je gegeben hat!“ Sie legen dem schwachen alten Mann einen Hammer in die Hand und führen ihn, um Sally den Schädel einzuschlagen, wie ein ungewöhnlicher Übergangsritus oder ein Privileg der Vorfahren. Diese Szene ist gleichermaßen absurd und erschreckend, denn die Tradition des Tötens wird buchstäblich über Generationen weitergegeben. Es ist auch eine düstere Umkehrung dessen, was beispielsweise ein Großvater mit einem Truthahn an Thanksgiving macht, wobei der Großvater hier versucht, ein lebendes Mädchen zu zerlegen, ein rituelles Weiterreichen der Fackel, das tief in der Mythologie ihrer Familie verwurzelt ist. Wir können dies als die Umsetzung der eigenen mythischen Überlieferung durch die Sawyers betrachten. In ihrer Geschichte ist der Großvater der große Held des Schlachthauses (sie halten ihn sogar mit Blut am Leben wie ein dämonisches Idol), und jede Generation muss seine Tapferkeit ehren, indem sie das Schlachten fortsetzt. Das Abendessen ist ihre Zeremonie der Kontinuität. Dabei fällt besonders auf, wie geringfügig und erbärmlich die Realität im Vergleich zum Mythos ist, denn der Großvater ist ein verwelkter Mensch, der kaum noch den Hammer halten kann. Die Mythologie der Familie zerfällt buchstäblich in ihren Händen, doch sie halten daran fest und lachen manisch. Dieses Bild könnte als Kommentar dazu verstanden werden, wie Traditionen zu absurden Formen werden können, wenn ihre ursprüngliche Bedeutung verloren geht. Die Tradition der Sawyers war das Töten und Schlachten (sie waren einst legitime Schlachthausarbeiter), die nun in Form eines albtraumhaften Andenkens fortgeführt wird.
Carl Jungs Archetypen beleuchten diese Dynamiken noch weiter. Jung schrieb über den Schatten sowohl in individueller als auch in kollektiver Hinsicht, dass er die unerwünschten, beschämenden Aspekte enthält, die das bewusste Ego nicht anerkennen möchte. Im kulturellen Kontext kann man sagen, dass die ideale amerikanische Familie des 20. Jahrhunderts (das bewusste Ideal) Werte wie harte Arbeit, Glauben und Kindererziehung umfasste. Der Schatten dieses Ideals würde all das umfassen, was von der feinen Gesellschaft verdrängt wird, wie Gewalt, Frauenfeindlichkeit, Missbrauch, Machtgier und sogar kannibalistischer Kapitalismus (die Ausnutzung anderer zum eigenen Vorteil). Die Familie Sawyer ist dieser zum Leben erweckte Schatten. Sie ist eine bösartige Interpretation der konsumorientierten Kernfamilie, eine wörtliche Umsetzung der Vorstellung, dass die Familie andere „verzehrt“, um sich selbst zu erhalten. Sie verarbeiten Menschen zu Fleisch, in einem Haus, das mit den Nebenprodukten des menschlichen Verzehrs (Knochen, Haut) geschmückt ist. Es ist die amerikanische Familie, die ihrer Maske der Höflichkeit beraubt und in monströser Silhouette dargestellt wird. Jung identifizierte auch den Archetyp des Tricksters, oft eine grenzüberschreitende Figur des Chaos, und beschrieb den Trickster interessanterweise als eine kollektive Schattenfigur, „eine Summe aller minderwertigen Charaktereigenschaften von Individuen“. Die Sawyers als Gruppe können als eine Trickster-Entität angesehen werden, die an den Scheidewegen des Amerikas der 1970er Jahre herumspukt und in ihrer maßlosen Verderbtheit die gesellschaftlichen Missstände (Gewalt, wirtschaftliche Verzweiflung) verkörpert.
Sie täuschen und verführen zweifellos unvorsichtige Reisende (indem sie per Anhalter den Van anhalten oder mit falschen Versprechungen über ein Barbecue an der Tankstelle locken). Aber im Gegensatz zu einem gerissenen mythischen Trickster sind die Sawyers weder redegewandt noch gewitzt; ihr „Trick“ besteht einfach darin, zunächst ganz normal zu wirken (der alte Tankstellenbesitzer wirkt auf den ersten Blick freundlich), um ihre Opfer anzulocken, und dann das Grauen darunter zu offenbaren. Auch dies hat eine mythische Resonanz, die an die alte warnende Geschichte von verratener Gastfreundschaft erinnert (wie der Zyklop in „Die Odyssee“, der Odysseus' Männer einlädt, nur um sie zu verspeisen). Man könnte sagen, die Sawyers sind texanische Zyklopen, mit Leatherface als dem einäugigen („maskierten“) Riesen in der Höhle.
Eine weitere Dimension mythischer Symbolik stellt die Kettensäge selbst dar. Innerhalb des Horrorgenres ist Leatherfaces Kettensäge ebenso ikonisch wie die Reißzähne eines Vampirs oder die Axt eines Henkers. Über ihre praktische Funktion als Tötungswerkzeug hinaus hat die Kettensäge jedoch auch eine metaphorische Bedeutung. Es handelt sich um eine Maschine, laut und unpersönlich, die dazu dient, Fleisch zu zerteilen, als wäre es Holz. Dies verbindet Mensch und Maschine auf beunruhigende Weise. Leatherface mit seiner dröhnenden Säge wirkt wie ein menschlicher Mähdrescher, der Lebewesen zu Fleisch verarbeitet. Der Film kontrastiert durch Dialoge zwischen den Figuren pointiert die alte Art der Viehschlachtung (ein Hammerschlag auf den Kopf, manuell und mit Geschicklichkeit verbunden) mit der neuen Art (die Einführung von Druckluftpistolen im Schlachthaus). Die Kettensäge, ein tragbares Werkzeug der Zerstörung, symbolisiert die Mechanisierung des Mordens. Es ist das umgekehrte Versprechen der industriellen Revolution, dass Technologie nicht dazu dient, das Leben zu erleichtern, sondern es effizienter zu beenden. Der Satz „Die Säge ist Familie“, der in den Fortsetzungen des Films ausdrücklich erwähnt wird, aber auch im Original impliziert ist, verdeutlicht, dass die Säge Teil der Identität der Sawyers
