Moths - Nachtschwärmer - Justin C. Skylark - E-Book

Moths - Nachtschwärmer E-Book

Justin C. Skylark

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Beschreibung

Der Museumsdirektor Jonathan schwärmt für den verheirateten Chirurgen Eliot. Der teilt zwar seine Freundschaft, ist jedoch unerreichbar. Das Einzige, wofür sich Jonathan sonst interessiert, ist seine Sammlung von Faltern. Sein jüngstes Exponat, ein Totenkopfschwärmer, scheint ein gruseliges Eigenleben zu entwickeln. Als zeitgleich der mysteriöse Maurice auftaucht, geraten nicht nur Jonathans Leben und der gewohnte Ablauf im Museum, sondern auch seine Gefühlswelt aus den Fugen. Der Naturwissenschaftler ist hin und hergerissen zwischen Eliot, der seine Liebe plötzlich zu erwidern scheint, und Maurice, der Leidenschaft und eine große Gefahr mit sich bringt. - Sitzt ein Schmetterling an deiner Scheibe, ist der Verstorbene zu Besuch ... "Moths - Nachtschwärmer" ist der erste Teil der Moths-Reihe.

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Seitenzahl: 276

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Moths Nachtschwärmer
Impressum
PROLOG
KAPITEL I
KAPITEL II
KAPITEL III
KAPITEL IV
KAPITEL V
KAPITEL VI
KAPITEL VII
KAPITEL VIII
KAPITEL IX
KAPITEL X
KAPITEL XI
KAPITEL XII
KAPITEL XIII
KAPITEL XIV
KAPITEL XV
KAPITEL XVI
Danksagung
Informationen:

Moths Nachtschwärmer

von Justin C. Skylark

Impressum

© Justin C. Skylark

2. Auflage, 2020

Kätnersredder 6 b

24232 Schönkirchen

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Irene Rep, www.daylinart.webnode.com

Bildrechte: @lapis2380, @V.Tverdokhlib – 123.rf.com

[email protected]

www.jcskylark.de

ISBN Ebook: 9783752835199

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

PROLOG

Sitzt ein Schmetterling an deiner Scheibe, ist der Verstorbene zu Besuch ...

Einige meiner Mitmenschen behaupteten, ich sei der typische Junggeselle, der geborene Einzelgänger, denn ich hätte niemanden.

So schien es, bis zu dem Tag, an dem ich bemerkte, dass das Leben nicht nur aus harter Arbeit bestand. Dort draußen in der Welt passierten Dinge, die ein gewöhnlicher Mensch sich kaum vorstellen kann.

Um es genau zu nehmen: Bis vor Kurzem glaubte ich nicht an das Phänomen Blutsauger.

Aber auch heute noch, wenn ich in der Nacht erwache, die Kälte mich umgibt, wenn ich das Wispern in den dunklen Räumen vernehme, hoffe ich oft, nur in einen bösen Traum geraten zu sein.

Ich sammelte Falter, in allen Größen und Farben, je nachdem, wie sie mir in den Kescher flogen.

Im Sommer verbrachte ich viele Nachmittage damit, mir fehlende und bedrohte Exemplare zu beschaffen. Dafür streifte ich oft stundenlang wie ein zerstreuter Forscher durch das dichte Grün oder bereiste bestimmte Orte der Erde.

Kaum jemand teilte meine Leidenschaft für diese Sammlung, galt sie als obskur und geschmacklos.

An einem wunderschönen Sommertag jedoch, die Dämmerung war gerade hereingebrochen, entdeckte ich ein besonders beeindruckendes Exemplar auf dem Fenstersims.

Selten begab sich eines dieser Tiere freiwillig in meine Fänge.

Gezielt und langsam bewegte ich mich, um es nicht zu erschrecken.

Seltsamerweise wehrte sich dieses Insekt nicht, als ich es mit den Fingerspitzen griff und den samtigen Leib hochhob. Es flatterte nicht einmal mit den Flügeln. Bereitwillig ließ es sich in die mit schwüler Sommerluft gefüllte Wohnung bringen.

In meiner Obhut führte der erste Weg des Falters in ein Glas. So konnte ich ihn besser beobachten.

Doch um ihn für immer zu besitzen, musste ich ihn töten.

Als studierter Naturwissenschaftler war das Konservieren von Insekten mein morbides Hobby, dabei war ich eher eine zurückhaltende, bescheidene Persönlichkeit.

Das Präparieren ist keine einfache Angelegenheit. Ist man jedoch darin geübt, geht es leicht von der Hand. Zuerst tötet man die Insekten mit Ethylacetat, spießt sie mit einer Nadel auf und stellt sie schließlich in einem Glaskasten zur Schau, natürlich mit den wichtigsten Daten versehen. Doch diesmal war alles anders.

Wie gesagt, es war seltsam, dass dieser Falter seinen Weg zu mir fand. Sofort bemerkte ich seine außerordentliche Schönheit, seine glänzende Schwärze, seinen flaumigen Körper.

In der Tat ein Tier, das nicht aus dieser Gegend stammte. Was trieb es hierher – in die Stadt?

Es gab mir ein Rätsel auf, das ich in jener Nacht nicht löste. Bis in die frühen Morgenstunden wälzte ich meine Bücher, doch schlüssig wurde ich nicht.

Als die ersten Sonnenstrahlen durch die Gardinen brachen, und der Falter im Glas träge geworden war, fasste ich den endgültigen Entschluss, diesen Fang für immer zu konservieren.

KAPITEL I

«John?» Der Ruf hallte von den hohen, stuckverzierten Wänden direkt zurück. «John?» Keine Antwort. Die Schritte kamen näher. «Jonathan?»

«Ja.» Erst jetzt konnte ich antworten. Lange Zeit hatte ich ins Leere gestarrt, als träumte ich mit offenen Augen. Dabei hatte ich nur nachgedacht, allerdings konzentriert und fern der Wirklichkeit.

Als mein Blick die Standuhr streifte, bemerkte ich, dass über eine Stunde verstrichen war. Sechzig Minuten Arbeitszeit, in der ich nur still dagesessen hatte.

«Alles in Ordnung?»

William sah mich prüfend an. Wie immer war sein rötliches Haar säuberlich zu einem Seitenscheitel frisiert. Seine blasse Haut ließ schnell erkennen, dass er irischer Abstammung war. Oftmals wirkte er in seiner phlegmatischen Art etwas unbeholfen, doch seine unterstützende Hand war für mich jeden Tag ein Segen.

«Ehrlich gesagt ...» Ich schüttelte den Kopf. «Keine Ahnung.»

Verzweifelt sah ich auf die Bücher, die sich vor mir auftürmten. Gesammelte Werke aus aller Welt, doch keiner der Wälzer lieferte mir eine präzise Antwort.

Entschlossen griff ich nach dem Glas, in dem der Falter ruhte.

«Den habe ich gestern gefangen, und frage mich nicht, um was für ein Exemplar es sich hier handelt.» Ich hob die Schultern an. «Ich bin ratlos.»

William beugte sich vor. «Ziemlich groß. Sieht wie ein Nachtschwärmer aus.»

Er runzelte die Stirn, kniff die Augen zusammen, schließlich schielte er zu mir herüber, um meine Reaktion zu prüfen.

Doch ich lehnte mich nur müde zurück. «So weit waren meine Vermutungen auch, doch in den Büchern finde ich nicht die passende Antwort.»

Im nächsten Moment richtete ich mich wieder auf und tippte dabei auf den Sammelband, der aufgeschlagen auf dem Schreibtisch lag.

«Ich dachte zuerst an einen Acherontia. Das würde die enorme Größe erklären, aber die Färbung passt überhaupt nicht dazu.»

Jetzt sahen wir beide in das Glas, so nah, dass ich Williams von Kaffee geschwängerten Atem riechen konnte. Augenblicklich wurde mir bewusst, dass ich noch nicht gefrühstückt hatte.

«Ein Acherontia? Atropos oder Styx? Sie ähneln einander sehr. Die gelben Färbungen können komplett fehlen.»

In der Tat eine Information, an die ich zuvor noch nicht gedacht hatte.

Er nahm das Glas in die Hand, dazu die Taschenlampe, die griffbereit auf dem Schreibtisch lag. Direkt leuchtete er damit auf den dicken Insektenkörper, jedoch nur einen kurzen Augenblick. Was er sah, jagte ihm einen Schrecken ein. Sofort stellte er das Glas samt Falter zurück auf den Tisch, als wollte er nichts mehr damit zu tun haben.

«Eindeutig ein Acherontia Atropos», presste er hervor. Er konnte seine Erschrockenheit kaum verbergen.

«Bist du sicher?» Obwohl ich William als erfahrenen Entomologen schätzte, war ich mir bei der Bestimmung des Falters nicht sicher. Aber er nickte entschlossen.

«Unter dem grellen Licht wird seine Färbung ein wenig sichtbar. Ich konnte das Muster auf dem Körper erkennen. Ohne Zweifel ein Totenkopfschwärmer.»

Warum William so dermaßen erschrocken war, konnte ich nicht nachvollziehen, vielleicht, weil Totenkopfschwärmer als Unglücksbringer galten.

War mein Freund abergläubisch?

Ich schmunzelte. «Es ist doch nur ein Falter, der sich verirrt hat und wahrscheinlich genetisch bedingt etwas aus der Reihe tanzt.» Mir tat das Tier im Glas mittlerweile leid. Ob es ahnte, was ich mit ihm vorhatte?

«Dort, wo sich ein Totenkopfschwärmer in ein Haus verirrt, droht großes Unheil», erklärte William mit Nachdruck. Ich war anderer Ansicht:

«Will ...» Ich stand auf, musterte ihn. «Das sind Ammenmärchen. Du glaubst doch nicht daran?»

Wir sahen uns tief in die Augen, eine ganze Weile, aber er antwortete mir nicht. Als im Hintergrund ein Klopfen an der Tür ertönte, schien er erleichtert, keine Rechenschaft für sein ängstliches Verhalten ablegen zu müssen.

«Die Besucher ...» Er deutete hinter sich. Es war nach 9 Uhr. Das Museum öffnete. «Du entschuldigst mich?»

«Aber sicher ...»

William entfernte sich, um die wenigen Besucher hereinzulassen.

Mittlerweile kamen immer seltener interessierte Leute in das Museum für Naturkunde. Doch dank der wissbegierigen Studenten und gelangweilten Rentner mit Dauerkarte kam genug Geld herein, um das Gebäude und die kostbaren Ausstellungsstücke instand zuhalten.

Am Wochenende feierte das Museum sein 200-jähriges Bestehen. Ein Fest, dem wir alle erwartungsvoll entgegenfieberten.

Erlesene Gäste wurden geladen, Prominente, die mit ihren großzügigen Spenden sehr willkommen waren und die unsere Sammlungen angemessen würdigten.

Natürlich konnte man auch Eintrittskarten für dieses Event erwerben, allerdings zu einem gehobeneren Preis.

Die Gäste sollten die Abende in besserer Gesellschaft verbringen. Ihnen zu Ehren wurde ein opulentes Buffet angeboten, spezielle Ausstellungsstücke aus weiter Ferne ‹ausgeliehen› und zur Schau gestellt.

Die «Evolution des Menschen» – war das Hauptthema der Veranstaltung, die das ganze Wochenende andauerte. Speziell dafür musste der linke Seitenflügel des Erdgeschosses komplett leergeräumt werden und ein Teil der Insektensammlung weichen.

Ein Akt, der eine Herausforderung darstellte, dennoch, gut durchdacht und geplant, ohne Komplikationen vonstattenging.

Als der groß angekündigte Samstagabend gekommen war, an dem die gut gekleideten Besucher durch die hohen Räume des Museums wandelten, die Kunst bewunderten und mir ihr Lob aussprachen, war die schwere Arbeit vergessen. Eine gewisse Art von Stolz stellte sich stattdessen ein.

«Du hast dich wieder selbst übertroffen.»

Ich lächelte, als ich Eliots Bewunderung vernahm.

«Die Ausstellung ist übersichtlich, verständlich zu betrachten und natürlich ... äußerst interessant.»

Seine braunen Augen leuchteten, als er mir anerkennend zunickte.

«Ohne William und die anderen Mitarbeiter hätte ich es nicht geschafft», erklärte ich wahrheitsgemäß. Zufrieden blickte ich durch die weitläufigen Flächen, auf der die Exponate ausgestellt waren und um die sich die gut situierten Besucher scharten.

«Ich meine es wirklich ernst», fügte mein Gesprächspartner hinzu. «Einen besseren Generaldirektor hätte man für dieses Museum nicht wählen können.»

Er sah mich dabei an, als wollte er mir eine Liebeserklärung machen. Gerne hätte ich Derartiges gehört, doch die einschneidende Stimme, die unsere Zweisamkeit mit einem Mal zerstörte, erinnerte mich daran, dass mein Freund Eliot seit Langem in festen Händen war. Auch wenn mich seine positiven Rückmeldungen, die meine Arbeit betrafen, emotional bewegten.

«Ein wunderschöner Abend, Jonathan», hörten wir seine Frau Claudia sagen. Sie gesellte sich zu uns, griff den Arm ihres Mannes und schmiegte sich fest an ihn. «Obwohl dieser Affenmensch dort drüben wirklich unheimlich aussieht.» Sie kicherte in ihrer unverfälschten Art und zeigte ihre makellosen Zähne. Wie immer war sie bestens gekleidet. An dem Abend mit einem bodenlangen, schulterfreien Kleid. Der bordeauxrote Stoff passte ausgezeichnet zu ihren blond gelockten Haaren. Sie und Eliot, im schwarzen Smoking, waren ein wunderschönes Paar. Jedenfalls optisch.

«Du meinst den Homo erectus», verbesserte Eliot leise.

«Es ist eine Rekonstruktion eines Fossils», erklärte ich die Nachbildung des Menschenaffen, der Teil der Ausstellung war.

«Wie aufregend!», entwich es Claudia. Ihr Mann löste sich aus der Umarmung.

«Du solltest dir zur Abwechslung auch mal die Beschriftungen durchlesen, mein Schatz», sagte er, dabei drängelte er sie ein wenig von sich, als wollte er das Gespräch unter Männern unbekümmert fortführen. Doch sie lächelte weiter.

«Wo sind die Schmetterlinge geblieben, John? Du hast sie doch nicht weggegeben?»

Eliot verdrehte die Augen, als er das hörte.

«Nein, natürlich nicht.» Wie immer hatte ich Verständnis für ihre Unwissenheit und gab gerne Auskunft: «Wir haben sie im Keller zwischengelagert. Nächste Woche, wenn der Spuk hier vorbei ist, kommen sie wieder in die Ausstellung.»

Claudia war beruhigt. Wie ich wusste, liebte sie die bunten Falter ebenso sehr wie ich, auch wenn sie von der näheren Materie keine Ahnung hatte. Schnellen Schrittes stöckelte sie auf ihren hohen Schuhen davon und war im nächsten Moment in ein anderes Gespräch verwickelt.

«Entschuldige.» Eliot seufzte, dabei sah er seiner Frau hinterher, bevor er sich wieder an mich wandte. «Aber von Naturwissenschaften hat sie überhaupt keine Ahnung!»

Das musste er mir nicht sagen. Ich klopfte ihm auf die Schulter.

«Dafür macht sie deine Buchführung so zuverlässig wie keine andere.»

«Oh ja.»

Wir sahen uns an, als könnte uns an diesem Abend nichts trennen. «Noch einen Drink?»

Zusammen schlenderten wir durch die Ausstellungsräume, vorbei an der Sammlung der Huftiere, die in Form von Dermoplastiken dargestellt wurden, bis wir am Sektstand stehenblieben und erneut auf den gelungenen Abend anstießen.

Eliot war ein angenehmer Gesprächspartner. Obwohl er als Arzt für plastische Chirurgie – den Begriff Schönheitschirurg hörte er nicht gerne – meine Leidenschaft für Flora und Fauna nur im entfernteren Sinne teilte.

«Von Anmut geprägt waren unsere Vorfahren ja wirklich nicht», fuhr er mit der Unterhaltung fort, im Hinblick darauf, wie primitiv die nachgeformten Schädel der Vorgänger des Homo sapiens wirkten.

«Aber über mangelnde Aufträge kannst du dich heutzutage auch nicht beschweren, oder?»

Er schüttelte den Kopf. «Ganz im Gegenteil. Schönheit und ein gesundes Leben, bis hin zur Unsterblichkeit. Das sind doch die Dinge, nach denen unsere Gesellschaft strebt. Die Leute rennen mir die Türen ein.»

Es klang missgestimmt. Uns beiden war klar, dass er mit diesem Geschäft gutes Geld verdiente, dennoch zog er die rekonstruktive Chirurgie der ästhetischen deutlich vor.

Ihm war es lieber, ein durch einen Unfall zerstörtes Gesicht wiederherzustellen, als der solariumgebräunten Nachbarin mit Körbchengröße D weiteres Silikon zu implantieren.

«Vielleicht sollte ich deine Leistungen auch einmal in Anspruch nehmen.» Das war eine Vorstellung, die ich schon öfter erwogen hatte, jetzt allerdings das erste Mal laut aussprach. Sofort war Eliots erschrockenes Gesicht auf mich gerichtet.

«Wieso das? Du siehst blendend aus.»

Das hörte ich wiederum gerne, auch wenn es zu diesem Zeitpunkt gelogen war.

Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal beim Friseur gewesen war. Mein von der Sonne ausgeblichenes Haar war inzwischen schulterlang geworden. Meist trug ich einen Drei-Tage-Bart, dazu, aus Bequemlichkeit, die dicke Hornbrille in Schwarz, dabei besaß ich Kontaktlinsen. Auch aus vornehmer Kleidung machte ich mir nicht viel, obwohl ich an dem Abend einen Anzug trug. Wie alt der war, will ich hier wahrlich nicht preisgeben.

Ich war eben der typische «Biologe», wie William mich immer betitelte. Ich beschäftigte mich lieber mit meinen Forschungen draußen in der Natur, als zuhause einen sorgfältigen Blick in den Spiegel zu werfen. Zwar gab ich sicher eine passable Figur ab, doch wenn es um Kosmetik ging, erfasste mich stets eine Art von Lethargie.

«Du könntest dir allerdings mal wieder die Haare schneiden lassen.» Eliot musterte mich gründlich. «Dein Anzug wirkt altmodisch, deine Brille übrigens auch ... und frisch rasiert bist du ebenfalls nicht.»

Er hatte es also bemerkt. «Und du solltest endlich heiraten.»

Ich sah zu Boden. Diesen Satz hatte ich in letzter Zeit öfter gehört, nicht nur von Eliot und seiner Frau Claudia. Auch andere Freunde sorgten sich um mein Wohlergehen, dabei war ich zufrieden mit meinem Leben, oder nicht?

«Heiraten? Erst einmal jemanden finden, der mich und meine Insekten erträgt.»

Dem Blick meines Freundes wich ich absichtlich aus. Konnte ich diesem unangenehmen Thema nicht irgendwie entkommen? «Wo wir gerade von Schönheit sprechen ...» Nun fiel mir tatsächlich eine Sache ein, die ich ihm schon den ganzen Abend über mitteilen wollte. «Ich habe eine Entdeckung gemacht, die ich dir nicht vorenthalten kann.»

Ich muss gestehen, mein Herz klopfte aufgeregt, als ich das Museum verließ. Eilig überquerte ich die Straße zu meiner Wohnung. Ich hätte mir längst ein Eigenheim leisten können, vielleicht sogar außerhalb der Stadt. Trotzdem blieb ich dicht am Museum wohnen. Es gab mir Sicherheit, das Gefühl, nicht weit entfernt zu sein von den Schätzen, die mir so viel bedeuteten.

Ebenso lobte ich mir den kurzen Dienstweg, im Besonderen, wenn ein anstrengender Arbeitstag hinter mir lag.

Jetzt allerdings nahm ich die Stufen zur dritten Etage leichtfüßig, was wohl daran lag, dass mehrere Gläser Sekt durch meine Venen flossen. Ich konnte es kaum abwarten, Eliot, meine neueste Errungenschaft zu zeigen. Auf sein erstauntes Gesicht war ich ebenso gespannt wie auf seine bewundernden Worte.

KAPITEL II

Schon beim Betreten der Wohnung merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Ein eigenartiger Geruch lag in der Luft. Er war süßlich, faulig. Eine Begebenheit, die ich mir nicht erklären konnte, denn mir war dieser Duft bestens bekannt. Wer ihn einmal gerochen hatte, vergaß ihn nie.

Sofort bewegte ich mich langsam, nicht unsicher, aber wachsam. Ich schaltete vorerst kein Licht ein, stieß die Badezimmertür auf – nichts!

Mein Atem ging schwer, ich begann zu schwitzen. Gegenüber in der Küche bemerkte ich ebenfalls nichts, sodass ich wagte, den Lichtschalter zu drücken. Der Geruch kam unverkennbar aus dem Wohnzimmer. Einen Moment verharrte ich, schöpfte neuen Mut, dann eilte ich in das geräumige Esszimmer, das ebenso meinen Wohn- und Arbeitsbereich mit einbezog. Schwach fiel das Licht der Straßenlaternen in den dunklen Raum. Auch hier sah ich mich um, lauschte, doch nichts Ungewöhnliches schien sich zu verbergen. Stoßweise atmete ich aus, bediente einen weiteren Lichtschalter und zog schließlich die große Balkontür auf. Frische Sommerluft wehte mir entgegen.

Langsam kehrte in mir wieder Ruhe ein. Nur zur Vervollständigung des Suchvorgangs sah ich auch im Schlafzimmer nach dem Rechten. Ebenso wenig zeigte sich hier etwas Sonderbares.

Allmählich glaubte ich an eine Sinnestäuschung. Oder schimmelte da vielleicht etwas in meiner Küche, ohne dass ich es zuvor bemerkt hatte?

Ich kontrollierte die Schränke, die Gefrierfächer, aber entdeckte keine Ursache für den Gestank.

Ich beschloss, in Zukunft besser zu lüften. Immerhin befanden sich in meiner Wohnung um die 150 getrocknete Insekten. Die waren zwar luftdicht in ihren Schaukästen untergebracht, dennoch konnte einem Raum mit toten Tieren nicht genug an Frischluft fehlen.

Das dachte ich schmunzelnd und besann mich wieder auf den eigentlichen Grund, der mich hier hergetrieben hatte. Da holte mich die Realität schneller ein, als mir lieb war.

Vor genau drei Tagen hatte ich meinen neu erworbenen Falter präpariert. Für ihn wählte ich einen einzelnen Glaskasten, in dem ich ihn gesondert zur Schau stellen wollte, vielleicht sogar im Museum?

Denn, obwohl ich ihn genadelt und auf festem Holz drapiert hatte, verspürte ich Mitleid mit diesem Tier.

Jedoch hätte es in dieser Stadt niemals lange überlebt. Vielleicht war es sein Schicksal, dass sein Weg in meiner Wohnung endete?

Da ich ihm kein weiteres Leben schenken konnte, fühlte ich mich verpflichtet, seine Schönheit zu würdigen, indem ich ihn für die Nachwelt konservierte, denn er war mit der fast schwarzen Färbung unverkennbar ein Sonderling seiner Art.

Was ich dann allerdings bemerkte, jagte mir einen weiteren Schrecken ein, und mein Herz begann erneut zu rasen.

Als ich den Kasten mit dem Falter an mich nehmen wollte, um wieder zu Eliot zu gelangen, der sicher ungeduldig wartete, stellte ich fest, dass sich der Kasten nicht mehr dort befand, wo ich ihn zuletzt abgestellt hatte. Die Arbeitsfläche meines Präpariertisches war leer, stattdessen lag der Glaskasten zerstört am Boden, Scherben überall – und der Falter war verschwunden.

*

Zurück im Museum konnte mich die ausgelassene Stimmung dort nicht mehr begeistern. In der Ferne sah ich Eliot, der mir aufgeregt zuwinkte, doch ich wich seinem Blick aus, als hätte ich die Geste nicht gesehen.

Wie ein Ertrinkender suchte ich William in dem Meer der Leute. Er stand abseits bei den Großdioramen, die lebensgroße Tierpräparate in einer ihrer Umwelt nachgebauten Kulisse präsentierten. In diesem Moment war er in ein Gespräch mit dem Bürgermeister, einem Ehrengast, vertieft, aber als er mich heraneilen sah, stoppte er die Unterhaltung sofort.

«Meine Güte, John! Wie siehst du denn aus?»

Er kam auf mich zu und fixierte mein fahles Gesicht.

«Hast du ein Gespenst gesehen?»

«Ich wünschte, ich hätte ...», begann ich und bemerkte ebenfalls, dass ich ganz außer Atem war. Kein Wunder, dass ich sofort die Blicke auf mich zog. Bewusst nahmen wir Abstand von den anderen Gästen.

«Was ist denn passiert?»

Ich schüttelte den Kopf. Wo sollte ich anfangen?

«John?» Eliot kam näher. Er war nicht mehr alleine. Neben ihm stand ein äußerst gepflegt wirkender Herr im Smoking, der unter anderen Umständen mit Sicherheit meine Aufmerksamkeit erregt hätte, aber jetzt musste ich erneut abwinken.

«Nicht jetzt!»

Ich zog William weiter weg. Hinter einem Schaukasten, in dem Heimatvögel ausgestellt waren, schienen wir ungestört.

«Was ist denn los?»

«Er ist weg.» Ich konnte immer noch nicht glauben, was geschehen war.

«Wer?»

«Der Totenkopfschwärmer!» Es klang vorwurfsvoll, dabei schien mir William tatsächlich ahnungslos. «Ich hatte ihn fertig präpariert auf meinem Tisch liegen, und nun ist er fort.» Meine erboste Stimme konnte ich nicht zügeln.

«Geklaut?»

Ich zuckte mit den Schultern.

«Wurde bei dir eingebrochen?»

«Keine Ahnung, ich glaube nicht.»

Eine nachdenkliche Stille setzte ein, in der mir William an die Schulter fasste.

«Bist du sicher? Vielleicht ist er einfach nur wieder ... entwichen?»

Ich löste mich, wurde ärgerlich.

«Er war tot, Will! Ich habe ihn mit Essigester behandelt, getrocknet, genadelt, gespannt ...» Ich sah meinen Freund an und glaubte kaum, dass ich ihm diese Vorgehensweise aufzählen musste. Es war reine Routine gewesen. «Er war tot – im Kasten!» Wut keimte auf. «Und der liegt jetzt in Scherben auf dem Boden, und meine ganze Wohnung riecht nach Cadaverin und Putrescin!»

Das klang ungeheuerlich. Für William sogar unglaubwürdig.

«Es war eine anstrengende Woche und die Zeit davor auch sehr arbeitsreich. Glaubst du nicht, dass du einfach nur überarbeitet bist? Vielleicht bildest du dir das alles ein?»

«Mit Sicherheit nicht!», fauchte ich. Dabei bemerkte ich, wie gereizt ich mich gab und wie taktlos gegenüber Will, der mir in all den Jahren ein guter Freund gewesen war. «Es ist wohl besser, wenn du es dir selbst ansiehst.»

Meine sorgfältig geplante und organisierte Ausstellung war mir plötzlich egal. Ich hätte nie gedacht, dass ein einziges Exemplar meiner Sammlung eine derartige Kettenreaktion in mir auslösen könnte.

Ich war wie getrieben, überlegte sogar ernsthaft, die Polizei zu informieren, als wir auf den Ausgang zusteuerten.

Und da stand er wieder, mit großen, ungläubigen Augen, als könne er nicht begreifen, dass ich ihn nicht mehr beachtete.

«John? Was ist los? Unser Gespräch ...»

Mir tat es im Herzen weh, dass ich ihn abermals abweisen musste.

«Es tut mir wirklich leid, Eliot, vielleicht später.»

Ich wandte mich ab.

«Aber ich wollte dir doch einen Gast vorstellen!»

Eliots Stimme klang gekränkt. In der Tat war er ein derartiges Verhalten von mir nicht gewohnt, las ich ihm sonst jeden Wunsch von den Augen ab.

Trotzdem verharrte ich einen Moment, allerdings nur aus Höflichkeit, weniger aus Neugier, die im nächsten Augenblick in mir erweckt war.

Denn da stand auch er wieder: der Herr im Smoking. Ein sanftes Lächeln umspielte seinen Mund. Sein Gesicht war nahezu so leichenblass wie sein weißes Hemd, und die schwarzen Augen glänzten so dunkel wie sein nach hinten gegeltes Haar.

«Kennen wir uns?»

«Maurice de Sangui-Juela.» Er trat ein Stück hervor, reichte mir die Hand, wobei sich sein Kopf neigte. «Freut mich sehr, Sie endlich kennenlernen zu dürfen.»

«Nun ja, Sie müssen entschuldigen ...» Seine Hand war kühl, sein Griff fest. Er schien ein Mann von Entschlossenheit und Stärke. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht, das merkte ich sofort, sodass ich meine Finger schnell zurückzog und mich erklärte:

«Momentan ist ein äußerst ungünstiger Moment.»

Eliot schüttelte den Kopf. «Kannst du mir das bitte erklären?»

«Später!»

Ich schenkte ihm und dem Fremden ein schnelles Lächeln, dann verließ ich die Museumsräume erneut – diesmal mit William.

«Das war wirklich unhöflich», stellte der fest, während er mir schnellen Schrittes folgte.

«Hast du sein Gesicht gesehen?»

«Ich bin ihm keine Rechenschaft schuldig.» Wären wir liiert gewesen, ja, dann hätte ich Eliot gegenüber gerne Rechenschaft abgelegt, aber so?

«Kanntest du diesen ominösen Mann?»

«Nein.» Ich öffnete die Tür, wir traten ein. Sofort schnellte Williams Arm nach oben.

«Uh», stöhnte er unter vorgehaltener Hand, «wie riecht das denn hier?»

«Ich habe dich gewarnt.»

Im Flur blieb ich abwartend stehen, bis William sich an den Geruch gewöhnt hatte und die Hand wieder herunternahm.

«Sieht es nach Einbruch aus?», fragte ich forschend.

William inspizierte die Eingangstür, deren Schloss einwandfrei funktionierte. Ich ging vor, schaltete überall Licht ein, bis wir ins Wohnzimmer traten, wo sich mein Präpariertisch befand. William folgte still. Er sagte nichts und begriff wohl endlich, dass ich weder überarbeitet noch verwirrt war.

«Abgesehen von dem Geruch, der durch das Lüften ein wenig nachgelassen hat, ist nichts Auffälliges zu sehen, außer das ...»

Ich deutete auf den Scherbenhaufen. Williams Blick folgte. «Und du hast wirklich genau nachgesehen?»

«Ja!» Ich ging in die Knie, um den Holzrahmen und die Glasscherben noch einmal zu betrachten, dabei schnitt ich mir in den Zeigefinger.

Blut quoll aus einer kleinen Wunde. Ich nahm den Finger in den Mund und lutschte an ihm.

«Der Falter ist verschwunden.»

«Dann wurde er definitiv geklaut.»

Ich runzelte die Stirn, während ich mich wieder aufrichtete. «Von wem? Wer würde sich für ein einzelnes Insekt interessieren? Nichts anderes wurde entwendet. Zudem habe ich niemandem davon erzählt, außer dir.»

William riss die Augen auf. «Du glaubst doch nicht etwa, dass ich ...?»

Jetzt musste ich lachen. «Du hättest dich sicher nicht so ungeschickt dabei angestellt.» Ich dachte laut nach: «Nein, so war es nicht ... Der Kasten wurde bewusst zerstört und zurückgelassen, da bin ich mir sicher.»

Als ich das äußerte, entspannte sich William ein wenig. Ich merkte, wie er mit seinen Worten haderte, dennoch sprach er sie aus:

«Vielleicht bist du aus Versehen am Kasten hängen geblieben. Er fiel herunter, ohne dass du es gemerkt hast. Vielleicht war der Falter noch lebendig und ist wieder durchs Fenster entwichen?» Ein verkrampftes Lächeln folgte.

«Das Fenster war zu», erwiderte ich mit Nachdruck. «Der Falter war tot, da bin ich mir sicher. Und was ist mit dem Geruch? Wo kommt der her?»

«Und wie soll der Einbrecher hereingekommen sein?»

Ich hob die Schultern an.

«Die Balkontür war zwar zugezogen, doch hatte ich sie nicht abgeschlossen. Vielleicht ist der Täter über die Feuertreppe gekommen?»

Ich sah, dass William ein Lachen unterdrückte.

«Drei Stockwerke hoch, nur um einen Falter zu stehlen?»

Mein Gesicht verzog sich unzufrieden, schließlich machte sich eine große Enttäuschung breit.

«Wieso glaubst du mir nicht?»

«Ich glaube dir doch!», erwiderte William, dabei zitterte seine Stimme angespannt. Eine Aussage, die ich leider nicht ernst nahm.

«Aber wieso suchst du ständig nach Entschuldigungen für das, was vorgefallen ist? Wieso bestätigst du mir nicht, dass sich hier etwas Sonderbares ereignet hat?»

Selten war ich ihm gegenüber so aufbrausend gewesen. Sein bedrücktes Gesicht ließ mich Reue spüren, doch ebenso bemerkte ich, dass es eindeutige Gründe für sein Verhalten gab.

«Natürlich ist hier etwas Sonderbares vorgefallen, John, natürlich!», gab er zu. «Ich gebe dir Recht!» Er senkte den Kopf, als täten ihm seine vorherigen Worte leid. «Doch ist dir bewusst, was das bedeutet? Dieser Falter bringt Unglück, so, wie ich es schon die ganze Zeit geahnt hatte.»

Es war spät geworden und die Räume hatten sich geleert. So hatte ich mir den Abend nicht vorgestellt, das bemerkte auch William, als ich seufzend die Treppen des Museums erklomm und Eliot und Claudia erblickte, die sich auf den Heimweg machten.

«Morgen ist auch noch ein Tag.» William kniff mir in die Seite, aber ich hatte nur Augen für Eliot.

«Ihr wollt schon los?» Es war offensichtlich. Claudia hatte ihre lange Robe um sich gerafft und stieg müde lächelnd in die Limousine, die sie nach Hause kutschieren würde.

«Claudia hat Kopfschmerzen», erklärte Eliot, ein kritischer Blick folgte. «Und da der Gastgeber ohnehin keine Zeit für uns hat ...»

«Morgen Abend geht es weiter», erinnerte ich. «Dann werde ich mehr Zeit für euch haben.»

Eliot überlegte. «Ich weiß nicht, ob wir uns abermals die Zeit nehmen können.» Mit diesen Worten beendete er das Gespräch und stieg in den Wagen ein.

Ein Grund mehr, einen weiteren Sekt zu trinken. Der Abend war ohnehin gelaufen. Der Zeiger rückte auf Mitternacht, und wie es schien, wollte niemand gerne zur Geisterstunde im Museum verweilen. Mir war es recht. Vielleicht ein wenig zu früh gab ich den Sicherheitskräften die Anweisung, alle restlichen Gäste höflich nach draußen zu geleiten.

Langsam kehrte Ruhe ein. William inspizierte die Räume und vergewisserte sich, dass keines der Ausstellungsstücke zu Schaden gekommen war.

Ich wollte mich gerade ein letztes Mal an der Sektbar niederlassen, als ich ihn wieder bemerkte:

Maurice De ... Wie war noch gleich sein Name?

«Wie schade, dass Sie Ihre Räumlichkeiten schon schließen ...»

«Tja.» Ich hob meine Augenbrauen an und knapste mir ein höfliches Lächeln ab. «Man sollte bekanntlich Schluss machen, wenn es am schönsten ist.»

Mit einem schnellen, huschenden Schritt stand er plötzlich dicht neben mir. «Sie haben sich geschnitten?»

«Ja-a?» Mein Erstaunen war nicht zu überhören. Ich hatte die Verletzung bereits vergessen. Nicht einmal ein Pflaster hatte ich darauf geklebt, weil mir die Angelegenheit nichtig erschien. Woher wusste der Fremde davon? Er hatte nicht auf meine Hand geblickt.

«Es wird schnell verheilen.» Jetzt ergriff er meine Hand und betrachtete den Schnitt an meinem Zeigefinger.

«Entschuldigen Sie, bitte ...»

Ich zog die Hand zurück. Abermals hatte ich den Körperkontakt mit ihm als unangenehm empfunden. Warum, konnte ich mir nicht erklären, aber die Berührung fühlte sich irgendwie unnormal an.

«Wir schließen.»

Sofort verdunkelte sich sein mageres Gesicht. Durch seine schmalen Lippen entwich sein Atem. Ich konnte ihn riechen, denn diese Ausdünstung erinnerte mich sofort an den Geruch, der derzeit in meiner Wohnung herrschte.

«Sie enttäuschen mich», sprach er weiter, wobei er sich unauffällig umsah, als wolle er sichergehen, dass niemand mithörte. «Ihre Insektensammlung ist in aller Munde», fuhr er fort. Schließlich blitzten mich seine dunklen Augen wieder an. «Doch ich habe hier keine Arthropoden gesehen, außer ein paar Käfern.»

Mir stockte der Atem. Allein sein Tonfall verunsicherte mich. Was maßte er sich an, so mit mir zu sprechen?

Dass er Interesse an meiner Arbeit zeigte und mich durch den Gebrauch von Fachbegriffen beeindruckte, ließ mich allerdings Nachsicht zeigen.

«Ich entschuldige mich abermals, doch die Insektensammlung befindet sich derzeit in den unteren Räumen, solange die Festlichkeiten laufen.»

«Auch die Schmetterlinge?»

Ich nickte. Sofort merkte ich, wie ihm das missfiel, aber er rührte sich schließlich, trat einen Schritt zurück, sodass ich wieder frei atmen konnte.

«Ich will sie sehen», forderte er.

Ich schüttelte den Kopf. «Das geht nicht.»

«Ich will sie sehen!», wiederholte er, diesmal mit drohender Stimme.

«Kann ich irgendwie helfen?» William, von der Lautstärke des Gastes alarmiert, eilte heran. Ein Segen, wie ich empfand, obwohl ich die Situation alleine regeln wollte.

«Montags haben wir geschlossen und es wird umgebaut. Das dauert auch seine Zeit. Kommen Sie doch Mittwoch wieder, dann können Sie die Insekten an ihrem gewohnten Platz bewundern.»

William nickte bestätigend. Ich war froh, dass er geblieben war, auch wenn er sich nicht einmischte.

Zu guter Letzt zog ich eine Visitenkarte hervor. «Unser Museum hat dienstags bis freitags von 9 bis 18 Uhr geöffnet, am Wochenende von 9.30 bis 19 Uhr. Ich würde mich freuen, Sie hier bald wieder begrüßen zu dürfen.»

«Tagsüber?» Der Fremde spähte auf die Visitenkarte, sichtlich missgestimmt, trotzdem nahm er sie an sich. «Das passt mir überhaupt nicht.»

«Daran kann ich leider nichts ändern.» Ich hob meine Hand und deutete zum Ausgang.

«Wir schließen jetzt, darf ich bitten?»

KAPITEL III

Die Nacht war kurz gewesen und mein Kopf voller Gedanken, als ich am nächsten Morgen erwachte. Der beißende Geruch in der Wohnung war verflogen. Trotzdem konnte ich ihn nicht vergessen, denn ich wusste: So roch der Tod.

Während meiner Präparationsarbeiten der vergangenen Jahre waren mir etliche leblose Tiere unter die Augen gekommen. Es war jedes Mal eine Herausforderung gewesen, die toten Leiber auszunehmen und, wie man im Volksmund sagt: auszustopfen.

Auch war mir der Geruch von verwesenden Menschenleichen nicht fremd, er roch nicht viel anders. In der Zeit meines Studiums begleitete ich erfahrene Pathologen bei ihrer Arbeit und sammelte damit neue Erkenntnisse für meine Forschungen.

Mittlerweile beschränkte ich meine Präparierkünste nur noch auf Insekten.

Da diese meistens klein und von einem harten Außenskelett umgeben waren, richtete ich aus ihnen problemlos Trockenpräparate, ohne dass sie ihre Form verloren.

Allmählich ertrug ich es auch, wenn engagierte Tierschützer meine Forschungen bemängelten. Ich sprach mir keine Schuld zu. Niemals kam mir der Gedanke, unkontrolliert und in übermäßiger Zahl Tiere zu töten. Meine vereinzelten Fänge dienten hauptsächlich der Forschung und Lehre. Ich wollte die Erfahrungen weitergeben und für die Mitmenschen ausstellen. Die Arbeit im Naturkundemuseum kam mir daher gelegen.

Aber es gab auch Momente des Zweifels, das bemerkte ich, als ich an diesem Morgen aufstand, aus dem Fenster sah und auf die Häuser gegenüber blickte.

Die Gewissheit, dass jemand in meiner Wohnung gewesen war, mich und meine Arbeit womöglich beobachtete, ließ mich erschaudern.

Die Feierlichkeiten im Museum gingen am Abend ungeachtet dessen weiter. Durch interessante Gespräche mit den Gästen lenkte ich mich ab. Als das Buffet eröffnet wurde, blieb Zeit, um einen Augenblick innezuhalten. Zufrieden betrachtete ich die Ausstellung aus der Sicht eines Künstlers. Wenn es um meine Arbeit ging, gab ich mich selbstverliebt. Ich versank in Gedanken, begann zu träumen.

Ich hatte ihn nicht kommen hören, plötzlich stand er neben mir. Sofort drehte ich mich um, als ich seinen Körper an meiner Seite spürte.

Eigentlich war alles wie an dem vorherigen Abend, außer dass dieser Mann mir nun schon zum zweiten Mal viel zu nahe kam. Solche Nähe war ich nicht gewohnt. Sie verunsicherte mich, und trotzdem machte sie mich neugierig.

«Da Sie uns erneut die Ehre erweisen, scheint Ihnen die Jubiläumsausstellung zu gefallen», startete ich das Gespräch.

«Wie schon erwähnt: Nachmittags passt es mir nicht, Mr. Lane.»

Er sagte das ganz gewissenhaft, während er auf mein Namensschild spähte. Ich überlegte, doch sein merkwürdiger Name war mir entfallen.

«Maurice de Sangui-Juela», erinnerte er mich. Mein fragendes Gesicht war wohl zu offensichtlich gewesen.

«Ein ungewöhnlicher Name. Sie sind Spanier?» Sein auffälliger Akzent deutete darauf hin. Zudem war sein dichtes Haar rabenschwarz, typisch für einen Südländer. Nur sein blasser Teint passte nicht zu seinem Erscheinungsbild.

«Ich wurde in Málaga geboren», erklärte er, dabei funkelten seine dunklen Augen stolz. «Meine Muttersprache ist Spanisch, ja.»

Ich nickte interessiert, erhoffte diesmal ein unkompliziertes Gespräch. Aber da Maurice de Sangui-Juela mit seiner großen, schlanken Figur in dem schwarzen Smoking als imposante Erscheinung sofort ins Auge fiel, entging er auch William nicht. Und an die Meinungsverschiedenheit des Vorabends konnte mein Kollege sich ebenfalls bestens erinnern.

Im Hintergrund gestikulierte er aufgeregt mit den Armen und deutete dabei auf die Männer des Sicherheitsdienstes.

Durch ein beruhigendes Lächeln bestätigte ich ihm, dass alles in Ordnung war. Bis sich mein Gesprächspartner erneut naserümpfend umsah.

«Wie ich sehe, gibt es auch heute keine Schmetterlinge zu betrachten.»

«Abermals muss ich Ihnen sagen, dass die Insektensammlung, für Besucher unzugänglich, vorübergehend im Keller gelagert ist.»