Nachgelassene Lyrik aus drei Jahrzehnten - Erich Weinert - E-Book

Nachgelassene Lyrik aus drei Jahrzehnten E-Book

Erich Weinert

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Beschreibung

Erich Weinerts „Nachgelassene Lyrik aus drei Jahrzehnten“ ist ein literarisches Zeitpanorama des 20. Jahrhunderts – geschrieben mit der Wucht des politischen Dichters, der das Wort als Waffe verstand. Die Gedichte in diesem Band stammen aus den Jahren 1920 bis 1952 und spiegeln vier Epochen: die Weimarer Republik, das Exil im Kampf gegen den Faschismus, die Zeit des Zweiten Weltkriegs und schließlich die ersten Jahre der DDR. Mit beißender Satire, kämpferischem Pathos und berührender Klarheit reagiert Weinert auf politische Umbrüche, Krieg, Verfolgung und Aufbauwillen. Seine Sprache ist direkt, oft drastisch, aber niemals gleichgültig. Dieses Buch ist ein dichterisches Zeugnis eines Lebens im Widerstand – und zugleich ein Spiegel der Hoffnungen, Irrtümer und Spannungen eines Jahrhunderts.

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Seitenzahl: 251

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Erich Weinert

Nachgelassene Lyrik aus drei Jahrzehnten

ISBN 978-3-68912-548-6 (E–Book)

Erschienen 1960 im Verlag Volk und Welt, Berlin.

Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.

© 2025 EDITION digital®

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E–Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

1920 - 1933

GRUß AN DAS KABARETT

Bewegliches Theater, Zauberspiegel,

Schwankende Szene, Zerrbildlabyrinth!

Kristallener Kosmos im Adeptentiegel!

Was unterirdisch durch die Zeiten rinnt,

Weißt du in deiner warmen Hand zu fassen,

Wo alles Werdende Gestalt gewinnt.

Du sonderst Düfte aus dem Dunst der Gassen;

In deinem Dämmern schwanken rätselhaft

Des Daseins ewigwechselnde Grimassen.

Der graue Vorhang ist hinweggerafft;

Und leuchtend lösen sich die Pentagramme,

Die undeutbaren, aller Leidenschaft.

Geschöpfe steigen aus dem trüben Schlamme

Deukalischer Verwüstung; Lust, Verfall,

Wahnsinn und Anmut springen aus der Flamme.

Die Sphäre wird zum Lichtfontänen-Ball;

Gemeines flieht in taumelnde Erscheinung

Und Paradiese blühen überall.

Geburt und Tod in klingender Vereinung

Umspannen mild das schwärmende Gewühl

Von Lust und Ekel, Glaube und Verneinung. –

Und Wirklichkeiten werden Zauberspiel.

EUROPAS STUNDE

1919

Wollen deine Säulen nicht mehr stehen,

Ausgeblühtes Abendland?

Lass sie stürzen! Junge Winde wehen

Aus dem Morgen, der dich überwand.

Mach die Tür zu! Es gewittert.

Aus dem Osten kommt der erste Guss.

Unter junger Sieger Tritten zittert

Schon der Ural und der Kaukasus.

Doch auch diesen Ruf wirst du versäumen.

Deine Mannheit ist vorbei.

Glaubst du auch in deinen Greisenträumen,

Dass Europa von dir schwanger sei.

Siehst du nicht, wie sie den Gott ersehnt,

Dass er sie aus deinem Dunst entführe?

Wunderts dich, dass sie die Glieder dehnt

Nach dem fessellosen jungen Stiere?

Der mit einem einzgen Hörnerstoße

Aus dem alten Joch sich losgeschirrt,

Ob nicht auch in ihrem Schoße

Eine neue Welt empfangen wird?

Alte Welt, dir will nichts mehr gelingen.

Lang genug hast du mit ihr gehurt.

Wird der junge Stier sie nicht bespringen,

Wird es wieder nichts als Missgeburt!

SILVESTERGLOCKE

In der Silvestermitternacht

Werden die Fenster aufgemacht,

Der Bürger knöpft seine Seele auf,

Und lauscht berauscht zum Turm hinauf.

Er lauscht und dampft von warmem Wein.

Jetzt fällt die Silvesterglocke ein,

Der Bürger träumt: „O Weltenall“,

Und seine Seele schwingt mit dem Schall.

Der arme Mann mit leerem Bauch

Hört die Silvesterglocke auch,

Er liegt im Bett, sie bellt ihn wach,

Er flucht dem Geläute hoch über’m Dach.

Die Glocke verhallt. Jetzt blasen sie

Vom hohen Turm eine Melodie:

„Ein’ feste Burg …“ Das wimmert dünn

Wie Balsam über die Dächer hin.

Der arme Mann sagt: Blast nur zu,

Bald hat auch das Blasen seine Ruh.

Dann überbraust ein hellerer Sturm

Die fromme Glockenlüge vom Turm.

Sie hat gelogen Jahr für Jahr,

Ob Hunger, ob Krieg, ob Seuche war,

Sie plärrte dieselbe Melodie

Von Eintracht, Liebe und Harmonie!

Jahrhunderte, über aller Schmach,

Über allem, was man am Volke verbrach,

Über allem Blut, über aller Pest,

Die Lügenbotschaft vom Friedensfest.

Mit dem dunklen Wind vom Turme weht

Das Niederländische Dankgebet,

Die Glocke verhallt, das Lied hört auf.

Der arme Mann schaut zum Turme hinauf!

In einer Silvesternacht

Werden die Fenster aufgemacht!

Dann erwarten sie nichts vom Himmel her,

Und die großen Glocken lügen nicht mehr!

Die Glocken werden dann stille stehn.

Doch werden alle Sirenen gehn!

Und in allen Straßen belebt sich brausend,

Proletarier, ein fröhliches Neujahrtausend!

DIE GOLDANLEIHE

1923

Es hatte ein armer Untertan

Einen schweren goldenen Backenzahn.

Das war ein Grund zum Größenwahn.

Er druckte sich eine ganze Reihe

Gut fundierter Backenzahnanleihe

Mit schön heraldischer Bemalung;

Und die gab er in Zahlung.

Aber die Gläubiger wollten lieber in bar

Und drohten mit Zwangsvollstreckung.

Da sagte der Mann: Warum nicht gar!

Ich habe doch Deckung!

Meine Krone steht morgen dreimal so hoch.

Und was der Staat kann, das kann ich ooch!

GESPENSTERBALLADE

1923

Eine Morgensternschnuppe

Gespinst

Gespunk

Es grinst

Der Unk

Im Wald

Am Teich

So kalt

So bleich.

Der Sumpf

Bespinnt

Sich dumpf

Und blind.

Was schaut

Der Elb?

Schon graut

Es gelb.

Was schrie

Im Schilf?

Mari –

A hilf!

Was lacht

Der Glimm?

Die Nacht

Ist schlimm.

GOTTES FINGER

1923

Kandidat der Philologie Knoch,

Dem ein Bedürfnis nahte,

Machte ein Loch

In seine sittlichen Postulate

Und besuchte schnell

Ein Bordell.

Aber dort war soeben

Alles vergeben;

Nur ein Fräulein, etwas ältlich,

War noch erhältlich.

Doch gegen solcherlei Bedenkung

War Herr Knoch immun;

War’s ihm doch weder um Seelenversenkung

Noch um animalische Wollust zu tun.

Er sagte, dass es ohne Frage

Für ihn an der Zeit sei,

Dass er einem natürlichen Triebe Rechnung trage,

Und ob sie gerne dazu bereit sei.

Sie sprach: „So wahr ich Jungfer bin!

Komm man gleich hier rin!“

Die ältliche Bajadere

Brachte Zigaretten und Liköre.

Er sollte tun, als ob er zu Hause wäre.

Er fragte, ob er nicht etwas störe,

Und er hätte nicht viel Zeit

Und er käme bloß in der Angelegenheit.

Doch fügte er sich ihrem Protest,

Und schließlich hatte sie ihn soweit.

Da stellte er mit Bedauern fest:

Sein natürliches Verlangen

Wäre leider von selbst vergangen. –

Und als er das kleine Paradies

In ungeschwächter Würde verließ,

Sprach er gedankenvoll vor sich hin:

Es hat alles seinen tieferen Sinn!

Was mir da Seltsames widerfuhr,

War ein Wink der Natur.

Mir tut es nur leid um die Beträge.

Ich weiß, in Zukunft werde ich nur

Auf sittlichem Wege –.

1923

JUGENDKULTUR

1923

Barfußhalshäuptig, wie Zigeunerschwärme,

Romantisch wedeln sie durch Wald und Trift;

Sie stopfen Sonne in die Seelendärme,

Nach Cäsar Flaischlens Exerziervorschrift,

Sie quetschen mit Gitarren und Bandonien

Aus Richard Wagnern Volksgemütsextrakt;

Dazu wird, unter dunklen Zeremonien,

Ein schmackhaft Rübenmahl zurechtgehackt.

Zur Gourmandise wird die kärgste Speise,

Wenn man sie mit Zitaten überrankt,

Weil dadurch auch der Geist, beziehungsweise

Der Seelendarm zu seinem Recht gelangt. –

Der eine liest begeistert Theokritsche

Gesänge, mit theaterhaftem Schwung;

Der andre macht in Eurhythmie nach Nietzsche;

Ein dritter geht auf Seelenwanderung.

Zwei Jungfraun frönen rätselhaftem Trieb

Und schmelzen hin in lesbischem Gewurgel;

Ein krummer Jüngling hat sich selber lieb

Und steht allein mit schöngewölbter Gurgel.

Ein ultrablondes Weib, mit keinen Brüsten,

Sitzt kataleptisch wie ein junger Brahma;

Im Banne ihrer keuschen Seele nisten

Zwei Nebenbuhler. O verworrnes Drama! –

Ist dies nicht alles wie im Paradiese?

Erkennend dies, geliebter Mitmensch, werde

Auch du Apostel, dass die Paralyse

Des Abendlands dein Innres nicht gefährde.

WIE ES WAR

Tiefgefühlte Gedanken an meinem letzten Schultag

Es ist mir seelisch nicht mehr gegenwärtig.

Er war wohl so, wie jeder andre war.

Wahrscheinlich dacht ich mir: Nun bist du fertig

Und giltst als ausgewachsnes Exemplar.

Eins weiß ich noch: Es war die ganze Lehrkraft

Mit Voll- und andern Bärten angetanzt,

Und hatte uns von Bürgerpflicht und Wehrkraft

Und Sittlichkeit was ins Gemüt gepflanzt.

Da war zuerst der Alte mit dem Barte,

Vom Nasentabak freundlich angegilbt.

Er hatte statt des Strengen heut das Zarte,

Den innern guten Kern herausgestülpt.

Dann kam der approbierte Deutschzersetzer –

Der räusperte sich und sprach: „Ihr zieht davon!

Bleibt eingedenk, und werdet keine Schwätzer!

Und denkt an Komma und Semikolon!“

Und nun erschien, mit einer Festkrawatte

Und preußisch-brandenburg’schem Halsgerüst,

Der Mann, der Heldentum zu säen hatte.

Er sagte schlicht: „Verwertet, was ihr wisst!“

Dann kam ein Schädeldach in Kugelglätte,

Inhalt: Vier Drittel r zur dritten Pi,

Das sprach von sorgenloser Kindheit Stätte

Und vom Pythagoras: „Vergesst ihn nie!“

Und hinterher ging’s an ein Händefalten.

Die Lehrkraft ist umrahmt von Suppengrün,

Dann durften wir ein Heldenbuch behalten,

„Die deutsche Flotte“ – und von dannen ziehn.

DAS LUXUS-SANITÄTS-W.C.

1923

Es gibt Genüsse hier auf Erden,

Die allgemein missachtet werden.

Wer, dessen Därme noch intakt,

Kennt nicht die Stunde der Erbauung,

Wenn ihn der innre Drang gepackt

Als Endergebnis der Verdauung? –

Auf diesem, als profan geschmähten

Gebiete Neuland zu betreten

Und ersten Luxus zu entfalten,

War einem Manne vorbehalten,

Der in Berlin seit einem Jahr

Bedürfnisanstaltspächter war. –

Er sagte sich: Aus welchem Grunde

Gibt man dem Innern der Rotunde

Nicht ein behagliches Gesichte,

Damit der gutbediente Kunde

In Schönheit sein Geschäft verrichte?

Weg mit dem Geist der Tradition!

Auch der Genuss ist kultivierbar.

Und er erwarb die Konzession

Für eine Lokus-Schnaps-Probier-Bar. –

Da ging es wie im Klassenstaat

Nach unterschiedlichen Tarifen.

Man kam in einen Apparat,

Verdauungstätigkeit zu prüfen.

Für Leute, die Beschwerden zeigten,

Gab es Rhabarber in Likör,

Und, die zum Gegenteile neigten,

Verhinderungsschnäpse nach Begehr.

Man saß in einem Wintergarten

Bei Curacao und Maraschino,

Um dort die Wirkung abzuwarten;

Und bei gedämpftem Pianino

Genoss man ein Familien-Kino.

Und wem die schwache Stunde kam,

Begab sich in die Sonderzelle.

Was dort geschah, war wundersam!

Melodisch rauschten Wasserfälle.

Und wenn er Platz genommen hatte,

Umwehte ihn Jasminaroma;

Von einer Phonographenplatte

Erscholl das Liedchen: La Paloma,

Und dann: Was kommt dort von der Höh!

Wenn ich in deine Augen seh! –

Und was geschah von unten her,

Geschah von selbst und sanitär.

Und schließlich machte dem Genuss

Ein Föhn-Lufttrockner den Beschluss.

Die Anstalt wurde populär.

Man kam sogar von weiter her.

Doch da man sich zur Kasse drängte,

Kam dem und jenem die Poängte,

Bevor er ein Billett bekam,

Was die Umgebung übel nahm.

Und so entwickelten sich bald

Nicht unerhebliche Krawalle;

Der rohen Brachialgewalt

Erlag das gleiche Recht für alle.

Dem Pächter wurde kurz darauf

Die Schankwirtskonzession entzogen;

Er machte einen Laden auf

Und handelte mit Leibwehdrogen. –

Nun träumt, wie in vergangner Zeit,

In grauer Zinkblecheinsamkeit,

Mit Groschenautomat P. P.,

Das Luxus-Sanitäts-W. C.

KULTUR-REVUE

1923

Im zentralsten Europa gehts drunter und drüber.

Jedermann sein eigner Schieber!

Der schiebt in Moral, der in Zukunftsideen,

Der singt: Solange der Dollar steigt,

Kann Deutschland über alles nicht untergehen,

Der besäuft sich am schalen Rest und schweigt,

Der macht sich gesund in Devisen und Butter,

Der schiebt Reklame mit E. K. I,

Der glückwunschdepescht an die Landesmutter,

Der wird Prophet bei der Christian Science,

Der wird auf die Staatsverfassung vereidigt,

Wo die Rechte nicht sieht, was die Linke tut,

Der fühlt sich schon durch sein Dasein beleidigt,

Der denkt relativ und der absolut,

Der singt zu Ostern: O Tannebaum!

Und der hat die Tantaluesqualen und merkt es kaum,

Der gründet sehr laut einen vaterländschen

Verein für Entjudung und Hakenkreuzung,

Der Unter - beleidigt den Übermenschen

Von wegen der schlecht verteilten Beheizung. –

Der Bürger verzweifelt die Nase ins Bier tunkt

Und fühlt sich wie ein ausgebrannter Krater

Und weissagt: die Mark kommt noch unterm Gefrierpunkt

Und gilt dann als minus. Das wird ein Theater!

Das ist der Relativismus im Leben.

Man braucht dann kein Geld mehr auszugeben,

Im Gegenteil, man kriegt noch was raus,

Und die Schulden zählen als Kapital,

Und wir rechnen mit x und irrational. –

So sieht die deutsche Zukunft aus!

An der Ruhr wüten die Reparationskommissionäre,

Ob nicht irgendwo was zu reparieren wäre.

Was sie reparieren wollen, bleibt zwar schleierhaft,

Doch das liegt an unserer mangelnden Einbildungskraft,

Lieb Vaterland, magst ruhig sein:

Man repariert dich kurz und klein. –

Auch die Wirtschaft wird krank und immer kränker;

Man behilft sich mit Steuerkompromissen,

Und das edle Volk der Dichter und Denker

Fühlt sich von rechts wie von links beschmissen.

Aber noch leben die Memoirenstrategen,

Motto: herrlichen Zeiten entgegen!

In Lichterfelde wackeln die Fassaden;

Es gibt wieder markenfreie Friedensparaden.

Herr Geßler, flankiert von Feldmarschällen,

Fühlt seinen republikanischen Busen schwellen.

Solche Feiern nennt er verschämt interne;

Aber die Reichswehr, sie tut es gerne.

An allen Stammtischen bibbern die Fierzen;

Es wird sich kommentmäßig in die Brust geworfen,

Indes die Rütlischwüre zum Himmel schnerzen

Nebst Huldigungstelegramm an Ludendorffen.

Und die jeunesse diarrhoe, mit Vereinsabzeichen,

Sieht man geschart um die teutschen Eichen.

Man verpasst nicht gerne Gelegenheiten,

Denn was ein Hakenkreuz werden will, krümmt sich

Zum Tribunal wird jedes Kolleg. [beizeiten.

Wo ein Wulle ist, da ist auch ein Weg

Zu den Herren Ministerstellenvermittlern.

Und hohler und hohler hört mans hitlern.

Man bombardiert im Geiste Paris

Und hadert in teutonischem Grolle

Mit dem Gott, der Eisen wachsen ließ

(Aber nur unter Frankreichs Kontrolle).

Und Herr Cuno sagt immer mal wieder: Nein!

Fest steht und treu die Wacht am Rhein.

Doch kaum das grause Nein erklang,

Da ward’s ihm heimlich im Busen bang.

Und sieh’, da erschien an weißer Wand

Philipp Scheidemann seine verdorrte Hand.

(Aber die war gar nicht so sehr verdorrt,

Sondern in gut bürgerlichem Zustand)

Und nun erschien in Flammenschrift das Wort:

Ave Cuno, moratoria te valutant!

Und dann wiederholt man das Nein, aber diesmal sehr leise,

Gewissermaßen im häuslichen Kreise. –

Die Devisionäre sieht man in Bars und Dielen

In allerhand schwülen Gefühlen wühlen.

Man nimmt bei orientalischem Licht

Ein Stündchen Celly-de-Rheydt-Unterricht.

Voriges Jahr ging man noch in die Schule;

Heute tanzt man schon als kokaindische Somnambule.

Man mimt als Dernier Cri den Tanz,

Wie der Untergang des Abendlands

Daher auf apokalyptischem Ross wallt,

Frei nach Spenglers Oswald. –

Doch seht, schon wandern über Wald und Wiese

Die Asketen vom heutigen Dörrgemüse!

Wiederbelebung versunkener Kulturen

Atmet aus ihres Auges vegetarischer Bläue;

Um prähistorische Edda-Frisuren

Pendelt der Glanz buddhistischer Weihe.

Der du noch in Stehkragen und umhosten Knieen

Durch dieses perverse Dasein schweifst,

Du siehst hier eine Revolution sich vollziehen,

Die du vor der Hand noch nicht begreifst!

Du siehst eine Armee von Parsifalen

Mit Tolstoiblusen und Holzsandalen! –

Sonne dich, du greinender Untergängler,

Im Glanz der theosophischen Strahlen!

Wir werden Oswald Spengler

Was malen!

Erwache, Europa, aus deiner Agonie!

Es lebe der homo Häußeri

Und die Mohrrüben-Philosophie! –

Da stehste machtlos vis-á-vis!

GANZ KLEINE AMEISENGESCHICHTE

1924

Ein kleiner Ameisenbube

Fiel in die Ameisenlöwengrube.

Als er den Löwen sah,

Sagte er bloß: oha!

Mit diesem Wort auf dem Zünglein

Wurde er sanft zerlegt

Und entschwebte unentwegt

Als Ameisenenglein.

Dumpf sprach der Ameisenlöwe:

Vita omnium breve!

DAS FRISIERTE STACHELSCHWEIN

1924

Es war einmal ein Stachelschwein,

Ein richtiggehendes Stachelschwein;

Das wünschte, ein bisschen mondän zu sein.

Es ließ sich, bei einem Coiffeur in Wien,

Den faszinierendsten Scheitel ziehn.

Außerdem schnitt man ihm hinten wo

Den allermodernsten Bubenpopo.

Man teinte es mit lila Lack,

Dufteite es mit Eau de mille caques

Und ondulierte ihm à la page

Zum Schluss die gesamte Stachelage.

Nachdem dies alles an ihm geschehn,

Fühlte das Stachelschwein sich mondän

Und machte, als Unikum seiner Gattung,

In Feuilleton und Berichterstattung.

Doch von nun an betrachtete man es nur

Als Schwein mit Stachelschweinfrisur. –

In diesem Sinne ganz allgemein:

Ein Stachelschwein ohne Stacheln ist eben ein Schwein.

EINE OKKULTE VISION

1924

Heute nacht gegen drei Uhr,

Vom dreigestirnten Weinbrand genialisch durchfunkt,

Saß ich in meiner Dichterklausur,

Tief in mein Innres hinabgetunkt.

Da fühlte ich mich von einer Welle

Ganz sachte ins Transzendentale gehoben;

Und außerdem spielte irgendwo oben

Eine himmlische Militärkapelle.

Ich spürte, wie mich aus höheren Regionen

Ein somnambuler Regen bestrullte;

Ich war in den vierten Dimensionen.

Man sage nichts gegen das Okkulte! –

Auf einmal war ich wie mitten hineingestellt

(Oder besser hineingefallen)

In eine zweifellos paradiesische Welt. –

Und ich sahe und siehe! (Um apokalyptisch zu lallen)

Nach der Sintflut der Wahlpropaganda

Stand das Vaterland gereinigt und wie ein Mann da.

Aus dem jüdisch-republikanischen Kloakengestanke

Hatte sich doch zu guter Letzt

Der völkisch-christliche Gedanke

Mit überwiegender Mehrheit durchgesetzt.

Über achtzig Prozent der Reichstagsmandate

Entfielen auf die arische Ordnungspartei;

Das übrige waren ein paar antiquierte Substrate

Aus dem verflossenen Staate,

Aber sie fielen nicht mehr ins Gewicht dabei. –

Und ich sahe und siehe! Es war sehr feierlich.

Man hörte nicht mehr das marxistische Geschwätz.

Der neue Reichstag eröffnete sich

Mit einem schneidigen Ermächtigungsgesetz.

Man sprach nur mehr kurz, sachlich und schmissig;

Debatten wurden ganz überflüssig.

Gesetzgebung wurde ein feudaler Sport,

Denn die lächerliche Minorität kam gar nicht zum Wort.

Und ich sahe und siehe! Die Industrie

Handelte wieder mit Made in Germany.

Alle Streiks waren verboten.

Die Börse notierte unglaubliche Quoten. –

Und ich sahe und siehe! Über dem Regiment

Von Hakenkreuzrittern

Das Brandenburger Tor erzittern.

Vorneweg Ludendorff als Reichspräsident –

Im vertraulichen Geflüster

Mit Stinnes, dem neuen Arbeitsminister.

Das ganze Land war organisiert

In Kommandeure und Subalterne.

Sämtliche Juden wurden interniert.

Kaserne reihte sich an Kaserne.

Das große Heer der Arbeitslosen

Steckte in Litewka und Drillichhosen

Und übte Treu und Redlichkeit

Bei sechzehnstündiger Arbeitszeit.

Und ich sahe und siehe! In allen Gegenden

Wurden die Vermögenden

Endgültig von allen Steuern befreit.

Die schwarz-rot-goldnen, rötlichen und roten

Zeitungen waren überhaupt verboten.

Es gab nur mehr die „Allgemeine Breite Fresse“

Als einzig volkstümliche Presse,

Sowie die „Schwarz-weiß-rote Fahne“

Und einige andere völkifizierte Organe.

Und ich sahe und siehe! Als christlich gesinnter

Kultusminister wirkte Herr Dinter

Neben Staatsanwälten und ehrbaren Frauen,

Die deutsche Literatur zu entsauen.

Nacktballetts und sonstige Venusreigen

Durften sich nur

Vor geladenen höheren Beamten zeigen.

Im Übrigen wurde die Literatur

Im Sinne des arischen Gedankens betrieben

Und unter Klausur

Im Beisein von Studienräten geschrieben.

Als Staatstheaterintendant

Wurde der Literaturdirektor Roethe ernannt;

Der bestellte Hindenburgen

Als Dramaturgen. –

Und ich sahe und siehe, wie Emminger gewaltet,

Indem er die Justiz umgestaltet.

Es lag nunmehr das Rechtsverfahren

In den Händen von Polizeikommissaren.

Hier wurde wirklich nicht mehr gespaßt

Und der Delinquent, sobald er gefasst,

Auf der Stelle mit Blausäure vergast.

Die Unkosten fielen den Hinterbliebenen zur Last. –

Und ich sahe und siehe! Nicht zu bestreiten,

Das waren die versprochenen herrlichen Zeiten! –

Frühmorgens, noch im okkulten Schwipse,

Erwacht’ ich aus meiner Apokalypse

Und sprach mit tiefem Stimmband zu mir:

Die deutschen Wahlen stehn vor der Tür! –

Und dieses sei mein Wahlplakat:

Immer rin in den völkischen Zukunftsstaat! –

Das ist die beste Reklame, nicht wahr? –

Herr Ludendorff, was zahlen Sie Honorar?

DEUTSCHE TAGE

1924

Es blitzt der Helm, die große Schnauze knarrt.

Das ist kein Schützenfest, ihr Bonzenhelden!

Das ist kein Spiel! Jetzt geht es hart auf hart.

Wo Säbel rasseln, habt ihr nischt zu melden.

Heil dir im Siegerkranz und Schlachtgedröhn!

Hier hilft kein Ministerialdekret –

Fünf Jahre habt ihr grinsend zugesehn,

Wie man der Republik den Hals abdreht.

Fünf Jahre habt ihr euch nun fromm geduckt

Im Dusel demokratischer Gesittung.

Wenn man euch heute auf die Weste spuckt,

Bedankt euch höflich! Das ist eure Quittung.

Indes die Blechbehäupten sich betun

Mit Hurratüten, Wimpeln und Girlanden,

Haut ein sozialer Polizeitribun

Das revolutionäre „Pack“ zuschanden.

Hier große Fresse, Predigt, Festbankett,

Sich gegenseitig völkisch zu besaichen,

Dort Schutzhaft, Drahtverhau und Bajonett.

Man hat gesiegt. Das Vaterland braucht Leichen.

Doch unverzagt! Der Wiederaufbau naht.

Geschlossen stehn sie noch, in Wichs und Quasten,

Die alten Herrn vom Proletariat

Und drehn den alten Freiheitsleierkasten –

Kulturquatsch, Leichen, Regimentsmusik,

In diesem Zeichen wird man weiter siegen.

Das ist der Geist der freien Republik –

Und dabei soll man nicht das Kotzen kriegen?

ODE AN LUDENDORFF

1924

Heil dir in Mannenpflicht,

Herrscher vom Volksgericht,

Das du bezwangst!

Strahlend im Kriegsbehang,

Mehre den Deutschbelang!

Sei immer mittenmang!

Hab keene Angst!

Nicht Wels, nicht Levinsohn

Sichern den Ferschtenthron.

Bitte nimm Platz!

Mach die Schwatzbude zu!

Deutschland entjude du!

Halt ihm die Schnute zu!

Kaiser-Ersatz!

Du, der es nie vergisst,

Was deutschabträglich ist,

Zücke den Stahl!

Hoffentlich schon im Mai

Kommt auch Held Hitler frei,

Gehn wir ins Bürgerbräu

Gleich noch einmal!

Dann kommt der große Wurf,

Exzellenz Ludendurff,

Das Deutschgericht!

Führ uns zum Volkskrakeel,

Gib uns den Marschbefehl

Gegen das Marx-Kamel,

Nimm uns in Pflicht!

SICH SELBST BESIEGEN IST DER SCHÖNSTE SIEG

1924

Mangels nationaler Absatzmärkte

Klapperten die Wulles und die Hergte

Wieder mal, zur Hebung des Konsums

Ihrer prima Thronesglanz-Konserven,

Mit der Größe stillen Heldentums.

Denn der Wiederabbau ihres Ruhms

Ging dem Stärksten langsam auf die Nerven.

Ja, hier galts dem Reichstag eins zu drehen!

Nein, ein Deutscher klebt nicht am Mandat. –

Und sie ließen stolz die Linke sehen,

Was die Rechte tat.

Und so funkelten die besten Namen

Nationale Geisteslichtreklamen;

Und es loderten vom Fels zum Meer

Mächtige Beigeistrungsflammenwerfer.

Parlamentsauflösung?

Bitte sehr! –

Aber ach, die Firma zog nicht mehr

Trotz repräsentabler Ludendörfler.

Nirgends wollte das Geschäft mehr gehen.

Und so zog man im Geheimen Draht.

Und man ließ die Linke nicht mehr sehen,

Was die Rechte tat.

Was sich nun an eh’rnen Kompromissen

Abgewickelt hinter den Kulissen,

Meldet uns kein Lied, kein Heldenbuch.

Doch geschlossen auf die offne Szene

Trat Herr Hergt, mit altbewährtem Fluch

Gegen jeden Kompromissversuch;

Und er knirscht ein Nein durch seine Zähne,

Rechts und links! Hier gibt es kein Verstehen!

Doch, wie schwer errang man sein Mandat!

Unverzagt! Die Hergte wussten Rat.

Als man an die Schicksalsurne trat,

Ließ man seine Rechte nicht mehr sehen,

Was die Linke tat.

SELTSAMER FUND

1925

Das Mäuselein

Fand im Gestein

Zum ersten Male

Eine Schildkrötenschale.

Es sagte: I,

Was für ein Vieh!

Und perkutierte

Und spionierte

An dem Gebilde,

Das sich nicht rührte,

Denn es führte

Nichts mehr im Schilde.

DAS LAMA IM ZOO SINGT

1925

Man hätte mich gern engagiert

Im Zirkus Sarrasani.

Doch bin ich wieder desertiert.

Nun wandl’ ich still und undressiert

Als Lama asabthani.

Nun bin ich schon ein Jahr im Zoo

Und weiß nicht, was ich fühle.

Ich zeige meinen Wollpopo.

Die Leute nennen mich jetzt so:

Lama Bolivia Chile.

Wie würdig wandl’ ich meine Bahn

Durchs Alpenpanorama!

Es geht nichts über Größenwahn.

Was Gott tut, das ist wohlgetan.

Ich bin der Dalai Lama.

IDIOTEN

1925

Die armen Irren im Irrenhaus

Beschlossen, ein Parlament zu wählen.

Man fing gewaltig an zu krakeelen.

Und was kam schließlich dabei heraus?

Es fielen die allerhöchsten Quoten

Auf die unheilbaren Idioten. –

Aus dem Resultat ergab sich alsbald:

Es war eben eine richtiggehende Irrenanstalt.

JUSTITIA SPRICHT

1925

„Dass ich langsam vor dem Recht erblinde,

Gab man mir die dunkle Augenbinde,

Und so sah ich niemals, Gott sei Dank!

Wie die Waage auf und nieder sank.

Doch was nützt’s, in Blindheit zu versinken!

Denn in der Gerechtigkeitsanstalt

Fängt’s auf einmal schaurig an zu stinken,

Stammt auch dieser Stank vom Staatsanwalt?

Schrecklich mufft es unter meinen Priestern,

Die um meine eh’rnen Füße kriechen.

Hängt mir auch die Binde um die Nüstern:

Diesen Stank, den kann ich nicht mehr riechen!“

DICHTOGRAPH D. R. P.

1925

Warum lernen Sie Brandmalerei oder Skat?

Lernen Sie Dichten! Es ist auch nicht schwerer!

Sie beherrschen in einer Stunde den Apparat

So gut wie jeder versierte Oberlehrer.

Leiden Sie an Schwächezuständen?

Oder können sie vielleicht nicht schlafen?

Lassen Sie’s nicht dabei bewenden!

Beziehen Sie meinen Dichtographen!

Waren Sie kahl? Haben Sie Angst im Dunkeln?

Machen Sie Poesie mit moderner Richtung!

Sie vergessen Kukirol und Karbunkeln!

Werfen Sie sich auf die neueste Dichtung! –

In einem sauberpolierten Kasten

(Luxusausstattung in Eiche fourniert)

Finden Sie alles, was Sie interessiert.

Es genügt ein leiser Druck auf die Tasten:

Und Sie sind dichterisch inspiriert!

Bitte auf dem Bestellschein anzugeben,

Ob national, revolutionär oder demokratisch?

Die entsprechenden Reime stehen daneben.

Resultate sind garantiert sympathisch.

Sie können die Rechte und Linke bedichten

Oder Unruh-volle Jamben verrichten.

Bestellungen werden jederzeit angenommen.

Lassen Sie sich den Apparat zur Ansicht kommen!

Wollen Sie in die Illustrierte oder die Woche?

Betreiben Sie den deutschen Dichtungssport!

Postkarte genügt. Bestellen Sie sofort! –

Jeder seine eigene Literaturepoche! –

FAMILIENGLÜCK AUF DEM RUMMELPLATZ

1925

Frollein, wat kost denn det hier Angtreh?

Zwee Mann hoch! For mir und meine Olle!

Zwee Jroschen? Minna, jib ma det Pochtmonneh.

Wat? Noch een Sechser für die kleene Bolle?

Und wie is es denn mit den Familientaxameta?

Mit Inhalt. Dadrieben bei meine Olle stehta! –

Wat? Den krichten wir nich durch det Jedrängle?

Passen Se mal uff, wie ick damit durch die Jegend sengle! –

Männe, det is aba hier vielleicht een Menschenjewiehl! –

Nimm ma Fritzen! Ick schiebe det Embriomobil.

Denn bleibste hinta mir, det wir uns nich valoofen! –

Mutta, sost mir doch sowat Rosanet koofen!

Mecka nich un kuck hin, wo de jehst!

Männe, hier wird’s aba ziemlich mulmich, det heeßt:

Hier komm wa inn sojenannten Kampf ums Dasein rin.

Steuan wa man nach links uff det Bierzelt hin. –

Herr, nehm Se Rücksicht uff die junge Jeneratzjohn! –

Wat woll’n Se denn, Sie ausjekochte Person?

Mein Herr, falln Se nich aus de Sonntachsruhe!

Sons jondl ick Ihn ma ieba die Einsatzschuhe.

Männe, komm ma hier rum, hier is doch Platz.

Lass doch den doowen Seejen mitn Muskelasatz!

Nich wah, so eene wattierte Fassong!

Mutta, koof ma doch son jrien Ballong!

Gott sei Dank, det wär’ jeschafft. – Da sin ja zwee Stiehle. –

Na wenn de meenst, hier wärt etwa kiehle? –

Herr Oba, bring Se mal zwee Mollen!

Aba nich die kleenen, sone richtijen vollen. –

Nu jib ma mal jleich ne Buhlettenschtulle! –

Fritze, wo wistn hin? Hier kommste her! –

Männe, verabreich doch mal det Kind die Pulle. –

Det Aas hat doch schon wieda die janze Hose voll Teer! –

Minna, det Kind is, jloobich, nich janz jesund,

Det hat eenen janz feuchten Hintajrund. —

Herr Nachbah, schnuppen Se man nich jleich so heftich!

Wir sin Ihn woll zu populär?

Oder is Ihn det Arohma zu kräftich. –

Männe, ick zieh mir aus dem Vakehr. –

En Nuckel jähm, denn bläkt et nich! – Oba, noch en Topp!

Minna, ick habe det deinichte jleich mitjenossen.

Hau doch ma Fritzen eene ann Kopp,

Det hat sich schon wieda det Schemmesett bejossen. –

Nahmd, Herr Nachbah! – Det du imma jleich schtänkan musst! –

Wat heest hier schtänkan? Oba, noch eenen! –

So, und nu bleibste hier mit die Kleenen!

Ick jeh mal nach det Meechen mit die Löwenbrust. –

Wat, und ick bleibe hier alleene sitzen? –

Du aloobst doch, det ick mir mal die Attracktzjohnen ankieke,

Pass aba en bisken uff uff Fritzen!

Hier haste doch, ooch janz schtimmungsvolle Musieke! –

Vata, ick will doch mal bei die Athleten! –

Bleib’ man hier! Da wirste bloß dotjetreten. –

Du jehst ja doch bloß an de Schnapstheke! – Nee!

Aba ick schenke doch die Kasse nich meinen Angtreh.

NA, WER KAUFT NOCH MAL?

1925

Halloh! Wer weitergeht, wird erschossen!

Bleiben Sie stehn, meine Herren Zeitgenossen!

Immer der Reihe nach hinten angeschlossen!

Kommen Sie ran! Hier ist was für Sie!

Komm’ Sie rein in meinen Vergnügungstempel!

Hier haben Sie, made in Germany,

Europas heiligsten Krempel!

Bijouterien mit und ohne Musik!

Errungenschaften der letzten Epoche! –

Hier haben Sie die Friedensflöte der Republik;

Die bläst nur auf dem letzten Loche.

Benötigen Sie Ehrenzeichen und Schleifen?

Vorne schwarz-weiß-rot, hinten schwarz-rot-gold,

Leicht auszuwechseln! Wie ihr wollt!

Die Herren Staatsbeamten, bitte nur zuzugreifen!

Nehmen Sie einen Stresemann-Silberstreifen!

An hoffnungsvollen Feiertagen

Am engen Horizont zu tragen!

Ei, was hab ich denn hier? Nicht teuer!

Die Herrn Unternehmer, kaufen Sie Schleier

Aus erheblich verminderter Substanz!

Verschleiern garantiert jede Bilanz.

Wie wär’s denn mal mit der niedlichen Waage?

Prima deutsches Justizfabrikat!

Jurisprudenz in Westentaschenformat!

Das Ding bleibt stets in der schiefen Lage.

Die linke Schale bleibt immer oben.

Bitte, die Sache gleich durchzuproben!

Nehmen Sie mal den Artikel zur Hand:

Der Achtstundentag aus Gummiband!

Gesellschaftsspiel für Konzerne und Truste!

Meine Herren, ziehn Sie mal feste!

Das macht Laune, das macht Vergnügen!

Deutsche Arbeit! Nicht kaputt zu kriegen! –

Was sagen Sie zu diesem Gummikarnickel?

Der achtundvierzigste Verfassungsartikel!

Blasen Sie mal ordentlich hinten hinein!

Und wenn es richtig angeschwollen,

Kriegt es jede Verfassungsform, die Sie wollen

Und quiekt automatisch die Wacht am Rhein! –

Hier haben Sie die deutschen Freiheitsmützen!

Sehr billig! Sie haben leider zuletzt

Schon ein bisschen Amtsschimmel angesetzt.

Die können Sie auch für hinten benützen!

Meine Herrn von der Heldenpresse,

Haben Sie vielleicht Interesse

An anderen sinnigen Scherzgegenständen?

Z. B. Bombchen, mit leeren Phrasen gefüllt,

Gegen republikanische Minister anzuwenden?

Sie bleiben in blauen Dunst gehüllt

Und können im Umkreis von diesen Leuten

Den lustigsten üblen Geruch verbreiten. —

Meine Herrschaften von der unteren Kategorie,

Für Sie hab’ ich als besonderen Schlager

Ein entzückendes Steuer-Bukett auf Lager,

„Jedem das Seine!“ Haltbarkeits-Garantie!

Nun, meine Herren vom deutschen Wesen?

Wie bitte! Die kleinen eisernen Besen?

Werden nicht mehr fabriziert! Abrüstungsdiktat!

Sie verstehen! Wir sprechen uns nachher privat. –

Wie? Blaue Brillen? Sind nicht mehr modern!

Ach so! Für alle Fälle! Aber bitte, gern! –

Völkische Leierkästen gefällig? Prima Klang!

Einmal aufgezogen, lassen sie stundenlang

Die lieblichsten Weisen von Zion erschallen.

Etwas angerostet; im Preise gefallen. –

Hier haben Sie noch was! Sie lachen sich tot!

Dinters jüdische Witze fürs deutsche Haus! –

Suchen Sie sich schnell eine Kleinigkeit aus!

Riesenauswahl! Seltenes Angebot! –

Kriegen Sie getrost die Gelegenheit beim Wickel!

Jeder sein eigener Scherzartikel!

DIE STAATSVISITE BEI HINDENBURG

1925

Die drei Weisen nahten mit Herz und Hand,

Zwei vom Abend– und einer vom Morgenland,

Und standen ehrfurchtsvoll angeschraubt

Vor dem neuen deutschen Staatsoberhaupt.

Und sie verneigten sich tiefgerührt,

Als stets gehorsame Fürstendiener,

Und haben ihr Sprüchlein deklamiert,

   Konsistorialrat, Bischof und Oberrabbiner.

Der Landesvater hat gütigst genickt

Und eine überkonfessionelle Träne zerdrückt.

Dann sprach er von Glauben und Einigkeit.

Sie nickten nur, denn sie wussten Bescheid,

Und mischten ein Bekenntniskompott,

Als Hüter des Geists (und der Schwerverdiener),

Und schworen wieder beim eisernen Gott,

   Konsistorialrat, Bischof und Oberrabbiner.

Dann sangen wieder die heiligen Drei:

Ave Maria! Kodausch Adanoi!

Und Jesus, meine Zuversicht!

Und sahen in ihm das Jüngste Gericht.

Sie waren alle so einig im Geist

(Wie sagt man doch: Da lachen die Hühner!),

Wie Neunzehnvierzehn zusammengeschweißt,

   Konsistorialrat, Bischof und Oberrabbiner.

Selbst dem heiligen König vom Morgenland,

Dem drückte der Reichspräsident die Hand,

Weil der, in jener eisernen Zeit,

Doch auch die Kanonen mit eingeweiht. –

Dann schritten sie feierlich durchs Portal,

Und draußen salutierte ein Grüner,

Und segneten wieder den deutschen Stahl,

   Konsistorialrat, Bischof und Oberrabbiner.

VERFASSUNGSPARADE

1925

Ein Volk der Militärvereine

Braucht Stiftungsfeste mit Musik.

Es schwenkt die kriegsgewohnten Beine

Für Monarchie und Republik. –

Nun hat man wieder mal ein Lustrum;

Man hängt die Schärpe um die Brust rum.

So geht, mit Hurra und Applaus,

Die Staatsgewalt vom Volke aus.

Mit Bravo und da capo

   Die Schupo, Sipo, Lapo.

   Hoch oben, wie Granit,

   Die Spitzen der Behörden,

   Und die nicht alle werden,

   Im gleichen Schritt und Tritt.

So wird, mit durchgedrückten Knien,

Die Staatsverfassung synkopiert,

Die freiste der Demokratien

Mit hoher Wonne ganz verrührt.

Zu einem Volk der großen Denker

Gehört Zylinderhutgeschlenker

Und ein Altar, wo konsequent

Der Jeist von Neunzehnvierzehn brennt.

   Rabiate Volksjenossen

   Die beiden ausgeschlossen,

   Zwecks würdigem Verlauf.

   In funkelnder Gesinnung

   Marschiert die bessere Innung

   Verfassungsmäßig auf.

Es stehen verdorrte Hand-Protester,

Von Baldachinen überdacht,

Und stellen fest und immer fester,

Wie wir’s so herrlich weit gebracht.

Und überall Verfassungsfeiern,

Soweit die Zunge – (außer Bayern!).

Ein seltnes Fähnlein schwarz-rot-gold

Wird ernst und feierlich entrollt. –

   Nun knattern die Befehle

   Garnierter Generäle;

   Und alles schaudert rings.

   Es lüften sich Zylinder.

    „Verfassung prima, Kinder! –

   Achtung! Die Augen links!“

CHRONOS STELLT EIN LEBENDES BILD

1925

Angetreten zum lebenden Bild!

Nehmen Sie Platz auf der Kokosmatte!

Herr Ludendorff, drängeln Sie nicht so wild!

Es kommt jeder mit auf die Platte. –