Notärztin Andrea Bergen 1365 - Hannah Sommer - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1365 E-Book

Hannah Sommer

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Beschreibung

Neustart am Elisabeth-Krankenhaus


Schreckensstarr verfolgt die hübsche Schwester Kirsten jede Bewegung des behandelnden Arztes Dr. Joachim Wittkamp, der verzweifelt versucht, die Blutung im Bauchraum des Patienten zu stoppen. Doch Kirsten spürt mit untrüglicher Gewissheit: Es ist nicht die Bauchverletzung, die das Leben des jungen Mannes gefährdet. Etwas stimmt mit seinem Kopf nicht - stimmt ganz und gar nicht! Plötzlich holt die Vergangenheit Kirsten wieder ein, und die schrecklichsten Minuten ihres Lebens stehen ihr wieder vor Augen: der blutüberströmte Patient im Klinikum in Berlin ... und jene verhängnisvolle Fehldiagnose, die ihn das Leben kostete und das ihre zerstörte! Als vor dem OP-Trakt Hektik ausbricht, "entführt" Kirsten den Patienten aus der OP-Schleuse, um auf eigene Faust ein Kopf-CT zu veranlassen - sie kann einfach nicht anders! Und diese eigenmächtige Handlung bringt nicht nur den todkranken Mann in große Gefahr, sondern enthüllt auch Kirstens verzweifelt gehütetes Geheimnis ...

***

Notärztin Andrea Bergen ist eine Frau, deren Leben den Kranken gehört - aber auch mit eigenen Wünschen und Sehnsüchten nach Liebe und Geborgenheit. Spannungsreich und bewegend sind die Geschichten um sie und ihre Arbeit am Elisabeth-Krankenhaus.
Es sind Geschichten, die das Leben schrieb: voller Menschlichkeit und Herzensgüte, doch auch von Schicksalsschlägen und Trauer.

Genießen Sie alle 14 Tage eine neue, bewegende Geschichte rund um die starke 'Notärztin Andrea Bergen'.
Jede Folge ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen Folgen der Serie gelesen werden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 132

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Inhalt

Cover

Impressum

Neustart am Elisabeth-Krankenhaus

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: asiseeit / iStockphoto

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-7381-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Arme Schwester Kirsten! Ich möchte wirklich nicht in ihrer Haut stecken, wenn sie sich gleich vor unserem Klinikleiter Prof. Hebestreit verantworten muss! Ihre Entlassung scheint unabwendbar zu sein! Denn wie soll Kirsten dem Klinikchef den Grund für ihr eigenmächtiges Verhalten erklären – ohne das Geheimnis zu lüften, das sie vor aller Welt verbirgt? Nur ich weiß, warum Kirsten sich an jenem schicksalhaften Tag Dr. Wittkamps Anordnungen widersetzte und den schwer verletzten Patienten statt in den OP in die Röntgenabteilung brachte – doch ich muss schweigen, ich habe es versprochen …

Kirstens Neuanfang am Elisabeth-Krankenhaus, der so vielversprechend begann, scheint jedenfalls gescheitert zu sein, und sie droht den Mann zu verlieren, den sie von Herzen liebt: Dr. Joachim Wittkamp. Ausgerechnet er hat ja das Disziplinarverfahren gegen sie eingeleitet, das ihre berufliche Zukunft zerstören wird …

Kirsten Paulsen blieb vor dem großen Gebäudekomplex stehen und ließ den Blick über den dreistöckigen Backsteinbau mit seinen diversen Anbauten gleiten. Das Elisabeth-Krankenhaus war um einiges kleiner als das Klinikum, in dem sie zuvor in Berlin gearbeitet hatte, doch das störte sie nicht. Im Gegenteil, Kirsten war froh, endlich aus der Großstadt wegzukommen.

Sie atmete tief durch, straffte den Rücken und ging auf den Haupteingang zu, dessen Schiebetüren lautlos auseinanderglitten.

Im Parterre des Krankenhauses sah sich Kirsten erst einmal in aller Ruhe um. In der großen Halle befand sich rechts neben dem Eingang die Pförtnerloge mit der Telefonzentrale, auf der anderen Seite die Krankenhauskapelle. Ging man geradeaus, erreichte man die Patienten-Cafeteria, wobei man an einem Blumen- und Geschenkeladen sowie einem Kiosk mit Zeitungen, Illustrierten und einer kleinen Romanauswahl vorbeikam. Sicherlich waren die Patienten hier sehr dankbar für den Lesestoff.

Kirsten wusste nur zu gut, dass vielen Patienten die Zeit im Krankenhaus endlos vorkam. Als Krankenschwester hatte sie oft miterlebt, dass einige von ihnen nur wenig Besuch bekamen, manche sogar gar keinen. Da konnte etwas Abwechslung die langen Tage mit dem endlosen Warten auf die eigene Entlassung wenigstens ein bisschen verkürzen.

Sie folgte der Beschilderung in den rechten Trakt des Erdgeschosses, in dem die Verwaltungsbüros untergebracht waren. Dort klopfte sie an die Tür des Verwaltungschefs Philipp Grossert.

Wenige Augenblicke später wurde die Tür geöffnet, und ein hagerer Mann Mitte fünfzig öffnete ihr. Er hatte rotes Haar, und sein Gesicht war mit Sommersprossen übersät. »Sie müssen Frau Paulsen sein!«, sagte er Kirsten auf den Kopf zu. »Bitte, kommen Sie herein.«

Er machte einen Schritt zur Seite, sodass sie eintreten konnte, und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Er selbst setzte sich auf die andere Seite und nahm eine Mappe von einem Papierstapel.

»Meine Sekretärin Frau Kühnle hat Ihren Vertrag schon vorbereitet. Sie brauchen ihn nur noch zu unterschreiben.« Er schob Kirsten die Mappe über die Tischplatte zu und legte einen Kugelschreiber daneben. »Lesen Sie sich gerne alles noch einmal in Ruhe durch.«

Kirsten nahm den Vertrag auf und überflog ihn. Es war alles genau so, wie sie es mit dem Klinikleiter Prof. Dr. Hebestreit besprochen hatte. Sie konnte ganz unbesorgt unterschreiben.

»Oberschwester Bettina freut sich sehr, Sie nun in ihrem Team zu haben«, erklärte Philipp Grossert, als Kirsten ihm den unterschriebenen Vertrag zurückgab.

»Ich freue mich auch«, sagte sie mit einem kleinen Lächeln. Ihr war Bettina Eilers schon beim Vorstellungsgespräch direkt sympathisch gewesen. Die Oberschwester, der die Pflegedienstleitung oblag, mochte zwar im ersten Moment recht streng wirken, doch sie hatte auch einen verblüffenden Humor bewiesen.

Das waren beides Eigenschaften, die sie als Oberschwester in ihrem Alltag brauchte, und Kirsten hatte bei dem Gespräch mit dem Klinikleiter schnell gemerkt, dass Bettina Eilers im gesamten Krankenhaus unangefochtenen Respekt genoss.

»Bettina hat Sie für die Notaufnahme eingeteilt. Ich gebe eben schnell Frau Kühnle Bescheid, damit sie die Notärztin informiert. Dr. Bergen hat sich angeboten, Sie ein wenig herumzuführen und Ihnen die Abteilung zu zeigen. Dann werden Sie an Ihrem ersten Arbeitstag kommende Woche nicht direkt ins kalte Wasser geworfen.«

Er zwinkerte ihr aufmunternd zu, und Kirsten lachte amüsiert. Dann ließ er seine Sekretärin wissen, dass die Formalitäten erledigt waren. Als er das Gespräch beendet hatte, stand er auf und reichte Kirsten zum Abschied die Hand.

»Dr. Bergen wartet am Eingang der Notaufnahme auf Sie. Sie brauchen nur geradeaus durch die große Halle zu gehen, dann laufen Sie direkt darauf zu. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihren ersten Arbeitstag und freue mich sehr, Sie in unserem Team begrüßen zu dürfen.«

Kirsten bedankte sich und verließ das Büro. Sie durchquerte die Halle und entdeckte sofort die dunkelblonde Frau in dem weißen Arztkittel, die vor dem Durchgang zur Notaufnahme auf sie wartete.

»Hallo, ich bin Kirsten Paulsen«, sagte Kirsten, als sie die Notärztin erreicht hatte.

»Schön, Sie kennenzulernen. Mein Name ist Andrea Bergen.« Sie gaben sich kurz die Hand. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen alles.«

Kirsten fand die Notärztin sofort sympathisch. Andrea Bergen stellte ihr das Personal der Notaufnahme vor und zeigte ihr das Bereitschaftszimmer, die Untersuchungsräume und die OPs. Sie erklärte ihr auch, wo sich alle wichtigen Dinge im Materiallager befanden und welcher Schicht sie kommende Woche zugeteilt war.

»Sie werden dann mit mir und Dr. Wittkamp die Frühschicht übernehmen. Haben Sie schon Erfahrungen in der Notaufnahme sammeln können?«

»Ja, in meiner Zeit in Berlin.« Kirstens Herz zog sich zusammen, als sie daran dachte. Jetzt war nicht der richtige Moment für bedrückende Erinnerungen. Rasch schob sie die Gedanken daran beiseite. Sie wollte hier einen Neuanfang wagen, für die Geister der Vergangenheit hatte sie keinen Platz mehr. »Ich habe aber auch schon auf der Intensivstation gearbeitet«, erklärte Kirsten, um die Stille nicht zu groß werden zu lassen.

»Ach, dann sind Sie stressige Situationen und Hektik ja gewohnt.«

Kirsten lachte. »Ja, das bleibt in unserem Beruf wohl nicht aus.«

»Was halten Sie davon, wenn wir zusammen einen Kaffee trinken gehen?«, schlug die Notärztin vor. »Ich habe jetzt gleich Feierabend. Dann könnte ich Ihnen auf dem Weg auch noch das restliche Krankenhaus zeigen.«

»Sehr gern.« Kirsten freute sich sehr über das Angebot der Notärztin. Es war sicherlich gut, jemanden hier schon ein wenig besser kennenzulernen. Das würde es ihr an ihrem ersten Arbeitstag bestimmt ein bisschen leichter machen.

***

Kirsten stieg in den Bus und suchte sich einen Platz. Das Gespräch mit Andrea Bergen war sehr nett gewesen, und Kirsten hatte sofort einen Zugang zu der freundlichen Notärztin gefunden. Bestimmt würde sie sich gut in das Team der Notaufnahme einfinden. Sie freute sich schon auf ihren ersten Arbeitstag. Jetzt stand ihr nur noch der Umzug am Wochenende bevor, und dann konnte endlich ihr neues Leben hier beginnen.

Sie seufzte und sah aus dem Fenster. Die Häuser, die an ihr vorbeizogen, wurden immer höher, bis sie schließlich grauen und eintönigen Wohnblöcken wichen, die kaum noch einen Blick ins Grüne zuließen. Lediglich ein paar Geranien, die an den Geländern der winzigen Balkone hingen, trotzten dem Grau der Gemäuer.

Kirsten war auf dem Weg zu ihrem Bruder. Ulf hatte ihr angeboten, dass sie fürs Erste in seiner WG unterkommen konnte, da sie auf die Schnelle keine neue Wohnung gefunden hatte.

Das war natürlich keine Dauerlösung, aber einer von Ulfs Mitbewohnern hatte vor ein paar Wochen gekündigt, und da Ulf erst kürzlich seinen Job als Beikoch verloren hatte, setzten ihm die fehlenden Mieteinnahmen zusätzlich zu. Trotzdem freute sich Kirsten darauf, endlich wieder etwas mehr Zeit mit ihrem Bruder zu verbringen.

Seit sie damals ihr Studium in Berlin angefangen hatte, hatten sie sich immer mehr aus den Augen verloren. Jetzt hatten sie die Möglichkeit, endlich wieder mehr gemeinsam zu unternehmen, wobei Kirsten nur zu gut wusste, dass ihr großer kleiner Bruder sich nur ungern von seiner Schwester etwas sagen ließ.

Kirsten kramte in ihrer Handtasche und suchte nach dem Zettel, auf dem sie sich am Telefon Ulfs Wegbeschreibung notiert hatte. Als der Name ihrer Haltestelle genannt wurde, stand sie auf, nahm ihren kleinen Koffer und stieg aus.

Hier waren die Häuser noch heruntergekommener als in den restlichen Vierteln, durch die sie gefahren war. Putz bröckelte von den Wänden, manche Fassaden hatten Risse, die sich bis in den ersten Stock zogen, und von den mit Stuck verzierten Fensterrahmen blätterte die Farbe. Das war schade, denn früher mussten diese Häuser in ihrem hübschen Altbaustil einmal sehr viel bessere Zeiten gesehen haben.

Jetzt wohnten hier Studenten, Berufsanfänger und Künstler, die von der günstigen Miete profitierten und darauf hofften, dass dieses Stadtviertel irgendwann einmal den Aufstieg zu einem angesagten Szeneviertel schaffte.

An der großen Kreuzung angekommen, folgte Kirsten der Allee, bis sie an einem Kiosk vorbeikam. Dort hielt sie an und kaufte zwei Flaschen Bier. Dann bog sie nach links in die Seitenstraße mit dem alten Kopfsteinpflaster, wie Ulf es ihr erklärt hatte. Die Rollen ihres Koffers klackerten laut, als sie ihn hinter sich über das Pflaster zog, und irgendwo über ihr schlug ein alter Fensterladen, da wahrscheinlich ein neugieriger Anwohner wissen wollte, wer für einen solchen Lärm verantwortlich war.

Vor dem Haus mit der Nummer neun blieb Kirsten stehen und studierte das Klingelschild. Als sie den Namen ihres Bruders endlich gefunden hatte, drückte sie den Knopf. Kirsten legte den Kopf in den Nacken und sah nach oben. Vermutlich waren die meisten Wohnungen in dem vierstöckigen Gebäude an WGs vermietet. Das würde jedenfalls die vielen Namen an der Klingel und die häufig überklebten Briefkastenschilder erklären.

Plötzlich lugte aus einem der obersten Fenster ein blonder Kopf heraus. »Kirsten! Du bist schon da! Warte, ich komme runter! Du hast bestimmt viel Gepäck.«

Ulf wollte gerade wieder aus dem Fenster verschwinden, doch Kirsten hielt ihn zurück.

»Ich hab nur den kleinen Koffer!«, rief sie und hob wie zum Beweis ihren schwarzen Lederkoffer in die Höhe. »Der Umzug ist doch erst am Wochenende.«

»Ach ja, stimmt! Ich erinnere mich, dass du so was gesagt hast. Aber dann kannst du ja vielleicht die Post mit hochbringen. Dann bräuchte ich nämlich nicht extra laufen.«

Ulf grinste zu ihr nach unten, verschwand kurz vorm Fenster, und gleich darauf erschien sein blonder Kopf wieder.

»Ich werf dir den Schlüssel einfach runter. Der Kleine ist der Briefkastenschlüssel, und der mit der gelben Kappe gehört zur Haustür. Du musst mit der Faust gegen den Briefkasten hauen, der klemmt manchmal ein bisschen. Und bei der Haustür ist der Summer kaputt. Ich hab dem Vermieter jetzt schon zweimal Bescheid gesagt, doch es tut sich leider nichts. Die sind hier alle ziemlich entspannt, aber das ist ganz angenehm. Na ja, das wirst du ja selbst bald sehen.«

Er warf den Schlüssel herunter, und Kirsten musste einen Schritt zur Seite gehen, um nicht getroffen zu werden. In Gedanken schüttelte sie leicht den Kopf. So kannte sie ihren Bruder. Sie holte die Post und erklomm dann die Stufen ins vierte Stockwerk, wobei die Holztreppe unter jedem ihrer Schritte ächzte.

»Da bist du ja endlich!«, sagte Ulf, der lässig am Türrahmen lehnte, als sie völlig außer Atem im obersten Stockwerk ankam. »Ich dachte schon, du hast dich verlaufen. Aber keine Sorge, an die alte Treppe gewöhnst du dich. Eigentlich ist sie gar kein so schlechtes Training.« Er trat einen Schritt zur Seite und ließ seine Schwester in den kleinen Flur eintreten. Dann drückte er sie kurz an sich.

»Ich habe dir etwas mitgebracht«, sagte Kirsten und hob die zwei Bierflaschen in die Höhe. »Statt Blumen.«

»Sehr cool!« Ulf nahm ihr die Bierflaschen ab und ging in die Küche, um einen Öffner zu holen.

Kirsten folgte ihm und ließ den Blick über eine Armee von leeren Flaschen auf dem Küchenboden gleiten. Auf der Anrichte stand benutztes Geschirr und auf dem Küchentisch ein aufgeklappter Laptop, neben dem sich ein Bücherstapel türmte. »Wie ich sehe, scheine ich damit wohl genau ins Schwarze getroffen zu haben.« Sie verzog leicht die Lippen.

»Keine Sorge, Kolja ist total entspannt. Die meiste Zeit siehst du ihn überhaupt nicht. Dafür hörst du ihn – jedenfalls wenn er Damenbesuch hat.« Ulf grinste.

»Soll ich die Post einfach dazulegen?«, fragte Kirsten und deutete auf einen Stapel, der für sie eher nach Altpapier aussah. Trotzdem entging ihr nicht, dass dort ungeöffnete Briefe vom Arbeitsamt lagen, die an ihren Bruder adressiert waren.

»Ja, einfach drauf, das geht mit der nächsten Ladung dann runter in den Papiercontainer.«

»Ulf, ich glaube, da sind wichtige Briefe dabei«, setzte Kirsten an. »Willst du die Sachen nicht erst mal durchsehen?«

»Nö, alles, was wichtig ist, kommt wieder.«

»Aber da ist doch ein Schreiben vom Arbeitsamt dabei.« Kirsten sah ihren Bruder eindringlich an.

»Ja, jetzt entspann dich mal. Ich zeig dir lieber erst mal dein Zimmer.« Ulf quetschte sich an seiner Schwester vorbei in den kleinen Flur. »Hier ist das Bad.« Er öffnete eine Tür, die den Blick auf ein winziges Badezimmer mit Dusche, Waschbecken, Toilette und Waschmaschine freigab. Man konnte sich gerade so einmal um sich selbst drehen. »Alles da, wie du siehst. Ich erinnere Kolja noch mal daran, dass er dir ein Abteil im Badezimmerschrank frei räumt. Das hat er wohl vergessen.«

Ulf ging weiter und öffnete die nächste Tür. »Das ist mein Zimmer«, sagte er, deutete im Vorbeigehen auf eine andere Tür, murmelte etwas, was wohl »Koljas Zimmer« heißen sollte, und öffnete schließlich die letzte Tür. »Und das ist dein Reich«, sagte er und trat zur Seite.

Kirsten blieb für einen Augenblick der Mund offen stehen. Sie hatte schon das Schlimmste befürchtet, aber das Zimmer war von Licht durchflutet, geräumig und hatte sogar einen kleinen Balkon.

»Gefällt’s dir, Prinzessin?«, neckte Ulf sie.

»Es ist wunderbar!« Kirsten ging ein paar Schritte hinein und drehte sich einmal um sich selbst. »So groß und hell! Und du willst wirklich nicht mehr als dreihundert Euro inklusive aller Nebenkosten dafür?«

»Geschwisterrabatt«, sagte Ulf. »Ich kann dich ja schließlich nicht auf der Straße schlafen lassen.«

»Es ist nur, bis ich was anderes habe.«

»Bleib, solange du willst. Übrigens habe ich für deinen Umzug schon ein paar Jungs zusammengetrommelt. Zu fünft sollten wir deine Sachen ziemlich schnell aus dem Umzugswagen geräumt und aufgebaut haben. Aber jetzt lass uns erst mal anstoßen.« Er reichte Kirsten eine der beiden Bierflaschen, die er zu seiner kurzen Führung mitgenommen hatte. »Willkommen zu Hause!«

***

Joachim zog sich den Arztkittel über, schloss den Spind und ging in die Notaufnahme. Dort nahm er von Schwester Laura die Patientenakten der letzten Nacht entgegen.

»Guten Morgen, Dr. Wittkamp.« Die hübsche Brünette strahlte ihn übers ganze Gesicht an. »Haben Sie gut geschlafen?«

»Ja, danke, Schwester Laura.« Joachim vertiefte sich in die Untersuchungsakten.

»Ist heute nicht ein wundervoller Tag?«, startete Laura einen zweiten Versuch.

»Mhm«, gab Joachim zur Antwort, der ihr nur mit halbem Ohr zugehört hatte. »Hatten wir letzte Nacht irgendwelche Besonderheiten?«

»Nein, alles war ganz ruhig. Eine Nachtschicht, wie man sie sich wünscht. Man hätte richtig schön Zeit gehabt, um sich zum Beispiel ausführlich zu unterhalten.« Laura zwinkerte ihm zu.

Joachim sah sie irritiert an. »Haben Sie etwas im Auge, Schwester Laura?«

»Was? Äh … Nein …« Mit hängenden Schultern ging sie wieder zum Empfang zurück, hinter dem Schwester Iris schon auf sie zu warten schien. Sofort steckten die beiden die Köpfe zusammen und begannen zu tuscheln.

Joachim nahm es gelangweilt zur Kenntnis und überflog die nächste Akte.

»Da warst du aber ganz schön hart eben«, hörte er plötzlich eine sanfte Frauenstimme neben sich.

Als er den Kopf hob, erblickte er die Notärztin. »Guten Morgen, Andrea. Was meinst du denn damit?«

»Ist dir nicht aufgefallen, dass Schwester Laura gerade hoffnungslos mit dir geflirtet hat?«

Joachim schaute kurz zum Empfangstresen, hinter dem Iris und Laura sich auffällig schnell dem Computerbildschirm zuwandten. Es war mehr als deutlich, dass sie dem Arzt hinterhergesehen hatten.