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Stille liegt über dem Operationssaal, als der junge Assistenzarzt Lucas Schneider zum Skalpell greift. Er weiß genau, was hier zu tun ist. Schon hundertmal hat er den Eingriff an der Hand des Patienten in Gedanken durchgespielt. Lucas spürt den skeptischen Blick seiner Mentorin in der Facharztausbildung auf sich ruhen, die in Wahrheit doch so viel mehr für ihn ist: seine große Liebe, sein Leben! Unbedingt will er Angelika beweisen, dass sie sich irrt: dass er trotz seiner jungen Jahre schon fähig ist, den Eingriff durchzuführen und die Hand des Patienten zu retten! Verbissen umfasst er den Griff des Skalpells und setzt an, um die Sehne freizulegen. Und da geschieht es: Die Klinge rutscht ab ... und durchtrennt die Sehnenscheide! Um Gottes willen! Während die Warngeräte zu schrillen beginnen und Lucas ein Schwindel erfasst, ertönt Angelikas Stimme, hart und kühl: "Raus aus meinem OP!" Und meinem Leben, sagen ihre kalten Augen ...
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Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Herzklopfen im OP
Vorschau
Impressum
Herzklopfen im OP
Nie zuvor habe ich meine Freundin Angelika so glücklich gesehen – und gleichzeitig so verzweifelt. Seit sie sich in den viel jüngeren Assistenzarzt Lucas verliebt hat, den sie als Mentorin und Chirurgin betreuen soll, ist ihr Leben aus den Fugen geraten. Überall im Haus begegnen den beiden Getuschel und Vorwürfe: Da ist von Bevorzugung und Unprofessionalität die Rede. Das ist natürlich alles Unsinn. Aber ich sehe, wie sehr es Angelika tagtäglich quält. Ich gönne ihr das Glück so sehr, doch ich kann mir nicht vorstellen, dass die beiden dem Druck von außen auf Dauer standhalten können.
Nun ist es im OP zu einem dramatischen Zwischenfall gekommen: Bei einem Eingriff, für den Angelika die Verantwortung trägt, ist Lucas unbeabsichtigt ein schwerer Fehler unterlaufen! Ist das das Ende ihrer Liebe? Ich fürchte es. Angeblich hat Lucas bereits gekündigt ...
»Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist mir eine große Freude, Sie heute hier im Elisabeth-Krankenhaus begrüßen zu dürfen; ganz besonders unsere neuen Assistenzärzte.« Der Klinikleiter Prof. Dr. Walter Hebestreit, ein Mann Anfang sechzig mit Halbglatze, einem wilden weißen Haarkranz und buschigen Augenbrauen, lächelte freundlich in die Runde. Dann fuhr er fort:
»Die nächsten Jahre werden Sie fordern, fördern und – das verspreche ich Ihnen – manchmal auch an Ihre Grenzen bringen. Doch genau das macht den Beruf des Arztes so einzigartig. Aber seien Sie sich gewiss, dass Sie diesen Weg nicht alleine beschreiten müssen. Ein hervorragendes Team an Ärzten und Oberärzten steht Ihnen als Mentoren zur Seite und wird Ihnen dabei helfen, zu den Ärztinnen und Ärzten zu werden, die Sie sein wollen.«
Dr. Angelika Reuter, die im Publikum saß, sah sich unauffällig um. Sie arbeitete als Chirurgin am Elisabeth-Krankenhaus und freute sich sehr, dass sie dieses Jahr selbst als Mentorin fungieren durfte.
Die Neulinge saßen in der ersten Reihe, angespannt und voller Erwartung. Eine Frau mit kurzen schwarzen Haaren, neben ihr eine andere mit blondem Pferdeschwanz. Daneben zwei Männer, einer mit hellen Stoppelhaaren, der andere mit dunklen Haaren und markanten Gesichtszügen.
Ein Schmunzeln legte sich auf Angelikas Gesicht. Sie konnte sich noch sehr gut erinnern, wie sie sich damals vor ihrer Facharztausbildung gefühlt hatte. Voller Aufregung und Tatendrang war sie gewesen, bereit, ihren Facharzt in Chirurgie zu machen. Sicherlich ging es den jungen Assistenzärzten da vorne jetzt genauso. Mit siebenundvierzig Jahren war für Angelika ihr Beruf zum Alltag geworden, und doch liebte sie ihn nach wie vor und hätte sich nicht vorstellen können, jemals etwas anderes zu tun.
»Nun zu Ihren Mentoren«, fuhr Prof. Dr. Hebestreit fort. »Sie sind hier, um Sie tagtäglich zu unterstützen, aber auch, um das Beste aus Ihnen herauszuholen. Hören Sie auf sie, arbeiten Sie hart und vertrauen Sie ihnen.« Er zwinkerte, rückte dann seine Brille zurecht und sah auf das Blatt, das vor ihm lag. »Ich bitte Eva Fischer, Juliane Lehmann, Alexander Wagner und Lucas Schneider nach vorne.«
Die vier Assistenzärzte erhoben sich aus der ersten Reihe und traten zu ihm ans Rednerpult.
Angelika reckte neugierig den Kopf nach vorne. Jetzt war sie doch ein bisschen aufgeregt. Wer ihr wohl zugeteilt wurde?
»Lucas Schneider?«
Der junge Mann mit dem nachlässig gekämmten dunklen Haar und einer Haltung, die zwischen selbstbewusst und nervös schwankte, trat nach vorne. »Das bin ich«, sagte er.
»Sie sind Dr. Angelika Reuter zugeteilt«, las der Klinikleiter vor.
Angelika erhob sich und kam ebenfalls nach vorne. Sie reichte dem jungen Assistenzarzt die Hand, doch im gleichen Moment durchfuhr sie ein Gefühl, das sie fast zurückzucken ließ. Es war wie ein elektrischer Schlag. Extrem intensiv, den ganzen Körper durchflutend, warm und verwirrend zugleich.
Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander. Was war das gerade?
Sie räusperte sich, ließ seine Hand los und setzte einen freundlich-professionellen Blick auf. »Schön, Sie kennenzulernen.«
»Ich freue mich ebenfalls. Auf gute Zusammenarbeit!«
Angelika hatte Mühe, den leichten Schalk in seinen Augen zu ignorieren, doch ihr Herz schlug schneller, als es sollte. Sie hatte schon mit vielen Kollegen zusammengearbeitet, aber noch nie hatte sie sich so überrumpelt gefühlt.
Auch die anderen Assistenzärzte wurden ihren Mentoren zugewiesen.
»Ich wünsche Ihnen allen einen erfolgreichen Start und freue mich darauf, Ihre Entwicklung zu beobachten«, schloss Prof. Dr. Hebestreit seine Rede. »Zeigen Sie Mut, bleiben Sie optimistisch und vergessen Sie niemals, warum Sie sich dafür entschieden haben, Arzt zu werden. Es ist kein Beruf, es ist eine Berufung.«
Ein angemessener Applaus folgte, dann erfüllten Stühlerücken und Gespräche den Raum.
»Wollen wir in die Cafeteria gehen?«, schlug Angelika vor. »Dann können wir uns unverbindlich kennenlernen, und Sie können mir ein wenig von sich und Ihrer Motivation erzählen.«
»Gern«, stimmte Lucas ihr zu.
Während sie gemeinsam den Raum verließen, spürte sie seinen Blick auf sich. Sie verfluchte sich insgeheim. Das ist unprofessionell, Angelika, schalt sie sich in Gedanken. Du bist seine Vorgesetzte. Aber eine Stimme in ihrem Kopf flüsterte: Und trotzdem ist er anders als die Männer, die du kennst.
***
Lucas setzte sich seiner Mentorin gegenüber. Er sah kurz in ihre braunen, klaren Augen, wandte dann aber rasch den Blick wieder ab. Ihre Ausstrahlung rief bei ihm zugleich Respekt und Bewunderung hervor. Sie hatte ihn auf einen Kaffee eingeladen, und obwohl das nichts Besonderes war, schlug sein Herz ein wenig schneller.
Wahrscheinlich lag es an dem ereignisreichen Tag. Die ersten Stunden im Elisabeth-Krankenhaus waren wie ein Sturm an ihm vorbeigezogen. So viele neue Gesichter, Erwartungen und diese Aufregung, endlich ein neues Kapitel in seinem Leben aufzuschlagen! Doch jetzt, bei seiner Mentorin, überwog ein anderes Gefühl.
Frau Dr. Reuter wirkte professionell, aber nicht unnahbar. Sie hatte etwas an sich, was ihn einerseits ein wenig einschüchterte, andererseits aber doch faszinierte.
»Also, warum sind Sie hier? Warum Medizin?«, fragte sie und blickte ihn offen an.
»Ich glaube, alles hat mit meinem Vater angefangen. Als ich fünf war, hatte er einen Herzinfarkt. Ich erinnere mich nicht mehr an viel, aber ich weiß noch, wie die Ärzte kamen und ihm geholfen haben. Damals dachte ich, sie hätten Superkräfte.«
Angelika lachte leicht, es war freundlich und verständnisvoll.
»Irgendwie ist da in mir der Wunsch entstanden, dass ich auch einmal jemandem das Leben retten möchte.« Er trank einen Schluck Kaffee. »Was ist mit Ihnen?«, fragte er schließlich. Es reizte ihn, mehr über sie zu erfahren. »Was hat Sie zur Medizin geführt?«
»Mich?« Anscheinend hatte sie nicht damit gerechnet, dass sie auch über sich sprechen sollte. »Ich dachte, heute geht es um Sie, Herr Schneider.«
»Lucas«, korrigierte er sie. »Verzeihung, ich bin einfach neugierig.«
Sie schmunzelte. »Es ist Ihr gutes Recht, etwas über mich erfahren zu wollen. Immerhin arbeiten wir die nächsten Jahre eng zusammen.« Sie machte eine kleine Pause und trank ebenfalls einen Schluck Kaffee. »Ich wollte etwas Sinnvolles tun; einen Beruf haben, der mich herausfordert und bei dem ich am Ende des Tages das Gefühl habe, wirklich etwas geleistet zu haben.«
Er nickte verständnisvoll. »Und was machen Sie, wenn Sie gerade nicht im OP stehen?«
Dr. Angelika Reuter lachte herzhaft. »Nun, das kommt – zugegebenermaßen – nicht oft vor. Aber wenn ich doch mal ein paar Tage freihabe, gehe ich sehr gerne wandern. Ich liebe es, in der Natur den Kopf frei zu bekommen. Und Sie?«
»Hoffentlich denken Sie jetzt nicht, dass ich mich einschleimen möchte. Ich gehe nämlich ebenfalls gerne wandern.« Sie schauten einander an, und Lucas konnte das Glänzen in ihren wachen Augen erkennen. »Hin und wieder repariere ich auch alte Kameras. Ich liebe es, Details mit analoger Fotografie einzufangen.«
»Den Blick fürs Detail brauchen Sie als Chirurg ebenfalls«, erwiderte sie.
Fast war er enttäuscht, dass ihr Gespräch wieder ins Professionelle glitt, doch irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie in ihm nicht nur einen Assistenzarzt sah. War es ein weiterer zufälliger Blick, den sie gerade tauschten, ein unausgesprochener gemeinsamer Gedanke? Er vermochte es nicht zu sagen, doch er wusste, dass er aufpassen musste. Diese Anziehungskraft hatte er so bisher nur einmal gespürt: damals bei Lotte ...
***
Dr. Andrea Bergen, die Notärztin des Elisabeth-Krankenhauses, begann ihre Schicht an diesem Morgen voller Tatendrang. Wie stets war sie gut gelaunt und ausgeglichen und freute sich auf den bevorstehenden Arbeitstag.
»Guten Morgen, Chefin«, grüßte Jupp Diederichs sie, der Fahrer aus ihrem Team, als sie den Bereitschaftsraum der Notaufnahme betrat. »Möchten Sie auch Müsli?«
»Danke, ich habe schon gegessen«, erwiderte Andrea Bergen freundlich. Sie rückte sich einen Stuhl zurecht und setzte sich zu ihm an den Tisch.
»Wie finden Sie unsere neuen Assistenzärzte?«, fragte Jupp beiläufig.
»Sie machen einen ganz anständigen Eindruck.« Andrea Bergen schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. »Ein wenig tut mir Juliane Lehmann leid, weil sie Dr. Anger zugeteilt wurde.«
Jupp Diederichs nickte mitfühlend.
Dr. Helmut Anger mochte ein glänzender Chirurg sein, menschlich gesehen war er jedoch eine Vollkatastrophe. Er war dafür bekannt, dass er gerne die jungen Assistenzärzte und Krankenschwestern triezte.
»Wenn Sie das übersteht, kann sie sich danach immerhin überall behaupten«, entgegnete der Fahrer und schnitt eine Grimasse.
»Auch wieder wahr«, stimmte die Notärztin ihm zu. »Auf diesen Lucas Schneider bin ich auch sehr gespannt. Er hat sein Medizinstudium mit den besten Noten abgeschlossen und wirkt sehr engagiert.«
»Bei Frau Dr. Reuter geht es ihm jedenfalls deutlich besser als bei Dr. Anger«, sagte Jupp gerade, als die Tür aufgerissen wurde, und Ewald Miehlke, der Rettungsassistent im Team, hereinkam.
»Wir haben einen Einsatz«, rief er knapp.
Sofort sprangen Andrea Bergen und Jupp Diederichs auf.
»Was liegt an?«, erkundigte sich die Notärztin, während sie zur Fahrzeughalle liefen, wo der Rettungswagen geparkt war.
»Ein Mann hat sich beim Sport die Hand verletzt«, informierte er die Kollegen.
Sie stiegen in den Rettungswagen und fuhren mit Blaulicht und Martinshorn zur angegebenen Adresse. Dort erwartete man sie bereits.
»Hallo, mein Name ist Andrea Bergen, ich bin Notärztin«, stellte sich Andrea dem Pärchen vor.
»Mein Name ist Carina Neumann. Das ist mein Mann Marcel. Er hatte einen Radunfall«, erklärte die Frau mit dem blonden Bob.
»Hallo, Herr Neumann, können Sie mir sagen, wo es wehtut?«, fragte Andrea Bergen.
»Mein Handgelenk schmerzt wie die Hölle«, erzählte der Mann.
»In Ordnung, ich werde mir das gleich ansehen. Tut Ihnen sonst noch etwas weh? Der Kopf vielleicht?«
Marcel Neumann verneinte. »Zum Glück nicht. Ich war gut geschützt.« Mit der unverletzten Hand klopfte er sich auf seinen Fahrradhelm.
Die Notärztin lächelte leicht. »Da sieht man wieder einmal, wie wichtig Radhelme sind.« Sie führte eine kurze körperliche Untersuchung durch, leuchtete ihrem Patienten in die Augen und prüfte, ob er sonst keine Verletzungen davongetragen hatte, die er womöglich wegen eines Schocks gerade nicht bemerkte. Dann tastete sie vorsichtig seine Hand ab.
Marcel Neumann sog scharf die Luft ein.
»Ich gehe davon aus, dass Sie sie gebrochen haben«, diagnostizierte die Notärztin. »Ich gebe Ihnen etwas gegen die Schmerzen und bringe Sie dann ins Elisabeth-Krankenhaus. Ihre Hand muss geröntgt werden.«
Ewald Miehlke zog ein Schmerzmittel auf und überreichte Andrea die Spritze.
Nachdem sie das Mittel injiziert und seine Hand mit einer Schiene stabilisiert hatte, half das Team ihm auf die Trage und schob ihn den Rettungswagen.
»Darf ich mitfahren?«, fragte Carina, und Andrea Bergen konnte die Angst der Frau um ihren Mann in ihrem Gesicht sehen.
»Selbstverständlich«, sagte sie deshalb und lächelte sanft. »Steigen Sie ein.«
***
Im Elisabeth-Krankenhaus bestätigte sich Andrea Bergens Diagnose. Marcel Neumanns Hand war gebrochen, und die Beugesehne war gerissen. Man hatte ihn für die OP angemeldet, und Angelika führte gerade mit ihrem Assistenzarzt Lucas ein Vorgespräch dazu, denn er sollte ihr assistieren.
»Der Patient heißt Marcel Neumann. Er ist beim Fahrradfahren gestürzt.«
»Marcel Neumann?«, wiederholte Lucas verwundert. »Er war mal Referendar bei mir an der Schule. Deutsch und Sport hat er unterrichtet«, erinnerte er sich. »Was für ein Zufall, ihn wiederzutreffen.«
»Fühlen Sie sich emotional in der Lage, den Patienten mit zu operieren?«, erkundigte sich Angelika.
Lucas nickte. »Selbstverständlich.«
»Wir werden die Fraktur repositionieren und stabilisieren.« Angelika deutete auf die Röntgenaufnahmen im Leuchtkasten und zeigte dem Assistenzarzt, wie sie genau vorgehen wollte. »Außerdem kümmern wir uns um die Sehnenverletzung. Hierfür werden wir die Sehnen wieder zusammennähen.«
»Darf ich das machen?«, frage Lucas, und Angelika hörte die Aufregungen seiner Stimme. Es wäre seine erste OP, die er allein durchführen würde.
»Sie assistieren«, entschied sie. »Dieser Fall erfordert Präzision und Erfahrung.«
Lucas versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
»Machen Sie sich steril, wir sehen uns dann im OP.«
Wenig später standen sich die beiden am Operationstisch gegenüber.
»Also, wie würden Sie vorgehen?«, fragte Angelika, nachdem sie die Operationsstelle eröffnet hatte.
»Als Erstes würde ich mir die Beugesehne genau ansehen und die Wundbeläge entfernen, danach die Sehne rekonstruieren.«
Angelika nickte. »Und worauf müssen Sie dabei achten?«
»Die Naht darf nicht zu straff sein, damit die Beweglichkeit der Sehne erhalten bleibt«, antwortete Lucas.
Die Chirurgin blickte ihn an, und auch wenn er es nicht sehen konnte, legte sich ein anerkennendes Lächeln unter ihrem Mundschutz auf ihre Lippen.
»Sehr gut.« Sie wandte sich zu Dr. Jenny Krottenbaum, der Anästhesistin. »Wie ist die Lage?«
»Der Patient ist stabil«, informierte die Kollegin sie, während die Geräte und Überwachungsmonitore gleichmäßig piepten.
Angelika griff nach dem Skalpell und setzte den ersten Schnitt.
»Warum schneiden Sie hier zuerst?«, fragte Lucas, und sein Blick war scharf und aufmerksam.
Überrascht hielt Angelika inne. »Wir müssen sicherstellen, dass wir die Sehne vollständig freilegen, bevor wir mit der Naht beginnen. Ansonsten riskieren wir Spannung auf der falschen Seite.«
Lucas nickte und beobachtete sie weiterhin. »Und was ist, wenn die Spannung doch zu hoch ist?«
Angelika musste erneut schmunzeln. Lucas war schnell, seine analytische Denkweise gefiel ihr. Das war genau das, was sie von einem guten Chirurgen erwartete.
»Wir überprüfen die Leitfähigkeit der Sehne, bevor wir die Wunde verschließen. Sollte diese nicht ausreichen, justieren wir die Naht neu.«
»Verstehe.« Lucas beobachtete sie wieder konzentriert.
Sie präparierte die Sehne, und schließlich konnte sie mit der Naht beginnen.
»Können Sie von dort, wo Sie stehen, gut sehen?«, fragte sie ihn.
»Es geht«, gab Lucas zu.
»Dann kommen Sie neben mich an den Tisch.«
Lucas ging mit ruhigen Schritten um den Operationstisch herum. Als er nun so nah bei ihr stand, spürte sie, wie ihr Herzschlag ein wenig schneller wurde. Lucas war dicht genug, dass sie die Anspannung in seinem Körper spüren konnte.
»Wir überprüfen jetzt, wie man die Spannung kontrolliert.« Sie wollte nach dem nächsten Instrument greifen, aber genau in dem Moment hatte auch Lucas seine Hand danach gehoben. Ihre behandschuhten Finger berührten sich. Angelika erstarrte für einen Augenblick. Ein Blitz durchfuhr sie – ein Moment, der viel zu lange zu dauern schien. Es war, es hätte jemand die sterile OP-Atmosphäre mit einem Mal verändert.
Sie sah kurz zu Lucas. An seinem angespannten Gesichtsausdruck bemerkte sie, dass er es auch gespürt haben musste. Aber Lucas zog rasch die Hand wieder zurück und ließ sie gewähren.
»Verzeihung, ich habe Sie falsch verstanden«, entschuldigte er sich. »Ich dachte, ich solle mithelfen.«
Angelika atmete tief durch, um der Situation wieder Herr zu werden. Sie arbeitete weiter, doch das Kribbeln elektrisierte noch immer ihren Körper. Sie musste sich konzentrieren, doch Lucas' Blick mit dem offenkundigen Interesse, dem klaren Respekt ihr gegenüber und das schüchterne Lächeln, das seine Augen zum Strahlen brachte, brachten sie ganz durcheinander.
Endlich saß die Naht perfekt, und Angelika richtete sich auf. »Trauen Sie sich zu, die Wunde zu verschließen?«
»Ich soll ... Sie meinen, ich darf die letzte Naht machen?«, fragte er ungläubig.
Die Chirurgin nickte amüsiert, und als Lucas einwilligte, trat sie vom Operationstisch zurück. Sie beobachtete ihn dabei, wie er mit kleinen feinen Stichen die Wunde verschloss.
»Gute Arbeit«, lobte sie ihn, als er den Faden abschnitt und das Nähbesteck beiseitelegte. »Sie haben Talent, Lucas.«
»Vielen Dank.« Etwas glomm in seinen Augen auf, und Angelika nickte ihm knapp zu.
Gemeinsam verließen sie den Operationssaal und zogen sich Hauben und Mundschutz aus. Unauffällig beobachtete sie ihn dabei, wie er sich aus dem OP-Umhang schälte.