Politisch heißes Mosaica Africana. Usuthu – Ruf nach Frieden. Ein südafrikanisches Zeitdokument - Harald Stöber - E-Book

Politisch heißes Mosaica Africana. Usuthu – Ruf nach Frieden. Ein südafrikanisches Zeitdokument E-Book

Harald Stöber

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Beschreibung

Usuthu – tausendfache Rufe nach Frieden! Unser Autor, der als freier Journalist drei Jahre das turbulente Geschehen in Afrika kritisch verfolgte, hörte am Kap diese Rufe überall, aber selten so militant, als dass sie von den Medien verwertbar gewesen wären. Es waren die ungezählten Stillen, die den Friedenswunsch ehrlicher im Herzen trugen, als die politischen Köpfe extremer Organisationen! Das war eine nachhaltige Erfahrung, denn Medien, Diplomaten und Kirchen hatten es sich zur Pflicht gemacht, Südafrika nur als Feind zu sehen. Stöber tauchte tief ins politische Geschehen ein und erkannte, dass die Wirklichkeit allzu oft konträr zur propagierten Politik stand. Dieses »Mosaica Africana« geht jedem, der sich mit Herz und Verstand Afrika nähert, tief unter die Haut.

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Seitenzahl: 388

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Harald Stöber

POLITISCH HEISSES MOSAICA AFRICANA

- Usuthu – Ruf nach Frieden -

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright (2012) Engelsdorfer Verlag

Alle Rechte beim Autor

Titelfoto:

Höchste Repräsentanten Südafrikas am Tag der Einführung de Klerks in das Amt des Staatspräsidenten

Coverrückseite:

Schnelle Freundschaft mit einem Jungen aus Natal, dem Lande der Zulus

www.engelsdorfer-verlag.de

eISBN: 978-3-86268-769-5

Als Freier Journalist in Afrika

Wer die Wahrheit

nicht kennt, ist nur

ein Dummkopf.

Wer sie aber weiß und sie

eine Lüge nennt,

der ist ein Verbrecher.

Bertolt Brecht

Gewidmet meiner

lieben Familie

und allen Freunden

Afrikas.

Inhaltsverzeichnis

KAPITEL 1

Heiliger Geist, Massenmord und Politik

KAPITEL 2

Politische Stürme

UNISA und Kultur

Ein Nachlese-Mosaik

KAPITEL 3

Top Politik auf Afrikanisch

Böse Leoparden

Veterinär-Forschung

AWB und Polizei

Schwanensee und Chöre

Bedenkliche Reaktionen

Kriminalstatistik und Terrorismus

Die SWAPO-Maske fällt

Die Spiele des „Onkel Sam“

KAPITEL 4

Bewegte und bewegende Politik

Nachlese und Rückreise

KAPITEL 5

Politische Dramatik ohne Ende

Irritationen und Aktionen

Der ANC im Zwielicht

Gegenwind, Olympia und Kriminalität

Geldaffären und viel Politik

Die AWB glaubt sich stark

EPILOG

NACHGEHAKT

KAPITEL 1

Heiliger Geist, Massenmord und Politik

Viel Zeit zum „Einleben“ hatten wir nach unserer großen Tour durch Natal nicht, ja, es scheint, dass wir – egal, wo wir uns gerade aufhalten – stets ziemlich beansprucht sind, was wohl an unserer erklärten Absicht liegt, dem afrikanischen Kontinent möglichst viele Mosaiksteinchen abzugewinnen, um dem Titel dieses Buches gerecht zu werden. Es hat sich durch die Praxis – durch das eigene Hineinsehen und -fühlen – auch längst bestätigt, dass kaum ein anderer Buchtitel treffender gewesen wäre als „Mosaica Africana“, denn das Erleben ist unglaublich vielschichtig, und hat man die Absicht, textlich nichts Wesentliches unter den Tisch fallen zu lassen, kommt man um kurzweilige Mosaike nicht herum.

Schon am Tage nach unserer Rückkehr aus Natal hatten wir die netten Schepmann-Sisters zu Gast, jene alten Fräuleins, die wir für „lebende Lexika“ halten. Sie entstammen einer alteingesessenen Missionarsfamilie und sind stolz darauf, dass sie als jetzt 73- und 81-jährige Südafrikanerinnen in der sechsten Generation noch ein sehr gutes Deutsch beherrschen. Sie gehören zu den wenigen noch lebenden Pionieren, für die es tägliche Routine war, per Ochsenwagen in die Schule und zum Einkaufen zu fahren (Gegend Rustenburg). Groß war die Freude, als wir der 81-jährigen Altlehrerin den Ahrens-Brief aus Eshowe übergaben, geschrieben vom heute 60-jährigen Klausi, als dieser noch unter der gütig-strengen Fuchtel seiner Afrikaanslehrerin in Hermannsburg stand; 50 Jahre ist’s her!

Aber wir vermochten noch mit einer weiteren Überraschung aufzuwarten, denn die beiden hatten von den Menschenfressergeschichten bisher tatsächlich nur beiläufig gehört, sie aber nicht geglaubt. Als ich die Story wortwörtlich verlesen und als Quellen deutsche Missionare genannt hatte, war man erstaunt und angesichts des schaurigen Inhalts geradezu sprachlos. Als man nachrechnete und schließlich wusste, dass die Menschenfresserei in Natal um 1800 begann, aber erst durch Catewayo (gestorben 1884) gewaltsam beendet wurde, konnte man es kaum fassen.

Und wieder ein typisches Wechselbad, diesmal am Sonntag, dem 13. Mai 1989. Wir bummelten durch die City und erlebten einen Menschenauflauf wie nie zuvor, denn das Staatstheater, vor dem auch noch der Wochenend-Flohmarkt stattfand, war Ziel mehrerer leichtathletischer Teams, die nach ihren 1-Meilen-Strecken bis zur Marathon-Distanz – begleitet von engagierten Kommentaren eines Reporters via Lautsprecher – jeweils mit viel Beifall empfangen wurden. Sämtliche Teams waren gemischtrassig, und als im Finish ein schwarzer Junge seine zwei weißen Gegner niederrang, gab es für ihn Extra-Applaus. Sehr gut kam auch eine aus fünfzig Mann bestehende schwarze Polizeikapelle aus Soweto an, die es verstand, mit ihren Shows die Zuschauer zu begeistern. Dass die vielen am Straßenrand postierten jungen Polizisten – schwarze und weiße – unbewaffnet waren und betont publikumsfreundlich ihren Job versahen, sei beiläufig erwähnt.

Quasi das politische Gegenstück dazu lasen wir in „Beeld“, einer Tageszeitung, der zwar Regierungsfreundlichkeit nachgesagt wird, die sich aber auch Kritisches nicht verbieten lässt. Diesmal ging es um die Antwort von Premier Maggy Thatcher auf einen Brief von J. Marais, NP: „Die Freilassung von Mandela würde ein gutes internationales Gesprächsklima schaffen, sie ist der Schlüssel zur Lösung der Probleme Südafrikas! Für die grundgesetzlichen Veränderungen müssen die Südafrikaner allerdings selbst sorgen und nicht Außenstehende. Das ANC-Büro in London bedeutet nicht, dass die britische Regierung den ANC unterstützt, und sie wird streng darauf achten, dass die Gesetze des Landes nicht übertreten werden. Veränderungen in Südafrika sind unabwendbar, aber es muss Wille und Mut aufgebracht werden, mit der Vergangenheit zu brechen!“

Aber hatte nicht Maggy im selben Brief konstatiert, dass es nicht Sache von Außenstehenden sei, für grundgesetzliche Veränderungen in Südafrika zu sorgen? Das ist es ja, was die Leute hier schon seit Jahrzehnten auf die Palme bringt: die nicht enden wollenden Besserwissereien Außenstehender, die zurzeit darin gipfeln, ständig nach Sanktionen und Boykotten gegen Südafrika zu rufen, um das Land endlich einmal auf Linie zu bringen. Ganz bewusst wird aber die Tatsache verschwiegen, dass die „SA Kamer van Mynwese“, die als „Stimme des südafrikanischen Arbeitervolkes“ gilt, erst kürzlich eine Studie veröffentlicht hat, aus der hervorgeht, dass das Barometer der arbeitenden Massen eindeutig gegen Sanktionen und Desinvestitionen steht. Dieses Ergebnis wird – so hofft der „Beeld“-Kommentator – eine Rolle auf dem demnächst stattfindenden Südafrika-Forum spielen, eine Veranstaltung mit Tutu, Boesak und Naudé.

Pfingsten 1989, das „Fest der Herabkunft des Heiligen Geistes“, das für die Deutsche Kirche in Pretoria ein besonderer Anlass zum Feiern war, denn in diesem Jahr beging sie ihr 100-jähriges Jubiläum, an dessen Festakt am Sonntag, dem 14. Mai, wir teilnahmen. Wie dem Programm der „Deutschen Evangelisch-lutherischen Kirche zu Pretoria“ zu entnehmen war, feierte man schon seit dem 8. Mai. Trotz arbeitsmäßiger Überlastung nahm sich Pastor Keding die Zeit, von uns herzliche Grüße von seinem aus Hermannsburg demnächst abreisenden Bruder entgegenzunehmen, der nach zwölf Jahren schweren Herzens wieder zurück nach Deutschland gehen muss.

Kurz sprachen wir auch mit dem höchsten kirchlichen Ehrengast, Präses Müller-Nedebock, mit jenem Geistlichen, der 1962 als erster deutschenglischer Pastor sein Amt in Eshowe angetreten hatte. Er, der Zulu so fließend wie seine deutsche Muttersprache beherrscht, beglückwünschte uns zu den Aufgaben, die wir in Afrika wahrnehmen und unterstrich, dass nichts wichtiger sei, als sich mit viel Zeit und innerer Anteilnahme dem „Afrikanischen Mosaik“ zu widmen, einem Kontinent mit ganz speziellen Problemen.

Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt und – evangelischer Tradition folgend – nur bescheiden mit ein paar Blumenranken und einem großen Bouquet geschmückt. „Freuet euch im Herrn“ war der musikalische Auftakt, gesungen vom Gemeindechor, gefolgt von der Verlesung vieler Grußadressen zum heutigen Jubiläum, unter anderem auch von der katholischen Kirche, die auf ein weiteres gutes Nebeneinander (nicht Miteinander!) hofft. Im Mittelpunkt stand die Ansprache des Präses, der es als Wunder Gottes bezeichnete, dass diese Kirche 100 Jahre alt geworden sei. Er erinnerte pauschal an die Probleme in Vergangenheit und Gegenwart (ohne sie beim Namen genannt zu haben), die „uns jedoch nicht gefangennehmen dürfen, wenn es um die Bewältigung der nächsten 100 Jahre geht. Wir müssen uns als christliche Gemeinde bewähren und uns der Obhut des Heiligen Geistes anvertrauen. Hören wir vor allem nicht auf zu lernen!“

Schulleiter Dierks von der Deutschen Schule Pretoria bekannte sich zu den Gedanken des Schulgründers Friedrich Grünberger (1899 Pfarrer in Pretoria), der sich stets mit der Deutschen Kirche verbunden gefühlt habe; trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten habe sich daran nichts geändert. Und dass es in der Tat Probleme gibt, ist stadtbekannt: Dierks sucht händeringend und unablässig nach schwarzen Schülern, die aber den Rufen der Kulturbeauftragten partout nicht folgen wollen, weil sie sich hartnäckig gegen die „überflüssige und unlogische deutsche Sprache“ wehren. Sie verlangen Unterricht in afrikaans, also ausgerechnet in der angeblich so verhassten „Sprache der Unterdrücker“!

Aber auch die Deutsche Kirche zu Pretoria ist von Bonn ins Dilemma gejagt worden, denn trotz aller gut gemeinten Anstrengungen blieben am heutigen Tag die „Opfer der Apartheid“ fast gänzlich aus. Darüber täuschten auch nicht die ausgestellten Jugendtreff-Fotos hinweg, die – gestellt – mindestens 50 Prozent schwarze Gesichter zeigen. Wie die Wirklichkeit aussieht, zeigte sich an diesem Jubiläumstag, denn von zirka 1.500 Teilnehmern am großen Festakt konnten wir ganze drei schwarze Afrikaner ausmachen, was kein Zufall war, musste doch selbst das deutsche Weihnachtsfest der Schule am Rande der Schwarzen-Siedlung Mamelodi im Dezember letzten Jahres sich mit nur einem einzigen schwarzen Mädchengesicht zufrieden geben.

Wohltuend humorig und offensichtlich um einige Grade freier von inneren Zwängen als seine Vorredner sprach Pretorias stellvertretender Bürgermeister Morkel, der zum Besten gab, dass die Familie seiner Frau im Jahre 1692 in Südafrika an Land gespült worden sei, nachdem sie sich auf der Hamburger Reeperbahn vermutlich einen schlechten Ruf eingehandelt habe. Aber nichtsdestoweniger könne Pretoria stolz auf seine deutschen Mitbürger sein; allein die heute Jubiläum feiernde Deutsche Kirche zähle 2.800 Mitglieder – eine stattliche Zahl.

Politisch wurde es erst, als Bonns Kulturreferent J. Bönnemann ans Pult trat, ein Mann, der gerade erst zwei Jahre sein Pretorianer Amt verwaltet, und zwar getreu den politischen Vorgaben seines bundesdeutschen Dienstherrn. „Dieser Mann“, so war zu hören, „ist mehr Politreferent, als es seine Aufgaben als Vertreter der deutschen Kultur zulassen!“ Dass die alte deutsche Botschaft vor 100 Jahren der neuen Kirche die Glocken spendete, nahmen die Gäste gern zur Kenntnis, dass Bönnemann aber Kaiser Wilhelm II. für die deutsche Kulturflaute und für das seinerzeitige soziale Desinteresse alleinverantwortlich machte, wollte niemandem gefallen. Den „Sozialpfarrern“ der damaligen Zeit sei sogar per Dekret ihre „außerkirchliche“ Tätigkeit (sprich: deren Sozial-Engagement) untersagt worden. Und schon war der Bogen zum „Unsozialstaat“ Südafrika gespannt, wo das Status-quo-Denken und -Handeln heute keinen Platz mehr haben dürfe. Das war für Eingeweihte hier nichts anderes als eine ziemlich direkte Aufforderung an die deutschen Pfarrer, in ihren Bemühungen um „soziale Gerechtigkeit“ nicht nachzulassen, das heißt, weiterhin gegen die sogenannte Apartheid zu kämpfen, „ein Problem, an dem Sie nicht vorbeikommen!“. Beinahe peinlich, wie schwach daraufhin der Beifall ausfiel und wie lange nach dem Festakt der Bonner Beamte herumlaufen musste, bis er endlich einen Gesprächspartner gefunden hatte. Er war der einzige Festredner, der – pflichtgemäß – das Wort „Apartheid“ in den Mund genommen hatte.

Nicht nur Pretoria, sondern ganz Südafrika hatte ab Mitte Mai 1989 ein Thema zu bewältigen, das zu den heikelsten der letzten Jahre gehört: der Prozess gegen den Schwarzen-Killer Barend Hendrik Strydom (23), auf den tagelang die Welt schaute. Da wir die dramatische Vorgeschichte im November 1988 direkt miterlebt hatten, waren wir dankbar dafür, als unmittelbare Beobachter nun auch die letzten Akte dieses Dramas sehen zu können – eine schier unglaubliche Sache, die Richter Louis Harms „für schlimmer hält, als jede Terroristen-Story“, womit er sich aber prompt der Gefahr aussetzte, von den extremen Rechten gelyncht zu werden, die dem anklagenden Staatsanwalt Paul Fick per Post bereits eine tote schwarze Katze zuschickten. „So wirst du aussehen, wenn unserem Helden etwas passieren sollte!“

Strydom wurde am 17. Mai zum ersten Mal dem Gericht vorgeführt, das im altehrwürdigen Gebäude des Hauptgerichts am Kerkplein in Pretoria seine Verhandlungen abhält. Der Staatsanwalt klagte Strydom wegen achtfachen Mordes und sechzehnfacher Mordversuche an und forderte ausführlich begründet die Todesstrafe. Als der Angeklagte vom Leitenden Richter Harms zu seinen Taten befragt wurde, setzte dieser sein inzwischen berühmt gewordenes glimlag (Grinsen) auf und meinte, noch heute müsse er darüber lachen, als er bemerkte, dass seine Todeskandidaten die auf sie gerichtete Pistole nicht ernst nahmen. „Reue, warum, wozu? Die Schwarzen sind für mich keine Menschen!“ In einem an seine Eltern geschriebenen Brief bekannte der „Weiße Wolf“ stolz: „Wir sind eine Handvoll Auserwählte von Gidon, haben den Auftrag, den Kampf mit dem Schwert zu führen, bis entweder der Teufel oder Christus siegt! Betet ohne Unterlass, der Kampf geht weiter! Lang lebe das Burenvolk!“ Und dennoch: Seine Eltern bat er um Verzeihung.

Als der Ankläger den jungen Strydom nach Motiven befragte, kam zunächst dessen glimlag und Kopfschütteln über jene Opfer, die ihn – den Pistolenhelden – partout nicht ernst nehmen wollten. Dann gab er zu Protokoll: „Ich habe zweimal um ein Zeichen Gottes gerungen und immer wieder gesagt: ‚Wenn Gott es nicht will, dass ich schieße, dann sagt er es mir‘, aber es kam kein Zeichen, also musste ich meinem Willen gehorchen. ANC-Terroristen sind Verbrecher, die verurteilt werden müssen, weil sie Bürgerliche erschießen!“

Richter Harms: „Aber worin siehst du den Unterschied zischen dem ANC und dir?“

„Der ANC will die Regierung stürzen und mordet deshalb, ich will die Afrikaanertradition schützen und morde nicht – ich erschieße!“

„Hattest du Gefühle bei deinen Taten?“

„Ich wollte meine Gefühle testen, ob ich physisch in der Lage sein würde, überhaupt jemanden erschießen zu können. Regungen? Nein, die hatte ich nicht.“

„Wie viele Menschen wolltest du töten?“

„Ich hatte mir vorgenommen, dass mein Auftreten in der Innenstadt Pretorias so drastisch wie möglich werden sollte. Außerdem wollte ich noch zum Hohen Gericht, um solche Elemente, wie Sie, in die Hand (als Geiseln) zu bekommen. Meine große Sorge war, an diesem Tag keinen Erfolg zu haben, und wenn ich die Chance hätte, würde ich es noch einmal tun!“

Am Tage darauf bekannte Strydom, aufgrund eines noch am Abend des 14. Novembers 1988 gefassten Beschlusses der „Weißen Wölfe“ gehandelt zu haben, weil deren Auftrag, Staatspräsident Botha im Stadtsaal zu erschießen, nicht ausgeführt werden musste, denn dieser habe die erwartete Freilassung Mandelas nicht bekanntgegeben. Wäre dies geschehen, hätten wir also einen politischen Mord miterlebt, denn wir saßen bekanntlich an jenem Abend auf vorderen Plätzen, und Strydom war ebenfalls im Saal – mit schussbreiter Pistole! Nachdem sich Strydom abermals geweigert hatte, den oder die Anführer der „Weißen Wölfe“ zu nennen, sagte der Leiter der Mordkommission, Col. Brits, dass nach sicheren Erkenntnissen diese Gruppe nicht mehr existiere.

Da für uns der persönliche Eindruck absolute Priorität hat, weil man nur auf diese Weise auch Atmosphäre mitbekommt, die das Urteilen erleichtert, wohnten wir zwei Verhandlungen bei und erlebten damit erstmals Justitia in Südafrika live, und Hilde hatte das zweifelhafte Vergnügen, zum ersten Mal in ihrem Leben einen leibhaftigen Mörder zu sehen, dem es nicht anzusehen war, zum Töten überhaupt fähig zu sein. Wir passierten – wie alle anderen Besucher auch – die Sicherheitstür und konnten uns dann ohne weitere Kontrolle (niemand wollte zum Beispiel einen Ausweis sehen) frei im erhabenen Gerichtsgebäude bewegen, das zu den ältesten „protected monuments“ Pretorias zählt.

Wir nahmen in der vorderen Sitzreihe Platz, und als sich der Zuschauerraum gefüllt hatte, fanden wir uns inmitten des Strydom-Clans wieder, der in derselben Reihe rechts und links neben uns die Stühle einnahm – meist burische Leute vom Lande. Die Zuschauer in den Reihen hinter uns setzten sich zum größten Teil aus schwarzen Männern und Frauen zusammen, von denen ein paar gezeichnet waren, war doch ihre Gesichtsfarbe grau. Als Strydom zehn Minuten vor Sitzungsbeginn in den Saal geführt wurde und Gelegenheit hatte, unbewacht seine Verwandten und Freunde herzlich zu begrüßen, hatte ich zumindest aus Richtung der vielen Schwarzen Bemerkungen des Missfallens und des Zorns gegen den bestens gekleideten und sehr gefasst auftretenden Angeklagten erwartet, aber nichts dergleichen geschah. Der smarte Barend saß kaum zwei Meter von uns entfernt ohne Handschellen auf der Bank, hatte keine Bewacher neben sich und wurde auch nicht durch eine Glaswand geschützt. Die sich im Saal aufhaltenden Polizisten kümmerten sich um alles Mögliche, nur nicht um ihren Schützling, der von einem schwarzen Karatemann von hinten ohneweiteres hätte erledigt werden können. Aber es wurden Leute des Saals verwiesen, die keine Krawatte trugen, oder man wies irgendwelchen Presseleuten Plätze an. Unbewacht verlief auch Strydoms Zusammensein mit seinen Eltern – Vater Nic und Stiefmutter Daphné, und jedermann konnte sehen, dass der Vater – ein bekannter Mann der rechten Politszene – einen verschlossenen Briefumschlag von Barend entgegennahm und in der Innentasche seiner Jacke unbeanstandet verschwinden ließ.

Nachdem wir zwei Stunden lang Professor Erasmus – ein namhafter Pretorianer Psychologe – zugehört hatten, der fast flüsternd sein Gutachten verlas, wussten wir, dass er dem Angeklagten einen Intelligenzquotienten von 116 attestierte und dass er ihn weder für geistesgestört noch für gebrechlich hält. Er bewege sich – wie fast alle überdurchschnittlich intelligenten Menschen – allerdings stets auf der Grenze zwischen normal und abnormal.

Beeindruckt hat uns die große Ernsthaftigkeit und absolute Emotionslosigkeit der drei Richter, der Anklage, der Verteidigung und der Gutachter; denn alle taten so, als wenn es nur um rein Geschäftsmäßiges ginge. Etwas Bewegung kam immer nur dann in die Szene, wenn jemand seinen Pressestuhl verließ und eine vornehme Verbeugung vor dem Hohen Gericht machte, bevor er den Saal verließ, um telefonisch seiner Redaktion ein paar Informationen durchzugeben.

Nach der Verhandlung sprachen wir kurz mit einer jungen weißen Polizistin (für die politisch Linken bekanntlich ein Symbol des Terrors gegen Schwarze), weil wir etwas aus ihrer Sicht zum Fall Strydom hören wollten. Als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, meinte sie klartextlich: „Ich verstehe den Jungen nicht wenn er sagt, die Schwarzen seien für ihn keine Menschen. Wir haben Tausende schwarzer Kollegen, von denen der eine so gut oder schlecht wie der andere ist – wie überall. Aber es hat doch jeder Mensch ein Recht auf Leben! So löst man nicht die Probleme unseres Landes!“ Sie atmete tief durch und nickte dankbar, als sie von uns Verständnis signalisiert bekam.

Überraschend verkündete Richter Louis Harms bereits am Tage darauf, dem 25. Mai 1989 vormittags drei Minuten vor elf Uhr das Urteil: „Achtmal Todesstrafe für achtfachen Mord und 75 Jahre Gefängnis für sechzehn Mal versuchten Mord. Begründung: Strydom hat die Taten in vollem Bewusstsein seiner körperlichen und geistigen Kräfte begangen. Mildernde Umstände hat er nicht verdient, denn er ist zu keinerlei Reue bereit. Außerdem hat er angedeutet, bei entsprechender Chance wieder so verbrecherisch zu handeln. Der Verurteilte ist ein Massenmörder, den ich permanent aus der Gesellschaft ausgeschlossen wissen will, dessen berechnende Kaltblütigkeit selbst mich überrascht hat. Er hatte den persönlichen politischen Gewinn im Auge und wollte Volksheld werden, somit ist dessen Verhalten noch schlimmer als das der Terroristen!“ Als dieses vernichtende Urteil gesprochen war, nickte Barend, trank sein Wasserglas leer und ließ sich dann widerstandslos in die Todeszelle abführen.

Darüber, was nun mit Strydom passieren wird, rätselt nicht nur ganz Südafrika, denn bisher ist nicht bekannt geworden, ob die Verteidigung Berufung einlegen wird. Sozusagen als „Nachlese zum Fall Strydom“ veröffentlichte „Beeld“ noch eine Aussage, die das Motiv verdeutlicht: Barend habe angegeben, aus Angst vor einer schwarzen Oberhoheit, vor Kommunismus und aus Furcht vor dem Untergang des Christentums gehandelt zu haben. Und ein Kommentator ergänzte: „Alle gesellschaftlichen Institutionen, insbesondere die Schulen, müssen sich in Zukunft stärker als bisher dafür verantwortlich fühlen, dass keine weiteren Strydoms heranwachsen, dass die Achtung vor dem menschlichen Leben absoluten Vorrang hat.“ Und schon sehen bereits viele besorgte Bürger dieses komplizierten Landes keinen Geringeren als Barend Hendrik Strydom frei in Pretoria herumspazieren, und zwar wie jene vier schwarzen Leute aus Soweto, die alle wegen Mordes bereits zum Tode verurteilt wurden, aber bis zum „Appell“ die große Freiheit genießen dürfen („Beeld“ vom 27. Mai 1989). – Quo vadis Afrika?

Zu verstehen, was im südlichen Afrika wirklich geschieht, sollten sich vor allem nicht Politiker und Touristen anmaßen, die mal kurz hier hineingeschaut haben, denn sie handeln in aller Regel opportunistisch und alles andere als sachkundig. So glaube ich nicht, dass „Südafrikaexperte“ Verheugen (jetzt SPD, früher FDP) beispielsweise jemals etwas vom „Nationalen Forum“ gehört hat, das sich unter Philipp Nhlapo darum bemüht, ein Großes Indaba zustande zu bringen, ein Treffen auf breiter Ebene zwischen möglichst allen Chiefs und politischen Führern der Schwarzen einerseits und der Regierung andererseits, das schon seit Jahr und Tag angestrebt wird, dem sich aber vor allem noch Zulu-Chief Buthelezi und der ANC verweigern; denn Buthelezi verlangt zuvor die Freilassung Mandelas, und der ANC weigert sich, auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten. Aber das ist nur die eine, für „Experten“ erkennbare Seite der Medaille, denn in Wirklichkeit finden Kontakte auf zahllosen Ebenen statt; wäre das nicht der Fall, gäbe es schon lange keine Republik Südafrika mehr. Das erst kürzlich stattgefundene Treffen mit Nhlapo fand in einem Verhandlungszimmer des Jan-Smuts-Flughafens statt und wurde auf weißer Seite von keinem Geringeren als Chris Heunis geführt, assistiert von de Klerk. Diese und zahllose ähnliche Informationen erhält allerdings auch nur derjenige, der sie auch erhalten will.

Und noch drei kleine, aber typische Beispiele, die zeigen, wie die Wirklichkeit aussieht, von der die auf Anti-Südafrikakurs ausgerichteten europäischen Zeitungsleser gewiss nichts erfahren haben: Als einen weiteren Erfolg der Bemühungen, auch mit schwarzen afrikanischen Staaten wieder normale Beziehungen aufzunehmen, wertet man hier die Tatsache, dass sich Pretoria mit Zaires Staatspräsidenten Maputo Sese Seko jetzt einig ist, gemeinsam ein riesiges Tierparkprojekt in Angriff zu nehmen: In Zaire soll unter technischer Federführung südafrikanischer Experten binnen weniger Jahre der größte Nationalpark der Welt entstehen, ein Zigmillionenprojekt. – Auch darüber, dass Simbabwes Handel mit Südafrika im letzten Jahr um 36 Prozent gegenüber dem Vorjahr anstieg, wird man schweigend hinweggehen, den Simbabwes Mythos’, ein harter sogenannter Frontlinienstaat zu sein, der sich zudem auf politischer Weltbühne vehement für Sanktionen gegen den „Apartheidsstaat“ einsetzt, darf ja nicht ins Wanken geraten!

Dass weiße Südafrikaner in Malawi und neuerdings auch wieder in Mosambik als Geschäftsleute und Touristen willkommen sind, wird man ebenfalls möglichst verschweigen. So werden touristisch Reisende aus Südafrika in Malawi mit offenen Armen empfangen, und dies verdanken sie dem realistisch denkenden und handelnden Dr. H. Banda, Malawis Staatspräsidenten, der sich schon seit vielen Jahren auch öffentlich gegen den politischen Unsinn von Sanktionen und Boykotten ausspricht. Über die guten Beziehungen Südafrikas zu Malawi berichtete uns Gartenbauarchitektin Anni, Tochter der uns gut bekannten Frau Nel, die zusammen mit ihrem Ehemann dieses schöne Land am Malawisee erst kürzlich mit dem Rucksack auf dem Rücken bereist hat. „Großartig, würde ich sofort wieder machen!“

Und abermals konnten wir ein Ereignis besonderer Note selbst miterleben: das erste politische Auftreten der Democratic Party (DP) in Pretoria am 18. Mai 1989 im Stadtsaal des Rathauses, das für uns, die wir ja bereits der Premiere der DP in Durban am 2. Mai beiwohnten, natürlich doppelt interessant zu werden versprach. Als sich der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt hatte (50 Prozent waren junge und jüngere Leute), war die erste Überraschung perfekt, denn damit hatten wohl selbst die größten Optimisten nicht gerechnet, wofür es mehrere Gründe gab: Die Veranstaltung fand an einem Mittwoch statt, die DP verfügt in Pretoria bislang über keinen Parteiapparat, Pretoria ist eine der Hochburgen der NP, also ein Wespennest für die Democratic Party! Und deshalb marschierte nach dem Abspielen des bereits in Durban gezeigten Werbe-Videos auch kein Vorstand in den Saal, sondern nur die bekannte Troika Wynand Malan, Zach de Beer und Denis Worrall nebst Parteisekretär.

Aber Unterschiede zu Durban gab es noch mehr, denn der Applaus zur Begrüßung war ziemlich schwach, und die Hälfte der Zuhörer blieb auf ihren Plätzen sitzen! Entsprechend vorsichtig wurde formuliert, keine Spur von den zum Teil scharfen Attacken auf die NP in Durban, obwohl im Grunde natürlich die Standpunkte klar dargelegt wurden. Wir hatten den Eindruck, als sei man hier auf der ganzen Linie vorsichtiger und zurückhaltender. Und selbstverständlich wurden die Reden hier nicht – wie in Durban – durchgehend auf Englisch gehalten: Malan bediente sich zu 100 Prozent des Afrikaansen, de Beer zu 75 Prozent und Worrall zu 50 Prozent. Das Kernproblem, so Malan, sei die Tatsache, dass es keine Verfassung gebe, auf die sich alle Südafrikaner stützen könnten. „Die DP ist eine überkonfessionelle Partei, deren Politik auf Ehrlichkeit und auf westlichen Prinzipien beruht. Während die NP nur von Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenrechten träumt, werden wir diese Werte realisieren und den Dialog mit allen außerparlamentarischen Gruppen führen – auch mit dem ANC. Die DP ist nicht die Partei der Vorväter, sondern die der Jugend und Zukunft!“

Politische Schlagworte, gewiss, aber sie kommen an. Bemerkenswert: Malan klopfte sich hier nicht auf die eigenen Schultern in seinem Gespräch mit Oliver Thambo erreicht zu haben, dass die terroristischen Anschläge aufhören, denn mittlerweile wird er von Vlok erfahren haben, dass sich die Zahl der Anschläge seit November letzten Jahres sogar um elf Prozent erhöht hat – ein Minuspunkt für Malan, der natürlich sicher sein kann, dass hierüber kaum ein Zuhörer etwas weiß. – De Beer sprach wieder von der Sackgasse, in welche die NP geraten sei: Verwoerd und alle seine Nachfolger seien gescheitert. Apartheid sei unmöglich durchzuführen und keine Lösung für die Wirtschaftsprobleme, was selbst die Regierung zugebe: Die Ökonomie gehe abwärts, die Teuerung steige und die schwarze Bevölkerung explodiere. „Die NP betreibt für uns die beste Propaganda, denn sie selbst sagt, dass Südafrika hinter Korea, Taiwan, Thailand und so weiter herhinkt, dass Inflation und Besteuerung zu hoch sind, es praktisch keine Sparanreize gibt und die Produktivität zu niedrig ist.“ Mehr noch: Die Beamtenapparate seien zu aufgeblasen, denn was solle es für einen Sinn haben, allein im Gesundheitswesen über fünfzehn Departements zu verfügen! Heute gebe es mehr Minister, als der alte Volksrat bei der Gründung der Union Abgeordnete hatte! „Wir wollen eine Nation mit einer Zukunft, denn jeder braucht jeden!“ Viel Beifall, aber auch das sind natürlich bloß Wahlschlagworte, doch vermutlich nicht nur in den Wind gesprochen.

Herzeigen der historischen Staatsflagge am frei zugänglichen Union Building in derRegierungshauptstadt der Republik Südafrika, Pretoria.

Eher intellektuell verhielt sich Worrall, dem nachgesagt wird, am Stuhl von Malan zu sägen. „Auch der ANC sucht nach Wegen zum Dialog! Wenn 1992 der EU-Markt steht und ‚Namibia‘ unabhängig ist, verstärkt sich der Druck auf Südafrika, dem die NP nichts entgegensetzten könnte. Nur die DP verfügt über die Perspektive, Südafrika zu einem Land frei von Apartheid zu machen, während die NP nur davon redet. Sie war eine effektive Partei für ‚Blanke‘, aber die DP ist die Partei für alle Südafrikaner der Zukunft. Sie fühlt mit den Massen, dass sich Südafrika in eine friedliche Zukunft hinein verändern muss.“ Dass Worrall die Prioritäten anders als Malan setzt, ist bezeichnend: Sicherheit – Wirtschaft – Verfassung.

Eindeutig favorisiert er ein föderales System nach Schweizer- oder BRD-Vorbild, ohne dies allerdings direkt beim Namen zu nennen. „Aber den Weg von Ian Smith (Rhodesien) gehen wir nicht! Ich glaube an eine gewaltige Zukunft für Südafrika!“ Enttäuschend nicht nur für ihn muss gewesen sein, dass die DP, die Partei für alle Südafrikaner, heute Abend kein einziges andersfarbiges Gesicht begrüßen konnte, ganz im Gegensatz zu Durban, wo insbesondere der indische Zuhöreranteil relativ hoch war.

Aufmerksamen Besuch von Farbigen erlebten dagegen am Tage darauf die Union Buildings, und zwar von einer großen Schülerschar aufgeweckter Coloureds, die mit zwei Bussen hier waren und sich völlig ungeniert auch vor dem nur von einem einzigen jungen Polizisten im Auge behaltenen Eingang zum Außenministerium tummelten. Was denken wohl diese jungen Leute wirklich über Politik, in die sie ja alle nolens volens eingebunden sind? Was halten sie beispielsweise von der just am selben Tage stattfindenden neuerlichen Mission von Tutu, Boesak und Naudé in den USA, die das erklärte Ziel hat, man möge doch bitteschön die Sanktionen gegen Südafrika verstärken? Nachdem jene Coloureds in Cape Town ihren Bischof mit Plakaten „Gib uns Jobs und zu essen!“ empfangen hatten, als er aus den USA kommend gelandet war, bedarf es keines Tiefenstudiums, um zu ergründen, was diese jungen Leute hier wirklich denken!

Was war in Washington gelaufen? Dieses für die westliche Welt „repräsentative Dreigestirn“ war wieder einmal – selbstverständlich die I. Klasse benutzend – in die Staaten geflogen, um dort in geistlichen Gewändern Politik zu machen. Diesmal gab es jedoch einen für sie bitteren Reinfall, denn Präsident Bush ließ zunächst einmal wissen, für diesen unangemeldeten Besuch keine Zeit zu haben, aber schließlich wurden doch noch 30 Minuten geopfert. Und nun das Eingeständnis einer Pleite, den verdutzten Journalisten von Tutu vorgetragen:

„Ich bin optimistisch, dass Präsident Bush kein Interesse daran hat, weiteren Sanktionsdruck auf Südafrika auszuüben, sondern er will jetzt positiv auf das Land einwirken“ („Beeld“ vom 19. Mai 1989). Betretenes Schweigen allenthalben und großes Rätselraten darüber, wie das alles noch zusammenpassen soll. Vollends muss es die Beobachter verwirren, wenn sie in derselben Ausgabe lesen, dass ausgerechnet die große alte Dame der südafrikanischen Opposition, Ellen Suzman, sich quasi hinter de Klerk, den neuen Parteivorsitzenden und Wahlkampfmanager der NP stellt, indem sie sagte: „Das ist ein intellektueller Mann, dem ich zutraue, das Staatsinteresse über das seiner NP zu stellen!“

Das „repräsentative Dreigestirn“ Tutu, Boesak und Naudé war gerade wieder aus den Staaten zurückgekehrt, als aus dem Munde des stellvertretenden US-Außenministers H. Cohen in „Sachen Südafrika“ Bemerkenswertes zu vernehmen war: „Wir hören jetzt von Dingen, die neu sind: Die Zeit der nur weißen Herrschaft ist vorbei, was auf der Grundlage ‚one man – one vote‘ ohne Diskriminierung einer kleineren Gruppe (Schweiz-Modell?) realisierbar sei. Wir werden mit den Repräsentanten Südafrikas sprechen, um herauszufinden, was das konkret bedeutet.“ Cohen sagte weiter, dass sich seit seiner letzten Zusammenkunft mit ANC-Führern auch auf dieser Seite etwas in Richtung Realismus verändert habe. Dass sich in der südafrikanischen Politik viel in „die richtige Richtung“ bewege, sei unübersehbar, und deshalb lehne er schärfere Sanktionen gegen dieses Land strikt ab, und zwar allein schon aus Gründen der Vermeidung einer höheren Arbeitslosigkeit unter den betroffenen Schwarzen. – Ist das „repräsentative Dreigestirn“ also gescheitert? Vorerst ja, aber man weiß natürlich, wie vergesslich die Menschen auch in Südafrika sind!

Für die nächste politische Hiobsbotschaft sorgte A. Vlok, Minister für „Wet en Orde“ (für Gesetz und Ordnung), der den ANC nachdrücklich zur Vernunft aufforderte: „Jetzt ist die Zeit gekommen, da müsst ihr entscheiden: Entweder Demokratie, Freiheit und Entwicklung oder Gewalt, Chaos und Blutvergießen!“ Anlass war eine über „Radio Freedom“ (Sitz Lusaka) verbreitete ANC-Propagandasendung mit der massiven Aufforderung, dass der Kampf gegen das Regime in Pretoria jetzt auch in die weißen Wohngebiete hineingetragen werden müsse und an Arbeitsplätzen sabotiert werden solle – ein Schlag ins Gesicht vor allem der Democratic Party, die für sich in Anspruch nimmt, als einzige glaubwürdige politische Kraft auf dem Verhandlungswege dem ANC bereits Erfolge im Sinne von Einstellung der Terroranschläge abgerungen zu haben.

Es ist unverkennbar, dass sich insbesondere eine Volksgruppe in Südafrika immer stärkerem psychologischem Druck ausgesetzt sieht: die Buren. Und so nimmt es nicht wunder, dass das Verlangen nach einem eigenen Staat von Tag zu Tag deutlicher artikuliert wird, denn: „Was den Tswanas, Vendas, Zulus und Xhosas zugestanden wird – die eigene Republik, können wir auch verlangen, denn auch wir wollen frei und unabhängig sein!“ Dass diese an sich logische Forderung jedoch unberücksichtigt lässt, dass in letzter Konsequenz die Republik Südafrika auseinanderbrechen würde und mit Sicherheit ein solcher „Volksstaat“ gar nicht lebensfähig wäre, weil erst recht von aller Welt nicht anerkannt, steht auf einem anderen Blatt. Und außerdem wird offensichtlich die Geschichte ignoriert, denn Südafrika erlebte schon mehrere „Freie Burenrepubliken“, die entweder nach kurzer Zeit wieder verschwanden oder zu südafrikanischen Provinzen „verkümmerten“.

Doch das Freiheitsstreben der abermals bedrängten Buren nimmt derzeit in einem Maße zu, das viele Politiker um den Bestand der Republik Südafrika bangen lässt. Dass auch wir diese brisante Entwicklung praktisch von Anfang an live miterleben konnten, hatten wir wohl einer wohlmeinenden Fügung zu verdanken. – Zunächst registrierten wir via Presse die Gründung einer „Bauern-Freiheitsbewegung“ am 20. Mai 1989, die sich hinter verschlossenen Türen der „Hendrik-Verwoerd“-Schule in Pretoria vollzog, bei der die Öffentlichkeit also nicht zugelassen war – ungewöhnlich für Südafrika! Zum Vorsitzenden dieser Bewegung, die betont, keine Partei zu sein, wurde Professor Alkmaar Swart (University of South Africa, UNISA) gewählt, einer der sogenannten Vier Sauberen, die kürzlich unter Protest die rechtsradikale AWB mit Eugène Terre ’Blanche an der Spitze verlassen haben. In einer Presseerklärung heißt es zu den Hauptzielen der Bewegung: Förderung des Freiheitsstrebens der Buren; Errichtung eines eigenen Staates neben der Republik Südafrika; die Arbeit der Bewegung ist christlich, republikanisch und volksnah; Gewalt und Revolution zur Erreichung des Zieles „Burenstaat“ wird verworfen; die Bewegung bleibt vorerst außerparlamentarisch.

Während diese Bewegung das Licht der Öffentlichkeit also noch scheut, haben die Oranjewerkers keine derartigen Hemmungen, denn sie artikulierten am 27. Mai 1989 im Stadtsaal des Rathauses ihre Forderungen, in deren Mittelpunkt ebenfalls das Verlangen nach einem „Burenstaat“ stand. Aktuelle Anlässe sind die turbulenten Ereignisse in Südwestafrika, die es selbst den Betroffenen dort schwierig machen, Propaganda von der Wirklichkeit zu unterscheiden.

So wurde erst zwei Tage vor dieser sehr gut besuchten Versammlung von einem Sprecher der „Vereinigten Völker von Namibia“ bekanntgegeben, dass in Kürze alle politischen Gefangenen in „Namibia“ und umliegenden Ländern freigelassen werden, während die SWAPO an diesem Tage behauptete, dies sei in „Namibia“ längst geschehen. UN-Beobachter haben jedoch nichts bestätigt! Zur Verwirrung trug auch die Meldung bei, dass nicht weniger als 42.000 registrierte Flüchtlinge in den Grenzgebieten auf ihre Rückkehr nach „Namibia“ warten würden, denn kaum jemand glaubt, dass es sich wirklich um Flüchtlinge handelt.

Auch diese Veranstaltung konnten wir ohneweiteres besuchen, eine Tatsache, die uns hier immer wieder in Erstaunen versetzt. Vor dem Rathaus prangten auf Plakaten und Fahrzeugen jene Parolen, um die sich heute Abend alles drehen sollte: „435 ist Volksmord!“, „Weg mit UNTAG!“, „Weg mit 435!“, „Zurück zu unserem Volk!“ und „Wir fordern den Volksstaat!“. Und das alles am Tage einer heftigen Reaktion von Seiten des südafrikanischen General-Administrators Louis Pienaar, der sich in Windhoek vehement gegen jene Leute wandte, die die UN-Resolution 435 mit allen Mitteln bekämpfen: „Das ist sinnlose Kraftvergeudung! Ihr solltet eure Energie stattdessen dafür einsetzen, dass 435 ein Erfolg wird, denn für Südwest und für Südafrika steht viel auf dem Spiel!“

Gegen welche Leute nicht nur jener Pienaar zu kämpfen hat, wurde uns spätestens klar, als wir die Bücherecken in der Vorhalle sahen: durchweg rechtsradikale Literatur, vertreten auch durch den bekannten revisionistischen Autor David Irving, Jahrgang 1938, dessen Bücher über Hitler, Hess, Churchill, Stalin und so weiter für weltweites Aufsehen gesorgt haben. Unweit von diesen Tischen standen die dazu passenden Akteure: junge Männer und schon ältliche Frauen in Khaki-Uniformen mit Emblemen auf den Ärmeln, deren Ähnlichkeit in Form und Farbe mit Hitler-Symbolen unverkennbar ist. Es sind AWB-Leute, die unter der Fuchtel von Eugène Terre ’Blanche – genannt ET – auf ihre Weise für die „Sache der Buren“ kämpfen.

Überraschender Ehrengast heute Abend war Dr. Treurnicht, KP-Oppositionsführer im Parlament zu Kapstadt, der erst am Vortage verkündet hatte, dass ET keine Chance habe, als KP-Kandidat in den Wahlkampf zu ziehen: „Der AWB-Stil ist nicht unser Stil!“, was sich auf einen Vorfall bezog, der sich dieser Tage in Welkom abspielte: AWB-Aktivisten hatten den dortigen Bürgermeister „geteert und gefedert“!

Und heute Abend nun die schwierige Situation, dass gleich vier rechtsgerichtete „Burenbewegungen“ unter einem Dach saßen: die KP, die AWB, die ACN und die veranstaltenden Oranjewerkers.

Wir schätzten, dass der Stadtsaal zu mindestens 90 Prozent besetzt war, und zwar mit überwiegend Älteren. Nach dem Absingen kräftiger Burenlieder, unter anderem „Das freie Volk sind wir!“ und einem langen Gebet für die in schwere Bedrängnis geratenen Buren Südwestafrikas, kam zunächst H. Moster zu Wort, der Delegierte aus Walvis Bay: „Unser Nachbar Südwestafrika (Walvis Bay gehört zur Republik Südafrika) wird nicht von angeblich nur 4.500 UN-Polizisten beschützt, sondern ist von mindestens 15.000 UN-Soldaten besetzt – bis ins kleinste Dorf hinein, bewaffnet und auf der ganzen Linie pro SWAPO!“ Und als Moster angab, dass jeder dieser „Besatzer“ ein Salär von 2.000 Rand pro Monat bekäme und die Truppen ihren Sprit für nur zehn Cents pro Liter tanken könnten, war’s vorbei mit der Ruhe: „UNTAG raus!“ und „Weg mit 435!“

An Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ auch Professor Kosie Pretorius, der nachfolgende ACN-Redner (Action Christian National, SWA), der sich zunächst bei der KP für deren Solidarität bedankte und dafür viel Befall erhielt. Aber dann rechnete er mit der gegenwärtigen Regierung ab, insbesondere mit Außenminister „Pik“ Botha, weil in früheren Jahren nachweislich gegebene Zusagen, Südwestafrika unter keinen Umständen fallenzulassen, heute offensichtlich keine Gültigkeit mehr haben. „Wir gehören doch zu euch, sind euer Blut! Wie könnt ihr es vor Gott und eurem Gewissen verantworten, uns zugunsten eines vermeintlichen Friedens zu opfern! Ihr habt uns verraten, habt uns übergangen, denn nie wurden wir zu 435 befragt! Unsere Zustimmung habt ihr nicht, und wir prophezeien euch, dass ohne Umkehr erst recht Krieg ins Haus steht!“ Wir fühlten deutlich mit: Hier geht es in der Tat um essentielle Bedrängnis, denn wenn Menschen in der Lage sind zu ahnen, was aus Südwestafrika nach der befürchteten Machtübernahme durch die stark linksorientierte SWAPO werden wird, dann sind es die Südwester.

Schließlich trat auch Dr. Treurnicht, KP, ans Rednerpult, der gleich zu Beginn seiner mit viel Befall bedachten Ansprache unterstrich, nicht in Opposition zu den Zielen der Oranjewerkers und zu den Besorgnissen der Südwester zu stehen: „Euer Volk ist unser Volk! Wir lehnen ab, was uns aufgezwungen wurde, denn das ist Verrat und Ausverkauf! Namens von Hunderttausenden erkläre ich als Christ: Solange es möglich ist, werden wir für die Unabhängigkeit aller Menschen in Südwestafrika kämpfen, denn die SWAPO ist rassistisch!“ Und dies aus dem Munde jenes Mannes, der das politische Debakel von Boksburg zu verantworten hat, wo die KP die Kommunalwahl gewann und nun dabei ist, zurück zur längst überwunden geglaubten Kleinen Apartheid zu marschieren!

Als letzter Redner bekannte sich Professor Hercules Booysen, Vorsitzender der Oranjewerkers, leidenschaftlich zu der Forderung nach einem Burenstaat, der in der südafrikanischen Verfassung festgeschrieben werden müsse, und legte die wesentlichen Punkte noch einmal dar: „Die Afrikaaner können als freies Volk nur in einem eigenen Land bestehen. Für all jene Weißen muss ein Afrikaanerland geschaffen werden, die sich zu ihrem Volk bekennen. Weißes Wachstum ist vor allem auf dem Land eine Notwendigkeit. Unabhängigkeit von fremder Arbeit (Arbeit der Schwarzen) bedeutet im eigenen Staat politische Selbstbestimmung, dagegen führt die Versklavung an fremde Arbeit zum Verlust der Identität. Eigene Staaten sind für die schwarzen Völker von Südafrika durch die NP-Regierung aufgrund des Rechts auf Selbstbestimmung geschaffen worden. Deshalb fordert nun auch das Burenvolk seinen eigenen Staat!“

ACN-Leiter Professor K. Pretorius, dessen Hauptbüro sich in Windhoek befindet, verteidigte seinen Aufruf zum Boykott der UN-Resolution, denn es gehe um Sprache, Kultur und Glauben, Werte, die in Südwestafrika auf dem Spiel stünden. „Unsere Antwort auf 435 ist: Stimme für ACN!“ Aber es scheint, dass die Vordenker für einen Burenstaat dieses Stadium theoretisch schon hinter sich haben, wofür ein paar markante Buchtitel sprechen: „Und hier ist unser neuer Burenstaat!“ (Prof. A. Swart), „Republiek Afrikana – eine Heimat für Afrikaaner“ (P. F. Bruwer), „Wo ist deine Freiheit?“ (Prof. W. Lubbe), „Der Dritte Freiheitskrieg wütet“ (P. F. Bruwer).

Während des überraschend emotionslos geführten Frage- und Antwortspiels, an dem sich – aus welchen Gründen auch immer – die Älteren kaum beteiligten, wurde das tatsächliche Dilemma deutlich, in welchem sich die insgesamt nur 5,1 Millionen Köpfe zählende „weiße Gemeinschaft“ im südlichen Afrika generell befindet: Sie ist heillos zerstritten und in unzählige politische Gruppierungen zerfallen. Eine junge Frau aus Gobabis brachte es auf den Punkt: „Was soll der Unsinn, dass sich die 70.000 Weißen in Südwest in zwanzig bis dreißig Parteien aufgespalten haben, und nicht viel anders ist es in Südafrika! Wenn wir uns nicht endlich einigen, verschulden wir unseren Untergang selbst!“ Übrigens hörten wir heute zum ersten Mal, in welcher Gegend man die „Republiek Afrikana“ errichten will: Es soll der südliche Teil von „Namibia“ abgetrennt und mit einem großen Gebiet der nördlichen Kapprovinz verbunden werden. Genaueres wurde nicht gesagt.

Aber Dilemmas gibt es bekanntlich nicht nur auf der weißen Seite; denn auch die Schwarzen sind sich alles andere als einig, was oft genug schon zu tödlichen Auseinandersetzungen geführt hat. An die oben skizzierte Situation – Forderung nach einem Burenstaat – schloss sich aus Anlass des 17. Jahrestages des Bestehens der Republik Bophuthatswana (1. Juni 1989) nahtlos eine drei Punkte umfassende Diskussion an, wonach Präsident Mangope laut über den Wiederanschluss an die Republik Südafrika nachdenkt, „sofern bessere Voraussetzungen das erlauben“. Die Alternative dazu wäre der Anschluss an das benachbarte Botswana oder die Beibehaltung des derzeitigen Zustandes. Mangope sprach in dem entsprechenden Zeitungsinterview („Transvaaler“ vom 19.05.1989) unverhohlen auch von den besonderen Problemen seines Landes: 50- bis 90-prozentige Arbeitslosigkeit und ein jährlicher Flüchtlingsstrom von 10.000 Familien, insbesondere auch aus Simbabwe. Optimistisch sei er dennoch, denn entgegen vieler Behauptungen sei der Schuldenberg des Landes gegenüber Südafrika immer kleiner geworden, zurzeit decke Bophuthatswana zu 85 Prozent seinen Haushalt aus eigener Wirtschaftskraft.

Doch politischen Aussagen dieser Art misst man hier keine überragende Bedeutung bei, und zwar aus zahllosen enttäuschenden Erfahrungen heraus. So gibt sich Dr. Buthelezi bekanntlich als überragender Vollblutpolitiker, indem er nichts unterlässt, seine mächtige Inkatha-Bewegung als größte Hoffnung Südafrikas erscheinen zu lassen, die Gewalt in jeder Form ablehnt. Doch es erfährt der Leser in derselben Zeitung vom 19. März 1989, dass jener Buthelezi wieder einmal einen langen Brief an „seinen Freund“ Mandela geschickt hat, an jenen ANC-Führer also, der sich bis auf den heutigen Tag weigert, der Gewalt als Mittel der Politik eine Absage zu erteilen und damit jeglichen Dialog mit der Regierung blockiert. Und Buthelezi setzte sogar noch eins drauf, indem er Mandela unverblümt als „den größten lebenden Märtyrer“ bezeichnete.

Ungeachtet dieses verwirrenden Politpokers fanden am Mittwoch, dem 21. Mai 1989, überall im Lande die Feierlichkeiten zum „Republiekdag“ statt, auch in der Regierungshauptstadt Pretoria. Hier hat dieser Tag, der an die Gründung der Republik Südafrika am 31. Mai 1961 unter Dr. Verwoerd erinnern soll, jedoch eine Bedeutung, die über den rein formellen Anlass hinausgeht; es schien, als wenn der eigentlich Grund – die Republikgründung – hier gar nicht gefragt gewesen wäre. Im Vordergrund der öffentlichen Kundgebungen vor dem Munitoria stand Militärisches, und zwar bezogen auf die Stadt Pretoria. Das Wort „Republikgründung“ hörten wir tatsächlich nur am Rande.

Uns schien, als würde man sich nur ungern jener Zeit erinnern, denn der damalige Volksentscheid, eingeleitet durch Dr. Verwoerd, brachte lediglich 52 Prozent Ja-Stimmen für die Republik! Und ein paar Tage später musste der Premier in London eine weitere Niederlage einstecken, denn sein Antrag auf Mitgliedschaft der Republik Südafrika im Commonwealth wurde von den farbigen Vertretern der Konferenz abgelehnt, was von vielen westlichen Staaten sozusagen als Aufforderung zur Einmischung in die südafrikanische Innenpolitik missverstanden wurde. Verwoerd zog seinen Antrag zurück und flog wieder gen Süden, um die Republik Südafrika ohne Commonwealth zu errichten.

Vor diesem Hintergrund wird erklärlich, warum dieser „Republiekdag“ an alles erinnert, nur nicht an die Gründung der Republik Südafrika am 31. Mai 1961. Stattdessen wurde die Verbundenheit des Transvaaler Militärs mit der Stadt Pretoria gefeiert, die zurückreicht bis in die Zeit des „Tweede Vryheidsoorlog“ 1899/1902 (Burenkrieg), als sich das beschützende Militär auf der Robertshoogte (später Voortrekkerhoogte) einrichtete, aber zur Stadt selbst keinen Zugang hatte. Um im Jahr wenigstens einmal in Pretoria auftreten zu können, bedarf es der ausdrücklichen Genehmigung des Bürgermeisters, woraus sich eine eindrucksvolle, jeweils am „Republiekdag“ abzuhaltende Zeremonie entwickelt hat: Der befehlshabende Kommandant der Einheiten von Nord-Transvaal, Brigadier G. N. Opperman, ersucht den zivilen Raadsheer, Dr. E. S. Jacobsen (Bürgermeister von Pretoria) mit seinen Truppen aufmarschieren zu dürfen. Jacobsen stimmt zu und nimmt zu Fuß Reihe für Reihe des vor den Tribünen stehenden Regiments ab. Dann überreicht er den Kommandeuren der Nord-Transvaaler Einheiten und Schulen feierlich eine Urkunde, mit der sich die Stadt Pretoria ausdrücklich für Schutz und Verbundenheit bedankt. Der optische Höhepunkt besteht im Vorbeimarsch mehrerer Einheiten, die ihre Sturmgewehre präsentieren und militärische Grüße entbieten. Besonderen Applaus erhält eine Schotteneinheit, deren Musik und Kleidung alles übertrifft.

Bemerkenswert sind auch einige am Rande gemachte Beobachtungen, die wieder einmal zeigen, wie sehr sich Südafrikas Wirklichkeit von den in Übersee liebgewordenen Klischees unterscheidet: Jedermann hatte unabhängig seiner Hautfarbe freien unkontrollierten Zugang. Nur eine Handvoll schwarzer und weißer Polizisten – Männer und Frauen – sorgte für Ordnung, wir sahen nicht eine einzige Rempelei oder gar Schlimmeres. Die Ehrentribünen vor dem Munitoria in der Vermeulenstraat mit den Bürgermeistern, allen Stadträten und höchsten Militärs sind nicht besonders bewacht, so dass auch ich mit meiner Kamera ungehindert arbeiten konnte. Kleine Kinder tummeln sich Eis lutschend auf abgestellten Panzerwagen und krabbeln zwischen den Beinen strammstehender Soldaten herum. Insgesamt eine Atmosphäre der Gelöstheit, der Lässigkeit – beinahe ein großes Familienfest, auf dem jeder jeden zu kennen scheint.

Dass dies aber nicht in ganz Südafrika der Fall ist – wen wundert es! Während Brigadier G. N. Opperman in Pretoria eine Gefahr für das Land nur indirekt ansprach, indem er meinte, durch Gottesfürchtigkeit allein sei keine irdische Sicherheit zu erreichen, wurde der Minister für Gesetz und Ordnung, A. Vlok, in Verwoerdburg deutlicher: „Uns muss die Kriminalitätsstatistik aufschrecken, denn im letzten Jahr passierten im Durchschnitt pro Tag dreißig Morde, und es gab 344 Schwerverletzte – täglich. Tendenz steigend!“

Noch markigere Töne schlug Eugène Terre ’Blanche in Krugersdorp an: „Seid gewarnt! Wenn ihr in Südafrika eine Regierung wie in Südwest zulasst, dann bricht hier die Hölle los! Ich werde der Erste sein, der an der Spitze der AWB zum Kampf für das blankedom aufrufen wird! Wenn die gegenwärtige Regierung den Kommunisten (gemeint ist der ANC) die Macht übergibt, dann wird sie von uns noch in derselben Nacht aus dem Land gejagt!“ Dazu meinte ein Kommentator: „Den ET sollte man nicht ernst nehmen, auch seine naiven Leute nicht, die in SS-Uniformen vor dem Hohen Gerichtshof flanierten, als gegen Strydom verhandelte wurde.“

Ganz und gar nicht ETs Meinung ist der südafrikanische Heereskommandeur Kat Liebenberg, der unverblümt meinte: „Der SWA-Plan (435) wird verhindern, dass der Krieg noch einmal aufflammt. Er wird die Bande mit den Staaten im Norden stärken und dazu beitragen, dass die Gefahr eines bewaffneten Konfliktes in Südafrika vermindert wird.“

Der alljährlich stattfindende Tag der Republik wird als großes Familienfest begangen,an dem sich die Bevölkerung Pretorias in erster Linie der Verbundenheitdes Transvaaler Militärs mit der Stadt Pretoria erinnert, die bis in die Zeitdes sogenannten Burenkrieges 1899/02 zurückreicht.

Ebenfalls auf der optimistischen Linie liegt die Atmosphäre in Maputo, Hauptstadt des sozialistisch-kommunistischen Nachbarn Mosambik, wo kein Geringerer als Arbeitsminister A. Mazula an der offiziellen Feier zum „Republiekdag“ teilnahm, eingeladen vom stellvertretenden Außenminister Südafrikas, Kobus Meiring. Den anwesenden Vertretern aus den USA, Italien, Frankreich und Brasilien müssen die Ohren geklingelt haben, als sie von Mazula hörten: „Meine Anwesenheit auf dem ‚Republiekdag‘ ist ein Zeichen unseres Willens zum Frieden mit Südafrika!“ Dies ist umso bemerkenswerter, als Mazula wenige Tage zuvor in Rom mit „Pik“ Botha und US-Außenminister J. Baker zusammengetroffen war.

Es gibt also unverkennbare Anzeichen dafür, dass Südafrika selbst mit der „feindlichen Welt“ allmählich ins Reine kommt, was aber von vielen politischen Gegnern scharf bekämpft wird, und zwar häufig von weißen Südafrikanern, denen es aus opportunistischen Gründen geradezu Spaß zu machen scheint, ihrem Lande ständig in die Beine zu schießen. So war der „Republiekdag“ eine willkommene Gelegenheit für Mr du Pisani, Direktor des südafrikanischen Instituts für internationale Angelegenheiten, sich ausgerechnet in Harare, Hauptstadt des Frontlinienstaates Simbabwe, geradezu genüsslich darüber zu äußern, dass nunmehr jeder in Südafrika die Sanktionen am eigenen Leib verspüre und es dem Land schlecht bekomme, was die Welt über Südafrika verhängt habe: „Südafrikas ausländische Reserven sind jetzt geringer, als die von Botswana!“ – eine Wohltat für gegnerische Ohren! „Wenn de Klerk neuer Präsident werden sollte“, so meinte du Pisani, „dann wird er weder die Apartheid abschaffen, noch wird er große strukturelle Veränderungen zuwege bringen, denn er ist kein strategischer Denker, sondern nur ein konservativer Politiker!“ Im Übrigen, so du Pisani, werde die SWAPO in Südwestafrika selbstverständlich gewinnen (weil es die UN so wollen).