Und ewig lockt der Orient. Reisen am Rande der Sahara - Harald Stöber - E-Book

Und ewig lockt der Orient. Reisen am Rande der Sahara E-Book

Harald Stöber

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Beschreibung

Die »Abenteuer am Rande der Sahara« begannen 1971 im freundlichen Tunesien, es folgte das schwierige Ägypten, dann ging’s ins königliche Marokko und ins sozialistische Algerien – alles Länder, in denen sich bereits vor Jahrtausenden epochale Ereignisse zugetragen haben, deren Spuren noch heute zu bestaunen sind. Ob ägyptische, römische oder arabische Monumentalitäten, ob Menschen in Höhlen, in der Wüsten oder in Souks – jede Facette ist des Staunens wert. Wer hätte gedacht, dass sich einst legendäre Riesen als Baumeister auf Malta bestätigten, dass »Dodo« der eigentliche Ureinwohner auf den Seychellen war und es in Tunesien seit 2.600 Jahren jüdische Diaspora-Gesellschaften gibt? – Stöbers Reisereports sind informativ, unterhaltsam und offen, so dass der »mitreisende« Leser bald den Wunsch verspüren wird, ebenfalls im Sinne unseres Autors zu reisen.

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Seitenzahl: 450

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Harald Stöber

Und ewig lockt der Orient

Reisen am Rande der Sahara

– Zeitdokumente ab 1971 –

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright (2012) Engelsdorfer Verlag

Alle Rechte beim Autor

Titelfoto:

Eine Berberfamilie, die eine Höhlenwohnungin Matmata ihr Eigen nennt

Coverrückseite:

Jüdische Kinder in Hara Srira,deren Ahnen bereits vor 2.600 Jahren nach Djerba kamen.

www.engelsdorfer-verlag.de

eISBN: 978-3-86268-800-5

Ein Fremder

ist blind,

obwohl er

zwei Augen hat.

Orientalische Weisheit

Gewidmet meiner

lieben Familie und

allen Orientfreunden.

Inhaltsverzeichnis

Gesamtübersicht

1. Kapitel

TUNESIEN

Sousse

Monastir

Kairouan

El Djem

Sfax

Gabès

Matmata

2. Kapitel

AGYPTEN

Kairo

Gizeh

Kairo

Memphis

Sakkara

3. Kapitel

MAROKKO

Überfahrt nach Marokko

Tetuan

Tanger und Cap Spartel

Asilah und Lixus

Larache

Ouezzane

Fès

Volubilis

Mouley Idris

Meknès

Rabat

Casablanca

El Jadida

Safi

Marrakesch

Hoher Atlas

Ouarzazate

Tal des Drâa

Straße der Kasbahs

Tizimi-Gebiet

In den Atlasbergen

Al Hoceima

Chechaouen

Ceuta

4. Kapitel

MAGHREB

Marokko – Algerien – Tunesien

Anreise

Von Tanger bis Oujda

Tlemcen

Mansoura

El Eubbad

Oran

Mascara

Cherchell

Tipasa

Kbor Roumia

Algier

Djemila

Constantine

Annaba

Tunis

Nabeul

Hammamet

Sousse

Kairouan

Thuburbo Majus

Aqueduc Romain

Tunis

Karthago

5. Kapitel

MALTA

Insel Malta

Insel Gozo

6. Kapitel

SYCHELLEN

7. Kapitel

TUNESIEN

Blick in die Geschichte

Auf Djerba

Gesamtübersicht

In den heißen Sommermonaten die nordafrikanischen Maghrebländer und Ägypten als Individualtouristen zu bereisen, setzt Gesundheit und Durchhaltevermögen voraus, und es gab Situationen bei 50 Grad im Schatten, die zu höchster Vorsicht mahnten oder sogar zum Verzicht beispielsweise auf die geplante Tour in den Süden Algeriens zwangen. Hinzu kam noch der viele Ärger über Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr, Sturheit und Steinattacken, mit denen nicht von vornherein zu rechnen war.

Es überwogen jedoch die positiven und interessanten Aspekte, welche die Freude am Orient nicht zunichte machten, was aber auch daran lag, dass ich Vieles wohl aufgrund meiner allgemeinen Reiseerfahrung eher wegstecken konnte, als ein »afrikanisches Greenhorn«. Bleibt als Fazit, dass der Orient einerseits fasziniert und »ewig lockt«, andererseits aber auch verdammt schwierig sein kann, sofern man auf die Geborgenheit, die eine Reisegruppe bietet, verzichtet. Das aber sollte man tun, um den Orient wenigstens halbwegs verstehen zu können.

Dieser Reisereport, den ich bewusst unterhaltsam, offen und spannend formuliert habe, beginnt mit Tunesien im Jahr des Herrn 1971, zu einer Zeit, als das Land erst am Anfang seiner totalen Öffnung für den Tourismus stand. Dort faszinieren die heilige Stadt Kairouan, die römischen Hinterlassenschaften und die Sahara-Oasen. In Ägypten steht man beinahe sprachlos vor den gewaltigen Pyramiden, lässt den Stadtmoloch Kairo über sich ergehen und bewundert das blaue Band des Nils.

Das königliche Marokko bietet eine Überfülle an Sehenswürdigkeiten, insbesondere großartige Städte wie Fès, Meknès, Rabat, Marrakesch und Chechaouen, man kann sich an enorm viel Römischem und an großartigen Landschaften erfreuen, insbesondere im Hohen Atlas und in den Saharagebieten östlich dieses Gebirges, das sogar Wintersport ermöglicht. Das sozialistische, teils auch fundamentalistische Algerien war zu jener Zeit beziehungsweise in der Mitte der Siebziger Jahre noch heruntergekommen sowie politisch gefährlich instabil und deshalb relativ schwierig zu bereisen. Aber auch dieses Maghrebland hat viel Römisches, Französisches und Arabisches zu bieten, das verblüfft: Es gibt Theater, das monumentale Sèlène-Grabmal (Tochter der Nofretete) und die Kathedrale St. Augustin mit dem Sarkophag dieses Heiligen.

Auf Malta und Gozo glaubt man Arabisch zu hören, hat fast den Eindruck, alle Ortschaften hätten sich seit Jahrhunderten eingemauert und macht mit prähistorischen Tempelanlagen Bekanntschaft, die einst von legendären Riesen errichtet wurden. Auf den multikulturellen Seychellen erlebt man, was »moderne Sklaverei« bedeutet, wie angeblich paradiesische Resorts aussehen und wie schnell eine Urlaubskasse leer sein kann.

Die letzte Tour in 2007 ging noch einmal nach Tunesien, und war speziell auf die Insel Djerba, die abseits komfortabler Resorts viel Überraschendes bietet, vor allem altjüdische Diaspora-Gesellschaften, die dort bereits seit 2.600 Jahren existieren, aber von Urlaubern kaum besucht werden – abgesehen von der Synagoge La Ghriba, die vor ein paar Jahren das Anschlagsziel islamischer Terroristen war.

1. Kapitel

TUNESIEN

Diese aus heutiger Sicht eher bescheidene Reise ins nordafrikanische Tunesien war als Urlaubsreise gedacht, auf der wir uns von der Alltagshetze einmal tüchtig erholen wollten. Dass mir dies weniger gründlich gelang, als meiner Frau und den beiden uns begleitenden, damals erst 9-jährigen Zwillingsbuben, lag daran, dass es mich »in die Wüste« zog und ich außerdem ein paar Tage lang heftige Verdauungsstörungen hatte – typisch für Nordafrika im Sommer!

Für mich war die Hauptstadt des Landes, Tunis, nichts grundsätzlich Neues mehr, da ich bereits Mitte der 50-er Jahre schon einmal das Glück gehabt hatte, als schlichter Fahrradtourist von Palermo aus per Handelsschiff hier gewesen zu sein, zu einer Zeit, in der die französische Herrschaft über dieses Land bereits in den letzten Zügen lag. Aber das Tunis von damals, das ich seinerzeit noch ohne Fotokamera betreten hatte, fand ich nicht mehr vor, denn mir schien, als hätte ich 1971 zum ersten Mal meinen Fuß auf tunesischen Boden gesetzt.

Unser Ziel war diesmal Sousse – das alte Hadrumetum. Sousse ist heute mit etwa 90.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt des Landes und Ausgangsort für die meisten interessanten Touren ins Innere. Um neben Wüste auch ein wenig punische, römische, byzantinische und arabische Geschichte zu schnuppern, unternahm ich von hier aus ein paar Ausflüge und zwar nach Monastir, El Djem, Sfax, Gabès, Matmata, Chenini, Douz und Kebili. Dies waren Besuche, die mich sehr beeindruckten und die in mir den Wunsch weckten, später noch viel mehr von dieser faszinierenden nordafrikanischen Welt kennenzulernen.

So von heute auf morgen fiel die Entscheidung nicht einen 2-wöchigen Urlaubsaufenthalt in Tunesien zu buchen, denn schließlich ging es auch um die Finanzierung dieses Vorhabens, zumal Reisen dieser Art damals noch verhältnismäßig teuer waren; vier voll zahlende Urlauber hinterließen Spuren! Sei’s drum, meinten wir schließlich, und schon war das EDV-mäßig gegliederte Anmeldeformular von NUR (Neckermann & Reisen) ausgefüllt, unterschrieben und zur Post gegeben. Unser Wunschtermin für den Abflug ab München-Riem war der 28. Juli 1971; zurückreisen wollten wir zwei Wochen später, also am 11. August 1971.

Die Buchungsbestätigung aus Frankfurt ließ nicht lange auf sich warten, so dass wir es bald schwarz auf weiß lesen konnten: Die angegebenen Termine gingen in Ordnung, das ausgesuchte Hotel Justinia in Sousse stellte uns ein ausreichend großes Zimmer zur Verfügung, und die Vollpension war ebenfalls gesichert. Der Reisepreis belief sich insgesamt auf knappe 3.000 Mark, seinerzeit eine stolze Summe für einen so kurzen Urlaub in Tunesien! Während Hilde, meine bessere Hälfte, in ihrer damaligen Eigenschaft als Hausfrau keine Terminprobleme hatte und auch die Kinder sich ihrer Großen Ferien erfreuten, war’s bei mir schon schwieriger, denn es galt, die mir anvertraute Bundesgeschäftsstelle des VDA in der Münchener Bräuhausstraße organisatorisch auf meine Abwesenheit vorzubereiten. Dank des guten Willens meiner sechs Mitarbeiter und nicht zuletzt auch dank des Verständnisses des VDA-Vorsitzenden konnten anstehende Verbandsaktivitäten wegen meines Urlaubs umdisponiert werden.

Für Hilde war es ein Spaß, für uns die im Urlaub benötigten Utensilien zu beschaffen und in Form mehrerer Gepäckstücke zusammenzustellen. Da fehlten weder Bademäntel noch Sonnencreme, Badehosen oder Tauchschnorchel. Ich beschaffte mir etwas Landeslektüre, kaufte frische Dia-Filme und achtete auf Reisepässe, Flugtickets, Landeswährung und DM und nicht zuletzt auf die leider noch notwendig gewesenen Pockenimpfungen. Aber all diese Vorbereitungsmaßnahmen erledigten wir gern, schließlich freuten wir uns doch sehr auf diese hauptsächlich für die Kinder abenteuerliche Urlaubsreise in ein Maghreb-Land.

Endlich war Samstag, also Abreisetag. Auf ins Land der Sonnenstrände, der Souks, Moscheen, heißen Wüsten und grünen Oasen, verwitterten Arabern, bunt behangenen Berbern und zahllosen historischen Stätten aus längst vergangenen Zeiten! Nach dem Studium bereits weniger Informationsschriften war mir klar, dass zwei Wochen Tunesien für einen interessierten Reisenden viel zu kurz sind, dass dieses mit nur 125.000 Quadratkilometern halbmal so große Land wie die Bundesrepublik weit mehr bietet, als man in mageren zwei Wochen zu erfassen vermag. Und dennoch kann der bewegliche Urlauber vieles von dem sehen und erleben, was dieses relativ kleine Land namhaft gemacht hat – und dies sind beileibe nicht nur die insgesamt über tausend Kilometer langen Badestrände!

Wir mussten am Abreisetag ziemlich zeitig aufstehen, war uns doch der Abflug mit 8.50 Uhr angegeben worden. Unser Carrier sollte die Bavaria-Fluggesellschaft München sein, die bereits seit mehreren Jahren im Auftrag großer Reiseunternehmen sonnenhungrige Großstädter in die attraktiven Mittelmeerurlaubszentren fliegt. So wussten wir, dass auch unsere Flugreise nach Tunis für diese Gesellschaft nichts weiter als eine Routinegelegenheit sein würde – beruhigend für uns Gäste!

Ein beschwerliches Herumfragen, um zum richtigen Schalter zu gelangen, entfällt hier, da der Fluggast ohneweiteres anhand der Beschilderung sehen kann, welche Richtung er einzuschlagen hat. Man hält sich, nachdem der Eingang hinter einem liegt, linker Hand und gelangt so problemlos auch zum Schalter der Bavaria. Bereits von Weitem war über der Abfertigungstheke ein Schildchen mit der Aufschrift »BV 370« zu erkennen, das also war unsere Theke für den Flug in die heiße Sonne.

Seinerzeit hatten politische Wirrköpfe die Luftpiraterie noch nicht erfunden, und das Gemetzel an israelischen Olympioniken hatte auch noch nicht stattgefunden. So ging die Abfertigung reibungslos, schnell und ohne diskriminierendes Herumfummeln an Armen, Beinen, Hüften und Bäuchen über die Bühne. Es wurden auch keine Gepäckstücke auseinander genommen oder elektronisch durchleuchtet, und der alleswissende BKA-Computer wurde noch nicht gefragt, ob der Herr Schulze oder die Frau Maier eventuell moderne Pistolenhelden mit politischem Auftrag sein könnten. Das waren noch Zeiten!

Unser Fluggerät, eine blauweiße Boeing 727 der Bavaria, stand bei ruhigem Sommerwetter nur 50 Meter vor dem Abfertigungsgebäude, so dass kein Zubringerbus benötigt wurde beziehungsweise die Gäste – ausnahmslos Tunesienurlauber – zu Fuß die Maschine erreichen konnten. Auch dies gehört übrigens seit den bösen Jahren der Luftpiraterie längst der Vergangenheit an, denn zu Fuß darf der Fluggast heute sein Luftgefährt nicht mehr erreichen. An der schon leise summenden Maschine angekommen, knipste ich die ersten Urlaubsfotos von den Kindern und Hilde, bevor wir – die Reisegastnummer 0002706076342 und folgende – an Bord gingen, um sogleich von adretten Stewardessen die Plätze gezeigt zu bekommen.

Die Maschine war bis auf den letzten Platz gefüllt. Als es kurz vor 9 Uhr war, hieß es »Anschnallen, die Sitzlehnen in aufrechte Position bringen und nicht rauchen!« Nun fühlten wir’s dann auch in der Magengegend, dass der Start bevorstand. Wenige Minuten später hob das schwere Vehikel nach langem »Anlauf« wuchtig von der Piste ab, um bereits kurze Zeit später die vorgeschriebene Flughöhe von 9.000 Metern erreicht zu haben. Hilde und die Kinder überstanden tapfer, aber dennoch gespannt diese immer etwas kritische Phase, aber auch ich war wieder einmal erleichtert, als der Ansage zu entnehmen war, dass man es sich jetzt wieder bequem machen könne.

Unter uns zog langsam und gleichmäßig die wunderschöne, teils schneebedeckte Alpenlandschaft hinweg, die braun-grünen Täler hoben sich krass von eisbedeckten Felsriesen ab, dunkle Seen, winzige Wohnflecken, dunkelgrüne Wälder, zerklüftete Gletscher, haarfeine Straßen und eine schier unendliche Föhnweite machten jenes Panorama aus, das man fasziniert in sich aufnimmt, das man sich stundenlang ohne zu ermüden betrachten könnte. Es folgte auf unserer 1.500 Kilometer langen Flugreise die oberitalienische Tiefebene, deren Weite unendlich zu sein scheint, denn es trübte keine Wolke den Himmel. Über uns tiefblaues Firmament. Etwa eine Stunde später steuerte der Kapitän Sizilien an, Italiens größte Insel ganz im Süden. Welch eine Sicht! Die Maschine flog entlang der Westküste, so dass wir die ganze Insel bis hinüber zum Vulkan Ätna überblicken konnten. Es war ein Blick wie auf eine riesige Reliefkarte, nur weiter, schöner, ja geradezu atemberaubend – jedenfalls für mich.

Nach einer weiteren Viertelstunde konnten wir bereits die nordafrikanische Küste sehen, und kurz darauf wurde uns die bevorstehende Landung in Tunis avisiert. Jetzt hieß es abermals: »Anschnallen, Sitzlehnen hochstellen und Lunten aus!« Der Kapitän setzte sehr früh zum Landemanöver an, zog seine Maschine beinahe im Tiefflug um Tunis herum, so dass wir bereits jetzt einen ersten optischen Eindruck vom Land gewinnen konnten, und setzte wenige Minuten später perfekt auf die Piste – Tunesien war erreicht.

Erleichtert und gespannt auf den Verlauf der vor uns liegenden Wochen verließen wir bei strahlender Sonne am makellosen Himmel die Boeing der Bavaria und gingen zu Fuß hinüber zur Abfertigungshalle. So weit der Blick über das Flughafengelände auch reichte – aber unsere Maschine war zu dieser Zeit tatsächlich die einzige hier! Was uns sofort angenehm auffiel, war die köstliche Luft: warm, würzig und unter die Haut gehend, so ganz anders, als bei uns zu Hause, eine Luft zum Erholen!

Die Abfertigungshalle – ein sehr einfaches, keinerlei Komfort bietendes Zweckgebäude – war schnell erreicht, und auch die Zoll- und Passkontrollen waren dank der überraschend zügigen Arbeitsweise der tunesischen Staatsorgane bald erledigt, so dass uns schon eine halbe Stunde nach der Landung die für Sousse zuständige NUR-Reiseleiterin in Empfang nehmen konnte. Nachdem sie ihre Gäste auf der langen Computer-Liste abgehakt hatte, führte sie uns zum wartenden Sousse-Bus vor die Halle.

Wenn ich bei dieser Gelegenheit mal einen Gedankensprung nach Indien oder Nepal machen darf, so muss ich heute sagen, dass diese beinahe perfekte Organisation, wie wir sie soeben auf unserer Hinreise nach Tunesien erlebt haben, für die meisten zwar sehr angenehm ist, doch für den Individualreisenden – und das sollte man in Asien sein! – bleibt nichts übrig. Er fühlt sich zu sehr an die Hand genommen.

Nun begann unsere Busreise ins 150 Kilometer südlich von Tunis gelegene Sousse und zwar über Hammamet, dann entlang der »Tunesischen Riviera« und über Entidaville. Auf dieser Fahrt, die wir in einem modernen Mercedes-Bus zurücklegten, bestätigte sich mir die blumige arabische Umschreibung dieses Landes, nämlich die, dass Tunesien ein springendes Pferd sei, das seinen Kopf im Grünen, die Flanken im Wasser und den Schweif im Sand habe.

Die Fahrt ging zunächst durch eine grüne fruchtbare Landschaft, in der vor allem die unzähligen Orangen- und Olivenbäume den landwirtschaftlichen Reichtum dieses Landes garantieren. Hier oben gedeihen aber auch Tunesiens hervorragende Weine, breiten sich herrliche Korkeichenwälder aus und findet der Besucher üppige Blumengärten – dies alles unter einem Himmel, aus dem es im Jahr nur an 60 bis 80 Tagen regnet. Jeder Quadratmeter fruchtbaren Bodens wird für den Anbau genutzt, so dass man zunächst den Eindruck gewinnt, als sei Tunesien alles andere als ein nordafrikanisches Wüstenland am Rande der Sahara.

Unsere Fahrt auf der schmalen, aber doch recht guten Hauptverkehrsstraße in den Süden endete zunächst einmal in Hammamet, jener kleinen Stadt im Norden des Golfes von Hammamet, die im Vergleich zu manch anderer Stadt Tunesiens zwar nur auf einen unbedeutenden geschichtlichen Rang verweisen kann, die aber heute umso größere Bedeutung für den Tourismus – der ergiebigsten Devisenquelle – hat. Hier findet der Urlauber nicht weniger als zehn Kilometer besten Sandstrand und eine unvergleichliche Atmosphäre erstaunlich sauberen arabischen Lebens. Hier in Hammamet kommen Romantiker und Badefanatiker ebenso auf ihre Kosten wie Ruhesuchende und jüngere Erlebnisreisende – man braucht sich hier nur die richtige Ecke auszusuchen. Hier also war Endstation für ein Dutzend Bleichgesichter aus Deutschland, die in der Nähe Hammamets in einer neuen Bungalow-Siedlung abgesetzt wurden.

Unser Bus setzte nach kurzem Aufenthalt die Fahrt in südliche Richtung auf der Küstenstraße fort, so dass wir Gelegenheit hatten, die schönen weiten Strände zu sehen, die nur selten von kleinen Hotels oder Ferienbungalows unterbrochen wurden. Doch hielt der Bus hier nicht mehr, denn für alle Mitreisenden war nun Sousse das Ziel. Allmählich lockerte immer öfter die dichte Bepflanzung auf, die mit Steppengras und wilden Dornbüschen bestandenen bräunlichen Flächen wurden größer und überwogen bald, so dass sich nun unverkennbar der fruchtbare Norden unseren Blicken entzog und sich das versteppte Mitteltunesien öffnete. Oft reicht diese derbe, mit Buschwerk und Alfagras bewachsene Steppe bis ans Meer heran oder bis zu kleinen, vom Tourismus noch verschonten Ansiedlungen der Einheimischen. Landschaftlich liegt diese Küstenstraße wirklich sehr schön.

Nach über dreistündigem Unterwegssein vom Flughafen aus erreichten wir in den frühen Nachmittagsstunden Sousse beziehungsweise unser Ziel.

Sousse

Sich mit der Geschichte dieser drittgrößten Stadt am Rande des größten Olivenanbaugebietes des Landes zu befassen, wäre sicher reizvoll, weil es offensichtlich noch Lücken gibt, die ausgefüllt werden müssten. So liegt beispielsweise die Stadtgründung noch im Dunkeln. Man weiß lediglich, dass es sich um eine der frühesten phönizischen Gründungen handelt, also um eine Gründung gegen Ende des 13. Jahrhunderts vorchristlicher Zeitrechnung. Zu dieser Zeit landeten phönizische Seefahrer auf der Fahrt von Kleinasien nach Andalusien am Golf von Tunis und legten mehrere kleine Handelsplätze an, unter anderem auch einen an der Stelle des heutigen Sousse. Jahrhunderte später wurde dieser Handelsplatz unter den Römern, die vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis ins 5. Jahrhundert n. Chr. hier herrschten, ausgebaut und Hadrumetum genannt. Die Römer errichteten hier viele stolze Bauten, von denen man aber nur noch Bruchstücke bzw. Baureste entdecken kann. Die beherrschende Architektur ist heute eindeutig arabisch, doch blieb auch Sousse dennoch nicht ganz vom langweiligen modernen Baustil verschont.

Unübersehbar sind die Hochbauten neuerer Hotels, die wie Fremdlinge das Meer weißer arabischer Wohnbauten überragen. Doch klugerweise wurden nicht alle Hotels in und um Sousse im modernen Hochbaustil errichtet, sondern teilweise auch in niedriger maurischer Bauweise, so dass wenigstens sie das harmonische Stadtbild nicht stören, sondern eher bereichern. Das von uns gebuchte Hotel Justinia am Boulevard Hedi Chaker, der entlang des Strandes führt, gehört mit seinen sechs Stockwerken leider zu den geschmacklosen neuen Kästen inmitten arabischer Niedrigbauten. Aber die Vorteile für den Urlauber liegen auf der Hand: Er braucht nur die Küstenstraße zu queren und schon spürt er den Strandsand zwischen seinen Zehen, der aber in den Hochsommermonaten tagsüber meist nur mit schützenden Sandalen betreten werden kann, weil heiß wie eine Herdplatte!

Dass die Registrierung der neuen Gäste und die Verteilung auf die gebuchten Zimmer reibungslos verlief, hatte ich erwartet, denn auch hier waren deutsche Kräfte zur Stelle. Uns wurde in der fünften Etage ein großes Zimmer mit vier Schlafstellen zugewiesen, von denen sich zwei in einem etwas erhöhten fensterlosen Raum befanden, der über eine Stiege erreichbar war. Die Einrichtung des Zimmers war einfach, zweckmäßig und sauber. Als angenehm empfanden wir den geräumigen Balkon zur Meeresseite hin, von dem aus wir viele Kilometer tintenblaues Meer überschauen konnten, das weit draußen irgendwo im Dunst mit dem Himmel verschmolz. Fast täglich beobachteten wir von hier oben Frachtschiffe, die den Hafen von Sousse ansteuerten, oder weiter in südliche Richtung nach Sfax fuhren.

Im Vordergrund dehnt sich der breite Sandstrand aus, der zur nördlichen Seite hin unendlich schien und nach Süden durch eine Hafenmole begrenzt ist. Natürlich war dieser Strand vor unserem zentral gelegenen Hotel stark frequentiert, dies jedoch keineswegs nur von sonnenhungrigen Urlaubern, sondern gleichermaßen auch von Einheimischen. Weiter nördlich gelegene Hotels der gehobenen Mittelklasse und Spitzenhotels verfügen jedoch über hoteleigene Strände, die von Einheimischen nicht benutzt werden dürfen. Unser Hotel gehörte dagegen zur unteren Kategorie und besaß lediglich eigene Sonnenschirme.

Wir hatten uns schnell eingerichtet und dann beschlossen, noch heute den Strand und das Meer zu testen. Aber da mussten wir zunächst einmal die Erfahrung machen, dass die Hochsommersonne Nordafrikas unerbittlich ist, denn wir konnten weder die Straße barfuß queren noch den Sandstrand ohne Schuhe betreten – alles glühte vor Hitze! Doch dann kam die ersehnte Abkühlung im Meer, eine Wohltat für all jene, für die zirka 35 Grad im Schatten ein bisschen zu viel sind.

»Orientalische Abenteuer« am Badestrand von Sousse.

Strand und Meer ließen aber dennoch keine Wünsche offen. So waren die Liegeplätze sauber und trotz der zentralen Lage nicht überfüllt. Das hier seichte Wasser war unglaublich sauber (ich hoffe, es ist es auch heute noch!) und starke Brandungen, die einem das Schwimmen vermiesen könnten, traten nicht auf. Außerdem hatte das Wasser eine äußerst angenehme Temperatur, denn beim Hineinspringen blieb einem vor ungewohnter plötzlicher Kühle nicht gleich die Luft weg, aber dennoch spürte man eine bis unter die Haut gehende Abkühlung. Lustig wurde es für uns, als wir bemerkten, dass das Wasser salzhaltig ist und uns demzufolge hervorragend trug. Wir konnten uns weiter draußen, wo es keine Oberflächenwellen mehr gab, minutenlang auf den Rücken legen und uns fast ohne Schwimmbewegungen treiben lassen.

Unsere beiden Kinder brauchten nur wenige Minuten, um sich mit dem ihnen völlig fremden »Element Meerwasser« vertraut zu machen. Sie hatten rasch begriffen, wie man sich mit Schnorchel und Unterwasserbrille verhält, um möglichst viel vom Meeresgrund sehen und die kleinen Fische beobachten zu können. Oft brachen sie in hörbares Staunen aus, denn was sie dort unten mit ihren Kinderaugen entdecken konnten, war für sie neu und faszinierend. Trotz der für sie ungewohnten Situation zeigten sie keine Sekunde lang irgendwelche Ängste. Sie schwammen so sicher, als hätten sie nie etwas anderes getan, als sich im salzigen Meerwasser zu tummeln.

Auch Hilde, die an sich nicht zu den tapferen Meeresschwimmerinnen zählt (die Fische könnten ja ins Bein beißen!), fühlte sich sehr wohl, sie war ausgelassen wie selten zuvor und machte keinen Hehl daraus, dass sie es herrlich fand, von den seichten kühlen Wellen aufgehoben und wieder neidergedrückt zu werden. Und in der Tat: Für uns alle war das Baden hier ein riesiges Vergnügen, ein Erlebnis besonderer Güte, das wir uns so schön gar nicht vorgestellt hatten.

Zurück im Hotel. Da wir Vollpension gebucht hatten, gab’s am heutigen Ankunftstag ein reichhaltiges Begrüßungsessen, das allerdings mit einheimischer Küche nichts zu tun hatte, denn die Köche produzieren hier das, was sie während ihrer Ausbildung in mitteleuropäischen Unternehmen, meist in Deutschland oder Frankreich, gelernt hatten. Was der Urlauber hier an Mahlzeiten und Getränken erhält, lässt ihn fast vergessen, dass er sich in Nordafrika befindet, denn selbst der rote Wein oder das Selterwasser ist ihm hier so vertraut wie zu Hause. Nur die Bedienungskräfte sind alles andere als heimisch. Es handelt sich durchweg um junge Arabersöhne, denen man Flinkheit, Sauberkeit und Höflichkeit im Ausland beigebracht hatte. Dass sie für unsere Begriffe allzu oft und unmissverständlich die Hände für Bakschisch aufhalten, liegt ihnen sozusagen im Blut, das sollte man geschickt überspielen und ihnen nicht als Unhöflichkeit ankreiden. Umso mehr sollte anerkannt werden, dass sie ihre Gäste in recht gutem Deutsch, Englisch und Französisch bedienen können.

Das Schlafen war in diesem Hotel leider problematisch, nicht deshalb, weil etwa die verrückte Musik einer Diskothek unten gestört hätte – die wurde gegen null Uhr abgeschaltet –, sondern es waren die Einheimischen draußen vor dem Hotel, die täglich bis in die tiefe Nacht hinein die Straße bevölkerten und absolut keine Rücksicht auf ruhebedürftige Urlauber nahmen. So drang oft bis weit nach Mitternacht das tausendfache Palaver rauer Männerstimmen, das der keifenden Frauen und plärrende Kinder zu uns ins Zimmer. Hinzu kam das unaufhörliche sinnlose Gehupe der Autos, die hier nur zum Vergnügen pausenlos um Häuserblocks herumgefahren wurden. Unsere Kinder merkten von diesem Zirkus gottseidank nichts, aber uns selbst ging dieser verdammte Lärm sehr an die Nerven. – Als ich ein paar Jahre später nochmals hier war, hatte sich die Situation gründlich gewandelt, denn die Straße war für den Autoverkehr gesperrt worden, und die Polizei sorgt dafür, dass sich nachts nicht mehr so viele Einheimische hier versammeln.

Bereits von einem der westlichen Balkone aus hatten wir gesehen, dass es sich bei Sousse um alles andere als um eine verträumte Kleinstadt handelt, denn soweit das Auge reicht, breiten sich die mit unzähligen arabischen Häusern bebauten Flächen bis hin zum Horizont aus – ein interessantes Bild, denn es ist dank der erhöhten Lage der Médina (oder Alt- beziehungsweise Araberstadt) mit der Kashba (der Zitadelle) ganz und gar nicht gleichförmig. Anhand unseres kleinen Stadtplanes hatten wir schnell herausgefunden, wo die markanten Punkte zu finden waren beziehungsweise welche Richtung wir einzuschlagen hatten, um sie problemlos zu erreichen. Bereits am nächsten Morgen nach der Ankunft machten wir uns auf, die Médina von Sousse zu besuchen, also jenen Teil der Stadt, den man auch heute noch als arabisch bezeichnen kann, denn hier verschandelt noch kein modernes Hotel das homogene Stadtbild. Europäisch sind hier nur die Europäer selbst, denen man in der großen Souk-Straße auf Schritt und Tritt begegnet.

Vom Hotel aus hielten wir uns linker Hand, um in die Avenue Habib Bourguiba zu gelangen, die am Farhat-Hached, dem Zentrum von Sousse, endet. Die genannte Avenue ist die Hauptstraße der Stadt, die den Besuchern wie Einheimischen alles bietet, was begehrt wird: beste Läden, moderne Kunstgewerbe-Boutiquen, hübsche Cafés, gute Restaurants, Teppichgeschäfte, Banken und Bars. Lustig sind oft die von Hiesigen entworfenen Beschilderungen in deutscher Sprache, denn meist hatte man nur ein Wörterbuch zur Hand und keinen hilfreichen Sprachkundigen. So bot ein Teppichgeschäft wie folgt seine Waren an: »Geschäft für Teppiche von Kairouan und für alle Sorten Kunst Handwerk allem.« Versteht doch jeder!

Bemerkenswert ist, dass der fremde Besucher hier weder auf den Straßen, noch in den Hotels oder am Strand von Verkäufern ungebührlich bedrängt wird. Natürlich wird einem hin und wieder von einem Verkäufer zugerufen, dass er es für uns zum halben Preis macht, aber nur, weil wir’s sind, aber da lacht man nur und geht weiter. Etwas konkreter werden da die Strandläufer, die nicht müde werden, ihre bleichgesichtigen Opfer so lange zu beschwatzen, bis endlich etwas gekauft wird. Am Strand muss man vorsichtig sein, denn diese ausgekochten Burschen, die meist ein gutes Verkaufsdeutsch sprechen, sind hartnäckig und versuchen stets, an den normalen Preis erst einmal eine Null zu hängen. Wer drauf reinfällt, so denken die meisten, ist selber schuld.

Hat man die Habib Bourguiba Avenue hinter sich – eine sehr großzügig angelegte, von hohen Palmen bestandene Renommierstraße –, so gelangt man zum Zentrum Hachet, in dessen Nähe sich Bahnhof und Hafen befinden. Quert man den weiten Platz, der ständig von reichlich undiszipliniert fahrenden Pkw, Lkw, Bussen, Kamel- und Ochsenkarren belebt ist, gelangt man direkt in die Altstadt – in die Médina.

Die Médina von Sousse, die von einer größtenteils noch erhaltenen riesigen Stadtmauer aus dem 9. Jahrhundert n. Chr. umgeben ist, stellt trotz viel Tourismus noch immer echtes arabisches Leben dar, denn 80 oder gar 90 Prozent dieses etwa 700 mal 500 Meter großen Altstadtgebietes werden von ausländischen Besuchern überhaupt nicht berührt und infolgedessen auch nicht beeinflusst. Aber selbst in dem gleich am Eingang beginnenden Haupt-Souk gibt es nur so viel Europäisches, wie sich verkaufen lässt. Die Souks hier zählen mit zu den reizvollsten in Tunesien, denn der fremde Besucher kann buchstäblich alle einheimischen Waren erwerben beziehungsweise erhandeln.

Es sind hauptsächlich die vielen alten Gegenstände, die man sich hier zu niedrigen Preisen erhandeln kann, an denen sich der wirkliche Interessent kaum sattzusehen vermag. Da findet man uralte Bügeleisen, eiserne Laternen, Schwerter und Schusswaffen aller Art, Bilder, Webstühle und Gedrucktes. Aber auch das Auge wird verwöhnt, wenn es die knalligen Tücher sieht, die im leichten Winde vor den Geschäften wehen, wenn es die vielen Korbgeflechte und schönen Messingarbeiten bewundert, die in Dutzenden kleiner Läden zu haben sind. Hinzu kommen die Menschenmassen, die sich unaufhörlich durch die engen Einkaufsstraßen schieben und nicht zuletzt die vielen, mit Melonen, Krügen oder Brennholz hoch beladenen Eselskarren, die sich ebenfalls auf abenteuerliche Weise hindurchzwängen.

Nicht weniger beeindruckend und des Studiums wert sind die Gesichter der Menschen hier, denen man sich unaufhörlich widmen könnte. Da sind die stoppeligen alten Männer, die vor ihren Häusern oder Geschäften gemächlich an ihren Wasserpfeifen saugen, deren verschmitzte Augen den Fremden aufmerksam mustern und die gern zurückzwinkern, wenn man ihnen zunickt. Die Gesichter der Frauen sind weniger ergiebig, denn oft sind sie tief verschleiert, und wenn sie ausnahmsweise einmal frei sind, hängen ihre Augen nur an schönen Stoffen, glitzernden Armreifen und Freundinnen.

Die Kinder hier sind – wie überall auf der Welt – lebhaft, unbekümmert, dem Fremden gegenüber aber anständig und meist zurückhaltend. Niemals habe ich in Tunesien kranke, unterernährte oder übermäßig schmutzige Kinder gesehen, demzufolge auch keine lästigen Bettelkinder, wie man sie zum Beispiel in Indien auf Schritt und Tritt trifft. Aber auch hier müssen sie den Eltern zur Hand gehen, Wasser holen und im Geschäft mithelfen. Soweit ich beobachten konnte, tun sie das aber gern, und ihr wohlgenährtes Aussehen lässt darauf schließen, dass sie nicht überfordert werden.

In Eingangsnähe zur Médina befindet sich ein historisches Ribat und gegenüber die Große Moschee – beides Anziehungspunkte, die man in Sousse besucht haben muss.

Wir besichtigten zunächst das Ribat, eine islamische Wehrburg, die gegen Ende des 8. Jahrhunderts n. Chr. angelegt wurde. Für ein paar Groschen konnte sie ohne Führer betreten werden, doch zeigt das Innere nichts, was auf die frühere Funktion des Ribats hingewiesen hätte, denn sämtliche Gänge, Nischen und Höfe sind restlos leer. Und dennoch: Dieses Ribat, das innen wie außen mächtige Steinsäulen und -quader aufweist, hat für Tunesien große Bedeutung, zählt es doch zu den markantesten Profanbauten aus dieser frühen Zeit in Nordafrika. In dieser Festung hausten in klösterlich einfachen Zellen die Soldaten Allahs, die diesen Platz gegen allerlei Bösewichte zu verteidigen hatten.

Der Besuch der in der Nähe liegenden Großen Moschee lohnte sich kaum, denn das von mächtigen hohen Mauern umgebene Innere ist weitgehend schmucklos, der Hof ist kahl, die »Gebetsteppiche« sind nur einfache Bastmatten und die maurisch geschwungenen Bögen in der Gebetshalle bestehen lediglich aus einfachen Ziegeln ohne jede ornamentale Ausschmückung. Architektonisch interessant sind jedoch die zahlreichen steinernen Doppelsäulen zum Hof hin und auch die innen zum gedrungenen Minarett hinaufführende Treppe. Anerkennung verdient hier vor allem die Liberalität, mit der die Moschee-Wächter gut umzugehen vermögen, denn auch anständig gekleidete Frauen aus dem »ungläubigen Norden« dürfen diese heilige Stätte betreten. Der Islam ist eine Männerreligion, weshalb oft selbst muselmanische Frauen keinen Zutritt haben.

Da wir uns mit der Besichtigung der Souks, des Ribats und der Großen Moschee noch nicht zufrieden gaben, durchstreiften wir an einem der folgenden Tage ohne unsere Kinder, die wir am Strand getrost sich selbst überlassen konnten, nochmals die quirlige Altstadt mit dem Ziel, die hochgelegene Kasbah zu erreichen. Als wir die Einkaufssträßchen hinter uns hatten, wurde es plötzlich ruhig, beschaulich und orientalisch trotz fehlender Geschäfte: Dort wurde ein überladener Esel von einem Burschen mit allerlei Tricks zum Aufstieg gezwungen, zwei verwitterte Araber feilschten lauthals um den Preis eines jungen Hammels, und quicklebendige Kinder spielten in den engen Gassen ohne befürchten zu müssen von einem Fahrzeug überfahren zu werden. Ab und zu gelang uns ein Blick in den Innenhof eines Wohnhauses. Diese sind alle sehr klein, doch die Frauen verstehen es seit jeher, diese winzigen Oasen mit blühenden bunten Blumen zu schmücken und für erstaunliche Sauberkeit zu sorgen. Nur in den Gassen selbst geht es nicht hygienisch zu, weil es keine Kanalisation gibt und Abwässer aller Art in dafür vorgesehenen Rinnen zu Tal fließen.

Oben bot sich ein unverbauter Blick über die ganze Stadt. Sie liegt einem zu Füßen bis hinüber zum Hafen, wo ununterbrochen Schiffe mit Olivenöl und anderen Produkten des Landes beladen werden. Dahinter sahen wir das tiefe Blau des Mittelmeeres und darüber einen so klaren Sonnenhimmel, wie man ihn bei uns leider nur selten antrifft.

Unser nächstes Ziel wären eigentlich die frühchristlichen Katakomben gewesen, die von hier oben aus zu Fuß erreichbar sind, doch am geschlossenen Kasbah-Museum wurde uns gesagt, dass zurzeit auch diese Katakomben nicht zugänglich seien. Warum, darauf gab es keine Antwort. Es wäre schon interessant gewesen jene düstere Stätte zu besichtigen, die nicht weniger als 15.000 Gräber in langen unterirdischen Gängen aufweist.

Wieder am Strand, den wir mochten und so oft wir Lust hatten auch besuchten. In besonders guter Erinnerung blieb uns das Abenteuer eines Kamelritts entlang des Meeres, den uns ein alter knöchriger Araber aufschwatzte, der aber von uns erst den Zuschlag bekam, als wir den Preis für einigermaßen akzeptabel hielten. Der Ausritt mit Hilde und den Kindern war allerdings sehr kurz, was vielleicht auf den stark gedrückten Preis zurückzuführen war, aber ein doppelter Preis hätte wohl auch nur einen Miniritt von vielleicht 15 Minuten gebracht. Aber meine Drei hatten jedenfalls einen Riesenspaß, den ich gern auf Farbdias festhielt. Ich selbst hatte vor, später einen richtigen Wüstenritt per Kamel zu unternehmen, weshalb ich heute auf einen Strandritt verzichtete.

Beiläufig möchte ich an dieser Stelle einen Blick auf die Miturlauber werfen, die sich oft verdammt skurril in diesem arabischen Teil unserer Welt bewegen. Da brachte eine Frau doch tatsächlich ihre gewohnte Frühstücksmarmelade mit, gaben sich andersartige Männer herzliche Stelldichein und gelangweilte Schwedinnen bekamen Stielaugen, wenn ihnen in der Hotelhalle oder am Strand scheinbar ungebundene Männer über den Weg liefen. Snobismus wird erst recht in diesem Mittelklassehotel – wann und wo immer es möglich ist – zur Schau gestellt, doch das beschränkt sich nicht nur auf unser Hotel, sondern übergeschnappte Wohlstandsbürger trifft man allenthalben selbst in den Souks, denn auch dort kann man ja zeigen, dass der Geldbeutel dicker als der eines jeden kleinen arabischen Kaufmannes ist. Nein, das ist nicht unsere Welt!

Ich gebe zu, dass wir gottseidank nicht zu jenen Urlaubern gehören, denen außer der Pendelei zwischen Hotel und Strand und angeberischem Geldausgeben sonst kaum mehr etwas einfällt, denn ist es nicht ein Jammer, dass die meisten Besucher nicht einmal Moscheen und Souks sehen? Und wenn sie sich vereinzelt mal außer Hotelsichtweite bewegen, kann man unschwer und mit Groll im Magen beobachten, wie taktlos man oft den Einheimischen begegnet, sich nichts dabei denkt, lauthals nach kühlem Bier, Bratkartoffeln, Koteletts und Sauerkraut zu schreien – um nur diese typischen Beispiele zu nennen.

Ich hatte es mir zur Übung gemacht, allabendlich ausgedehnte Strandspaziergänge zu machen, denn ich fand bald heraus, dass sie mir sehr gut bekamen und gen Norden insofern ein Vergnügen waren, als ich den langen Strand bis zum Sonnenuntergang fast für mich allein hatte. Wenn ich Lust verspürte, sprang ich ins seichte Wasser und schwamm im Dämmerlicht weit hinaus, so weit, dass kein Laut mehr zu mir dringen konnte und absolute Stille um mich herum herrschte. Dies bei abendlichem Himmel und reinster Luft ist ein Erlebnis, das im Gedächtnis bleibt.

Von stetem Reiz sind für mich Häfen, so dass ich natürlich auch den von Sousse kennenlernen wollte, der wegen ein- und auslaufender Olivenschiffe für das Land und für die Stadt Sousse von außerordentlicher Bedeutung ist. Bereits um 1900, als Sousse nicht mehr als zirka 8.000 Einwohner hatte, wurden hier 40.000 Hektoliter Olivenöl jährlich nach Marseille verschifft. Der Besucher gewinnt auf den ersten Blick jedoch nicht den Eindruck eines besonders geschäftigen Olivenhafens, sondern eher den eines Fischerhafens, weil Fischkutter jeder Größe überwiegen und es dominiert Fischgeruch. Doch bei genauerem Hinsehen erkennt man auch eine Reihe ausländischer Frachter, die in erster Linie die wertvollen Landesprodukte an Bord nehmen.

Wir saßen abends auf unserem Balkon und beobachteten das Treiben auf der Straße, als unverkennbar arabische Trommel- und Flötenmusik zu uns herauf drang, Musik, bei der man unwillkürlich im Takt mitzuckt, obwohl man diese Töne eigentlich nicht als Ohrenschmaus bezeichnen kann, doch sie ziehen an. Wir gingen den harten Klängen nach und gelangten zu einem dicht umlagerten erhöhten Aufbau, unter dessen Dach eine junge rundliche Araberfrau ungezwungen einen Bauchtanz vorführte. Das Publikum – überwiegend natürlich Männer – ging freudig-erregt, händeklatschend, singend und wippend mit und scherte sich nicht um uns einzige fremden Besucher.

Hier also wurde nichtkommerzieller Bauchtanz gezeigt nur weil es Spaß machte und man unter sich war. Diejenigen, die in den Bauchtanz hochrangige kulturelle Werte hineininterpretieren, sind bestimmt keine Araber, denn für einheimische Männer und Frauen ist der Bauchtanz nichts als ein wirksames Mittel, sich auf erotischem Sektor zu gegenseitigen Höchstleistungen anzuregen. Da wackelt am Körper alles, was wackeln kann, da schießen bei bestimmten Trommelschlägen blitzschnell die Hüften hoch und es rinnt der Schweiß, als gelte es überflüssiges Wasser loszuwerden.

Zum Straßenbild von Sousse gehören auch die Berberfrauen, die man anhand ihrer bunten verspielten und dunklen Kleidung von den im Allgemeinen weiß oder zumindest hell gekleideten Araberinnen unterscheiden kann. Man sagt fälschlicherweise, dass es sich dabei um die Zigeuner Nordafrikas handelt, doch beim genaueren Hinhören erfährt man, dass es sich um Reste nichtsemitischer Stämme handelt, die noch heute ganz Nordafrika in einer geschätzten Stärke von zirka 6 Millionen bewohnen. Es sind sozusagen die Ureinwohner des nördlichen Afrika, die sich trotz arabischer Überflutung ihr Volkstum und ihre eigene Sprache erhalten haben. Doch hier in Tunesien trifft man Berber nicht überall, denn ihre Hauptsiedlungsgebiete liegen in den Gebirgen Marokkos und Algeriens. Berberfrauen lassen sich ebenso ungern knipsen wie andere Frauen Nordafrikas, dass es mir dennoch gelang, eine Schöne von vorn aufs Bild zu bekommen, machte mich fast ein bisschen stolz.

Aber Stolz und gute Urlaubslaune wurden bei mir jäh auf den Nullpunkt gedrückt, als ich eines Tages ein böses Rumoren im Unterleib verspürte, das nichts Gutes ahnen ließ. Dann war es soweit: Noch während des Abendessens befiel mich plötzlich eine höchst unangenehme Übelkeit, dass ich fast vom Stuhl gekippt wäre. Ich schleppte mich mühsam zur Toilette und dann hinauf ins Zimmer, wo ich willenlos aufs Bett fiel und für den Rest meines Urlaubs schwarz sah. Die folgende Nacht werde ich so schnell nicht vergessen, denn bald hatte ich es aufgegeben die Sitzungen zu zählen. Schrecklich! Dass die Kinder und Hilde von einer derart kräftezehrenden Verdauungsgeschichte verschont blieben, war ihr Glück, denn – ich übertreibe nicht – so etwas haut einen unweigerlich um.

Ich erinnere mich, dass ich am nächsten Tag zwar nichts essen konnte, aber ich fühlte mich dank eingenommener Medikamente bald wieder besser, konnte am Tag darauf leichtes Brot mit Marmelade essen und wagte mich am dritten Tag wieder ins Wasser. Ich hatte mein Problem innerhalb von vier Tagen überwunden und fühlte schnell wieder den Wunsch irgendetwas in »Sachen Entdecken« zu unternehmen, denn ich hatte längst herausgefunden, dass es sich in Tunesien lohnt tiefer ins Land hineinzuschauen.

Unser Hotel war darauf eingestellt, es seinen Gästen so bequem wie möglich zu machen. Vor allem bot es auch fakultative Touren an, die man für relativ wenig Geld an der Rezeption buchen konnte. Eines dieser Angebote war eine zu früher Stunde angesetzte Busfahrt zum sogenannten Kamelmarkt am Stadtrand von Sousse, der wöchentlich einmal – und zwar sonntags – stattfindet und für die hiesige Bevölkerung jeweils das wichtigste Ereignis der Woche darstellt. Ursprünglich war dieser Markt tatsächlich ein reiner Kamelmarkt – es wurden eben nur Kamele gekauft, verkauft oder getauscht. Heute bietet dieser in ganz Nordafrika übliche Markt alles, was ein Araberherz begehrt. Dass der Kamelmarkt von Sousse inzwischen auch zu einem Touristenziel geworden ist, versteht sich angesichts der verwirrenden Vielfalt bunten und daher fotogenen Markttreibens von selbst.

Am Markt angekommen – es dürfte morgens erst gegen 6 Uhr gewesen sein – wurde ich insofern angenehm überrascht, als ich sah, dass ich hier auf eine arabische Welt traf, wie man sie sich bunter und exotischer kaum mehr vorstellen kann. Die wenigen Touristen gingen in der riesigen Menschenmenge unter und beeinträchtigten keineswegs diese orientalische Kulisse. Angenehm war ferner, dass sich der Fremde auch hier unbehelligt bewegen kann, dass ihm niemand aufdringlich irgendetwas andrehen will, dass er ungehindert seine Bilder knipsen und seine Filmkamera surren lassen kann.

Wie gesagt – hier sind die Araber beziehungsweise Tunesier unter sich. Unaufhörlich drängt man sich von Angebot zu Angebot, prüft kritisch knallige Stoffe, ungewaschene Wolle, bunt bestickte und bedruckte Tücher, kunstvolle Flechtwaren, unübersehbare Mengen bemalter Tonwaren, reich verzierte Messingteller und -behälter, gemahlene und noch ungemahlene Gewürze, Seifen, Meterstoffe, Konfektionswaren für Männer, Frauen und Kinder, Schuhe, neue und Jahrzehnte alte Kleinmöbel, echte und unechte alte Gewehre und Pistolen. Etwas abseits dieses Marktteiles findet schließlich der eigentliche Kamelmarkt statt, auf dem zur Zeit unserer Ankunft schätzungsweise zwei Dutzend Kamele feilgeboten wurden. Doch beschränkte man sich auch hier nicht nur auf diese genügsamen Wüstenschiffe, sondern belebt wurde die Szene auch durch Lastesel, die hier nicht weniger eifrig, kritisch und schlitzohrig gehandelt wurden.

Wer als Besucher keine Gelegenheit hat, sich die einheimische Landbevölkerung weit abseits der Städte anzusehen, der sollte auf jeden Fall diesen Markt besuchen, denn hier trifft man die mit ihren Schafen herumziehenden Berberfamilien und die hartgesottenen derben Wüstensöhne mit Gesichtern wie strapaziertes Leder und mit Händen, als wollten sie einem beim Handschlag gleich den ganzen Arm abreißen. Hier kann man die Frauen dieser Naturburschen in Aktion sehen und sich ein bisschen darüber wundern, wie eifrig, teilweise auch fanatisch sie um Preisvorteile ringen.

Unseren Kindern gefiel es hier ebenso gut wie Hilde und natürlich mir, der ich von Kindesbeinen an gedanklich sowieso eher mit der orientalischen Welt verbunden bin als mit der eigenen mitteleuropäischen. Woher das kommt, vermag ich leider nicht zu sagen – es ist einfach so. Und wie gut ich mich im Orient zurechtfinde, habe ich auf mehreren Reisen in den vielen folgenden Jahren häufig erfahren dürfen.

Unseren Kindern freilich lief auf diesem Kamelmarkt oft eine Gänsehaut über den Rücken, denn die noch ungegerbten Schafs-, Kamel- und Rinderfelle stanken selbst gegen den Wind, Unmengen lästiger Fliegen peinigten nicht nur die unsanft gefesselten Tiere, sondern eben auch die Kinder beziehungsweise die Besucher. Und dass sich die Landbevölkerung alles andere als hygienisch sauber hält, sieht man auf den ersten Blick, da braucht man nicht erst zu sehen, wie sich müde Wüstensöhne genüsslich auf die stinkenden Felle legen und ein Schläfchen halten. Bei Hilde hatte ich den Eindruck, als würde ihr dieser Marktrummel trotz der nicht angenehmen Gerüche recht gut gefallen.

Monastir

In allen größeren Straßen von Sousse, in jedem Geschäft, das etwas auf sich hält – überall strahlen die glücklichen zufriedenen Gesichter des Präsidentenpaares Bourguiba. Grund dafür war der bevorstehende Geburtstag Habib Bourguibas, des tunesischen Staatspräsidenten auf Lebenszeit, ein Ereignis, das jährlich mit großem Aufwand begangen wird. Ich gewann in Sousse und natürlich im Heimatort Monastir des Geburtstagskindes den Eindruck, als ob tatsächlich das ganze Volk und nicht nur ein ausgewählter Freundeskreis Anteil an diesem Fest nehmen würde.

Monastir ist eine kleine Stadt mit 22.000 Einwohnern 20 Kilometer südlich von Sousse direkt am Meer. Dieser Ort zählt nicht nur wegen seiner landschaftlich exzellenten Lage am tiefblauen hier stets ruhigen Mittelmeer zu den Perlen des Landes, sondern sie selbst ist ansehnlich – weil großzügig angelegt, sauber, grün und mit wichtigen Bauwerken versehen. Die Anfänge Monastirs gehen bis in die punische Zeit zurück, so dass man das Alter auf mindestens 2.000 Jahre schätzt (genauere geschichtliche Angaben liegen nicht vor). Aus dieser sehr frühen Zeit ist Gebautes jedoch nicht mehr vorhanden, so dass für den Besucher die Zeit Monastirs sichtbar erst im Jahr 796 n. Chr. beginnt, in jenem Jahr, als der Statthalter der Abbassiden ein gewaltiges Ribat – eine islamische Klosterburg – anlegen ließ.

Die kurze Strecke von Sousse nach Monastir entlang der schönen Küste war per modernem Bus schnell zurückgelegt, doch bevor wir endgültig in die Stadt fuhren, wurde an einem beeindruckenden botanischen Garten – zwischen Meeresufer und Straße gelegen – Halt gemacht. Dieser halbstündige Aufenthalt hat sich gelohnt, denn uns wurde eine Überfülle tropischer Sträucher und Bäume gezeigt, die ein Nicht-Botaniker in ihrer erstaunlichen Vielfalt kaum beschreiben kann. Wie uns vom deutschen Reisebegleiter erklärt wurde, habe man sich bei der Anlage dieses frei zugänglichen Gartens bewusst auf Gewächse des Landes beschränkt, die hauptsächlich aus den Steppen Mitteltunesiens und den Wüstengebieten des Südens stammen. Man muss kein Fachmann sein um zu erkennen, dass es sich hierbei um äußerst widerstandsfähige Arten handelt, deren gedrungene Stämme und dorniges Geäst jedem heißen Wüstensturm trotzen können. Von besonderer Zartheit sind dagegen die vielfarbenen Blüten, die wie freche ITüpfelchen überall zu sehen sind.

Die Stadt ist klein und daher auch für den ortsfremden Besucher gut überschaubar. Es bedarf keines langen Kartenstudiums um herauszufinden, wo sich Monastirs Sehenswürdigkeiten – das Ribat, die Große Moschee und das Bourguiba-Mausoleum – befinden. Unser Bus wurde zwischen dem Ribat und dem Gefängnis, das selbst von außen sehenswert ist, geparkt, so dass die Gruppe zunächst einmal hinüber zum Ribat geführt wurde – dem geschichtsträchtigsten Bauwerk dieser Stadt.

Unser Fremdenführer, übrigens ein aufmerksamer fließend Französisch sprechender junger Mann aus Deutschland, war mit Grüppchen schon oft hier, so dass er nicht mehr lange über erklärende Texte zum Ribat nachdenken musste. Als wir im Hof der mächtigen Wehrburg standen und von übermächtigem Mauerwerk umgeben waren, begann jeder zu ahnen, welch erstaunliche geschichtliche Vergangenheit dieses Bauwerk und Monastir selbst hat. Monastir, so hörten wir, leitet seinen Namen von einem frühchristlichen Monasterium – einem Kloster – ab, das vermutlich an dieser Stelle stand und von den Arabern später Monastir genannt wurde. Die strategisch wichtige Lage bot keinem Geringeren als Cäsar die Möglichkeit, hier seine Truppen zu sammeln, um Ägypten und die schöne Kleopatra zu erobern. Das Ribat wurde schließlich ausgebaut, um das Land namens Ifriquia gegen die Ungläubigen – also die Christen – zu verteidigen.

Trotz oder wegen vieler An- und Umbauten zählt dieses Wehrkloster zu den imposantesten Hochburgen des Islam, denn von einem Rundturm aus bietet sich ein phantastischer Blick auf die Stadt mit ihrem altertümlichen Gefängnis im Vordergrund, dem daneben liegenden Hauptplatz mit Bourguibas Mausoleum und der dahinter sich befindlichen Großen Moschee. Gen Süden zieht sich der herrliche palmenbestandene Strand, die breite Küstenstraße und der Hauptteil der niedrigen weißen Häuser der Stadt, gen Norden sieht man nur weißen Strand und blaues Meer. – »Drei Tage im Ribat von Monastir öffnen den Zugang zum Paradies«, verheißt eine alte Weissagung, die Tausende frommer, aber nichtsdestoweniger kriegerischer Asketen im Dienst des Propheten hierher führte.

Keine 100 Meter vom Ribat entfernt befindet sich das Mausoleum Bourguibas, ein noch nicht fertiggestellter prächtiger Marmorbau mit mächtiger Zentralkuppel, einem verspielten, mit teuersten Marmorplatten ausgestatteten Innenhof und einer sogenannten Grabkammer, die – von buntem Licht durchflutet und äußerst aufwendig marmorverkleidet – später einmal den Leichnam des allseits geliebten Staatspräsidenten aufnehmen wird. Uns Europäern wird es wohl rätselhaft bleiben, warum sich ein noch lebender Präsident eine derart pompöse Grabstätte errichten lässt. Dass Tunesien diesem Mann praktisch alles verdankt, nämlich seine Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich und nicht zuletzt jahrzehntelange innere Stabilität und relativen Wohlstand, weiß das Volk offensichtlich zu schätzen.

Hinter diesem Mausoleum, das mittlerweile zu einer der Sehenswürdigkeiten des Landes avancierte, befindet sich ein zugänglicher islamischer Friedhof, auf dem ich Gelegenheit hatte, mir Grabsteine und deren arabische Inschriften etwas genauer anzusehen. Überrascht hat, dass die Muselmanen hier keinen großen Wert auf die Instandhaltung ihres Friedhofs legen, denn es waren nicht nur die Wege vernachlässigt, sondern auch die Grabstätten selbst, denn oft hatten sich die beschrifteten Platten verschoben und verkantet, ohne dass sie wieder in ihre ursprüngliche Lage zurückversetzt worden wären. Dabei handelt es sich nicht etwa um einen historischen Platz, für den sich niemand mehr zuständig fühlt, denn an mehreren Stellen waren frisch ausgehobene Gruben zu sehen, in die die Verstorbenen stets mit dem Kopf in Richtung Mekka gelegt werden.

Ebenfalls zu Fuß erreichbar ist die aus dem 9. und 11. Jahrhundert n. Chr. stammende Große Moschee von Monastir, die – wenn man das Mausoleum verlässt – schnell erreichbar ist. Doch zu unserem Bedauern war sie verschlossen, durch das reich verzierte Eisentor aber einsehbar. Gut zu erkennen waren die aufwendige Marmorverkleidung der Innenwände und die des weitläufigen Bodens. Ob es sich bei den wenigen in lange weiße Gewänder gehüllten Männern nur um Besucher oder um Imame (islamische Priester) gehandelt hatte, vermöchte der clevere Fremdenführer nicht zu sagen. Er vermutete, dass die Große Moschee wegen der heute hier stattfindenden Geburtstagsfeierlichkeiten mit Bourguiba verschlossen gehalten wurde. Safety first!

In Monastir findet jährlich ein farbenprächtiges Folklorefest statt, dessen Ruf weit über die Landesgrenzen hinausgeht. Dieses Fest fällt stets mit dem Geburtstag des Landesvaters zusammen, der es sich nicht nehmen lässt, sich bei dieser Gelegenheit auch der Öffentlichkeit zu zeigen. So stand uns ein weiterer Höhepunkt dieses eintägigen Besuches in Monastir bevor, den wir nach Belieben wahrnehmen konnten. Uns wurde lediglich erklärt, wo Bourguiba mit dem offenen Wagen durchfahren würde, so dass wir uns selbständig machen konnten.

Die breite nach Süden führende Küstenstraße in der Nähe des Ribats hatte ich schnell erreicht und erkannt, dass es schwierig werden würde, zu dieser vorgerückten Stunde noch einen ordentlichen Stehplatz zu ergattern. An den Seiten drängten sich bereits Abertausend jubelnder, singender und klatschender Menschen, die alle gespannt auf die Durchfahrt ihres Präsidenten warteten. Die Polizei sorgte streng für Ordnung und ließ nur in Ausnahmefällen mal jemand durch die hermetische Abriegelung schlüpfen, damit man zur anderen Straßenseite gelangen konnte. Und ich? Ich sah zunächst überhaupt keine Chance, mich dicht hinter die Absperrung postieren zu können, um Bourguiba möglichst nah aufs Bild zu bekommen.

Als ich ein kleines Loch entdeckte, nutzte ich die Gelegenheit und mogelte mich hindurch, stand auf einmal vor der Absperrung und traute meinen Sinnen nicht: Kein einziger Uniformierter nahm Anstoß an meiner Dreistigkeit! So blieb ich kurzentschlossen außerhalb der Absperrung und marschierte geradewegs – vorbei an verdutzten Offizieren in Galauniformen – auf verschiedene Folkloregruppen zu, die offensichtlich auf ihren Auftritt vor dem Präsidenten warteten.

Hier war Vieles davon zu sehen, was Afrika, Asien und auch Europa an folkloristischen Bonbons zu bieten hat. Es ist dies eine Überfülle farbenprächtiger Gewänder und ausgesuchter exotischer Männer und Frauen, eine Prachtschau, die man sich als Fotograf oder Filmer – wenn man zu dieser Zeit schon mal in Tunesien weilt – keinesfalls entgehen lassen sollte. Da wirbelten indische Tänzer umher, deren Gewänder zu den aufwendigsten hier gezeigten gehörten, stolzierten hochgewachsene, hagere Wüstensöhne von fernab lebenden Stämmen mit umhängenden Schwertern und Trommeln herum, musizierten und tanzten schwarzafrikanische Mädchengruppen und zeigten dabei ihre natürliche Grazie. Rumänische und polnische Gruppen bewiesen eindrucksvoll, dass auch sie ihre traditionsreichen Volkstänze vollendet beherrschen. Ein Wermutstropfen freilich fiel auch in dieses schöne Bild, denn Fidel Castro hatte ein gutes Dutzend junger Frauen in khakifarbenen Uniformen der Guerillas entsandt, die allerdings nur herumstanden und außer Marschieren und eingepaukten Kampfesgrüßen sonst nichts weiter vorführten.

Plötzlich wurde die Menge unruhig, nachdem zuvor ein kleiner Wagenkonvoi mit Polizisten durchgefahren und verkündet worden war, dass in wenigen Minuten der Wagen des Präsidenten anrollen würde. Mir klopfte ein bisschen das Herz, denn noch immer befand ich mich ungehindert außerhalb der Absperrung, wo sich eigentlich nur autorisierte Personen – meist Uniformen – aufhalten durften, aber ich durfte tatsächlich weiter bleiben. Wenig später war sie dann zu sehen – die wuchtige schwarze Staatskarosse des Präsidenten, sie rollte langsam auf mich zu.

Ich blieb und hatte so die einmalige Gelegenheit, dicht neben den Präsidentenwagen zu kommen und Bourguiba, der aufrecht stehend seinen jubelnden Untertanen zuwinkte, aus allernächster Nähe zu sehen. Mein erster Eindruck war, dass er mir sehr blass und abgearbeitet vorkam, aber sonst genauso aussah, wie ich ihn von Bildern her kannte. Der Wagen stoppte nicht, sondern fuhr langsam – flankiert von einem Dutzend kräftiger Bewacher – durch das laut jubelnde Menschenspalier. Ich schien aus Gründen, die mir verborgen blieben, wohl eine Art Sonderstellung einzunehmen, denn niemand hinderte mich daran minutenlang direkt neben Bourguiba einherzugehen, ich hätte ihn ohneweiteres berühren können. Nachdem ich meine Fotos gemacht hatte, setzte ich mich vom Präsidentenwagen wieder ab und beobachtete noch ein bisschen die Menge, wie sie Hochrufe ausstieß, klatschte, sang und natürlich – neben Gruß- und Wunschtransparenten – auch politische Parolen ausrief: »Freiheit für Palästina!«

Kairouan

Ist es nicht so, dass man aufpassen muss, bei diesem Namen nicht ins überschwängliche Schwärmen für den Orient zu geraten? Kairouan – ein Name, der auf der Zunge zergeht! Dass ich mir hier in Tunesien auch einen meiner alten Jugendträume erfüllen wollte, nämlich Kairouan zu besuchen, stand für mich von vornherein fest. Hätte es von Sousse aus nicht einen bequemen und preiswerten Hotelbus zu dieser besonders heiligen Stadt des Islam gegeben, wäre ich per »local bus« gefahren, denn dieses Erlebnis wollte ich mir keinesfalls entgehen lassen.

Die nur 60 Kilometer lange Fahrt auf schmaler Straße ging genau nach Westen. Sie führte größtenteils durch gewelltes Steppenland, dessen überwiegend kahle Oberflächen nur hier und da von ein paar Schafsherden belebt wurden. Die winzigen Ortschaften, die wir selten sahen, waren noch so gut wie ausgestorben, denn erst im letzten Winter hatte Tunesien hier eine der schwersten Überschwemmungskatastrophen seiner Geschichte erlebt. Es fielen den unerbittlichen Wassermassen riesige Hammelherden und Tausende wertvoller Kamele zum Opfer, Dörfer und Straßen wurden fortgespült und Hunderte Menschen fanden den Tod. Als unser Bus diese traurige Landschaft durchfuhr, war von der Sintflut zwar direkt nichts mehr zu sehen, denn längst hatte die sengende Sonne Nordafrikas das Wasser verdunsten lassen, aber die Dörfer waren noch weitgehend menschenleer. Als ich Jahre später nochmals hier war, hatte diese Gegend die Flutkatastrophe längst überwunden und überall herrschte wieder das übliche orientalische Treiben.

Der erste Besuch galt einem Teppichmuseum, einem bescheidenen, aber umso inhaltsreicheren Gebäude mit wertvollsten Stücken aus vergangenen Zeiten. Wenn auch deren Zustand oft nicht mehr der beste war, so konnte aber selbst der Laie erkennen, dass es sich einmal um wahre Prachtstücke gehandelt haben muss. Die Teppiche aus Kairouan und Umgebung gehören seit eh und je mit zu den besten des Landes, weshalb es eine Selbstverständlichkeit war, im Anschluss auch eine der großen Teppichknüpfereien zu besuchen.

Wir wurden durch mehrere enge Gassen geführt, die so tief-orientalisch waren, dass viele der Teilnehmer zunächst Hemmungen hatten, sich hier ungezwungen zu bewegen, so knipste man erst, als der Fremdenführer es ausdrücklich erlaubte; nicht nur die niedrigen weiß getünchten Häuser mit ihren der Straße zugewandten winzigen glaslosen Fenstern und schmalen niedrigen Holztüren muteten vielen Touristen etwas unheimlich an. Es sind auch die Menschen hier, die im Gegensatz zu jenen in Sousse und Monastir einen verschlossenen stillen, aber freundlich-zurückhaltenden Eindruck machen.

Unterwegs wies der junge arabische Fremdenführer, der ein erstaunlich gutes Deutsch beherrschte, auf einen mit arabisch aussehenden Schriftzeichen behauenen Stein hin, der sich im Mauerwerk eines angeblich historischen Hauses befand. Das hier, so meinte der junge Mann, sei keine arabische Schrift, denn die könne man ja lesen, es handele sich stattdessen um eine noch nicht identifizierte, wahrscheinlich sehr frühe orientalische Schrift, die darauf schließen lasse, dass in dieser Gegend in grauer Vorzeit ein Kulturvolk sesshaft war, von dem man noch nichts wisse. Hier dürften Zweifel angebracht sein, denn ich habe nirgends einen Hinweis finden können, dass es in Tunesien heute noch Rätsel dieser ungewöhnlichen Art geben soll.

Wir erreichten eine Teppichknüpferei, die sich irgendwo im Häusermeer dieser Stadt befindet und ohne Führung für den Fremden wahrscheinlich unentdeckt bleiben würde. Hier sitzen an uralten Knüpfgestängen sehr junge Frauen, meist wohl noch Mädchen, die mit äußerst flinken Händen blitzschnell einen kunstvollen Knoten nach dem anderen knüpfen und so in wochen- und monatelanger Arbeit – je nach Größe – die wertvollen Kairouan-Teppiche entstehen lassen. Der Arbeitsraum ist dunkel, primitiv eingerichtet und stickig, so dass es mir schien, als sei es unmenschlich, diese jungen Arbeiterinnen hier täglich zwölf und mehr Stunden hocken zu lassen. Doch anzusehen war den fleißigen Knüpferinnen nichts, sie lächelten uns zu, nickten zur Begrüßung und ließen sich geduldig auf die arbeitenden flinken Finger schauen.

Natürlich stand jetzt ein Treffen mit dem Eigentümer dieser angeblich halbstaatlichen Firma auf dem Programm, der sich in einem Schauraum von seiner freigiebigen Seite zeigte und zunächst einmal jedem sein Wunschgetränk – Limonade, Coca, Bier, Tee, Wasser – auftischen ließ. Von angestellten Jungs wurde auf sein Geheiß hin ein Teppich nach dem anderen vor uns ausgerollt und vom Chef auf Deutsch erläutert. Bei jedem Teppich – auf Arabisch Tapis – nannte er auch den Preis, wobei er hoch und heilig versicherte, dass man in Deutschland dafür gut und gern das Doppelte zahlen würde. Dass im Preis, den er nannte, die Fracht und sogar Zollgebühr enthalten sei, verstehe sich ebenfalls von selbst. Wer’s glaubt, kennt den Orient nicht!