Wo Allah und Jahwe regieren - Harald Stöber - E-Book

Wo Allah und Jahwe regieren E-Book

Harald Stöber

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Beschreibung

Den Orient individuell zu bereisen – vom Bosporus bis ins tiefe Arabien – gehört für unseren Autor seit Kindesbeinen an zu den »Wünschen fürs Leben«. Doch aus bloßen Wünschen sollten Wirklichkeiten werden, die Stöber viele Jahre lang physisch und intellektuell beanspruchten. Dieses Buch ist ein Feuerwerk an Erlebnissen und Eindrücken, die ihn tief geprägt haben. Ob in arabischen Wüsten, inmitten althistorischer Stätten, ob in schillernden Emiraten oder im gefährlichen Jemen – überall gab es Staunenswertes »live« zu entdecken, das hier zu einem vielschichtigen Orient-Reisewerk zusammengefasst wurde. Vieles ist erstmalig und in schnörkelloser Sprache dargelegt, was zukünftige Reisende ebenso schätzen werden, wie Interessierte, deren Sinn einfach nur nach Orient steht.

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Seitenzahl: 453

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Ähnliche


Harald Stöber

Wo Allah und Jahwe regieren

–– Orientalische Zeitdokumente –

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright (2012) Engelsdorfer Verlag

Alle Rechte beim Autor

Titelfoto:

»Entführung in aller Freundschaft«

im gefährlichen Weihrauchlande Jemen.

Cover-Rückseite:

Gläubige Juden vor der Klagemauer in Jerusalem

– dem Symbol für den Fortbestand des Alten Bundes.

www.engelsdorfer-verlag.de

eISBN: 978-3-86268-804-3

Erinnerungen sind das

einzige Paradies, aus

dem man nicht vertrieben

werden kann.

Anonymus

Gewidmet meiner lieben Familie

und jenen Freunden, die stets

an unserer Seite waren.

Inhaltsverzeichnis

Teil I – Eine orientalische Palette

1. Kapitel

Vorwort, Vorbereitung & Anreise

2. Kapitel

Durch die Türkei und Syrien

Orientalische Weltstadt Istanbul

Bursa am Fuße des Ulu Dağ

Bis zu »Schliemanns Troja«

Via Bergama nach Izmir

Apostel Paulus und Tanzende Derwische

Hindernisse bis Aleppo in Syrien

Noris, Walid und Baal

Viel Christliches in Damaskus

3. Kapitel

Durch Jordanien und Israel

Haschemitische Gegenwart und Vergangenheit

Jüdisches und moslemisches Jerusalem

»Japho die Schöne« und »Akko die Alte«

Wo Jesus geboren wurde und Abraham starb

Von Zefát bis zum Felsendom

Biblische Mystik empfinden

4. Kapitel

Durch Ägypten und den Sudan

Moloch Kairo und »Pyramiden-Mystik«

Entlang des Nils bis Oberägypten

Staub und Chaos bis Omdurman

Teil II – Allah ist mit den Kleinen

1. Kapitel

Vorbemerkungen

Die Malediven sind nicht nur luxuriös

2. Kapitel

Reise in die Golfstaaten

Ein Überblick

Kingdom of Bahrain

Im State of Qatar

In den United Arab Emirates

Sultanat Oman bis zu Hiob

Teil III – Naher Orient

1. Kapitel

Kuwait, Libyen, Jemen

Kuwait – wo sich Saddam austobte

Libyen – Qaddafi bis Tobruk

Jemen – Qāt und Kalaschnikows

2. Kapitel

Königreich Saudi-Arabien

Übersicht und Start

Tour entlang der Weihrauchstraße

Bildnachweise:

Weitere Bücher des Autors:

Teil I – Eine orientalische Palette

1. Kapitel

Vorwort, Vorbereitung & Anreise

Viel zu spät begreifen viele

die versäumten Lebensziele.

Darum Mensch, sei zeitig weise,

höchste Zeit ist’s, reise, reise!

Diese frei nach Wilhelm Busch formulierte »Lebensweisheit« soll wieder einmal an jene Leser gerichtet sein, die es aus Liebe zur Bequemlichkeit oder wegen mangelnder Courage bisher versäumt haben, sich unsere Welt zu erobern, sie für ihr Herz zu gewinnen. Sehr oft begegnet man Menschen, die bereits ein gewisses Alter erreicht haben und sich deshalb nicht mehr in der Lage sehen, auf eigene Faust in die Welt hinauszufahren, um aus ganz persönlichem Blickwinkel heraus die ungeheure Vielfalt der Natur, die verschiedenartigsten Menschen und deren oft uralte Kulturen kennenzulernen. Nach gut 20 Jahren individueller Reiseerfahrung glaube ich heute sagen zu dürfen, dass in der Tat Lebensziele versäumt werden, wenn man – aus welchen Gründen auch immer – darauf verzichtet, sich diese unsere Welt nicht unter die Haut gehen zu lassen.

Auch im Jahr 1984 war es uns dank bester Gesundheit und einem Spargroschen vergönnt gewesen, wieder einmal Neues für uns zu entdecken und unzählige Erfahrungen einzuheimsen, die uns zeitlebens in Erinnerung bleiben und von denen wir viele Jahre lang zehren werden. Nur muss ich leider auch dieses Mal die Einschränkung machen, dass es mir aus Zeitmangel nicht möglich ist, in diesem Bericht alle Reisedetails und Eindrücke haarklein zu Papier zu bringen, obwohl es besonders diese Tour wert wäre, sie hinsichtlich der gesehenen tausend orientalischen Dinge und der mannigfaltigen inneren Empfindungen ausführlich zu beschreiben. So muss ich mich also auf das Wesentlichste beschränken, dies jedoch in der Hoffnung, dass meine Leser bitte auch zwischen den Zeilen mitfühlen mögen.

Als wir uns dafür entschieden, sozusagen Orient total zu machen, bekam ich zunächst einmal einen Schreck, denn eine grobe Nachmessung auf Karten ergab von München bis Khartum/Sudan eine Strecke von rund 10.000 Kilometern, also ein Riesenvolumen, das wir aus Prinzip ausschließlich über Land meistern wollten; das Flugzeug wollten wir uns lediglich für die Rückreise von Khartum über Kairo bis München gönnen. – Nachdem dieses ehrgeizige Prinzip geklärt war, wussten wir, dass uns per Bahn, Bus und Schiff die Türkei, Syrien, Jordanien, Israel, Ägypten und der Sudan bevorstand beziehungsweise ein Reiseprogramm zu absolvieren war, das es diesmal gewaltig in sich haben sollte.

Da uns geknechteten Arbeitnehmern auch im Jahr 1984 nur 32 mickrige Arbeitstage Urlaub zustanden, musste hinsichtlich der Zeit wieder scharf kalkuliert werden, und dennoch hielt ich es für sehr ratsam, trotzdem ein paar Reservetage mit einzuplanen, war doch die große Unbekannte der Sudan, ein Land, das in ganz Europa kein einziges Verkehrsbüro unterhält und von dem es keinen Reiseführer gibt; der existierende Kulturreiseführer von DuMont ist für Einzelreisende gänzlich ungeeignet. Aber Gott sei Dank erhielt ich noch vor der Abreise von einer Kollegin bei einer sudanesischen Versicherungsgesellschaft mit Sitz in Khartum per Telex ein paar nützliche Informationen, die zwar allgemein interessant waren, aber im Detail eben doch – wie sich bald herausstellen sollte – alles andere als sehr zuverlässig.

Insgesamt gesehen war diese große Reise sehr inhaltsreich beziehungsweise von ihrem Wert her außerordentlich gewichtig, denn man stelle sich vor: Sechs Länder in sieben Wochen! Doch das liest sich gewaltiger, als es in Wirklichkeit war, denn die Türkei zu bereisen ist für Orienterfahrene ein Kinderspiel; Syrien und Jordanien sind kleine Länder, die keine langen Strecken erfordern, um zu den relativ wenigen Sehenswürdigkeiten zu gelangen; Israel dagegen bietet ein Vielfaches an historischen Glanzpunkten und sehr vielschichtige Landschaften, die aber im Großen und Ganzen sehr gut mit öffentlichen Bussen zu erreichen sind. In Ägypten konnten wir uns auf Kairo sowie auf einen Abstecher nach Gizeh beschränken, um dann per 18-Stunden-Zug durch bis Aswân zu fahren, denn dieses Land hatten wir ja im Vorjahr sehr ausgiebig bereist. Durch große Schiffs- und Zugverzögerungen blieben uns für den Sudan einschließlich der imposanten Zugfahrt von Wadi Halfa bis Khartum allerdings nur drei Tage, leider zu wenig, um dieses Land in seiner wahren Größe und Vielgestaltigkeit kennenzulernen.

Einer Wertung, welches der genannten Länder nun das ergiebigste, angenehmste oder enttäuschendste war, möchte ich mich im Vorwort enthalten und dies stattdessen dem Leser überlassen, der davon ausgehen kann, dass ich mich wieder einer möglichst objektiven Schreibe befleißigen werde. Aber – das weiß jeder Autor von Reiseberichten – Schilderungen über selbst Gesehenes und Erlebtes sind in der Tendenz zwangsläufig subjektiv, denn schließlich sind es ja die eigenen persönlichen Erfahrungen, die zu Papier gebracht werden. So wird das eine oder andere positiv oder negativ dargestellte Erlebnis bei anderen Reisenden, die im Prinzip die gleiche Tour unternahmen, unter Umständen genau die gegenteiligen Eindrücke hinterlassen haben.

Wie gesagt galt es, die relativ knappe Zeit diesmal besonders sorgfältig zu verplanen, Grund dafür, möglichst viel bereits von zu Hause aus zu fixieren: Hotelbuchungen, Visa-Beschaffung, Ticket- und Devisenkauf sowie Zug- und Busbuchungen. Doch da hatte sich bald herausgestellt, dass dies eine ziemlich theoretische Vorstellung war, die mich aber aufgrund bisheriger Erfahrungen nicht mehr aus dem Gleichgewicht bringen konnte. Hinsichtlich der Türkei, Syrien und Jordanien verzichteten wir von Haus aus auf Vorplanungen, da ich aus Bekanntenkreisen wusste, das diese zumindest für die Türkei nicht erforderlich waren; bei Syrien und Jordanien vertraute ich auf die Überschaubarkeit dieser kleinen Länder.

Anders glaubte ich mich im Falle Israel, Ägypten und Sudan verhalten zu müssen, lag mir doch vehement daran, in Israel – Hochsaison! – die Hotelbuchungen von hier aus unter Dach und Fach zu bekommen und die großen Bus-, Bahn- und Schiffsstrecken vorher für uns zu sichern. – Während die Hotelbuchungen in Israel von hier aus ausnahmslos in Ordnung gingen, haperte es mit der vorherigen Buchung des entscheidend wichtigen Busses von Tel Aviv nach Kairo, denn einer lieben Kollegin, die zuvor Israel besucht hatte, war es mangels fehlender Reisepässe mit ägyptischen Visa nicht gelungen, für uns diese Bus-Tickets an Ort und Stelle zu bekommen; wir mussten es also darauf ankommen lassen. – Auch die für uns nicht weniger wichtige Buchung des Schiffes von Aswân nach Wadi Halfa gelang von München aus nicht, obwohl ich mich per eingeschriebenem Brief mit dem Angebot, die Passagen im Voraus zahlen zu wollen, bereits Wochen vor unserer Abreise an das mir namentlich bekannt gewesene Reedereibüro im Kairoer Hauptbahnhof gewandt hatte; jegliche Reaktion blieb aus. – Selbst die gewünschte Zugbuchung Wadi Halfa – Khartum kam nicht zustande, weil mein entsprechender Bittbrief bei Kollegin Omer in Khartum nicht angekommen war.

Diese hier nur in Stichworten wiedergegebenen Vorbereitungsmaßnahmen wären jedoch – wie sich in der Praxis bald zeigen sollte – meist auch gar nicht erforderlich gewesen, denn auch auf dieser Reise kamen die Dinge wieder einmal ganz anders – mal besser, mal schlechter. Die Beschaffung der erforderlichen Visa für Syrien, Jordanien, Ägypten und Sudan bei den hiesigen zuständigen Botschaften und Konsulaten bereitete mir wider Erwarten keine erwähnenswerten Schwierigkeiten, obwohl ich zuvor im schlauen DuMont-Kulturführer gelesen hatte, dass die Erteilung eines sudanesischen Visums unter Umständen Monate dauern könne; wir hatten für stolze DM 52 pro Pass die Visa bereits binnen einer Woche im Reisedokument. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das syrische Visum DM 26, das jordanische DM 10 und das ägyptische DM 30 gekostet hat. Die Staaten Türkei und Israel verzichten bekanntlich auf einen amtlichen Sichtvermerk, wobei dies für Israelreisende nur für Besucher gilt, die nach 1928 geboren wurden.

Was die Gesamtkosten anbetrifft, so gab es für uns eine recht angenehme Überraschung, kostete diese fast 7-wöchige Riesenreise ab München über Land bis Khartum und per Flugzeug wieder zurück einschließlich sämtlicher Visa-Gebühren, verknipster Filme und sonstiger Reiseutensilien pro Kopf nur DM 3.010. Wenn man bedenkt, dass eine 2-wöchige Israelreise mit dem berühmten Passauer Hotel-Bus (keine Vollverpflegung!) glatt DM 2.000 kostet, wird der Leser ermessen können, um wie Vieles billiger und mit Sicherheit auch interessanter man eine Individualreise gestalten kann.

Nun lade ich wieder einmal meine Reisefreunde zu einer Lektüre ein, bei der ich aus Zeitgründen auf Tiefschürfendes zwar verzichten muss, die aber nichtsdestoweniger interessante Eindrücke vermittelt, deren Unmittelbarkeit vielleicht doch den einen oder anderen dazu ermutigen wird, sich einmal selbst beim Schopfe zu packen; es ist leichter, als man denkt! Unsere Reise werde ich also in Tagebuchform gießen und damit die Hoffnung verknüpfen, dass es auf diese Weise möglichst vielen vergönnt sein möge, wenigstens in Gedanken diese Tour nachzuvollziehen. Viel Vergnügen!

An diesem schönen Herbsttag hatten wir zunächst einmal beide – meine liebe Frau Hilde und ich – noch Dienst zu verrichten – Hilde bis gegen Mittag in der LVA, ich noch bis gegen 16 Uhr in der MR, denn die Abfahrt unseres Zuges sollte erst am späten Nachmittag erfolgen. Geweckt wurden wir zur üblichen Zeit um 5.55 Uhr per Radiowecker, diesmal mit dem beziehungsvollen Lied »Mein Vater war ein Wandersmann«, eine für uns heute durchaus genehme Volksmelodie, wenn auch insofern unzutreffend, als mein Vater alles mögliche, nur kein Wandersmann war.

Das sehnsüchtig erwartete Telex aus Khartum mit der erbetenen Bestätigung der Plätze für die fast 1.000 Kilometer lange Zugfahrt von Wadi Halfa bis in die sudanesische Hauptstadt war zu meiner Enttäuschung auch heute nicht eingetroffen, so dass wir die Reise also ohne diese mir sehr wichtig erschienene Buchung antreten mussten. Ansonsten hatten wir bereits in den Vortagen alles für diese Reise vorgesehene Material, sämtliche Utensilien, Dokumente und Kleidungsstücke parat, wussten wir doch, dass wir am heutigen Abfahrtstag mit der Zeit etwas knapp werden würden. Aber es funktionierte alles hervorragend, so dass die U-Bahn in Richtung Münchener Hauptbahnhof ab genau 4.44 Uhr nachmittags unter uns zu rollen begann. Die Reise unter dem Titel »Eine orientalische Palette« nahm also ihren Anfang.

Gebucht hatten wir die oberen beiden Liegen eines für mitteleuropäische Verhältnisse maßlos heruntergekommenen II.-Klasse-Waggons der jugoslawischen Staatsbahn. Da dieser Zug täglich fährt und wir uns genau diesen Waggon zwei Tage vor unserer Abreise angesehen hatten, bestand die berechtigte Hoffnung, heute einen besseren Waggon zu erwischen, aber das Schicksal wollte es anders; möglicherweise sind alle sieben Liegewagen dieses Zuges in diesem miserablen Zustand. – Nachdem wir uns eingerichtet und zur Kenntnis genommen hatten, dass als einziger Abteilgenosse nur noch ein junger Mathematikprofessor hinzugekommen war, setzt sich um 17.42 Uhr etwas verspätet der berühmt-berüchtigte Balkanexpress in Bewegung. Der mitreisende junge Mann war ein außergewöhnlich ruhiger, eher schüchterner Gelehrter, der sich auf der Reise hin zu einem in Burgos/Bulgarien stattfindenden Kongress befand, die er mangels Masse seines Instituts in diesem unwürdigen Zug auf sich nehmen musste.

Nach rascher Fahrt 19.15 Uhr Ankunft im schönen Salzburg, doch hier regnete es in Strömen, während Petrus bis hierher fast immer die Sonne hatte scheinen lassen. Nun wurden wir ein zweites Mal direkt mit der Tatsache konfrontiert, dass wir im Balkanexpress saßen, denn die mitreisenden Balkanesen kauften auf dem Salzburger Bahnhof wie wild den pfundweise abgepackten Kaffee, eine in Jugoslawien und Bulgarien fast nicht mehr zu bezahlende Rarität. – Nachdem wir vom Zugschaffner je eine Decke, zwei Laken und Kissenbezüge erhalten hatten, waren wir gerüstet, die erste Nacht im Zug München – Istanbul zu verbringen.

Man kann sich leicht vorstellen, dass diese Nacht für uns alles andere als erholsam war, waren es doch immer wieder die Grenzbeamten, die auf das Schlafbedürfnis der Reisenden keine Rücksicht nehmen konnten. So beschlossen wir, morgens gegen halb acht nach unzähligen Schlafraten die Nacht zu beenden. Mittlerweile waren wir längst tief in Jugoslawien, der Zug querte unendlich weite Maisfelder, ziemlich triste Dörfer und erreichte um 9.30 Uhr die Hauptstadt des Landes – Belgrad. Hier überraschte die noch recht warme Witterung, wenn auch der Himmel regenverhangen war. Die auf dem Belgrader Sackbahnhof angebotene Spezialität waren kleine Fläschchen, gefüllt mit gutem Pflaumenschnaps zu 200 Dinare (zirka 4 DM), aber es spielte sich noch mehr ab, denn Hunderte meist aus Deutschland kommende Familien mit ungeheuer viel Gepäck verließen hier den Zug, wobei es sich der Beobachtung nach überwiegend um Rückwanderer gehandelt hat. Kaum zu beschreiben die vielen hektisch-gereizten, aber auch rührenden Szenen!

Nachdem sich der Zug wieder in Bewegung gesetzt hatte, gesellten sich zwei ziemlich unangenehme Typen zu uns ins Abteil, bei denen wir glaubten uns in Acht nehmen zu müssen. Während der Jüngere sich schon nach wenigen Minuten langflegelte, schmatzte der Ältere – hörbar bis ins Nachbarabteil – sein mitgebrachtes Futter. Keiner der beiden sprach Deutsch – keine Silbe! Wenn wir auch nicht herausfinden konnten, welcher Sprache sich diese beiden Vögel bedienten, so war uns jedoch eines schnell klar: Wir reisten mit Geldschiebern, denn es gab kaum eine europäische Währung, die nicht herauszuhören gewesen wäre. – Unglücklicherweise waren diese beiden auch noch Raucher, so dass es unser Mathematikprofessor schließlich vorzog, sich in ein anderes Abteil zu setzen.

Die letzte größere Stadt vor dem Grenzübergang nach Bulgarien – Niš – hatten wir um 14.40 Uhr erreicht, und nun durften wir uns wieder freuen, bot doch die Grenzlandschaft etwas für’s verwöhnte Auge: Der Zug fuhr langsam durch eine tiefeingeschnittene Schlucht, umgeben von bis zu 300 Meter hohen, fast senkrecht in den Himmel ragenden Felsen. Die Grenzstation Dimitrowgrad erreichten wir um 17.20 Uhr, wo sämtliche Türen verschlossen wurden, so dass niemand den Zug verlassen konnte; aus dem Fenster springende Leute hätten die Grenzposten auf jeden Fall ertappt, denn alles war mit riesigen Fußballstadion-Scheinwerfern taghell erleuchtet. Dass die Passkontrollen hier besonders genau waren, liegt auf der Hand, was unseren beiden Schiebern offensichtlich nicht gefiel; jedenfalls machten sie hier einen verdammt nervösen Eindruck. Doch alles schien einschließlich unserer Transitvisa in Ordnung gewesen zu sein, so dass der Zug um 18.30 Uhr gen Sofia weiterfahren konnte. Auf dem Bahnhof zurück blieben jedoch ein paar junge Türkenfamilien, bei denen offensichtlich die Pässe nicht in Ordnung waren. Ankunft des Zuges in der bulgarischen Hauptstadt Sofia kurz nach 20 Uhr.

2. Kapitel

Durch die Türkei und Syrien

Orientalische Weltstadt Istanbul

Die zweite Nacht im Balkanexpress war für uns insofern angenehmer, als wir bedeutend besser hatten schlafen können, obwohl wir natürlich wieder ein paar Mal von Grenzern geweckt worden waren. Hilde schlief sogar so fest, dass sie von den Kontrollen am bulgarisch-türkischen Grenzübergang gar nichts bemerkte. Als wir gegen halb 7 Uhr aufstanden, fühlten wir uns wohl, ein gutes Zeichen, denn wir hatten vor, uns möglichst noch heute ein paar Sehenswürdigkeiten Istanbuls anzusehen. Die Fahrt auf dem Stück europäischer Türkei war landschaftlich weniger reizvoll (fast nur Rapsfelder in eintöniger Gegend), aber umso interessanter war die kilometerlange Fahrt in Richtung des Sirkeçi-Bahnhofes zu Istanbul, denn diese führt entlang des imposanten blauen Marmara-Meeres und dann um das Goldene Horn mit dem Topkapi Serail als höchsten Punkt bis ins Herz der Stadt. Ankunft genau 12.15 Uhr Ortszeit, also mit etwa 2-stündiger Verspätung. Das weltberühmte und traumhaft liegende Istanbul war also erreicht, eine äußerst geschichtsträchtige Stadt, die wir nun zum ersten Mal besuchen konnten.

Angenehm überrascht von der Ruhe, Ordnung und Sauberkeit dieses blumengeschmückten Bahnhofes, von dem sich München eine dicke Scheibe abschneiden kann, und gut aufgelegt nahmen wir ab jetzt ein Land »in Angriff«, das – sagen wir’s rundheraus – aufgrund der vielen Gastarbeiter bei uns und nicht zuletzt auch wegen der langen Jahre der dortigen Militärherrschaft in der Bundesrepublik keinen guten Namen hat. Insofern waren wir also ziemlich voreingenommen, ein Standpunkt, der sich aber sehr bald ins Gegenteil verkehren sollte, denn – um es vorwegzunehmen – die Türkei erwies sich als das angenehmste muslemische Land, das wir bisher bereist hatten.

Hilde konnte ich ohneweiteres in einer Fensternische des inneren Bahnhofes mit unseren Reisetaschen deponieren (was ich in München nicht getan hätte), denn zunächst ging es wie immer um die Hotelsuche. Ich verließ den Bahnhof in Richtung Norden, sah rechter Hand das Wasser des Bosporus’, viele an ihren Kais liegende Schiffe und davor einen sehr belebten Platz, von dem aus ich mich links hielt in der Hoffnung, bald auf ein sogenanntes Einheimischenhotel zu stoßen. Da ich von den hiesigen Verhältnissen noch keine Ahnung hatte, tastete ich mich zunächst vorsichtig an diese Aufgabe heran, merkte aber bald, dass wir selbst in Istanbul in dieser Hinsicht keine größeren Probleme haben würden, konnte mir doch jedes Hotel auf Anhieb ein preiswertes Doppelzimmer anbieten. Die Preise lagen zwischen 900 und 1.500 TL, also um die 7 bis 12 Mark für’s ganze Zimmer. Schließlich buchte ich in der frequentierten Hamidiye-Straße für 900 TL im Kaforiferli-Otel ein akzeptables Zimmer nach hinten und war sehr froh darüber, auch noch einen freundlichen Alten an der winzigen Rezeption zu den mir wohlgesonnenen Menschen rechnen zu können.

Als ich kurz darauf wieder bei Hilde war, hatte auch sie Grund zum Strahlen, denn sie glaubte mir, dass ich bereits fündig geworden war. – Bevor wir den Bahnhof verließen, tauschte ich zunächst einmal 100 DM gegen 13.050 TL erhielt damit einen um gut 20 Prozent besseren Kurs, als ich ihn bei einer Bank in München bekommen hätte. Im Hotel, einem sehr einfachen Haus ohne anspruchsvolle, auf die Nerven gehende europäische Gäste, hatten wir unsere paar Sachen schnell untergebracht, so dass wir bereits gegen 14 Uhr mit viel Elan und gespannter Erwartung unsere ersten touristischen Schritte unternehmen konnten. Das Wetter entsprach allen Erwartungen, denn es war schön warm, sonnig und ein leichter Wind gab dem Schweiß kaum eine Chance, so dass wir optimistisch sein durften, alle drei für heute vorgesehenen Programmpunkte erledigen zu können. Vorgesehen hatten wir den Besuch der Hagia Sophia, der Sultan-Ahmed-Moschee und des Galata-Turmes auf der asiatischen Seite Istanbuls.

Die Hagia Sophia hatten wir über eine stark ansteigende und verkehrsreiche Straße – die Hamadiye – binnen weniger Minuten erreicht, rasch unsere Eintrittskarten in Höhe von à 100 TL in der Hand und standen bald mitten in diesem Riesenbau, dessen Geschichte im Jahr 325 n. Chr. begonnen hatte. Es war Kaiser Konstantin I., der hier zunächst eine hölzerne Basilika errichten ließ, die der »Heiligen Weisheit« gewidmet wurde. Dieser einfache Bau brannte jedoch zweimal völlig nieder, so dass sich Kaiser Justinian dazu entschloss, sie nicht wieder im ursprünglichen Zustand aufbauen zu lassen. Stattdessen beauftragte er die Meister Antemois und Isidoros, das prächtigste massive Bauwerk seines ganzen Reiches zu schaffen. Nachdem fünf Jahre lang rund 10.000 Menschen mit der Errichtung dieses grandiosen Bauwerkes beschäftigt waren und angeblich 360 Zentner Gold bezahlt waren, rief Justinian im Dezember des Jahres 537 vor Freude und Stolz aus: »O Salomon, ich habe dich übertroffen!«

Das Schicksal dieser Aya Sofya, wie die Türken diesen mächtigen Prachtbau nennen, war damit aber noch lange nicht besiegelt, denn schon 558 stürzte die Kuppel infolge eines schweren Erdbebens ein, doch der Wiederaufbau gelang, wenn auch unter sehr großen Schwierigkeiten. Im Jahr 1453 eroberten die Moslems im Zug der Islamisierung der Türkei und weiter Teile Südosteuropas dieses bis dahin stets christlich gebliebene Gotteshaus und verwandelten es auf brutalste Weise in eine Moschee.

Das Wahrzeichen Istanbuls ist die berühmte Hagia Sophia

Da der Islam menschliche Abbildungen jeglicher Art innerhalb der Gebetsräume verbietet, wurden wertvollste Mosaiken einfach überkleistert oder herausgeschlagen. Frei blieb nur jenes berühmte Mosaik-Bild, das der Besucher über dem Eingang zur Vorhalle bewundern kann: ein prächtiges Kunstwerk mit Maria und Jesuskind sowie zwei flankierende Heiligenfiguren. Um den jahrhundertelang hochschlagenden Wellen der Empörung der christlichen Eigentümer, die immerhin über 1.000 Jahre lang die Hagia Sophia als ihr geistiges Zentrum betrachtet hatten, ein Ende zu bereiten, erklärte der Erneuerer der Türkei, Kemal Paşa (Atatürk), dieses weltberühmte Gotteshaus 1935 kurzerhand zum Museum für alle.

Wir besichtigten zahlreiche in den Vorhallen aufgestellte Mosaikwerke, aber auch viele Mosaikmotive, die sich noch an den Wänden außerhalb des großen Gebetsraumes in gutem Zustand befinden (9. bis 10. Jahrhundert). In einer zweiten Vorhalle bestaunten wir herrliche Goldmosaikausschmückungen an der überhohen Decke sowie riesige uralte Marmorplatten auf dem Boden, die erkennen lassen, dass sie schon so manchen Erdbebenstoß überdauert haben. Im großen Innenraum, dessen monumentale Höhe von über 55 Metern uns besonders beeindruckte, besichtigten wir zunächst zahlreiche mächtige Marmorsäulen, die allerdings schmucklos sind. Besonders beachtenswert ist die »schwitzende Säule«, die ständig feucht ist. Steckt man seinen Zeigefinger in ein seit vielen Jahrhunderten vorhandenes Loch und wünscht sich dabei etwas, soll es in Erfüllung gehen. Ich darf verraten, dass ich mir den glücklichen Abschluss unserer großen Reise gewünscht habe.

Mit routinemäßigem Interesse besichtigten wir außerdem schön ornamentierte Suren, die vielen tiefhängenden Leuchter, die sich linksseitig befindliche vergitterte, innen prächtig ausgestattete Sultans-Loge, den Predigtstuhl (Mimber) und nicht zuletzt ein paar freigelegte alte Mosaikreste an den Wänden der oberen Galerie, die nicht direkt zum Gebetshaus gehören. Diese Galerie erreicht man über ein noch gut erhaltenes uriges Stiegenhaus, das sich in mehreren Windungen nach oben schraubt.

Sehr beeindruckt von diesem ersten Kontakt mit der türkischen Baugeschichte und nicht zuletzt auch erfreut darüber, dass die Türken ihrem weltberühmten Landessymbol – wie zu beobachten war – mit gebührender Ehrfurcht begegnen, verließen wir die Hagia Sophia, querten einen großen gepflegten Park und gelangten zur ganz in der Nähe liegenden Sultan-Ahmed-Moschee, dem zweiten herausragenden Wahrzeichen Istanbuls. Auch hier begegneten wir übrigens wieder einem großen sonntäglichen Besucherandrang, bei dem ausländische Touristen nur eine bescheidene Rolle spielten.

Während die Hagia Sophia – weil Museum – mit Schuhen betreten werden durfte, mussten wir uns hier unserer leichten Treter entledigen, und Hilde hatte sich mit einem blauen Tuch den Kopf und die Schultern zu bedecken. – Das auch Blaue Moschee genannte Gotteshaus wurde zu Anfang des 17. Jahrhunderts im Auftrag des Sultans Ahmed I. errichtet und ist die einzige Moschee ganz Istanbuls (hier gibt es Hunderte!), die sechs prächtige Minarette besitzt. Vorbei an schattigen Waschbrunnen, den Şadirvans, betraten wir den riesigen Innenraum, wo wir die wahrhaft prächtigen blauen Fayencen bewundern durften, mit denen Wände, Decken und Säulen verkleidet sind. Die Säulen dieser Moschee haben einen fast unglaublichen Durchmesser von rund 6 Metern, aber auch die vielen bunten Fenster weckten unsere besondere Aufmerksamkeit. Dass die Frauen sich noch heute in der modernen Türkei nicht im Gebetssaal bewegen dürfen, sondern ihre Gebete hinter schwarzen Schleiern in separaten kleinen Räumen verrichten müssen, erlebten wir hier das erste Mal. – Auch hier konnten wir – wie schon zuvor in der Hagia Sophia – die erfreuliche Feststellung machen, dass fleißig und sehr gekonnt restauriert wird.

Da wir wider Erwarten mehr Zeit zur Verfügung hatten, als wir zu hoffen wagten, konnten wir noch den berühmten At Meydani, den sogenannten Roßplatz, besuchen, ein herrliches Stück Istanbul – umgeben von ehrwürdigen alten, aber gepflegten Häusern und malerischen Minaretten berühmter Moscheen. Vorbei am tadellos intakten Kaiser-Wilhelm-Brunnen, den Wilhelm II. 1898 dem damaligen Sultan anlässlich seines Besuches gestiftet hatte, gelangten wir zunächst zum ägyptischen Obelisken. Dieses 25 Meter hohe, aus rotem Aswân-Marmor gehauene Monument stammt aus der Zeit Tutmosis III. (1502 bis 1448 v. u. Z.) und wurde bereits im Jahr 390 n. Chr. von Ägypten nach Konstantinopel geschafft.

Ein sich nur wenige Meter weiter davon entfernt befindliches Monument ist insofern kurios, als es sich bei dieser ursprünglich acht, heute nur noch etwa vier Meter hohen Säule um ein »gedrechseltes« Kunstwerk handelt. Die sogenannte Schlangensäule war ein Weihgeschenk der Griechen für den Sieg über die Perser, aufgestellt im Tempel zu Delphi; dieser Sieg wurde im Jahr 479 v. u. Z. bei Platäa errungen. Vermutlich hat Kaiser Konstantin I. im 4. Jahrhundert n. Chr. diese Säule nach Konstantinopel gebracht. Weniger sehenswert, wenn auch historisch interessant, ist der im 10. Jahrhundert n. Chr. gemauerte Obelisk, der sich ebenfalls auf dem »Roßplatz« befindet. Die Außenseiten waren einst mit vergoldeten Bronzeplatten verkleidet, doch diese fielen räuberischen Kreuzfahrern zum Opfer.

Abend in Istanbul. Auf dieses Fotoereignis hatte ich mich schon lange gefreut, denn von vielen großartigen Aufnahmen her wusste ich, wie malerisch schön sich die schwarzen Silhouetten der vielen Minarette vom rotgelben Abendhimmel abheben. Wir querten zu dieser Stunde die sehr belebte Galata-Brücke hinüber zur asiatischen Seite und konnten so dieses imposante Schauspiel live erleben – eine wahre Freude für Aug und Herz!

Unser nächstes Ziel war der Galata-Turm, Istanbuls ältester und schönster Wehrturm. Nachdem wir dem lebhaften und überaus bunten Fischmarkt am asiatischen Kai einen Besuch abgestattet hatten, kürzten wir über steile Treppen, die uns durch schmale dunkle Altstadtgassen führten, den Weg zum hochgelegenen Turm ab, entrichteten eine stolze Eintrittsgebühr von à 300 TL und ließen uns dann per Lift in eine Höhe von gut 60 Metern hieven. Von hier oben bot sich uns nun jener weltberühmte Abendblick auf das von Schiffen stark befahrene Goldene Horn, auf die Galata-Brücke sowie auf die unzähligen Minarette und alten Dächer der Stadt, den man rundheraus als traumhaft bezeichnen kann.

Der Galata-Turm hat übrigens einen inneren Durchmesser von knapp neun Metern und eine Wandstärke von unglaublichen 3,75 Metern. Errichtet wurde dieses Bauwerk im Jahr 528 von Kaiser Justinian, aber 1269 wieder zerstört und 1349 von den Genuesen wieder aufgebaut. Im Zuge seiner Restaurierung im Jahr 1446 wurde der Turm mit Stützwänden umgeben und stellt heute eines der markantesten Stadtsymbole dar, das nicht zuletzt auch wegen seines ausgezeichneten Restaurants – mit Bauchtänzen für betuchte und lustwandelnde Touristen – einen klangvollen Namen hat.

Auf dem Rückweg deckten wir uns noch mit den notwendigsten Futteralien ein, die sich in Istanbul, wie übrigens auch in der ganzen übrigen Türkei, sehr preiswert einkaufen ließen. – Als wir gegen 19.30 Uhr wieder im Hotel waren, mussten wir uns gestehen, vor Müdigkeit weiche Knie zu haben; denn waren wir nicht erst heute gegen Mittag nach zwei mehr schlecht als recht überstandenen Bahnnächten in Istanbul angekommen?

Dass ich heute Morgen gegen 5 Uhr mit heftigsten Kopfschmerzen aufwachte, dürfte wohl der 2-tägigen Zugfahrt zu verdanken gewesen sein, aber dieser Spuk war nach einer Tablette gottseidank schnell wieder vorbei; ich schlief sogar wieder ein und stand erst gegen halb acht auf. Es war gegen 8.45 Uhr, als wir unsere Bleibe verließen, um Istanbul weiter für uns zu erobern.

Erstes Ziel war der berühmte Große Basar, eine der interessantesten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Dieser bereits seit byzantinischer Zeit existierende und oft durch Brände und Erdbeben zerstörte, aber immer wieder erweitert aufgebaute Markt liegt sehr zentral und ist daher leicht zu finden. So unscheinbar auch der Eingang zu diesem riesigen Labyrinth ist, so gewaltig ist dessen Inneres – ein Irrgarten sondergleichen! Es ist sinnlos, hier eine Aufzählung oder gar Beschreibung der Geschäfte abzugeben, ist doch die Vielfalt und Warenfülle beinahe unbegrenzt. Für uns Orientbeziehungsweise Basarkenner gab es hier insofern Überraschungen, als jedes Geschäft sauber und akkurat geordnet ist und der fremde Besucher in keiner Weise unangenehm zum Kauf oder Anschauen gedrängt wird. Auch die unzähligen, massiv überdachten Gassen, deren Decken teils farblich ornamentiert sind, strahlen vor Sauberkeit. Kurzum, dieser Basar war bisher mit Abstand der schönste und angenehmste, den wir bisher im Orient zu Gesicht bekommen hatten. – Übrigens brannte dieses Prachtstück 1954 das letzte Mal, ein Übel, das schon seit Jahrhunderten den Fachleuten schlaflose Nächte bereitet.

Nun arbeiteten wir uns zum Universitäts-Viertel vor, wo wir zunächst einmal die der Uni gegenüberliegende Beyazit-Moschee aus dem 16. Jahrhundert ansehen wollten, doch da standen wir leider vor verschlossenen Toren. Stattdessen umrundeten wir dieses außerordentlich gediegene Gotteshaus, querten dabei ein reizvolles, überwiegend von durstigen Studenten bevölkertes Gartenrestaurant direkt neben dieser Moschee und ergatterten dann einen Fotoblick durch eine große Fensteröffnung in den von schweren Säulen bestandenen Innenhof. Schließlich schlenderten wir über den von zahllosen Tauben bevölkerten Platz (weshalb dieser Bau auch »Tauben-Moschee« genannt wird) und gelangten so zur Uni, deren schönes Eingangstor sich am ehesten mit dem berühmten Pariser Arc de Triomphe oder dem Münchener Siegestor vergleichen lässt, nur ist dieses Tor zwei Nummern kleiner.

Hier erlebten wir nun wieder eine angenehme Überraschung, konnten wir die besetzte Pforte doch ohneweiteres passieren und uns auf dem Campus völlig frei bewegen. Dies war insofern verwunderlich, als es hier noch vor wenigen Jahren heftigste Studentenunruhen mit großen Polizeieinsätzen gegeben hat und der Haupteingang noch immer von bewaffneten motorisierten Polizisten bewacht wird. Ungehindert passierten wir den markanten Beyazit-Turm – einen leider nicht mehr zu besteigenden alten Feuerwehrturm – und tummelten uns dann im Hauptgebäude, querten ein paar Gänge, sahen in Lehrsäle, ja sogar ins sehr vornehme, mit herrlichen alten Möbeln ausgestattete Rektorenzimmer und begegneten immer wieder frischen jungen Leuten, deren Äußeres für uns eine wahre Freude war. Uns schien, dass hier das Studieren so etwas wie eine Ehre ist und nicht zuletzt deshalb noch ernst genommen wird.

Ganz in der Nähe der Uni – und zwar nördlich davon – liegt ein weiteres, sehr berühmtes Gotteshaus Istanbuls: die um 1550 errichtete Süleyman-Moschee, erbaut unter Süleyman I. beziehungsweise von Baumeister Sinan. Hier besichtigten wir zunächst den mit zahllosen kunstvoll geschnitzten Grabsäulen bestandenen Friedhof sowie das etwas seitlich stehende Mausoleum dieses Regenten, das jedoch nicht zu betreten, stattdessen aber einzusehen war. Das Innere ist sehr dunkel, aber zu erkennen sind drei mit grünen Tüchern bedeckte Sarkophage. – Die Moschee hat uns besonders nachhaltig beeindruckt, ist doch schon das wuchtige Äußere mit seiner mächtigen Hauptkuppel, den über 30 Nebenkuppeln und den vier hohen formschönen Minaretten eine Augenweide. Innen bewunderten wir den großen Arkadenhof und die herrliche Deckenornamentierung und insbesondere die riesige Hauptkuppel, die übervoll mit äußerst kunstvollen blaubeigen und goldenen Suren ausgeschmückt ist. Aber auch die Nebenkuppeln strotzen vor künstlerisch hervorragend angebrachten Ornamenten. Wirklich bewunderungswert ist das Innere dieser Moschee!

Nachdem wir in einem ganz typischen Straßenrestaurant (ist nichts für Nobeltouristen) üppig Reis, Fleisch, Bohnen, Brot und Joghurt für zusammen 830 TL (das sind 6,50 DM) gegessen hatten, querten wir abermals den Großen Basar und lernten so auch noch ein paar sogenannte Goldstraßen kennen, in denen jedes Frauenherz überläuft. Unbeschreiblich, was hier an Schmucksachen, Uhren und so weiter feilgeboten wird!

Ein weiterer Besichtigungspunkt – der touristische Höhepunkt unseres Istanbulaufenthalts – bestand im Besuch des berühmten Topkapi-Serail-Museums am Nachmittag. Dieser riesige historische Bereich liegt erhöht am äußersten Ende der Halbinsel, so dass sich jede Suche danach erübrigt. Nachdem wir uns als Studenten zu 10 TL (statt 400 TL) die Tickets besorgt hatten, passierten wir das imposante zweitürmige Bab-i-Selâm – das »Tor des Heils« – und gelangten so ins parkähnliche Innere der Anlage. Allein über die prachtvollen Ausstellungsstücke ließe sich ein Buch schreiben, so auch über die zahlreichen Gebäude und Anlagen. Doch bleibt mir an dieser Stelle nur die Möglichkeit, eine zusammenfassende Darstellung zu vermitteln und die wohlmeinende Empfehlung auszusprechen, Istanbul allein schon wegen dieses Komplexes zu besuchen.

Hinter dem Eingang rechter Hand befinden sich die langgestreckten ehemaligen Küchengebäude mit ihren zehn ziegelsteingemauerten Schornsteinen, in denen sehr sehenswerte Porzellanausstellungen chinesischer, japanischer, europäischer und türkischer Herkunft ab dem 13. Jahrhundert untergebracht sind. Es schließt sich die Audienzhalle Sultan Mechmet III. mit dem Gold-Edelstein-Thron und zahlreichen alten Waffen an. Bewunderungswert ist natürlich auch der Riesendiamant unter dickstem Glas und ein 1,50 Meter hoher Goldständer – ein Prachtexemplar sondergleichen! Der letzte Raum ist überdacht, seitlich jedoch offen und bietet daher einen ungemein schönen Weitblick über das blaue Wasser des Bosporus bis hinüber zur asiatischen Seite und zur großen Bosporus-Brücke weiter im Norden.

Hier nun fand für mich die Besichtigungstour leider ein jähes Ende, denn plötzlich drohte das ganze Objektivsystem meiner guten alten japanischen Kamera in sämtliche Einzelteile zu zerfallen. Ich war geschockt, standen wir doch erst am Anfang unserer Reise! Kurzentschlossen musste ich Hilde hier ihrem Schicksal überlassen und mich in die Stadt begeben, sehr hoffend, möglichst schnell einen kundigen Fachmann zu finden. Gegenüber dem Hauptbahnhof ging ich ins erstbeste Fotogeschäft, hielt dem verdutzten Verkäufer ein paar Kamerateile unter die Augen und bekam prompt eine Adresse notiert. Glücklicherweise half mir beim Ausfindigmachen der angegebenen Reparaturwerkstatt ein freundlicher Geschäftsmann, der mit mir bis zum betreffenden Haus ging, wo man mir irgendwo im 4. Stock innerhalb einer halben Stunde doch tatsächlich die Kamera wieder perfekt zusammensetzte. Mir fiel hörbar ein dicker Fels vom Herzen, und als der gute Monteur für seine für mich so unendlich wichtige Arbeit nur sieben Mark haben wollte, drückte ich ihm viel zu gern einen Zehner in die Hand.

Bevor ich ins Hotel zurückging, wo ich hoffte wieder mit Hilde zusammenzutreffen, erkundigte ich mich am Hafen nach der Yalova-Fähre, denn morgen früh sollte es ja weitergehen. Da das Schiff aber leider erst um 9.45 Uhr ablegen sollte, schien mir eine Umdisponierung auf den Bus angebracht, doch da wurde es wider Erwarten etwas dubios. Zunächst fragte ich mich mühsam nach dem zuständigen Busbahnhof durch, der, wie ich hörte, jedoch auf asiatischer Seite liegt. Per Stadtbus Nummer 62 ging’s dann bis zur Kabatah-Station, von wo aus es angeblich eine Fähre hinüber zur Busstation geben sollte, doch war weit und breit nichts dergleichen zu entdecken. Ich fuhr zurück und fand mich damit ab, erst viertel vor 10 mit dem Schiff abfahren zu können.

Abends unternahmen wir noch einen sehr schönen, beinahe romantischen Spaziergang hinunter zum Hafen, beobachteten eine Stunde lang die ein- und ausfahrenden Schiffe und machten uns schließlich auf, auch noch die Galata-Brücke zu überqueren, um dem am gegenüberliegenden Kai liegenden hellerleuchteten Luxusschiff »Fuchal« einen Besuch abzustatten, doch war für uns der Zugang ins Innere dieses sicher sehr teuren Ladens leider nicht erlaubt.

Hilde war übrigens hellauf begeistert von dem, was sie nach meinem Besichtigungsabbruch im Topkapi noch hatte sehen können, wobei sie von den Schatzkammern besonders beeindruckt war. Hier bewunderte sie den Ebenholz-Thron Murats IV. und zahlreiche Gegenstände aus Gold, Jade und Perlmutt, ferner den Baldachin-Thron Ahmets I. und viele prächtige Schwerter sowie eine goldene Wiege, außerdem den mit nicht weniger als 25.000 Edelsteinen und Perlen besetzten Thron des Nadir Schah nebst prächtigem Schreibgerät, Vasen, Fächer, Schwerter und goldene Leuchter – mit über 6.000 kleinen Diamanten besetzt! Das Reliquienhaus wäre sicher auch für mich von besonderem Interesse gewesen, wird doch hier unter anderem ein Mantel, ein Siegel, ein Brief und ein Haar des Propheten Mohammed aufbewahrt.

Nachdem wir uns gegen 21 Uhr Verpflegung in basarähnlichen kleinen Geschäften eingekauft hatten, war damit unser touristischer Aufenthalt in Istanbul beendet, ein Besuch, der für uns höchst ergiebig und zudem sehr angenehm war. Hier könnte man Wochen verbringen! Wer mitgezählt hat wird wissen, dass wir in dieser Stadt nicht weniger als elf markante Sehenswürdigkeiten besucht haben, doch – wie gesagt – ein Istanbul-Aufenthalt könnte ohneweiteres auch ein paar Wochen ausmachen, ohne dass dabei Langeweile aufkommen würde.

Bursa am Fuße des Ulu Dağ

Nach erholsamer Nacht standen wir gegen 7 Uhr auf und rüsteten uns für die Weiterreise ins westliche Anatolien. Nach einem ausgezeichneten heißen Tee à 20 TL in einem winzigen Straßenrestaurant in Bahnhofsnähe erstanden wir am Hafen problemlos unsere Tickets à 300 TL hinüber nach Yalova quer übers Marmarameer und freuten uns nun darauf, dass uns in der Türkei auch eine längere Schiffsreise vergönnt sein würde. Gegen 9 Uhr begann das Boarding, welches sehr ruhig und zivilisiert vonstatten ging, obwohl die Anzahl der Passagiere beträchtlich war; das schätzungsweise 500 Passagiere fassende Schiff füllte sich bis auf wenige Plätze.

Unsere »Dolmabahse«, Baujahr 1953, legte um 9.50 Uhr ab, glitt am Goldenen Horn mit dem weithin sichtbaren Topkapi Serail und den beiden Prachtgotteshäusern Hagia Sophia und der Sultan-Ahmed-Moschee vorbei, ehe es bei bestem Wetter das offene Meer erreichte. Um 10.40 Uhr stoppte das Schiff an der Insel Heybeli, die – soweit man das von Deck aus erkennen konnte – ein sauberes Eiland ist. Nach dem 2. Stopp an der Insel Büjükada wenige Minuten später kam dann der große Sprung hinüber nach Yalova, wo wir pünktlich um 12 Uhr festmachten.

Auch das Vonbordgehen verlief in gewohnt ruhiger Manier, so dass wir bereits nach 10 Minuten die Kontrollsperre hinter uns hatten. Da es unsere Absicht war, sofort weiter bis Bursa zu fahren, erkundigten wir uns auf dem weiten Vorplatz sogleich nach einem Bus, der uns linksseitig auch prompt gezeigt wurde. Für die Fahrt von hier nach Bursa standen sogar mehrere Vehikel bereit, alles Fahrzeuge in bestem Zustand – eine für Orientgeschädigte sehr angenehme Überraschung! Im Bus erhielten wir für à 300 TL unsere Plätze, und als schon nach wenigen Minuten alle Plätze besetzt waren (Stehplätze sind nicht zugelassen), ging’s ab in Richtung Bursa.

Unser Mercedes-Bus querte eine sehr schöne bewaldete Berglandschaft, die Sonne lachte und die Fahrgäste waren ruhig, freundlich und aufmerksam. Da dies für uns die erste Überlandbusfahrt in diesem Land war, registrierten wir dankbar, dass sich die Verhältnisse in dieser Hinsicht ganz und gar nicht mit jenen beispielsweise in Ägypten vergleichen lassen. Wir bemerkten kaum im Orient zu sein, und trotzdem war’s orientalisch, was den Menschen hier und vor allem auch der eigentümlichen, beinahe mystischen Musik anzusehen beziehungsweise anzuhören war. Busfahren in der Türkei, das sei vorweggenommen, ist ein wahres Vergnügen, vor allem, wenn man mit anderen Ländern des Orients vergleicht. – Ankunft in Bursa um 13.15 Uhr.

Unser Hotel »Ömür« hatte ich bereits nach kurzer Suche gefunden und für 1.000 TL ein sauberes Doppelzimmer gebucht. Der Hotelbesitzer, ein gemütlicher Alter so um die Sechzig, war uns besonders wohlgesonnen und ständig um uns bemüht; schade nur, dass er nicht eine Silbe Deutsch sprach, und dennoch »verstanden« wir uns hervorragend. – In Hotelnähe suchten wir ein Restaurant auf, dessen jugoslawischer Besitzer uns nicht nur sprachlich, sondern auch kulinarisch verwöhnte. Als er hörte, dass wir morgen nach Çanakkale weiterfahren wollten, schickte er sofort seinen jüngsten Sohn mit dem Auftrag zum Busbahnhof, für uns die entsprechenden Auskünfte einzuholen. Zurück kam er mit einer ganzen Liste voller Abfahrts- und Ankunftszeiten: Abfahrt des ersten Busses 8 Uhr, Kosten für die 5-stündige Fahrt pro Person 1.000 TL. Nach dem Essen besorgten wir uns erst einmal die Tickets und konnten so sicher sein, die morgige Weiterreise planmäßig fortsetzen zu können.

Bursa – sagt man – bietet dem Fremden das Bild einer typischen türkischen Stadt mit Moscheen, Basaren, Brücken und engen Gassen. Nachdem wir diese malerisch am Fuße des über 2.500 Meter hohen Ulu Dağ gelegene ehemalige Sultanstadt per pedes durchmessen hatten, können wir dies bestätigen, wenngleich man das echte Alttürkische relativ lange suchen muss; es überwiegen weit mehr die modernen Straßen und Gebäude.

Unser erstes touristisches Ziel war die Große Moschee, die Ulu Camii, ein 20-kuppeliges, um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert erbautes Gotteshaus, dessen Inneres wir ohne Schuhe ungehindert betreten konnten. Die Ornamentierung ist schlicht; es dominieren große schwarzgeschriebene Suren auf beigem Grund und einfache Fenster. Ein helles Oberlicht fällt von der Zentralkuppel auf ein innen errichtetes, etwa vier mal vier Meter großes Waschbecken, eine mir bis dahin unbekannt gewesene Bauweise, denn normalerweise befindet sich der Hanafija außerhalb der Moschee. Wir hockten uns auf die roten Teppiche, beobachteten in separaten Nischen betende Frauen und einen koranbüffelnden Knaben, dessen monotone Wippbewegungen mit dem Oberkörper typisch waren. Auch von außen macht diese Hauptmoschee Bursas einen ziemlich schlichten Eindruck, zumal die einst sicher sehr schön gewesenen Minarette durch Erdbeben zerstört und nur in einfachster Form wieder aufgebaut worden waren.

Nach dem Moscheebesuch hielten wir uns in Richtung Hisar, dem markanten Zitadellenhügel der Stadt, denn wir wollten unbedingt die schöne Lage Bursas auch von oben sehen. Wahrlich, der Blick ist hervorragend! Man übersieht die ganze etwa 320.000 Einwohner zählende Stadt, sieht rechter Hand die weiten Hänge des Ulu Dağ sowie das vielkuppige Dach der soeben besichtigten Großen Moschee und nicht zuletzt zahlreiche Minarette. Der sich hier oben befindliche Uhrturm wird kurioserweise von einem Uniformierten mit Waffen bewacht, der Zutritt ist also leider untersagt.

Links und rechts des Einganges zum kleinen Zitadellenpark stehen zwei Mausoleen, die einen Besuch durchaus lohnen, auch wenn der Reiseführer sie gar nicht erwähnt. Das eine Grabhaus wurde für Osman Geti (1257 bis 1326 n. Chr.) errichtet, dem Gründer des 600 Jahre währenden Osmanischen Kaiserreiches. Das wie versilbert aussehende Gebäude enthält den mit einem rot-weißen Tuch behangenen Sarkophag, den ein weißer Turban krönt und nicht weniger als 16 weitere, mit grünen Tüchern eingehüllte Särge, vermutlich die letzten Ruhestätten seiner engsten Familienangehörigen. Der Raum ist sehr schön ornamentiert, und die überhohen Fenster sind mit schweren Vorhängen aufgewertet.

Im zweiten Grabhaus steht der Sarkophag des Orhan Gazil, Sultan von 1281 bis 1360 und ebenfalls einer der maßgeblichen Führer des Osmanischen Reiches. Orhan war es, der mit seinen Heerscharen bis Europa gestreift war und weite Teile des Balkans islamisiert hat. Der Sarkophag ist mit einem grünen Tuch behangen, ebenso die 20 weiteren Särge seiner Familie. Eindrucksvoll sind auch hier die hohen Fenster dieses Mausoleums, deren schwere Vorhänge nebst dem schön verzierten Kronleuchter dem Raum etwas Wohnliches vermitteln. Beiden Mausoleen sieht man es an, dass sie von engagierten Leuten in Ordnung gehalten werden, denn alles ist tipptopp.

Wieder unten in der Stadt, lernten wir einen fließend deutsch sprechenden 13-jährigen in Ulm geborenen Buben kennen, dessen Eltern seit drei Monaten wieder in der Türkei sind. In einem modernen Café aßen wir zusammen Eis, doch bald drückte es mich wieder hinaus, denn mir lag daran, heute noch ein paar wichtige touristische Ziele aufzusuchen, während Hilde es dagegen vorzog, ihren Programmtag als beendet anzusehen.

Ich ging die große, ziemlich belebte Atatürkstraße, Bursas Hauptstraße, ein paar Hundert Meter in östliche Richtung und gelangte zunächst zum großen Reiterdenkmal des Mustafa Kemal, dessen schwere Bronzemasse auf einem weißen Marmorsockel ruht; der umgebende kleine Blumenpark ist sehr gekonnt angelegt und allerbestens gepflegt. Von hier aus bis zum Grünen Mausoleum waren es nur noch zirka 300 Meter.

Diese nach der Großen Moschee drittgrößte historische Stätte liegt oben auf den zum Flüsschen Gök Dere abfallenden Hängen und wurde Anfang des 15. Jahrhunderts zusammen mit der gegenüberliegenden Grünen Moschee erbaut. In der Mitte des achtstöckigen Kuppelhauses stehen die Sarkophage des 1421 verstorbenen Mehmets I. und acht seiner engsten Angehörigen. Der Sarkophag Mehmets ist blau gekachelt und mit goldfarbenen Suren verziert. Sehr bemerkenswert sind auch der hohe Eingang und die jahrhundertealte schwere Holztür – beides sind Meisterwerke türkischer Ornamentik.

Gegenüber dem Mausoleum befindet sich Bursas zweitwichtigste historische Stätte, die Grüne Moschee, die in den Jahren 1413 bis 1421 unter Sultan Mehmet I. erbaut wurde. Sie erhielt ihren Namen aufgrund der einfachen Fayencenausstattung der Innenräume. Das Innere ist sehr dunkel und von vier Nebenkuppeln überdacht. Auffallend schön sind hier das Mihrab (Mekka-Ecke) und der Mimber (Predigtstuhl). Das historische Prachtstück ist ein linksseitig angebrachter, über 600 Jahre alter Teppich mit dem Motiv der Kaaba in Mekka.

Abends machten wir uns auf, noch einen gemütlichen Stadtbummel zu unternehmen, doch diesem Drang waren bald Grenzen gesetzt, denn die Busbahnhofsgegend war hierzu leider nicht geeignet. Da wir zudem keine Lust verspürten, nochmals in die Oberstadt beziehungsweise in die belebte Atatürkstraße zu gehen, beschränkten wir uns auf »unsere Gegend« und machten uns sogar noch nützlich, indem wir ein paar gerade erst angekommenen jungen Däninnen bei der Hotelsuche halfen. Mein Gott, hatte sich der gute Alte unseres Hotels gefreut!

Bis zu »Schliemanns Troja«

Die heutige lange Fahrt bis in den äußersten Westen Anatoliens sollte für uns wiederum ein Vergnügen werden, war doch das Wetter prächtig und die Stimmung nach fest durchschlafener Nacht optimal. Nach einem sehr guten Tee im Busbahnhof bestiegen wir unseren Bus, der bis auf wenige Plätze besetzt war und pünktlich um acht Uhr Bursa verließ. Mit an Bord waren noch zwei weitere junge Deutsche und eine perfekt englisch sprechende türkische Ärztin, die, wie sie uns gern erzählte, seit 1975 in New York lebt und nun für ein paar Wochen ihre Dorfverwandten besucht. – Die Fahrt ging durch landschaftlich sehr schöne Berggegenden, die vor Grün und Gesundheit strotzen und endete nach fünf Zwischenstopps unter anderem in Bandirne und Biga pünktlich um 13.30 Uhr im zirka 20.000 Einwohner großen Çanakkale, wo wir in nur 200 Meter Entfernung vom Busbahnhof schnell das saubere Hotel »Evsay« für 1.100 TL buchen konnten.

Unser Tagesziel waren die Ruinen des sagenhaften Troja, die erste von insgesamt drei geplanten Besuchen namhafter Altertumsstätten in der westlichen Türkei. Doch hatten wir Zweifel, ob sich dieser Besuch heute noch machen lassen würde, denn Troja liegt fernab jeglicher Siedlungen rund 35 Kilometer südlich Çanakkale. Aber wir hatten wieder einmal Glück, denn kaum hatten wir gegen 14 Uhr das Hotel verlassen, hielt neben uns ein Minibus, und man fragte uns gleich mehrstimmig, ob wir nach Troja wollten. Na klar, einsteigen und ab ging’s, für umgerechnet 80 Pfennige pro Person bis zur historischen Stätte. Da diese Fahrt meist durch dichtbewaldete Küstenstriche ging, war sie landschaftlich ein wahrer Genuss, zumal die tiefblaue Ägäis einen herrlichen Gegensatz zu den sattgrünen Küstenbergen bildete.

Aufrichtige Gastfreundschaft im tiefen Anatolien, Türkei

Das Eintrittsgeld in Höhe von à 100 TL sowie ein unkomplizierter Geldtausch beim Ticketjungen (100 DM gegen 13.000 TL) war rasch erledigt, so dass wir bereits um 15 Uhr mit dem gleich hinter dem Eingang befindlichen Museum beginnen konnten; die davorstehende Nachbildung des berühmten Trojanischen Pferdes empfanden wir als Kinderkram. – Umso mehr hatte es das gut sortierte, überschaubare kleine Museum in sich, wo wir Krüge, Schalen und sonstige aus grauem Lehm hergestellte Utensilien aus der Zeit um 3000 bis 2000 v. u. Z. bis hin zu jüngsten Funden aus der Zeit um 350 v. u. Z. besichtigte; letztere Gegenstände sind meist mit schwarzfarbenen Ornamenten verziert. Bemerkenswert ist zudem ein weißes Marmor-Jagdrelief, das Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung entstand und zu den wertvollsten hier gezeigten Funden zählt.

Der sich anschließende Rundgang auf dem relativ kleinen, daher sehr übersichtlichen Ausgrabungsgelände führte uns in eine Welt, die vor Jahrtausenden von regem Leben erfüllt war, denn Hisarlik – der Trojahügel – war schon um 4000 v. u. Z. besiedelt! Heute sind für den Laien leider nur noch zwei mickrige römische Theater und ein paar Treppen erkennbar, alles andere ist undefinierbar, meist völlig zerfallenes Mauerwerk. Schliemann, einer der namhaftesten Archäologen Deutschlands, legte hier nicht weniger als neun Siedlungsschichten frei (für den Laien nicht erkennbar) und bestimmte eine davon, die Schicht II, zum homerischen Troja. Doch er wurde vom Archäologen Dörpfeld korrigiert, denn die Troja-Schicht müsse die mit der Ordnungszahl VIIa sein. Endgültig geklärt ist es übrigens heute noch nicht ganz, ob es sich bei Schliemanns beziehungsweise Dörpfelds Entdeckungen überhaupt ums sagenhafte Troja handelt. – Nachdem wir uns von einem Tempelhügel aus die weite Talebene angeschaut hatten, in der so manche berühmte Schlacht geschlagen wurde, war unser Troja-Besuch zu Ende.

Die Rückfahrt nach Çanakkale konnten wir per Minibus schon nach kurzer Wartezeit antreten, so dass wir gegen 17 Uhr, also viel früher als erwartet, wieder in unserer Hotelstadt waren. – In einem sehr einfachen, aber nichtsdestoweniger sauberen Restaurant aßen wir uns an Hackfleisch, Brot, Kartoffeln und Paprika satt und zahlten dafür zusammen 400 TL, also keine 3,50 DM! Hier machten wir eine erste kurze Zwischenbilanz: Seit der Ankunft in der Türkei bis hierher kostete uns der Aufenthalt ganze 50 DM pro Kopf.

Nachdem wir uns im Busbahnhof für morgen Früh 8.15 Uhr die Tickets à 800 TL für die knapp 5 Stunden dauernde Fahrt nach Bergama besorgt hatten, machten wir einen ausgiebigen Hafenspaziergang, der uns in besonders guter Erinnerung bleiben wird: Die tiefstehende gelbe Abendsonne beschien pechschwarze schwere Regenwolken und verlieh dem Hafen mit seinen kleinen Fischer- und Segelbooten eine Atmosphäre ganz besonderer Art, zumal sich die wie mit Gold bestrichene Häusersilhouette höchst malerisch vom Schwarz des Regenhimmels abhob – wirklich einmalig!

Gegen 19 Uhr waren wir wieder im Hotel und hatten dort Gelegenheit, uns bis nach 21 Uhr mit zwei aufgeweckten, allerdings noch ziemlich reiseunerfahrenen jungen Leuten aus Münster (sie) beziehungsweise aus Holland (er) zu unterhalten, die bis auf ein unschönes Erlebnis in Istanbul mit ihrem Türkeiaufenthalt zufrieden waren. Ein junger türkischer Reiseführer hatte sich an seinem Mädchen vergriffen!

Via Bergama nach Izmir

Bis zum Wecken um 6.30 Uhr schliefen wir beide den Schlaf der Gerechten und freuten uns darüber, dass auch das Wetter wieder gut war, sah es doch gestern Abend sehr nach schwersten Regengüssen aus. Mein mitgenommenes Taschenthermometer zeigte heute Morgen frische 20 Grad an, während es gestern im Bus nach Çanakkale nie unter 35 Grad gefallen war. Nach unserem mageren Zimmerfrühstück (Brot, Tomaten und Wasser) genossen wir am Busbahnhof wieder besten heißen Çay und bestiegen dann wohlgelaunt das gen Süden fahrende Bergama-Vehikel, pünktliche Abfahrt um 8.15 Uhr.

Auch diese oft direkt an den ägäischen Küsten entlangführende Fahrt war von besonderem landschaftlichem Reiz und daher unvergesslich: Tintenblaues Meer, ein strahlender Himmel und dunkelgrüne Kiefernwälder (meist Krüppelkiefern) ließen unsere Naturfreundherzen höher schlagen. So verging die Zeit dieser herrlichen Panoramafahrt eigentlich viel zu schnell, und ehe wir’s uns versahen, lagen vier Stopps hinter uns. Es war 12.45 Uhr, als uns der Busfahrer rund sieben Kilometer vor Bergama an einer Kreuzung aussteigen ließ (diese Buslinie hält offensichtlich nicht hier) und wir uns anschickten, »den Rest« zu Fuß zu machen. Doch so etwas würde einem in Deutschland passieren, nicht aber in der Türkei, denn es hielt bereits der erste in Richtung Bergama fahrende Pkw, ohne dass wir ihn gestoppt hätten. Wir quetschten uns mitten in eine aufgeweckte türkische Familie und waren binnen weniger Minuten in Bergama, der Stadt am Fuße des berühmten historischen Pergamon-Hügels.

Hier nun brauchten wir uns nicht auf Hotelsuche begeben, war doch das Tagesziel Izmir. Am »Otogas«, also dem Busbahnhof, erwarben wir problemlos für den Bus um 18.30 Uhr unsere Fahrkarten à 200 TL nach Izmir und durften im Office ohneweiteres auch unsere Reisetaschen deponieren, so dass wir schon kurz nach 13 Uhr mit der »Eroberung« von Pergamon beginnen konnten.

Der direkte Weg hinauf führte uns zunächst durch die Hauptstraße Bergamas, die sich später, als die Anhöhe begann, in zahlreiche Gassen und Gässchen gabelte. Schließlich ereichten wir eine geteerte Autostraße, die um den Berg herumführt und nach gut einer Stunde Fußmarsch auf dem 330 Meter hohen Bergplateau endet. Erwähnenswert ist unbedingt die phantastische Landschaft, die wir linker Hand bis hin zur fernen blauen Ägäis überblicken konnten. Malerisch auch das zirka 22.000 Einwohner zählende Städtchen Bergama, die bewachsenen Berge und die weit abseits des Pergamon-Hügels gelegenen Reste historischer Viadukte.

Nun standen wir also wieder auf höchst historischem Boden und genossen zunächst einmal nach allen Seiten hin eine grandiose Aussicht – über sehr weite fruchtbare Täler bis hin zu den Bergen des Horizonts. Von der Altgeschichte Pergamons ist so gut wie nichts bekannt, doch ist sicher, dass dieser prächtige Hügel vermutlich Jahrtausende vor dem 3. Jahrhundert v. u. Z., dem Zeitpunkt der nachgewiesenen Geschichte, besiedelt war. Den letztgenannten Zeitpunkt markiert kein Geringerer als Alexander der Große, der hier oben einen Schatz aufbewahren ließ, den sich unrechtmäßig ein gewisser Philetairos aneignete und ihn zur Basis seines Pergamenischen Reiches machte. Auch dessen Nachfolger waren tatkräftig sowie kunstliebend und bauten am Hügel fleißig weiter. Dem Herrscher Atalos I. (241 bis 197 v. u. Z.) schließlich ist es zu verdanken, dass der Hügel unter anderem mit dem prachtvollen, heute in Berlin stehenden Zeus-Altar, bebaut wurde.

Unser ausgiebiger Rundgang führte über antike Straßen bis zu den Ruinen der einstmals 200.000 Bände umfassenden Bibliothek, vorbei an ehemaligen Palästen, Tempeln, Altären, Bädern, Gymnasien, Toren und zuletzt auch zum großen römischen Theater, das sich von allen Bauwerken im weitaus besten Zustand befindet. Die herrliche, aus weißem Marmor bestehende Akropolis wurde zur Zeit unseres Besuches gerade von einer deutschen Archäologengruppe – soweit das aufgrund vorhandener Säulen noch möglich ist – wieder aufgerichtet; ich zählte 13 bereits wieder stehende Säulen.

Um zu unserem nächsten Ziel – der Basilika oder Roten Halle – zu gelangen, mussten wir wieder absteigen, wagten dabei aber eine zeitsparende, wenn auch mühsame Abkürzung, die uns über sehr steile Stellen bis hin zur sicheren Teerstraße führte. Die Rote Halle war also schnell erreicht, zumal wir aufgrund der Sicht von oben genau wussten, wo sie liegt. – Hierbei handelt es sich um eine gewaltige Ziegelruine, die sich auf finsteren Gewölben über dem in der Antike sehr bedeutenden Fluss Selinus erhebt. Das unter Kaiser Hadrian errichtete Gebäude stammt aus den Jahren 117 bis 138 n. Chr. und war zunächst vermutlich ein Gott-Serapis- oder Isis-Tempel; später wurde das Gebäude zur Basilika des Apostels Johannes.

Es machte uns Spaß, die etwa 100 mal 200 Meter große Anlage zu erkunden und jene schmalen Gänge zu betreten, die in grauer Vorzeit nur von eingeweihten Priestern begangen wurden, wenn diese zur riesigen Kultstatue eines Gottes gingen, um – wie es überliefert ist – »die Gottheit sprechen zu lassen«. Das Hauptgebäude ist 60 mal 26 Meter groß. Die mächtigen Außenmauern und die Fenster sind noch recht gut erhalten, aber es fehlt das Dach, es ist auch nicht bekannt, um welche Konstruktion es sich dabei gehandelt hat.

Rast in einem kleinen Café in der Hauptstraße Bergamas bei sehr gutem Çay. Und was sehen wir hier? Einen bestens deutsch sprechenden Türken, der gleich vier reichlich doofe Touristenweibchen so um die 16 Jahre alt und vermutlich aus dem Rheinland stammend abschleppte!

Ahnend, dass es mit der Weiterfahrt nach Izmir vielleicht etwas eher klappen könnte, gingen wir zum Busbahnhof und erfuhren, dass wir den Bus um 17.30 Uhr gerade noch erwischen könnten. Der Tickettausch wurde von freundlichen Büroleuten blitzschnell erledigt, unser Gepäck fanden wir unangetastet vor, und ab ging es ins rund 100 Kilometer weiter südlich gelegene Izmir, der nach Istanbul bedeutendsten türkischen Hafenstadt am Mittelmeer.

Nach abermals sehr schöner und angenehmer Fahrt erreichten wir Izmir nach Sonnenuntergang, eine Riesenstadt, die – soweit wir während der langen Fahrt entlang der tiefeingeschnittenen Bucht hatten sehen können – zudem auch noch Industriestadt ist, also kein Platz für Urlauber! Und dennoch wollten wir diese bereits in der Antike gegründete Stadt etwas genauer kennenlernen. Izmir hat über 600.000 Einwohner und liegt am Ende des gleichnamigen Golfes am Westhang des Kadifekale, jenes Festungsberges, dem wir unbedingt einen Besuch abstatten wollten.

Per Stadtbus fuhren wir ins Zentrum beziehungsweise entstiegen dem Bus in Hauptbahnhofsnähe, wo wir nach kurzer Suche in einer uns nicht sehr geheuren Seitenstraße ein akzeptables Hotel für 1.400 TL fanden, das ich gleich für zwei Nächte buchte und bezahlte. – Da es unsere Absicht war, per Zug weiter bis Konya zu fahren, führte unser abendlicher Spaziergang zunächst zum Bahnhof, wo wir jedoch die enttäuschende Auskunft bekamen, dass der Zug bereits morgens abfährt und erst am darauffolgenden Vormittag in Konya ankommt. Also entschieden wir uns wieder für den Bus, den wir in einem kleinen Reisebüro in Bahnhofsnähe für den 29. September abends 21.15 Uhr buchen konnten; Ankunft bereits am nächsten Morgen, also immer noch genau nach Reiseplan!