Traumziel Fin del Mundo – Muschelgeld und Sommerschnee - Harald Stöber - E-Book

Traumziel Fin del Mundo – Muschelgeld und Sommerschnee E-Book

Harald Stöber

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Beschreibung

Sich die enorme Vielgestaltigkeit Lateinamerikas von Mexiko bis zum Ende der Welt – Fin del Mundo – »live« unter die Haut gehen zu lassen, ist eine beachtliche intellektuelle und physische Leistung, der sich unser Autorenehepaar jahrelang mit viel Engagement unterworfen hat. Ob als Lehrer im deutschstämmigen Süden Brasiliens, als Amazonasreisende oder als Bewunderer altindianischer Kulturen – stets waren die Autoren dieses prickelnden Reisebuches mit Herz und Seele dabei. Sie bereisten mit viel Mut zum Risiko auch Länder und Gebiete, die entweder aus politischen Gründen suspekt, zu gefährlich oder touristisch noch völlig unerschlossen sind. Der Leser, der sich Seite für Seite »live« dabei fühlt, wird die Erlebnisfülle und objektiv-kritische Einstellung zu den Gegebenheiten dieser Welt zu schätzen wissen. Er soll aber auch ermutigt werden, ebenfalls ohne rosa Brille auf Tour zu gehen, denn die Wirklichkeit sagt mehr als tausend Bilder und Worte!

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Seitenzahl: 397

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Harald Stöber

TRAUMZIEL FIN DEL MUNDO

Muschelgeld und Sommerschnee

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright (2011) Engelsdorfer Verlag

Alle Rechte beim Autor

Titelfoto:

Traditioneller Empfang in Polynesien

Coverrückseite:

Der Autor im Gran Chaco, Südamerika

www.engelsdorfer-verlag.de

eISBN: 978-3-86268-799-2

Der aus Büchern

erworbene Reichtum

fremder Erfahrung

heißt Gelehrsamkeit.

Eigene Erfahrung

ist Weisheit.

Lessing

Gewidmet allen

Optimisten, die

das Schöne neben

den Sorgen sehen.

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

25.000 KILOMETER DURCH SÜDAMERIKA

Überblick

Neue Heimat für Deutsche und Österreicher

Meyer, Schneider & Co. in Blumenau

Nahe am Teufelsschlund der Iguaçu-Fälle

Santa Catarina – ein europäisches Werk

Zum Pizza-Weltmeister »König Lulu«

Gold im Rio Madeira – Indios am Amazonas

Wo sich Paraguay, Argentinien und Brasilien treffen

Zwischen Punta Arenas und Titicaca-See

2. Kapitel

DURCH DIE WELT DER AZTEKEN, MAYAS UND INKAS

Überblick

Maya-Sonnentempel und »Gefiederte Schlange«

Zum mystischen Xunantunich in Belize

»Großer Jaguar« und Tierblut in Guatemala

Ruhmreiche Kriegstradition in El Salvador

Vom Silberberg zur Maya-Pyramide in Honduras

Feuerberge und Koloniales in Nicaragua

Zivilisation und Niedergang in Costa Rica

Panama – Land zwischen den Amerikas

Vom Mut, Kolumbien zu bereisen

Ecuador – »Land des Mittelpunktes der Welt«

Erfreuen an Altspanischem in Kolumbien

Westliches Venezuela bis zum Falcón-Öl

Die Niederlande hätscheln Curaçao

Gefährliches Caracas und pittoreskes Tovar

Venezuela bis in Sichtweite Trinidads

3. Kapitel

BUNTE PONCHOS UND ZAHME ECHSEN

Überblick

Weltkulturerbe Quito und schlafende Vulkane

Galápagos – Inseln zum Verlieben und Staunen

4. Kapitel

VIA OSTERINSEL UM DIE WELT

Überblick

Pünktchenkunst und Jungsteinzeitliches

Kriegsschrott, Muschelgeld und teures Nickel

Lächelndes Polynesien und mystische Moais

In Chile brodelt es

Weltstadt Buenos Aires – die Gute Luft

Naturdramatik auf Feuerland

Tango in der »República de San Telmo«

5. Kapitel

CHILE UND SOMMERSCHNEE AUF FALKLAND

Überblick

Bachelet und Chávez in Santiago

Befreiungshelden und raue Natur

Via Chile zurück nach Deutschland

1. Kapitel

25.000 KILOMETER DURCH SÜDAMERIKA

Überblick

Wer uns kennt, weiß, dass wir selbstverständlich nicht nach Brasilien gegangen sind, um uns nur zu ärgern. Und so nahmen wir uns von Anfang an vor, möglichst viel von Kultur und Natur aus eigenen Perspektiven zu erleben. Da aber Südamerika nicht gerade ein Inselchen ist, bedurfte es teils sehr weiter Reisen, die wir – unserem Stile treu bleibend – stets individuell durchführten. Es liegt auf der Hand, dass wir dabei unserem Gastland Brasilien besondere Aufmerksamkeit schenkten, ein Land, das mit 8,51 Millionen Quadratkilometern 24-mal größer als Deutschland ist, aber »nur« 170 Millionen Menschen beherbergt; das sind pro Quadratkilometer 20 Bewohner, in Deutschland sind dies 220! Im ersten Jahr 1994 unternahmen wir sieben Touren unterschiedlichster Dauer und legten dabei per Bus, Bahn und Schiff insgesamt zirka 25.000 Kilometer zurück, im zweiten noch einmal 15.000!

Festumzug zur 25. Jahrfeier des »Centro Cultural Dona Leopoldina« in Treze Tílias,Santa Catarina.

Das Herausragendste war unsere mehrwöchige »Expedition« ins Amazonasgebiet. Vorausgeschickt sei ebenfalls, dass wir gottseidank keine gravierenden gesundheitlichen Probleme hatten. Als Lehrer ging es mir oft allerdings an die Substanz.

Neue Heimat für Deutsche und Österreicher

Brasilien

Der erste Schritt hinaus aufs Land war beinahe zaghaft, denn wir mussten uns ja erst an die fremden Gegebenheiten gewöhnen. Es ergab sich, dass wir uns einer kleinen Besuchergruppe aus Österreich anschließen konnten, welche die Absicht hatte, per Kombi gen Osten und Südosten zu fahren: Santa Catarina und Rio Grande do Sul – eine Schnuppergelegenheit! Auf dieser Tour legten wir zirka 1.700 Kilometer zurück, ein recht bescheidener Anfang also. Allgemein sei gesagt, dass die Landschaften in etwa jenen deutscher Mittelgebirge entsprechen, aber immergrün sind, ihre Flüsse und Seen sind fast alle noch im ursprünglichen Zustand; wenn man jedoch Urwald sieht, handelt es sich nur noch um klägliche Reste. Das Klima ist ab November bis Februar sehr schwül und deshalb für anstrengende Touren kaum geeignet; außerdem muss täglich mit meist heftigen Gewittern gerechnet werden.

Der erste Ort, den wir besuchten, hieß Nova Petrópolis, dem es noch heute anzusehen ist, dass er einst von deutschen Pionieren gegründet worden war. Und so steht im touristischen Mittelpunkt auch ein sehenswertes Freilichtmuseum inmitten eines noch ursprünglichen Hochwaldes, das einen hervorragenden Blick in jene Zeit erlaubt, als es noch galt, hart arbeitend seine Existenz zu sichern. Die aus Holz bestehenden Häuser, Ställe, Werkstätten, die Schule und Kirche wurden aus verschiedenen Gegenden zusammengetragen und hier originalgetreu wieder aufgebaut. Von allen Ausstellungsstücken kann man sagen, dass sie in eindrucksvoller Weise die schwere alte Zeit dokumentieren.

Ein weiterer Höhepunkt war der Besuch Gramados, das in angenehmer Höhe liegt, aber in Reichweite der Großstadt Porto Alêgre, so dass der Ort – einst ebenfalls von Deutschen gegründet – sich rasch zu einer bedeutenden Touristenstadt entwickelte. Heute macht Gramado, die »Stadt der Hortensien«, einen ausgesprochen wohlhabenden Eindruck, so dass sich beispielsweise Misereor in Aachen hier jede »in die Armut« investierte Mark sparen könnte. Dass Gramado längst auch zu einem teuren Pflaster geworden ist, liegt auf der Hand beziehungsweise ist typisch brasilianisch.

Attraktionen gibt es hier zu Hauf. Da ist vor allem das großartige Vale do Quilombo, in das man vom Stadtrand aus hineinsehen kann und der nahegelegene Wasserfall Véu das Noivas, der sich aus zwanzig Metern in ein kleines Urwaldtal ergießt. Schließlich verdient die Stadt als solche Beachtung, vor allem die Hauptstraße mit ihren Fachwerkfassaden und ihren beiden Kirchen. Nicht von Bedeutung, aber besuchenswert (weil fotogen) ist Mini Mundo, ein Park mit Repliken deutscher Städte, Burgen, Schlösser und Bahnen. Erwähnenswert sind auf jeden Fall auch die noblen Wohngegenden mit riesigen Gärten und teuren Villen. Hier könnte man es länger aushalten! Misereor dürfte hier also fehl am Platze sein.

Der kleine Ort Canela zeigt außer einem besuchenswerten Museum und der Pfarrkirche im Stile englischer Gotik kaum etwas, doch umso interessanter sind die ausgestellten und funktionierenden Dampfmaschinen unterschiedlicher Größe, eine alte Werkstatt und nicht zuletzt die Standl-Halle, in der man von einem typischen deutschen Holzhäuschen zum anderen gehen kann und zum Kaufen von Kleinkunst animiert wird, und zwar von attraktiven jungen Damen in deutschen Originaltrachten. Dass auch hier, wie bereits in Gramado, das Deutsche nicht mehr verstanden wird beziehungsweise kaum mehr ans Ohr dringt, ist ein Kapitel für sich.

Die Fahrt hinunter nach Torres galt dem dortigen Badestrand am Südatlantik, der angeblich zu den populärsten zählt. Jedenfalls trifft man hier auf einen sauberen Badestrand, der allerdings von brasilianischen Leibern – schönen und hässlichen – überzuquellen droht. Der unansehnlichen Stadt Torres selbst braucht man keine Stunde zu opfern.

Zurück ging es über Criciuma Richtung der landschaftlich atemberaubenden Serra Geral, die wir via einer schmalen Gebirgsstraße querten. Nachdem unser Kombi die zahlreichen, teils enorm engen Serpentinen geschafft hatte, bot sich uns ein unendlich weiter Blick zurück gen Osten.

Meyer, Schneider & Co. in Blumenau

Wer kennt Blumenau nicht!? Diesen namhaften Ort wollten wir auf jeden Fall ohne Begleitung besuchen, so dass wir das erste Mal einen von Joaçaba aus fahrenden Überlandbus benutzten. Als wir in einem solchen Vehikel saßen und schließlich völlig problemlos bis zu diesem zirka 400 Kilometer entfernten Zielort gebracht worden waren, durften wir erleichtert sein: Busfahren in Brasilien ist vergleichsweise (Orient, Afrika, Asien) ein Kinderspiel, es ist bequem und preiswert. Also stand uns nun ganz Brasilien offen!

Wir erreichten das zu dieser Jahreszeit besonders schwül-heiße Blumenau erst am späten Abend und waren erstaunt, welch großstädtischen Eindruck die hell erleuchteten Straßen, die Geschäfte und Häuser machten. Blumenau wurde 1850 vom deutschen Arzt Dr. Hermann Blumenau gegründet, der eine Gruppe deutscher Siedler ins Innere des Staates Santa Catarina führte, um mit Unterstützung der Regierung eine landwirtschaftliche Kolonie ins Leben zu rufen. Das Experiment gelang, und Dr. Blumenau wurde zum verbeamteten Siedlungsdirektor ernannt. Bereits 1880 war aus der zunächst sehr bescheidenen Kolonie ein 11.500 Quadratkilometer großes Munizip geworden, das sich wieder in 31 Munizipien gliederte. Heute zählt die Stadt gut 150.000 Einwohner und hat eine Universität.

Touristische Anziehungspunkte besonderer Art gibt es kaum, aber allein schon die Lage am lehmigen Fluss Itajaí und das geschlossene Stadtbild sind auf jeden Fall einen ausgiebigen Besuch wert. Immerhin zehrt Blumenau von dem Image, die vollendetste deutschstämmige Siedlung ganz Brasiliens zu sein, womit sie zum Inbegriff deutscher Pionierarbeit wurde. Aber auch hier spielt heutzutage das Geschäft mit den Touristen eine absolut dominierende Rolle, wenngleich Blumenau auch auf eine beachtliche Anzahl gewerbetreibender Betriebe und auf gut zweitausend Handelsniederlassungen verweisen kann. Das Deutsche ist jedoch nur noch eine Fassade; so sollen es kaum mehr als fünf Prozent der Bewohner sein, die noch die Sprache ihrer Vorfahren sprechen.

Im 1850 gegründeten Blumenau in Südbrasilien erinnert man sich noch gern seinerdeutschen Herkunft.

Kein Zweifel, dass zumindest der äußere Eindruck aber immer noch deutsch ist, was man allenthalben sehen und hören kann: Die allermeisten Häuserfassaden in der Innenstadt sind aus Fachwerk, Handwerkerschildchen baumeln vor Geschäften, es fließt deutsches Bier und Trachtenkapellen spielen zum Vergnügen trinkfreudiger Brasilianer Urdeutsches. Auch auf deutsche Namen stößt man, so oft man will: auf Moellmann, Hering, Meyer etc. Die erstgenannte Familie führt bereits seit gut hundert Jahren das größte Kaufhaus am Platze, untergebracht im fotogensten Gebäude aus jener Zeit. Dagegen missfällt die Prefeitura, ein Riesenbau in schlecht imitiertem Fachwerkstil. Die davor platzierte alte Dampflok ist jedoch ein Foto wert.

Kaum 35 Kilometer nördlich von Blumenau liegt das Örtchen Pomerode, das wir per lokalem Bus erreichten. Auch der Anfang dieses Ortes geht auf die deutsche Pionierzeit des 19. Jahrhunderts zurück, weshalb versucht wird, jene Zeit in Ehren zu halten. Sehenswertes gibt es kaum, wenn man einmal von der alten Dorfkirche mit ebenso altem Friedhof absieht, der vor deutschen Pioniernamen nur so strotzt.

Farmer Carlos hat sich seinen Frohsinn trotz vieler Anfeindungen nach dem ZweitenWeltkrieg nicht nehmen lassen.

Aus alter Zeit hat sich jedoch ein Name bestens erhalten, und zwar Schneider, der Inbegriff deutscher Porzellanherstellung in Brasilien. Wandschmierereien zeigen jedoch, dass Schneider als Nazi denunziert wird, wenngleich der Ort mehr oder weniger von ihm lebt. Bereits in Blumenau war uns zu Ohren gekommen, dass das Verhältnis vieler Deutschstämmiger zu den Brasilianern alles andere als »bereinigt« gilt. Sogar junge deutschstämmige Leute drohten – wir hörten es: »Diese Schweine kriegen wir noch!« Damit sind jene Brasilianer gemeint, die nicht davor zurückschreckten, heißes Öl und falsche – weil deutschsprachige – Zeitungen in jene Rachen zu gießen beziehungsweise zu stopfen, aus denen bewusst oder unbewusst Deutsch zu hören war. Derartiges wird selbst in Brasilien nie vergessen!

Nahe am Teufelsschlund der Iguaçu-Fälle

Da wir ausgesprochene Naturliebhaber sind und zudem Ostern auf dem Kalender stand, lag es nahe, die weltberühmten Iguaçu-Wasserfälle im Länderdreieck Brasilien – Argentinien – Paraguay zu besuchen, zirka 600 Kilometer von Treze Tilias (über Joaçaba) entfernt. Da wir hörten, dass die dortigen Hotels wegen der absoluten Attraktivität des »Großen Wassers« sehr teuer seien, was in Wirklichkeit jedoch – wieder einmal – nicht zutraf, entschieden wir uns für einen Ausflug ohne Hotelübernachtung. Die erste Nacht verbrachten wir in einem Bus und die zweite auf der Rückfahrt ebenfalls.

Blick auf die grandiosen Iguaçu-Wasserfälle im Länderdreieck Brasilien – Argentinien– Paraguay.

Die Iguaçu-Wasserfälle wurden zwar bereits 1540 von einem spanischen Gouverneur von Argentinien aus entdeckt, aber sie blieben der Welt dennoch jahrhundertelang verborgen und somit sagenhaft. Irgendwie sind sie das auch heute noch! Wir besahen uns die über 1.200 Meter breiten Cascatas, die in 275 mehr oder weniger wasserhaltigen Strähnen in zwei Stufen in die Tiefe donnern, stundenlang an und staunten immer wieder: Welch eine Dramatik! Bekannt ist die Geschichte eines hartgesottenen Globetrotters aus den USA, der angesichts dieses »Großen Wassers« ausgerufen haben soll: »Arme Niagara-Fälle!«

Von der brasilianischen Seite aus kann man die Fälle in den Morgenstunden am besten sehen. Wir gingen gen Teufelsschlund stets entlang des tief eingeschnittenen Cañons und sahen alle paar Meter andere, immer schöner werdende Landschaftsbilder, die meist von urwäldlichem Bewuchs umrahmt sind. Hier könnte man tausend Dias und einige Kilometer Film verbrauchen, ohne sich anzustrengen! Da der Naturschutzpark, in welchem sich die Fälle befinden, sehr weitläufig ist, ist es kaum ein Problem, mit den vielen Touristen fertigzuwerden; dagegen tritt man sich am Teufelsschlund – dem eindrucksvollsten Abschnitt am hinteren Ende der Fälle – fast auf die Füße. Dennoch: Die Eindrücke, denen sich jeder Besucher hier ausgesetzt fühlt, sind überwältigend und bleiben für alle Zeiten unvergessen.

Santa Catarina – ein europäisches Werk

Dank Schulferien hatten wir Gelegenheit, eine etwas inhaltsreichere Tour zu unternehmen, die zwar mit ihren zirka 1.600 Kilometern nicht gerade lang ausfiel, dafür aber umso interessanter war. Wir besuchten per Bus sieben Städte, die alle ihre Besonderheiten haben.

Unser erstes Ziel war die bereits 1726 gegründete heutige Hauptstadt von Santa Catarina, Florianópolis, die früher einmal »Verbannung« hieß und zwecks gründlicher Kolonisierung des tiefen Südens als Inselfestung angelegt worden war. Hier dominierten allerdings nicht deutsche Siedler, sondern portugiesische von den Azoren und Madeira. Doch der Einfluss Blumenaus und Joinvilles war so stark, dass Desterro (das ist Verbannung) um seinen Ruf zu kämpfen hatte; die Bedeutung von Florianópolis ging tatsächlich stark zurück, aber der 1895 zur Stadt erhobene Ort blieb bis heute der für Santa Catarina zuständige Verwaltungssitz.

Verglichen mit Blumenau hat »unsere Hauptstadt« jedoch wesentlich mehr Historisches zu bieten, vor allem rund um die mit sehr alten Riesenbäumen bestandene Praça XV de Novembro. Hier ragt die 1750 errichtete Kathedrale in den Himmels, und im bestens restaurierten Gouverneurspalast mit Wachen in historischen Uniformen kann man großartig ausgestattete Räume, Flure, Treppenaufgänge und Emporen bewundern. Unweit dieses schönen Platzes stießen wir auf den historischen Mercado Público von 1898, ein Gebäudekomplex mit einem Biergarten voller Leben in Sichtweite des Hafens.

Allgemein lässt sich sagen, dass Florianópolis ein angenehmes Flair ausstrahlt, die Stadt ist relativ sauber und die Bewohner machen einen normalbrasilianischen Eindruck, legen also beispielsweise auf ihre Kleidung so gut wie keinen Wert und sind trinkfest.

Im 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt gelegenen Itajaí, wo sich seltsamerweise der Hauptsitz der Polizei des Bundeslandes befindet, mussten wir uns bei eben dieser Dienststelle einen Verlängerungsstempel in die Pässe drücken lassen; das war ein ziemlich aufwendiger Hoheitsakt! Die nur zirka 80.000 Einwohner zählende Stadt liegt an der Mündung des Rio Itajaí-Açu und kann leider nicht viel Touristisches bieten, wenn auch die neugotische Kirche Do Santissimo Sacramento durchaus sehenswert ist, und zwar vor allem wegen der künstlerisch wertvollen Gemälde des Italieners Aldo Locatelli. 1920 Grundsteinlegung und 1941 Baubeginn – typisch brasilianisch, könnte man sagen! Gleich daneben steht der Marcos-Palast beziehungsweise die ehemalige Prefeitura, der heute ein sehenswertes historisches Museum beherbergt. Die von hier in Richtung Hafen führende Fußgängerzone endet an einem kleinen Platz mit ebenso kleiner Kirche.

Per Autofähre ließen wir uns hinüber nach Navegantes tuckern, ein Ort, der lediglich wegen des Flugplatzes eine Bedeutung hat. Auffallend ist allerdings die weithin sichtbare katholische Kirche, die – von Itajaí aus gesehen – wegen ihres minarettartigen Turmes fast den Eindruck einer Moschee macht. Wir hatten Glück und konnten die Ausfahrt eines riesigen Container-Schiffes beobachten.

Das in der Mitte des 19. Jahrhunderts gegründete Joinville war unser nächstes Ziel, eines, das sich besonders lohnen sollte. Die Stadt wurde von Einwanderern aus Deutschland, der Schweiz und Norwegen aufgebaut, die zunächst die Kolonie Dona Francisca gegründet hatten. Joinville gilt als das »Manchaster von Santa Catarina«, zählt also zu den eindrucksvollsten Städten Brasiliens, kein Wunder, dass sich hier die Bediensteten eines deutschen Generalkonsulats besonders wohlfühlen.

Die Sehenswürdigkeiten waren schnell besichtigt, und zwar das Museu Nacional da Imigraçao e Colonizaçao und der urwüchsige alte deutsche Bahnhof. Während das Museum mit seinen übersichtlich sortierten Exponaten aus alten Pionierzeiten eine Augenweide ist, könnten einem beim Anblick des Bahnhofes glatt die Tränen kommen: alles verkommen und tot!

Von Joinville aus besuchten wir per Tagesabstecher São Francisco do Sul, eine der ältesten Städte Brasiliens. Diese landschaftlich sehr schön liegende Inselstadt wurde aber leider sehr vernachlässigt, so dass man allenthalben auf verfallene Häuser trifft und nach sehenswerten historischen Überbleibseln vergeblich sucht. Lediglich ein kleines historisches Museum ragt heraus. Nicht versäumen sollte man jedoch vom Krankenhaushügel aus den weiten Blick über die blaue Bucht mit ihren malerischen Inseln.

So ziemlich das genaue Gegenteil erlebten wir in Curiţiba, der Hauptstadt des Bundesstaates Paraná: quirliges Leben, historisch Bedeutsames und großstädtisch. Diese heute weit über eine Million Einwohner zählende Metropole wurde bereits 1693 gegründet und erfreut sich dank der Höhenlage (907 Meter) eines ausgezeichneten Klimas. Der Name kommt aus der Tupi-Sprache und bedeutet so viel wie »reich an Kiefern«, ein Hinweis auf die in dieser Gegend weitverbreiteten Araukarien. Im Übrigen wurde Curiţiba in vielerlei Hinsicht – auch industriell – längst zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten für São Paulo.

Trotz ihrer Größe ist die Stadt jedoch für Touristen sehenswert geblieben, denn auch hier liegen, wie in São Paulo, die Attraktionen in der verkehrsberuhigten Innenstadt. Dass die Stadtväter von Zukunftsplanung etwas verstehen, beweisen ein sehr modernes innerstädtisches Bussystem (von dem sich München eine dicke Scheibe abschneiden sollte!) und die Fußgängerzonen, welche die ersten ganz Brasiliens waren. Umwelt und Lebensqualität stehen in dieser als »Modell für Brasilien« geltenden Stadt also nicht nur theoretisch im Vordergrund.

Für den Touristen ist es kein Problem, alles Sehenswerte zu Fuß zu erreichen, zumal sich fast jedes Ziel innerhalb des »historischen Sektors« befindet. Von der breiten »Blumenstraße« aus, der Rua 15de Novembro, gelangten wir zur neugotischen Kathedrale (1893) an der Praça Tirandentes und dem eigentlichen Zentrum, das heute eine zusammenhängende Fußgängerzone ist. Hier stehen die ältesten Bauwerke Curiţibas, namentlich die Kirchen Da Terceira Ordem de São Francisco das Chagas (1737) und Da Rosário (Mitte 18. Jahrhundert) und nicht zuletzt das älteste Haus der Stadt Casa Romário Martins, ebenfalls frühes 18. Jahrhundert. Hier sind heute ein kleines historisches Museum und das Stadtarchiv untergebracht. Eine Augenweide ist ein sehr repräsentatives Jugendstilgebäude: die ehemalige Prefeitura, die heute das bedeutende Paraná-Museum beherbergt. Schwerpunkt ist die Ethnologie, also die Kunde von den indianischen Völkern dieses Landesteiles. Aber auch das bürgerliche Milieu der Kolonialzeit und nicht zuletzt das Wirken der Jesuiten-Missionare ist einprägsam dargestellt.

Ein Leckerbissen für Naturfreunde ist der Abstecher hinunter nach Paranagua, einer kleinen Stadt an der gleichnamigen Bucht. Da wir nicht vorausgebucht hatten, konnten wir auf der Hinfahrt (zirka 100 Kilometer) zwar nicht die berühmte Bahnstrecke befahren, doch gelang uns dies zurück nach Curiţiba. Die Strecke gilt wegen ihrer zahlreichen gewagten Kurven, Stützmauern und Tunnel als technisches Meisterwerk des vorigen Jahrhunderts! Mindestens ebenso dramatisch ist jedoch die Busfahrt über die »Estrada da Graciosa«, eine nicht weniger eindrucksvolle Möglichkeit, nach Paranagua zu gelangen. Diese abenteuerliche Straße wurde bereits 1873 von kühnen Ingenieuren angelegt. Sie führt vor allem durch nebelverhangene Urwaldberge, die glatt vergessen lassen, auf welchem Planeten man sich befindet. Angesichts der krassen Fremdartigkeit der moosbeladenen Urwaldriesen glaubt man geradezu, Mystik fassen zu können!

Zum Pizza-Weltmeister »König Lulu«

Die Hauptstadt unseres Nachbarstaates Rio Grande do Sul ist die Millionenmetropole Porto Alêgre, die am riesigen Mündungsarm des Rio Guaiba liegt. Wir erreichten sie von Joaçaba aus bequem per Nachtbus. Als wir uns während des roten Sonnenaufganges der Stadt näherten, war uns sofort bewusst, es mit einer ganz normalen außertropischen Großstadt mit hässlicher Skyline zu tun zu haben.

Hier begannen Siedler von den Azoren (es handelte sich um sechzig Paare) mit der Kolonisation. Übrigens kenne ich kein land, das seine Kolonisten – ob in Uniform oder in Zivil – so betont verehrt, wie Brasilien. Manchmal glaubt man gar, dass es Halbgötter gewesen sein müssen – in Afrika undenkbar! Böse Zungen behaupten, das Glück der siedelnden Portugiesen und Spanier in Lateinamerika sei es gewesen, dass sie die Urbevölkerung – im Namen der Bibel, versteht sich – bis auf klägliche Restbestände dezimiert hätten. Politische Schlüsse mit Blick auf das südliche Afrika möchte ich an dieser Stelle nicht ziehen, sie würden verheerend ausfallen.

Die ersten Berichte über Siedlungsversuche gehen auf die Zeit um 1730/40 zurück. Anfang des 19. Jahrhunderts zählte man rund 6.000 Einwohner, und bereits 1822 wurde Casais (so der erste Ortsname) zur Stadt erhoben. Da die Landwirtschaft der Umgebung blühte und der Hafen schnell an Bedeutung gewann, wuchs Porto Alêgre rasch zur Großstadt heran. Heute zählt man mindestens 1,5 Millionen Einwohner, aber uns fiel sofort auf, dass vor allem der einst bedeutende Hafen kaum mehr eine Bedeutung hat. Wir entdeckten nur zwei dahinrostende Schiffe am Hauptkai.

Porto Alêgre ist touristenfreundlich, das heißt, man kann alle sehenswerten Punkte bequem per pedes erreichen. Die Stadt gliedert sich in eine Unter- und Oberstadt. Während die Unterstadt mit der Praça 15de Novembro, der alten Prefeitura, der Post und dem Stadtpalast in unmittelbarer Hafennähe liegt, gelangt man zur Oberstadt mit ihrer alles beherrschenden Kathedrale über die steile General Cámara. Besonders markant ist der am Hafen liegende Mercado Público von 1864, ein riesiges Steinquadrat, das dem Mercado da Figueira in Lissabon nachgebildet wurde. Es handelt sich dabei um das erste Steingebäude Porto Alêgres. Gleich daneben steht der großartige Palácio Munizipal, dessen Eingang zwei mächtige Steinlöwen bewachen. Davor ist der schön gekachelte Tala-Vera-Brunnen zu sehen. Dass der Palast die Handschrift eines italienischen Architekten trägt, ist augenfällig. In der Oberstadt dominiert, wie gesagt, die Kathedrale von 1921. Rechter Hand befindet sich der Palácio Piratini im Stile des »Sonnenkönigs«, in welchem sich die Regierung von Rio Grande do Sul einquartiert hat (Besichtigung nicht möglich). Ebenfalls am Platz Deodoro, der als der schönste Porto Alêgres gilt, liegt der moderne Justizpalast sowie das im »portugiesischen Barockstil« errichtete und 1858 eröffnete Theater São Pedro.

Den Abstecher nach Caxias do Sul sollten wir ebenfalls nicht bereuen, denn es ergab sich, dass wir »König Lulu« kennenlernten, den sogenannten Pizza-Weltmeister. Er hatte auf dem Busbahnhof unsere missliche Lage erkannt, weil uns sturerweise niemand ein paar US-Dollar tauschen wollte, aber Lulu half sofort. Er ist deutscher Abstammung und rühmt sich, dass selbst italienische Touristen seine Pizzas in den Himmel heben würden. Er lud uns in sein Restaurant ein und bot das Beste vom Besten, so dass wir wahrhaft königlich speisten. Ihn zu bezahlen, wäre eine nicht wieder gutzumachende Beleidigung für den »König« gewesen.

»König Lulu« – unter diesem Namen ist er brasilienweit bekannt – machte sich frei und steuerte mit uns zunächst auf die Hauptkirche São Pelegrino zu, die vom Italiener Aldo Locatelli großartig ausgemalt wurde. Bemerkenswert ist auch das überschwere Relief-Eisenportal mit Szenen aus der Welt der Arbeit. Der nächste Punkt war das Weinmuseum, das unter anderem zeigt, mit welch großen Mühen die 1875 eingewanderten Norditaliener hier den heute berühmten Weinanbau begannen. Dieses sehenswerte kleine Museum ist unterhalb des italienischen Einwanderungsdenkmals platziert, dessen Hässlichkeit beinahe sprichwörtlich ist. Ein drittes Ziel war das Freilichtmuseum außerhalb der Stadt, das historische Wohnhäuser, Werkstätten und eine Kirche zeigt – alles aus Holz und originalgetreu am Rande eines Waldes wieder aufgebaut. Die Stadt Caxias do Sul als solche ist mit gut 200.000 Einwohnern allerdings bereits zur ungemütlichen Großstadt geworden.

Gold im Rio Madeira – Indios am Amazonas

Diese Reise unternahmen wir im brasilianischen Winter, der im Süden bekanntlich ziemlich unangenehm werden kann. Das Thermometer zeigt in Treze Tilias nachts oft unter Null an, wobei das absolute Tief einmal mit minus 12 Grad gemessen wurde. Als wir starteten, schwallte gerade eine Kältewelle vom Süden herauf, die uns bis weit über Campo Grande hinaus verfolgte. Da Kälteeinbrüche dieser Art jedoch relativ selten sind, gibt es kaum Busse mit eingebauten Heizungen, so dass wir glaubten in Kühlschränken zu reisen. Insgesamt legten wir per Bus und Schiff zirka 16.000 Kilometer zurück, die wir gottlob ohne nennenswerte Probleme bewältigt haben. Mit dieser Amazonas-Tour erfüllte sich für mich ein alter Jugendtraum, und heute sagt auch Hildegard, dass dieses Erlebnis eines der großartigsten in ihren langen Reisejahren war. Aber Vorsicht: Ein Kinderspiel ist eine individuelle Amazonas-Tour sicher nicht!

Eine notwendige Zwischenstation legten wir in Foz do Iguaçu ein, wir querten die hohe Brücke über den Rio Paraná, von der uns der eiskalte Wind fast heruntergefegt hätte, und gelangten nach Ciudad del Este, der wilden Einkaufsstadt auf der paraguayischen Seite. Hier suchten wir das brasilianische Generalkonsulat in der Hoffnung auf unsere Jahresvisa zu erhalten, was auch möglich gewesen wäre, denn die Ausstellungsgenehmigung der Regierung lag tatsächlich vor. Als wir jedoch den Preis von 40 US-Dollar pro Kopf hörten, lehnten wir strikt ab, wussten wir doch, dass für Bundesbürger brasilianische Visa dieser Art kostenlos erteilt werden. Im Übrigen war schon dem seltsamen Personal dieses Außenpostens anzusehen, dass es vermutlich »nicht ganz sauber« ist.

Campo Grande, die 1889 gegründete Hauptstadt des Staates Mato Grosso do Sul, bot sich von ihrer angenehmen Seite, durften wir doch Gäste der alten Thalers sein, die es bereits Anfang der Fünfziger Jahre über Paraná nach Mato Grosso verschlagen hatte. Winfried und Maria Thaler, aus Wildschönau/Tirol stammend, bauten in Paraná siebzehn Jahre lang Kaffee an, dann wechselten sie zur ergiebigeren Viehwirtschaft über. Heute genießt Winfried, ein Sohn des Koloniegründers von Treze Tilias Andreas Thaler, seinen verdienten Lebensabend, geriet jedoch in Aufruhr, als von den Anfängen in »Dreizehnlinden« die Rede war: Zank, Streit und Intrigen – auch gegen seinen Vater, der – so meinte Winfried – zwar nicht alles richtig gemacht habe, aber viele Angriffe waren bösartig, nicht berechtigt. Als dessen Sohn Winfried, der heute die Verantwortung in der Thalerschen Viehwirtschaft trägt, nach Hause kam, gab es doppelt lange Gesichter: Der letzte Nachtfrost, den wir in einem ungeheizten Bus verbracht hatten, habe das Gras vernichtet – ein großer Verlust, denn brasilianische Kühe fressen nichts Erfrorenes!

Die Stadt als solche bietet dem Touristen fast nichts, wenn man einmal vom neuen, weit außerhalb liegenden Regierungsviertel absieht, dessen Modernität allerdings eher einschläfernd auf uns wirkte.

Nach einer weiteren kalten Nachtfahrt erreichten wir Cuiabá, die 1719 gegründete Hauptstadt des Bundesstaates Mato Grosso – auch Brasiliens Wilder Westen genannt, denn hier grassierte jahrzehntelang eine typische Volkskrankheit: das Goldfieber. Aber diesem Edelmetall verdankt Cuiabá seine Existenz und den wirtschaftlichen Aufschwung. Dass Cuiabá historischer als Campo Grande ist, sieht der Besucher auf Schritt und Tritt, beispielsweise im Stadtzentrum, wo auf einem Hügel ein eindrucksvolles Kirchenmonument aus alten Zeiten steht. Im Moment werde dieses Prachtstück restauriert, weshalb er leider niemanden hineinlassen könne, erklärte uns der Herr Bischof persönlich.

Ein besonderer Anziehungspunkt ist das »geodätische Zentrum Südamerikas«, der sogenannte Mittelpunkt dieses Halbkontinents. Dass sich Gelehrte heute noch darüber streiten, ob Rondon, der erste Leiter des sogenannten Indianerschutzdienstes (SPI), mit der Festlegung dieses Punktes recht hatte, steht auf einem anderen Blatt. Festgelegt ist diese Stelle durch einen Markstein unter Glas mit einer himmelhohen Betonspitze darüber. Nebenbei bemerkt hatten wir ziemliche Probleme, uns zur Praça Moreira Cabral, an der dieses Monument steht, durchzufragen, denn die meisten angesprochenen Passanten wollten ihren berühmten Markstein gar nicht kennen. Das sogenannte Rassendenkmal, das ebenfalls eine gewisse touristische Bedeutung hat, verdient dagegen kaum Beachtung.

Die fast 1.500 Kilometer lange Busfahrt hinauf nach Porto Velho, der Hauptstadt des Territoriums Rondônia, saß uns noch lange in den Knochen. Dort angekommen, gab es erst einmal gehörigen Ärger mit einem Taxi-Ganoven, der uns ab Busbahnhof via Hafen zu einem Hotel fuhr und dafür soviel haben wollte, wie ein kleiner Arbeiter im Monat verdient. Schließlich half uns ein deutschstämmiger Hoteleigentümer aus der Patsche, der sich für diesen Gauner auch noch entschuldigte und uns ein Zimmer zum halben Preis überließ. Auch das ist Brasilien!

Porto Velho bedeutet vor allem Hafen und Eisenbahnmuseum. Der Hafen wurde für uns insofern von Bedeutung, als wir nämlich erst im Hotel erfuhren, dass es die auf Karten eingezeichnete Straße hoch ins Herz des Amazonasgebietes, nach Manaus, schon seit Jahr und Tag nicht mehr gibt, weil überwuchert, alles werde auf dem Rio Madeira transportiert, auch Passagiere, sofern man nicht fliegen wolle, doch das sei sehr teuer. Also suchten wir uns einen kleinen Frachter aus, machten den Preis fest und besorgten uns Hängematten. In zwei Tagen sollte es losgehen. – Das Eisenbahnmuseum ist eine absolute Rarität, handelt es sich doch um liebevoll instandgehaltene Restbestände einer Bahn, die einst bis Bolivien führen sollte, was jedoch nie gelang.

Fahrt mit einem urigen Frachter, der auf dem »Goldfluss« Rio Madeira von PortoVelho nach Manaus unterwegs ist.

»Rio Madeira« ist der Inbegriff von »Gold aus dem Fluss«. Kaum hatte unser bis auf den allerletzten Kubikmeter mit Bananen, Säcken und Holz vollgestopfter Frachter abgelegt, sahen wir die ersten Goldbagger privater Glückssucher an den Ufern dieses lehmigen Nebenflusses des Amazonas. Wir fühlten uns – in den Hängematten baumelnd – sehr wohl, genossen derbes Frachteressen, freundliche Leute und tagelang an uns vorbeigleitende Urwaldlandschaften. Das tief liegende Schiff tuckerte drei Nächte lang gen Nordosten (die Tage zählen hier oben nicht), bis es schließlich den riesigen Amazonas mit seinen 6.500 Kilometern Länge erreichte. Ab der Mündung des Rio Madeira in den Amazonas ging es noch einmal rund 100 Kilometer flussaufwärts bis zur legendären Urwaldstadt Manaus, die auch heute noch immer nicht auf dem Landwege erreichbar ist.

Manaus, dessen Anfänge auf das Jahr 1669 zurückgehen, ist der Inbegriff einer einsamen Stadt inmitten des unendlich scheinenden Einzugsgebietes des Amazonas, in welchem ganz Deutschland bequem zwanzigmal Platz hätte. Manaus gilt aber auch als Inbegriff für Wohlhabenheit und Ganoventum. Während die für diese Stadt sprichwörtliche Wohlhabenheit in den Jahren 1890 bis 1920 (bedingt durch den Kautschuk-Boom) längst der Vergangenheit angehört, blüht das Ganoventum nach wie vor. Was könnte man denn nicht in dieser Freihandelsstadt kaufen!? Dass Manaus auch vernuttet ist, versteht sich da fast von selbst. Unser Hotel war ein Frachter, dessen Kapitän uns erlaubte, nachts in Hängematten zu baumeln, und zwar auf jenem hölzernen Kahn, der uns demnächst bis Santarém bringen sollte.

Das Vier-Kontinente-Monument vor dem legendären »Amazonas-Theater« in Manaus.

Der fast zwei Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt des Staates Amazonas sieht man es auch heute noch an, dass sie einst reich war und es sich leisten konnte, prächtig zu bauen. Gleich am quirligen Hafen liegt der markante Mercado Munizipal, den kein Geringerer als Eiffel, der Erbauer des berühmten Eiffel-Turmes in Paris, errichtete. Doch das Beste, was Manaus zu bieten hat, ist seit 1896 das weltberühmte Amazonas-Theater – das Gütezeichen der Stadt. Die gründliche Restaurierung und technische Modernisierung war erst kürzlich abgeschlossen worden, so dass wir ein wahres Prachtstück genießen konnten, dessen ausgiebige Besichtigung wir uns gern ein paar Dollar kosten ließen. Das Theater bietet 700 Personen Platz und ist mit Marmor, Gemälden und Skulpturen von hohem Wert ausgestattet.

Vor dem Theater steht das 1900 aufgestellte »Monument zur Eröffnung der Häfen«, dessen vier Bronzeschiffe die Erdteile Europa, Afrika, Asien und Amerika symbolisieren. Des Weiteren besichtigten wir die aus dem späten 19. Jahrhundert stammende Kathedrale sowie das liebevoll gepflegte Hafenmuseum mit einer kleinen Dampflok – ein Novum im Amazonasgebiet, denn eine Eisenbahn hat es hier nie gegeben. Vermutlich handelt es sich um eine alte Hafen-Lok.

Per urigem Frachter ging es nun auf dem legendären Amazonas gen Osten, also flussabwärts. Für die gut 1.750 Kilometer lange Strecke Manaus – Santarém – Belém handelten wir einen Preis von 50 US-Dollar pro Person aus, abermals mit voller derber Verpflegung – versteht sich. Übrigens lief während unserer Schiffstouren gerade die Fußballweltmeisterschaft, so dass Frachter ohne Satelliten-TV keine Chance hatten, einen brasilianischen Passagier zu ergattern.

Herrliche Fahrt auf dem Amazonas, der überall noch so wild ist, wie ihn Gott geschaffen hat! Da wegen der günstigeren Strömungsverhältnisse die Schiffe fast immer entweder am linken oder rechten Ufer tuckern, gab es ausreichend Gelegenheit, das Leben der heutigen Indios zu beobachten. Auffallend war vor allem, dass die hölzernen Häuser wegen der relativ geringen Moskitogefahr auf Pfählen stehen (über fließendem Wasser gibt es fast keine Mücken!) und dass es kaum erkennbare Ufer gibt, sondern fast nur mangrovenbewachsene Sümpfe und von Wasser umspülten Urwald. Erstaunlich auch, dass viele der Indios bereits über teure Motorboote und Satellitenschüsseln verfügen – arme Indios!

Nach weiteren zwei Nächten legten wir im gut 750 Kilometer entfernten Santarém an, der größten Stadt zwischen Manaus und Belém. Die Stadt wird »Perle zweier Ströme« genannt, denn in der Nähe ergießt sich der Rio Tapajós in den Amazonas. Wir erlebten hier besonders schwere Tropengewitter, die uns zeigten, dass mit diesen »Regentropen« nicht zu spaßen ist. Dennoch war es möglich, eine kleine Stadtbesichtigung durchzuführen, die allerdings nicht sehr ergiebig war. Außer der schlecht unterhaltenen Kathedrale war nur noch der rege Fischmarkt am Amazonasufer interessant, der nie gesehene Kreaturen – Menschen wie Fische – bietet.

Nun lagen noch einmal fast 1.000 Kilometer bis Belém vor uns, die wir jedoch aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen denkbar gelöst angingen, war doch auch dieser Frachter akzeptabel und fehlte es weder an Essen noch Trinken. Wieder umfing uns tagelang der tropische Amazonas mit seinen oft erstaunlich hohen Urwaldriesen, seinen Indiodörfchen und seinem rotbraunen, ruhig gen Atlantik strömenden Wassern. Bereits aus der Ferne war die Skyline der bereits 1616 gegründeten Millionenstadt Belém zu erkennen. Und als wir nach etwa zehn Tagen auf gemütlichen Frachtern wieder in einem Hotelbett lagen, wussten wir, eines unserer schönsten Reiseerlebnisse hinter uns gebracht zu haben. Belém ist die Hauptstadt des Staates Pará.

Auch Belém entpuppte sich als sehr ergiebige Stadt mit einigen interessanten historischen Sehenswürdigkeiten, die sich in erstaunlich gutem Zustand befinden: es wurde beziehungsweise wird viel restauriert. Heraus ragt der Ver-o-Peso, die alte Markthalle, die einen nie gesehenen Fischreichtum zu erstaunlich niedrigen Preisen bietet. Vor diesem Markt, der übersetzt »Schau auf das Gewicht« heißt, liegen in einem kleinen Hafenbecken private Boote, die vor der Kulisse restaurierter Häuserfassaden ein sehr malerisches Bild abgeben. Der Markthalle gegenüber liegt die Festung Forte do Castelo, die 1616 von Branco als schützendes Bollwerk errichtet worden war. Um den mit schönen Lampen und einer ebensolchen Uhr bestandenen Platz Pedro II. gruppieren sich die repräsentativsten Gebäude: die Präfektur (Rathaus) und der Regierungspalast – beide hervorragend restauriert! In der Nähe befindet sich auch die innen besonders prunkvoll ausgestaltete Kathedrale von 1755. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass man in Belém sogar von Einheimischen, die es mit fremden Besuchern gut meinen, vor räuberischen Überfällen gewarnt wird!

Wäre Teresina nicht die Hauptstadt des Bundesstaates Piaui, könnte man sie als Tourist, der etwas sehen will, glatt vergessen, denn außer dem weitflächigen, aber sehr vernachlässigten Deodoro-Platz mit der Kirche N. S. do Amparo bietet sie nichts. Vielleicht ist erwähnenswert, dass eine kleine Druckerei an diesem Platz den wenigen Besuchern eine Rarität zeigt: eine alte Heidelberger! Besuchenswert sind aber auf jeden Fall das kleine Stadtmuseum und der frisch restaurierte Justizpalast, ebenfalls am Deodoro-Platz gelegen.

Umso angenehmer waren wir von Fortaleza angetan, der Hauptstadt des Staates Ceará, die sich längst zur Millionenmetropole sogar mit internationalem Flughafen entwickelt hat. Die Geschichte dieser Stadt geht bis auf das Jahr 1612 zurück, als die befestigte Siedlung São Sebastião errichtet wurde. Von Indios wieder vernichtet, bemächtigten sich holländische Truppen dieser Gegend und errichteten die Festung Schoonenborch. Die Portugiesen vertrieben die Holländer wieder und nannten ihre Eroberung fortan Fortaleza de N. S. de Assunção.

Entsprechend interessant sind die zu sehenden Bauwerke, wobei das Fort im historischen Mittelpunkt steht, das heute immer noch dem Militär als Kaserne dient. Einem begleitenden jungen Wachsoldaten fiel die Ehre zu, uns das Innenleben zeigen zu dürfen, unter anderem auch jenes Verlies, in welchem eine Freiheitsheldin den Tod fand. Unweit davon erhebt sich die überaus wuchtige Cathedral de Sé mit ihren beiden 75 Meter hohen Türmen. Wir besahen uns die Markthalle mit ihrer historischen Fassade und schließlich den weitläufigen Ferreira-Platz mit seinen hohen, teils schon historischen Häusern. Von besonderem Interesse ist jedoch der von Gauklern und Musikanten bevölkerte José-de-Alencar-Platz, an dessen Stirnseite sich die eigentliche Sehenswürdigkeit dieser Stadt erhebt: das berühmte Alencar-Theater, eine Jugendstil-Metallkonstruktion aus dem Jahre 1910. Nachdem wir es besichtigt hatten, glauben wir nun, dass es zu recht ein National-Monument ist. Übrigens wurden alle Einzelteile zum Bau dieses Musentempels aus England herbeigeschafft. Fortaleza bietet in seiner Nachbarschaft jedoch in- und ausländischen Urlaubern auch das, was sie suchen: weiße Strände und schöne Mädchen – leider nicht gerade billig, versteht sich.

So gut es der Wettergott in Fortaleza mit uns auch meinte, so zornig war er in Natal, wo wir in eine ungemütlich kalte Nieselfront gerieten, die uns zwei Tage lang treu blieb. Diese Stadt hat mit 1599 ein noch etwas älteres Gründungsjahr als Fortaleza aufzuweisen und ist heute die Hauptstadt des Staates Rio Grande do Norte – genannt »Eldorado für Sonnenhungrige«. Dass wir keine einzige Minute die Sonne sahen, mag also ein besonderes Pech gewesen sein. Im Mittelpunkt des touristischen Interesses steht eine der eigentümlichsten Festungen überhaupt: die fünfsternige Festung Reis Magos, die unter portugiesischem Kommando zum Schutz Natals im seichten Atlantik errichtet wurde. Sie galt als sicherstes Bollwerk Brasiliens, war aber dennoch von 1633 bis 1654 den Holländern in die Hände gefallen (Castelo Keulen).

Die nächste Station war die Millionenmetropole Recife, die Hauptstadt des Staates Pernambuco, die einen internationalen Flughafen besitzt und relativ wohlhabend ist. Recife wird, da die Stadt auf mehreren Inseln liegt sowie von Wasserläufen und Kanälen durchzogen ist, auch das Venedig Brasiliens genannt, doch wird der Besucher schnell erfahren, dass dieser Vergleich mehr als hinkt. Richtig ist jedoch, dass Recife zu den malerischsten Städten Brasiliens zählt, wobei sich diese Bewertung vornehmlich auf das relativ kleine Stadtzentrum bezieht. Ein besonderes städtebauliches Verdienst kommt dem holländischen Architekten Pieter Post zu, der »Mauritzstadt« (Name nach Moritz von Nassau) mit hohen Giebelhäusern bestückte, die noch heute – teils sehr gut restauriert – zu sehen sind. Hier ist am deutlichsten zu erkennen, dass es einst ein holländisches Brasilien gab!

In den Metro-Bahnhof integriert ist ein kleines Eisenbahnmuseum, das sich im historischen Teil des Bahnhofes befindet, der aber leider sehr vernachlässigt ist: Dieses gute alte Stück rostet dahin! Den sehenswertesten Teil Recifes erreicht man über die Avenue Dantas Barreto, wobei man auch der Hauptkirche N. S. do Carmo einen Besuch abstatten sollte; denn Kirchenbesuche speziell im Nordosten Brasiliens lohnen sich immer! Vom Zentrum, das durch die Praça República am Inselende markiert wird, waren wir geradezu begeistert. Alles ist sehr in Ordnung und alle historischen Gebäude sind bestens restauriert: der Justizpalast, das Stadttheater Santa Isabel und nicht zuletzt der repräsentative Regierungspalast.

Einen weiteren touristischen Leckerbissen stellt Salvador dar, das einstige Bahia (Salvador ist die Hauptstadt des Bundesstaates Bahia). Die Geschichte dieser wahrhaft historischen Stadt geht auf den portugiesischen Generalgouverneur Tomé de Souza zurück, der hier im Auftrage seines Königs Johann III. seinen Amtssitz errichtete. Zum ersten Mal gesichtet wurde die Meeresbucht, an der heute Salvador malerisch liegt, jedoch bereits im Jahre 1501. Als Besitzer folgten die Spanier (1580 bis 1640) und die Holländer (1624 bis 1630), die jedoch nicht endgültig zu übernehmen imstande waren, so dass schließlich die Portugiesen obsiegten.

Das auffallendste Merkmal Salvadors ist seine afro-brasilianische Kultur, denn nirgends in Brasilien hat sich das afrikanische Element, das auf den seinerzeit schwunghaften Sklavenhandel zurückgeht, so augenfällig erhalten wir hier. Und so trifft man allenthalben auf freundliche Negerinnen in ihren traditionell sehr bunten Kleidern, doch diese schönen Bilder sind in aller Regel Bestandteile des blühenden Touristengeschäfts! So freundlich und nett diese fotofreundlichen Mädchen auch sind, so gefährlich können die schwarzen Jungs sein: Hildegard wurde auf offener Straße und in meinem Beisein von einem Burschen attackiert, doch diesem Kerl gelang es nicht, ihr die Armbanduhr herunterzureißen.

Ein unverwechselbares städtebauliches Merkmal ist die Gliederung Salvadors in eine Unter- und Oberstadt. Beide Teile sind durch den Elevador Lacerda miteinander verbunden, den wir mit Vergnügen ein paar Mal benutzten. Unten breitet sich der malerische Hafen für die privaten Boote aus, so dass man dahinter die Oberstadt sehen kann – sehr schön! Während sich in der Unterstadt der Kleinkunsthandel etabliert hat (Mercado Modelo), der bis hin zu »brasilianischen Wolperdingern« alles bietet, findet man in der Oberstadt den Großkunsthandel, insbesondere eine ganze Reihe sehr guter und dennoch relativ preiswerter Schmuckgeschäfte. Wenn gewünscht, wird der Kunde auch deutschsprachig bedient – aber Vorsicht!

Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass enorm viel getan wird (vermutlich mit kräftiger ausländischer Unterstützung, die Brasilien angeblich nötig hat!) die historische Altstadt zu restaurieren, wobei die hauptsächlichsten Teile bereits fertig sind. Für den Fotografen bieten sich hier oben fast unendlich viele lohnende Motive!

Besucher stoßen in der Oberstadt Salvadors auf historisch Bedeutsames und auffreundliche Folklore.

Ausgangspunkt für eine Besichtigung ist die Praça Tomé de Souza direkt am Elevador Lacerda. Wir hielten uns linker Hand und stießen sogleich auf eine große Vielfalt histo-rischer Gebäude, Kirchen und Monumente, dass uns der Atem wegzubleiben drohte. Genannt werden sollen wenigstens die be-deutendsten Sehenswür-digkeiten: Praça da Sé mit dem Bischofspalast und der Kathedrale; Terreiro de Jesus (ein Platz) mit der Dominikanerkirche, dem Haus des 17. Jahr-hunderts und der Kirche São Pedro. Dieser Platz ist großartig! Aber auch der Platz Largo do Pelourinho mit dem Stadtmuseum und der herrlichen Kirche Do Rosário ist eine touristische Perle.

Die 1.500 Kilometer lange Busfahrt nach Brasilia, der Bundeshauptstadt, war angesichts sehr schlechter Straßen eine Tortur, doch auf einen Besuch dieser modernen Metropole wollten wir auf keinen Fall verzichten. Allerdings nächtigten wir im benachbarten Anápolis, da Brasilias Hotels so ziemlich unbezahlbar sind.

Da der Brasilianer sich schon von Natur aus für den wichtigsten Menschen der Welt hält (warum eigentlich?), wundert es nicht, dass es einst eine Regierung unter Kubitschek gab, die es sich zur historischen Aufgabe gemacht hatte, die modernste Metropole der Welt aus dem Busch zu stampfen. Wie oft hörten wir selbst von Brasilianern, dass das Größenwahnsinn war, doch wie immer in diesem Land ging es auch hierbei um riesige Geschäfte. Dreißig Jahre lang wurden die teuersten Architekten der Welt (auch der deutsche Baukünstler Oscar Niemeyer) beschäftigt und wurde nach den Grundplänen des brasilianischen Preisträgers Lúcio Costa (wer auch sonst!) gebaut, gebaut, gebaut …, bis schließlich eine Metropole entstanden war, die kaum ein Brasilianer liebt. »Das Beste an Brasilia ist das Flugticket zurück nach Rio«, so und ähnlich hörten wir es, so oft wir wollten. Und wer, wie wir, zu Fuß die kilometerlange Avenue Kubitschek an der Kathedrale und den Ministerien vorbei bis hinunter zum »Palast der Morgenröte« geht, wird schnell bemerken, dass es sich in Wirklichkeit um eine tote Stadt handelt, mehr noch: Sie geht sichtbar zugrunde!

Auch der futuristisch anmutende Justizpalast in Brasilia ist eine Kreation des deutschenBaukünstlers Oscar Niemeyer.

Überall trifft man auf Ungepflegtes und Kaputtes, sogar die Ministerien verlottern. Am schlimmsten sieht es am hypermodernen Nationaltheater aus, dessen unmittelbare Umgebung nicht nur Ablageplatz für Plastikmüll, sondern auch noch »öffentliche Toilette« ist. Das Theater selbst gleicht von außen eher einem verwitterten Bunker, während es innen noch halbwegs ansehnlich ist.

Ein Bild von Traurigkeit ist auch die als Meisterwerk Niemeyers gepriesene Kathe-drale: Das Innere zieren billige Plastikstühle, die – ganz nach brasilianischer Art – beliebig herumgeschoben werden können, und durch kaputtes Dachglas (oder ist es nur Plastik?) tropft es, wenn Regen fällt, doch der ist hier selten. Ein gewisser Blickfang ist eine Art Welten-Ei über dem vom Dreizehnlindener Godfredo Thaler geschaffenen Christuskreuz. In Ordnung ist dagegen die Umgebung des Congresso Nacional, einem fast dreißigstöckigen Doppelturm, doch sollte man selbst hier nicht zu genau hinschauen! Ein seltsames Bauwerk ist der Justizpalast, der über dem Boden zu schweben scheint. Die davor sitzende augenverbundene Justitia sowie die »Zwei Krieger« sind längst zu Symbolen dieser Stadt geworden.

Im Übrigen halten wir Brasilias zentral gelegenen Busbahnhof für einen der gefährlichsten des Landes: Jugendliche Diebe sind leicht auszumachen, doch Polizei ist weit und breit nicht zu sehen!

Unser Gesamteindruck ist also ziemlich negativ, wenngleich es ein Muss ist, in Brasilia gewesen zu sein, zumal wenn man Gast dieses Landes ist. Zu diesem allgemeinen Eindruck gehört, das Brasilia vermutlich nicht für alle Zeiten Bundeshauptstadt bleiben wird. Womöglich wird daraus irgendwann so eine Art Welt-UNO-Ctiy, das brächte dem armen Brasilien (!) wieder Milliarden, für die man nichts zu tun bräuchte …

Gut 200 Kilometer südlich von Brasilia liegt Goiânia, die Hauptstadt des Staates Goiás; dass wir auch dieser Metropole einen Besuch abstatteten, verstand sich angesichts der relativen Nähe von selbst. Doch diese erst 1933 gegründete, eher nüchtern wirkende Stadt bietet dem Touristen wenig, lediglich der Stadtkern (Centro Civico) mit dem symbolträchtigen sogenannten Rassendenkmal, dem Gericht und dem von Militär bewachten Rathaus ist halbwegs sehenswert (das genannte Monument ist allerdings hässlich). In dieser Stadt gerieten wir in einen ungemein weitläufigen Wochenendmarkt, der uns größer und dichter gedrängt vorkam, als jeder bisher in Brasilien gesehene. Außerdem war der Wahlkampf für die bevorstehende Präsidentenwahl voll »in action«, so dass wir auch noch zwei leibhaftige Politiker kennenlernen durften.

Gut 700 Kilometer von Brasilia entfernt liegt die Millionenstadt Belo Horizonte, die 1897 gegründete Hauptstadt des Staates Minas Gerais, das angeblich attraktivste Bundesland Brasiliens. Die Stadt selbst macht durchaus den Eindruck einer echten Metropole, und besonders die gepflegte Praça da Liberdade mit ihren bestens restaurierten Gebäuden aus alten Zeiten zeigt, dass Belo Horizonte – und nicht nur diese Stadt – den Konkurrenzkampf mit Brasilia ohne Weiteres gewinnen würde, sollte dieser tatsächlich einmal stattfinden.

Viele prächtige Gotteshäuser in der »Goldstadt« Ouro Prêto sind der sichtbare Beweisfür einstigen Reichtum.

»Wer nicht in Ouro Prêto war, war nicht in Minas Gerais«, sagt man und zwar mit Recht, handelt es sich doch um einen historischen Flecken erster Güte – nicht groß, aber umso sehenswerter. Dieser Ort war bereits im Jahre 1721 Hauptstadt von Minas Gerais und dank der hier sesshaften goldverarbeitenden Industrie außerordentlich wohlhabend. Wer jedoch Ouro Prêto heute besucht, bemerkt auf Anhieb, dass der einträglichere Tourismus das Goldgeschäft längst verdrängt hat. Übrigens wurde die zur Zeit kaum mehr als 30.000 Einwohner zählende Stadt von der UNESCO bereits 1980 zum »kulturellen Denkmal der Menschheit« erhoben, zum Glück, denn seitdem fließen zur Restau-rierung dicke ausländische Geldströme hierher, die so manchen brasilianischen Unternehmer glauben lassen, es sei wieder das goldene Zeitalter angebrochen.

Doch lohnt sich aus kulturhistorischen Gründen selbstverständlich die gründliche Restaurierung (doch das Geld hierfür hätte Brasilien selbst!), was der Besucher, so oft er will, auch bestätigt findet. Wir hatten Glück und logierten in einem historischen Hotel im unmittelbaren Zentrum, durften uns also in die alte Goldrauschzeit zurückversetzt fühlen. Diesem Hotel gegenüber liegt der angeblich bedeutendste Profanbau Brasiliens, das ehemalige Rathaus und einstige Gefängnis – aber heute Museum.

Besieht man sich die auf Hügeln liegende Stadt aus einiger Entfernung, fallen vor allem die vielen Kirchen auf, von denen jede einzelne ein Prachtstück ist: Kirche N. S. do Carmo, Sklavenkirche, Assisi-Kirche und so weiter. Aber auch den steilen grob gepflasterten Gassen und kleinen Plätzen mit ihren schönen alten Häusern sollte der Besucher seine Aufmerksamkeit widmen und daran denken, dass Ouro Prêto zu den fotogensten Orten des Landes zählt, das heißt, man sollte sich mit genügend Filmmaterial eindecken, bevor man anreist, denn hier ist es unglaublich teuer.

Nun ging es wieder gen Osten zur Atlantikküste, wo wir Station in Vitória machten, der Hauptstadt des kleinen Staates Espirito Santo. Diese Stadt, so schön sie auch landschaftlich liegt, ist keine Touristenstadt, aber wegen ihrer biederen alten Plätze und wenigen historischen Gebäude durchaus sehenswert. Sehr auffallend ist, dass der Hafen entlang der Hauptgeschäftsstraße liegt, so dass manchmal der Eindruck entsteht, die Containerschiffe parkten gleich hinter irgendeinem Kaufhaus.

Vila Velha liegt nur 12 Kilometer von Vitória entfernt und ist sehr historisch, wurde die Stadt doch bereits 1535 gegründet. Das Bemerkenswerteste ist, dass diese schon von Anfang an in Konkurrenz zu Vitória als Hauptstadt von Espirito Santo stand, letztlich jedoch unterlag. Während die Stadt heute eher den Eindruck einer modernen Metropole macht, was besonders gut vom Convent-Berg aus zu erkennen ist, zehrt sie vor allem von ihrer landschaftlichen Lage an Buchten und sich dahinter erhebenden urwaldbewachsenen Bergen, was im Prinzip allerdings auch für Vitória gilt. Besonders besuchenswert ist der bereits erwähnte Convent-Berg, der sich hoch über der Stadt erhebt, auf dem sich ein Kloster und eine alte Wallfahrtskapelle befinden. Die Ausblicke von hier oben sind großartig und erinnern an jene in Rio vom Corcovado aus: Buchten, Inseln, Stadtviertel und »Zuckerhüte«, letzter allerdings in bescheideneren Ausführungen als in Rio.

Wer träumt nicht von Rio de Janeiro, jener sogenannten Karnevalsstadt, von der man sagt, sie sei die schönst gelegene Metropole der Welt. Obwohl wir eigentlich vorgesehen hatten, Rio und São Paulo separat zu besuchen, konnten wir es uns dank einiger übriger Tage leisten, auch diese beiden Weltstädte noch auf dieser Tour zu besuchen.

Die Geschichte Rios geht auf das Jahr 1502 zurück, als am 1. Januar jenen Jahres eine Expedition unter Gaspar de Lemos und Américano Vespucci in die Guanabara-Bucht einsegelte. Doch die eigentliche Geburtsstunde Rios schlug am 1. März 1565, als Estácio de Sé hier mit einer stattlichen Flotte ankam und es ihm gelang, die inzwischen siedelnden Franzosen wieder zu vertreiben, was aber erst zwei Jahre später endgültig gelungen war. 1763 wurde Rio die Hauptstadt des portugiesischen Vizekönigreiches Brasilien, doch wichtiger ist, dass 1808 der gesamte portugiesische Königshof aus Lissabon wegen der napoleonischen Invasion nach Rio verlegt werden musste. Bis 1821 wurde tatsächlich das gesamte portugiesische Kolonialreich von Rio de Janeiro aus regiert, erst dann erfolgte die Rückführung des Hofes nach Portugal, aber zurück blieb der Sohn des Königs Joãos, Dom Pedro. Bis 1960 war Rio die Hauptstadt Brasiliens.