Von Dracula bis Korsakov. Unglaubliches Eurasien - Harald Stöber - E-Book

Von Dracula bis Korsakov. Unglaubliches Eurasien E-Book

Harald Stöber

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Beschreibung

Viel Abenteuerliches und zum Nachdenken Zwingendes, auch Spannendes und Humorvolles präsentiert der engagierte Reisejournalist Stöber seiner breiten Leserschaft. Sie wird sich darüber wundern, mit wie viel Mut und schnörkelloser Offenheit er versucht, Wahrheitliches zu erfahren und weiter zu vermitteln! Man ist mit Herz und Seele dabei, wenn Bombenopfer in Serbien anklagen und es scheint, als vernehme man die dumpfe Stimme Draculas in Rumänien. Zu hören ist die Stille der endlosen Weiten Sibiriens, und es fasziniert das mystische Zentralasien. Fürst Dschinghis Khan weist den Weg nach Indien, durch die Mongolei und China. Und schließlich erweist sich das ferne Japan als »Sonne in Fernost«. Es gibt sie also noch – die großen Abenteuer in unserer modernen Zeit!

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Seitenzahl: 488

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Von Dracula bis Korsakov

Unglaubliches Eurasien

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright (2012) Engelsdorfer Verlag

Alle Rechte beim Autor

Titelfoto: Japanische Hochzeit im traditionellen Stil in Fukuoka, Kyushu/Japan

Coverrückseite: Glückliches Mongolenpaar in Xinjiang-Uyghur, VR China

www.engelsdorfer-verlag.de

eISBN: 978-3-86268-803-6

Wer noch staunen kann,

wird auf Schritt und Tritt belohnt.

Kokoschka

Gewidmet meiner lieben

Frau Hildegard, die mich auf

allen Reisen begleitet hat.

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel: Von Europa bis Hongkong

Allgemeines zur Tour

ÖSTERREICH – Ist nicht nur Mozart

SLOWENIEN – Der ungeliebte Nachbar

KROATIEN – An Save und Kupa

JUGOSLAWIEN – Von der NATO traktiert

UNGARN – Zwischen Tradition und EU

RUMÄNIEN – Kirchen, Klöster und Dracula

MOLDAWIEN – Ein zerrissenes Land

UKRAINE – von Potjomkin bis Nördlingen

RUSSLAND I – Don, Wolga und Birken

KASACHSTAN – Steppen und Dichtkunst

RUSSLAND II – Bier, Baikal und Buddhas

MONGOLEI – Wo einst Dschingis Khan herkam

CHINA I – Historisch, modern, ruppig

RUSSLAND III – Beherrsche den Osten!

CHINA II – Kirchen, Tempel und Moon

NORD-KOREA – Kim hat alles im Griff

CHINA III – Bei Konfuzius und Mao

HONGKONG – Von mondän bis kriminell

MACAO – Jetzt von Chinas Gnaden

2. Kapitel: Abenteuerliches Asien

Allgemeines zu Myanmar/Burma

Myanmar – Pagoden, Ruinen und viel Staub

Usbekistan & Tadschikistan

Allgemeines zur Tour

Traumziel Taschkent/Usbekistan

Über Gebirgspässe bis Dušanbe/Tadschikistan

Wieder in Usbekistan

SÜDINDIEN

Allgemeines zur »Jubiläums-Tour«

Ganesh, Hannuman & Co

XINJIANG-UYGHUR/China

Allgemeines zur Tour

Knistern im Wilden Westen Chinas

3. Kapitel: Von Mönchen und russischen Bären

Allgemeines zu Nippon

JAPAN – Land des Sonnenursprungs

RUSSLAND – Heiße Vulkane und freie Bären

Allgemeines zur Reise

Nach Fernost-Russland

HONGKONG & CHINA – Weltstadt und »chinesisches Hawaii«

Allgemeines zur Reise

Weltmetropole Hongkong

Hăinán – »Hawaii in Südchina«

JAPAN & RUSSLAND – Fuji und sibirische Kälte

Allgemeines zur Tour

Durch Japan

Fernziel Sakhalin/Russland

Wieder in Japan

Rückreise

1. Kapitel

Von Europa bis Hongkong

Allgemeines zur Tour

Auf diese dreieinhalbmonatige Überland-Tour von München via Wladiwostok bis Hongkong und Macao hatten wir uns besonders intensiv vorbereitet, wussten wir doch aus Erfahrung (Seidenstraßen-Tour 1998), wie schwierig ein derartiges Unternehmen unter Umständen sein kann. So besorgten wir uns im Voraus bereits alle erforderlichen Visa, sicherten uns gegen eventuelle Krankheiten ab und erarbeiteten einen optimalen Tourenplan, den es möglichst genau einzuhalten galt.

Diesmal wollten wir nicht per Flugzeug wie 1998 (Ankara) anreisen, sondern in München starten und mehrere Balkanländer mit einbeziehen, um dann allmählich in asiatische Gefilde überzuwechseln. Wir besuchten fünfzehn sehr unterschiedliche Länder, steuerten sechzig Reiseziele an und legten binnen 106 Reisetagen nicht weniger als 24.000 Kilometer auf Rädern zurück. Wenngleich Länder dabei waren, die wir bereits besucht hatten, so haben wir die Tour doch so gestaltet, dass möglichst viel Neues auf uns zukommen sollte, beispielsweise in Kasachstan, China oder Korea.

Erstmals querten wir nach dem Zerfall Jugoslawiens die »neuen« Länder Slowenien, Kroatien und Serbien (sogenanntes Rest-Jugoslawien), statteten dem zerstückelten Moldawien einen Besuch ab, um uns dann ins riesige Russland zu trauen und die Mongolei zu durchfahren. Eine Tour der Dritten Art war unser Besuch Nord-Koreas. Die übrigen Länder Österreich, Ungarn, Rumänien, Ukraine, Kasachstan, China, Hongkong und Macao waren für uns zwar nichts grundsätzlich Neues mehr, und dennoch hatten wir manchmal den Eindruck, als wären wir noch nie dort gewesen, so gravierend sind oft die in den letzten Jahren stattgefundenen Veränderungen.

Was die Eindrücke als solche anbetrifft, so sind diese naturgemäß äußerst vielschichtig beziehungsweise detailliert kaum wiederzugeben. Im Übrigen war diese riesige Tour voll gespickt mit Impressionen und Ereignissen, die glatt ein Buch füllen würden, doch leider muss ich mich aus Zeitgründen abermals aufs Wesentliche beschränken und die Leser bitten, auch zwischen die Zeilen zu schauen oder mich einfach zu befragen. Die Zeit für Antworten – mündlich oder schriftlich – nehme ich mir immer.

Nun lade ich wieder dazu ein, uns gen Asien zu folgen, diesmal allerdings in dem Bewusstsein, das EURASSIEN unsere letzte große Individual-Tour gewesen sein sollte. Vor allem wird uns nach jetzt vier ausgiebigen Touren kreuz und quer durch China dieses Land wohl nicht mehr wieder sehen. Das »Reich der Mitte« und seine Menschen empfinden wir als zunehmend unangenehm, ganz im Gegensatz zu Russland, wo wir uns deutlich wohler fühlten. Im Übrigen erwarte man keine Exegese, sondern einen frei von der Leber geschriebenen, schnörkellosen Reisebericht, der an Offenheit und Klarheit kaum etwas zu wünschen übrig lässt. Ich orientiere mich ausschließlich an der Wahrheit, denn nur sie hat Bestand.

Mit dieser höchst ergiebigen Tour haben wir die Schallmauer von einer Million Reisekilometern durchbrochen und wieder einmal unglaublich viele, oft auch prägende Eindrücke gewonnen, die uns um Jahre haben reifer werden lassen. Und wenn wir gefragt werden: »Wozu das alles?«, dann antworten wir aus Überzeugung: »Reisen korrigiert Vorurteile und ergibt stets Neues, das dankbar bewahrt werden soll.« Wir mussten jedoch erfahren, dass Reisefreudigkeit auch Schaden erleiden kann, zumindest zeitweise.

ÖSTERREICH – Ist nicht nur Mozart

Am Freitag, dem 12. Juli 2002, gedachte die katholische Christenheit des Heiligen Fortunatus, hergeleitet von Fortuna, der altrömischen Schicksals- und Glücksgöttin. Zufall oder Fügung, dass wir just an diesem Tag zu unserer großen Tour gen Fernost aufbrechen sollten? – Unser Zug nach Salzburg startete punkt 6.41 Uhr. Wir bewunderten in der hellen Morgensonne Bayerns schöne Berge, viel Wald und Wiese, malerisch gelegene Dörfer und erfreuten uns des Anblicks typischer Zwiebeltürmchen.

Für die Mozartstadt an der Salzach hatten wir uns fast einen ganzen Tag Zeit genommen – zu wenig, um die Fülle dieser besonders schönen Stadt erfassen zu können! Da es jedoch nicht unser erster Besuch war, hielten wir es nicht für sündhaft, uns lediglich auf ein paar der wesentlichsten Dinge zu beschränken. Das Wetter war kaiserlich, Glück, denn ein paar Tage später sollte es heftig zu schütten beginnen.

Wie es sich für Salzburg-Touristen gehört, statteten wir zunächst dem berühmten Mozarthaus einen Höflichkeitsbesuch ab, dessen gelb gestrichene Fassade mit vergitterten Fenstern und der Staatsflagge zu den Markenzeichen dieser Stadt gehört. Das Gebäude befindet sich – wo auch sonst – in der Mozartgasse und ist Museum. Hier hatte das im Jahr 1756 geborene Musik-Genie viele seiner unsterblichen Meisterwerke geschaffen. Zu bewundern sind die heutigen Salzburger, die Tag für Tag unglaubliche Touristenmassen ertragen müssen, doch diese Bürde trägt man sicher gern, ist sie doch eine ewig sprudelnde Geldquelle.

Sehr beeindruckt hat uns der einstige Mariendom, die heutige Kollegienkirche von 1707. Das barocke Innere besticht vor allem durch zwei riesige Seitenaltäre, die größer als der Hauptaltar sind. Gewaltig ist die lichte Innenhöhe, sind die großartigen Gemälde und Bodenplatten. Dank oft rücksichtsloser Touristen bleibt die heilige Ruhe allerdings auf der Strecke.

Nicht gefällt das Äußere des Festspielhauses (einst der Marstall von 1607) mit seiner nichtssagenden Fassade und dem Eingang, der den Eindruck erweckt, als handele es sich um den kläglichen Rest eines stillgelegten Bahnhofes. Dagegen lernt man im Dom von 1628 mit seinen farbigen Stuckgewölben und -bögen das wahre Staunen. Dass sich hier pilgernde Gruppen und viele junge Japaner interessiert umschauen, gehört zur Salzburger Normalität.

Um sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen, begibt man sich zur Feste Hohensalzburg, deren Anfänge auf das Jahr 1077 zurückgehen. Die Blicke auf das Stadtzentrum mit seinen markanten Kirchtürmen, Kuppeln und alten Ziegeldächern sind äußerst imposant und fotogen – gut zu sehen bereits während des schweißtreibenden Aufstiegs. Wer noch etwas weiter nach oben will, wird um kleine sieben Euro erleichtert. Nein danke! Wir hatten bereits in früheren Jahren mehrfach dieses Vergnügen, seinerzeit noch kostenlos.

Ein Muss in Salzburg ist der weite Mozartplatz mit der wohl am meisten fotografierten Statue Österreichs, der des Meisters natürlich. Umgeben ist dieser schöne Platz mit etlichen historischen Bauwerken, von denen insbesondere die Neue Residenz sowie die Kirche St. Michael zu nennen sind. Akustisch machen sich das berühmte Glockenspiel jener Kirche, sowie gottesdienstliche Gesänge bemerkbar. Diesen unter mittelalterlichen Gewölben zu lauschen, war uns ein Bedürfnis.

Ein langer Spaziergang führte uns auf der gegenüberliegenden Seite noch auf den Kapuzinerberg, auf den Jahrhunderte alte Treppen führen (Imberg Stiegen). Hier ist man fern der Touristenströme, genießt mittelalterliches Flair in Form kleiner Häuser, halb verfallener Mauern und alter Laternen. Schön auch die weiten Blicke auf die Stadt bis hinüber zum Landestheater, dem Mirabellenschloss und dem weiten, mit bunten Blumen und plätschernden Springbrunnen bestückten Schlosspark. Hier durften wir uns wieder etwas erholen, war doch die Sommerhitze mit gut 30 Grad Celsius heute recht ermüdend.

Per Blauem Enzian der ÖBB, Abfahrt 15.10 Uhr, ging es gen Villach, wo wir uns für ein paar Tage ins Gästehaus Pirkner einquartierten. Nicht unerwähnt sollte die Bahnfahrt dorthin bleiben, führt diese Strecke doch durch eine der schönsten alpinen Landschaften mit himmelhohen Felsbergen, tiefen Tälern, dunklen Wäldern, reizenden Siedlungen, Kirchen und Burgen. Das Manko: Bei über dreißig Grad funktionierte die Air-condition nicht – ein deutsches Spitzenprodukt, wie wir augenzwinkernd vom Zugpersonal hörten.

Nachdem wir bescheiden gefrühstückt hatten (zu mickrig angesichts des hohen Zimmerpreises), querten wir die Draubrücke und erkundeten die Altstadt, die größtenteils Fußgängerzone ist. Sofort fiel auf, dass das Motto der Stadt »Sauber – rein – intakt« sehr ernst genommen wird und sich ein Münchener nur wundern kann, wenn er die Sauberkeit Villachs und die überaus vielen Blumendekorationen – verteilt auf das gesamte Zentrum – sieht.

Besuchenswert ist vor allem die Kirche St. Jakob mit gleichnamigem 94 Meter hohem Turm, dem höchsten in Kärnten, der im Jahr 1690 einem schweren Erdbeben zum Opfer gefallen war (Wiederaufbau 1765). Im neugotischen Innern sind die hohen Kreuzgewölbe, der aufwendige Altar sowie drei schlanke, kunstvoll gestaltete Kirchenfenster von besonderem Interesse.

Angesichts des historischen Stadtzentrums empfanden wir die moderne Architektur des gegenüberliegenden Rathauses geradezu als geschmacklos. Viel nachgedacht hatte der zu entscheidende Rat der Stadt jedenfalls nicht (erinnert in fataler Weise an das Kaufhausgebäude auf dem Münchener Marienplatz). Zurzeit unseres Besuches fand gerade das Nudelfest statt, zu dem eine typische Bauernkapelle aufspielte sowie eine Modenschau gezeigt wurde. Die präsentierten Moden waren ein Mix aus bunten Trachten und modernen Kreationen. Auf begeisterten Applaus warteten die Veranstalter allerdings vergeblich. Wir hörten: »Das sind ja Zwitter!«

Abschließend führte uns ein schöner Spaziergang entlang der ruhig dahinfließenden Drau bis zur etwas außerhalb der City liegenden barocken Heiligenkreuzkirche von 1726, deren beide gezwiebelten Türme markant gen Himmel ragen. Unverständlich, dass diese Wallfahrtskirche, deren Ursprünge auf das Jahr 1203 zurückgehen, geschlossen ist.

Eine angenehme Überraschung war der kleine einstige Bergbauort Bad Bleiberg, den wir per teurem Ebner-Bus erreichten (doppelte Bahnpreise). Dieser Name ist hier allgegenwärtig: Hotels, Gasthäuser, Firmen und Gedenktafeln erinnern an diesen Lokal-Matador. Die Tour gen Westen führte über Serpentinen durch eine wiederum besonders schöne Berg- und Waldlandschaft, und als das Örtchen erreicht war, fühlten wir uns auf Anhieb wohl. So dürfte es auch einem älteren deutschen Ehepaar aus der Stuttgarter Gegend ergangen sein, deren Herzen ab sofort nur noch für Bad Bleiberg schlugen: Sie kauften kurzerhand das Volksschulgebäude von 1860 und investierten all ihre Liebe und viel Erspartes, um hier fortan ein beschauliches Leben zu führen. Dass mit Holz und Kohlen geheizt werden muss und im Winter es wegen Frost gewisse Wasserprobleme geben kann, gehört wohl zum Reiz ein historisches Haus bewohnen zu dürfen. Wer will, kann sich als touristischer Gast hier einmieten und wird sicher nicht enttäuscht werden.

Zu sehen sind mehrere stillgelegte Gruben, unter anderem der »Schacht Rudolf«, benannt nach Kronprinz Rudolf, der 1873 dieses Bergwerk mit seinem Besuch beehrt hatte. Die 1869 eröffnete Grube hatte eine maximale Tiefe von 386 Metern und wurde 1987 stillgelegt. Bereits zwei Jahre später avancierte dieses Industriedenkmal unter der etwas schleierhaften Bezeichnung »Terra Mystica« zur Touristenattraktion. – Mit Wohlwollen betrachten Besucher hier auch das im Jahr 1800 errichtete heutige Gemeindehaus, das bis 1993 das Bergbau-Direktionsgebäude war (Ende der Erzförderung). Beinahe zu übersehen ist die winzige Kapelle St. Bartholomäus von 1570, die im Schatten des rustikalen Feuerwehrhauses zu finden ist.

An markanter Stelle steht ein marmorner Gedenkstein, der an das große Lawinenunglück vom 25. Februar 1879 mit vierzig Toten erinnert. – Dass Bad Bleiberg einst auch von politischer Bedeutung war, beweist ein weiteres Denkmal, das an die Wirren des Ersten Weltkrieges erinnert, in denen der Volksheld Hans Steinacher (1892 bis 1971) eine entscheidende Rolle spielte. Er organisierte die am 10. Oktober 1920 stattgefundene Volksabstimmung, wonach Süd-Kärnten bei Österreich bleiben konnte. – Dominierend ragt der schlanke Turm der Kirche St. Florian von 1663 gen Himmel – ein barockes Kleinod umgeben von Jahrhunderte alten Holzhäusern.

Als wir dieses Örtchen wieder verließen, hatten wir das Gefühl, sehr willkommen gewesen zu sein. An diesem einen Tag begrüßten uns mehr Leute, als während eines ganzen Jahres in München!

Abfahrt unseres Zuges nach Klagenfurt (Kärntner Landeshauptstadt) um 8.30 Uhr. Das waren vierzig Kilometer entlang des mit Ferienhäusern und Vergnügungsstätten fast völlig umbauten Wörtersees. – Unser touristisches Ziel war zunächst der Dom Peter & Paul, der 1578/91 von protestantischen Ständen errichtet und 1604 von den Jesuiten übernommen worden war. Nach dem verheerenden Brand von 1723 wurde das Dominnere mit großartigem Stuckdekor versehen. Für uns ein Geschenk des Himmels war, dass wir zufällig die Krönungsmesse von Mozart hören durften. Die große Gemeinde der Gläubigen ließ sich mitreißen, und als schließlich das bis auf den Seelengrund wirkende Kyrie eleison (Herr erbarme dich!) zu hören war, sahen wir Tränen fließen.

Ein Muss ist in Klagenfurt der Neue Platz mit dem städtischen Wahrzeichen, dem sogenannten Lindwurm. Nichts wird begeisterter fotografiert als dieses sagenhafte Untier, das einst im Sumpf bei Klagenfurt gehaust haben soll und heute das Wappentier der Stadt ist. Ulrich Vogelsang war es, der um 1600 diesem phantastischen Wesen ein Aussehen verlieh, und zwar aus einem einzigen Stück Granit. Vor dem »Wurm« postierte im Jahr 1636 ein gewisser Hönel einen stattlichen Herkules, der allein in der Lage gewesen sein soll, das lindwurmige Ungeheuer zur Strecke zu bringen. Ein weiteres Wahrzeichen befindet sich auf dem selben Platz: die Statue von Kaiserin Maria Theresia, die 1873 von Erzherzog Rudolf (von trauriger Gestalt) enthüllt worden war. Und wer sich für klassische Architektur interessiert, kommt beim Betrachten des 1650 errichteten Rathauses oder der Kirche zum Heiligen Geist mit gotischen Resten und dem schönen Rokoko-Altar voll auf seine Kosten. Die reichhaltige Vergoldung blendet! Heute gehört dieses Gotteshaus dem Ursulinenorden.

Ein weiteres Muss stellt das 1574/94 errichtete Landhaus (Parlament) dar, dessen weiter Innenhof von zwei hohen Türmen überragt wird. Primärer Anziehungspunkt ist der Große Wappensaal mit 665 Wappen einstiger Landeshauptleute, Landstände und weiterer Honoratioren. Im Hof befindet sich – für politisch Interessierte – die Stätte der Klagenfurter Einheit, deren vier Säulen die Bezeichnung Friede, Einheit, Freiheit und Begegnung tragen. Nicht in diese Reihe will »Begegnung« passen, deutliches Zeichen dafür, dass die Kärntner ihrer slowenischen Minderheit bestenfalls nur begegnen wollen und wohl ganz bewusst auf die eher passende »Brüderlichkeit« verzichtet haben. Auf einer großen Plakette zum Gedenken an die historisch bedeutende, von Steinacher organisierte Volksabstimmung von 1920 steht: »Das Selbstbestimmungsrecht der Völker erhält die Einheit des Landes. In Dankbarkeit das Land Kärnten.« Unverständlich, dass der Name Steinacher auf dieser Plakette nicht zu entdecken ist.

Eine Augenweide ist auch das Jugendstil-Theater (1908/09), das anlässlich des 60. Regierungsjahres von Kaiser Franz Joseph I. errichtet worden war. Ferner lohnt sich ein Blick auf die Biedermeier-Fassade des gegenüberliegenden Stadthauses von 1781, das heute Kulturhaus ist. Historisch von besonderer Bedeutung ist die eintürmige Egyd-Kirche von 1255, die einst doppeltürmig war; einem schweren Erdbeben ist unter anderem ein Turm zum Opfer gefallen (keine Jahreszahl ersichtlich). Im Innern kann man nicht weniger als acht Seitenaltäre mit schweren Marmorsäulen, hohe Emporen sowie eine riesige Orgel bewundern, und empfängliche Ohren genießen das berühmte Glockenspiel.

Klagenfurt ist sicher viel mehr wert als nur einen Tagesbesuch, gibt es doch nicht weniger als 44 historisch interessante Besichtigungspunkte zu erlaufen. Ein Stück Klagenfurter Seele erkennt man am Titel des zurzeit unseres Besuches im Theater gebotenen Stückes: »Ich liebe dieses Land.« Wäre in Deutschland wohl undenkbar.

SLOWENIEN – Der ungeliebte Nachbar

Pünktlich um 10.03 Uhr setzte sich unser Zug mit Ziel Jesenice, dem ersten Ort in Slowenien, in Bewegung. Die Fahrt ging größtenteils entlang des Faaker-Sees, der ebenfalls zu einem attraktiven Touristenziel umfunktioniert wurde. Nach dem österreichischen Grenzort Rosenbach, wo ganz zur Freude windiger Figuren keinerlei Grenzkontrollen stattfinden, durchfuhr der Zug den kilometerlangen Karawanken-Tunnel und stoppte in Jesenice. Hier fand lediglich eine oberflächliche Sichtkontrolle auf dem Bahnsteig statt beziehungsweise kein Computer zeigte rot oder grün an. Also auch hier grenzenlose Freiheit für alle!

Die Weiterfahrt nach Ljubljana beziehungsweise Laibach, der Hauptstadt Sloweniens, erfolgte pünktlich um 11.15 Uhr per super modernem Eilzug mit funktionierender Air-condition (japanisches Fabrikat) und gut sichtbaren elektronischen Anzeigen. Kaum mehr eine Überraschung war die Sauberkeit und Ruhe – eine Fahrt zum Genießen! Die schönen Berglandschaften wiesen allerdings einige Makel auf, nämlich uralte dunkle Fabriken, in denen längst nichts mehr produziert wird, sowie ein paar neu errichtete Industrieanlagen, welche die Landschaften auch nicht gerade verschönern. – Als wir uns nach langer Suche endlich in einer akzeptablen Bleibe einquartiert hatten, waren wir ob des »äußerst günstigen« Preises ziemlich überrascht. Man muss wissen, dass sich das kleine Slowenien rühmt, bereits mitteleuropäisches Preisniveau erreicht zu haben, also verflixt teuer geworden ist. So etwas nennt man in Brüssel »wirtschaftlichen Fortschritt«.

So klein die heutige Parlamentarische Republik Slowenien auch sein mag (20.250 Quadratkilometer und zirka zwei Millionen Einwohner), so bedeutend ist dieses Land für die politische Entwicklung des Balkan mit Serbien als Mittelpunkt gewesen: Das Bundespräsidium in Belgrad hatte nach dem Rückzug seines Militärs im Juli 1991 die faktische Unabhängigkeit anerkannt und damit den Beginn der Auflösung Jugoslawiens in seiner bisherigen Form eingeläutet. International anerkannt ist das Land seit Januar 1992 und erfreut sich heute eines stolzen Nationalbewusstseins mit allen dazugehörigen Attributen: eigene Währung (Dola), Flagge, Nationalhymne und Staatssprache.

Wie leidenschaftlich sich die Slowenen heute zu ihrer Kultur bekennen, vermittelt vor allem die große Statue des France Prešeren, die nicht zufällig den Mittelpunkt Ljubljanas markiert. Die darüber schwebende »segnende Fee« deutet an, dass der Dichter France so etwas wie ein Nationalheiliger ist, der von jedermann als volksverbundener Romantiker hoch verehrt wird. Er gilt als Schöpfer der nationalen Wiedergeburt und Begründer der modernen slowenischen Literatursprache.

Am Platz, der den Namen jenes Prešeren trägt, ragt eines der weiteren Wahrzeichen Ljubljanas gen Himmel: die rötliche Franziskaner-Kirche mit ihren beiden markanten Türmen. Im dunklen Inneren wird man vom üppigen Barock fast erdrückt, man bewundert die kunstvollen Bemalungen sowie die schönen Altäre. – Ein weiteres Wahrzeichen ist hier der steinerne Komplex Drei Brücken, auf denen im Stadtzentrum die Obere Save (die sogenannte Ljublianica) überquert werden kann.

Von hier aus eroberten wir die historische Innenstadt. Zunächst besuchten wir den 1701/08 erbauten Dom St. Nicolas mit seiner mächtigen Kuppel und seinen überschweren Metall-Relief-Toren. Auch hier erdrückt im Innern viel Barockes und überraschen die pechschwarzen, mit viel Blattgold veredelten Holzaltäre, die riesige Orgel, kleine Seitenorgeln, schwere Kristall-Leuchter und nicht zuletzt die vielen Gedenktafeln, Büsten, Statuen und Gemälde – ein überaus mächtiges Gotteshaus! – In der Nähe ein weiterer Höhepunkt: das 1484 errichtete Rathaus am Meštni trg Nummer 1 mit seinem verspielten Turm und schattenspendender Arkade. Hier ist jedes Gebäude bestens restauriert. Plätschernde Brunnen und viele bunte Blumen verschönern zusätzlich.

Hoch über der Stadt liegt die Burg beziehungsweise das aufs 12. Jahrhundert zurückgehende Schloss, das im 15./16. Jahrhundert restauriert und teils umgestaltet wurde. Hinauf führt ein steiler Weg, und zwar zunächst durch die arg heruntergekommene, aber bewohnte Studentengasse. Sie spiegelt im Prinzip wider, in welchem Zustand sich Teile der reichlich lockeren Jugend befinden. Und so überrascht nicht, selbst in der Altstadt auf Wandschmierereien mit dem Tenor zu stoßen: Anti NATO, pro Tito und Chè Guevara. – Dass Laibach jahrhundertelang habsburgisch war (ab 1276), ist heute kaum mehr erkennbar; lediglich ein paar Geschäftsnamen, wie Uhren-Hübscher und Deko-Böhm, deuten auf die österreichische Vergangenheit hin.

Der Kurort Bled sei auf jeden Fall einen Tagesbesuch wert, hatten wir gehört, also ging’s per Bus 55 Kilometer gen Norden – vorbei an prächtig stehenden Weizen- und Maisfeldern, fast wolkenfreien Bergen und vielen christlichen Kreuzen und Gedenkkapellen.

Ein wahres Juwel der Natur ist der von Bergen umsäumte See von Bled mit seinem türkisfarbenen Wasser und seiner kleinen Insel mit der barocken Wallfahrtskirche »Heilige Maria im See«. 114 Meter über dem See thront auf einem Felsen die Burg der Bischöfe von Brixen (Süd-Tirol), die erstmals im Jahr 1011 erwähnt wurde. Zu dieser Zeit hatte sie der deutsche Kaiser Heinrich II. den brixener Bischöfen geschenkt, so dass sie in Wirklichkeit noch viel älter sein muss. Oben stößt man auf viel Gotisches: Burgkapellen, Wehrmauern und -turm. Der Rundblick ist faszinierend: See mit Insel, bewaldete Karawanken und Kirche St. Martin, die würdige Nachfolgerin einer vor tausend Jahren hier gestandenen Kapelle. Das heutige Bauwerk hat 1905 der Wiener Architekt Baron entworfen, wobei die kunstvollen Kirchenfenster, die riesigen Kronleuchter und die zweiteilige Orgel mit ihren 32 Registern ins Auge fallen; sie gilt als eine Besonderheit.

Eher Zufall, dass wir auf den Friedhof stießen, der sich an der Peripherie des Örtchens befindet. Eingeschlossen von einer Mauer mit vier Eckkapellen fristet er ein ruhiges gepflegtes Dasein. Viele deutsche beziehungsweise österreichische Namen sind allerdings nicht zu entdecken und doch: Anderle, Kemperle und Peterle; Piber, Klatzer und Triller ruhen hier in Ewigkeit.

KROATIEN – An Save und Kupa

Sehr pünktlich um 8.48 Uhr startete unser Zug nach Zagreb, Hauptstadt der ab 1992 ebenfalls unabhängigen Republik Kroatien. Das einstige Agram ist heute eine Millionen-Metropole und hat eine höchst bewegte, fast tausendjährige Geschichte hinter sich (gegründet 1093 und von den Mongolen 1242 dem Erdboden gleichgemacht). Die Fahrt entlang der lehmigen Save war bis Kržko landschaftlich von Reiz: bewaldete Berge, hohe Felsen, tiefes Save-Tal und kleine Tunnel. Bis Zagreb war dann nur noch Flachland zu sehen. An der Grenzstation Dobova gab es nur einen slowenischen Ausreisestempel in die Pässe, aber keinen kroatischen Einreisevermerk, auch Gepäckkontrollen fanden nicht statt. Den sehr sauberen Zagreber Bahnhof erreichten wir punkt 11.02 Uhr. Hier erlebten wir, wie noch oft auf dieser Tour, dass auch stark frequentierte Bahnhöfe vor Sauberkeit strotzen können. Inländisches Putzpersonal ist ununterbrochen damit beschäftigt zu kehren und sogar nass zu wischen! – Nach langer Unterkunftssuche (die üblichen Hotels sind sehr teuer) ergatterten wir ein relativ preiswertes Privat-Apartment in ruhiger Citylage, in welchem wir uns einige Tage wohlfühlen konnten.

Busbahnhöfe zu erwähnen, erspare ich mir normalerweise schon aus Zeitgründen, doch der Zagreber verdient es, zumal wir natürlich immer wieder mit den miserablen Münchener Verhältnissen vergleichen. Dieser hier ist nicht nur pieksauber, sondern hält jeden Vergleich sogar mit Flughäfen stand. Einfach unglaublich, was hier den Reisenden an Service-Einrichtungen zur Verfügung steht: Ob Reisebüros, Brot- und Kuchenläden, Parfümerien, Wurstläden oder Blumen-Shops – auf nichts braucht verzichtet zu werden. Hier entschieden wir uns, doch per Bahn nach Jugoslawien weiter zu fahren, weil es keinen durchgehenden Bus nach Belgrad gibt (Umsteigen bei längerem Grenzaufenthalt).

Nachdem wir uns in Bahnhofsnähe auf dem sehr gut bestückten Markt preiswert eingedeckt und die wohlwollende Freundlichkeit der Marktfrauen gewürdigt hatten (Armut macht die Menschen hier offensichtlich freundlich), widmeten wir uns in den bevorstehenden Tagen der City, die dem Besucher eine Fülle interessanter Ziele bietet. Wir genossen jede Stunde, doch im Folgenden sei nur das Wesentlichste erwähnt.

Das attraktive Stadtzentrum ist der Ban Jelačić-Platz (ab 17. Jahrhundert), den man über den mit alten Ahornbäumen bestückten Zrinjevać-Platz erreicht, auf dem sich der Deutsche Dr. Adolf Holzer 1884 verewigt hat: Er konstruierte jene schöne Uhr, die Teil der Meteorologischen Säule ist (Architekt Hermann Bollé) und noch heute ihren pünktlichen Dienst verrichtet. – Das topp Touristenziel ist jedoch besagter Ban Jelačić-Platz mit vielen stolzen, bestens restaurierten Gebäuden, die alle Stilrichtungen vergangener Jahrhunderte repräsentieren. Am rechten Ende des Platzes ist ein moderner Brunnen zu sehen, der eine Quelle umschließt. Der Legende nach soll eine durstige Landfrau von einem Unbekannten mit den Worten aufgefordert worden sein: »Manduša zagreb!«, was so viel bedeutet wie »Trinke daraus!«

Höhepunkt im Sinne dieses Wortes ist der Mariendom mit seinen zwei alles überragenden Türmen (104 und 105 Meter hoch). Auch hier haben deutsche Künstler bleibende Spuren ihres meisterlichen Könnens hinterlassen: die Bildhauer Anselm Sickinger (München) und Hermann Bollé (Köln). Die noch heute dröhnende Orgel mit ihren 6.068 Pfeifen und 78 Registern hatte 1855 die Ludwigsburger Firma Walcker geschaffen, und die großartigen Kirchenfenster entstanden 1846/47 ebenfalls in München.

Das Bistum Zagreb wurde im Jahr 1094 gegründet, belegt durch eine von König Ladislaus unterzeichnete Urkunde. Mit dem Bau des überaus eindrucksvollen Domes wurde 1102 begonnen, doch die Einweihung fand erst 1217 statt. Besucher werden darüber informiert, dass das Bauwerk 1242 von den Tataren verwüstet und 1880 durch ein verheerendes Erdbeben dem Boden gleichgemacht wurde (Wiederaufbau bis zum Jahr 1902). Dass am 10. September 1994 Papa Joannes Paulus II. auch diesem Dom die Ehre erwies, versteht sich.

Durch ein mittelalterliches Stadttor, das gleichzeitig eine kleine Wallfahrtsstätte mit unzähligen Votivtafeln ist (Danksagung und Anbetung der Heiligen Maria), gelangten wir in den ältesten Stadtteil Zagrebs. Hier erfreut man sich gut erhaltener mittelalterlicher Gassen und genießt viel Flair. Markant ist der viereckige hohe viel besuchte Lotrščak-Turm, auch Kanonenturm genannt, der es erlaubt, die ganze Altstadt mit ihren roten Ziegeldächern und der dominierenden St.-Markus-Kirche von 1841 zu überblicken. Dass dieser mächtige Wehrturm aus dem 13. Jahrhundert für die Zagreber Bürger immer noch von »großer Bedeutung« ist, kann man hören: Täglich punkt 12 Uhr mittags wird ein Kanonenschuss abgefeuert, nach welchem abertausend Armband- und Stubenuhren überprüft und gegebenenfalls neu eingestellt werden.

Auf historisch Interessantes stießen wir fast beliebig oft, so auf die Kirche St. Katharina von 1632, die als das schönste Barockbauwerk Zagrebs gilt; auf das herrliche National-Theater von 1895, für das die Wiener Architekten Helmer & Fellner verantwortlich zeichneten; auf das riesige Reiterdenkmal des ersten kroatischen Königs Tomislav und so weiter. – Allgemein lässt sich sagen, dass sich ein ausgiebiger Besuch Zagrebs sehr lohnt, doch muss auch Negatives in Kauf genommen werden, nämlich noch viele heruntergekommene Stadthäuser und leider auch Wandschmierereien, bei denen immer wieder Begriffe und Namen wie »Serben, Tito, Deutsche, Hitler« etc. auftauchen.

Unser nächstes Reiseziel war Karlovac an der Kupa, eine Stadt südwestlich von Zagreb, die während der Bürgerkriegswirren eine traurige Rolle gespielt hatte. Dass sich die Kommune bis heute noch nicht von Zerstörung, Mord und Totschlag erholt hat, spürten wir sofort nach der Ankunft: Der alte Ziegelbahnhof ist vergammelt und so gut wie ohne Leben, und in der City stießen wir immer wieder auf noch unbewohnte, weil zerschossene Wohnhäuser und auf ärmlichste Verhältnisse. Hier hatte sich über lange Zeit hinweg ein »ewig schwelender« ethnischer Konflikt im Zug des Zerfalls Jugoslawiens zu einem hässlichen Bürgerkrieg entwickelt: Die hier lebenden Serben wurden von den Kroaten vertrieben, und auch noch heute ist es keinem Serben erlaubt, die Republik Hrvatska/Kroatien zu betreten. Wie wir hörten, ist ihnen nicht einmal die Durchreise gestattet, beispielsweise von Slowenien aus mit Ziel Serbien; das geht nur via Ungarn. Der Hass muss sehr tief sitzen.

Doch trotz aller Widrigkeiten gibt es bescheidene Ansätze für eine langsame Erholung. So wurde erst kürzlich das klassizistische Theater von 1892 restauriert und bietet heute ein volles Programm. Der sich anschließende Park ist einschließlich der Büste des Radoslav Lopasić (ein namhafter Künstler) wieder in Ordnung und auch die von katholischen Schwestern betreute Marienkirche mit ihrem gotischen Ambiente ist wieder zugänglich. Hier wird eine sogenannte Schwarze Madonna hinter Glas verehrt (1776). Dem Bürgerkrieg gänzlich zum Opfer gefallen ist das gegenüberliegende serbisch-orthodoxe Gotteshaus: Es ist nur noch Ruine, weil zerschossen und ausgebrannt. – Dass wieder etwas Stadtleben einkehrt, machten wir in der Fußgängerzone beziehungsweise in der Radića aus, in der bereits zahlreiche kleine Geschäfte viel Teures feil bieten. Doch jenseits dieser Nobelmeile stießen wir erschreckend oft auf Ruinen, Armut und Müll.

JUGOSLAWIEN – Von der NATO traktiert

Was uns bis Hongkong nur noch einmal passieren sollte, nämlich eine gravierende Zugverspätung, erlebten wir – nicht ganz unerwartet – in Zagreb: eine volle Wartestunde auf den internationalen Zug aus Italien, tatsächliche Abfahrt erst 6.40 Uhr nach Belgrad. Wir querten bis zum Ziel nur baum- und buschbestandenes Flachland mit dazwischenliegenden Feldern, bebaut mit Getreide und Melonen. Ab 11 Uhr gab es einen längeren Grenzaufenthalt in Šid auf jugoslawischer Seite, der Grund: Dieses Land ist visapflichtig, doch die meisten Zugreisenden hatten noch keine entsprechenden Passvermerke. Von einem Einreiseverbot war aber nicht die Rede, denn eine Bahnhofsbank verkaufte die erforderlichen Dokumente – Touristen-Visa zu sechs Euro. Auffallend: Nirgends im ehemaligen Jugoslawien, auch nicht in Serbien, existieren Schwarzmärkte, die am Geldtausch interessiert wären (übrigens auch nicht in den ehemaligen Ostblock- und SU-Ländern).

Als wir die Vorortbezirke der jugoslawischen Hauptstadt erreicht hatten, wollte uns angesichts elendigster Slum-Viertel zwischen Autoput und Bahngleisen der Atem stocken: Das sind afrikanische Verhältnisse in Europa! – Im Hotel Centar gegenüber dem tadellos intakten Sackbahnhof fanden wir freundliche Aufnahme zum akzeptablen Preis, und auch die noch am Ankunftstag erhaltenen Informationen für die Weiterreise nach Subotica beruhigten: Per Bus kein Problem, während die Züge (weil international) unverhältnismäßig teuer sind und nur wenige Male in der Woche verkehren.

Wie jedermann weiß, hatte es sich die honorige NATO im Namen der sogenannten Demokratie zur Pflicht gemacht, auch ohne UN-Mandat das Rest-Jugoslawien unter Milosevič aus der Luft zu zerschlagen. Unverzeihlich, dass die deutsche Bundeswehr mit von der Partie war und damit unterstrichen hat, dass Krieg die Niederlage menschlichen Geistes ist! Und so stießen wir in Belgrad auf riesige Gebäuderuinen, blätterten in einem Dokumentationsband, den uns ein tief erschütteter Postkartenverkäufer in die Hände drückte und mit Blick auf sein kleines Töchterchen meinte: »Die 78-tägigen NATO-Bombardements ab dem 24. März 1999 bleiben unverzeihlich und werden von uns niemals vergessen. Warum mussten ausgerechnet auch Deutsche mithelfen, internationales Recht zu brechen, indem ohne UN-Mandat unsere Industrieanlagen, sogar Krankenhäuser, Schulen und geschützte historische Monumente zerstört wurden? Wir beide haben überlebt, aber viele Unschuldige leider nicht. Die Amis warfen aus sicheren Höhen ihre Bomben, andere NATO-Länder inklusive Deutschland leisteten dabei verhängnisvolle Hilfe und fühlen sich von den USA nun genötigt, alles wieder aufzubauen – auf eigene Kosten, versteht sich!« Nicht nur dieser Mann leidet ungemein, und wir verabschiedeten uns von ihm und seinem Töchterchen mit gesenkten Häuptern und belasteten Seelen.

Als wir vor dem Gebäude der Bahnverwaltung mit angegliedertem Museum standen und die davor postierte kleine Lok von 1917 der Fa. Berliner Maschinenbau AG L. Schwartzkopf betrachteten, wunderten wir uns, dass die Belgrader sie nicht vor Wut atomisiert haben. Es werden wohl geschichtsbewusste Leute gewesen sein, die sich noch der guten jugoslawischdeutschen Beziehungen erinnert haben. In Sichtweite ragt das im oberen Drittel ausgebrannte Radio- und TV-Gebäude in den Himmel, und beim Anblick einer riesigen weiteren Verwaltungsruine bekamen wir einen nur mühsam unterdrückten Wutanfall. So etwas muss man mit eigenen Augen gesehen haben!

Belgrad ist eine Metropole, die allmählich wieder zu leben beginnt, wenngleich die Menschen hier noch lange unter großer Armut leiden werden. Wie schlecht sie doch gekleidet sind und vorsichtig beim Einkaufen: Jeder Dinar wird dreimal umgedreht, bevor er ausgegeben wird. Auch sonst sieht es schlecht aus: klapprige Straßenbahnen auf kaputten Gleisen, zerbeulte Trolley-Busse und zahllose Gebäude, die schon seit vielen Jahren nicht mehr unterhalten werden. Dass wir nirgends angefeindet wurden, wird wohl eher Zufall gewesen sein, zumal wir vermutlich die einzigen deutschen Touristen hier waren.

Derart belastet sich touristische Ziele zu Gemüte zu führen, fällt weißgott nicht leicht, und dennoch verzichteten wir nicht auf bestimmte Highlights, beispielsweise auf das klassizistische Rathaus (zirka 1900); auf das repräsentative Federal Parliament (1934), deren kupfergedeckte Kuppeln nebst Mittelteil Wahrzeichen der Stadt sind; auf den Republic Square mit Nationalmuseum und -theater und weitere sehenswerte historische Gebäude. Besonders anziehend wirkt die berühmte Wehranlage des Kalemegdan hoch über dem Zufluss von Donau und Save – ein riesiger Komplex von mächtigen Mauern, Toren und Türmen. Hier erfährt der Besucher, dass just an dieser Stelle am 22. Juli 1456 dem türkischen Überfall auf Belgrad ein Ende bereitet wurde. Seit dieser Zeit schwelt der tiefe Hass gegen alles Türkische und wird sich auch in Zukunft wohl nicht beseitigen lassen, bestenfalls nur vorübergehend. Was wird eines Tages mit Blick auf die Türken in Mitteleuropa alles noch geschehen? Wir fürchten leider Übles.

In der wunderschön ausgestatteten orthodoxen Kathedrale St. Michael lauschten wir wieder einmal den bewegenden Gesängen, während ein glückliches Brautpaar den kirchlichen Segen empfing. – Am anderen Ende Belgrads erhofften wir einen weiteren sakralen Höhepunkt, wurden jedoch enttäuscht. Der riesige, bereits 1935 begonnene Bau der Kirche St. Sava sollte im Jahr 2000 fertig geworden sein, doch der verdammte Krieg hat dieses Ziel in weite Ferne rücken lassen. Stattdessen besichtigten wir einen Rohbau mit provisorischem Altar. Übrigens: Der Flussname »Save« bedeutet zu Deutsch »Sau« und »Sava« ist ein serbischer Nationalheiliger. Warum heißt Belgrads stolzer Fluss laut deutscher Lexika also »Save« und nicht »Sava« wie sonst überall?

Als wir per Bus gen Subotica starteten und absolut flaches, landwirtschaftlich genutztes Land querten, begleitete uns herrliches Sonnenwetter. Auffallend, dass wir ab jetzt immer mehr Sonnenblumenfelder zu Gesicht bekamen, die teils gigantische Ausmaße haben beziehungsweise bis zum Horizont reichen. Nach einem Stopp in Novi Sad war schließlich gegen 13.30 Uhr unser Tagesziel erreicht und ein günstiges Privatquartier bezogen, was ohne gütige Fremdhilfe kaum möglich gewesen wäre. Arm, aber freundlich, so erlebten wir die Menschen auf dem Balkan viele Male – und dies ungeachtet der NATO-Bombardements!

Die nun zu erobernde Stadt ist touristisch heute kaum mehr von Bedeutung, und dennoch halten wir sie für sehr besuchenswert. Dabei spielt das historische Zentrum eine bedeutende Rolle, vor allem wegen des großartigen Gebäudekomplexes von 1910 der Regierung der Autonomen Region Vojvodina, die seit dem 10. Jahrhundert zu Ungarn gehörte. Diesem Zustand hatten Mitte des 16. Jahrhunderts die Türken ein gewaltsames Ende gesetzt, worauf die Region prompt verödete. Dieses Vakuum wurde durch die Ansiedlung hauptsächlich von Serben (heute 54 Prozent) und später Deutschen, den sogenannten Donauschwaben, wieder beseitigt. Letztere erlitten 1945/46 allerdings das bittere Los der völkerrechtswidrigen Vertreibung, während die Serben, die Ungarn und andere Volksgruppen in der Vojvodina bleiben konnten. In »groß-jugoslawischer Zeit« (Tito) war Novi Sad die Hauptstadt, jetzt ist es offensichtlich Subotica, obwohl der Autonomiestatus 1990 offiziell aufgehoben wurde. Doch dies scheint sich geändert zu haben, prangt an besagtem Bauwerk doch ein blank geputztes Messingschild in vier Sprachen: »Regierung der Autonomen Region Vojvodina«.

Ein weiterer zentraler Anziehungspunkt ist die ungemein lange Fußgängerzone, die von bestens restaurierten historischen Stadthäusern gesäumt ist. Hier ragt das Jugendstilhaus der Bibliothek heraus sowie eine Atmosphäre, die ihresgleichen sucht: Die zahlreichen Cafés bieten ihren Gästen unter freiem Himmel wohnzimmerähnliche Gemütlichkeit, nämlich aufwendige Polstermöbel und bestes Bier. – Von der doppeltürmigen Kirche St. Theresia (1779) hatten wir mehr erwartet. Das graufinstere Bauwerk ist wegen eines vermutlichen Erdbebenschadens wohl schon seit vielen Jahren geschlossen; der zig Meter lange und handbreite Riss in den Außenmauern sieht bedrohlich aus. Beachtenswert ist das gegenüberliegende Kriegsmahnmal, wo an die vielen Gefallenen des Zweiten Weltkrieges erinnert wird: Winkler, Spitzer, Rakuć, Nesić … Aber warum befindet sich dieses Mahnmal in einem derart unwürdigen Zustand?

Vorbei am klassizistisch gestalteten Gymnasium (hier möchte man Lehrer sein!) kamen wir zur Synagoge, die sich in einem fast ruinenhaften Zustand befindet. Im verwilderten Vorgarten steht seit 1994 ein Gedenkstein: »Viertausend Juden in faschistischen Camps getötet.« Wurde dadurch das ganze jüdische Leben in Subotica ausgelöscht? – Diese Synagoge befindet sich etwas außerhalb des Stadtzentrums, wo es allgemein nicht zum Besten steht. Doch es gibt ja wohltuende Lichtblicke, nur nicht verzagen! So hat die Europäische Union hier sogenannte »Schulen für ein Demokratisches Serbien« eingerichtet, die sie natürlich auch großzügig finanziert. Hier findet statt, was wir Umerziehung nennen: Trimmen auf die alles selig machende Diktatur der 51 Prozent! Dauerhaft wird dieses politische Modell auf dem Balkan wohl nicht funktionieren.

UNGARN – Zwischen Tradition und EU

Frühstücksgestärkt machten wir uns am Morgen des 23. Juli gen Ungarn mit Reiseziel Szeged auf. Unser moderner Bus startete pünktlich um 10 Uhr, irgendwelche Probleme beim Grenzübertritt gab es nicht. Eigentlich hatten wir die Absicht, von Jugoslawien aus per Zug direkt nach Rumänien zu reisen, doch dies war dank zielsicherer US-Raketen immer noch nicht möglich. Die Brücken sind zerstört, aber diese werden wir braven EU-ler, wer auch sonst, wohl bald wieder aufgebaut haben – Haushaltslöcher hin oder her.

Ankunft im schönen Szeged 11.30 Uhr, und sogleich wurden wir von EU-Repräsentanten herzlich willkommen geheißen. Es grüßten Neckermann, Plus, dm, OBI und Volksbanken, äußere Zeichen dafür, dass Ungarn längst von den Segnungen aus dem reichen Westen profitiert beziehungsweise abhängig geworden ist. Wie in Slowenien ist man offiziell inzwischen auch in Ungarn geradezu stolz darauf, bereits (fast) westliches Preis-Niveau erreicht zu haben, ohne Rücksicht darauf, dass die allgemeinen Einkommensverhältnisse bei weitem noch nicht äquivalent sind. Ob die Ungarn das wirklich wollen? Befragt wurden auch sie jedenfalls nicht.

Touristen, die sich noch ein Auge für architektonische Besonderheiten bewahrt haben, kommen im Zentrum Szegeds auf jeden Fall auf ihre Kosten. Bevor der Domplatz erreicht ist, hat man zwei eindrucksvolle klobige Stadttore passiert, die Porta Heroum und die Porta Klebelsberg mit der dazwischen stehenden Reiterstatue des stolzen Rábószi Ference, einem ungarischen Freiheitshelden. Wahrhaft gewaltig ist der neuromanische Ziegel-Dom (20. Jahrhundert), dessen zwei schlanke Türme das gesamte Zentrum überragen. Die bunten kleinmustrigen Kirchenfenster lassen nur wenig Tageslicht ins Innere, so dass man Mühe hat, Details der usmalungen zu erkennen. Und wer, wie wir, das Glück hat, hier einem Konzert beizuwohnen, wird erstaunt sein, wie laut die drittgrößte Orgel der Welt zu tönen in der Lage ist.

Der Domplatz ist von drei Seiten mit historischen Ziegelgebäuden umgeben, in deren Arkaden man zahlreiche Büsten ungarischer Größen bewundern kann: Miklós, Bártok, Sandér, Lajos, Gábor und viele andere. Wer genauer hinschaut, entdeckt Hinweise auf die Zeit, in der Szeged königlichungarische Freistadt war (ab 1498), wird an die türkische Eroberung erinnert (1541) und lernt, dass ab 1686 die Stadt zum Habsburgischen Ungarn gehörte. Szeged liegt an der ruhig dahin fließenden Theiß, doch spätestens seit der Flutkatastrophe im Jahr 1879 mit über zweitausend Ertrunkenen weiß man, dass der Fluss auch grausam sein kann. – Abermals bewunderten wir das auf 1799 zurückgehende sogenannte Lechner-Rathaus, dessen eigenwilliger Uhrturm plus Fassade mit zum Fotogensten der Stadt gehört. Das Rathaus selbst sowie der gegenüberliegende weite Park strotzen vor bunten Blumen, alles ist gepflegt und einladend, ebenso das Jugendstil-Theater, das gerade Shakespeare, eine Operetten-Gala und ein Musical zur Aufführung bringt.

Ein weiterer touristischer Glanzpunkt ist der Klauzal-Platz mit näherer Umgebung. Mittelpunkt ist ein Brunnen, dessen bronzene Löwen eine vergoldete Kugel mit Kreuz tragen. Zu sehen sind ausschließlich historische Gebäude im Bestzustand, keine architektonische Modernität stört diese großartigen Bilder. Das ist ein Zentrum zum Genießen! – Übrigens: Auch hier, wie schon in Slowenien, Kroatien und Jugoslawien, braucht man sich über sogenannte Asylanten nicht zu ärgern, es gibt sie nicht.

Ein sich als lohnend erwiesener Tagesabstecher war der nach Makó an der Maros, eine kleine Stadt zirka 50 Kilometer östlich von Szeged, die wir per gemütlichem Schienenbus erreichten (Bahnverbindung seit 1883). Auch das dortige Stadtzentrum ist bestens restauriert, teils aber auch mit Modernem verunstaltet, was nicht allen gefallen kann, beispielsweise die kühne Architektur des Kulturhauses in Form einer stilisierten Zwiebel (Makó ist Zwiebelhauptstadt) mit dem gegenüberliegenden Brunnen, dessen Wasser eine hockende Frau unter sich ins Becken pinkelt. Sehr originell! Geradezu erholt fühlt man sich in der historischen Post am selben Platz mit ihren ansehnlichen Stuckdecken, schweren Metall-Lampen und blank geputzten Messingschaltern.

Beachtens- und besuchenswert ist das klassizistische Rathaus, dessen vorgelagerter Blumen- und Zierbäumepark mit einer Kossuth-Statue allein schon eine Augenweide ist. Unter anderem ist hier das Touristenbüro untergebracht, dessen überaus freundliches Personal sich um jeden fremden Besucher einzeln bemüht. Von der Büroleiterin wurden wir regelrecht vereinnahmt und mit Infos überversorgt. So ließ sie es sich nicht nehmen, uns auch noch zur Synagoge »Vorhand Mozes Rabbi« zu geleiten, die sich – bestens restauriert – in einer Straße des selben Namens befindet. Wir durften sie ungehindert besichtigen, allerdings nicht durchgängig zu unserer Freude: Dem Hitler-Regime sind auch hier von 1941 bis 1945 viele Juden zum Opfer gefallen beziehungsweise wird den Politzers, Goldsteins, Singers und Steiners gedacht.

Doch Makó hat noch mehr zu bieten, wie das monumentale Gymnasium, das historische Hotel Korona (1877) oder die blendend weiße Kálvin-Kirche (1778), die allerdings verwaist ist. Von strenger Zucht, wie die Calvinisten sie predigen, wollen die Ungarn von heute offensichtlich nichts mehr wissen.

RUMÄNIEN – Kirchen, Klöster und Dracula

»No Chipsy boys!« Mit dieser Wandschmiererei wurden wir aus Ungarn verabschiedet, um Richtung Rumänien weiterzureisen, also in ein Land, das vor Zigeunern nur so strotzt. In Ungarn hat man wohl eine tiefe Abneigung gegen Jungs dieser Gattung und macht dies nach außen hin auch deutlich. Als wir via Békéscsaba und nach problemlosem Grenzübertritt in Arad angekommen waren und den dortigen Bahnhof verinnerlicht hatten, war uns sofort bewusst, es in Rumänien beileibe nicht nur mit Chipsys beziehungsweise Zigeunern zu tun zu haben, sondern auch mit übermäßig vielen sonstigen windigen Figuren, denen man bei Dunkelheit möglichst nicht begegnen sollte. Die Vorstellung, dass jetzt jeder Rumäne – ob windig oder nicht – visafrei in EU-Länder, also auch nach Deutschland, einreisen kann, lässt angesichts dieser massenhaft vertretenen finsteren Gestalten nichts Gutes ahnen. Dass Rumänien zudem EU-Beitrittskandidat ist, sei nur beiläufig erwähnt. Vorsicht!

Wir quartierten uns im freundlichen Hotel Ardealul von 1841 ein und entrichteten eine satte Million Lei für zwei Nächtigungen inklusive prächtiger Frühstücke, das waren dreißig Euro. Erstaunlich, dass es trotz hoher Inflation auch in Rumänien keinen Schwarzmarkt mehr gibt. Unsere Bleibe im Zentrum der Stadt ist alles andere als unbedeutend: Hier wurde 1872 die »Bewegung der Rumänen West-Siebenbürgens« ins Leben gerufen und es gaben Musikkünstler von hohem Rang hier ihre Konzerte: Franz Liszt, Johannes Brahms, Johann Strauss Sohn und viele andere.

Arad, 1135 erstmals urkundlich erwähnt, wurde 1571 von den Türken erobert und erst 1685 von Österreich wieder befreit. Seit 1920 ist die Stadt rumänisch, hat sich ihren deutschen Bevölkerungsanteil von einigen Tausend jedoch erhalten. Besucht man beispielsweise die katholische Kirche St. Lukas mit dem Bibelspruch über dem Eingang »Mein Haus ist ein Bethaus« (und keine Mördergrube, Luk. 14,46), will Freude aufkommen, werden auf Wunsch doch auch deutschsprachige Gottesdienste abgehalten. – Von sakraler Bedeutung ist auch die doppeltürmige orthodoxe Kathedrale am zentralen Markt, deren Ausstattung bewunderungswert ist: riesige Ölgemälde, vollständig bemalte Gewölbe und Wände sowie ein Gestühl, das offensichtlich für wohlhabende Damen bestimmt ist, wie den Namensschildern zu ersehen ist. Hier sitzen regelmäßig die Silvia, die Elisabeta und die Auretia und beten für eine bessere Zukunft.

Die Hauptschlagader Arads ist der Boulevard-dul Revoluţiei, der unverständlicherweise noch heute so heißt. Diese außerordentlich breite, von alten Laubbäumen bestandene Allee führt via Revolutionsplatz direkt zum Bahnhof von 1890. Sie ist das Revier missionierender Mormonen aus den USA, die hier wohl die einzigen beschlipsten Jungs sind. Besagter Platz ist das Juwel Arads mit gepflegten Anlagen, gemütlichen Bänken und hervorragend restaurierten Gebäuden, wie dem Rathaus, dem Parteihaus der PD und der Universität.

Jenseits dieses Boulevards sind die Straßen und Gebäude oft in einem miserablen Zustand, und sieht man genauer hin, gibt es Armut an allen Ecken und Enden, doch die Zeit des Hungerns gehört der Vergangenheit an. Unangenehm fallen jene jungen Leute auf, die aller Öffentlichkeit zeigen wollen, dass sie jetzt wohlhabend sind, besonders die »jugendlichen Damen«, deren Outfit oft schlüpfrigen Magazinen abgeschaut worden ist. Doch im Allgemeinen sind die Menschen hier ausgesprochen schlecht beziehungsweise sehr ärmlich gekleidet.

Doch auch hier ist Zuversicht angesagt, denn natürlich hat die EU längst ihre spendablen Geldfinger auch in diesem Land. So wird für ein riesiges, sicher überflüssiges Bauprojekt Stimmung gemacht, einen »Pan Europa Korridor« zu schaffen, also eine Bahnstrecke von Arad bis nach Constanţa am Schwarzen Meer. Und Rumänien dankt es den europäischen (namentlich deutschen) Geldgebern, indem man allenthalben EU-Flaggen zeigt.

Per intakter deutscher Straßenbahn (hat bei uns ausgedient) ging es zurück zum Bahnhof, wo unser nach Cluj fahrender Zug pünktlich um 7.50 Uhr startete. Abermals querten wir weite Graslandschaften, landwirtschaftliche Gebiete (Sonnenblumen, Mais, Getreide), bevor in Oradea ein langer Stopp eingelegt wurde. Ab hier ging es kurvenreich entlang kleiner Flüsse, durch Tunnels und Wälder, in denen »gläubige Rumänen« immer noch blutrünstige Vampire oder gar Dracula persönlich wähnen. – Cluj beziehungsweise Klausenburg wurde im Zuge der deutschen Kolonisierung im 13. Jahrhundert zur wichtigsten Kommune Siebenbürgens. Nachdem Österreich die türkische Herrschaft von 1541 bis 1691 beendet hatte, folgte 1920 die rumänische und 1940 die ungarische, bis gegen Ende des Zweiten Weltkrieges die politischen Karten abermals neu gemischt wurden. Ab 1947 ist Cluj rumänisch.

Als der Zug gegen 13 Uhr unser Tagesziel erreicht hatte, atmeten wir auf, waren doch nicht nur wir unablässig von bettelnden Kindern und Fliegenden Händlern bedrängt worden. Wesentlich angenehmer war der aufgemöbelte Bahnhof von 1870 angesichts vieler Penner und windiger Figuren jedoch nicht, so dass wir froh waren, schnell im Zentrum eine akzeptable Bleibe, das Hotel Continental, gefunden zu haben.

Da wir Cluj bereits Mitte der 70-er Jahre schon einmal besucht hatten, konnten wir vergleichen. Leider fällt dieser Vergleich auf den ersten Blick nicht günstig aus, weil man das unmittelbare Zentrum, den Unirii-Platz, stark vernachlässigt hat: ungepflegte Anlagen, herumliegender Zivilisationsmüll und Schmierereien selbst am Sockel des übergroßen Mathias Rex, der die Huldigungen seiner ergebenen Soldatenhelden genießt. Hier machte die Jugend auf uns einen denkbar schlechten Eindruck.

Die den ganzen Platz dominierende Kirche St. Martius ist eine deutsche Architekturleistung von hohem Rang (Bauzeit ab 1350 bis 1580). Das Innere ist dunkel, lassen die hohen Kirchenfenster doch zu wenig Tageslicht einströmen. Da 1956 bis 1963, also unter kommunistischer Oberhoheit, eine großangelegte Restaurierung vorgenommen wurde, litten die Innenbemalungen beträchtlich, so dass das Gotteshaus einen ziemlich kahlen Eindruck macht. Wie kunstvoll einst die Wandgemälde waren, ist an einem übrig gebliebenen konservierten Rest zu erkennen.

Eine fast andere Welt ist der Platz Sefan Cel Mare, der nach dem Nationalhelden gleichen Namens benannt ist. Hier dominiert die orthodoxe Kathedrale (zirka 1920), unter deren wuchtiger Kuppel wir einen Gottesdienst erlebten und abermals tiefgehende Chorgesänge zu Gehör bekamen. Beneidenswert, mit welch unerschütterlicher Gläubigkeit sich die Bevölkerung – Jung und Alt – ihren Gebeten hingibt! Dieses Phänomen gehört mit zum Beeindruckendsten im orthodoxgläubigen Osten Europas, jedenfalls aus unserer Sicht. – Zwischen dieser Kathedrale und dem gegenüberliegenden sehenswerten Nationaltheater ragt eine riesige Steinsäule empor, die den Nationalhelden Vancu (1824 bis 1872) trägt.

Auffallend ist in Cluj, dass es viele verarmte alte Menschen gibt, die sich nur von unbelegtem Brot und aus Mülltonnen ernähren. Wie passt dazu, dass sich vor der Kathedrale wohlhabende Hochzeitsgäste in den Armen liegen, während der Alte auf der Bank neben mir trockenes Billigbrot in den Mund schiebt? Ich gab ihm einen Dollar und sah in ungläubige feuchte Augen. Dieser Mann wird nie verstehen, dass just hinter ihm eine riesige Reklame zu teuren Reisen in alle Welt auffordert. Für ihn und unzählige seiner Leidensgenossen ist die Welt längst aus den Fugen geraten, für uns allerdings auch.

Was soll in diesem Zusammenhang eigentlich das allenthalben zu sehende Nationale? Selbst Bänke, Abfallkübel und Blumenbeete sind national ausgerichtet und tragen die Farben Blau, Gelb und Rot. Dass man in dieser Stadt abermals keine sogenannten Asylsuchenden zu Gesicht bekommt, liegt auf der Hand: Hier ist erst recht nichts zu holen, nicht einmal Abfallkleidung, doch Asylanten stellen Ansprüche! Und sollten Bedürftige an die Tür des Deutschen Evangelischen Bischofsamtes zu Cluj klopfen und eine milde Gabe erflehen, werden sie vermutlich abgewiesen, da wohl selbst jener Oberhirte arm wie eine Kirchenmaus ist. Man betrachte seinen winzigen heruntergekommenen Amtssitz!

Unser aus Oradea kommender Zug startete in Cluj pünktlich um 9.03 Uhr gen Suceava, unserem Ziel für den heutigen 29. Juli. Wir leisteten uns diesmal die 1. Klasse, hatten wir von der 2. Klasse doch die Nase voll (Bettler, Händler). Aber die 205.000 Leu pro Kopf waren das Mehr an »Luxus« absolut nicht wert. – Wir durchfuhren zunächst eine leicht bergige Landschaft mit Mais- und Sonnenblumenfeldern, passierten höchst ärmliche Dörfchen und kaputte Fabriken und querten kleine Flüsse auf denkbar schmalen Brücken. Schließlich wurde es in den Hochkarpaten landschaftlich reizvoll, die Strecke sehr kurvenreich, ja abenteuerlich. Viel dichter Laub- und Nadelwald lässt schmackhafte Pilze erahnen und – Dracula!

Nachdem wir diese schöne Bergwelt hinter uns hatten, wunderten wir uns über deutlich bessere Verhältnisse, die wir uns zunächst nicht erklären konnten: schön bemalte Klosterkirchen, viel Farbe an Häusern und reich verzierte Dächer, Brunnen und Zäune. Wir hatten das Moldaugebiet beziehungsweise die Bukowina (bedeutet Buchenwald) mit ihren berühmten Klöstern erreicht. Hier bewirken also – übrigens schon seit den Zeiten des seligen Ceauşescu – die relativ reichlich fließenden harten Währungen der Touristen offensichtlich Positives. Zudem vermerkten wir mit Genugtuung, dass den Menschen hier oben ihr relativer Wohlstand nicht zu Kopf gestiegen ist, jedenfalls ergatterten wir eine saubere private Bleibe, für die wir nur einen ganz bescheidenen Preis zu zahlen hatten – vermittelt übrigens von hilfsbereiten kleinen Geschäftsleuten. Euch sei Dank!

Suceava bietet ein ansehnliches Stadtzentrum und eine ganze Reihe typischer Sehenswürdigkeiten in und außerhalb der City. – Mittelpunkt ist hier ein schönes Rathaus mit markantem Uhrturm, wohl um 1900 errichtet. Das nahe Kulturzentrum ist ein moderner grauer Zweckbau aus streng sozialistischer Zeit, den man wegen erwiesener Hässlichkeit wegsprengen sollte. Dass die Stadt aber auch Sinn für Historisches hat, beweisen ein paar Statuen, beispielsweise die der Könige Petru I. Muşat (bis 1391) und Petru Rureş (bis 1546) sowie des großen Musikkünstlers Cirian Porumbescu (bis 1883).

So versteht sich, dass auch Kirchen und Klöster in großen Ehren gehalten und liebevoll gepflegt werden. – In der City dominiert die dem Heiligen Johannes von Nepomuk geweihte »Kirche der Heiligen Auferstehung«, deren Anfänge auf das Jahr 1775 zurückgehen, als die Nord-Bukowina ans kaiserliche Österreich angeschlossen wurde und sich Menschen aus Böhmen hier niederließen. Kirchen bieten oft Überraschungen der besonderen Art, auch diese: Während keines meiner Lexika das genaue Sterbedatum des Heiligen Petrus beziehungsweise des ersten Papstes der katholischen Kirche aufweist, wird es jedoch den hiesigen Gläubigen offenbart: Petrus erlitt unter Kaiser Nero am 29. Juli im Jahr des Herrn 67 den Märtyrertod. Reisen bildet, wer wollte das bestreiten!

Mit viel innerer Anteilnahme besichtigten wir mehrere der typischen moldauischen Klosteranlagen, unter anderem Sankt Johannes (Joan), die wohl schönste Anlage dieser Art in Suceava, welche auf das Jahr 1535 zurückgeht. Besonders eindrucksvoll ist die kunstvolle Ausmalung der dunklen Innenräume. Jedes der vielen Motive hat Unterschiedliches zum Inhalt. Die Außenmalereien tragen leider deutliche Spuren der Verwitterung, doch sind die Gebäude an sich in Ordnung. – Für besonders sehenswert halten wir auch die Kirche des Heiligen Dumitri, deren Anfänge ebenfalls um 1530 zu suchen sind. Hier beeindrucken die mächtige Kuppel ebenso wie die großen historischen Ölgemälde. Etwas außerhalb der City suchten wir das Kloster Zamca auf, das in hässlicher »Hundegegend« liegt; Fremde kommen hier nicht ungeschoren zu ihrem Ziel. Die Klosterkirche ist von einer groben Wehrmauer umgeben und wird zurzeit restauriert, die ursprünglichen Zieranlagen wurden zu Gemüsegärten umfunktioniert. Der zum Kloster gehörende Friedhof weitab der Klosteranlage weist noch ein paar deutsche Spuren auf: Hier ruhen die Jakobs und Stelas in Ewigkeit.

Allgemein lässt sich noch sagen, dass die Menschen auffallend schlecht gekleidet sind, wobei wir glauben, dass dies weniger am fehlenden Geld, sondern an deren Mentalität liegt. Im Übrigen wurden wir Exoten stets aufmerksam von Kopf bis Fuß zur Kenntnis genommen und wissen bis heute nicht, warum ausgerechnet unsere bescheidenen Reiseschuhe so faszinieren. Die Stadt als solche weist noch viele alte Wunden auf: Häuser, Fußwege und Treppen sind oft noch in sehr schlechtem Zustand.

Wieder hatten wir uns für die Weiterfahrt nach Iaşi die sogenannte 1. Klasse genehmigt, doch auch dieser Zug ließ arg zu wünschen übrig: kaputte Türen, nicht sauber, aber etwas mehr Platz. Unterwegs fiel uns immer wieder Bahnschrott auf sowie eine Landwirtschaft wie vor vielen Jahrzehnten. Die Dörfchen wurden, je weiter wir uns von Suceava entfernten, zusehends ärmlicher, bis nur noch Adobehäuser und Lehmziegelproduktionsstätten (Handarbeit) zu sehen waren. Eine Überraschung war dagegen Iaşis Bahnhof, dessen totale Restaurierung in Kürze abgeschlossen sein wird.

Es war unser zweiter Besuch von Iaşi seit 1973, und so waren wir gespannt, was sich in dieser schönen Stadt wohl verändert haben mag. Das Ergebnis: Iaşi ist besuchenswerter als je zuvor, wenngleich die touristischen Highlights natürlich noch dieselben sind und sich wie seinerzeit in gutem Zustand befinden. Verändert hat sich die Atmosphäre sehr zugunsten dieser Stadt! Und dass man heute bei »Billa« locker einkaufen kann, haben wir Selbstversorger mit Wohlwollen kommentiert.

Das aus unserer Sicht schönste Bauwerk ganz Rumäniens ist der ab 1906 entstandene Kulturpalast, den man sich innen wie außen stundenlang zu Gemüte führen könnte. Überragt wird dieses überaus mächtige Bauwerk von einem Uhrturm mit Außenmalereien, National- und EU-Flagge. Davor stehend bewundert man die seitlichen Türme sowie die vielen reich verzierten Schieferdächer, die kunstvollen Wappen-Reliefs und Balustraden. Vor dem Palast breiten sich gepflegte Anlagen aus, in deren Mittelpunkt die Reiterstatue des größten moldauischen Freiheitshelden Stefan Cel Mare (1457 bis 1504) zu bestaunen ist.

Reiterstatue des Freiheitshelden Stefan Cel Mare vor dem Kulturpalast in Iaşi.

In Sichtweite steht die historisch bedeutende Kirche Sankt Nicolae Domnese, ein rotes Ziegelbauwerk, das ab 1491 errichtet wurde. Baustil und Ausstattung sind höchst ausgefallen. So wurden in die Außenwände zahlreiche Nischen eingelassen, die mit farbenfrohen aufgefrischten Heiligenmotiven versehen jeden Betrachter berühren. Das dunkle Innere überrascht vor allem mit prächtigen Wandmalereien, die neben vielen Heiligen auch König Carol I. zusammen mit Regina Elisabeta und Prinzessin Maria nebst weiteren Familienmitgliedern zeigen (Carol I. war rumänischer König von 1881 bis 1914).

Das schöne alte Rathaus passierend kamen wir zum Nationaltheater, das den Namen Vasile Alecsandro trägt. Davor breitet sich eine ungepflegte große Parkanlage mit Brunnen und vielen Künstlerbüsten aus, aber auch das Theater selbst befindet sich äußerlich in bedenklichem Zustand, sogar das zu hörende Glockenspiel dürfte schon seit Jahrzehnten nicht mehr überholt worden sein. – In der Catedrala Mitropolitana (1833) hatten wir wieder einmal Gelegenheit, orthodoxe Gläubigkeit zu empfinden beziehungsweise das Hingeben an die Wahre Lehre zu Ehren Gottes – ob Jung oder Alt. Ebenfalls zentral gelegen ist die Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit, die wegen ihrer inneren und äußeren Stein-Ornamentierung weltweit nicht ihresgleichen hat. Außerdem beeindrucken auch hier die historisch bedeutsamen Malereien. Im Garten machen drei Glocken auf sich aufmerksam: die größte von 1639 zeigt die Drei Hierarchen, die mittlere ist von 1774 und die kleinste von 1817.

Unvermittelt steht man vor der steinernen Galerie der Könige und Helden, acht an der Zahl und lebensgroß, unter anderem ist Petru Rareş und Stefan Cel Mare zu sehen. – Die Universität »Al. I. Cuza« von 1860, in die wir selbstverständlich hineinblicken durften (was übrigens auch schon vor dreißig Jahren erlaubt war), macht einen würdevoll-konservativen Eindruck, sie ist außerordentlich sauber und gepflegt. Hier dürfte also das Lehren und Studieren noch – oder wieder – das Wichtigste im Leben junger Menschen sein. – Wie schon einmal erfahren (Todesdatum Petrus), so bot auch die hoch ummauerte Klosteranlage Golia eine Überraschung: Das Kloster geht auf das Jahr 1515 n. Chr. zurück, das nach orthodoxer Rechnung aber bereits das Jahr 7023 war. Welches epochale Ereignis vor rund 7.500 Jahren stattgefunden hat, blieb uns allerdings bis heute ein Rätsel. Und aus welchem Grunde klopfen hier die Mönche, wenn sie zur Gebetsstunde rufen, auf hell klingende Hölzer, statt Glocken zu läuten?

Iaşi ist also immer einen Besuch wert, ja man kann sich angesichts verschenkter bayerischer Straßenbahnen mit der Reklameaufschrift »Segmüller« geradezu heimisch fühlen. Kaum zu glauben, dass diese bei uns ausrangierten Veteranen heute sogar besser als früher aussehen: Die Führerkabinen sind mit weißen Gardinen behangen und mit bunten Blumen ausgeschmückt!

MOLDAWIEN – Ein zerrissenes Land

Hinter diesem Titel verbirgt sich eine moldauische Tragödie: Fremde Mächte haben, wie im Fall Deutschlands und Koreas, das kleine Land geteilt, dies jedoch gleich mehrfach, was hier jedoch auch ethnische Hintergründe hat. Die Republik Moldawien mit ihrer Hauptstadt Chişinău wird von 64 Prozent Rumänen (Moldauer genannt), 14 Prozent Ukrainern, 13 Prozent Russen und 3,5 Prozent Gagausen sowie weiteren Minderheiten bewohnt. 1991/92, also im Zug des Zusammenbruchs der Sowjetunion, kam es zu kriegerischen Konflikten hauptsächlich mit den Russen, die militärisch von Moskau beziehungsweise vom berüchtigten General Lebed massiv unterstützt wurden. Das Ergebnis war eine Teilung des Landes beziehungsweise die Etablierung der Unabhängigen Republik Dnjestr östlich des Flusses gleichen Namens. Heute ist dieser »Staat« schwer bewacht von der 14. russischen Division und ausgestattet mit nationaler Währung, eigener Staatsflagge und nationalen Kfz-Nummernschildern. Und im Süden Moldawiens hatten sich plötzlich die Gagausen ihrer türkisch-islamischen Wurzeln erinnert und sich prompt ebenfalls verselbständigt. Beide abtrünnigen Staatsgebilde sind allerdings weder international noch von Chişinau anerkannt. Hinzu kommt das auch nur vorläufig gelöste Problem des Ostteils Rumäniens, ebenfalls (eigentlich) zu Moldawien gehörend. Dieses Land ist quasi viergeteilt!

Von diesen erheblichen innenpolitischen Problemen hatten wir nur vage Vorstellungen, so dass wir doch ziemlich überrascht waren, als wir dort die raue Wirklichkeit erlebten. Ganz gefahrlos war das wohl nicht, doch sei vorausgeschickt, dass wir keine nennenswerten Schwierigkeiten hatten, obwohl wir es riskierten, auch den russisch besetzten Ostteil, also die Unabhängige Republik Dnjestr, zu besuchen. Den angeblich noch militanteren Süden beziehungsweise Gagausien ersparten wir uns allerdings. Moldawien ist also alles andere als ein ganz normales Land beziehungsweise für touristisch Interessierte ehrlicherweise nicht zu empfehlen.

Per voll besetztem internationalem Bus starteten wir bereits morgens gegen 7.45 Uhr Richtung rumänisch-moldauischer Grenze. Was wir sahen, waren abermals höchst bescheidene Dörfer mit vielen Gänsen und Adobe-Produktionsstätten. Die Landwirte setzen hier vor allem auf Sonnenblumen, Mais, Wein und Honig. Während die rumänische Seite ihre Grenzabfertigung zügig und problemlos vornahm, haperte es auf moldauischer Seite erheblich. Alle Formulare sind ausschließlich rumänisch vorgedruckt und auszufüllen – eigentlich eine unüberwindbare Hürde, wenn uns nicht eine ältere Dame geholfen hätte. »Für meine Familie hat Deutsch eine lange Tradition, wir lieben diese Sprache«, meinte sie. Wir deklarierten ungern unsere mitgeführte Barschaft und erklärten per Unterschrift, weder Drogen noch Waffen mitzuführen. Die Weiterfahrt erfolgte erst nach stundenlangem Aufenthalt. Dass wir die einzigen westlichen Reisenden waren, sei nur beiläufig gesagt, doch wir wurden in keiner Weise schräg angesehen oder diskriminiert, eher war das Gegenteil der Fall.

Nach dem Durchqueren typischer landwirtschaftlich ausgeprägter Flachlandgebiete (Sonnenblumen, Mais und Vieh) erreichten wir ziemlich pünktlich Chişinau und sahen uns unvermittelt auf einem chaotischen Busbahnhof wieder. Hier war höchste Vorsicht geboten! Nach anfänglichem Durcheinander trafen wir schließlich Lida und Pavel, gute Freunde eines ehemaligen Kollegen, die uns eine private Bleibe in Chişinau angeboten hatten. Wir bezogen ein geräumiges Apartment zum akzeptablen Preis im Zentrum der Hauptstadt und waren zufrieden. Während Lida ein freundlicher und zugänglicher Typ ist, leider aber keines fremdsprachigen Wortes mächtig, hielt sich der auffallend unsicher auf seinen Beinen stehende Pavel, des Deutschen recht gut mächtig, sehr zurück. Monate später hörten wir, dass er mittlerweile verstorben war, vermutlich verhungert. Ein Schock und unglaublich zugleich!

Der Name der Hauptschlagader Chişinăus zeigt, dass hier der moldauische Nationalheld Stefan Cel Mare ebenso hoch verehrt wird wie drüben in Iaşi. Diese belebte breite Straße bietet all jenen, die Geld in der Tasche haben, buchstäblich alles – vom teuersten Parfüm, über beste Backwaren bis hin zu Billigkeksen. Doch die anzutreffenden Menschen machen großteils keinen guten Eindruck; vor allem die jungen Männer wollen uns gar nicht gefallen. Hin und wieder eine Pistole zwischen Hemd und Gürtel zu erblicken, flößt Respekt ein! Auffallend auch, dass man im Straßenverkehr die teuersten Autos der Welt sieht und mehr gut gekleidete Passanten als drüben in Rumänien. Chişinău, eine Stadt von Schiebern und Kriminellen? Fast in Sichtweite unserer dutzendstöckigen Bleibe mit typisch verkommenem Treppenaufgang und Lift (der erstaunlicherweise funktionierte) befindet sich die von uns so genannte Blaue Kathedrale, deren blau-goldfarbene Türmchen weithin glänzen. Hier erlebten wir eine vormittägliche Gebetsstunde, lauschten zum x-ten Mal den melodischen Chorgesängen und sprachen den Gläubigen gedanklich Mut zu, auch in Zukunft nicht zu verzweifeln.

Fast zu vernachlässigen ist das ziemlich hässliche Regierungsgebäude, das offensichtlich noch aus der SU-Zeit ist, ferner das riesige Parlament (hier gefallen nur die stolzen Blautannen im vorgelagerten Park) sowie der nichtssagende Sitz des Staatspräsidenten gegenüber. Fotos sind heutzutage allerdings kein Problem mehr. – Sehenswert ist wenigstens die riesige Statue des Nationalheiligen Stefan Cel Mare, der in seiner Rechten ein Schwert schwingt und in seiner Linken ein erhobenes Kreuz. Hier legen Brautpaare und deren Gefolge traditionell teure Blumengebinde nieder und glauben den gütigen Segen Stefans zu spüren.