1,99 €
Die Bestie
Professor Zamorra erhält einen Hilferuf einer alten Freundin, mit der er einst in Freiburg Parapsychologie studierte. Ihr besonderes Interesse galt schon damals der Lykanthropie, wie sich Zamorra erinnert. Daher ist er nicht erstaunt, als er erfährt, dass sie inzwischen als anerkannte Expertin gilt, was Wölfe betrifft. Erstaunt ist er eher, als er in den Schwarzwald reist und seine Freundin seit damals kein Jahr gealtert zu sein scheint ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Die Bestie
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Horn Andrey; Zacarias Pereira da Mata/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7746-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Bestie
von Veronique Wille
Du läufst wie im Rausch. Vor nichts davon, auch keinem Ziel entgegen. Du läufst um des Laufens willen. Der Wald gehört dir. Alles gehört dir. Die Gerüche nimmst du wahr als etwas Elementares, Belebendes. Die Äste und Zweige huschen an dir vorbei, während du der Spur folgst, die du seit Tagen witterst.
Noch hält die Fremde sich versteckt, ist sich nicht sicher, wer du bist. Wer du wirklich bist …
Doch dann siehst du sie auf der Lichtung. Der Vollmond lässt ihr Fell silbern glitzern. Sie ist bereit zum Kampf.
Genau wie du.
Dann siehst du nur noch Rot.
Und Blut.
Die Gewitterfront, die an diesem Morgen über Château Montagne aufzog, kam in Form eines Briefes, den Madame Claire aus ihrer Schürze zog. Doch das Grollen war bereits vorher zu vernehmen.
Zamorra hatte soeben sein zweites Croissant verspeist, als sein Blick auf den Frühstücksteller seiner Partnerin fiel.
»Nici, chérie, du isst ja nichts! Ist dir etwa nicht gut?«
»Mitnichten. Angesichts der bevorstehenden wärmeren Tage beabsichtige ich, meine Bikinifigur wiederzuerlangen.«
Zamorra sah sie entgeistert an. »Aber du hast deine Bikinifigur. Davon konnte ich mich heute Morgen bereits ausgiebig überzeugen!«
Er überhörte das Räuspern Madame Claires, die allerdings derartige Themen am Frühstückstisch gewohnt war. Dennoch klapperte sie nun geräuschvoll mit dem Geschirr, um zu demonstrieren, dass sie geflissentlich weghörte. In Wahrheit entging ihr natürlich kein Wort.
»Männer!«, erwiderte Nicole und verdrehte leicht die Augen. »Hauptsache, ihr habt genug zum Anfassen. Die Feinheiten interessieren euch nicht.«
»Aber sehr wohl!«, protestierte Zamorra, während er mit dem Marmeladenlöffel herumfuchtelte. »Deine wunderschönen Augen, der Schwung deiner Brauen, deine …«
»Hör schon auf, Süßholz zu raspeln, iss lieber noch ein Croissant.«
Zamorra ließ den Löffel sinken und schaute auf seinen flachen Bauch. »Das klang so, als hieltest du mich für zu dick.«
»Na ja, jeder setzt im Winter etwas Speck an, wenn es ihm zu gut geht.«
»Aber chérie, mir geht es wirklich gut, dank dir, und ich genieße Augenblicke wie heute Morgen, wo wir einfach nur Zeit für uns haben.«
»Du lenkst ab, Zamorra.« Nicole funkelte ihn an, und das Funkeln verriet ihm, dass sie es ernst meinte. »Warst du mal in letzter Zeit auf der Wage?«
»Ehrlich gesagt nein.«
»Siehst du! Ich aber. Und ich habe in den letzten Wochen sage und schreibe zwei Pfund zugenommen!«
»Zwei Pfund, die dir fantastisch stehen, chérie!«
Und das war nicht gelogen. Zamorra liebt seine Partnerin – so wie sie war und wie sie vor ihm saß.
»Unsinn! Ab morgen machen wir eine Diät.«
»Wir?«, entfuhr es ihm entsetzt.
»Jawohl, chéri«, antwortete Nicole mit einem zuckersüßen Lächeln. »Wir! Während du noch deinen Schönheitsschlaf gehalten hast, habe ich mit Madame Claire einen Low-Carb-Diätplan ausgetüftelt, der ab morgen in Kraft tritt.«
»Ohne mich zu fragen? Findest du das nicht ein wenig …«
Das Funkeln in Nicoles Augen nahm bedrohliche Ausmaße an, sodass es Zamorra ratsam erschien, seine Worte sorgsam abzuwägen. Er hasste Auseinandersetzungen am Frühstücktisch.
»Sag ruhig, dass du mich für eine Despotin hältst!«
»Höchstens für eine klitzekleine, chérie.«
In diesem Augenblick trat Madame Claire an den Tisch und zog besagten Brief aus der Schürze – und damit war das Gewitter endgültig nicht mehr aufzuhalten.
»Ich habe vergessen, Ihnen den Brief zu geben. Er kam schon letzte Woche mit der Post, und ich hatte ihn in der Schürze.«
»Das sehe ich«, sagte Zamorra mit gerunzelter Stirn, der solche Art von Nachlässigkeit gar nicht liebte, sie aber insbesondere im Fall von Madame Claire für entschuldbar hielt.
Sie war die gute Seele des Haushalts und fuhr jeden Morgen mit dem Fahrrad vom Dorf hoch ins Schloss, brachte frische Croissants und die Post mit und tat auch sonst alles in ihrer Macht Stehende, um den »Herrschaften«, wie sie es ausdrückte, so viel Alltagsarbeit wie möglich abzunehmen.
Zamorra nahm den Brief entgegen. Sein Name und die Adresse standen mit fein säuberlicher Schrift in schwarzer Tinte auf dem weißen Umschlag.
»Nanu? Wer schreibt den heute noch mit der Hand?«, wunderte sich Zamorra, der es durchaus zu schätzen wusste, wenn sich jemand diese Mühe noch machte.
»Wer schreibt heutzutage überhaupt noch einen Brief?«, fragte Nicole. Sie hatte sich neugierig vorgebeugt.
Zamorra zog den Brief an sich. »Er ist an mich gerichtet«, sagte er lächelnd.
»Das sehe ich. Und die Schrift stammt eindeutig von einer Frau.«
»Ich bewundere deinen Scharfsinn. Jedenfalls fehlt der Absender. Wie auch immer, ich werde mich dem Schriftstück ausführlich nach dem Frühstück widmen.«
»Unsinn! Du machst ihn sofort auf!«
»Aber wie verträgt sich das mit deiner Diät, mein Schatz?«
»Willst du mich auf den Arm nehmen, Zamorra?«
»Na ja, ich meine nur, falls es etwas Unerfreuliches ist, könntest du vor Frust vielleicht doch in ein Croissant beißen wollen …«
Das Glitzern in Nicoles Augen nahm an bedrohlicher Intensität zu, sodass es Zamorra ratsam erschien, nicht weiter zu sticheln. Außerdem war er selbst neugierig.
»Also schön, ich gebe mich geschlagen. Bevor du also anfängst, mit dem Besteck nach mir zu werfen …« Er seufzte theatralisch, schlitzte das Kuvert mit dem Brotmesser auf und zog den darin enthaltenen Brief hervor.
»Auf rosafarbenen Papier«, stellte Nicole naserümpfend fest.
»Zumindest ist er nicht parfümiert.«
»Das fehlte noch. Also? Was steht drin?«
Zamorra ließ sich bewusst Zeit, den Brief zu lesen. Es waren nur wenige Zeilen. Nachdenklich reichte er das Blatt Nicole.
»Wer ist Denise?«, fragte sie.
»Ich musste auch erst nachdenken. Es handelt sich um eine alte Studienfreundin.«
»Oh, dann muss sie tatsächlich sehr alt sein.«
»Ja, und insofern besteht nicht der geringste Grund zur Eifersucht.«
»Sie bittet dich um deine Hilfe!«, las Nicole weiter. »Aber was sie genau von dir will, verrät sie nicht.«
»Immerhin bezieht sie sich auf unsere gemeinsame Studienzeit in Freiburg. Also vermute ich mal, dass es sich um ein parapsychologisches Problem handelt.«
»Warum kommt sie nicht einfach her? Oder ruft an oder mailt wie andere Menschen auch?«
Zamorra zuckte die Schultern. »So ungewöhnlich ist das jetzt aber nicht.«
»Nein, aber es zeigt uns zumindest eines.«
»Und was, Sherlock?«
»Dass es sich um kein dringendes Problem handelt. Schließlich benötigt so ein Brief ja auch mindestens einen Tag, bis er den Empfänger erreicht.«
In diesem Fall sogar länger, dachte Zamorra angesichts der Tatsache, dass Madame Claire ihn in ihrer Schürze vergessen hatte. Im Gegensatz zu Nicole glaubte er nicht, dass es sich um kein dringendes Problem handelte. Er konnte es nicht genau bestimmen, aber er hatte das Gefühl, zwischen den Zeilen genau das Gegenteil ausgemacht zu haben. Und dennoch rätselte er, warum sich die Absenderin nach so langer Zeit an ich gewandt hatte.
»In deinem Kopf geht doch was vor, Zamorra«, unterbrach ihn Nicole in seinen Gedanken.«
»Ich überlege gerade, wie ich am besten nach Albbach komme.«
»Albbach? Du hast doch nicht etwa vor, heute noch …«
»Der Ort soll im Schwarzwald liegen, in der Nähe von Freudenstadt. Ich freue mich schon auf eine köstliche Schwarzwälder Kirschtorte mit …«
»Zamorra!«
»Also gut, es ist nicht allein die Torte, sondern …«
»Deine Denise.«
»Es ist nicht meine Denise, mon dieu.«
»Welcher Art war eure Freundschaft damals eigentlich?« Nicoles Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt.
»Oooch …«
»Es reicht, Zamorra!«, wetterte Nicole. Sie schien an diesem Morgen wirklich schlechteste Laune zu haben. »Wir hatten uns für heue vorgenommen, einen der Kellerräume auszumisten!«
»Der Keller kann warten, Denise nicht.«
Das hätte er nicht sagen sollen. Diesmal warf Nicole tatsächlich mit dem Löffel nach ihm. Aber das war nur der Anfang des Gewitters, das sich über ihm entlud.
☆
Der Hund tanzte. Aus den Boxen der Stereoanlage erklang Alexander Wertinskis Dorogoj Dlinnoju. Die alte russische Volksweise erinnerte Konstantin an seine Kindheit. Was er dagegen hasste, war die westliche Version von Mary Hopkin, die der Schnulzenheini Paul McCartney produziert hatte.
Bei dem Hund handelte es sich um einen Mischling, irgendwas zwischen Labrador und Münsterländer. Ein Straßenköter, den er dem Hundefänger, der ihn ständig mit neuen Tieren versorgte, für ein paar Mark abgekauft hatte.
Der Hund war nicht intelligenter gewesen als die meisten anderen seiner Artgenossen. Er hatte auch schon mit Border Collies und Pudeln experimentiert, die als besonders intelligent galten, aber auf Dauer konnte er sich diese Rassehunde nicht leisten. Immerhin stand er noch am Anfang seiner erhofften Karriere. Und auch das Laboratorium, das Futter für die Tiere, die ganzen Spritzen – all das verschlang allmählich das Erbe seines Vaters.
Der Hund, er hatte ihm keinen Namen gegeben, erwies sich jedoch als sehr lernfähig, und das ganz ohne das übliche Ritual von Bestrafung, Schmerzen oder Futterentzug. Eher zufällig war Konstantin schließlich auf dessen besondere Begabung gestoßen. Er hatte mit Denise zu Alexander Wertinskis Gesang getanzt. Im Labor. Das war auch für ihn ungewöhnlich gewesen, aber er befand sich in Hochstimmung, weil eine Stiftung ihm einen dringend benötigten Geldbetrag bewilligt hatte.
Der Hund hatte zu jaulen begonnen, so als wollte er Wertinskis Gesang imitieren. Verärgert über den Missklang hatte sich Konstantin von seiner Partnerin gelöst und zu einem Reagenzglas gegriffen, um es nach dem Störenfried zu werfen. Seine Wutanfälle häuften sich in letzter Zeit. Jähzornig war er von Natur aus, aber je länger der erhoffte Durchbruch ausblieb, desto häufiger rastete er aus.
»Nicht! Siehst du nicht, was er macht?« Denise, seine Assistentin und Partnerin, hielt seinen erhobenen Arm mit dem Glas fest.
»Was erlaubst du …«, schrie er, aber dann begriff auch er, was sich vor seinen Augen tat: Der Hund versuchte ihre Tanzschritte zu imitieren!
Von da an machten seine Experimente enorme Fortschritte. Die Stoffe, die er benötigte, verschlangen immer mehr seines Vermögens, aber er war überzeugt, dass der erhoffte Durchbruch, für den er so lange gearbeitet hatte, zum Greifen nah war.
Die ersten tumben Schritte des Hundes waren nur der Anfang. Der Hund begriff schnell, lernte jeden Tag dazu. Bald konnte zu den verschiedensten Songs einstudierte Schrittfolgen vollführen.
»Er ist bald zirkusreif!«, stellte Denise einmal fest.
»Bald? Er ist es jetzt schon«, entgegnete Konstantin.
Der Vergleich missfiel ihm, und das sagte er ihr auch. Seine Experimente waren viel zu schade, um sie einem Zirkuspublikum zu präsentieren.
Er hatte Größeres vor.
Etwas viel Größeres.
☆
So heftig sich Nicole aufgeregt hatte, so schnell war das Gewitter auch wieder vorbei. Sie hatte sich sogar bei ihm entschuldigt.
Zerknirscht war sie in sein Arbeitszimmer gekommen, hatte sich von hinten über ihn gebeugt und ihm einen zärtlichen Kuss gegeben.
Zamorra saß vor dem Monitor und hatte keinen Sinn für die wunderbare Landschaft, die sich unterhalb des Panoramafensters erstreckte und einen Blick auf die Loire und das kleine Dorf unterhalb des Schlosses erlaubte.
»Manchmal bin ich wirklich ein garstiges Monster«, räumte Nicole ein.
»Aber ein liebenswertes.«
Interessiert beugte sie sich noch weiter vor und sah ihm über die Schulter.
»Aha, ich sehe, du informierst dich bereits über die Dame«, erkannte sie mit einem Blick auf den Monitor. »Was verrät uns Monsieur Google?«
»Leider nicht viel«, räumte Zamorra ein, während sich Nicole neben ihn setzte. »Und die anderen Quellen geben auch nicht viel her. Nach ihrem Abschluss in Freiburg ist sie zumindest was das www betrifft, spurlos abgetaucht. Einmal habe ich eine ›Miss Denise Weißenfeld‹ gefunden, die sich für die Errichtung eines Nationalparks engagiert hat, aber der Artikel war leider ohne Foto.«
»Apropos: Wie würde die Dame heute eigentlich aussehen?«
»Hm, sie müsste so sechzig sein …«
»Also kein altes Mütterchen.«
»Damals war sie eine ziemliche Schönheit mit langen schwarzen Haaren. Ich nehme an, dass sie immer noch attraktiv ist und auf ihr Äußeres achtet.«
»So weit, so gut, aber wie willst du ihr erklären, dass du in all den Jahrzehnten kaum gealtert bist?«
Sowohl Zamorra als auch Nicole hatten seinerzeit vom Wasser aus der Quelle des Lebens getrunken und waren unsterblich. Zumindest relativ, denn gegen tödliche Waffen waren auch sie nicht gefeit.
»Warum sollen nur Frauen sich die grauen Haare färben dürfen?«, antwortete Zamorra. »Ich sage einfach, meine wären gefärbt.«
»Es sind nicht nur die Haare«, widersprach Nicole. »Dein Gesicht, deine ganze Erscheinung stimmen nicht mit deinem wahren Alter überein.«
Zamorra dachte einige Augenblicke ernsthaft darüber nach. Schließlich nickte er. »Du hast recht. Denise würde es gleich durchschauen, und direkt mit einer Lüge ins Haus fallen möchte ich auch nicht.«
»Also?«
»Also werde ich ihr die Wahrheit sagen.«
»Dass du vom Wasser des Lebens getrunken hast?«
»Die Details braucht sie ja nicht zu erfahren.«
»Also gut, und du willst wirklich noch heute los?«
Zamorra nickte. »Der Tenor des Briefes beschäftigt mich. Es klingt nicht so, als ließe sich das Problem, um das es geht, sehr lange aufschieben. Ich habe William bereits gebeten, die Tasche zu packen.«
»Du glaubst, dass du länger weg sein wirst?«
»Keine Ahnung, vielleicht ein paar Tage, wer weiß.«
»Also schön, meinen Segen hast du. Dann werde ich den Keller eben allein aufräumen.«
»Du willst nicht mitfahren?«
Nicole schüttelte energisch den Kopf. »Ich werde mich hüten! Ich will doch nicht wie das dritte Rad am Wagen dabeisitzen, während ihr in alten Erinnerungen schon schwelgt. Also: Fahr schon los!«
☆
»Ich habe Kontakt mit einem gewissen Wiktor Mordaschow aufgenommen«, erklärte er ihr, während sie beide im Labor standen und die perfekt gesetzten Tanzschritte des Hundes betrachteten.
Es war nicht mehr der Hund, an dem sie zuerst die Erfolge ihrer Experimente festgestellt hatten. Seitdem waren zwei Jahre vergangen, und an Dutzenden von Hunden, Katzen und Primaten hatte Konstantin seine Forschungsergebnisse immer weiter optimiert. Sie alle hatten nur Nummern. Dieser Hund hatte die Nummer H123.
»Mordaschow? Ich habe nie von ihm gehört«, gestand Denise.
Konstantin gab ihr mit dem Zeigefinger einen Stups auf die Nase. »Das brauchst du auch nicht. Es reicht, dass du mir assistierst. Das Geschäftliche und alles Weitere regle ich schon selbst.«
Es klang selbstgefällig wie immer, aber Denise gab sich damit zufrieden, an seiner Seite zu sein. Seine Genialität hatte sie von Anfang an fasziniert. Aber mehr noch hatte sie gespürt, dass er tatsächlich etwas Großes, etwas Bedeutsames schaffen konnte. Die Tiere, die auf der Strecke blieben, hatten ihr anfangs leidgetan, aber Konstantin hatte ihr begreiflich gemacht, dass Opfer eben gebracht werden mussten. Im Krieg und in der Wissenschaft war alles erlaubt.
Er war die Nr. 1, sie die Nr. 2. Aber dafür war sie seine Nr. 1. In der Regel genügte ihr diese Gewissheit, aber in Momenten wie diesen, wenn er sie darauf hinwies, dass er ihr in allen Bereichen überlegen war, verabscheute sie ihn.
Außerdem war er verheiratet. Am Anfang hatte er es ihr verschwiegen, aber sie hatte es herausbekommen. Er genoss ihre Eifersucht und fachte sie sogar an, indem er ihr erzählte, zuweilen seine Frau, Eva, noch immer zu treffen und sie zu ›beglücken‹, wie er süffisant betonte.
Dennoch war sie für Denise keine ernsthafte Konkurrentin. Eva war, so erzählte er ihr, ihm intellektuell nicht im Geringsten gewachsen. Sie war Lehrerin an einer Grundschule. Warum er dennoch mit ihr zusammenblieb und sich nicht scheiden ließ, erschloss sich Denise nicht.
»Vielleicht verrätst du mir trotzdem, wer dieser Mordaschow ist!«
Konstantin lächelte süffisant, während er eine Spritze mit dem Serum aufzog. »Wiktor Mordaschow ist einer der einflussreichsten Männer in der Sowjetunion, meine Liebe. Er arbeitet direkt mit dem Kreml zusammen und ist immer aufgeschlossen für neue Ideen.«
Denise zog die Stirn in Falten. »Das klingt irgendwie – gefährlich. Ich meine …«
»Mein Püppchen«, lächelte Konstantin milde. »Meine Vorfahren kommen alle aus diesem großen fantastischen Land. Es bietet der Wissenschaft und der Intelligenzija viel mehr Möglichkeiten als hier im Westen.«
»Weil die Gesetze lascher sind oder ganz außer Kraft gesetzt werden«, entgegnete Denise. Seine Arroganz reizte sie heute ganz besonders zum Widerspruch. Sie wusste, wie er das hasste. »Letztens habe ich gelesen, dass es geheime Städte gibt, in denen Millionen von Wissenschaftlern leben: Physiker, Nuklearforscher, Ärzte …«
»Ja, warum nicht auch Ärzte?« Konstantin lachte. »Aber sie werden nicht einen finden, der Ihnen das verkaufen kann, was ich entdeckt habe: das Geheimnis der Intelligenz!«
»An Tieren!«, relativierte Denise.
»Bisher nur an Tieren! Aber selbst dieser erste Schritt ist eine Revolution. Intelligente Tiere werden zum Mond und zum Mars fliegen, wir setzen sie im Bergbau und sonst wo ein. Zum Beispiel auch in Kriegen. Kannst du dir eine Armee aus Hunden und Affen vorstellen?« Seinen Augen bekamen einen Glanz, den Denise in letzter Zeit schon des Öfteren wahrgenommen hatte und der ihr Angst machte.
»Das klingt – abscheulich«, bekannte sie.