Red Rising Sun - Justin C. Skylark - E-Book

Red Rising Sun E-Book

Justin C. Skylark

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Beschreibung

Nach der Flucht von der norwegischen Gefängnisinsel wurde Thor für tot erklärt. Unbemerkt hat er mit Dylan Europa verlassen. Ohne Ziel fahren sie mit dem Wohnmobil durch Nordamerika. Doch die Gefahr, erkannt zu werden, ist allgegenwärtig, und das Land der unbegrenzten Möglichkeiten hält einige Abenteuer für sie parat. Inklusive der Bonusstory: Dylan & Thor – on the road: ein Zwischenspiel Bisher erschienen: Bis dass der Tod euch scheidet Thors Valhall Reise til helvete Flyktet Dylan & Thor on the road (Manga) in Zusammenarbeit mit Ellen Chain

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Seitenzahl: 515

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Justin C. Skylark

Red Rising Sun

Dylan & Thor

Teil 5

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2019

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Coverart: Leonie Paetzold

© Milan M. – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-334-9

ISBN 978-3-96089-335-6 (epub)

Inhalt:

Nach der Flucht von der norwegischen Gefängnisinsel wurde Thor für tot erklärt. Unbemerkt hat er mit Dylan Europa verlassen . Ohne Ziel fahren sie mit dem Wohnmobil durch Nordamerika. Doch die Gefahr, erkannt zu werden, ist allgegenwärtig, und das Land der unbegrenzten Möglichkeiten hält einige Abenteuer für sie parat.

Inklusive der Bonusstory: „Dylan & Thor - on the road - ein Zwischenspiel“

Savanna scatters and the seabird sings

So why should we fear what travel brings?

What were we hoping to get out of this?

Some kind of momentary bliss?

I waited for something, and something died

So I waited for nothing, and nothing arrived

It's our dearest ally, it's our closest friend

It's our darkest blackout, it's our final end

My dear sweet nothing, let's start a new

From here all in is just me and you

(Nothing arrived - Villagers)

Maryland

Dylan schnappte nach Luft. Fahlstrøms Hand lag fest auf seinem Nacken, ebenso fest, wie er in ihm steckte. Er kam und sein Orgasmus glich einer kleinen Ohnmacht. Er riss den Kopf zur Seite und japste. Thor bewegte sich noch einige Male auf und ab, dann drosselte er das Tempo. Dylan spürte, wie er den Griff noch einmal festigte, und blieb bewegungslos, bis Thor sich zur Seite wegrollte und die Hand mit sich zog. Dylan atmete tief durch. Der Druck in ihm war weg, allerdings hatte er noch immer das Gefühl, Fahlstrøms Finger an seinem Hals zu spüren.

»Du weißt, dass du mir die Luft nimmst, wenn du es so machst, wie eben, ja?«

»Willst du damit sagen, dass es dir nicht gefällt?« Thor blieb liegen, bewegte sich nicht.

Dylan drehte sich auf die Seite. Mit den Fingerspitzen griff er sich an die Kehle. Es hätte ihn nicht gewundert, Abdrücke zu ertasten. Er rieb sich die Halsseiten. »Ich will nur, dass du dich nicht wunderst, sollte ich nach unserer Rammelei mal nicht mehr atmen.«

Thor stieß ein amüsiertes Brummen aus. »Neue Töne, Perk? Ich kann auch anders.«

»Klar kannst du anders. Das weiß ich.« Dylan stützte sich auf einen Ellbogen. Er betrachtete Thors nackten Körper und hatte augenblicklich das Verlangen, es noch einmal mit ihm zu tun. Genauso wie zuvor: stürmisch und schmerzhaft. Ab und zu brauchte er das. Und Fahlstrøm tat nichts, um das zu unterbinden. »Wenn ich es nicht ertragen könnte, wäre ich nicht mit dir zusammen.« Dylan nagte am Piercingring in seiner Lippe. Kurz überschlug er die Zahlen im Kopf. Wie lange kannte er Fahlstrøm nun schon? Hatte er je das Gefühl gehabt, genug von ihm zu haben? Es gab Provokationen zwischen ihnen, verschiedene Ansichten, unterschiedliche Charakterzüge, aber das hinderte Dylan nicht daran, Thor zu lieben. Im Gegenteil. Ihre Flucht und ihr tägliches Miteinander auf engstem Raum schweißten sie mehr denn je zusammen. »Du sollst nichts ändern. Es ist vielmehr das Wohnmobil, das mich nervt, diese Matratze …«

»Du wolltest sie extra hart«, erinnerte Thor.

»Ja, schon.« Dylan griff sich ins Haar und zwirbelte an einer Strähne. Er betrachtete das Innere des Wohnmobils. Immer derselbe Anblick. War er nicht beim Sex aufs Bett gedrückt, starrte er an die hölzerne Decke des Gefährts oder die Tür, hinter der sich Dusche und WC befanden. Ständig kämpften sie gegen die Unordnung an. Kleidung und Gegenstände lagen herum. Es war eng und die Atmosphäre bedrückend. Dylan hatte das Gefühl, nicht frei atmen zu können, und das lag nicht nur an Thors vereinnahmendem Griff. »Ich muss hier mal raus«, verkündete er schließlich. »Nach all den Tagen auf den Campingplätzen könnten wir mal eine Nacht im Hotel verbringen.«

»Das geht nicht, Perk.«

»Wieso nicht?«

»Das weißt du genau …«

Dylan zog einen Schmollmund. Er ließ sich auf den Rücken fallen und starrte wieder an die Decke. Er vermisste den Spiegel über sich, der zu Hause in seinem Zimmer jede Tätigkeit auf dem Laken unverblümt preisgab. Die Abwechslung fehlte ebenso wie der Platz für Leidenschaft. »Du hast gesagt, in Baltimoregebe es keine Campingplätze.«

»Außerhalb gibt es welche. Sogar mit Swimmingpool.«

»Aber ich will in ein Hotel! Nur eine Nacht!«, tönte Dylan. Seine geballte Faust landete auf der Matratze, die nicht nachgab. Sie gab nie nach, auch nicht beim Liebesspiel, selbst wenn es noch so ungestüm war.

»Man erkennt uns vielleicht«, erwiderte Thor knapp.

»Nicht, wenn wir uns anders zeigen als sonst«, konterte Dylan. In ihm wuchs eine Idee, die er nicht zu Ende spann.

»Was auch immer du damit meinst, ich bin raus.« Thor schob sich an die Bettkante und stand auf. Er stieg in enge Shorts und strich die Haare zurück. Mit wenigen Handgriffen band er sich einen Zopf, den er an der Spitze mit einem Knoten schloss. Seine Haarpracht war lang geworden. Sie reichte ihm bis zu den Hüften. Fahlstrøm nahm seine Zigarettenschachtel und marschierte nach draußen. Ein kräftiger Wind wehte, der die Tür des Wohnmobils gegen das Gefährt drückte. Sie hatten in der Einöde geparkt.

Dylan richtete sich auf. Durch das kleine Fenster beobachtete er seinen Partner, der sich eine Zigarette ansteckte, auf dem Campingstuhl Platz nahm und nachdenklich den Kopf senkte. War er glücklich? Dylan konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Reise, ihre Flucht ohne Ziel, das war, was sich Thor ersehnte.

***

Wie so oft erwachte Dylan mitten in der Nacht. Ein Schweißfilm lag auf seinem Gesicht und sein Herz pochte unangenehm. Der Zustand dauerte an, bis er realisierte, wo er sich befand und dass alles in Ordnung war. Mit zittrigen Händen fuhr er sich über die heißen Wangen und mahnte sich zur Ruhe. Es war dämmrig im Wohnmobil. Durch das Fenster sah er den Mond, der Licht auf ihre Bettdecke warf. Er drehte sich und angelte nach der Wasserflasche, die neben dem Bett stand. Durstig trank er mehrere Schlucke. Müde setzte er die Flasche ab und schloss die Augen. Er war diese Gedanken leid, er hasste sie.

»Alles okay, Perk?« Thors Frage drang durch die Nacht und er klammerte sich an sie wie an einen rettenden Strohhalm.

Dylan räusperte sich. Ihm war zum Heulen zumute, dennoch antwortete er mit fester Stimme. Die Contenance zu bewahren, war oberstes Gebot. »Ja, klar …« Er stellte die Flasche ab, rutschte an den Rand des Bettes und strich sich Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Ich geh mich waschen …«

»Seit wann stört dich mein Saft?«, raunte Thor.

Diese Frage entlockte Dylan ein klägliches Lächeln. Fahlstrøms Anwesenheit war Balsam für seine Seele, genauso bedeutend wie das Sperma auf seiner Haut. Trotzdem klärte er die missliche Lage nicht auf. »Irgendwann muss man loslassen, oder?« Er huschte ins Bad und schaffte es rechtzeitig, die Tür zu schließen, bevor sich Tränen ihren Weg bahnten. Er drückte die Finger gegen die Augen, presste die Lippen aufeinander und biss sich auf die Zunge. Der Tag war schön gewesen. Das regnerische Wetter hatte nachgelassen. Obwohl der Frühling kalte Luft mit sich brachte, war es in der Sonne warm gewesen. Sie hatten in einem kleinen Ort gehalten und eingekauft. Abends hatte Thor gekocht. Es hatte Steak mit Bratkartoffeln gegeben. Später waren sie im Bett übereinander hergefallen. Sie hatten nicht gestritten, sondern die Nähe des anderen gesucht. Am Ende des Tages war die innere Anspannung, die Gefahr entdeckt zu werden, verschwunden. Auf dem Laken hatte es nur sie beide und ihre Leidenschaft gegeben. Erfüllt war Dylan eingeschlafen. Warum bloß hatte ihn die Furcht geweckt? Die Angst vor dem Rückfall, die Erinnerung an eine grässliche Zeit? Er sah in den Spiegel und erschrak. Ängstlich und getrieben sah er aus. Was machten die inneren Dämonen mit ihm? Wie sollte er vor ihnen fliehen? Mit den Handflächen strich er über die Lider. Er zog sie nach unten und formte eine Fratze. »Lasst mich endlich in Ruhe …« Am liebsten wollte er sich Luft machen. Wie früher, als er wild um sich geschlagen, geschrien und eine Prügelei vom Zaun gebrochen hatte. Doch er führte sich vor Augen, dass die alten Zeiten vorbei waren. Es war viel passiert … Er konnte und durfte nicht in ehemalige Verhaltensmuster zurückfallen.

Konzentriert atmete er durch und richtete sich auf. Mit einer zackigen Bewegung wischte er die Tränen vom Gesicht. Vor Thor Schwäche zu zeigen, war das Letzte, was er wollte.

Niagara Falls (NY)

Mittlerweile lag eine Odyssee hinter ihnen. Am Neujahrstag waren sie in Boston gestartet. Portland, Manchester, New York City, Philadelphia und Baltimore waren gefolgt. Viele Städte hatten sie gesehen; kleine und große. Es war vorgekommen, dass sie mehrere Tage an einem Ort geblieben waren. Sie hatten die Umgebung erkundet, vornehmlich am Abend, wenn weniger Menschen unterwegs waren, oder bei miesem Wetter ihre Zeit im Wohnmobil abgesessen. Sie fuhren umher und manchmal kam es Dylan so vor, als führte sie ihre Reise im Kreis herum. Aber Thor hielt es für angebracht, die kühlen Monate in der Nähe der Städte zu verbringen. Endlose Touren über meilenlange Straßen und Strecken lagen noch vor ihnen. Ein Abstecher in den Norden belohnte sie für ihre Ausdauer.

»Es ist überwältigend«, sagte Dylan. Obwohl ihn der Anblick des Naturschauspiels faszinierte, durchzog ihn ein Frösteln, sodass er die Felljacke schloss und den Kragen vor das Kinn schob. Er war blass um die Nase, Schatten lagen unter seinen Augen. Er litt unter Schlafstörungen. Oftmals nickte er erschöpft von unzähligen Fragen und Gedanken ein. Ihm fehlten die Sonne, klare Luft und die Frische der Natur. Er unterdrückte ein Gähnen. Zu der frühen Uhrzeit waren nur wenige Menschen unterwegs.

Bunte Lampen beleuchteten die Wasserfälle. Am Ufer türmten sich letzte Eisblöcke; die Überreste eines harten Winters. Thor hatte ihn aus dem Schlaf gerissen, und er war ihm ausnahmsweise dankbar dafür.

»Will dir was bieten«, sagte er. »Nicht dass Tony denkt, du siehst während der Reise nur die Decke des Wohnmobils.«

Dylan grinste, sein kühles Gesicht spannte. Ganz abwegig war die Aussage nicht. »Tony weiß doch gar nicht, dass wir zusammen unterwegs sind.« Kurz dachte er an sein Zuhause, an London, den Bungalow und seinen Manager, der nach wie vor glaubte, dass Thor gestorben und Dylan allein verreist war. Aber er wollte sich den Moment nicht mit trüben Gedanken vermiesen. Dieser Anblick bot sich nicht alle Tage. »Wenn es nur wärmer wäre«, murmelte er. Der Wind wehte kräftiger und er spürte feine Wassertropfen auf dem Antlitz. Er redete sich ein, dass die Nässe gut für den Teint war, und wischte sie nicht weg.

Spontan umfasste Thor seine Hüfte und zog ihn zu sich heran. Eine Zeit lang standen sie dicht an dicht, betrachteten die Wassermassen, bis Thor sich löste, sie sich ansahen und in einem Kuss versanken. Fahlstrøms Lippen waren feucht, auch sein Gesicht trug einen Film des rauschenden Wassers. Dylan legte beide Hände auf Thors Wangen und streichelte sie.

»Lass uns frühstücken, ehe uns die Touristenströme die Sicht nehmen.« Thor rückte von ihm ab, wie so oft, wenn ihre Nähe zu lange andauerte und bevor jemand mitbekam, dass sie zusammen unterwegs waren. Gemächlich marschierte er zum Wohnmobil zurück.

Dylan ließ indes seinen Blick schweifen. Ein letztes Mal genoss er die Aussicht auf die tosenden Wasserfälle und die Stadt am Horizont, in der das Leben erwachte.

***

Dylan vermengte das Mehl mit den Eiern, schüttete eine Ladung Zucker auf den Brei und rührte. Plötzlich hielt das Wohnmobil an. Ein Ruck erschütterte nicht nur seinen Körper, sondern sämtliche Gegenstände, die auf der Anrichte standen. Dylan stolperte. Die Pfanne und der Eierkarton segelten zu Boden. Aus dem Regal flog eine Dose und die Zuckerpackung kippte um. Wie der Inhalt einer Sanduhr rieselten die kleinen Zuckerkrümel auf den Teppich des Gefährts.

»Bist du verrückt geworden?«, brüllte er in Richtung Fahrerkabine. Er kam auf die Beine und stürmte nach vorn.

Thor saß mit zusammengekniffenen Augen hinter dem Steuer. Sein Kopf war geneigt, seine rechte Hand ruhte auf der linken Schulter.

Dylan schluckte die Empörung herunter. Er erkannte sofort, dass etwas nicht stimmte. »Hey, was ist los? Warum hältst du an?«

»Kurze Pause«, zischte Thor. Er rieb sich den Arm und ächzte leise.

Dylan beschlich ein ungutes Gefühl. »Hast du Schmerzen?«, wollte er wissen. »Macht dir die Wunde zu schaffen? Willst du eine Schmerztablette haben?«

»Keine Tablette …« Thor schälte sich aus dem Fahrersitz. Er biss sich auf die Unterlippe und kniff die Augen weiterhin zusammen, was ein Zeichen dafür war, dass er große Schmerzen hatte. Entsetzliche Schmerzen, die ihn zum Anhalten gezwungen hatten. Er schlurfte durchs Wohnmobil und legte sich aufs Bett.

»Lass mich den Verband wechseln«, bat Dylan, und das nicht zum ersten Mal. Ihm war nicht entgangen, dass Thor nach wie vor Probleme mit der Verletzung hatte. Auf der Schusswunde am Oberarm, die Carol nach der Flucht notdürftig behandelt hatte, klebte pausenlos ein Pflaster. Dylan hatte sie seit Tagen nicht gesehen, da Thor sie jeden Morgen allein versorgte. Verheimlichte er etwas?

»Ist schon okay«, zischte Thor, doch seine Körperhaltung signalisierte das Gegenteil. Zusammengekrümmt lag er auf dem Bett.

»Okay scheint es nicht zu sein, sonst würdest du dich nicht hinlegen wie ein sterbender Schwan.« Dylan stemmte die Hände in die Hüften. Er blickte durchs Fenster. Der Tag war vorangeschritten und sie hatten den Campingplatz noch nicht erreicht, dabei waren sie mit den ersten Sonnenstrahlen aufgebrochen. Diese langen Straßen und weiten Wege zwischen den Orten nervten ebenso wie Thors sture Art. »Ich werde das verbinden und dann fahre ich.«

»Perk …« Thor presste die Lippen zusammen.

»Keine Widerrede!«

Dylan holte Verbandszeug aus dem Badezimmer. Das war so winzig, dass er sich darin kaum drehen konnte. Im Hängeschrank waren Hygieneartikel eng aneinandergereiht. Unter Mühe fischte er das Verbandsmaterial heraus, ohne dass ihm irgendetwas aus der Hand fiel. Er sehnte sich das Badezimmer des Bungalows herbei sowie den Whirlpool und die Regendusche. Wie so oft verkniff er sich einen bissigen Kommentar. Er hatte gewusst, was auf ihn zukommen würde. Er war all die unbequemen Umstände eingegangen. Er durfte sich nicht beschweren, ansonsten hätte Thor ihn womöglich postwendend zurück nach England geschickt.

Mit dem Verbandszeug setzte er sich aufs Bett. Vorsichtig schob er den Ärmel von Thors T-Shirt nach oben. Mit spitzen Fingern entfernte er den alten Verband und das Pflaster. Thor war angespannt und spürbar von Schmerzen geplagt. Jeder Muskel seines Körpers war verkrampft. Warum hatte er nichts gesagt? »Oh my gosh«, entwich es Dylan, als er die Verletzung freigelegt hatte. Sie war an einigen Stellen aufgeplatzt, rot und geschwollen. Das alte Verbandsmaterial war blutig durchtränkt. »Das sieht entzündet aus. Hast du noch Antibiotikum?«

»Das ist alle«, antwortete Thor. Er ächzte.

Dylan behandelte die Wunde mit Desinfektionslösung. Sein Partner drückte das Gesicht ins Kissen. »Das muss sich ein Arzt ansehen.«

»Du weißt, dass ich zu keinem Arzt kann«, stöhnte Thor.

»Ich lass mir etwas einfallen«, sagte Dylan. Er klebte ein neues Pflaster auf die Wunde. Thor konnte nicht weiterfahren, das stand fest.

Dylan schielte auf die Karte. Zum wiederholten Mal verfluchte er die Tatsache, dass ihr Wohnmobil kein Navigationsgerät besaß. Thor lehnte neumodisches Equipment ab. Abgesehen davon, sparte er an allen Ecken und Enden. Dylan hätte gern über den ein oder anderen Luxusartikel verfügt, aber er hatte gelernt, den Mund zu halten und keine Diskussion anzufangen.

Sie befanden sich in Pennsylvania, in einem Gebiet mit dicht bewachsenen Parks und Wäldern. Sie fuhren vornehmlich auf Nebenstraßen und hielten sich fernab der Autobahnen auf, um nicht in Polizeikontrollen zu geraten. Wildes Campen war untersagt und nur gebietsweise mit vorheriger Anmeldung gestattet. Deshalb visierten sie kleinere Campingplätze an. Dylan war froh, dass er den Platz rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit erreichte. Er zahlte in bar und ließ sich einen Stellplatz in einer Ecke zuweisen. Er parkte, stellte den Motor aus und seufzte tief. Er war müde, seine Arme waren schwer. Wie hatte Thor bloß das lange Fahren mit der Verletzung bewerkstelligt?

Kaum hatte Dylan an seinen Partner gedacht, kam der in die Fahrerkabine geklettert. Er spähte durch die Frontscheibe und nickte zufrieden. »Schöner Platz.« Er zog sich in den hinteren Bereich des Wagens zurück und kochte Kaffee. Es machte den Anschein, als ginge es ihm besser.

Dylan war beruhigt. Er streckte sich, aber das dumpfe Gefühl in der Magengegend blieb. Ihm wurde übel, als er zwischen den Bäumen die anderen Camper sah, die in ihren Wohnwagen hausten oder bei Kerzenschein davor saßen. Urlauber, Senioren, Familien mit Kindern. Und sie? Waren dazwischen, gehörten nicht dazu, waren auf der Flucht. Vor wem und wohin? Immer wieder stellte er sich die Frage, wann ihr Ziel erreicht war. Möglicherweise niemals. Womöglich würden sie endlos fahren, Amerika erkunden und am Schluss entscheiden, den kompletten Weg noch mal zu gehen. Ein Teufelskreis, eine Einbahnstraße, ein Weg ins Nirgendwo.

»Perk?« Thor reichte ihm einen Becher Kaffee.

Dylan rang sich ein Lächeln ab. Er gab seine Gedanken nicht preis. Seit Tagen setzten sie ihm zu, bescherten ihm klamme Hände und rastlose Nächte, obwohl er sich geschworen hatte, vor Thor nicht aufzugeben, nicht zusammenzubrechen. Würde er das tun, wäre ihr gemeinsamer Weg zu Ende. Da war er sich sicher.

»Willst du mir erzählen, was du hast?«

Dylan nahm einen Schluck Kaffee. Er tat ahnungslos. »Was meinst du?«

»Ständig diese Denkfalte auf deiner hübschen Stirn.« Thor strich mit einem Finger über seine Brauen.

Dylan schloss die Augen und genoss die Berührung. Nein, er durfte und wollte sich nicht beklagen. Sein Platz war hier, an Thors Seite. Auch wenn dessen getriebene Art, sein fanatisches Fahren und die Flucht nach vorn an Dylans Nervenkostüm rüttelten.

»Also?« Thor durchbohrte ihn mit starrem Blick.

Dylan zuckte mit den Schultern. Was sollte er zu seiner Verteidigung sagen? Dass ihm der billige Filterkaffee allmählich zum Hals raushing? Dass er sich vor den Campingplätzen ekelte? Dass er sich nach einem Frisör und einem Roomservice sehnte? »Ich möchte an den Strand.« Geistesabwesend strich er über das Tattoo auf seinem Unterarm, das den Namen des Mannes zeigte, den er auf gar keinen Fall verlassen wollte. Auch nicht im Tausch gegen einen Kaffeevollautomaten.

Thor zupfte an seinem Kinnbart. Merkte er, dass Dylan nicht ehrlich war? »Niemand zwingt uns, sofort in den Süden zu fahren.« Er nickte entschlossen. »Was hältst du davon, wenn wir noch eine Weile an der Ostküste bleiben? Virginia Beach ist nicht weit.«

Dylan sah perplex auf. »Du wolltest so schnell wie möglich Richtung Mexiko.«

»Und du willst ans Meer.«

»Ja, schon …« Dylans Stimme war belegt.

»Im Grunde genommen hetzt uns ja keiner, hm?« Thor streckte eine Hand aus und legte sie auf Dylans Nacken, wo sie ihn wärmend packte.

Es war, als fiele Dylan ein kleiner Stein vom Herzen. Sollte Thor tatsächlich begriffen haben, dass sie entspannter leben mussten? Niemand suchte nach Thor Fahlstrøm. Er war nicht mehr der Gejagte. Man glaubte, er wäre tot. Und Dylan war sich sicher, dass Tony es aufgegeben hatte, herauszufinden, wo sich der Sänger von RACE aufhielt.

»Und sonst?« Thor gab nicht nach. Natürlich merkte er, dass mit Dylan etwas nicht stimmte, dass nicht nur die Sehnsucht nach dem Meer an seinen Kräften nagte.

»Ich …« Dylan zögerte. Der Becher in seiner Hand vibrierte regelrecht. Das war auch so eine Sache, die er kaum verhindern und noch weniger verheimlichen konnte.

»Du denkst an Alk?« Thor hatte die Lage erfasst.

Dylan nickte still. Er nahm den letzten Schluck Kaffee und stellte den Becher ab. »Ich schlafe schlecht«, erklärte er. »Manchmal wache ich nachts auf, mit klopfendem Herzen, total verschwitzt und heilfroh, dass mein Traum keine Realität ist.«

»Du träumst von Alkohol?« Thor kniff die Augen zusammen.

»Vornehmlich von Whisky«, gestand Dylan. »Scheiße, das Zeug fehlt mir.«

»Du bist weg davon …«

»Ja, klar!« Ein Lächeln huschte über Dylans Gesicht. »Aber unsere Situation …« Er seufzte. »Keine Ahnung. Mein Körper hinkt hinterher.« Er rieb die Hände aneinander und hoffte, dass das Zittern seiner Finger dadurch nachließ. »Ich bin müde, einfach nur müde.«

»Dann ist Schluss für heute«, entschied Thor. »Und du nimmst eine Pille. Sicher hat Carol dir was mitgegeben.«

»Nur für den Notfall«, erklärte Dylan.

Virginia (Beach)

Das Ruckeln hatte nachgelassen. Dylan lag auf der Seite und rührte sich nicht. Er hatte registriert, dass sie weitergefahren waren, aber seine Augen waren geschlossen geblieben. Er wollte endlich schlafen und den hilflosen Zustand vergessen. Am vorherigen Abend hatte er auf Thors Anraten hin eine Schlaftablette geschluckt. Wenig später war er an der Schulter seines Partners eingenickt, ohne auf ihren allabendlichen Sex zu beharren.

Irgendwann blieb der Wagen stehen. Dylan rollte sich auf den Rücken, seufzte tief und drehte sich auf die andere Seite. Es war warm und trotzdem hatte er sich in die Decke gewickelt wie eine Mumie.

»Perk? Du solltest aufstehen.«

»Zu früh«, nuschelte Dylan ins Kissen. Sein Körper zuckte. Er war kurz davor, wieder einzuschlafen.

»Du hast neun Stunden gelegen.«

Thors Stimme hielt ihn davon ab, loszulassen, dem Drang nach Ruhe nachzugeben. »Zu kurz …«

»Du kannst nachher weiterpennen.«

»Meine Güte!« Dylan drehte sich auf den Rücken, blinzelte, sah an die hölzerne Verkleidung des Wohnmobils, anschließend in Thors Gesicht. Sein Partner war angezogen. Das Haar hatte er zu einem Zopf zusammengebunden, aber ein paar Strähnen hingen vorn über seine Schultern. Er lächelte mild und hielt einen Becher in der Hand. Zumindest sorgte dieser Norweger dafür, dass es regelmäßig Kaffee gab. Dylan stöhnte, griff danach und nahm große Schlucke. Vielleicht befreite ihn das von der Lethargie. »Was ist denn?«, knurrte er. »Ich sollte mich ausruhen und nun weckst du mich … Wie spät ist es?«

»Gleich sieben Uhr.«

»Oh my god!« Dylan schüttelte den Kopf. Er trank einen weiteren Schluck und blickte aus dem Fenster. Die Sonne schien am wolkenfreien Himmel. Er hörte Möwen kreischen. Konnte das sein? »Wo sind wir?«

Thor grinste. »Sieh nach.«

Dylan stellte den Becher ab. Seine Bewegungen waren langsam, doch er ließ sich nicht zweimal bitten. Voller Neugier schlurfte er durch das Fahrzeug, beugte sich und sah durch das nächste Fenster, das sich neben der Sitzecke befand. Plötzlich war er hellwach und seine Schritte wurden hastiger. Er stürmte nach vorn, blieb an der geöffneten Wagentür stehen und schrie vor Begeisterung. »Ich glaub das nicht! Wir sind am Meer?« Er schenkte Thor nur ein kurzes Lachen, dann hastete er hinaus: barfuß und lediglich mit engen Shorts bekleidet. »Wow, ist das schön!« Er lief dem menschenleeren Strand entgegen. Vögel kreisten am Himmel, die Sonne schien erbarmungslos auf ihn nieder. Ein frischer Wind wehte, ihm wurde kalt, aber er rannte weiter. Seine Füße versanken im Sand. Ihm wurde schwindlig, doch das ignorierte er. Mit jedem Meter, den er zurücklegte, schüttelte er die Trägheit von sich ab. Das hatte ihm gefehlt: Die Bewegung, die Anstrengung, der Reiz, sich unbekümmert fortzubewegen. Zu lange hatte er die Fesseln zugelassen. Nun durfte er davonlaufen und vor Freude schreien. Niemand hinderte ihn daran. Johlend hetzte er über den nassen Sand, bis er das Wasser erreichte, die Tropfen auf seinen Körper spritzten und die Wellen um seine Hüften strichen. »Oh Fuck, ist das kalt!« Er brüllte voller Inbrunst und dennoch stoppte er nicht. Keine Angst vor wilden Tieren, keine Angst vor wirren Haaren oder frierenden Körperteilen. Das eisige Wasser erinnerte ihn schmerzlich daran, dass er lebte. Er stürzte sich in die Fluten wie ein Kind, wie ein verspielter Welpe; wahrscheinlich zu euphorisch, zu übertrieben, aber das war ihm egal. »Wo bleibst du, alter Mann?«, rief er Thor entgegen.

Der war ihm inzwischen gefolgt. Er stand allerdings am Strand und betrachtete das Meer eher argwöhnisch. Überlegte er tatsächlich, ob er ebenfalls ein Bad nehmen sollte? Nach einem sinnierenden Moment schob er das T-Shirt vom Oberkörper. Er fasste sich an den Oberarm und überprüfte den Sitz des Verbands. Anschließend streifte er die lange Hose über Hüften und Füße und beförderte sie in den Sand. In kurzen Shorts folgte er ins Meer. Mit kräftigen Schwimmzügen gelangte er schließlich zu seinem Partner.

»Geht es mit deiner Schulter?«, erkundigte sich Dylan.

Fahlstrøm nickte. »Etwas Salzwasser wird der Wunde nicht schaden.«

»Ist es nicht herrlich?« Dylan legte den Kopf in den Nacken und tauchte nur so tief ins Wasser, dass sein Gesicht an der Oberfläche blieb. Er blinzelte, denn die Sonne blendete ihn.

Thor griff nach ihm und zog ihn dicht an sich heran. »Hab ich dir versprochen, oder?«

»Danke.« Dylan strahlte. Er legte die Arme um Thors Hals und küsste ihn. Sie ließen sich treiben, entfernten sich vom Ufer. Als Dylan den Boden unter den Füßen verlor, schlang er seine Beine um Thors Hüften. »Das erinnert mich an unseren unfreiwilligen Aufenthalt auf dem Atoll«, entwich es ihm. Gierig drückte er den Mund auf Thors feuchte Lippen. Er schmeckte Salz und genoss Thors Hände an seinem Gesäß.

»Du denkst ans Ficken am Strand?«

Dylan blickte über Thors Schulter hinweg. Er betrachtete das hellblaue Wasser, den weißen Sandstrand und die hohen Gebäude am Horizont. Er grinste. »Noch sehe ich keine Badegäste. Man könnte es riskieren.« Wieder küsste er Fahlstrøm, diesmal verlangender. Spürte er seine Erektion zwischen den Beinen? Dylan japste. Unruhig rieb er sich an dem Körper seines Partners und wärmte sich an ihm auf. Durch die unkontrollierten Bewegungen schluckte er Wasser. Er hustete und mit einer Hand rieb er die Feuchtigkeit aus dem Gesicht. Er blickte erneut zum Strand und stutzte. Zwei fremde Männer standen neben dem Wohnmobil. Einer marschierte direkt auf die Tür zu und rüttelte an ihrem Griff. »Oh Shit!« Dylan löste sich und sank ins Wasser. »Da sind Typen!«, äußerte er panisch und reagierte blitzschnell.

»Faen!«, entwich es Thor.

Weitere Worte verstand Dylan nicht. Er schwamm, stach die Arme wild ins Wasser. Kaum hatte er wieder Boden unter den Füßen, hechtete er voran. Der Untergrund war mit kleinen Steinen übersät, die zwickten, aber Dylan ließ sich davon nicht aufhalten.

Ein Mann war inzwischen im Wohnmobil verschwunden. Der andere stand Spalier, sah sich wachsam um. Anscheinend hatte er die badenden Männer nicht bemerkt und Dylan schrie erst, als er das Ufer erreicht hatte.

»Hey, was macht ihr da?«, brüllte er wütend.

Der wachende Mann drehte sich erschrocken um und ergriff die Flucht. Dabei stieß er etwas in einer Sprache aus, die Dylan nicht kannte. Er unterließ es, dem Flüchtenden zu folgen, stattdessen visierte er die Tür des Wohnmobils an, aus der der zweite Mann kam und ihm in die Arme lief.

Dylan riss ihn zu Boden. Noch während des Falls schlug er dem Fremden mit der Faust ins Gesicht. »Das könnte euch so passen!«, schrie er aufgebracht. »Uns zu beklauen!« Er packte den Mann und schlug ihn erneut. Der Fremde bekam Nasenbluten. Er wehrte sich, aber Dylan war ihm überlegen. Er drückte den Übeltäter auf den Boden, setzte sich auf seine Brust und prügelte auf ihn ein. »Mit uns macht man so etwas nicht! Hast du gehört? Mit uns nicht!« Wie ein schlaffer Ball kippte der Kopf des Fremden bei jedem Schlag zur Seite. Er stöhnte nicht mehr. »Was habt ihr gesucht, he? Sag schon! Was wolltet ihr?«

Eine Antwort blieb aus. Das Gesicht des Mannes war blutüberströmt. Er sagte nichts, als Dylan sich aufrichtete und mit dem Fuß gegen seinen Oberkörper trat. »Hey, bist du taub oder was?«

Plötzlich fasste jemand Dylans Schulter und zog ihn zurück. Es war Thor. »Hör auf, der hat genug.«

Gemeinsam sahen sie auf den Fremden, der sich nicht regte.

»Mistkerl!« Dylan trat noch einmal nach dem Bewusstlosen. Er stemmte die Hände in die Hüften und atmete tief durch. Auch Thor war außer Puste. »Was ist mit dem anderen?«, fragte Dylan. Er blickte über den Strand. Von der zweiten Person fehlte jede Spur.

»Der ist weg«, antwortete Thor. Er ging vor dem Fremden in die Hocke und zupfte an ihm. Als der sich nicht rührte, durchsuchte er seine Taschen. »Ich habe ihn nicht erwischt.«

»FUCK!«, zischte Dylan. Er strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Der Küstenstreifen war noch immer menschenleer. »Mitgenommen hat der aber wohl nichts.«

Thor schüttelte den Kopf und stieß den Unbekannten zurück in den Sand.

Dylan bestieg das Wohnmobil. Nach wenigen Sekunden gab er Entwarnung. »Das Geld ist noch da.«

Thor nickte. »Wir haben sie rechtzeitig bemerkt.« Er rieb sich die Schulter und verzog das Gesicht. Unübersehbar hatte er Schmerzen, aber er klagte nicht. Stattdessen packte er den Fremden am Arm. »Hilf mir, Perk.«

Zusammen zogen sie den Mann auf die Düne, zwischen grün-gelbes Schilf. Auf dem Rückweg sahen sie sich prüfend um. Keine Menschenseele war zu sehen. Niemand hatte ihre Aktion bemerkt.

»Lass uns abhauen«, zischte Thor.

Sie fuhren einige Meilen, bis sie außer Sichtweite des Strandes waren. In einer Seitenstraße hielten sie an.

Dylans Fingerknöchel bluteten. Er hatte sie buchstäblich an den Zähnen des Opfers aufgerissen.

Thor desinfizierte die lädierten Stellen und umwickelte sie mit einem Verband. »Nach Tetanus muss ich nicht fragen?«

Dylan schüttelte den Kopf. »Spritzen hat mir Carol genug verabreicht.« Er zog die verbundene Hand zurück und drückte sie gegen den Bauch. »Glaubst du, die haben uns erkannt?«, fragte er besorgt.

Thor schmunzelte, denn Dylans nasse Haare klebten an seinem Kopf. Er trug weder Schminke noch auffällige Kleidung, nur die enge Unterhose. »Denke nicht. Es waren keine Szene-Leute.« Er spähte zum Wecker. Es war zehn Uhr. Den Morgen hatte er sich anders vorgestellt. »Ich mach Frühstück.«

»Oh Mann«, stöhnte Dylan entnervt. Fahrig strich er das feuchte Haar hinter die Ohren und sortierte lose Strähnen. »Was für ein beschissener Tag … Und er fing so gut an.« Er marschierte in den Schlafbereich des Wohnmobils, stieg in trockene Kleidung und hörte nicht auf zu fluchen.

Thor nahm Eier aus dem Schrank. Er warf den Herd an und setzte neuen Kaffee auf. Doch ihm entging nicht, wie umtriebig Dylan war und wie angespannt er durch den Wagen tigerte. »Beim Parkplatzsuchen habe ich einen Frisör gesehen«, sagte Thor. »Am Beginn der Einkaufspassagen.« Er deckte den Tisch, ließ die Worte unbedacht klingen, aber die Neugier seines Partners war geweckt.

»Tatsächlich?« Mit geweiteten Augen schlich Dylan heran.

Thor erkannte die Verzweiflung in ihnen, die Wut und Enttäuschung, und auch ein Quäntchen Furcht. Er hob das Polster der rechten Sitzbank an und holte einen Briefumschlag hervor. Gezielt zog er einen 50-Dollar-Schein heraus und streckte ihn Dylan entgegen. »Lass dir die Haare schneiden, vielleicht hilft es.«

Mit zitternden Händen nahm Dylan das Geld an. Zu Hause, in England, hatte er stets das Dreifache für einen Haarschnitt ausgegeben. Sein Blick blieb skeptisch. »Sicher?«

»Sprich nicht so viel, damit man den Londoner Akzent nicht erkennt, und beeil dich«, antwortete Thor.

Dylan dirigierte die Mundwinkel nach oben. »Klar.« Er schob das Geld in die enge Jeans. »Bin gleich wieder da. Warte mit dem Frühstück.«

Dylan hielt sich an die Abmachung. Nach einer Dreiviertelstunde war er zurück. Sein Haar war gewaschen und kürzer geschnitten. Die Schläfen waren kahl geschoren und das längere Deckhaar war zur Seite frisiert. Er sah entspannter aus als vor einer Stunde. Lächelnd legte er ein paar Cent auf den Tisch. »Für eine Färbung hat es nicht mehr gereicht.«

Thor schob das Kleingeld zusammen. Er betrachtete Dylan eine Weile und nickte. »Sieht okay aus.«

»Danke.« Dylan setzte sich ihm gegenüber auf die Eckbank. Er schenkte Kaffee ein und sie begannen mit dem Frühstück.

Thor hatte French Toast zubereitet, mehr als nötig wäre. Meist dienten die Reste der frühen Mahlzeit als Snack für zwischendurch. Erst am Abend genossen sie ein warmes Essen. Selten holten sie sich Speisen aus einem Diner. Die Befürchtung, erkannt zu werden, begleitete sie jede Sekunde, die sie sich außerhalb des Wohnmobils aufhielten. Es war schwer, das abzulegen, und vor allem Thor kämpfte gegen die paranoide Vorstellung an, irgendjemand könnte ihn identifizieren oder verfolgen, obwohl er in den letzten Wochen gelassener wirkte als zu Beginn ihrer Reise. Der Zwischenfall mit den Fremden hatte sie jedoch in ihrer Unbekümmertheit zurückgeworfen.

Ein paar Minuten hingen sie ihren Gedanken nach und sagten nichts, bis Thor aufsah. »Tut es noch weh?« Er deutete auf den Verband.

Dylan bewegte die Hand und schüttelte den Kopf. »Nicht mehr.«

»Gut.« Thor aß Müsli und Toast zusammen, aber er ließ seinen Partner nicht aus den Augen.

Dylankauteeher langsam. Obwohl der Frisörbesuch ihn besänftigt hatte, war das Erlebnis am Morgen nicht vergessen. »Ob die Typen uns verpfeifen? Ob man uns sucht?«

Thor verneinte. »Das waren Kleinkriminelle, die nicht freiwillig zu den Bullen laufen würden. Und uns hat niemand beobachtet.« Er wägte ab. »Wir sollten die Gegend hier trotzdem zeitig verlassen.«

Dylan stimmte zu. »Ist besser für die Typen, bevor ich sie noch mal erwische.«

Thor schmunzelte. »Hab dich lange nicht mehr mit solcher Energie gesehen.«

Dylan nickte. »Ja, und es hört sich jetzt sicher rabiat an, aber es hat gutgetan.«

»Hattest einen ordentlichen Schlag drauf«, stellt Thor fest. Er hörte nicht auf, sein Gegenüber zu mustern.

Dylan lächelte. »Gefiel es dir?«

»Dylan Perk in Rage«, erwiderte Thor. »Ja, das sehe ich mir gern an.«

»Das macht dich geil, ja?« Dylan legte das Besteck weg und nahm einen Schluck Kaffee. Interessiert erwiderte er den begehrlichen Blick seines Partners. Das Frühstück wurde nebensächlich. Er stand auf. Mit einer langsamen Bewegung zog er das Oberteil aus und ließ es auf den Boden gleiten. Die silbernen Armreifen an seinem Handgelenk klimperten, als er sich mit der Hand über die Brust strich und an dem Ring in der Brustwarze zog.

Thor kam aus der Sitzecke hervor und stellte sich ihm gegenüber. Eindringlich sahen sie sich an. Ein Lächeln umspielte Thors Lippen, während er sich das Shirt auszog und es achtlos fallen ließ.

Dylan fasste sich an die Hose, öffnete Reißverschluss und Knopf. »Du magst es, wenn ich mich prügle, aber im Bett soll ich die Füße stillhalten, ja?« Er schob den Stoff über seine Hüften.

»Im Bett hast du die Beine breitzumachen«, entgegnete Thor.

»Aha.« Dylan schmiss die Hose hinter sich, zog Unterhose und Socken aus und warf sie auf den Haufen Kleidung. »Und wenn ich es nicht mache?«

»Dann würde irgendetwas nicht stimmen«, antwortete Thor. Er öffnete seine Hose, fasste mit einer Hand hinein und rieb sich.

Dylan beobachtete ihn dabei und schluckte trocken. »Oh Mann …« Planlos trat er zurück, ließ sich auf das Bett nieder, klappte die Schenkel auseinander und gab die Sicht zwischen seine Beine frei. Er streichelte sich, war längst hart geworden. Herausfordernd zwinkerte er Thor zu. »Nun komm schon, mach es …«

Thor gesellte sich zu ihm aufs Bett. Seine Hände ergriffen Dylans Schenkel; er drückte sie zu den Seiten weg, beugte sich, züngelte über Dylans Spalt und sparte nicht an Speichel.

»Fuck, oh ja …« Mit festen Bewegungen rieb sich Dylan schneller. Er riskierte einen Blick, sah zu, wie er feucht gemacht wurde, aber lange hielt er das nicht aus. »Tu es, los. Worauf wartest du?«

Thor sah auf und leckte sich über die Lippen. »Es liegt an dir, dass oft das Vorspiel fehlt. Das ist dir bewusst?« Er schob die Hose ein weiteres Stück runter und begab sich in eine kniende Position.

»Ist mir so was von egal«, keuchte Dylan. Er fasste sich unter die Kniekehlen und zog die Beine eng an den Körper. Mit geweiteten Augen verfolgte er, wie Thor sein erigiertes Glied vor seine Öffnung lenkte, sich gegen sie drückte und langsam in ihr versank. »Oh, yes …« Dylans Kopf kippte zurück. Er schloss die Lider und presste den Unterkörper gegen die Härte, die in ihm ein Gefühl erzeugte, das er nicht mehr missen, am liebsten täglich erleben und genießen wollte. Ein gedankenferner Zustand, den er reglos über sich ergehen ließ; keuchend, japsend, manchmal schreiend unter dem Mann, der ihm immer wieder den Verstand raubte.

Thor beugte sich vor, stemmte sich auf die Hände und legte ein schnelles Tempo hin. Genau so, wie Dylan es mochte, wie er es verlangte … Doch nach wenigen Stößen wurden die Bewegungen langsamer. Fahlstrøm verzog das Gesicht, fasste sich an die Schulter und schüttelte den Kopf. »So wird das nichts, du musst mich reiten.« Er kippte zur Seite und riss Dylan mit sich, der postwendend auf ihm Platz nahm.

»Wow, du überlässt mir die Führung?« Dylan gluckste. »Kommt selten vor.«

»Freu dich nicht zu früh«, entgegnete Thor. Er nahm den Rhythmus wieder auf und stieß seinen Partner von unten. Der bog sich zurück und stöhnte laut. Er ließ sich mitreißen von den treibenden Stößen, bis er sich ergoss, auf Thors Bauch spritzte und für einen kurzen Moment alle Sinne schwinden ließ.

Aber nach wenigen Atemzügen war sie wieder da: die Leere, die Weite, der Weg ohne Ziel.

Thor packte seine Hüften und schob sich ein letztes Mal tief in seine Öffnung. Beim Zurückziehen schloss er die Augen. Er brummte erfüllt, aber ebenso zerrte der Schmerz an ihm. Dylan erkannte es an seinem Gesichtsausdruck, der sich nur kurz entspannte und eher von Qual als von Erlösung zeugte. Dylan bewegte sich vorsichtig auf und ab, hoffte, dem qualvollen Abschluss eine sinnliche Note verleihen zu können. Doch Thor ächzte entmutigt, was untypisch für ihn war. Normalerweise war er ein ruhiger Liebhaber, der sich beim Akt seine Lust selten anmerken ließ. Dylan kam sich plötzlich wie eine Last vor. Früher als sonst löste er die Verbindung und rutschte vom Schoß seines Partners. Unaufhaltsam floss der Saft aus ihm heraus, aber diesmal konnte er die Feuchtigkeit zwischen den Beinen nicht genießen. Thor lag neben ihm und atmete schwer.

»Solange deine Schulter nicht okay ist, nur noch a Tergo, was?« Dylan visierte ihn prüfend an.

Thor lächelte sanft, aber erschöpft. Er ließ die Lider geschlossen. »Wenn das deine einzige Sorge ist …«

»So ’n Quatsch«, erwiderte Dylan. Hatte er es so gemeint, wie er es gesagt hatte? Peinlich berührt zwirbelte er eine Haarsträhne zusammen. »Aber Sex ist der beste Zeitvertreib, oder nicht?«

»Wenn du meinst.« Thors Gesichtszüge entspannten sich. Sein Mund klappte ein wenig auf. Er neigte den Kopf zur Seite und schlief ein.

***

Am nächsten Tag war einiges anders. Es war nicht Thor, der als Erster aufwachte. Es roch nicht nach Kaffee, obwohl die Sonne bereits schien. Dylan rekelte sich im Bett, bis ihn die sonderbare Stille stutzig machte. Thor hantierte nicht in der Küche und er züngelte auch nicht an seinem Hals herum wie sonst, wenn sie am Morgen Lust aufeinander bekamen. Sein Partner lag regungslos neben ihm. Seine Augen waren geschlossen, seine Atmung war flach.

»Alles okay bei dir?« Dylan richtete sich auf und sortierte seine Haare. Ihm war warm. Der Innenraum des Wohnmobils war aufgeheizt. Normalerweise öffnete Thor nach dem Aufstehen die Türen und Fenster. Nun ruhte er auf dem Bett, als hätte er sich nachts nicht von der Stelle bewegt. Er hatte sich am gestrigen Tag schon ruhig verhalten, noch stiller als sonst. Sie hatten ihre Reise unterbrochen und am Abend auf einem Rastplatz gehalten. Das gemeinsame Abendessen war kurz ausgefallen und Thor war früh zu Bett gegangen. Sex hatte es nicht noch mal gegeben, aber Dylan hatte sich nicht beklagt. Das Schweigen zwischen ihnen kam ihm allerdings merkwürdig vor. »Thor?«

»Hva?« Fahlstrøm bekam die Lider kaum auf. Aus glasigen Augen sah er seinen Partner an.

»Was ist los?« Dylan streckte die Hand nach ihm aus. Sein Körper glühte. »Hast du Fieber?«

»Es ist heiß, ja.« Fahlstrøm schnellte hoch, rückte an die Bettkante und entzog sich dem Dialog. War es ihm unangenehm, dass sie verschlafen hatten? Er stand auf und wankte.

»Wow, hey, was ist mit dir?« Dylan war alarmiert. Er krabbelte über das Bett und griff nach Thor, doch der stieß ihn von sich.

»Es geht …« Taumelnd setzte er einen Fuß vor den anderen. Abermals fasste er sich an die Schulter. Immer wieder diese Schulter …

Dylan beobachtete das Ganze. Er ließ zu, dass sein Partner duschte und Frühstück machte. Aber der gepeinigte Ausdruck in Thors Gesicht verschwand nicht.

»Nimm eine Schmerztablette.« Dylan legte einen Blister Paracetamol auf den Tisch. »Und in der nächsten Drogerie kaufen wir was Stärkeres.«

Ausnahmsweise protestierte Thor nicht. Er war blass um die Nase und wirkte geschwächt. Wortlos stopfte er eine Tablette in den Mund und schluckte sie mit Kaffee hinunter. Es war ein Zeichen der Einsicht, denn normalerweise machte er einen Bogen um Medikamente.

»Vielleicht sollte ein Arzt …« Dylan versuchte es ein weiteres Mal und wurde abermals in die Schranken gewiesen.

»Kein Arzt«, zischte Thor. Er schob den Teller beiseite und faltete anschließend die Landkarte auseinander. Da sie über kein Internet verfügten, gingen sie den altmodischen Weg des Kartenlesens. Das war mühsam und raubte Zeit, aber wer hatte gesagt, dass sie sich beeilen mussten?

»Wenn deine Schulter schmerzt, sollten wir einen weiteren Tag Pause machen«, schlug Dylan vor.

»Keine Pausen«, knurrte Thor.

»Und wieso nicht?«, fragte Dylan. Er hob die Hände. »Was soll das denn? Wir sind am Arsch der Welt. Warum meinst du noch immer, dass wir uns wie Flüchtende verhalten müssen?«

»Ich werde nicht sesshaft«, erklärte Thor. »Hier sicher nicht!« Mit geschlossenen Lidern stand er auf und ließ eine Hand am Tisch. War ihm Schwarz vor Augen?

»Du kannst so nicht fahren!«, keifte Dylan. »Du stehst ja völlig neben dir!«

»Hold kjeft«, bekam er zu hören. Fahlstrøm steckte die Tabletten ein, kletterte in den vorderen Bereich und setzte sich hinter das Steuer. Kurz darauf drehte er den Schlüssel im Zündschloss. Der Wagen heulte auf. Wie getrieben fuhr er vom Parkplatz.

»Du wirst schon sehen, was du davon hast!«, brüllte Dylan. Fluchend räumte er das Geschirr zusammen und schmiss es in die Spüle. Ein Teller zerbrach. Mit gleicher Wucht warf er ihn in den Mülleimer. Er war zornig, ja, aber nicht, weil er wütend auf Thor war, sondern weil eine unkontrollierbare Angst in ihm wuchs.

***

Sie fuhren, mal schneller, mal langsamer. Ab und zu machte der Wagen schlingernde Bewegungen. Dylan biss sich auf die Unterlippe. Ein paarmal stand er kurz davor, einzugreifen und Thor vom Steuer wegzuziehen, doch er war sich sicher, dass das einen erneuten Streit entfachen würde. Das wollte er nicht riskieren.

Am späten Nachmittag drosselte Thor das Tempo und visierte einen Parkplatz an. Dylan atmete auf, als sie endlich anhielten. Sofort stürmte er nach vorn, wo Fahlstrøm schwer atmend auf dem Fahrersitz verharrte. »Bleiben wir hier für heute?«, fragte Dylan nach.

»Weiß noch nicht«, faselte Thor. Seine Augen waren bis auf einen Spalt geschlossen.

Auf dem Beifahrersitz entdeckte Dylan den leeren Tablettenriegel.

»Hast du noch mehr Pillen?«

Dylan schüttelte den Kopf. »Du hast alle geschluckt und noch immer Schmerzen?« Entgeistert nahm er den inhaltslosen Blister in die Hand.

»Momentan geht es«, raunte Thor. Er kam auf die Beine, doch er wirkte erschöpft. Dass er freiwillig eine große Anzahl an Tabletten geschluckt hatte, konnte nur bedeuten, dass er keinen anderen Ausweg gesehen hatte, als sich damit buchstäblich außer Gefecht zu setzen. »Ich lege mich hin«, fügte er hinzu.

Mitten am Tag? Dylan folgte ihm. »Dann besorge ich neue Tabletten und Pflaster.«

»Und was Hochprozentiges.« Wie ein schlaffer Sack landete Thor auf dem Bett.

»Pillen und Alk vertragen sich nicht«, entgegnete Dylan. War es wirklich nötig, das zu erwähnen?

Louisiana

Dylan hatte ausnahmsweise nicht das Gefühl, sich verstecken zu müssen. An diesem Ort kannte ihn mit Sicherheit niemand. Zudem trug er das Haar seit einigen Tagen unfrisiert. Ab und zu strich er sich den langen Pony aus der Stirn. Bis auf Kajal, verzichtete er auch auf Schminke. Sein bronzefarbener Teint mit den Sommersprossen auf der Nase gefiel ihm sogar. In London war er selten täglich an der frischen Luft gewesen. Lieber hatte er sich im Zimmer oder im Proberaum verschanzt und Zuflucht vor Fans und Paparazzi gesucht. Er hatte es buchstäblich verlernt, selbstständig zu sein und Eigeninitiative zu ergreifen. Dylan Perk war die letzten Jahre wie ein Kronprinz behandelt worden. Solange es nicht um seine Musik gegangen war, hatte er keinen Finger krumm machen müssen. Vornehmlich Tony hatte ihn bemuttert. Vielleicht lag es auch an ihm, dass sich Dylan zu einer Diva gemausert und streckenweise wie ein Flegel im Goldkäfig verhalten hatte. Inzwischen genoss er seine Freiheit. Er konnte auf dem Gehweg spazieren und in Geschäften einkaufen, ohne erkannt oder angesprochen zu werden. Niemand bat um ein Autogramm oder ein Selfie. Dadurch bemerkte er vermehrt die Obdachlosen, die in Hauseingängen lagen, und er ging selten an ihnen vorbei, ohne Kleingeld dazulassen. Er konnte sich gut daran erinnern, was es hieß, mittellos zu sein. Nachdem er sich schon vor dem Erreichen der Volljährigkeit von seinem verhassten Elternhaus hatte lösen müssen, hatte er nach einem Aufenthalt im Jugendheim den Weg auf die Straße gewählt. Er wusste, was es hieß, von Almosen zu leben, von wenigen Cent, die er sich mit Straßenmusik verdient hatte. Trotz seiner Lage hatte er Freunde gehabt, auf die er sich hatte verlassen können. Sie hatten ihm ein Sofa zum Schlafen und eine warme Mahlzeit geboten. Irgendwann waren sie in der Lage gewesen, ein Studio und ihr erstes Demotape zu finanzieren. Angus und Clifford hatten stets zu ihm gehalten. Auch wenn er oft über die Stränge geschlagen hatte, ohne sie hätte er den Durchbruch niemals geschafft. Ohne sie hätte er den Weg zur Plattenfirma nicht gewagt. Ohne die Unterstützung seiner Bandkollegen wäre Tony nie auf sie aufmerksam geworden. Auf der anderen Seite hätte er ohne ihren Erfolg, ohne sein Image, ohne das Black Festival, Thor nicht kennengelernt. Ohne diese Umstände müsste er jetzt nicht im Laden stehen, die Münzen in der hohlen Hand zählen und sich vergewissern, dass er nicht zu viel ausgab. Es war Thors Geld, das er nutzte. Er durfte nicht verschwenderisch damit umgehen.

Sorgsam wählte der die Einkäufe aus und besorgte starke, rezeptfreie Schmerzmittel. Aber die Hoffnung, dass sie Thors Beschwerden lindern konnten, stellte sich nicht ein.

Er muss zu einem Arzt, hämmerte es in seinen Gedanken.

Wieder dachte er an seine Freunde. Und an Carol …

Plötzlich stand er vor einem Regal, an dem Mobiltelefone hingen. Simple Handys, die ihren Zweck erfüllten und nicht teuer waren. Er zögerte, aber schließlich nahm er eines und marschierte zur Kasse.

***

Er bewegte sich sachte und leise. Thor schlief auf der Seite und mit nacktem Oberkörper. Der verletzte Oberarm, um den der Verband gewickelt war, lag frei. Dylan hätte sich die Wunde gern noch einmal angesehen, aber er wollte seinen Partner nicht stören. Er legte die Tabletten neben das Bett und begab sich wieder nach draußen.

Unweit vom Wohnmobil gab es einen Park, dort setzte er sich auf eine Bank. Das Gefährt ließ er nicht aus den Augen. Still rechnete er nach. Es war später Nachmittag, demzufolge war es in Europa bereits Nacht. Trotzdem wählte er Eriks Nummer. Das Freizeichen erklang nur zweimal, bis jemand abnahm.

»Ja, her er Erik?«

»Ich bin’s!«

»Dylan?« Eriks Stimme überschlug sich hörbar. »Meine Güte, ich wollte erst nicht rangehen. Was ist das für eine Nummer, mit der du anrufst?«

»Ich hab mir ein neues Handy besorgt.«

»Was?« Es rauschte in der Leitung. Dylan stellte sich vor, wie Erik sich aus dem Bett quälte und sich setzte. »Sorry, hab schon geschlafen …«

»Ist Tony bei dir?«, fragte Dylan.

»Nein … Ich bin in Norwegen.«

»Was?«

»Du hast dich seit Wochen nicht gemeldet«, erinnerte Erik an die Umstände. »Ich bin schon länger zu Hause.«

»Sorry …« Dylan fuhr sich über das Gesicht. Er sah sich verstohlen um, niemand beobachtete ihn, auch Thor war nicht aus dem Wagen gekommen.

»Was ist denn los?«, fragte Erik. »Warum ein Handy? Wir hatten abgemacht, dass du nur Münztelefone benutzt.«

»Ja, ich weiß …« Dylan richtete sich auf. Er war total verspannt.

»Ist was passiert?«

»Nein, nicht direkt.« Er stand auf, ging ein paar Schritte über den Rasen und lehnte sich gegen einen Baum. »Aber Thor macht die Wunde zu schaffen.«

»Warum das? Sie sah gut aus.«

»Ja.« Dylan seufzte tief. »Aber das lange Fahren und die Umstände … Keine Ahnung, es geht ihm nicht besonders. Und ich nahm an …« Er stoppte. Eine Frau mit Kinderwagen spazierte an ihm vorbei. Er sprach erst weiter, als sie außer Hörweite war. »Kannst du Carol anrufen? Ich habe ihre Nummer nicht im Kopf. Hab die alte SIM-Karte weggeschmissen.«

»Klar kann ich das machen. Moment.« Es rauschte abermals in der Leitung. Dylan hörte Schritte und das Rücken eines Stuhls. »Wo seid ihr?«, fragte Erik. »Und was genau ist mit Thor?«

»Wir sind in Marksville,einem Kaff inLouisiana«, berichtete Dylan. »Die Wunde ist schmerzhaft und sieht entzündet aus. Thor ist müde und erschöpft.«

»Faen!«, fluchte Erik. »Okay, ich werde Carol informieren. Wir melden uns.«

»Gut.« Dylan atmete erleichtert aus. »Aber bitte beeilt euch. Ich warte.«

Er tigerte auf der Grünfläche hin und her. Mehrfach blickte er zum Wohnmobil, um sicherzugehen, dass Thor nicht sah, was er trieb. Es dauerte zwanzig Minuten, bis das Handy leuchtete und einen Klingelton von sich gab. Er nahm ab. »Ja?«

»Oh Dylan …«

Er erkannte sie sofort. »Carol!«

»Oh Dylan, du glaubst nicht, wie schön es ist, von dir zu hören.« Ihre Stimme zitterte. War sie den Tränen nahe? Er kannte sie seit vielen Jahren. Lang genug, um heraushören zu können, dass sie besorgt war.

»Ich wollte nicht so spät stören, hier ist es nachmittags …«

»Das macht doch nichts«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich bin immer für dich da, das weißt du doch.«

Noch immer. Obwohl er der Heimat und seinen Freunden den Rücken gekehrt hatte. Es war unglaublich … Er schämte sich fast für sein Verhalten. »Es tut mir leid, ich …« Ihm versagte die Stimme. Es war, als stünde sie neben ihm, als hörte er ihren Atem, als röche er ihr blumiges Parfum. Seine Mutter hatte ihn als Kind allein gelassen. Aber Carol, seine Ärztin und Freundin, hatte seit ihrer ersten Begegnung ein offenes Ohr für ihn gehabt.

»Geht es dir gut?«, fragte sie. »Und was ist mir Thor? Erik meinte, die Wunde sei nicht okay.«

»Mir geht es den Umständen entsprechend«, antwortete er. Ein weiteres Mal sah er sich nach dem Wohnmobil um. »Aber Thor geht es beschissen. Seine Schulter tut permanent weh. Wir können nicht zum Arzt, aber ich glaube, er sollte wieder Antibiotika nehmen.«

»Wie sieht die Verletzung aus?«

Dylan zögerte. Thor hatte ihn am vergangenen Tag nicht mehr an den Verband gelassen. Nach ihrem Bad im Meer schienen die Beschwerden schlimmer geworden zu sein. »Echt übel. Ich denke, sie ist entzündet.«

»Hat er Fieber?«, fragte sie.

»Weiß nicht«, gestand er. »Hab kein Thermometer da, aber er ist kraftlos und ihm ist warm, also wahrscheinlich ja.«

»Das hört sich nicht gut an«, erwiderte sie.

Dylan schloss die Augen. Sein Herz pochte unkontrolliert. Gern hätte er eine andere Antwort gehört. »Was sollen wir jetzt machen?«, fragte er mit bebender Stimme.

»Wenn ihr zurückkommen wollt, dann …«

»Auf keinen Fall!«, schrie Dylan. »No way!«

»Okay …« Eine Pause entstand. »Dann schicke ich euch Medikamente.«

Dylan trat auf der Stelle. Das Gespräch dauerte viel zu lange. Er blickte zum Wohnmobil. »Wie soll das gehen, Carol? Wir haben keine feste Bleibe und Thor lehnt Hotels ab.«

»Ich kann sie mit UPS an ein Depot senden, das wird aber ein bis zwei Tage dauern.«

Dylan biss sich auf die Unterlippe. Ein bis zwei Tage. Das kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Aber ihm blieb keine andere Wahl, oder?

»Erik sagte, ihr seid in Louisiana?«

»Mhm, ja.«

Er hörte sie am Computer tippen. »Okay, ich sende sie mit einer Expresslieferung, nicht ohne Risiko. Medikamente darf man nicht ins Ausland verschicken.«

»Was?« Dylan fiel aus allen Wolken. Er drehte sich im Kreis.

»Ich werde tricksen«, fuhr sie fort. »Ansonsten kann es sein, dass das Paket nie bei euch ankommt.«

»Und dann?«, jammerte er. »Carol, was mach ich dann?«

»Nun warte ab«, sagte sie. »Wir müssen es einfach versuchen.«

»Ja, natürlich.« Er strich sich über die Stirn. Ihm schien die Situation über den Kopf zu wachsen.

»Und dir lege ich auch Pillen dazu. Du scheinst mir mental angeschlagen.«

»Das ist gut, ja.« War es wirklich gut? War er nicht geradewegs dabei, zu alten Gewohnheiten zurückzukehren? Dylan Perk, der hysterische Melancholiker. Tabletten anstatt Alkohol. War das sein Weg?

»Ich sende das Paket nach Alexandria zum UPS-Store. Es könnte morgen früh schon dort sein.«

»Okay.« Alexandria.UPS. Dylan wollte am liebsten sofort losfahren.

Alexandria

Es war früh am Morgen und trotzdem wagte er den Anruf. Nebenbei tigerte er auf dem Gehweg auf und ab, rastlos und in Sorge. Er wollte den UPS-Laden nicht aus den Augen lassen.

Obwohl es in Norwegen Mittagszeit war, klang Eriks Stimme müde und bleiern. »Ist das Paket angekommen?«, fragte er gespannt.

»Nein, der Store öffnet erst in einer Stunde.« Dylan setzte sich auf eine Bank und rieb sich über den Oberschenkel. Er war nervös, keine Frage. Unentwegt schielte er auf die Uhr. »Aber es tut gut, dich zu hören. Störe ich?«

»Nein, kein Problem. Bin spät ins Bett gegangen und eben erst aufgestanden.«

»Ich auch, aber ich schlafe schlecht«, schilderte Dylan. Er war froh, reden zu können, und das mit einer vertrauten Person. Irgendwie musste er sich ablenken. »Und sonst so?«

»Na ja …« Erik verstummte und es entstand eine Pause.

»Alles okay?«, hakte Dylan nach.

»Ich hab gestern Abend mit Tony gesprochen«, berichtete er.

»Oh Shit«, fluchte Dylan. Er sah zum Himmel. Dunkle Wolken zogen auf. »Hast du es ihm gesagt?«

»Noch nicht. Er denkt nach wie vor, dass du einen Egotrip fährst.«

»Okay.« Dylan atmete auf. Die Tatsache, dass sein Freund und Manager weiterhin annahm, dass Thor gestorben war, bedrückte ihn. Irgendwann musste Erik ihm die Wahrheit sagen, aber nicht jetzt. Der Moment war ungünstig.

»Aber es ist etwas anderes passiert«, fuhr Erik fort.

»Ja?« Er hielt den Atem an.

»Die zwei Typen, die Thor vermöbelt hat, haben ihre Anzeige zurückgezogen.«

Dylan stutzte. Er richtete sich auf. »Wieso das?« Mit der freien Hand fischte er die Zigarettenschachtel aus der Hosentasche. Umständlich zündete er sich eine Zigarette an. Vielleicht könnte sie ihn beruhigen. Er blickte zum UPS-Laden.

»Kein Ahnung«, erklärte Erik. »Es hat in der Zeitung gestanden. Vermutlich tut es ihnen leid. Immerhin waren es Fans und sie glauben, dass Thor tot ist.«

»Mhm. Bleibt ohne Konsequenz, oder?«, erwiderte Dylan. »Die Staatsanwaltschaft kann dennoch Interesse an dem Fall zeigen und dem nachgehen, wenn sie spitzkriegen, dass Thor lebt, egal ob die Anzeige zurückgezogen wurde oder nicht. Thor hat Bastøy und das Land verlassen, eine falsche Identität angenommen. Der Rückzug der Anzeige macht ihn nicht straffrei.«

»Es kann die Sanktion mildern«, entgegnete Erik. »Wenn er sich stellt und freiwillig zurückkommt. Soweit ich weiß, kann man nicht zweimal für dieselbe Tat verurteilt werden.«

»Thor wird weder zurückkommen noch sich stellen«, erwiderte Dylan. »Egal was die Typen zu Protokoll geben.«

»Das ist nicht alles«, erzählte Erik. »Cay ist zur Polizei gegangen und hat die Jungs angeschwärzt, weil sie dich verprügelt haben.«

»Wie bitte?« Dylans Stimme überschlug sich. Die Zigarette fiel ihm fast aus der Hand. »Wie kommt er dazu? Er hat es nicht gesehen, er war nicht dabei!«

»Er hat ausgesagt, dass es dieselben Typen waren, die ihm vorgegaukelt haben, dass du zu Thor vors Zelt kommen sollst, dass sie dich reingelegt haben und Thor sich gerächt hat.«

»Selbstjustiz«, schlussfolgerte Dylan. Er zog ein letztes Mal an der Zigarette und warf sie auf die Erde. »Das spricht Thor nicht frei«, wiederholte er.

»Mensch, aber es ändert die Lage!«, konterte Erik aufgebracht. »Du musst endlich deine Aussage machen. Dann drehen wir den Spieß um. Du hast die Typen gesehen, oder? Du kannst bestätigen, dass sie mit dem Stress angefangen haben.«

»Oh Shit …« Dylan fasste sich an die Stirn. »Ich kann nicht mit Gewissheit bezeugen, dass es so war.«

»Ihr müsst zurückkommen und zu dem Fall Stellung nehmen«, drängte Erik abermals.

»Erik!«, tönte Dylan. »Es ist zu spät, es ist vorbei! Wir sind raus aus der Nummer, klar? Thor wird nicht zurückkommen. Sie werden ihn einbuchten, wenn er sich stellt. Der Zug ist abgefahren.« Er seufzte tief. »Keine Ahnung, was Cay damit bezwecken will.«

»Ist doch klar.« Erik klang plötzlich betrübt. »Er vermisst dich und will helfen. Er möchte, dass du nach Hause kommst.«

Dylan lachte verbittert. »Es ist zu spät.«

Wieder entstand eine Pause. Eriks aufgeregte Atmung drang durch die Leitung, als stünden sie dicht beieinander.

»Und was ist mit dir?«, fragte Dylan. »Erst hilfst du uns, zu entkommen, und dann ruderst du zurück?«

»Ich … vermisse euch auch.«

Dylan schloss die Augen. Die freien Finger drückte er gegen die Lider. »Sag so was nicht, Erik, bitte … Das macht es nur schlimmer.«

»Aber, es ist wahr.«

Dylan presste die Lippen zusammen. Er blickte zum Wohnmobil. Hatten sich die Vorhänge an den Fenstern bewegt? Sofort drehte er sich herum und verbarg das Handy. »Ich muss Schluss machen.«

»Bitte, überlegt es euch«, flehte Erik.

»Ich melde mich«, antwortete Dylan. Er legte auf.

Thor saß am Tisch, als Dylan das Wohnmobil betrat. Hatte er das Telefonat beobachtet?

»Was hast du gemacht?«, fragte er.

»Ich hab nachgesehen, wann der UPS-Laden öffnet.« Dylan steckte die Hände in die Hosentasche und unterließ es, sich zu setzen.

Thor blickte ihn aus kleinen Augen an. Er war sichtlich an keiner Diskussion interessiert. »Ich dusche, bin verschwitzt.« Er zog sich träge aus und diesmal war Dylan nicht beeindruckt von seinen Muskeln und Tätowierungen. Thor wirkte geschwächt. Jede Bewegung sah angestrengt aus und erinnerte Dylan an den Zustand, den sie eigentlich hinter sich gelassen hatten.

»Du hast Fieber«, sagte er.

»Hab ich noch nie gehabt«, raunte Thor.

»Dann hast du jetzt welches!«, tönte Dylan. Nebenbei lugte er aus dem Fenster. Erleichtert sah er, dass ein Wagen von UPS um die Ecke bog. »Die Lieferung kommt. Hoffentlich ist das Paket dabei.«

Dylan trug eine Schirmmütze und eine Brille. Beides hatte er in einem Secondhandladen besorgt. Mit der Maskerade verhielt er sich unbefangener, besonders in brisanten Situationen wie dieser. Die Mütze verbarg seine Frisur und die Brille ließ ihn wie einen Nerd aussehen. Nur sein Personalausweis offenbarte seine wahre Identität. Mit zittrigen Händen schob er das Dokument über die Ablage. Der Angestellte des UPS-Stores betrachtete ihn und den Ausweis flüchtig und verschwand danach in den hinteren Räumen. Eine gefühlte Ewigkeit. Dylans Herz klopfte aufgeregt. Was sollte er tun, wenn das Paket nicht angekommen war? Was, wenn es da war, die Medikamente aber nicht halfen? Thor war kurz davor, sich eine Blutvergiftung einzufangen, da war er sich sicher. Sein Zustand hatte sich von Tag zu Tag verschlechtert und das, obwohl er sich zu Beginn ihrer Tour in einer stabilen körperlichen Verfassung befunden hatte. Dylan zog in Betracht, Carol anzurufen und zu bitten, herzukommen. Genau hierher, in diese erbärmliche Stadt, in die Dylan nie vorgehabt hatte, zu reisen. Und nun stand er am Schalter des UPS-Stores und überlegte ernsthaft, ausnahmsweise zu beten.

»Ich bräuchte noch eine Unterschrift.«

Erschrocken kam er in die Realität zurück. Der Angestellte blickte ihn auffordernd an. Das Paket lag auf der Ablage. Dylan schluckte unter Anspannung und unterschrieb das Schriftstück, das die Zustellung quittierte.

Thor war im Bad, also konnte Dylan die Lieferung ungestört öffnen. Das Paket war mit einer Zollinhaltserklärung ausgestattet, die angab, welche Gegenstände sich in dem Karton befanden, inklusive Wert und Maße. Deklariert waren ein Plüschtier und ein Buch. Zudem klebte der Verweis UNSOLICITED GIFT auf der Sendung. Alles schien seine Richtigkeit zu haben. In dem Kuscheltier steckte Antibiotikum und zwischen dem Buch mit dem Titel All dreamers go to America klemmte Psychopharmakon. Dylan atmete auf, als er die Tablettenschachteln in den Händen hielt. Doch ebenso verspürte er Wehmut. Dem Paket war keine persönliche Nachricht beigefügt. Kein Gruß. Es war eine neutrale Lieferung, mehr nicht. Was hatte er erwartet? Lediglich die Packung mit den Psychotabletten zeigte, dass sich seine Freundin in England ernsthafte Sorgen um ihn machte.

»Ist es da?« Thor trat aus dem Bad und stellte sich neben ihn. Er war nur mit einem Handtuch bekleidet, das stramm um seine Hüften gewickelt war. Feuchte Luft drang aus dem Bad ins Innere des Wohnmobils.

Dylan legte die Tablettenschachtel auf den Tisch und nahm die zweite Packung mit dem Antibiotikum zur Hand. »Du solltest am besten sofort eine nehmen«, sagte er.

Thor nickte still. Er nahm die Verpackung entgegen und drückte eine Tablette heraus. Anschließend marschierte er zum Kühlschrank und entnahm ihm eine Flasche Bier.

»Muss das sein?«, fragte Dylan vorwurfsvoll. Kritisch beobachtete er, wie Thor die Flasche öffnete und das Medikament mit Bier hinunterspülte.

»Was anderes ist ja nicht da«, erwiderte Thor. Er schlich zum Bett. Dort löste er das Handtuch. Nackt glitt er unter die Bettdecke, das Bier ließ er nicht aus der Hand.

»Das machst du doch mit Absicht«, meinte Dylan.

»Hva?«