Roveon - Tanja Rast - E-Book

Roveon E-Book

Tanja Rast

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Beschreibung

Epische High Fantasy mit Helden, Schlachten, Magie und einer Romanze, die sich wie ein rotes Seidenband durch die Geschichte zieht und weder drohende Niederlagen noch selbst den Tod fürchtet. Roveon, der blinde und aufbrausende Feuermagier des Kaisers, hat die Aufgabe, die Klippenstadt zu verteidigen. Doch als eine feindliche Übermacht die Mauern überwindet, bleibt auch ihm nur der Rückzug. Zusammen mit der Küchenmagd Yaelin flüchtet er in die unterirdischen Friedhöfe im Klippengestein. Die Sicherheit trügt, denn die Angreifer haben es offenbar auf Roveon selbst abgesehen. Und er ist mit dieser störrischen Magd geschlagen, die ihn zwar nach Kräften unterstützt, aber auch sichtlich Gefallen daran findet, ihn herumzukommandieren. Gleichzeitig scheint sie nicht abgeneigt, ihrerseits Roveon zu erobern …

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Veröffentlichungsjahr: 2018

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Roveon

 

 

 

 

Tanja Rast

 

 

 

 

Inhaltswarnungen

 

Kann Spuren von Erdnüssen enthalten!

 

Es gibt Inhalte, die Betroffene triggern können, das heißt, dass womöglich alte Traumata wieder an die Oberfläche geholt werden. Deswegen habe ich für diese Personen eine Liste mit möglichen Inhaltswarnungen für alle meine Romane zusammengestellt:

 

www.tanja-rast.de/inhaltswarnungen

Inhaltsverzeichnis
1 Der Tribun der Klippenstadt
2 Attacke unter Feuersbrunst
3 Ernte der Eroberung
4 Gefallene Helden
5 Der Opferstein
6 Blauer Irrsinn
7 Der Zorn der Heiligen
8 Die Nacht nach der Schlacht
9 Nachricht vom Kaiserhof
10 Hallvans Hald
11 Fürstenbanner
12 Rot wie Mohn

 

Die Autorin

1.

Der Tribun der Klippenstadt

 

Amares fror und zog den Mantel fester um sich. Sie stieg eine der zahlreichen Treppen hinab, um das Lazarett zu erreichen, das in aller Eile im alten Palast errichtet worden war.

Die Menschen im Hinterland mochten sagen, dass die Klippenstadt ein eiskaltes, raureifbedecktes Juwel war, aber vor allem war sie ein Bollwerk und das Tor zu Ganharad, dem Inselreich, das noch niemals von einem Feind betreten worden war, wie die Militärs nicht müde wurden zu wiederholen. Es war häufig genug versucht worden, und die Klippen dieser Stadt hatten mehr als ein Volk scheitern sehen, mehr als das Blut einer Flotte getrunken. Sie hatten auch das Blut von Zavea in sich aufgesogen, der Stadtheiligen, die vor vielen hundert Jahren durch ihr Opfer eine Invasion verhindert haben sollte.

Amares war kritisch, inwiefern das Opfer einer jungen Frau eine anrückende Übermacht zurückgeschlagen haben sollte. Aber sie gestattete sich nicht zu viel Skepsis, denn sie war die Hohepriesterin von Zavea in deren Heiligtum in der Klippenstadt. Sie konnte nicht gleichzeitig die erste Dienerin sein und dabei starke Zweifel am Wahrheitsgehalt der Legenden haben. Doch genau so erging es Amares.

Wenn ein Funken Wahrheit daran war, so fand Amares, als sie in die Vorhalle des alten Palastes trat, dann wäre jetzt genau der richtige Zeitpunkt für Zavea gekommen, sich zu offenbaren, leibhaftig zu erscheinen und die Angreifer im Meer zu ersäufen.

Der Gestank nach Schweiß, Blut und Eiter traf Amares wie ein Keulenschlag, da sie aus der Eingangshalle in den kleinen Vorraum zum ehemaligen Thronsaal trat.

Die Verteidigung der Stadt forderte ihren Tribut. Und die, die es überlebten, wurden hierher gebracht. Manche wurden nur zum Sterben abgelegt, manche konnte der Medikus noch retten, andere pflegten Frauen wie Amares liebevoll, bis die Verwundeten endlich das letzte Mal ausatmeten.

Jeden Tag fürchtete sie sich davor, bekannte Gesichter unter den Verwundeten zu entdecken. Viel zu oft sah sie sie.

Aber noch war sie vom Schlimmsten verschont geblieben. Ihr Bruder kämpfte auf den Verteidigungsanlagen als Hauptmann der Bogenschützen. Jeden Tag, wenn sie in das Lazarett kam, hielt sie besorgt nach ihm Ausschau. Wie alle Soldaten blieb er nun Tag und Nacht in der Festung, falls er gebraucht werden sollte. Er pochte nicht auf seinen Rang als Letzter eines alten Adelsgeschlechts. Wenn der Tribun ihn rief, war Badon stets zur Stelle.

Badon war ein verschlossener junger Mann, der sich seiner Aufgabe und seiner Pflichten sehr bewusst war. Leben kam erst in ihn, fand die ältere Schwester belustigt, wenn er vom Tribun und dessen Taktiken und Erfahrungen sprach. Welche Kniffe der große Mann anwandte, um ein Überrennen der Verteidigungsanlagen selbst im letzten Augenblick noch siegreich abzuwenden.

Es gab erstaunlich geringe Verluste, hatte Badon bei seinem letzten Besuch im Tempel erwähnt. Amares konnte dieser Meinung nicht zustimmen, wenn sie von einer Liege zur nächsten schritt, Verbände erneuerte und Trost spendete, wo der Medikus nicht mehr helfen konnte. Sie wollte Badons Einschätzung so gerne teilen. Noch mehr allerdings, gestand sie sich ein, während sie sich eine Schürze umband und einen Korb mit frisch gerollten Verbänden von einem Seitentisch nahm, vertraute sie auf den Tribun.

Solange dieser Mann noch kämpfen konnte, befanden sich alle Menschen hinter den Verteidigungsanlagen der Klippenstadt in relativer Sicherheit. Die Flucht hatte begonnen. Viele reiche Familien hatten Schätze, Sklaven und Vieh mit sich genommen, waren die Treppen zur Oberen Festung hinaufgestiegen und ins Hinterland verschwunden, wo angeblich der Kaiser seine Truppen sammelte, um der Besatzung der Klippenstadt zur Hilfe zu eilen.

Amares war Priesterin und kein militärisches Genie, aber sie fand, dass es verdammt lange dauerte, ein paar Soldaten um sich zu scharen und zu der bedrängten Stadt zu eilen. Zu lange, wenn sie an die ganzen Verwundeten dachte, sich das müde Gesicht des Tribuns in Erinnerung rief, als sie ihn das letzte Mal vor zwei Tagen gesehen hatte.

Ihrer aller Schicksal schien trotz gegenteiliger Versprechen alleine in den Händen des Tribuns zu liegen. Und auch Thalis war nur ein Mensch. Es machte Amares Angst, was werden sollte, falls er fiel, in Gefangenschaft geriet oder einfach nur vor Erschöpfung zusammenbrach. Sie ballte die Hände um den Griff des Korbes: Es reichte, wenn ein feindlicher Pfeil ihn erwischte. Jeden Tag konnte es geschehen, und dann würde sie ihn auf einer der Liegen entdecken, seine Verbände erneuern und in seine fiebrigen Augen sehen müssen.

Amares atmete tief durch, straffte die Schultern und betrat entschlossen den großen Saal. Hier standen die Betten der verwundeten Soldaten. Sie wandte sich nach links, wobei sie Begrüßungen durch Verletzte mit einem freundlichen Lächeln beantwortete, und trat in das Behandlungszimmer des Medikus.

Sofort wünschte sie sich, sie wäre im großen Saal geblieben, denn auf dem Behandlungstisch lag ein junger Mann, dem der Medikus gerade den rechten Arm abnahm. Alles schwamm vor Blut. Amares stellte hastig den Korb ab, eilte an den Behandlungstisch und griff nach der unversehrten linken Hand des Soldaten, der bei vollem Bewusstsein war und einen Schmerzensschrei mehr als tapfer verschluckte, als er sah, wer ihm zur Unterstützung geeilt war.

Amares schaffte ein Lächeln, streichelte dem Jungen über die Wange und murmelte beruhigende Worte, während sein Blick wie gebannt auf ihrem Gesicht hing. Nur Augenblicke später trat der Medikus beiseite, und einer seiner Assistenten verband den blutigen Stumpf. Endlich versank der Soldat in Bewusstlosigkeit, und Amares konnte seine verkrampften Finger von ihrer Hand lösen.

»Die Ernte des letzten Angriffes, Priesterin. Und wir sind billig davongekommen. Ich weiß nicht, wie der Tribun es schafft, seine Verluste so gering zu halten.«

»Der Magier des Kaisers ist bei ihm«, antwortete Amares sofort. Der Tribun leistete Übermenschliches, aber ohne die Zauberkraft des Magiers wäre die Klippenstadt wahrscheinlich schon lange gefallen. Ein Segen, dass der junge Mann auf Befehl des Kaisers hier weilte und die Truppen des Tribuns unterstützte. Bislang die einzige Hilfe, die gesandt worden war.

Der Medikus schüttelte müde den Kopf: »Auch Roveon, und wäre er noch zehn Mal so mächtig, wie er es ist, könnte ohne Thalis nichts bewirken. Nur acht neue Verletzte brachte uns der letzte Angriff. Dieser war am schwersten verwundet. Die meisten anderen können mit ein wenig Glück heute oder morgen zurück auf die Festungsanlagen. Und kein einziger Toter.«

»Mein Bruder?«

»Brachte diesen Jungen. Es geht Badon gut, Priesterin. Oder zumindest so gut, wie es einem Hauptmann gehen kann, der vier Männer an das Lazarett verliert. Ich wäre dir dankbar, wenn du den Kranken ein wenig Mut machen könntest.«

»Ich kann mehr als das tun. Ich werde Verbände wechseln und Salben auftragen. Wie darf ich sonst helfen?«

»Bete zu deiner Heiligen, dass sie uns unterstützt. Ewig wird niemand die Angreifer aufhalten können. Ich erwarte täglich, dass Thalis auf diesem Tisch landet. Jeden Abend danke ich deiner Heiligen, dass der Tribun verschont geblieben ist. Aber wenn er nicht heute hier liegt, wird es vielleicht morgen passieren. Und dann kann uns wohl nicht einmal mehr die Heilige retten.«

Es grenzte an Gotteslästerung, aber Amares dachte schon seit Tagen nichts anderes. Sie nahm die Zweifel eines Mannes, der jeden Tag in Blut watete, gelassen hin. Sie konnte den Medikus nur zu gut verstehen. Sie selbst hatte schwer daran zu schaffen, ihren Glauben an ihre Heilige aufrechtzuerhalten. Wie lange wollte Zavea noch mit einer Offenbarung warten?

Die Legende besagte, dass sie von den Toten auferstehen und der Stadt erneut beistehen würde, wenn diese angegriffen wurde. Die Erzählung war ebenso alt wie die Heiligkeit der jungen Frau, und bislang hatte jeder in der Klippenstadt daran geglaubt, dass Zavea ihnen zu Hilfe kommen würde, sobald die Angriffe sich verstärkten.

Amares hatte aufgehört, die Bestattungen zu zählen, die jungen Männer, die ihr unter den Händen wegstarben. Es lag kein Funken Wahrheit in den Legenden. Dieses Eingeständnis schwächte sie und ihren Glauben so sehr, dass sie an manchem Morgen kaum die Kraft fand, sich aus dem Bett zu erheben. Die Worte der Gottesdienste klangen leer und sinnlos für sie, aber immer noch klammerte sie sich daran, die Hohepriesterin der Heiligen zu sein. Zavea musste sich offenbaren, sie musste irgendetwas tun. Langsam, aber sicher gewann Amares nur die Gewissheit, dass es zu spät sein würde, falls die Heilige sich endlich erhob und die Angreifer zurück in die See schlug – falls sie sich denn jemals dazu aufraffen könnte.

Trotz dieser Ängste nickte Amares, nahm den Verbandskorb wieder an sich und trat in den großen Saal, um dort das zu tun, was sie vermochte. Es war wenig genug, aber die Freude, mit der sie begrüßt wurde, war aufrichtig.

Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr, wandte den Kopf und atmete auf. Sie fühlte die gleiche Erleichterung, die ihr den Kopf leicht machte, durch den ganzen Saal fliegen.

Da war Thalis, Tribun der Klippenstadt, größer als das Leben, schmutzig und mit jenem so typischen, jungenhaften Grinsen, das die tief in den Höhlen liegenden Augen und die dunklen Schatten unter ihnen Lügen zu strafen versuchte. Aber Amares sah, wie hager sein Gesicht geworden war, wie müde er wirkte, obwohl er sich wie immer rasch und kraftvoll bewegte, zielsicher auf das erste Bett zustrebte, auf dem ein Verletzter sich bereits aufzusetzen versuchte.

Der lange Mantel wirkte im unteren Viertel feucht von Schlamm und Meereswasser. Amares roch Schweiß und Blut, als der Umhang sich leicht bauschte. Sie sah Dreck auf den Beinschützern, der mit Metallplättchen verstärkten knielangen Hose. Sie hörte das Leder knirschen, das Kettenhemd unter dem Waffenrock leise klirren.

Der ganze Mann sah so unglaublich dreckig aus, dass alles in Amares danach schrie, ihn kurzerhand in einen Zuber mit heißem Seifenwasser zu stoßen. Sie kämpfte ein leises Lachen nieder, so erleichtert war sie über diesen vertrauten Anblick und ihre vollkommen unpassenden Gedanken.

Thalis ganz in seinem Element. In Friedenszeiten hatte dieser riesige Kerl sich garantiert halb zu Tode gelangweilt und nur deswegen seine Rekruten ohne Unterbrechung üben lassen und ständig überall in der Stadt Baustellen eröffnet.

Sie schüttelte den Kopf. Nein, nicht Thalis. Was der Mann machte, tat er gründlich. Und wenn er neue Mauern hatte errichten lassen, dann hatte er dazu guten Grund gehabt. Unvorbereitet fand man den Hünen niemals, und Amares und alle Bewohner der Klippenstadt sollten auf Knien der Heiligen danken, dass ausgerechnet dieser Krieger Tribun der Stadt war.

Vielleicht war das Zaveas Offenbarung? Vielleicht stellte es das Geschenk der Heiligen an diese Stadt dar, ihr einen solchen Kämpfer und Strategen als Tribun zu senden? Amares wusste es nicht, aber sie fand, dass es sich plötzlich leichter atmete, da Thalis im Lazarett von Bett zu Bett ging, sich nach dem Ergehen der Männer erkundigte, mit einigen, die im Sterben lagen und es nur noch nicht wussten, sogar Witze riss. Er klopfte Schultern, begrüßte die Verwundeten freundlich und unterhielt sich mit jedem, mit dem er sprechen konnte. Aber auch bei jenen, die schon fast hinübergedämmert waren, blieb er einen Moment stehen, sah dem Sterbenden beim Atmen zu und ging dann erst langsam weiter.

Obwohl Amares wusste, dass der Tribun auch deswegen im Lazarett war, weil er beständig auf der Suche nach Männern sein musste, die zumindest helfen konnten, die Lücken in der Abwehr aufzufüllen, verlangte sein Auftritt ihr Respekt ab. Er wirkte, als habe er alle Zeit der Welt. Wenn er lachte, atmeten Soldaten auf dem Sterbebett auf und versuchten zumindest, mit ihm zu lachen. Wo er stand und ging, flammte Hoffnung auf.

Selbst die Priesterin, die tagtäglich die Ernte der Kämpfe pflegte und nach den letzten Zuckungen Augen schloss, die angesichts der blutigen Ernte ahnte, wie schlimm es um die Klippenstadt stand, fühlte Zuversicht – und Stolz, dass auch sie auf ihre Art einen Teil der Verteidigung bildete.

Thalis sah sie, hob knapp eine Hand zum Gruß und wandte sich dann wieder an den Soldaten, der fiebernd auf dem Bett lag, seinen Tribun vor Schmerzen wahrscheinlich kaum sehen konnte, aber trotzdem Kraft aus dessen Nähe und Anteilnahme schöpfte.

Amares nickte. Thalis schickte seine Soldaten nötigenfalls in den sicheren Tod, wie es jeder Oberbefehlshaber tat, aber er nahm trotzdem Anteil. Jeder seiner Männer musste wissen, dass der Kampf den Bewohnern der Stadt Zeit für eine Flucht verschaffen sollte. Thalis versuchte, die Klippenstadt wenn möglich so lange zu halten, bis die Entsatzarmee des Kaisers endlich ankam.

Ernüchtert biss Amares sich auf die Unterlippe: Falls diese Armee jemals kam.

Amares begann ihre Arbeit. Sie konnte täglich nur einige Stunden erübrigen. Gottesdienste für die Heilige und deren Rituale beanspruchten einen Großteil ihrer Zeit. Wo sie nur konnte, hatte sie Kürzungen vorgenommen. Die Soldaten waren ihr im Augenblick weit wichtiger als Liturgie und blank geputzte Weihegefäße. Zavea, die sich für die Verteidigung dieser Stadt geopfert hatte, würde das verstehen, hoffte Amares.

»Kann ich dich einen Moment sprechen?«

Sie fuhr erschrocken auf, denn sie hatte nicht gehört, dass Thalis an sie herangetreten war. Weit ragte er über ihr auf, und sie fragte sich, wie ein so großer, schwerer Mann sich so leise bewegen konnte.

»Natürlich, Tribun. Ich stehe dir gleich zur Verfügung.«

Aber zuerst wechselte sie den Verband des Bewusstlosen auf dem Bett, deckte den Mann fürsorglich zu und füllte den Becher neben seinem Lager mit frischem Tee, falls der Soldat wider Erwarten erwachen und durstig sein sollte. Sie gab dem Tribun mit einem Nicken zu verstehen, dass sie nun Zeit für ihn hatte.

Mit einer Höflichkeit, die einer friedlicheren Zeit entstammte und Amares bei einem Soldaten, der aus dem einfachen Volk stammte, überraschte, bot Thalis ihr den Arm. Sie hakte sich bei ihm ein, und er legte seine Hand behutsam auf ihre und zog Amares dann zielstrebig aus dem großen Saal in einen angrenzenden Flur.

Sie blickte kurz zu ihm auf, aber ihr gefiel nicht, was sie sah: Die schmalen Lippen waren fest zusammengepresst. Die Schatten unter seinen Augen wirkten noch dunkler als bei ihrer letzten Begegnung.

Er steuerte einen Alkoven an, unter dessen Fenster eine Steinbank einen Ruheort bot. Dort blieb er stehen und wartete schweigend, bis Amares Platz genommen hatte, bevor er sich neben sie setzte. Er starrte auf seine großen, schmutzigen Hände, und Amares dachte wieder, wie gut ihm ein Bad tun würde. Er stank nach Blut und altem Schweiß, nach Rauch und Brackwasser. Wenn er seine Soldaten schon nicht schonte, auf sich selbst sollte er etwas sorgfältiger achtgeben, denn es hing so viel von ihm ab.

Schließlich hob er den Kopf und sah ihr in die Augen. »Ich kann die Stadt nicht mehr lange halten. Ich weiß, dass viele Bürger bereits geflohen sind. Ich will, dass du ebenfalls gehst. Am besten noch heute. Die kaiserlichen Truppen können nicht mehr weit entfernt sein.«

»Ich habe hier meinen Platz und meine Aufgabe.«

»Wenn du theatralisch und heldenhaft sein willst, sind dies weder der richtige Ort noch die richtige Zeit. Du siehst die Verletzten. Du weißt, wie viele Männer schon gefallen sind. Verdammt, Amares, du bist die Priesterin, du musst hier weg. Die Leute brauchen dich.«

»Aber wo kann ich meiner Heiligen besser dienen als hier? Dies ist ihre Stadt und …«

»Und diese Stadt wird in den nächsten ein oder zwei Tagen fallen. Ohne die Verstärkung durch kaiserliche Truppen kann ich nur noch versuchen, das Unvermeidliche hinauszuzögern, nicht mehr. Jeder Soldat, den ich an die Kampflinie schicke, ist so gut wie tot. Und wenn wir nicht mehr standhalten können, fallen die Angreifer ein. Du bist nicht dumm, du weißt, was dann geschieht. Mir – und wohl auch deinem Bruder – wäre leichter zumute, wenn du die Stadt verlässt. Nimm mit, wen immer du zum Gehen veranlassen kannst.«

Sie sah mit einem Ruck auf. »Und was ist mit dir, Tribun?«

»Der Kaiser hat eine unüberwindliche Abneigung gegen Feiglinge. Ich versuche also, die Stadt so lange zu halten, bis das Entsatzheer da ist.«

Seine Kiefermuskeln spannten sich, und sie wusste genau, wer von ihnen beiden jetzt ein theatralischer Held war. Verdenken konnte sie ihm nicht, dass er auf den Verteidigungsanlagen fallen wollte, bevor der Feind die Klippenstadt überrannte. Der Kaiser fasste Versagen wirklich als persönliche Beleidigung auf und besaß die Angewohnheit, die vermeintliche Ursache für die eingebildete Kränkung besonders gründlich dafür büßen zu lassen.

»Ich werde versuchen, deiner Bitte zu entsprechen«, sagte sie leise, ohne auch nur einen Augenblick daran zu denken, die unter Angriff stehende Stadt zu verlassen. Sie wurde hier gebraucht, und das Lippenbekenntnis sollte nur Thalis beruhigen und ihm in seinen letzten Tagen auf dieser Erde Frieden schenken.

Wenn es so schlimm um die Stadt stand, würde er keine Zeit mehr finden, ins Lazarett zu kommen. Sie blickte auf, weil sie ihn bewusst ansehen wollte, während sie im Geiste von ihm Abschied nahm.

Er nickte, atmete tief durch und drehte sich mit einem Ruck vollends zu ihr herum. So nahe war sie ihm noch nie gewesen, und sie ertappte sich dabei, wie sie ihm tief in die jadegrünen Augen blickte, wunderte sich über sich selbst, wie sie überhaupt daran dachte, dieses dunkle, leuchtende Grün mit Jade zu vergleichen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie sah jedes kleinste Fältchen, wie Thalis’ Wimpern sich einmal senkten und wieder hoben.

Dann beugte er sich ohne Vorwarnung vor. Sie spürte seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht, sah noch, wie er die Augen schloss, und dann küsste er sie – hart, fordernd und doch so zärtlich, dass in ihrem Inneren Wärme aufstieg, dass ihre Hände ein Eigenleben entwickelten, das sie ihnen niemals zugetraut hätte.

Ihre Fingerspitzen streichelten über die Bartstoppeln auf Thalis’ Wange, die andere Hand strich über das kurzgeschorene Haar, und Amares fühlte die unwiderstehliche Neigung, sich an die breite Brust des Tribuns zu werfen, den Kopf an seine Schulter zu lehnen und den großen Mann niemals wieder gehen zu lassen. Sie wusste, wohin sein Weg ihn führte, und sie wollte nicht, dass er sich für einen Kaiser opferte, der seine Versprechen nicht hielt.

Aber das konnte und durfte sie nicht. Thalis war der Einzige, der die Stadt noch einige Tage oder vielleicht auch nur Stunden verteidigen konnte, bis alle Fluchtwilligen sich ins Hinterland gerettet hatten.

Stattdessen küsste sie ihn, ließ ihn spüren, dass er vermisst werden würde und auch als Mensch ebenso einzigartig war wie als Krieger und Verteidiger einer sterbenden Stadt.

Thalis löste sich von ihr. Noch immer hatte er sie nicht angefasst, nicht umarmt, sich nur zu ihr vor und herab gebeugt. Nun sah er ihr in die Augen und sagte sehr leise: »Geh, Amares, und bring dich und so viele Menschen wie möglich in Sicherheit.«

Sie nickte, obwohl sie nichts dergleichen vorhatte. Ja, sie würde versuchen, Diener und einfache Handwerker zur Flucht zu bewegen. Aber sie musste hier bleiben. Sie konnte den Tempel der Heiligen nicht verlassen, nicht ihre Heilige im Stich lassen – nicht Thalis.

Er bat sie nicht um Verzeihung für seinen Übergriff, aber in seinen Augen lag ein schmerzhafter Ausdruck. Noch einmal beugte er sich vor, und Amares schloss erwartungsvoll die Augen. Aber seine Lippen berührten sie nur zwischen den Brauen, kurz und beinahe brüderlich. Dann stand Thalis auf. Sie hörte das leise Rauschen des Umhangs, nahm wieder die barbarische Geruchsmischung wahr und hörte die Schritte des Tribuns, die sich von ihr entfernten.

Hitze stieg in ihr Gesicht. Sie schlug die Augen auf, legte je eine kühlende Hand auf ihre glühenden Wangen und sah Thalis zitternd nach.

Sie mochte ihn, das war unbestritten, aber zu was sie sich da soeben hergegeben hatte … sie war entsetzt über sich selbst. Nur Thalis’ Anstand hatte verhindert, dass sie sich ihm vollkommen an den Hals geworfen hatte. Was war nur über sie gekommen?

Seine Annäherung konnte sie entschuldigen. Er rechnete in den nächsten Tagen oder Stunden mit dem Fall der Stadt und dementsprechend seinem eigenen Tod. Ja, sie konnte ihm verzeihen, dass er sie geküsst hatte.

Noch mehr rote Hitze stieg aus ihrem Kragen, und das Atmen wurde Amares schwer. Nie hätte sie gedacht, dass die Nähe eines Mannes sie so vollkommen aus dem Gleichgewicht bringen würde. Aber sie war auch noch nie zuvor geküsst worden. Noch immer prickelten ihre Lippen, wo die von Thalis sie berührt hatten. Sie meinte, dass der Geschmack des großen Mannes in jedem Atemzug ihren Gaumen kitzelte. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Sie sah den Gang entlang, aber der Tribun war entweder schon in den großen Saal zurückgekehrt oder hatte eine Nebentür genutzt, um das Gebäude zu verlassen.

Amares wollte, dass er zu ihr zurückkam, und gleichzeitig presste sie die Knie so fest zusammen, dass es schmerzte. Nein, auf gar keinen Fall. Sie wollte ihn niemals wieder sehen, wenn seine Nähe sie zu solchem Betragen trieb. Wie sollte sie ihrer Heiligen unter die Augen treten? Was würde geschehen, wenn sie derart aufgewühlt versuchte, den Tempel zu betreten? Würde die Tür für sie verschlossen bleiben, so sehr sie auch an ihr rüttelte?

Noch einmal sah sie den Gang entlang, atmete tief ein, aber sie roch nur Blut, Sterben und Schmutz. Wie hatte Thalis gerochen? Sie wusste es schon nicht mehr. Und das war auch gut so, sagte sie sich. Sie war immer noch feuerrot im Gesicht, sie fühlte es. Was war nur los mit ihr?

2.

Attacke unter Feuersbrunst

 

Roveon stand auf der Krone der zweiten in aller Eile errichteten Wehrmauer. Noch konnten die Soldaten des Tribuns die vorgelagerte alte Linie halten, aber die Bogenschützen und die Steinschleudern waren schon zurück auf die neue Befestigung gesandt worden.

Der Magier sah hinaus auf das Meer, wo die Schiffe der Seevölker sich dicht an dicht drängten. Er wusste, dass die wenigen verbliebenen Truppen des Kaisers keine Aussicht auf Erfolg hatten. Die Übermacht war überwältigend, während die eigene Zahl immer mehr schrumpfte. Jeden Tag wurden Männer in die Lazarette oder zur Bestattung gebracht. Die Reihen der Verteidiger waren schmerzhaft dünn geworden, aber noch immer desertierte kein einziger Soldat.

Die tapferen Bürger der Stadt und auch die Soldaten schrieben dies der Treue zum edlen Tribun zu. Roveons Lippen kräuselten sich. Ja, die Leute hatten recht. Natürlich rannte niemand weg, solange Thalis noch atmete. Die Soldaten wussten, was ihr Tribun war. Kein Wunder, dass keiner von denen den Mut aufbrachte, sich einfach nachts davon zu schleichen. Thalis als entfesselten Kriegsgott zu bezeichnen, war eine allzu harmlose Beschreibung.

Die Bogenschützen rund um Roveon nahmen Haltung an. Der Magier konzentrierte sich ohne die geringste Anstrengung und griff nach irgendeinem Mann in der Nähe, um dessen Augenlicht nutzen zu können. Kaum sah er durch die Augen im Kopf des anderen Mannes, da wusste er, wessen Sicht er nutzte: deutlich weiter vom Boden entfernt als bei den meisten Soldaten. Auch die Zielstrebigkeit, mit der der Besitzer der Augen auf Roveon zuhielt, wirkte eindeutig. Er lächelte, während er zusah, wie sein eigener Rücken und Hinterkopf im Blickfeld des anderen näher und näher kamen.

Er drehte sich genau zum richtigen Zeitpunkt um, sah in sein eigenes Gesicht, in die eigenen Augen, deren dunkelbraune Iriden von einem weißlichen Schleier überzogen schienen. Er nahm sein Hohnlächeln wahr, als er den Tribun begrüßte. »Thalis, ich begann schon, mir Sorgen zu machen.«

Roveon griff nach einem anderen Augenpaar und betrachtete durch dessen Sicht das harte Gesicht des Tribuns, die tückischen grünen Augen, unter denen dunkle Schatten lagen. Er sah, wie die Kiefermuskeln des großen Kriegers sich anspannten, und war zufrieden, dass sein Tonfall sein Ziel nicht verfehlt hatte.

»Du darfst dir gerne Sorgen machen, Magier«, antwortete der Tribun, und Roveon lächelte, als er hörte, wie verächtlich der Krieger beim letzten Wort klang. Ja, Thalis wäre es lieber, wenn er nur mit seinen Männern hier kämpfen, Ruhm und Ehre erlangen würde. Aber selbst der Tribun sollte wissen, dass diese Wehranlagen schon lange überrannt wären, wenn die magische Unterstützung fehlen würde.

Thalis kehrte sich mit einem Ruck ab, aber der Blick des Bogenschützen folgte ihm natürlich, sodass Roveon auch weiterhin das Mienenspiel des großen Kriegers sehen konnte. Thalis wandte sich an Badon, den Hauptmann der Bogenschützen, und Roveon musste die Ohren spitzen, um die leise geführte Unterhaltung verstehen zu können.

»Ich habe deine Schwester gebeten, die Stadt zu verlassen.«

»Darum bitte ich sie seit Tagen. Ich hoffe, dass du erfolgreicher warst als ich.«

Thalis zuckte die breiten Schultern. »Sie arbeitet im Lazarett. Sie weiß, wie es steht. Ich hoffe, sie tut das Richtige.«

Badon nickte. Sein Gesicht wirkte verkniffen und angespannt. Roveon wechselte seine Sicht zu einem Soldaten auf der ersten Wehranlage. Dort standen die Wächter Schulter an Schulter und starrten auf das Meer und die gewaltige Flotte.

Neben sich spürte er eine Bewegung und wechselte wieder das Augenlicht. Thalis war an seine Seite getreten und blickte ebenfalls zu den Angreifern. Er hob die Stimme nur ein wenig. Der Tribun musste nicht laut werden, um Gehör zu finden.

»Dies ist möglicherweise unser letzter Tag, unser letzter Versuch, die Stadt zu schützen. Wenn die vordere Verteidigungslinie fällt, will ich, dass ihr euch zurückzieht. Die Mauern werden die Angreifer nicht lange aufhalten. Nehmt jeden mit euch, den ihr in der Stadt antrefft. Zieht euch auf die Obere Ferstung zurück und verhindert von dort aus, dass der Feind ins Land einfällt. Die kaiserlichen Truppen müssen jeden Moment eintreffen.«

Roveon war von Geburt an blind. Noch bevor er gelernt hatte, durch fremde Augen zu sehen, hatte er begriffen, wie viel mehr Menschen mit ihrer Stimmlage ausdrückten, als sie an Bedeutung in Worte legten.

Thalis klang für einen ungeübten Zuhörer überzeugt, dass seine Männer bis zum Eintreffen des Entsatzheeres mindestens die Obere Festung halten konnten. Er vermittelte sehr glaubhaft den Eindruck, dass es sich wirklich nur noch um Augenblicke handeln konnte, bis die frischen Truppen eintrafen. Auch seine Rückzugstaktik schien nur der Form halber ausgesprochen, als würde er selbst nicht glauben, dass es zu dieser Verzweiflungstat kam.

Aber Roveon hörte mehr in der tiefen Stimme, in den feinen Nuancen und Betonungen. Thalis wusste, dass niemand ihm und seinen Männern helfen würde. Entweder war der Bote nicht zum Kaiser durchgedrungen, oder es war dem Kaiser einfach egal, was aus der Klippenstadt wurde. Roveon befürchtete Letzteres, obwohl er es nicht fassen konnte. Er wusste, dass er außer Thalis nun der einzige Mann auf den Verteidigungsanlagen war, dem das bekannt war. Alle anderen starrten den Tribun gehorsam und voll Vertrauen an.

Roveon verachtete sie. Die Männer sollten inzwischen verstanden haben, dass sie nur Vieh auf dem Weg zur Schlachtbank waren. Aber wenn man Thalis zuhörte, konnte dessen selbstsichere Ausstrahlung schon für Verwirrung sorgen. Außerdem besaß der Tribun einen weiteren Vorteil: Er kämpfte stets in der vordersten Reihe. Er schickte die Männer nicht nur in den Tod, sondern er stürmte an ihrer Seite vorwärts und setzte sich den gleichen Gefahren aus. Dabei sollte doch gerade er wissen, wie es stand. Ihn verachtete Roveon noch sehr viel mehr als die einfachen Soldaten, die sich blind ins Verderben stoßen ließen.

»Magier.«

Oh ja, der große Oberkommandierende der Klippenstadt, der sogar meinte, Roveon Befehle erteilen zu können.

»Tribun?«

»Spare deine Kräfte. Deine Magie wird den Kampf nicht entscheiden können.«

»Meinst du.«

»Das weiß ich. Aber wenn die Feinde die alte Wand überrennen, möchte ich, dass du Feuer zwischen beide Wälle legst. Dafür sollst du dir deine Kraft aufsparen. Du sicherst den Rückzug und kannst die Feinde für einige Zeit aufhalten.«

Roveon legte den Kopf schief, löste sich aus dem Augenlicht des Bogenschützen, das er bis zu diesem Moment genutzt hatte, tastete sich an einen Soldaten auf der ersten Mauer heran. Durch dessen Augen schätzte Roveon Breite und Tiefe des Zwischenraumes von der alten zur neuen Wehranlage ab. Er sah die schwarzen Tonkrüge, die auf Thalis’ Befehl auf diesem Streifen Ödland abgestellt worden waren. Sie enthielten Lampenöl. Haufen von teergetränkten Lumpen und Stroh säumten die Innenseite der alten Wehr.

Anerkennend hob Roveon die Brauen: Er hatte nichts anderes erwarten dürfen. Thalis setzte alle seine Waffen stets vorteilhaft ein. Und nichts anderes konnte er wohl in einem Magier sehen. Der Tribun verstand sich auf mehr, als nur Männer in den Tod zu schicken – seine eigenen und die gegnerischen.

»Das wird sie nicht lange aufhalten«, wandte Roveon ruhig ein.

»Ich weiß. Aber wenn die erste Mauer verloren geht, zählt für die verbliebenen Bewohner der Stadt jeder Augenblick.« Thalis wandte sich wieder an Badon: »Sieh zu, dass du so viele Verletzte wie möglich aus dem Lazarett schaffen kannst. Der Magier verschafft dir Zeit. Nutze sie sinnvoll.«

»Der Medikus ist benachrichtigt?«

»Natürlich ist er das!«

Roveon hörte den nur mühsam unterdrückten Zorn in Thalis’ Stimme. Oh, verdammt, der Kerl wusste genau, was die Stunde geschlagen hatte. Ihn jetzt noch mit dummen Fragen zu nerven, sprach nicht für Badons Lebensweisheit.

Noch einmal beschwor Thalis die Verbundenheit der Soldaten mit der Kaiserkrone und vor allem ihm selbst. »Ich weiß, dass ich mich auf jeden Einzelnen hier verlassen kann. Viel Glück, Männer.«

Von der alten Mauer erklang ein Warnruf, und Thalis straffte die Schultern, atmete tief durch, bevor er in den Streifen Ödland hinabstieg. Kaum war er auf der Sohle des Zwischenraumes angekommen, als die Leiter wieder nach oben gezogen wurde.

Roveon hielt sich ein wenig abseits von den Bogenschützen und den Mannschaften, die die Kriegsmaschinen zu bedienen hatten. Er sollte seine Kraft sparen? Dabei wäre jeder Gegner, den er mittels Flammen und unerträglicher Hitze zurückwarf, einer weniger, der einen Fuß auf den Boden des Kaiserreiches stellen konnte! Er fühlte Zorn in seinem Inneren brodeln. Er hasste es, wenn Thalis sich anmaßte, ihm Befehle zu erteilen.

Er atmete tief durch. Wenn er ehrlich war, dann duldete er von niemandem als seinem Kaiser Befehle. Aber dass ein dahergelaufener Bauer wie Thalis zum Tribun ernannt wurde, war schon ein starkes Stück. Wenn alles wie erwartet verlief, so dachte Roveon mit einem Lächeln, musste er den Kerl nicht mehr lange ertragen. Der Tribun würde die Schlacht nicht überleben. Das war eine Tatsache.

Durch Badons Augen sah Roveon Thalis zu, wie dieser auf der ersten Verteidigungsmauer von seinen Soldaten umringt wurde. Der Wind bauschte den dunklen, schmutzigen Umhang. Die Rüstungsteile blitzten im Sonnenlicht. Lichtreflexe brachen sich auf Helmen, Schwertern, großen Rundschilden. Die Verteidiger standen zum letzten Kampf bereit. Jeder da drüben musste wissen, dass sein Ende bevorstand. Aber wahrscheinlich konnten die Idioten das nicht verstehen, solange Thalis in ihrer Mitte weilte, scheinbar Tod und Geister der Unterwelt nicht fürchtend.

Roveon musste ein Auflachen ersticken. Vielleicht glaubten die hirnlosen Schläger da drüben ja auch, dass die Jungfrau ihnen zur Hilfe kam, wenn sie nur tapfer genug aussahen. Er biss sich auf die Unterlippe. So viel Gerechtigkeit musste sein, der Mann war ohnehin so gut wie Aasfresserfutter: Thalis war tapfer. Niedrig geboren – aber keinesfalls blind oder dumm.

Schiffe aus der feindlichen Flotte hatten sich aus der Formation gelöst, deswegen war der Alarm gegeben worden. Nun wurden sie auf den Strand zugerudert und somit auf die erste Verteidigungslinie hin.

Roveon fühlte, wie er sich anspannte. Sein Platz wäre da vorne gewesen. Von dort aus hätte er Feuer und Verderben in die Reihe der Feinde gebracht. Er wollte nicht sterben – und vor allem wollte er nicht den Gegnern in die Hände fallen. Zu viele Schiffe und zu viele Männer hatte er schon verbrannt. Sieger waren niemals erbaut, wenn sie ihren Erfolg nur hohen Verlusten zu verdanken hatten. Und sie neigten dazu, sich für diese bitter zu rächen.

Hitze stieg in Roveon auf, als seine Feuergabe sich ihm aufdrängte, danach schrie, auf die nahenden Schiffe geworfen zu werden. Aber Thalis’ letzte, anmaßende Order schien einem Moment des klaren Denkens entsprungen zu sein. Roveon konnte den Befehl gutheißen, und er wusste, wie viel Kraft er in den Graben zwischen die beiden Mauern werfen konnte, wenn er sich jetzt schonte. Je mehr Schlagkraft ihm dann zur Verfügung stand desto besser. Die Vorbereitungen des Tribuns würden ihr Übriges tun, um der Stadtbevölkerung die Flucht zu ermöglichen.

Erreichte Roveon erst auf die Zinnen der Oberen Festung, konnte er für einen Brand sorgen, den die Welt noch nicht gesehen hatte. Er würde dann ohne Rücksicht auf Verluste die ganze Stadt einäschern können – und in ihr, auf ihren Treppen und steilen Straßen die ganze Mannschaft der feindlichen Flotte. Dann durfte er seine Gabe fliegen lassen, und er freute sich schon darauf.

Er spürte, wie die Bogenschützen ein wenig von ihm abrückten, und hätte beinahe laut gelacht. Da tat er seit Tagen nichts anderes, als ihre kümmerlichen Bemühungen effektiv zu unterstützen und sie alle zu übertreffen, und die Tölpel fürchteten ihn. Nun, sie hatten wohl recht damit. Denn ihm war es egal, auf wen er Flammen jagte. Nur seine Treue zum Kaiser hielt ihn davon ab, jeden im Umkreis einer halben Meile in Asche zu verwandeln.

Mit einem Mal wurde ihm kalt vor Wut. Der Kaiser kam nicht. Er ließ die Stadt fallen. Ließ er auch seinen Magier im Stich? Wenn er das wagte …

Roveon kämpfte die glühend heiß aufsteigende Gabe hinab und starrte durch die Augen eines Bogenschützen zur äußeren Verteidigungslinie. Dort geriet alles in Bewegung. Die Angreifer hatten den Strand erreicht. Wie sehr juckte es Roveon, in die dicht an dicht auf dem Sand liegenden Schiffe nur einen einzigen Feuerball zu senden! Über Thalis’ Kopf hinweg einen Flammenstrahl fegen zu lassen, der dem Tribun bewies, dass niemand Roveon von Kerrims Hald Befehle erteilte.

Er suchte sich eine andere Sicht. Die Verteidiger standen eng gedrängt, da war es selbst für ihn nicht leicht, sich gezielt einen Träger auszusuchen. Aber es war auch egal. Jeder der Männer dort drüben hatte jetzt nur Augen für die Angreifer.

Die Schwachköpfe kamen mit Sturmleitern über den Strand gerannt. Jetzt könnte Thalis da drüben Bogenschützen gebrauchen, Roveon wusste es. Wie hatte der Kerl nur so hirnverbrannt sein können?

Es erfreute ihn dann aber auch nicht, dass die Krieger auf der Wehranlage für den ersten Ansturm gewappnet waren. Steine flogen körbeweise auf die Angreifer hinab, heißes Öl wurde auf sie ergossen, und schreiende Seeräuber stürzten die Leitern rückwärts hinab und rissen ihre Kameraden mit sich in die Tiefe.

Neben sich hörte Roveon Badon Befehle erteilen, und die Kriegsmaschinen schleuderten weitere Steine und Krüge mit Öl über die Köpfe der Soldaten auf der ersten Mauer hinweg in die Reihen der Angreifer. Die Fernkämpfer auf dem Grund der Klippenstadt arbeiteten blind, aber das reichte vollkommen. Sie kannten die Reichweite ihrer Waffen genau.

Roveon konnte die Vernichtung sehen, die sie anrichteten. Und da er die Augen jener ersten Verteidigungslinie nutzte, erkannte er auch, welche der Schleudern falsch ausgerichtet war, und konnte Badon eine Anweisung zurufen, bevor noch einer der Krieger vorne dazu die Möglichkeit hatte.

Aber alle Bemühungen reichten nicht. Die ersten Angreifer gelangten auf den Wehrgang. Es waren einfach zu viele, und sie warfen sich vorwärts, stiegen über die Körper der Erschlagenen und auch der Verwundeten, ohne sich um deren Geschrei zu kümmern. Einer der Verteidiger warf einen brennenden Kienspan in die wogende Menschenmasse, und dank des zuvor geschleuderten Öls brannten die Angreifer, verwandelten sich in lebende Fackeln. Trotzdem rückten weitere Seeräuber nach, und die Flammen wurden unter anscheinend Tausenden Füßen erstickt.

Roveon war einmal Zeuge einer Springflut geworden, und genau daran erinnerten die Angreifer ihn nun. Sie schwappten wie eine Welle über das Bollwerk, und ihre Zahl erstickte die Verteidiger und warf sie zu Boden.

Bis auf Thalis – natürlich. Wider Willen fühlte Roveon Stolz auf den Hünen, der seine Position hielt und Gegner um Gegner erschlug. Das Schwert zog blutige Kreise. Entseelte Angreifer und vor allem Körperteile prasselten rund um den Tribun auf den gemauerten Wehrgang.

Das Tier war entfesselt, anders konnte Roveon es nicht nennen. Das war der Grund, warum Thalis Tribun war. Er war furchterregender als die Kriegsmaschinen – und effektiver. Er schien nicht zu ermüden, und seine immense Körpergröße und Kraft verliehen ihm die Unaufhaltsamkeit eines Gottesgerichts.

Roveon verließ den Kopf des Bogenschützen, suchte sich Augen auf der ersten Verteidigungsmauer, und ständig musste er eine neue Sicht suchen, denn Verteidiger wie Angreifer verfügten über keine hohe Lebenserwartung.

Wenn er in das Augenlicht eines Angreifers gelangen konnte, der sich ausgerechnet vor Thalis in den Kampf warf, fluchte Roveon, denn es ging zu schnell. Mehr als das Schwert und Thalis’ gebleckte weiße Zähne sah Roveon selten, bevor der Tribun einen weiteren Erfolg erzielte.

Aber diese kurzen Augenblicke zeigten, dass der Tribun bereits am Ende war. Er war schweißnass, der gewaltige Brustkorb unter der Rüstung hob und senkte sich zu schnell. Und Thalis, dessen war Roveon sich sicher, wusste, dass er das Unvermeidliche nur ein wenig hinauszögern konnte.

Hastig zog Roveon sich zurück, suchte Badon und dessen Sicht und bereitete sich darauf vor, Feuer in den Graben zwischen den Mauern zu werfen.

Badons Blick hing wie gebannt an Thalis, der unter den Gegnern wütete wie eine fleischgewordene Kampfmaschine, die sich selbst nicht schonte, die nur das Ziel kannte, so viele Gegner wie möglich mit sich in den Abgrund zu reißen.

Auf der ersten Wehr stand kaum noch ein Verteidiger. Nur noch der Tribun ragte auf, umringt von Feinden.

Roveon atmete tief durch, hielt die Hände vor seine Brust, Handflächen nach oben. Er fühlte die Glut der Feuergabe sich in seinem Bauch sammeln, seine Lungen füllen. Langsam quoll die Hitze in seine hohlen Hände. Roveon schloss die Augen, atmete langsam und entspannt, bis er die Flammen an seinen Fingerspitzen spürte.

Er öffnete die Augen wieder, griff erneut nach Badon und sah durch diesen zur ersten Mauer. Noch stand Thalis. Es war kaum zu glauben, aber der Kerl kämpfte immer noch, mähte Gegner nieder und watete inzwischen schon durch Blut.

»Götter«, murmelte Badon leise.

Roveon schnaubte verächtlich. Was hatten Götter damit zu tun, wenn ein Mann um sein Leben kämpfte? »Tribun«, sagte er leise, und es war ein widerwillig anerkennender Abschiedssalut. Roveon warf das Feuer, das einsatzbereit in seinen Händen brannte, in den Graben, zielte auf Öltöpfe, auf Lumpen und Stroh. Er formte nur kleine Feuerkugeln, die er gezielt abwerfen konnte. Mehr war nicht nötig, den Rest erledigten die im Zwischenraum abgeworfenen Materialien. Roveon befand sich zu sehr viel mehr in der Lage, und das hatte er in den letzten Tagen ausreichend bewiesen. Doch hier und jetzt sparte er Kraft. Für die Vernichtung, die er von der Wehr der Oberen Festung werfen würde.

Alleine der Gedanke an riesige, brennende Gaswolken ließ ihn nach Atem ringen. Das Feuer berauschte ihn, strömte aus selbst ihm unbekannten Quellen kraftvoll nach, erfüllte ihn mit Hitze, die köstlich und erregend schmeckte.

Flammen brandeten zwischen den Mauern auf, fetter Rauch stieg zum Himmel. Die Steine des ersten Bollwerks knackten und knirschten unter dem Feuersturm. Jetzt brannten die Angreifer wieder, und Roveons Feuer war so viel mehr als nur eine Fackel in einer Öllache. Da vorne konnte niemand mehr atmen. Es prasselte, Steine zersplitterten, Qualm wallte auf, Glutnester bildeten sich innerhalb eines Atemzuges, und Sand verflüssigte sich zu tückischen Glasseen, aus denen Blasen aufstiegen.

Noch immer warf Roveon Feuer. Für einen Moment sah er Thalis’ Gesicht, als der Tribun sich halb herumdrehte, in der Wendung zwei Gegner zu Boden sandte.

Der Abstand war zu groß, als dass Roveon den Ausdruck in den schlangengrünen Augen hätte wirklich deuten können. Und dann war Thalis verschwunden unter dem Ansturm der Angreifer, die ihn alleine durch ihre Überzahl zu Boden rangen.

Badon schrie auf, die Bogenschützen sandten einen letzten Pfeilschauer über die brennende Kluft. Vielleicht hofften sie, ihrem Tribun einen letzten Dienst zu erweisen und ihn zu töten, damit er nicht lebendig jenen in die Hände fiel, die durch ihn so erschreckend hohe Verluste erlitten hatten.

Roveon schleuderte einen letzten Feuerball auf das Menschenknäuel, wo eben noch Thalis wie ein Schlächter gewütet hatte. Dann warf er sich herum, folgte den fliehenden Bogenschützen, die die Leitern hinabsprangen und auf die Stadt zuhielten.

Der Rückzug wirkte hektisch. Es war eine wilde Flucht, und Roveon kämpfte darum, eine klare Sicht zu behalten, damit er seinen Weg finden konnte. Was mit jedem Schritt schwerer wurde, denn naturgemäß war Roveon etwas langsamer als die fliehenden Soldaten. Er war blind und kein gestählter Krieger. Er konnte nicht bestimmen, wohin sein Blick fiel, worauf der Träger seines Augenlichts achtete, während der Soldat einfach rannte und sein Heil in der Flucht suchte.

Roveon kam unversehrt die Treppen zum gepflasterten Kasernenhof hinab, tastete sich an der Innenseite der neuen Wehranlage entlang, suchte nach einem Speer, einem Stab, nach irgendetwas, das er nutzen konnte, um seinen Weg zu ertasten.

Er fluchte, als auch der letzte Soldat, dessen Augenlicht er genutzt hatte, aus seiner Reichweite entschwand. Roveon stand in Dunkelheit, und hinter sich hörte er die Schreie der Seeräuber. Jetzt landete ihre gesamte Flotte an, und selbst zwei Wehrmauern und das Feuer zwischen ihnen konnten die Angreifer nicht allzu lange aufhalten, da nun kein einziger Verteidiger mehr stand.

»Außer mir, verdammt!«, fluchte Roveon, und endlich ertastete er den hölzernen Schaft eines Speeres. Er riss die Waffe an sich. Er musste sich beeilen, denn er wusste, dass ihn in den Händen der Feinde ein schreckliches Schicksal erwartete. Aber wenn er jetzt losrannte und den Weg in die schützenden Kasernen verfehlte, war er mehr als nur leichte Beute.

Da er gelernt hatte, die Augen anderer zu nutzen, war ihm seine Blindheit stets als erträglich erschienen. Ja, er genoss es sogar, wenn die Leute ihn anglotzten, wie er sich gerade trotz dieser Blindheit vollkommen sicher bewegte, solange er sich im Kreise Verbündeter befand. Keiner von denen schien zu ahnen, auf welche Art Roveon sich wie ein Sehender orientieren konnte.

Aber das war jetzt vorbei. Und er wollte ganz bestimmt nicht warten, bis die Augen seiner Gegner in Reichweite gelangten. Er wollte sich nicht selbst zusehen, wie er vor den Feinden davonrannte, ohne auch nur den Schimmer einer Erfolgsaussicht zu besitzen.

Er verließ die Mauer, gab den Kontakt zu seinem einzigen Orientierungspunkt auf und eilte so schnell wie möglich über den Kasernenhof, den Speer vor sich haltend, die Spitze zum Boden geneigt, damit er ein Hindernis bemerken konnte, bevor er darüber stürzte.

Atemlos vor Anspannung tastete Roveon sich durch Dunkelheit und fluchte jedes Mal, wenn etwas ihm den Weg versperrte: Ausrüstungsgegenstände, Feuerstellen, einmal eine Kriegsmaschine. Er verlor bei jedem Hindernis wertvolle Zeit. Das Schreien hinter ihm schwoll zu Triumphgeheul an. Götter, lebte Thalis noch? Hatten sie ihn in die Hände bekommen?

Egal, was für ein Emporkömmling und Metzger der Tribun war – das hatte niemand verdient. Tja, schon ungünstig, alle Insignien seines Amtes an der Rüstung tragen zu müssen, den dunkelblauen Umhang des Befehlshabers, das Siegel des Kaisers. Wenn die Seeräuber den Kerl wirklich lebend hatten fangen können, hatte Thalis ein Problem, um es dezent zu umschreiben.

Roveon kämpfte sich weiter über den Kasernenhof und hätte vor ohnmächtiger Wut beinahe aufgeschrien, als der Speer ein neuerliches Hindernis berührte. Sein Mitleid mit Thalis war echt, hielt sich aber in Grenzen und reichte nicht aus, sich zu wünschen, neben dem Tribun auf ein Foltergestell geschnallt zu werden. Sie würden Thalis lange leben lassen, weil sie sich Antworten von ihm erhofften. Und irgendwann würde selbst der Hüne unter der Folter zerbrechen und alles ausplaudern. Nein, Roveon wollte dieses Schicksal nicht teilen. Er wusste, dass er Kraft aus seiner Magie schöpfen konnte, aber trotzdem war ihm klar, dass er nicht halb so lange wie Thalis durchhalten würde. Auf gar keinen Fall!

Er tastete sich mit dem Speer dichter an das Hindernis, suchte nach einem Weg um diese Blockade und brauchte entsetzlich lange, bis er endlich verstand, dass das kein Hindernis, sondern die ersehnte Kaserne war!

Tür! Die ganze Front der Kaserne war doch mit Türen gespickt. Er tastete sich hektisch die Außenmauer entlang, während hinter ihm Seeräuber damit beschäftigt sein mussten, einen feuerfreien Weg durch den Landstreifen zwischen den Wehren zu schaffen. Roveon wusste, wie lange und heiß seine Magie brannte, aber ihm war ebenso bekannt, dass sie gegen viel Wasser und nassen Sand nicht lange bestehen konnte. Und beides gab es am Strand im Überfluss. Die Zeit lief ihm davon. Kalter Schweiß rann unter der einfachen Lederrüstung an ihm hinab.

Die verdammten Soldaten, die nur an ihr eigenes Leben gedacht hatten! Sie hatten ihn im Stich gelassen. Dabei waren Thalis’ Befehle doch eindeutig gewesen, oder? Der Magier hatte die Obere Festung zu erreichen. Thalis hatte begriffen, wie wichtig Roveons Magie war, um die Angreifer in der Klippenstadt festzunageln und nicht ins schutzlose Hinterland zu lassen. Aber die Feiglinge waren gerannt und hatten Roveon sich selbst und den Seeräubern überlassen. Schweine! Dafür würde einer von ihnen ganz langsam verbrennen – als Mahnung für den Rest, dass es ganz und gar nicht weise war, sich den Zorn des Magiers zuzuziehen.

Er keuchte vor Erleichterung auf, als seine Fingerspitzen endlich eine Holztür berührten. Ganz kurz beschleunigte sein Herzschlag sich schmerzhaft: Was, wenn die Fliehenden diese Pforte hinter sich verriegelt hatten? Was, wenn er an einer verschlossenen Tür rüttelte, während hinter ihm Unmengen von Seeräubern die zweite Mauer überwanden?

Er zerrte an der Klinke und hätte beinahe aufgeschrien vor Wut und Entsetzen, aber dann rührte die Tür sich doch, und Roveon warf sich in den Raum dahinter, schlug die Pforte zu, lehnte sich für einen Moment gegen das Holz und überlegte fieberhaft, während er nach Atem rang und seinen wilden Herzschlag zu beruhigen versuchte.

Seine Verfolger waren ihm noch nicht so nahe gewesen, dass er sich Augenlicht hätte borgen können. Aber sie konnten ihn sehr wohl trotzdem gesehen haben. Diese Tür musste verschlossen bleiben, damit er trotz der Blindheit zumindest die Möglichkeit hatte, seinen Vorsprung zu halten.

Er ertastete das Schloss und ließ behutsam Hitze in seine Fingerspitzen wandern. Wenn er jetzt die Tür einäscherte, weil er vor Panik verging, hatte er nichts gewonnen. Die Feuergabe reagierte auf Furcht, indem sie sich massiv verstärkte, um ihren ängstlichen Träger effektiv zu beschützen. Dann fraß sie noch mehr Kraft, bis Roveon vor Erschöpfung erbrechen musste und nur noch auf Händen und Knien fliehen konnte.

Für Soldaten und den dämlichen Tribun sah es immer wie ein Kinderspiel aus, wenn Roveon mit Feuergarben um sich warf. Aber was keiner von denen verstand: Es war ebenso Schwerstarbeit, wie einen Gegner mit dem Schwert zu erschlagen. Oder schwerer, Roveon wusste es nicht.

Ganz behutsam ließ er die Magie fließen und zog die Hand zurück, als das Metall sich unter seinen Fingerspitzen verformte. Das hielt die Seeräuber hoffentlich auf.

Er fuhr hastig herum und tastete sich an der Wand entlang. Verdammt, er brauchte Augen! Eine Katze oder ein Hund würde genügen. Er war so einfach zu langsam! Im Gegensatz zu einem nicht magiebegabten Blinden hatte Roveon niemals lernen müssen, sich wirklich blind durch die Welt zu bewegen. Er borgte sich eines anderen Menschen Augenlicht und konnte dann erblicken, was dieser andere sah. Er hatte rasch gelernt, aus der fremden Sicht seine tatsächliche Position und Fortbewegung zu erschließen. Es war peinlich, in ein Möbelstück zu rennen, wenn er lässig durch einen Raum stolzierte – und alle sahen es.

Jeder wusste, dass er blind war, und jeder, dessen war er sich sicher, während er sich schwitzend und angestrengt die Wand entlang tastete, war beeindruckt, wie sicher er sich trotzdem bewegen konnte. Nur wenn er kein Publikum hatte, war er wirklich blind, und er hasste dieses dumme, unsichere Umhertappen, die Hilflosigkeit und jetzt in diesem Moment besonders die erzwungene Langsamkeit.

Er stieß sich das Schienbein an einer Truhe und fluchte hemmungslos – und erstarrte. Er hörte jemanden schreien – hinter der Tür, die er versiegelt hatte. Da hatte sich wohl ein Seeräuber die Hand am glühenden Metall verbrannt. Und gleich darauf vernahm er das Hämmern von Waffen auf Holz. Das Schloss war geschmolzen und bewegte sich nicht, aber die Holztür würde Äxten und Kriegshämmern nicht lange Widerstand leisten können. Und jeder von den Kerlen konnte sich nach der eindrucksvollen Demonstration von Feuermagie ausrechnen, dass der Magier das Schloss versiegelt hatte.

Roveon griff suchend um sich, fand Augenlicht und sah die Tür von außen, als eine Axt in das Holz krachte. Er keuchte erschrocken auf und zwang sich, von der Wand abzulassen, zumindest den Versuch zu machen, den Raum im Laufschritt zu durchqueren, wobei er mit dem Speer halbmondförmige Bewegungen vor sich ausführte, um Hindernisse rechtzeitig zu auszumachen. Bevor er über liegengelassenes Gerät stürzte und sich den Kopf anschlug.

Je weiter er sich von der splitternden Tür entfernte, desto leiser wurden die Geräusche, verloren aber nichts von ihrer Dringlichkeit, und als die Sicht erlosch, wusste Roveon zumindest, welche Entfernung genau zwischen ihm und seinen Verfolgern lag. Lächerlich wenig, wenn eine Horde Sehender einem Blinden folgte.

Er konnte ihnen nicht weglaufen. Er brauchte ein Versteck! Und wie sollte er blind einen Schlupfwinkel finden, in dem er nicht sofort entdeckt wurde?

Er hastete weiter, lauschte auf das Pochen des Speeres auf dem Boden, suchte einen Seitenweg aus dem Raum, eine Treppe, sodass er irgendwie in eine andere Etage, einen Keller gelangen konnte. Stattdessen rannte er gegen eine Wand, fluchte und versuchte, schneller zu werden, obwohl seine Beine bereits schmerzten. Er war Magier und kein Krieger, verdammt! Jeder Knecht konnte das länger durchhalten als er.

Endlich pochte der Speer nicht länger gegen die Wand. Da befand sich eine Lücke im Mauerwerk, und Roveon hetzte hinein, tastete um sich und fand heraus, dass er eine Wendeltreppe gefunden hatte. Er eilte die Stufen hinauf, lauschte auf Geräusche hinter sich, suchte beständig ein Augenlicht und war ein wenig erleichtert, keines zu finden. Das bedeutete immerhin, dass er noch einen Vorsprung besaß.

Schwer atmend kam er eine Etage höher an, erwog für einen Moment, noch weiter zu steigen, als der Geruch von Feuer, verbranntem Fleisch und Blut ihn traf. Er blieb wie angenagelt stehen. War er mitten in eine Folterkammer geraten? Waren die Angreifer vor ihm schon hier gewesen und hatten unter den Flüchtlingen gewütet?

Augenlicht flackerte auf, als Roveon nahe genug an einen Sehenden herangekommen war. Er sah sich, wie er schweißnass und keuchend im Eingang zum Treppenturm stand, den Speer nutzlos an der Seite, die milchig überzogenen Augen geweitet und starr – vor Angst, Roveon, sei doch ehrlich.

»Herr!« Eine Frauenstimme, hell und vor Furcht zittrig.

Roveon stieß sich betont lässig vom Türpfosten ab. Jetzt sah er, und er konnte sich vorwärts bewegen. Eine Etage tiefer johlten die Seeräuber, die es nun geschafft hatten, die Tür einzuschlagen.

Er hörte das entsetzte, tiefe Einatmen der Frau, und dann rannte sie auf ihn zu, warf sich an seine Brust und hielt sich an ihm fest. Sie bebte am ganzen Körper, aber Roveon wusste, dass sie keine Zeit für Mädchentränen und einen möglichen Nervenzusammenbruch hatten.

Hart gruben sich seine Finger in ihre Oberarme, als er sie packte, halb von sich stieß, sie immer noch festhielt und versucht war, sie herzhaft zu schütteln.

»Sie sind im Gebäude«, stieß das Mädchen hervor und starrte dabei auf Roveons Brust, wagte nicht, den Blick zu seinem Gesicht zu heben. Sie musste wissen, wer er war. Er war berühmt in dieser Stadt, und seine Augen waren unverkennbar.

»Richtig. Und wir sollten hier verschwinden. Komm.«

»Ist der Tribun gefallen? Er muss gefallen sein, sonst wären sie nicht hier«, jammerte die Magd, denn inzwischen hatte Roveon verstanden, dass er sich in einer Küche befinden musste. Und das Mädchen war eine einfache Dienerin, für Kriege nicht geschaffen und stand am Rande eines hysterischen Anfalls.

»Bete, dass er tot ist, Küchenschabe«, stieß Roveon hervor und schüttelte sie nun doch.

Sie sah zu ihm auf, und er konnte sich nur durch ihren Tränenschleier hinweg sehen. Verdammt, endlich Augenlicht, und es gehörte diesem heulenden Elend!

»Ich wollte mich verstecken, Herr.«

»Sehr gut! Wo?« Sein Geduldsfaden – nie sehr lang – stand kurz vor dem Zerreißpunkt.

»Hier.« Das Schütteln schien eine gewisse Wirkung auf sie gehabt zu haben – oder sie hatte Roveon vielleicht jetzt erst wirklich erkannt, was seiner Eigenliebe einen kleinen Stich versetzte. Auf jeden Fall schniefte sie leise und zog die Nase hoch, nahm ihn behutsam am Ärmel und zog ihn mit sich tiefer in die Schatten der Küche.

Jetzt ging sie vor, und er konnte ihr Augenlicht voll nutzen, die Spültische, Arbeitsplatten und riesigen Töpfe erkennen. Über ihnen hingen Kräuterbündel, die vom Wasserdampf und Bratendunst aufgeweicht waren und zum Teil sogar schimmelten. Ein halbes Schwein lag auf einem Arbeitsblock und schielte mit einem milchigen Auge auf die beiden Flüchtlinge. Das Fleisch weiß und ausgeblutet, und Roveon widerstand nur mühsam der Versuchung, das Mädchen anzutreiben, weil er nicht wollte, dass er so endete – halb durchgesägt, ausgeweidet und mausetot.

»Hier im Mistschacht wollte ich mich verstecken.« Sie wies auf den Abfallschacht. Mittels dessen wurden sämtliche in der Küche nicht mehr verwertbaren Reste durch einen in die Mauer eingearbeiteten Falltunnel entsorgt. Alles landete direkt auf dem angrenzenden Misthaufen – zusammen mit viel weiterem Dreck aus höher gelegenen Etagen, begriff Roveon. Dem Gestank nach zu urteilen, vermutete er, dass auch Aborte an diesen Schacht angrenzten. Sein Magen krampfte sich zusammen, und bitterer Gallegeschmack sammelte sich unter seiner Zunge.

Für einen entsetzlichen Augenblick glaubte er tatsächlich, dort niemals hineinklettern zu können. Sein Verstand verkündete ihm lauthals, dass er dann wie das Schwein enden würde. Sie würden ihn neben Thalis – falls dieser überlebt hatte – auf das Foltergestell schnallen. Und er wusste genau, dass er vor dem Tribun zerbrechen würde. Garantiert würde Thalis es selbst dann noch fertigbringen, ihn verächtlich anzusehen. Das dumme Tier, das Sturheit mit Tapferkeit verwechselte!

Roveon hielt die Luft an, kniete vor dem Schacht nieder, wobei er das Mädchen am Arm mit sich zu Boden zog, damit er durch ihre Augen sehen konnte.

»Wir werden direkt auf den Misthaufen stürzen«, sagte er, wobei der Gestank ihn in der Kehle kitzelte.

»Nein, Herr. Ich war schon einmal da drin, als es verstopft war. Es gibt einen Absatz, auf den wir uns stellen können. Niemand sieht uns da. Bitte, Herr, ich habe solche Angst!« Sie klammerte sich an ihm fest und starrte ihn wieder durch einen Tränenschleier an.

Ihm drohte die Folter, wenn die Angreifer ihn erwischten. Marter und irgendwann der Tod, sobald er ihnen alles erzählt hatte. Das Mädchen hier würde länger leben als er, nachdem sie in die Hände der Gegner gefallen war. Er hatte keine Ahnung, wie sie aussah, aber sie trug einen Rock, ihr Fleisch fühlte sich weich an unter seinem stählernen Griff. Sie würde für den Rest ihres Lebens eine Hure sein.

Er gab sich einen Ruck, nickte und stieg mit den Füßen zuerst in den widerwärtigen Schacht.

Das Mädchen schlang einen Arm um seinen Nacken, zog sich mit einem kraftvollen Ruck an ihn, und gemeinsam rutschten sie in stinkende Dunkelheit. Während schimmeliger Schleim ihre Abwärtsbewegung mit einem leisen, schmatzenden Geräusch begleitete, konnte Roveon hastige Schritte auf der Wendeltreppe hören. Rüstungen klirrten, Schilde schlugen gegen die Wände des Treppenturms. Seine Verfolger erreichten in dem Moment die Küche, in dem der Morast sich plötzlich in ein weiches, zähes Kissen verwandelte, in dem Magier und Küchenmagd bis zur Hüfte einsanken.

Das Mädchen warf den Kopf in den Nacken, sah nach oben zum Einlass des Tunnels von der Küche. Weit über ihnen schimmerte Licht, reichte nicht bis zu ihnen in den stinkenden Dreck herein. Sie atmete schaudernd und ganz leise auf, bevor sie den Kopf an Roveons Brust drückte, sich an ihm festklammerte und sich so klein wie möglich machte, ohne vollends im Schleim zu versinken.

Aber es ging weiter abwärts, langsam, als wären sie in Treibsand oder Morast geraten. Die Vorstellung, durch den Dreck tauchen zu müssen, bis sie den Absatz erreichten, von dem das Mädchen gesprochen hatte, war wirklich fast zu viel für Roveons Eingeweide. Er roch, was ihn umgab, und er würgte trocken. Das Kopftuch der Magd rieb bei jedem ihrer Atemzüge gegen seine Kehle, und trotz des fauligen Gestanks des Abwassers nahm er den zarten Duft des Mädchens wahr. Er legte einen Arm um die Kleine, zog sie fest an sich, ließ den Kopf nach vorne sinken, auf das schmutzige Kopftuch, atmete flach und konzentrierte sich auf den Duft des warmen Körpers an seiner Brust.

Sie schloss die Augen. Viel sah er ohnehin nicht mehr, da sie sich schutzsuchend an ihn presste, aber jetzt versank seine Welt wieder in totaler Finsternis. Die Alternative war, nach einem anderen Augenlicht zu greifen, aber er wagte es nicht. Ohne sicher sagen zu können, warum, scheute er davor zurück, einen der Krieger in der Küche zu benutzen.

Vielleicht, dachte Roveon, während er das Mädchen festhielt, weil ich dann sehen würde, wie sie sich dem Versteck nähern?

Er roch Bratenfett, grobe Seife, einen Hauch von Blüten, als würde die Magd Duftkissen mit getrockneten Blumen zwischen die Lagen Wäsche in der Kleidertruhe legen. Sie war sein Augenlicht, das einzige Paar Augen in seiner Umgebung, das nicht einem feindlichen Krieger gehörte. Wenn sie jemals wieder aus diesem Dreck herauskommen würden, musste er das Mädchen bei sich behalten. Sie war eine Dienerin und gewohnt, Befehlen zu gehorchen. Mit ihr an seiner Seite konnte er tatsächlich die Obere Festung erreichen, wo die Leute des Tribuns nur auf ihre gerechte Strafe warteten. Sie hatten ihn im Stich gelassen.

Entsetzt bemerkte er, dass sich die Magie auf diese zornigen Gedanken hin wieder in seiner Magengrube sammelte. Alles, nur das nicht! Nicht während er bis zum Bauchnabel in stinkender Jauche und pestilenten Abgasen steckte! Er wusste, dass gärender Kot explodieren konnte, und das war nun wirklich eine Vorstellung, die ihn das Würgen kaum noch beherrschen ließ.

Über ihnen wurde die Küche durchsucht und geplündert. Roveon hörte Geschirr auf dem Boden zerspringen, das triumphierende Johlen der Kerle. Bestimmt schleppten sie alle erreichbaren Lebensmittel davon. Besser das Schwein als einen Magier, befand er. Er atmete konzentriert den Duft des Mädchens ein, hielt sich an der Kleinen fest und kämpfte mit reiner Willenskraft die Magie nieder. Er scheuchte sie aus seinen Eingeweiden und trieb sie an den dunklen Ort zurück, aus dem er sie jederzeit abrufen konnte. Aber nicht hier und nicht jetzt, nicht während er in faulenden menschlichen Ausscheidungen steckte!

Er fühlte, dass das Mädchen zitterte und sich – ganz ohne sein Zutun – dichter an ihn drängte und an ihm festhielt. Ihr Körper war warm, fest. Ihr Busen drückte weich gegen seine Brust, und nur der Lederpanzer befand sich zwischen ihnen. Roveon streichelte beruhigend die Schulter der Magd, und das Beben nahm sofort ab. Erstaunlich, fand er, normalerweise wirkte er eher als die Ursache für zitternde Furcht denn als Beruhigung. Aber die Magd und er standen auf der gleichen Seite. Ein Zweckbündnis für den Augenblick, aber vielleicht ergab sich später die Möglichkeit, die Kleine in einem ungestörten Moment zu nehmen. Roveon war einem erfrischenden Zeitvertreib noch nie abgeneigt gewesen. Zu gerne bewies er einem furchtsamen Mädchen, dass er durchaus zärtlich sein konnte – wenngleich er sich am nächsten Morgen selten des Namens entsinnen konnte.

Der Lärm über ihnen ebbte langsam ab, und Roveon verstand, warum er in einer solchen Lage an weiche Haut unter seinen tastenden Fingerkuppen gedacht hatte: Alles war besser, als vor Angst vor den Gegnern zu vergehen und gleichzeitig ein vollkommenes Versinken in Scheiße zu fürchten.

Das Mädchen hob ganz langsam wieder den Kopf, hielt sich aber immer noch an Roveon fest und öffnete vorsichtig die Augen. Die Sicht kehrte auch für Roveon zurück. Verdammt, sie steckten tiefer in dem stinkenden Schleim, als er gedacht hatte. Während sie sich aneinander festgehalten und Entdeckung befürchtet hatten, waren sie weiter eingesunken.

 

Die Klippen ragten weit auf. An ihrem Fuß lag der Strand, wo die Verteidigungsmauern und das Kasernengebäude sich befanden. In das graue Gestein war in Stufen das Fundament der Stadt geschlagen worden. Auf dem Gipfel der Klippe begann das Weideland. Eine zweite Festung schützte das Hinterland für den Fall, dass die Stadt tatsächlich nicht gehalten werden konnte. Dorthin strömten die überlebenden Soldaten, humpelten jene aus dem Lazarett, die noch in der Lage waren, sich irgendwie alleine fortzubewegen.

Viele Verletzte hatten sich an den Aufstieg gemacht und aufgeben müssen. Sie lagen als mitleiderregende dunkle Flecken auf Treppen und Straßen. Die wenigsten von ihnen würden die erste Nacht nach dem Fall der Verteidigungsanlagen überleben.

Immer noch hetzten Flüchtlinge durch die Stadt, schleppten ihr Hab und Gut, trieben Tiere und Sklaven vor sich her. Sie alle wollten raus aus der Stadt, die nach dem Fall des Tribuns schutzlos den Angreifern preisgegeben war.

Amares stand auf der Dachterrasse des alten Palastes und starrte auf das Meer, die feindliche Flotte, die brennenden Verteidigungsanlagen.