Tod du Fröhliche - Martin Cordemann - E-Book

Tod du Fröhliche E-Book

Martin Cordemann

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Beschreibung

Polizist Harry Rhode muss sich mit seinem ersten Fall auseinandersetzen. Darüber hinaus gerät er mit einem alten Freund aneinander, muss einen Todesfall aus dem Golfplatz untersuchen und hat Schwierigkeiten, in einem Mord die Mordwaffe zu finden… viele Fälle, viele Lösungen. Wie immer löst er seine Fälle eher mit Witz als mit Spannung. Harry Rhode ist eine Mischung als Philip Marlowe und Columbo – der entwaffnende Humor eines Marlowe und der entwaffnete Ermittler eines Columbo. Es gibt weniger Frauen und weniger auf die Fresse als bei Marlowe, aber ein guter Detektiv zeichnet sich ja nicht nur dadurch aus, was er einstecken, sondern auch, was er auflösen kann. Mal ist es ziemlich klar, wer der Mörder ist und wir begleiten den Detektiv dabei, wie er ihn überführen muss, mal kann auch der Leser mit raten, welcher der Verdächtigen nun für die Tat verantwortlich ist. "Harry Rhode" sind altmodische Detektivgeschichten mit Humor.

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Seitenzahl: 225

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Martin Cordemann

Tod du Fröhliche

Der zweite Harry Rhode Krimi

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Tod nach dem Urlaub

Rhodedendron

Nur eine Frage der Zeit

Perfektes Timing

Entführung in bester Gesellschaft

Mord unterm Weihnachtsbaum

Auf Eis

Impressum neobooks

Vorwort

Nach „Tod unterm Leuchtturm“ ist dies nun der zweite „Harry Rhode“-Band, der als E-Book vorliegt. Die Figur des Harry Rhode entstand Anfang 1988 in einer Kurzgeschichte namens „Der Fremde“ und war damals als eine umsichtige, jedes Detail bemerkende Gestalt gedacht, deren höchstes Ziel es war, Polizist zu werden.

Nuuuuun, wie es aussieht, hat sich die Figur seither etwas gewandelt. Eigentlich komplett. Was auch einer der Gründe dafür ist, dass ich „Der Fremde“ und ein paar andere Geschichten, die in der Schulzeit Rhodes angesiedelt waren (weil dies passenderweise zu der Zeit auch gerade meine Schulzeit war) gewisser maßen „aus dem Programm genommen habe“.

Wer sich der von mir kreierten Rhode-Chronologie verpflichtet fühlen möchte… braucht das nicht, weil ich die mit der aktuellen Überarbeitung der Reihe komplett über den Haufen werfe. „Tod unterm Leuchtturm“ war eigentlich der Rhode-Text, den ich als letzten geschrieben habe… und der nun zum ersten der Reihe geworden ist. Insofern… was soll’s?

Abgesehen davon waren dies hier – wie Sie beim Lesen unschwer bemerken werden, eigentlich alles eigene Geschichten. Durch eine kleine Rahmenhandlung, die quasi direkt an den „Tod unterm Leuchtturm“ anschließt, versuche ich dem ganzen den Anschein eines Romans zu geben… oder so was in der Art. Und genau genommen hieß der Band auch eigentlich mal „Rhodedendron“, aber, machen wir uns nichts vor, damit hätte niemand was anfangen können. Deshalb heißt er jetzt also so ähnlich wie das erste Buch, so als Wiedererkennungswert, das ist doch heutzutage auch immer ganz wichtig, nicht wahr? Oder sagen wir, das wäre so gewesen, wenn er „Tod unterm Weihnachtsbaum“ gehießen hätte, aber daraus ist ja nun inzwischen „Tod du Fröhliche“ geworden… na ja!

Der vorliegende Band enthält die Geschichten:

Rhodedenron - 1990/1996

Nur eine Frage der Zeit - 1988/1996

Perfektes Timing - 1990/1996

Entführung in bester Gesellschaft - 1989/1996

Mord unterm Weihnachtsbaum - 1988/1996

Auf Eis - 1991/1996

Sowie eine Rahmenhandlung von 2013… die sich als einfache Einleitung entpuppt.

Und nun: Viel Spaß!

Tod nach dem Urlaub

Es war einer von diesen Tagen. Ach, es war immer einer von diesen Tagen. Diese Tage, an denen man sich…

Schön in die Sonne legen kann?

Das Leben genießen?

Den lieben Gott einen schönen Mann sein lassen? Nein, da hatte ich irgendwas durcheinander geworfen. Den schönen Gott…? Nein!

Ach, war ja auch egal. Arbeit an sich ist ja schon unangenehm, aber wenn für die eigene Arbeit erstmal jemand sterben muss, dann kann einem das den Tag wirklich versauen. Und so ist das dann eben, wenn man in der Mordkommission arbeitet: Damit man was zu tun hat, muss irgendwo erstmal jemand anders dran glauben. Insofern ist das also eigentlich nie ein guter Tag und immer „einer von diesen Tagen“, an denen ich mein Tagwerk verrichten und mich mit irgendeinem Verbrechen auseinandersetzen muss. Und wenn es in meinen Schilderungen ein wenig so klingt, als hätte ich Spaß an der Sache, dann muss ich Ihnen da leider widersprechen. Mord macht mir kein bisschen Spaß, was u.a. mit dem ersten Fall zusammenhängt, mit dem ich mal zu tun hatte.

Wenn es aber nun so klingt, als würde ich mich hier köstlich amüsieren, dann stimmt das irgendwie nicht ganz. Natürlich versuche ich, das Beste draus zu machen. So wie Ärzte. Viele von denen müssen einen sehr eigenen, für Außenstehende oft schwer nachzuvollziehenden Humor entwickeln, um persönlich mit dem klarzukommen, mit dem sie täglich konfrontiert werden. Und so ähnlich geht es mir auch. Man muss versuchen damit umzugehen… und die Leute, die Verbrechen begehen, hinter Gitter zu bringen.

Ach ja, eins sollte ich noch vorweg schicken: Das, wovon ich hier erzähle, hat mit wirklicher Polizeiarbeit natürlich nichts zu tun! Es ist wohl eher so, wie man sich Kriminalfälle in der Literatur vorstellt – und meistens nicht einmal das!

„Sie wollen also doch nicht auf der Insel bleiben?“ hatte mein Chef nach meiner Rückkehr mit breitem Lächeln gefragt. Ganz ehrlich – eigentlich schon. Und nachdem der Fall abgeschlossen war, schien sich das Verbrechen von der Insel zu verabschieden und niemals wieder zu kommen. Ich hätte da also ein ruhiges Leben, ein angenehmes Leben, mit Sonne, Wind und Meeresluft… aber irgendjemand hatte die richtigen Formulare gefunden, sie ausgefüllt, mir einen Rüffel verpasst, weil ich angeblich das bürokratische System der Polizei an den Rand des Abgrunds gebracht hatte, und dann hatte man mich wieder zurück nach Köln gelassen, in mein altes Büro, an meinen alten Arbeitsplatz, zu meinen alten Verbrechen.

Dabei könnte ich jetzt so schön…

„Sie haben Arbeit!“

Da freute ich mich aber. Denn wenn ich Arbeit hatte, war dafür extra jemand gestorben… aber das hatte ich ja schon erzählt. Machte den Beruf irgendwie schon fast ein bisschen pervers, auf jeden Fall deprimierend. Aber so hatte er ja auch angefangen, deprimierend.

Ich seufzte.

Mein erster Fall.

Der lag schon ein bisschen zurück. Lange, bevor man mich auf die Insel geschickt hatte. Damals war noch alles neu für mich gewesen. Und anders.

Mein erster Fall…

Rhodedendron

Der erste Tag in der Abteilung für zivile Ermittlungen verlief relativ ruhig, zumindest mein erster Tag dort verlief ruhig! Ich war also im Polizeidienst gelandet. Durch Zufall mehr oder weniger, ich... war da in so eine Sache verwickelt, als ich noch Student war, und dann hatte man mir ein Angebot gemacht... eine lange Geschichte!

Jetzt jedenfalls hing ich im Vermisstendezernat rum, wahrscheinlich, weil man annahm, dass ich dort am wenigsten Schaden anrichten konnte. Musste wohl damit zusammenhängen, dass man mich stets unterschätzte! Oder schlicht damit, dass man mir einfach nichts zutraute!

Ich erschien zum Dienst in meiner üblichen Aufmachung: unrasiert, ungekämmt, das Hemd mit den hochgekrempelten Ärmeln natürlich über der Hose... Niemand hätte es gewagt, mich in eine Polizeiuniform zu stecken! Schon weil ich dafür streng genommen zu klein war. Und vielleicht ein wenig zu dick. Ein blonder Mann, nur wenig größer als ich, aber freundlich wirkend, war auf mich zugekommen und hatte gefragt: „Was kann ich für Sie tun?“

„Ich suche...“, begann ich.

„Eine Person?“

„Exakt!“ Ich suchte den Abteilungsleiter.

Der Mann deutete auf einen älteren Mann an einem Schreibtisch, der damit beschäftigt zu sein schien, Kreuzworträtsel in seine Schreibmaschine einzugeben. „Der Mann dort, Herr Weiß, ist für die Annahme von vermissten Personen zuständig!“

„Werden denn manchmal welche abgegeben?“

„Bitte?“

„Ich meine, wenn er die vermissten Personen annimmt, dann müssen doch auch welche abgegeben werden... Oder ist das nur so ne ABM-Stelle und keiner hat dem armen Mann gesagt, dass nie jemand vorbeikommen wird, um eine vermisste Person abzugeben?“

„Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz...“

„Eigentlich wollte ich keine vermisste Person abgeben, sondern ich suche den Leiter dieser Abteilung!“

Ich lächelte freundlich durch meinen paar-Tage-Bart.

„Der steht vor Ihnen. Horstmann!“

„Angenehm, mein Name ist Harry Rhode, ich bin...“

„Sie sind Harry Rhode?“ Sein erschrockener, entgeisterte Fassungslosigkeit ausdrückender Blick musterte mich eingehend von oben bis unten. Horstmann schluckte. „Sie sehen so...“

„Wild?“

„...aus! Ich hatte Sie mir... irgendwie anders vorgestellt!“

„Tja, den Fehler begehen viele. Aber: Kein Umtauschrecht, glaube ich!“

„Sieht wohl so aus.“ Er rümpfte die Nase. „Na, dann herzlich willkommen im Vermisstendezernat.“ Er reichte mir die Hand. „Sie haben einen guten Tag erwischt, heute ist nichts los! An manchen Tagen, Karneval zum Beispiel, kommen hier die Leute in Scharen rein und suchen ihre Frauen, Männer, Haustiere und Autos. Die meisten finden sich dann mit einem gehörigen Kater wieder ein...“

„Auch Autos?“

Er überging das.

„...einige nie! Kommen Sie, Rhode, ich führe Sie durch unsere bescheidenen Büroräume.“ Horstmann ging vor mir her, zuerst zu dem Mann, an den er mich zuvor hatte verweisen wollen. „Roland, das hier ist unser neuer Mann, Harry Rhode.“

Roland Weiß sah auf und musste grinsen.

„Angenehm Herr Rhode. Ich sehe, Sie waren schon als verdeckter Ermittler tätig!“

„Nein, ich bin nur schlampig!“

„Daran lässt sich wahrscheinlich nichts ändern, oder?“ fragte Horstmann hoffnungsvoll. Ich schüttelte den Kopf. Resignierend fuhr er fort: „Unsere Abteilung ist recht klein, trotzdem brauchen Sie sich nicht einzubilden, dass Sie ein eigenes Büro bekommen. Sie werden sich hier zusammen mit Roland und all den anderen dieses Büro hier teilen.“ Er ging durch eine Tür in der Seitenwand und wir erreichten einen Vorraum. Eine betagte Sekretärin saß hinter einem betagten Schreibtisch und schlug auf eine betagte Schreibmaschine ein. „Frau Dittmann kennen Sie sicher?“

„Wir haben telefoniert.“

Sie nickte mir zu und tippte dann weiter.

„Und hinter dieser Tür befindet sich dann mein bescheidenes Büro.“ Er hatte nicht untertrieben, bescheiden war durchaus der richtige Ausdruck. Horstmann nahm hinter seinem bescheidenen Schreibtisch Platz, der mit einer Schreibmaschine schon überfüllt gewesen wäre und deutete mir an, mich zu setzen. „Erstmal freue ich mich, Sie bei mir zu haben. Ich glaube, eigentlich sollten Sie zur Mordkommission, weil Sie da irgendwas mit Kronzucker am Laufen hatten...“

„Er war es, der mich überhaupt in den Polizeidienst gebracht hat!“

„Ja, aber... Sie werden verstehen, wir haben hier im Moment einen Mangel an Leuten im Vermisstendezernat, aber ich denke, in ein paar Wochen werden Sie schon bei der Mordkommission landen, da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.

Also gut, kommen wir zu mir. Ich bin ein Mensch, der sich weniger vom ersten Anschein oder vom Äußeren beeindrucken lässt, für mich zählt der Charakter eines Menschen mit seinen Begabungen mehr. Das bedeutet, dass mir Ihr schlampiges Äußeres egal ist, wenn Sie wenigstens gut in Ihrem Job sind. Wenn nicht, bekommen wir wahrscheinlich Probleme miteinander.

Außerdem bin ich ein nervöser Typ, in diesem Büro hier ist es mir zu eng und ich kriege klaustrophobe Anfälle. Also wundern Sie sich nicht, wenn ich ab und an in Ihrem Büro auf und ab gehe, ich will Sie nicht überwachen, ich brauche nur meinen Auslauf!“

Er lächelte.

„Letztendlich zu Ihrer Arbeit: Wir nehmen hier nur die Bestellungen entgegen, sehen uns in unseren Beständen um und entweder haben wir etwas oder wir haben nichts. Ein wichtiger Punkt sind kleine Kinder. Wenn Eltern ankommen und Ihnen sagen, dass eines ihrer Kinder verschwunden ist, oder seit ein paar Tagen nicht mehr nach Hause gekommen, könnte es eventuell ernst werden. Das sage ich Ihnen, aber nicht Sie den Eltern! Die nehmen sowieso schon an, dass es ernst ist, sonst kämen sie nicht zu uns. In dem Fall nehmen Sie die Personalien auf, lassen sich ein aktuelles Photo geben und kommen damit zu mir.“

Er rieb sich die Stirn.

„Glauben Sie bitte nicht, dass es mir Spaß macht, kleine Kinder zu suchen. Wenn die weg sind, brauchen wir meistens entweder das Sitten- oder das Morddezernat – oder beides! Mit etwas Glück tauchen die auch so wieder auf und alle sind heilfroh, ich eingeschlossen, das können Sie mir glauben!

Erstmal kommen Sie aber zu mir und dann leiten wir alles in die Wege, vervielfältigen das Photo, schicken ne Suchmeldung raus und so weiter. Dann heißt es warten. Sollte man das Kind dann nach n paar Tagen in irgendeinem Wäldchen tot auffinden, fahre ich zu den Eltern raus und... naja, das können Sie sich ja denken.

Und dann geht der Fall automatisch an die Mordkommission, die sich wahrscheinlich schon seit der Suchmeldung darauf eingestellt hat, in Aktion zu treten. Ich weiß, das klingt jetzt alles sehr kalt und routinemäßig, aber das ist es nicht! Es ist ein scheiß Job, sage ich Ihnen! Ich hasse es, den Eltern mitteilen zu müssen, dass ihr Kind...“

Er lächelte traurig ein so-ist-nunmal-das-Leben-Lächeln.

„Das ist erstmal das wichtigste, das Sie wissen müssen. Roland wird Ihnen weiterhelfen, wenn Sie Fragen haben. Tja, dann wünsche ich Ihnen einen guten Start hier in unserer Abteilung.“

Er erhob sich und reichte mir die Hand.

In dem merkwürdigen Raum, den man keineswegs reinen Gewissens als „Büro“ bezeichnen konnte, bearbeitete Weiß noch immer seine Schreibmaschine. Ich setzte mich an einen freien Schreibtisch und wartete. Nichts passierte. Weiß hatte sein Kreuzworträtsel gelöst und zog das Blatt aus der Maschine. Er sah zu mir herüber und lächelte. Ich zuckte mit den Schultern und fragte: „Soll ich irgendwas tun?“

„Haben Sie etwas, das Sie tun können?“

„Nein!“

„Dann tun Sie das!“ Er lächelte. „Erfreuen Sie sich doch an diesem schönen ruhigen Tag. Es werden andere kommen, die weder schön noch ruhig sein werden.“

„Und was mache ich hier sonst?“

„Sie nehmen Vermisstenanzeigen entgegen. Dann legen Sie sie dem Chef vor oder geben sie gleich weiter. Taucht die vermisste Person oder das Tier oder der Gegenstand wieder auf, was nicht eben oft passiert, dann verständigenden Sie den Anzeigesteller. Taucht er oder es beim Anzeigesteller selbst auf, verständigt der Sie – hoffentlich! –, taucht er oder es nicht wieder auf, schließen wir nach einiger Zeit die Akte und die Sache vermodert.“ Weiß hob die Schultern. „Ist ‘n Schreibtischjob!“

Das klang nach langem Herumsitzen ohne größeren Arbeitsaufwand. Ich war wieder da, ich war gerade in meine Schule zurückgekehrt!

Den Rest des Vormittags sichtete ich ein paar Akten von vermissten Personen, Fahrrädern, Haustieren, Autos; den Nachmittag über legte ich meine Beine auf den Schreibtisch und döste vor mich hin. Es passierte herzlich wenig. Genauer gesagt: Nichts!

Fast die ganze Woche über passierte nichts. Ein paar Kinder vermissten ein paar Haustiere, ein paar Fahrräder und ein paar Spielzeuge; ich vermisste meine Jugend! Niemand hatte sie gesehen, niemand hatte sie abgegeben und wahrscheinlich war das eine Akte, die man bald schließen und zum Vermodern zu den anderen tun würde. Was – tat – ich – hier? Außer herumzusitzen und Bagatellfälle aufzunehmen? Weiß zog bei all diesen Meldungen die Stirn kraus und schickte die Suchmeldungen raus. Die meisten Sachen fanden sich von selbst wieder, außer natürlich meine Jugend und mein Elan, die unwiederbringlich verloren schienen.

Es war Sommer, es war warm, es wurden viele Fahrräder geklaut. Die fanden sich ohnehin in den wenigsten Fällen wieder ein, wie ich aus eigener Erfahrung wusste. Weiß erzählte von einer Bande Fahrraddiebe, die en gros vor Schwimmbädern Räder geklaut und sie dann ebenso en gros auf Flohmärkten feilgeboten hatten. Dort hatte man sie dann erwischt, waren wohl doch etwas zu kaltschnäuzig gewesen. Die Fahrraddiebstähle häuften sich. Die Suchmeldungen, die erfolglos abgeschlossen wurden, desgleichen. Es war ein sehr lehrreicher Dienst.

Dann betrat eine Frau unser wohl-kaum-als-Büro-zu-bezeichnendes-Zimmer. Weiß war gerade in eins seiner Kreuzworträtsel vertieft, also kam sie zu mir.

„Was kann ich bitte für Sie tun?“ fragte ich freundlich.

Schüchtern setzte sie sich und holte ein Photo aus ihrer Handtasche. „Ich suche meinen Mann!“ In diesem Moment bemerkte Weiß, dass wir Besuch hatten und löste einen (Bruch)Teil seiner Aufmerksamkeit von seinem Kreuzworträtsel. Sie reichte mir das Photo, auf dem sie zusammen mit ihrem Mann zu sehen war. „Das ist er, das auf dem Bild.“

Ich nickte. „Seit wann ist er verschwunden?“

„Seit zwei Tagen.“

„Ist es nicht vielleicht möglich, ich meine, dass er so etwas wie eine Sauftour macht oder so?“

„Nein, so etwas tut mein Mann nicht!“

Weiß verdrehte die Augen und machte sich an sein Kreuzworträtsel. Das hatte er schon tausendmal gehört, also nahm ich das Protokoll auf, Name, Alter, usw.

„Wo war Ihr Mann, bevor er verschwunden ist?“

„Bei einem Freund.“

„Könnten Sie mir bitte auch Name und Adresse des Freundes geben?“

Sie tat es und ging. Wir schickten eine Suchmeldung raus. Weiß schüttelte den Kopf. „Immer die alte Geschichte. In ein paar Tagen wird er wieder auftauchen.“

„Wer?“ Horstmann hatte das Büro-das-keins-war betreten; er schwitzte, wie wir alle. Ich reichte ihm die Vermisstenanzeige. Er nickte. „Nett. Wahrscheinlich Routine.“

„Tja“, ich erhob mich. „Glauben Sie, dass Sie den Ansturm von Anzeigen auch ohne mich bewältigen können?“

Horstmann sah mich fragend an. „Sie wollen doch nicht schon Feierabend machen?“

„Nein, nur eine... Routineuntersuchung!“

„Oh nein, haben Sie sowas schon mal gemacht?“

„Es ist doch nur ein Routinefall, was kann ich da schon falsch machen?“

„Naja“, Horstmann lächelte. „Es könnte ja ausnahmsweise doch was ernstes sein und Sie werden erschossen oder so. Oder Sie erschießen jemanden, noch schlimmer!“

„Noch schlimmer?“

„Also, genauso schlimm! Aber... dann wäre die Abteilung wieder unterbesetzt!“

„Keine Sorge, ich habe meine Waffe immer da, wo ich sie brauche!“ Ich deutete auf meinen Schreibtisch. „Damit sie mir niemand stiehlt!“

Mein Chef nickte und meinte: „Okay, versuchen Sie Ihr Glück. Aber ich sage Ihnen, Sie werden nicht viel erreichen!“

Das nahm ich auch nicht an, aber ich musste einfach etwas tun, musste raus an die frische Luft, weg aus diesem stickigen Zimmer-das-irgendein-Witzbold-als-Büro-bezeichnet-hat und dorthin, wo ich das Gefühl hatte, zumindest ein bisschen zu tun. Ich hatte mir das Bild von dem Mann genau eingeprägt und machte mich auf den Weg.

Der merkwürdige Freund, bei dem sich Claude Müller, der Mann, den ich suchte, zuletzt aufgehalten hatte, öffnete erst nach dem dritten Klingeln. Er empfing mich im Unterhemd, eine halbgerauchte Zigarette hing aus seinem linken Mundwinkel. Ich lächelte freundlich und sagte: „Guten Tag, mein Name ist Rhode!“

„Ich kaufe nichts!“

„Ich auch nicht.“

Das verwirrte ihn.

„Ich suche Claude Müller.“

In seinen Augen glitzerte es für den Bruchteil einer Sekunde, vielleicht fiel aber auch nur in diesem Moment Sonnenlicht unglücklich hinein.

„Fragen Sie seine Frau.“

„Das ist eine sehr gute Idee.“ Er wollte die Tür schon schließen. „Aber die weiß es auch nicht.“

„Warum soll ich es dann wissen?“

„Hmm, glauben Sie an das schlechte im Menschen?“

„Nein.“

„Ich aber. Sehen Sie, seine Frau sagte mir, er wäre als letztes mit Ihnen zusammen gewesen. Seitdem hat er sich nicht mehr zu Hause blicken lassen.“

„Er ist ein freier Mensch.“

„Ohne Zweifel, aber seine Frau macht sich Sorgen.“

„Sind Sie Priester? Oder Bulle?“

„Nein, äh, habe ich das nicht gesagt?“

„Nein, haben Sie nicht. Warum sind Sie eigentlich hinter Claude her?“

„Verzeihung, aber ich bin nicht hinter ihm her, ich suche ihn lediglich, damit er seinen Preis...“ Ich unterbrach mich, als hätte ich schon zu viel gesagt.

„Preis?“ Das machte ihn neugierig. „Was für ein Preis?“

„Naja, eigentlich sollte ich Ihnen ja nichts darüber sagen, aber wenn Sie ihn doch kennen... Claude Müller hat bei der Glückslotterie 2000 den 2. Preis gewonnen.“

„Was ist das für ein Preis?“ Er tat möglichst uninteressiert.

„Oooooch, nichts besonderes“, meinte ich, als wäre es ein Klacks. „Nur ein nagelneues Sportcoupé.“ Ihm gingen fast die Augen über. „Tjaa, leider wird Herr Müller jetzt wohl nicht mehr in den Besitz dieses Preises kommen, da die Frist bald abgelaufen ist. Ähm, dürfte ich wohl bitte mal Ihre Toilette benutzen?“

Missmutig ließ er mich rein.

„Nur zum Händewaschen!“ Ich sah mich um, fand das Telefon und ehe er sichs versah hatte ich, ohne sein Wissen selbstverständlich, das Kabel herausgezogen. Da es verdeckt hing, würde er nicht sofort drauf kommen. Und immerhin würde er es eilig haben! Oh, ja, in dieser Zeit gab es noch gar keine Handys, das vergisst man so leicht. Dabei ist es nur ein paar Jahre her. Ach, wie die Zeit vergeht… „Vielen Dank“, murmelte ich. „Wie gesagt, das mit Herrn Müller ist wirklich ausgesprochen schade. Haben Sie die genaue Zeit?“

Er hatte sie, oder zumindest etwas Annäherndes.

„Tja, dann hat Herr Müller noch ziemlich genau 1 Stunde und 18 Minuten, um sich zu melden, sonst wird der Preis an jemand anderen gehen. Wir ziehen nämlich immer auch Reservepreisträger, müssen Sie wissen, nur für den Fall, dass... Aber wenn er nicht aufzufinden ist, naja, kann man nichts machen! Vielen Dank!“ Ich nickte ihm zu und ging.

Keine drei Minuten später, nahm ich an, ich hatte ja keine Uhr, kam er dann schweißüberströmt, rotgesichtig, rauchend und immer noch im Unterhemd aus dem Haus gerannt, sprang in einen Wagen und fuhr los. Und ich hinterher. Es war keine lange Fahrt, deshalb verlor ich ihn auch nicht. Genauer gesagt fuhr er nur etwa drei Kilometer, bog dann nach links ab und hielt vor einem kleinen Haus. Nur durch Zufall sah ich seinen Wagen dort stehen, denn natürlich hatte ich ihn schon gleich nach der Abfahrt aus den Augen verloren. Glücklicherweise hatte ich mir die Nummer gemerkt...

Ich ging zum Haus und schellte. Inzwischen musste man herausgefunden haben, dass meine Geschichte ein Schwindel war, dass Claude Müller nie bei einer Glückslotterie 2000 mitgemacht hatte und dass es eine solche Lotterie überhaupt nicht gab... würde man wohl nicht feststellen, da es inzwischen so viele Lotterien gab, dass da eigentlich niemand mehr so richtig durchstieg. Und im Internet konnte man auch nicht nachsehen, denn auch das gab es noch nicht so richtig. Eine Frau öffnete und sah mich fragend an. „Ja, was wollen Sie?“

„Ist Claude Müller da?“ fragte ich.

„Wer sind Sie?“ fragte sie.

Improvisieren!

„Ich bin von der Polizei, mein Name ist Harry Rhode!“

Toll improvisiert!

Sie wurde bleich.

„Sollte sich Claude Müller in Ihrem Haus befinden und Sie decken ihn, machen Sie sich mitschuldig.“ Mitschuldig woran?

Sie drehte sich um. „Claude!“ Der Mann vom Photo erschien. „Die Polizei ist hier!“

„Ich habe nichts getan.“

„Herr Müller, Ihre Frau macht sich Sorgen. Sie hat Sie als vermisst gemeldet.“

„Und das gibt Ihnen einfach das Recht, sich in meine Privatangelegenheiten...“

„Ihre Frau hat Sie als vermisst gemeldet! Wir müssen so etwas nachgehen! Sie hätten sich rechtzeitig melden und all dies verhindern können!“ Ich schien wirklich grimmig zu wirken, denn er wurde plötzlich viel kleiner.

„Naja“, murmelte er, „jedenfalls bekomme ich nen neuen Wagen!“

Ich seufzte.

„Na, Herr Rhode, was macht denn der Fall Müller?“ fragte mich am kommenden Morgen mein Abteilungsleiter.

„Oh, das dürfte wohl einer von diesen Scheidungsfällen werden, es sei denn, Frau Müller liebt ihren Mann über alles.“

„Sie scheinen nicht an die Liebe zu glauben.“

„Naja... ich habe meine Zweifel.“

Horstmann rieb sich den Hals. „Wo wir gerade bei Zweifeln sind, woher wissen Sie das alles?“

„Naja...“ Ich riss die Geschichte kurz ab, allerdings ohne wesentliche Details, die darauf hinwiesen, dass ich diverse Regeln überschritten, umgangen, missachtet oder schlicht ignoriert hatte, von Lügen und höchst zweifelhaften Methoden gar nicht erst zu reden. „Ich nehme an, dass Müller mit dieser Frau ein Verhältnis hat“, schloss ich. „Aber für Moral sind wir ja nicht zuständig!“

„Wie... wie haben Sie das nur gemacht?“

„Ich würde sagen mit… Rhodedendron?!“

Horstmann sah mich verstört an.

„Nun, das ist eine Mischung aus 10% Beweisen, 10% Kalkulation und 90% Improvisation!“

„Damit kommen Sie auf 110%!“

„Was meinen Sie, warum es funktioniert hat?“

Horstmann grinste. „Wenn wir mehr von Ihrer Sorte hätten, könnten wir die ganze Arbeit viel schneller erledigen. Aber, eins ist mir noch nicht so ganz klar. Wie haben Sie diesen Freund von diesem Müller eigentlich dazu gebracht, zu dieser Geliebten von diesem Müller zu fahren?“

Ich druckste herum, murmelte vor mich hin... und da ich die unangenehme Angewohnheit habe, meist die Wahrheit zu sagen, begann ich mit einem langen „Najaaaaaaaaaa...“ ihm die Wahrheit zu sagen.

Horstmanns Grinsen verflog. „Wenn wir mehr von Ihrer Sorte hätten, könnten wir den Laden bald dicht machen!“

Fahrradentführungen, entlaufene Wellensittiche und entflogene Katzen waren der Renner in diesem Sommer. Die Vögel sah man nie wieder, die Katzen kratzte man von Autoreifen. Eine deprimierende Zeit für Haustierhalter, eine wundervolle Zeit für Fahrraddiebe. Als wieder eine Frau Müller nach einem Herrn Müller suchen lassen wollte, erschien Horstmann in unserem als-Büro-bezeichneten-Kabuff und meinte, das wäre ja äußert interessant, aber wir sollten doch wohl lieber Herrn Müller überlassen, zu seiner Frau zurückzukehren. Und tatsächlich zog Frau Müller oder wie immer sie geheißen haben mag ihre Anzeige wenige Tage später wieder zurück.

„Harry, es ist ja nicht so, dass ich Ihre Arbeit nicht zu schätzen wüsste“, sagte Horstmann, der sich auf meinem Schreibtisch niedergelassen hatte, dort, wo eigentlich meine Füße hingehörten, „aber Ihre Methoden sind an der Grenze zum Kriminellen. Verstehen Sie: Wir sind die Polizei! Wir gehen streng nach Vorschrift vor, ob uns das passt oder nicht! Ihre Methode mag ja schneller sein, und wirkungsvoller, aber es ist uns leider untersagt, so vorzugehen. Tut mir leid.“

„Naja, ist ja nicht Ihre Schuld. Also... streng nach Vorschrift?“ Horstmann nickte. „Wie langweilig!“

„Das mag sein, aber das ist nun mal das Leben! Und da ist noch etwas: Sie arbeiten für mich! Also bin ich der Boss, oder?“

Ich stimmte ihm zögerlich zu.

„Gut, dass Sie wenigstens das einsehen. Weiß und ich machen jetzt Mittag und Sie werden hier auf das Büro“-das-keins-war-und-auch-bei-besten-Willen-nie-eins-sein-würde „aufpassen. Also, bis dann!“

Er lächelte und die beiden gingen und ließen mich allein zurück. Ich legte meine Beine auf den Schreibtisch und döste vor mich hin, die Tür zum Gang weit offen, um etwas Frischluft hereinzulassen. Es war ein ruhiger Tag, kein Lüftchen regte sich, alles war still. So still, dass man auf dem Gang die Stimme eines Kollegen hören konnte, die sagte: „Das Vermisstendezernat ist die letzte Tür auf diesem Gang.“

Ich öffnete langsam ein Auge und sah den Gang hinunter. Dort stand neben dem Polizisten ein junges Ehepaar, das nun seinerseits meine wenig Aktivität ausstrahlende Gestalt ausmachte.

„Der junge Mann ist zuständig?“ fragte die Frau, die kaum älter war als ich, vielleicht aber doch. Absolutes Missvertrauen lag in ihrer Stimme.

„Lassen Sie sich nicht von seinem Aussehen täuschen“, meinte der Kollege, der damals mit dabei gewesen war, als ich... dabei war, in die Mühlen der Justiz zu rutschen und als Polizist zu enden, da, wo ich jetzt war, verschwitzt und kein Vertrauen ausstrahlend, „das ist einer der fähigsten Männer auf seinem Gebiet!“

Damit hatte er Recht; gut war nur, dass er sich nicht auf irgendein Gebiet hatte festnageln lassen. Aber das Ehepaar war damit zufrieden und kam nun neuen Mutes auf mich zu. Was mochten sie wohl zu suchen haben? Einen Hamster? Einen elektrischen Fisch? Ein aufblasbares Cabriolet?

Ich richtete mich auf, nahm meine Füße vom Schreibtisch, bzw. umgekehrt, weil ich in dieser Reihenfolge wahrscheinlich derbe auf die Fresse geknallt wäre, und sah den beiden entgegen. „Guten Tag.“

„Guten Tag, Herr...“

„Rhode!“

„Guten Tag, Herr Rhode. Ich bin Johannes Ueter und das ist meine Frau Katja.“

„Freut mich. Was kann ich für Sie tun?“

Beide wirkten unruhig.

„Es geht um unseren Sohn“, platzte Frau Ueter heraus. „Er ist verschwunden!“

Ich setzte mein mitfühlendes Gesicht auf, während sich in meinem Magen etwas zusammenballte. „Wie alt ist Ihr Sohn?“

„Anderthalb Jahre.“

Mist! Überall begannen die Alarmglocken zu schlagen, Rotlicht flammte auf und in meinen Ohren begann es zu dröhnen. Das war eine ganz beschissene Ausgangssituation.

„Ähm, seit wann ist Ihr Sohn denn verschwunden?“

„Seit gestern Abend. Wir sind ausgegangen und als wir wieder nach Hause kamen, war Albert nicht...“ Sie schluchzte und kämpfte mit einem Taschentuch gegen die aufsteigenden Tränen an.

„Sie haben ihn alleingelassen?“

„Als wir gingen, spielte er im Garten. Wir hatten es eilig, aber weil doch in ein paar Minuten unser Babysitter kommen sollte, dachten wir...“

Da hatten sie sich wohl geirrt. Aber ein anderthalbjähriges Kind geht nicht einfach abends aus und kommt erst spät am nächsten Tag wieder. Das tun anderthalbjährige Kinder nicht. Jedenfalls meines Wissens nicht!

„Wir haben alle unsere Bekannten und Nachbarn angerufen, aber er ist nirgendwo. Und... er ist doch Bluter!“

„Haben Sie die Umgebung abgesucht? Den Keller? Vielleicht versteckt er sich irgendwo, oder... hat versucht auf einen Baum zu klettern oder sowas?“

„Wir haben überall nachgesehen. Albert ist verschwunden!“

„Okay...“ Ich veranlasste alles nötige, um schnell eine Suchmeldung rausgeben zu können. Wann würde nur endlich mein Chef wiederkommen? „Haben Sie ein Photo Ihres Sohnes bei sich?“