Zum Zweifeln geboren - Zum Glauben verdammt - Günter Hiller - E-Book

Zum Zweifeln geboren - Zum Glauben verdammt E-Book

Günter Hiller

0,0

Beschreibung

Physik und Evolution sind fest miteinander verwoben. Aufgabe der Physik ist es, Erhaltungsgrößen und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, Evolution basiert auf deren Veränderungen. Um diese zufälligen Veränderungen erkennen zu können, muss man zunächst eine Struktur, Ordnung oder Gesetzmäßigkeit erfassen. Physik bildet die Grundlage für ein Verständnis der Evolution. Physik ist das Glauben, an dem eine zufällige Evolution Zweifel erzeugt. Ohne die Annahme einer Ordnung lassen sich Abweichungen gar nicht definieren.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 208

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Eine Selbstgarantie des menschlichen Denkens ist,

auf welchem Gebiet auch immer, ausgeschlossen.

Man kann nicht völlig voraussetzungslos

ein positives Resultat gewinnen.

Man muss bereits an etwas glauben,

um etwas anderes rechtfertigen zu können.

Wolfgang Stegmüller

Inhalt

Einführung

Teil I – Zweifeln

1. Einleitung

2. Warum denke ich so, wie ich denke

3. Denken und Erinnern

4. Eigenschaften von Informationen

5. Folgen des Informationsmodells

6. Die Universalität des Erinnerns

Teil II – Glauben

7. Das Neue Glauben

8. Information und Erinnern

9. Ein Prinzip der Evolution

10. Unterschiedliche Evolutionsformen

Teil III – Leben

11. Das duale Prinzip

12. Evolution einer Idee

13. Informationen

14. Relativität

15. Quantenevolution

16. Leben

17. Universa

Teil IV – Autopoiesis

18. Grenzen der Rationalität

19. Offene Systeme

20. Synchronisation und Empathie

21. Energieerhaltung

22. Evolution und Physik

Ausklang

Literatur

Glossar

Einführung

Erkenntnisgewinn basiert auf zwei Säulen, auf Annahmen und Zweifeln. Man ist darauf angewiesen, diesen Annahmen einen bedingten Glauben zu schenken und gleichzeitig an diesem Glauben zu zweifeln. Die wichtigste Bedingung für diesen Glauben besteht darin, dass er zukünftigen Erkenntnissen nicht im Wege stehen darf.

Daraus resultiert eine Komplementarität von Glauben und Zweifeln, das eine ist ohne das andere nicht denkbar, beide sind im Wesentlichen gleichberechtigt. Diese Gleichberechtigung von Glauben und Zweifeln ist das Fundament von Erkenntnis und Wissenschaft. Wenn man das Glauben als den Glauben über alle Zweifel erhaben erachtet, einen absoluten Glauben voraussetzt oder vorschreibt, kann es keine weitere Erkenntnis geben.

Da wir per se nicht alles wissen können, sind wir zu einem bedingten Glauben verdammt, aber mit dem Wissen, dass dieses Glauben niemals absolut sein kann. Glauben hat viele Facetten, jeder Mensch hat seine eigenen Glaubensvorstellungen. Religiöse Menschen glauben an die Allmacht Gottes oder Allahs, Physiker an unveränderliche Naturgesetze (die von einem allmächtigen Gott vorgegeben sind) und ich plädiere für eine vertikale Empathie.

Vertikale Empathie setzt voraus (Annahme, Glauben), dass es ähnliche Prozesse oder Wechselwirkungen auf allen Komplexitätsebenen der Evolution gibt. Dieser Pragmatismus ist hilfreich bei der Erklärung von Werden und Leben, lässt aber noch genügend Raum für Zweifel und fortschreitende Erkenntnis. Dieser neue Pragmatismus negiert nicht alles bisher Gedachte, sondern beschränkt nur dessen Gültigkeit.

Wir sind in unserem Denken auf Vermutungen angewiesen, denen wir nur einen bedingten Glauben schenken dürfen und dennoch laufen wir immer wieder Gefahr, diesem bedingten Glauben eine Absolutheit zuzuweisen. Der Grund dafür kann nur in unserer Sozialisierung verankert sein.

Der Mensch hat von allen Tieren vermutlich das stärkste Sozialverhalten, was vermutlich für unsere ausgeprägten Sprachen verantwortlich ist. Das Urteil der Anderen und der Konsens mit Anderen ist für Menschen so wichtig, dass sie sehr oft Zweifel an allgemein akzeptierten und geäußerten Vermutungen vernachlässigen.

Obwohl wir seit Darwin wissen, dass sich unsere Sprachen, unser Denken und unsere Kultur langsam entwickelt haben, dass überlieferte Geschichten und Religionen von Menschen ersonnen wurden, stellen wir meist jeden Zweifel für einen allgemeinen Konsens zurück. Wir vergessen, dass die Menschheit eine GmbH ist, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Das soll heißen, dass nicht nur die Zukunft, sondern auch die Vergangenheit nur beschränkt erkennbar und erklärbar sein kann. Wir sind für die Vergangenheit einzig auf Indizien angewiesen, die immer verschwommener werden, je weiter wir zurückblicken.

Dennoch sind wir bereit, gut erzählte Geschichten nicht zu hinterfragen, insbesondere wenn diese Geschichten von sehr vielen nicht bezweifelt werden. Wir folgen einer Diktatur der Mehrheit und wenn diese Mehrheit nicht mit einer entsprechenden Verstandesschärfe gesegnet ist, könnte doch das Zitat von Bertrand Russell (S. 49) berechtigt sein.

Obwohl wir wissen, dass Religionen von Menschen gemacht sind, schreiben wir sie dennoch einem allmächtigen Gott zu. Wenn wir unserem Unmut über die Ungerechtigkeiten der Welt Ausdruck verleihen, erhalten wir von den Verantwortlichen die lapidare Antwort: Die Wege des Herrn sind unergründlich! Diese Antwort könnte von einem Quantenphysiker stammen oder meinem Evolutionsprinzip entlehnt sein, nur von einem Geistlichen wird sie klaglos und kritiklos hingenommen.

Die Menschheit scheint offen für einen bedingungslosen Glauben zu sein, zwar nicht die gesamte Menschheit, aber ein überwiegender Teil von ihr. Dieses Buch richtet sich gegen diesen bedingungslosen Glauben, der mehr und mehr Raum gewinnt. Angefangen hat es mit Religionen, die diesen bedingungslosen Glauben eingefordert haben, mit allen lauteren und unlauteren Mitteln, mit Manipulation, Schreckensszenarien und Gewalt.

Auch wenn die Grundidee zunächst durchaus berechtigte Ziele hatte, entwickelte sich diese dogmatisch zum Selbstzweck des Machterhalts. Dieser bedingungslose Glaube scheint inzwischen auch auf die Wissenschaften, die Politik und die Medien überzugreifen. Eine Dogmatisierung erkennt man an ihren Parolen. Parolen verkörpern etwas Absolutes, Parolen dürfen nicht hinterfragt oder bezweifelt werden.

In der Religion kennt man den Begriff der Häresie, die in einigen Ländern mit dem Tode bestraft werden kann. In der Politik werden anders denkende verunglimpft und mit völlig unpassenden Schimpfworten belegt. Die Medien wollen nicht mehr möglichst neutral informieren, sondern funktionieren sich selbst zu Instrumenten der Meinungsbildung um. Dazu werden Äußerungen oder Tatbestände aus dem Zusammenhang gerissen, um die Massen zu manipulieren.

Kritischen Menschen ist das durchaus bewusst, aber es wird immer schwerer zwischen echten und falschen Nachrichten zu unterscheiden. Dabei muss nicht einmal Absicht unterstellt werden. Jeder Mensch versucht, Nachrichten zu strukturieren, aber jeder auf seine Weise und letztlich ist man zum Verstehen der Nachrichten auf Empathie angewiesen, man muss auch verstehen, warum ein Nachrichtenredakteur gerade diese Struktur gewählt hat.

Dieser bedingungslose Glaube lag bisher den Wissenschaften fern, im Gegenteil, Wissenschaftler empfanden sich immer selbst als Hüter des Zweifelns. Aber je komplexer die Wissenschaften wurden, umso mehr waren Wissenschaftler darauf angewiesen, anderen zu vertrauen. Je weiter die Spezialisierung fortschreitet, desto schwieriger wird es, den Überblick und die Zweifel zu behalten.

Aus diesem Grund habe ich mich in diesem Buch auf wissenschaftliche Aspekte beschränkt, weil dort noch die klarsten Vorstellungen und Definitionen zu finden sind. Dagegen sind Religionen, Politik und Medien so emotionsgeladen und teilweise wirr, dass berechtigte Zweifel sofort zu einer Ausgrenzung führen.

Wenn man nur zu bedenken gibt, dass das Zusammenleben der Menschen in Deutschland durch das Grundgesetz bestimmt ist und nicht durch Religionen und das daher Religionsfreiheit nur im Rahmen des Grundgesetzes gewährleistet sein darf, dass es sich also nicht um eine absolute Religionsfreiheit, sondern nur um eine begrenzte Religionsfreiheit handeln kann, dann stößt man vielerorts bereits auf Unverständnis.

Wissenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass man Vermutungen äußert oder annimmt, die man gleichzeitig zu falsifizieren sucht. Eine Vermutung kann sich bestätigen, aber man darf sie nichtbestätigen wollen, eine Vermutung darf nicht zu einem Wunschdenken mutieren. Nicht umsonst heißt es: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg! Wenn man etwas bestätigen will, findet man immer irgendwelche Interpretationen. Darauf basiert Religion und auch Politik, aber Wissenschaft sollte darauf nicht basieren!

Religion und Politik und leider auch die Medien basieren auf Überzeugen und ich habe schon früher einmal bemerkt, dass man nicht gleichzeitig Zweifeln und Überzeugen kann. Natürlich kann man versuchen, anderen seine Zweifel näher zu bringen, man kann andere mit Zweifeln infizieren, aber zweifeln müssen die anderen schon selbst.

Wissenschaft ist deshalb so einzigartig, weil man nicht und Nichts verifizieren kann, sondern nur falsifizieren kann. Selbst wenn man eine Vermutung Jahrhunderte lang nicht falsifizieren kann, gilt sie nicht als verifiziert. Wissenschaft darf nicht dogmatisch sein, sonst ist es keine Wissenschaft mehr.

Vielleicht sind Wissenschaftler deshalb vielerorts auch als unsozial verschrien, weil sie sich nicht einem allgemeinen Konsens beugen wollen oder können ohne ihre Identität zu verlieren. Wenn man den Indeterminismus, die Unbestimmtheit verinnerlicht hat, wird man nicht auf die Idee kommen, die Entstehung unseres Universums zu prognostizieren.

Ich stimme deshalb nicht mit Einsteins Formulierung Wissenschaft ohne Religion ist blind, Religion ohne Wissenschaft lahm überein, weil sowohl heutzutage als auch in der Vergangenheit Religionen so dogmatisiert sind und waren, so absolut, dass sie keinen Widerspruch, keine Zweifel dulden. Nach meinem Verständnis muss man Religion durch Vision ersetzen und Wissenschaft durch Zweifel. Dann heißt es Zweifel ohne Vision sind blind, Visionen ohne Zweifel lahm.

Wir benötigen Visionen. Wir benötigen Alternativen, viele Alternativen, wir brauchen Vielfalt. Diese Lehre können und müssen wir von der Evolution annehmen: Vielfalt ist das beste Mittel gegen Aussterben. Je mehr Lose man in der Hand hält, desto größer ist die Aussicht auf einen Gewinn. Es gibt keine Garantie, aber Monofalter1 haben langfristig keine Chance.

1 meine Alternativbezeichnung für Einfallspinsel

Teil I

Zweifeln

1. Einleitung

In meinem Buch Das kreative Universum habe ich ein allgemeines Evolutionsprinzip erläutert, das sowohl die biologische Evolution als auch eine kulturelle und eine kosmische Evolution erklären kann und auf einem dualen System von Komplementaritäten basiert. Der Begriff komplementär steht für gegensätzliche, aber sich ergänzende Eigenschaften eines Objekts oder Sachverhalts. Ein System von Komplementaritäten bezeichne ich als dual, weil dieser Begriff in meinen Augen einfacher und treffender ist als dualistisch.

Ich habe Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten herausgearbeitet, die allen drei Evolutionsformen eigen sind. Der wesentliche Unterschied der drei Evolutionsarten ist in ihren Geschwindigkeiten zu sehen.

Die kulturelle Evolution ist am auffälligsten, da sie mit der größten Geschwindigkeit vonstatten geht. Egal ob Mode, Kunst oder Lebensstil, die Veränderungen sind selbst bei einem eingeschränkten Zeitverständnis nicht zu übersehen. Ohne auf unterschiedliche Stilrichtungen eingehen zu müssen, ist z.B. in der Malerei deutlich erkennbar, dass perspektivische Darstellungen erst im späten Mittelalter Eingang gefunden haben. Vorher wurde die Perspektive als Stilmittel nicht verwendet. Diese Tatsache sollte schon als bemerkenswert registriert werden, denn dreidimensionales Sehen war ja nicht neu, wie sich allein an den detailgetreuen griechischen Statuen erkennen lässt.

Man muss diesen Übergang, diesen Prozess hin zu perspektivischen Darstellungen eindeutig als Emergenz (vom lat. emergere Auftauchen, Herauskommen, Emporsteigen) bewerten. Emergenz ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der Evolution. Ein anderes Beispiel für Emergenz findet man bei der Entstehung des Impressionismus. Wie schon der Name sagt, wurde diese Stilrichtung vor allem von Landschaftsmalern geprägt, die ihre Impressionen, ihre Eindrücke vermitteln wollten. Wenn ein Künstler beispielsweise eine Abendstimmung mit ihren ganz eigenen Farbkombinationen möglichst naturgetreu vermitteln möchte, muss er diese Farbkombinationen direkt vor Ort auf die Leinwand aufbringen können und darf nicht erst nachträglich eine Skizze im Atelier aus dem Gedächtnis vervollständigen. Dazu müssen aber die benötigten Farben vor Ort, draußen in der Natur verfügbar sein, was erst im 19. Jahrhundert mit den Farbtuben realisiert wurde. Zum anderen sollten die Farben möglichst flott aufgetragen werden, da die Abendstimmung nicht unbegrenzt fortdauert.

In diesem Fall lässt sich eine Emergenz, die Entstehung des Impressionismus, eindeutig mit einem technischen Fortschritt, der Produktion von Farbtuben korrelieren und der Notwendigkeit einer Art Schnellmalerei. Emergenz ist meist ein Produkt verschiedener Faktoren, die bei ihrer Entstehung zusammen kommen, aber nicht immer sind diese Faktoren sofort erkennbar und so eindeutig zu identifizieren wie beim Impressionismus.

Emergenz lässt sich verstehen als das Zusammenwirken von Teilen zu einem Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner Teile (Aristoteles). Man erkennt sofort, dass die Kooperation von Teilen zu einem Verbund etwas hervorbringt, was bis dahin weder möglich noch vorhersehbar war!

Wenn man einen einfachen Otto-Motor, wie er heute in den meisten Autos Verwendung findet, verstehen oder konstruieren möchte, müssen drei wesentliche Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens muss man einen feuerfesten, formbaren Werkstoff zur Verfügung haben (Stahl), man muss zweitens das Explosionsverhalten eines Gas-Sauerstoff-Gemisches kennen (λ-Wert) und man muss gezielt und getaktet elektrische Funken erzeugen können. Erst als entsprechende Kenntnisse der Werksoffkunde, Thermodynamik und Elektrizitätslehre verfügbar waren, liess sich ein Otto-Motor entwickeln. In diesem Fall sind es vereinfacht drei Faktoren, die die Emergenz eines Otto-Motors bewirkten.

Die Entwicklung des Otto-Motors macht die Kreativität seines Erfinders deutlich. Es mussten drei völlig verschiedene Fachbereiche vereint werden, das Unmögliche (für einzelne Fachbereiche) musste möglich gemacht werden, es musste interdisziplinär gedacht werden. Wie verhaftet wir allerdings einem disziplinären Denken sind, erkennt man alleine daran, dass es erst mehr als hundert Jahre nach der Erfindung des Otto-Motors eine Ausbildung als Mechatroniker gibt. Lange Zeit wurden Automechanik und Autoelektrik in der Ausbildung gewissenhaft getrennt.

Emergenz als Motor der Evolution macht zugleich deutlich, dass eine evolutionäre Entwicklung nicht kontinuierlich und ruckfrei vonstatten geht, sondern in Form von Quantensprüngen, die völlig unterschiedliche Größen haben können. Dabei sind grundsätzlich auch Rückschritte der Komplexität möglich, nämlich dann, wenn sich Kooperationen im Wettbewerb nicht bewähren, keine Stabilität erreichen und ein neuer, ein anderer Kooperationsversuch getestet wird.

Wenn einige Kooperationen weniger stabil sind als andere, ist das kein Irrtum oder Fehler, sondern nur eine kurzlebige Variante, aber dennoch eine wichtige und notwendige Erfahrung. Erfahrungen müssen gemacht werden. Auch wir Menschen lernen zwar aus Fehlern, unser Verhalten basiert aber auf erfolgreichen Mustern. Auch eine kurzlebige Variante kann aus evolutionärer Sicht sehr erfolgreich sein, wenn ihre Reproduktionsrate entsprechend groß ist. (Fliegen sterben nicht aus, obwohl ihre Lebensspanne vergleichsweise kurz ist.)

Geht man von der einfachen Annahme aus, dass einfache Strukturen leichter zu produzieren sind als komplexe, folgt daraus der einfache Schluss, dass die Lebensspanne erfolgreicher Varianten mit ihrer Komplexität zunehmen muss. Vermutlich ist der Prozentsatz der erfolgreichen Kooperationen gering und auch die Lebensdauer der Kooperationen unterschiedlich lang.

Die Mode zeigt uns, dass es keine festen Zyklen gibt, manches in abgeänderter Form wiederkommt, aber eine ständige Weiterentwicklung stattfindet. Selbst wenn schwarze T-Shirts immer wieder mal modern werden, ändert sich doch das Material oder die Passform. Geschichte wiederholt sich nicht, es kann Ähnlichkeiten geben, nicht mehr.

Wie lässt sich das erklären? Ab einer gewissen Modevielfalt gibt es immer einen Wettbewerb, in dem Fall einen Wettbewerb um die Gunst der Käufer und dieser Wettbewerb benötigt Gedächtnis oder Informationsspeicher, auch wenn dieser nur darin besteht, ein bewährtes Stück aufzubewahren. Ein Stück Materie, ein altes T-Shirt, repräsentiert eine Erinnerung und eine Erinnerung ist das Merkmal von Gedächtnis. Materie ist Gedächtnis! (Wenn man Gedächtnis mit Informationen verbindet, wie es die meisten von uns tun, dann muss man Informationen einen materiellen Charakter zuschreiben und genau das ist eine Quintessenz dieses Buches!)

Wettbewerb heißt in erster Linie vergleichen und Vergleichskriterien zu haben und dafür ist Gedächtnis essentiell. Eine Folge davon ist, dass jeder Wettbewerber versucht, sich selbst, eine seiner Eigenschaften oder sein Produkt zu verbessern oder attraktiver zu machen, ohne aber das bisher erreichte aus den Augen zu verlieren. Dieses letzte Merkmal ist so wichtig, dass es einer besonderen Betrachtung bedarf.

Evolution wird gerne als Entwicklung vom Einfachen zum Komplexen beschrieben, als eine Entwicklung ohne Plan und ohne Ziel, basierend auf einer Strategie von Versuch und Irrtum, aber das ist nur die halbe Wahrheit!

Natürlich kann Emergenz nicht vorausgesagt werden, natürlich lassen sich völlig neue Kooperationen nicht im voraus simulieren, denn so ist das Neue definiert und man sollte das Neue als wirklich Neues präzisieren. Wenn ich beispielsweise das erste Mal nach Neapel fahre, dann ist das zwar etwas Neues für mich, Neapel als Stadt ist aber nicht wirklich neu. Als aber die ersten Menschen zum Nordpol oder Südpol aufbrachen, betraten sie tatsächlich Neuland. Es gab weder Aufnahmen der Polregionen aus Flugzeugen oder von Satelliten noch wusste man genaue Details über mögliche Abweichungen von geografischen und magnetischen Polen.

Theoretisch wusste man, dass die Erde um eine imaginäre Erdachse rotiert und die geografischen Pole repräsentieren deren imaginäre Austrittspunkte aus der Erdoberfläche. Theoretisch wusste man auch, dass die Erde ein Magnetfeld besitzt, schließlich benutzten Seeleute schon seit eineiger Zeit Kompasse für ihre Navigation und man wusste auch, dass diese beiden Pole, geografischer und magnetischer Pol, nahe beieinander lagen. Man ging sogar lange Zeit davon aus, dass die beiden Pole identisch wären. Diese Annahme ist zwar in erster Näherung durchaus vertretbar, aber die im Laufe der Zeit gewonnenen Erkenntnisse belegten, dass die Erde ein weitaus komplexeres Gebilde ist, als es erste Annahmen glauben liessen. (Wenn sich Kosmologen das auch für den Kosmos zu Herzen genommen hätten, wäre dieses Buch überflüssig!)

Diese kurzen Ausführungen sollen nur belegen, wie viele Facetten und Schattierungen ein an sich so einfacher Begriff wie Neu im Laufe der Zeit annehmen kann und man nur noch aus dem Kontext heraus vermuten kann, was gerade damit gemeint ist. Das wirklich Neue liesse sich vielleicht als absolut neu formulieren, aber auch diese Präzisierung ist inzwischen stark verwässert. Ich ziehe es daher vor, etwas wirklich Neues ganz einfach als emergent zu bezeichnen. Emergent steht stellvertretend und präzisierend für noch nie dagewesen oder unvorhersehbar und mit diesem Begriff lässt sich Evolution besser verstehen.

Emergenz lässt sich nicht planen, es gilt ganz einfach probieren geht über studieren und die eher triviale Aussage von Versuch und Irrtum bekommt eine ganz neue Bewandtnis. Evolution bedeutet zwar, alles zu versuchen, hat aber auch ein geeignetes Korrektiv, Irrtümer zu erkennen. Die Versuche lassen sich als Kooperationsversuche, kurz Kooperationen, interpretieren, die Irrtumserkennung als Wettbewerb. Da es in der Evolution kein Gut oder Schlecht, kein gottbestimmtes Richtig oder Falsch geben kann und geben darf, sollte man auch die Aussage Versuch und Irrtum durch mehr oder weniger erfolgreiche Kooperation ersetzen. Evolution kennt kein Alles oder Nichts, Evolution ist relativ, nicht absolut!

Vielleicht war das mathematische Denken mit seinen Absolutismen und präzisen Formeln einem Verständnis der Evolution nicht besonders förderlich. Diese Präzision kann nur unserem Wunschdenken geschuldet sein, denn genau die fehlende Präzision ist der Motor der Evolution.

Mathematische Beweise haben mich schon während meiner Studienzeit immer etwas irritiert und verwirrt. Sie basieren zumeist auf Axiomen, auf Annahmen, die gemeinhin als sinnvoll erachtet werden und auf logischen Schlüssen. Ich hatte immer das Gefühl, dass es zur Bestätigung einer Theorie ausreichte, wenn die logischen Schlüsse den Axiomen nicht widersprachen. Letztlich bestätigt man aber nicht die Theorie, sondern nur die vorausgesetzten Annahmen und die eigene fehlerfreie Logik. Wenn aber die sogenannte Beweiskette zu einem Paradoxon führt, lässt das auf eine unzureichende Annahme schließen.

Im Gegensatz zur Mathematik lebt Evolution von Fehlern. Evolution und Perfektion schließen einander aus. Man könnte auch sagen, Evolution und perfekte mathematiche Gleichungen passen nicht zusammen! Wie lässt sich das verstehen? Arterhaltung beruht auf einer hohen Kopiergenauigkeit, eine Entwicklung der Art aber gerade auf kleinsten Fehlern, auf Mutationen.

Diese Kopierfehler sind unbestimmt, zufällig und emergent. Zufälligkeit erzeugt Emergenz. Genau diese Unbestimmtheit, Zufälligkeit und Emergenz erzeugt eine Varianz der Evolution und somit auch bei einer evolutionären Betrachtungsweise die Varianz von Raum und Zeit. Diese Varianz ist extrem klein und fast vernachlässigbar, aber nur fast!

Siedelt man Kopierfehler beispielsweise bei 1 : 1,000.000, also bei 10-6 an und die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kopierfehler erfolgreich ist, in der gleichen Größenordnung, dann liegt die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Mutation bei ca. 10-12. Man kann davon ausgehen, dass die Varianz der Evolution, die Varianz von Raum und Zeit in dieser Größenordnung liegt, also extrem klein ist, aber nicht Null!

Die Invarianz in Raum und Zeit ist also eine extrem gute Näherung, deren Abweichung für uns Menschen auf der Erde unterhalb der Messgenauigkeit liegt (Fehler, die sich erst in der 12. Nachkommastelle bemerkbar machen, sind für Experimentalphysiker auf der Erde nicht relevant) und somit vernachlässigbar ist, aber eben nicht auf einer kosmischen Skala.

Theoretische Physiker setzen aber die Invarianz in Raum und Zeit und als Folge davon nach dem Noether-Theorem die Erhaltung von Energie und Impuls auch für die Kosmologie voraus. Genau hier liegt der Knackpunkt. Die Invarianz in der Zeit und damit die Erhaltung der Energie führt in der Kosmologie zum Urknallmodell, aber damit auch gleichzeitig zu dem von mir formulierten Paradoxon des Urknalls (s. Das kreative Universum, S.18): Die Annahme der Invarianz in der Zeit führt zu einem Urknall, der selbst dieser Annahme widerspricht.

Das Urknallmodell basiert auf zwei Pfeilern, der Hubbleschen Rotverschiebung und der Annahme der Energieerhaltung. Da ein Paradoxon auf eine unzutreffende Annahme hinweist, kann in diesem Fall nur die Energieerhaltung in Frage gestellt werden. Die Hubblesche Rotverschiebung wird immer genauer vermessen, ihr genauer Wert variiert noch, aber ihre Existenz ist nicht zu leugnen. Wenn aber die Energieerhaltung des Kosmos nicht zutrifft, dann ist auch eine Expansion des Universums als Folge des Doppler-Effekts inadequat. Errechnet man aus der Hubbleschen Rotverschiebung eine Energiezunahme des Universums, erhält man ca. 0.6% in 1 Milliarde Jahre, einen Wert, der sich bei typischen physikalischen Experimenten irgendwo in der 12. oder 13. Nachkommastelle bemerkbar machen würde, wenn eine derartige Messgenauigkeit möglich sein sollte.

Einstein drückte das so aus: Man hat den Eindruck, dass die moderne Physik auf Annahmen beruht, die irgendwie dem Lächeln einer Katze gleichen, die gar nicht da ist. (PS: dieses Zitat hat eigentlich einen anderen Bezug.)

Die Differential- und Integralrechnung der Mathematik basieren auf einer Extrapolation (lim → ∞), auf einem Grenzwert gegen Unendlich, bei dem aber ausdrücklich das Unendlich selbst ausgeklammert wird, weil es eine mathematische Singularität darstellt, für die die Gesetze der Mathematik ihre Gültigkeit verlieren.

Die Invarianz in Raum und Zeit entspricht aber einer mathematischen Singularität, denn sie impliziert indirekt die Unendlichkeit von Raum und Zeit. Evolution basiert dagegen auf Endlichkeit, auf Endlichkeit in allen Belangen. Insofern sind also Evolution und mathematische Extrapolation komplementär. Bevor man also mathematische Formulierungen für die Evolution, für das Verhalten diskreter Entitäten, verwendet, muss man nachprüfen, in wie weit diese auf dem Bezug zu Grenzwerten beruhen.

Schon die Infinitesimalrechnung (lim → 0) wurde bereits durch das Plancksche Wirkungsquantum gestutzt. Dabei ist es im Grunde genommen erstaunlich, wie locker eine mathematische Infinitesimalrechnung weiterhin auf eine nicht-infinitesimale Quantenphysik angewendet wird. Insofern sollte also auch die Extrapolation ins Unendliche für ein endliches Universum nicht verwundern!!!

Eine Bewertung der daraus resultierenden Schlussfolgerungen, wie beispielsweise ein expandierendes Universum, überlasse ich gerne dem Leser. Eine physikalische Singularität, wie sie im Urknallmodell prognostiziert wird, ist nur denkbar, wenn man mathematische Singularitäten (Null, Unendlich) zulässt. (In der Religion sind diese Singularitäten übrigens mit Gott besetzt. Philosophen sollten sich weniger mit dem Sinn des Lebens, dafür mehr mit dem Unsinn des Denkens beschäftigen.)

Wenn es kein Null und kein Unendlich gibt, kein Richtig und Falsch, kein Gut und Böse, wenn die einfache Aussage So ist es aus evolutionärer Sicht keinen Sinn ergibt und der Ausdruck Irrtum irreführend ist, muss Kosmologie, muss Evolution neu gedacht werden.

Wenn sich dennoch Begriffe wie Richtig und Falsch in unserer Kultur eingebürgert und durchaus bewährt haben und wir immer wieder feststellen müssen, dass ein und derselbe Vorgang sowohl als richtig als auch als falsch eingestuft werden kann, lässt sich daraus schließen, dass unsere Kultur eine duale Betrachtungsweise nicht nur zulässt, sondern sogar explizit forciert.

Duales Denken beruht auf scheinbar sinnvollen Annahmen, die wir nicht beweisen können. Einerseits müssen wir an diese Annahmen glauben, gleichzeitig aber auch an denselben Annahmen zweifeln. In der Wissenschaft weiß man, dass man eine Theorie nicht beweisen, nicht verifizieren kann, sondern nur eventuell falsifizieren. Mit einfachen Worten wird eine Theorie oder Annahme so lange als richtig erachtet, bis man ihre Unzulässigkeit beweisen kann.

Der ständige Dualismus von Glauben und Zweifeln bestimmt die Entwicklung, die Evolution unseres Denkens. Betrachtet man unser Denken als eine Art Projektion des Universums auf unser Gehirn, dann muss sich auch das Pendant des Dualismus unseres Denkens im Universum finden lassen.

Zum Zweifeln geboren,

Zum Glauben verdammt.

2. Warum ich so denke, wie ich denke

Schon die Überschrift weist auf ein sehr persönliches Kapitel hin, denn ich kann nur erahnen, was in den Köpfen der Anderen vor sich geht. Das Denken ist grundsätzlich von einem Dualismus geprägt, der Komplementarität von Neugier und Bequemlichkeit oder von Zweifel und Glauben. Man erkennt schnell, dass es kein Entweder-Oder geben kann, sondern nur ein Sowohl-Als auch. Menschen unterscheiden sich nur durch die relative Verteilung und diese ist jeweils geprägt durch die Summe der Erfahrungen. Der Grundstein des persönlichen Denkens wird in der Kindheit gelegt und ich bin meinen Eltern zutiefst dankbar, dass sie meine Neugier und Zweifel immer gefördert haben.

Im Nachkriegs-Berlin gab es kaum Zeit für Bequemlichkeit, keine politische oder wirtschaftliche Stabilität und was gestern gut war, konnte heute schon ein alter Hut sein. Das Gehirn wurde trainiert, Probleme zu lösen, ohne dass die Probleme weniger wurden. Das Leben war und ist ein Rudern gegen den Strom, wer nichts tut, fällt zurück.

Auch wenn man immer wieder im Kreis denkt, kommt man dennoch ständig zu neuen Schlussfolgerungen, da neue Erfahrungen und Erkenntnisse das eigene Wissen anreichern. Insofern ähnelt das Denken einer Spirale, die immer neue Höhen erreicht, was im Grunde genommen nichts anderes als eine Form der Evolution darstellt.

Wenn ein ständig zunehmendes Wissen in einem begrenzten Gehirn gespeichert werden muss oder soll, reicht einfaches auswendig lernen bald nicht aus. Ich denke, von diesem Punkt an beginnt sich menschliches Denken zu unterscheiden. Das Wissen muss geordnet und strukturiert werden und je übersichtlicher diese Struktur angelegt ist, desto schneller wird ein neuerlicher Zugriff auf dieses Wissen.

Hier wird aber bereits deutlich, dass die Strukturierung des Wissens nicht nur von dem Individuum selbst abhängt, sondern auch in großem Maße von seinem Umfeld. Wenn man berücksichtigt, dass der Lernprozess auch durch nachahmen und imitieren geprägt wird, dann hängt dieser nicht nur von den Lehrern und Eltern ab, sondern auch von den Idolen, Freunden und dem übrigen Umfeld. Was mich geprägt hat, möchte ich kurz Revue passieren lassen.

Mein Leben lässt sich dadurch strukturieren, dass es ca. alle 27 Jahre einen tiefen Einschnitt gab. Der 1. Abschnitt