Zwergenkrieger - Dennis L. McKiernan - E-Book

Zwergenkrieger E-Book

Dennis L. McKiernan

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Beschreibung

Der Krieg der Zwerge geht weiter

Die Fortsetzung von „Zwergenzorn“ und „Zwergenmacht“ – Dennis L. McKiernans Fantasy-Erfolgsepos um das tapfere Volk der Zwerge, das zweihundert Jahre nach dem Sieg über den Dunklen Lord erneut in den Kampf ziehen muss, um das Böse zu besiegen.

Vergessen Sie alles, was Sie bisher über Zwerge gelesen haben – hier ist die wahre Geschichte dieses tapferen Volkes!

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Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung
1234
DrachenflugKampf in den Khalischen SümpfenSkaldfjordDie PrüfungCopyright

»Sag mir, o Sohn, wie lautet die wirkliche Farbe des Drachen?«

»Blutrot, mein Meister, stets blutrot, was das Auge auch erblickt.«

MITHGAR

Nördlicher Teil

Das Gebiet um Wolfswald und Drachenschlund

Der Schwarze Berg

Vorbemerkung

1

Die Quelle dieser Geschichte ist ein zerfleddertes, teilweise verbranntes Exemplar der Kommentare zu den Balladen des Barden Estor, ein äußerst glücklicher Fund, der aus der Zeit vor der Separation datiert. Zusammengetragen von einem unbekannten Gelehrten, sind dort die Titel aller Balladen Estors aufgelistet und jeweils mit Erläuterungen zu den historischen Ereignissen versehen, aus denen sich die Legenden im Werk des Barden ableiten. Bedauerlicherweise sind die Melodien selbst nicht überliefert, ebenso wenig wie die genauen Verse, wenngleich einzelne Passagen davon in den Erläuterungen zitiert werden. Klar ist, Estor gewann seinen Ruhm dadurch, dass er von Elgo, Elyn und Thork sowie von Schlomp und Kalgalath dem Schwarzen sang.

2

An vielen Stellen in dieser Geschichte reden Zwerge, Menschen und andere Wesen in ihrer eigenen Sprache oder benutzen Begriffe daraus, doch um den Leser nicht mit Fußnoten zu quälen, habe ich, wo notwendig, ihre Worte in Pellarion, die so genannte Gemeinsprache von Mithgar, übertragen. Daraus erklären sich auch ungebräuchliche oder auf den ersten Blick falsch erscheinende Schreibweisen und schließlich gibt es Ausdrücke, die sich nicht übersetzen lassen und deshalb unverändert übernommen wurden.

3

Aus den Kommentaren lässt sich schließen, dass die altertümliche Sprache der Utruni in ihrer Konstruktion dem archaischen Pellarion ähnlich ist. Dies habe ich in der Übersetzung entsprechend anzudeuten versucht, ohne dabei der Sprache Gewalt anzutun.

4

In erster Linie handelt diese Geschichte von Elyn von Jord. Doch ihre Geschichte ist so eng verflochten mit denen der Drachen, Zauberer, Zwerge und Menschen, dass ich mich, um sie richtig erzählen zu können, dazu entschloss, in der Zeit hin und her zu springen: Kapitel, die mit [Zeit der Legende] überschrieben sind, schildern die Suche von Elyn und Thork nach dem Kammerling; Kapitel, die mit [Im Jahr der Legende] überschrieben sind, spielen im selben Jahr wie die Suche, gewöhnlich ein paar Wochen oder Monate zuvor, obwohl in einigen Fällen die Ereignisse zur selben Zeit wie die Suche stattfinden. Die Zeitangaben in den anderen Kapiteln beziehen sich gleichfalls auf die Legende von Elyn und Thork.

Drachenflug

Mittwinternacht, 3E8[Vor vielen hundert Jahren]

Schlomps große gelbe Augen glitten auf. Hinter kristallinen Membranen öffneten sich lange geschlitzte Pupillen weit der nachtschwarzen Finsternis. Seine große gespaltene Zunge zuckte vor und zurück, schmeckte die Schwärze der Höhle: leer. Ätzender Geifer tropfte von tückischen Fängen und wo er auftraf, schmolz zischend und Blasen schlagend der Fels. Schlomps Lefzen trieften, denn er war mordshungrig, doch heute Nacht gedachte er sich nicht den Bauch voll zu schlagen: Er war auf andere Beute aus.

Schlomp wuchtete seinen gewaltigen Leib empor und schob sich mit schwerem Tritt voran. Lange Klauen knirschten auf dem Gestein, mächtige Beine trugen ihn zum Ausgang seiner Höhle. Ein matter Lichtschein drang um die Biegung des Ganges und Schlomp näherte sich ihm mit Vorsicht, wenngleich er wusste, dass das Licht vom Mond und den Sternen herrührte, denn Schlomp unterlag dem Bann und ins Sonnenlicht zu treten hieß für ihn, dem Tod ins Auge zu blicken.

Die längste Nacht des Jahres war hereingebrochen und Schlomp schob seine Nüstern nach draußen in die klare, kalte Winterluft. Ringsum ragten die eisbedeckten Gipfel der Gronspitzen empor, als wollten sie die glitzernden Sterne auf ihre frostigen Felszacken spießen. Schlomp blickte zum fernen Gefunkel empor: Die Nacht war erst eine Stunde alt – ihm blieb mehr als genug Zeit für sein Vorhaben.

Schlomp glitt aus seinem Lager, überquerte den breiten Felsvorsprung und verhielt am Rand der Klippe. Vor ihm fiel der Fels steil in die schwarze Tiefe ab. Silbriges Mondlicht fiel hinter ihm zwischen schwarze Gesteinsformationen, bleiche Strahlen, die sich schillernd auf Schuppenhaut brachen – ein Panzerkleid, praktisch unzerstörbar. Gewaltige Muskeln spannten und wölbten sich und mit einem Schrei, der zwischen den eisigen Klüften widerhallte, erhob Schlomp sich in die Lüfte und riesige ledrige Schwingen trieben ihn in den kristallklaren Himmel, den Sternen entgegen.

Kreisend, aufsteigend, flog er höher und höher, bis er weit über den schroffen Gipfeln schwebte. Und dann schoss er wie ein Pfeil westwärts, gen Gron, dass die Nacht unter dem Schlag seiner Flügel erbebte.

Habt Acht, ihr Völker Mithgars. Ein Drache naht.

Kampf in den Khalischen Sümpfen

Spätsommer, 3E1602[Zeit der Legende]

Wieder hallte der angsterfüllte Schrei eines Tieres durch die jähe Stille, doch das dichte, hoch gewachsene Schilf versperrte Elyn die Sicht. Zudem warf die untergehende Sonne bereits lange, tiefe Schatten, sodass schon ein paar Schritt voraus kaum mehr etwas zu erkennen war. Das Ende der Khalischen Sümpfe war immer noch eine unbekannte Wegstrecke entfernt und für Abstecher war gewiss keine Zeit, denn dies war ein schauriger Ort und Elyn wollte dessen östlichen Rand hinter sich gebracht haben, ehe die Dunkelheit vollständig hereingebrochen war, um nicht in dieser üblen Gegend zu stranden. Doch der Schrei hatte sich wie der eines Pferdes in Not angehört und Elyn war eine Vanadurin.

Sie packte das Breitschwert fester, das sie instinktiv beim Klang des Schreis gezogen hatte, und duckte sich unter den grauen Strängen eines fauligen Mooses hindurch, welche von den abgestorbenen Ästen einer sich aus dem saugenden Sumpf emporwindenden Zypresse herabhingen. »Ho, Windsbraut«, flüsterte sie ihrer Stute zu und stieß dem Grauschimmel leicht die Fersen in die Flanken, um das Tier zu einer schnelleren Gangart zu bewegen. In den Sümpfen ringsum war alles Zirpen und Sirren und Schwirren verstummt, als warteten die überraschten Bewohner mit angehaltenem Atem, um zu sehen, welcher Schrecken ihnen drohte. Nur die unaufhörliche Wolke von Mücken, Moskitos und Stechfliegen, die ihren Kopf umschwärmten, schien unbeeindruckt geblieben zu sein. Ihr Blutdurst trieb dann und wann eine oder zwei aus dem Schwarm und durch die beißenden Dünste des Gyllkrauts, um stechbereit auf Elyn oder ihrem Pferd zu landen. Elyn achtete nun nicht mehr darauf: Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf den Weg vor ihr gerichtet.

Langsam schritt der Grauschimmel voran und wiederum ertönte das erschreckte Kreischen. Dann wurde das Schilf langsam lichter und von weiter vorne hörte man das Platschen eines Tieres, das im Morast um sich schlug. Und ein lautes »Kruk! Dök, praug, dök!« – der Klang einer rauen Stimme, die fluchte.

Dann gaben die Schilfhalme den Blick frei auf einen kleinen Tümpel, vielleicht zehn, fünfzehn Schritt im Durchmesser. Und mitten darin ein panikerfülltes Pony und hinter ihm, bis zur Brust im Morast, kämpfend und fluchend – Elyns Augen verengten sich in einem jähen Aufwallen von Hass –, ein um sich schlagender Zwerg.

Als Windsbraut aus dem Schilf hervortrat, verharrte das Pony plötzlich reglos. Der Zwerg schaute auf. Sein Blick traf auf Elyns und seine Augen verengten sich – wie zuvor die ihren – beim Anblick dieses hoch gewachsenen, hellhäutigen, ledergekleideten, stahlbehelmten, grünäugigen, kupferhaarigen Menschen.

Das Licht schwand zusehends. Lange, angespannte Augenblicke vergingen, während beide sich hasserfüllt gegenüberstanden. Keiner sagte ein Wort.

Sollte ich, kann ich einen von denen retten? Elyns Gefühle waren in Aufruhr, ihre Gedanken überschlugen sich. Aber als ihre Hand zu dem Seil am Sattelknauf wanderte …

»Ich brauche keine Hilfe von dir, Mensch, denn lieber würd’ ich durch dieses Sumpfloch in die Neddra versinken, als mir von einem Ridder helfen zu lassen.« Aus seinem Munde klangen die Worte Mensch und Ridder wie Verwünschungen und Feindseligkeit funkelte aus den tief liegenden Augen des Zwergs, die immer noch Elyns Blick standhielten.

Elyn schob ihr Schwert zurück und machte Anstalten, Windsbraut zu wenden. Ach! Ich war eine Närrin, auch nur in Erwägung gezogen zu haben, einem Zwerg zu helfen! Doch als die Stute sich in Bewegung setzte, schlug das Pony wieder um sich, ächzend und schnaubend, und es verdrehte die Augen, sodass nur noch das Weiße zu sehen war. Elyn biss die Zähne zusammen und schwang Windsbraut wieder herum. »Ich kann kein Pferd einfach sterben lassen, Zwerg. Ich bin eine Vanadurin. « Jetzt war es Elyn, deren Mund eine Verwünschung ausstieß, als er das Wort Zwerg aussprach.

Elyn löste ihr Seil vom Sattel, dann warf sie die Schlinge zum Kopf des Ponys, verfehlte jedoch das panisch um sich schlagende Tier. Elyn zog das Seil ein und versuchte einen zweiten Wurf. Diesmal fiel die Schlinge genau um den Hals des sich sträubenden Ponys, nur um von dessen wilden Bewegungen wieder abgestreift zu werden.

Mit einem angewiderten Schnauben wühlte sich der Zwerg mit der Hand am Sattelzeug durch den Morast bis zur linken Vorderflanke des Ponys. »Hier, Mensch, das Seil«, befahl er hochmütig.

Elyn warf das Seil ein drittes Mal und der Zwerg streifte die Schlinge über den Hals des Ponys und zog den Knoten tief über der Brust zu.

Elyn schlang das Seil zweimal um den Sattelknauf und rief: »Zurück, Windsbraut! Zurück!«

Und mit Elyns Hilfe, die das gespannte Seil festhielt und Windsbraut zusprach, und der Kraft des Pferdes, das sich im Rückwärtsgehen ins Zeug legte, während der Zwerg, der sich am Schweif des Ponys festklammerte, von hinten drückte, kam das Tier Stück für Stück aus dem tiefen Morast ins Freie.

Und der Zwerg ebenfalls.

Elyn konnte nicht erkennen, wie der verhasste Feind denn nun genau aussah, war er doch mit Schlamm und Morast bedeckt. Zudem umschwirrte ihn eine Wolke von Insekten und ein Übelkeit erregender Gestank wie von faulen Eiern ging von ihm und dem Pony aus. Doch wie alle Zwerge war er zwischen vier und fünf Fuß groß und hatte Schultern, die anderthalbmal so breit waren wie die eines Menschen. Mehr konnte sie nicht sagen, denn die Dämmerung war nun fast in Dunkelheit übergegangen, und er war nur ein undeutlicher Schattenriss in der Düsternis.

Elyn saß hoch auf ihrem Ross und starrte voll Abscheu auf diesen verhassten Zwerg herab. Ihre Hand lag auf dem Knauf ihres Schwertes. Und er starrte zu dem verhassten Ridder empor, mit Streithammer und doppelschneidiger Axt bei der Hand. Und keiner sprach ein Wort.

Was als Nächstes geschehen wäre, vermag niemand zu sagen, denn in jenem Moment bäumte sich das Pony mit einem Wiehern des Schreckens auf und wäre durchgegangen, hätte das Seil es nicht gehalten.

Scheinbar aus dem Nichts zuckten schwarzschäftige Pfeile vorbei und wisperten von Tod in ihrem zischenden Flug. Wildes Heulen erscholl von allen Seiten und das Brechen von Schilf.

»Wa …«, rief Elyn aus, denn sie konnte die durch die Luft sirrenden tödlichen Geschosse nicht sehen, erkannte in dem Laut aber, was er war. Zur gleichen Zeit rief der Zwerg, »Gezücht!«, sprang in den Sattel des Ponys und zerrte das Seil vom Nacken des Tieres. »Flieh!«

Sie wandten sich gen Osten. Elyn ritt auf der schnellen Windsbraut dem Zwerg auf dem Pony voran. Sie zog ihr Breitschwert. Dunkle Gestalten erhoben sich vor ihr. Feinde! Bewaffnet! Und sie griffen an!

Elyns Schwert zuckte herab und schwarzer Seim spritzte von einem der Gegner auf, als er vor ihr niedersank – tot, ehe er den Boden berührte.

Windsbraut brach durch den Ring aus Stahl und lief plötzlich frei durch das Schilf. Hinter Elyn erklang der uralte Schlachtruf der Zwerge: »Châkka shok! Châkka cor!« Und sie konnte hören, wie der Zwergenhammer Knochen zermalmte, da das Pony sich ebenfalls aus dem Getümmel löste.

Und hinter sich hörte sie das Heulen der Meute, als das Gezücht die Verfolgung aufnahm.

Durch das Ried, das wie mit schmalen, biegsamen Klingen nach Pferd und Reiter schlug, ging die wilde Flucht. Elyn sah nichts als Schatten in der vorbeijagenden Dunkelheit, vage nachtschwarze Phantome, die vorüberflogen. Ich kann dieses halsbrecherische Tempo nicht mehr lange …

Plötzlich platschte Windsbraut bis zum Bauch im Wasser.

Elyn riss die Zügel an und lenkte die Stute zum Ufer zurück. In dem Augenblick galoppierte das Pony heran und der Zwerg wendete es nach links und hielt an.

»Kruk, Mensch«, knirschte die Stimme des Zwergs aus den nachtschwarzen Schatten, »sie sind uns hart auf den Fersen! Du reitest, als wärst du blind!«

Elyn stieß Windsbraut die Hacken in die Flanken und schrie: »Du blöder Trottel von einem Zwerg …«

Dämonisches Heulen erfüllte die Nacht. Wieder zischten schwarzschäftige Pfeile durch die Dunkelheit, gerade als Windsbraut das Ufer erreichte.

»Mir nach, Ridder. Châkka-Augen sehen besser als deine.« Der Zwerg trieb sein Pony voran, direkt auf eine dunkle Gestalt zu, die aus dem Schilf auftauchte, um ihm den Weg zu versperren. Zwergenhammer schmetterte durch Krummschwert, um Helm und Schädel des Feindes zu zermalmen.

Elyn trieb Windsbraut dem davoneilenden Pony nach, ungeachtet des Pfeils, der ihren Helm streifte.

Sich drehend und wendend rannte das Pony auf einem Zickzackkurs durch das tückische Moor, immer in Richtung Osten, auf der Suche nach einem Ausweg, nach dem fernen Rand der Khalischen Sümpfe. Elyn wusste nicht, welchen Hindernissen der Zwerg auswich, ob Pfühlen, Sumpflöchern, Gräben, Treibsandfeldern, Baumstrünken oder was auch immer, und sie wusste auch nicht, warum sie ihm folgte, aber sie setzte ihm nach. Nur manchmal erhaschte sie in den wabernden Schatten einen Blick auf Zwerg und Pony. Eigentlich war es eher Windsbraut als Elyn, die den beiden auf der Spur blieb, und die Stute hatte alle Mühe, dem kleinen, gelenkigen Pony auf dessen gewundenem Weg zu folgen.

Zur Rechten konnte Elyn das Jaulen feindlicher Stimmen und das Platschen im Sumpf hören. In diesem Moorgebiet kannte der Feind sich besser aus als sie, und er nutzte jede Abkürzung, um ihnen den Weg zu verlegen.

Wieder schwenkte das Pony nach links, dann nach rechts. Windsbraut folgte ihm nach. Ostwärts voraus sah Elyn den Mond über die Bäume aufsteigen. Seine blassen Strahlen sprenkelten das Ried mit silbrigem Schein. Jetzt konnte sie auch einige der Formen als das erkennen, was sie waren: Hügel, knorrige Bäume, mit Moos behangen, Büsche aus hohen, blühenden Gräsern und Schilfbündel in einem endlosen Meer aus Halmen. Auch sah sie nun, welchen Hindernissen Zwerg und Pony auswichen, da das zunehmende Licht rechts und links von glitzernden Oberflächen zurückgeworfen wurde, obgleich sie ab und zu nicht die Widerspiegelung des Mondscheins sah, sondern das unheimliche Leuchten von Irrlichtern, die manche Geisterkerzen nennen.

Wieder wurde das Heulen der Verfolger lauter und jetzt hörte Elyn rechts voraus das Platschen von vielen Füßen, das sich rasch näherte und bald ihren Weg kreuzen würde. Aber der Zwerg und das Pony flohen geradeaus weiter und bogen nicht ab, denn auf beiden Seiten glänzten Wasserflächen und Elyn konnte nur hoffen, dass sie dies Geländestück hinter sich bringen würden, ehe es das Gezücht erreichte.

Doch es sollte nicht sein. Schwarze Gestalten brachen aus der dunklen Umgebung hervor, vor und hinter ihnen, jaulend und kreischend, mit Keulen und Klingen. Und im Mondlicht sah Elyn zum ersten Mal den Feind: Rutcha! Rutcha bewaffnet mit Krummschwert und Säbel, Keule und Knüppel!

Jeder von dem Gezücht war vier Fuß hoch, dunkelhäutig, gelbäugig, krummbeinig und hatte baumelnde Arme und Fledermausohren und das Gebiss wies lückenhafte spitze Fänge auf. Und sie ergossen sich wie eine dunkle Flut über den Weg ihrer Opfer.

Der Zwerg trieb sein Pony an und Elyn ihr Pferd, denn es blieb ihnen nichts als der Versuch durchzubrechen.

Als Elyn auf die Gruppe vor ihnen traf, schmetterte ein Rutch-Knüppel gegen ihr Bein, und ihr rechter Fuß wurde taub. Sie spürte auch den Schnitt eines Krummschwerts an ihrem linken Arm und das heiße Blut vermischte sich mit dem Schweiß unter ihrer Lederkleidung.

Elyns Breitschwert trennte den Ellbogen des Rutch durch, der nach ihrem Steigbügel griff, und er fiel heulend und seinen Armstumpf umklammernd ins Dunkel zurück. Zwei weitere traten ihr in den Weg, aber sie gab Windsbraut die Fersen und ritt sie nieder und erneut hatte sie den Ring aus Eisen durchbrochen. Vor ihr flohen das Pony und der Zwerg, dessen Hammer von dunklem Blut troff.

Noch dreimal versperrten ihnen in jener gefährlichen Nacht Rutcha den Weg. Und jedes Mal brachen die beiden mit einem Schlachtruf auf den Lippen und schmetterndem Hammer und scharfem Schwert durch die Reihen ihrer Gegner. Gewiss, auch sie kamen nicht unversehrt davon, denn obgleich ungeschickt im Gebrauch der Waffen, brachten die Rutcha doch manchen Schlag an und beim letzten Gefecht am Rande des Moors gerieten beide in ärgste Bedrängnis.

Doch schließlich entzogen sie sich, zerschlagen und blutend, dem Zugriff der Khalischen Sümpfe und Pferd und Pony sprengten wie erlöst auf die Ebene von Aralon und ihrem Schicksal entgegen.

Skaldfjord

Frühling, 3E1601[Ein Jahr zuvor]

Aus den Steppen Jords kamen sie, vierzig an der Zahl. Sie waren stolz und kühn und sie ritten auf schnellen, feurigen Rossen, denn sie waren Vanadurin, Menschen mit hellem Haar. Grimmig waren ihre Gesichter und entschlossen und ihre stahlgrauen Augen durchforschten die Weite und erkundeten das Land, denn sie waren auf einem Zug in das Herz des Abenteuers und der Gefahr.

Über den Felsgrund kamen sie in Zweierreihen und stahlbeschlagene Hufe hämmerten auf den eiszeitlichen Stein. Breitschwerter, Dolche, Pfeil und Bogen und Lanzen, all das war eingehüllt für den langen Ritt, doch würden die Waffen rasch zur Hand sein, wenn es Not tat. Die Männer trugen Helme aus Stahl, dunkel und matt glänzend, doch mit Helmbüschen aus Pferdehaar und Hörnern und wehenden Schwingen. Über den Kettenhemden hatten sie Jacken aus Schaffell an und darüber dicke Mäntel, um sich der eisigen Kälte eines dünnen Morgennebels zu erwehren, der vom fernen, nebelverhüllten Ozean über die Steilklippen auf dieses hohe, kahle Land aus Stein kroch.

Auf einem nachtschwarzen Ross ritt ein kupferhaariger, grünäugiger Krieger voran, ein Jüngling, der erst vor sieben Sommern zum Mann geworden war – und doch war er Hauptmann dieser Truppe, wenngleich sein Helm keine Zier aufwies. An seiner Seite ritt ein bejahrter Kämpe, dessen blondes Haar bereits von des Winters Reif gezeichnet war. Dunkle Rabenschwingen breiteten sich an den Seiten seines Helmes aus. Dies waren Jung Elgo und Ruric, sein Getreuer, und hinter ihnen ritten weitere achtunddreißig der kühnen Harlingar. Sie waren auf dem Weg nach Skaldfjord am Borealmeer.

Es war im Frühling des Jahres 1601 der Dritten Era, eine Zeit, als die Vanadurin noch in den nördlichen Gefilden lebten, in Jord, und die Völkerwanderung, in deren Verlauf sie die großen Grasebenen von Valon dem Usurpator von Caer Pendwyr entreißen würden, noch Jahrhunderte in der Zukunft lag. Dann, nach dem Ende des Großen Krieges, würden sie das Jordreik verlassen und schließlich fern im Süden in den weiten Wiesen jenes grünen Landes heimisch werden, das vom Blut ihrer Toten geweiht war, ein Reich, das der rechtmäßige Hochkönig den Harlingar als Lohn geben würde für ihre Beteiligung an der Niederwerfung des Tyrannen.

Aber diese Ereignisse lagen zu jener Zeit noch mehr als vierhundert Jahre in der Zukunft; in diesem Frühjahr 1601 der Dritten Era durchstreiften die Vanadurin noch die hohen Steppen von Jord, wo die milden Sommer grün waren und blühend und voller Licht und Wärme in den langen, langen Tagen, die harten Winter hingegen voll Eis und Wind und seltsamen schillernden Farben in Bändern von Zauberlicht hoch in der späten Nacht.

Doch jetzt war es Frühling, wenn das Blut sich regt und der Geist erwacht und der Mensch sich aufmacht, die Dinge zu tun, die er in den langen kalten Zeiten der Dunkelheit geplant hat.

Und so hatte Elgo eine Heerschar von vierzig Harlingar gesammelt, die begierig waren, ihm beizustehen, und von denen jetzt neununddreißig um ihn waren, denn einer war vorausgeritten.

Hoch gewachsen und stolz war Elgo und ein Prinz des Reiches, denn er war König Aranors einziger Sohn und würde der Nächste sein, die Harlingar zu führen. Doch Elgo war nicht damit zufrieden, am Hofe zu bleiben und seine Zeit mit Staatsgeschäften zu verbringen. Nein, wie schon sein Vater war Jung Elgo ein Mann der Tat. Es war erst zwei Sommer her, dass Prinz Elgo durch einen klugen Plan und tollkühne Verwegenheit eigenhändig Golga, den grausamen Ogru vom Kaagor-Pass erschlagen hatte, einer langen, geraden, steilwandigen Rinne hoch im Grimmwall. Und der Tod dieses großen Trolls hatte jenen Handelsweg endlich wieder sicher gemacht.

Und vor jener Tat hatte es andere kühne Unternehmungen gegeben – wie damals, als der Prinz mit nur einer Hand voll Krieger die Naudron-Eindringlinge über die Ostgrenze zurückgedrängt hatte, zurück in ihr eisiges Reich; oder die dreitägige Jagd über das Hochfjelt auf der Spur von Flammenfell, dem roten Hengst, bis sie das stolze Ross schließlich in den blauen Wassern des Himmelsees gefangen hatten; oder der Tag, an dem Elgo die schöne Arianne unter der Nase Hagors entführt und die schöne Maid auf dem Rücken von Nachtschatten heimgeholt hatte, auf dass sie seine Braut werde.

Doch allein Taten wie diese waren es nicht, was Männer zu seinem Banner zog. Geschweige denn kamen sie, weil er Aranors Sohn war. Vielmehr lag es daran, dass der Prinz ein kluger Führer war wie auch ein mächtiger Krieger – trotz seiner Jugend, trotz seines hochfahrenden Stolzes … oder vielleicht auch deswegen – und wo Elgo war, da war das Abenteuer.

Und jetzt hatte Elgo einen anderen Plan.

Und diesmal war er aus auf Dracongield.

Und der Tag wurde älter, der Morgendunst floh vor der aufgehenden Sonne. Und die Reiter kamen endlich zu dem hohen, windumtosten Rand der zerklüfteten Meeresklippen. Unter ihnen donnerte der Ozean gegen uralten Fels, wetzte unmerklich Sandkorn um Sandkorn vom festen Land, während anderswo, entlang unterseeischer Spalten, geschmolzene Lava aus den Eingeweiden der Welt emporgeschleudert wurde und ebenso unmerklich neues Land langsam aus den dunklen Tiefen emporkroch, als der ewige Kampf um die Herrschaft seinen Fortgang nahm.

Zwei Stunden ritten die Harlingar den Höhenweg entlang gen Norden und kamen schließlich zu einem schmalen Meeresarm zwischen steilwandigen, fichtenbestandenen Hängen. Es war der Skaldfjord, wie mit der Axt eines Riesen in das Gestein gehauen. Kristallklar war sein Wasser, doch so tief, dass es eine fast schwärzliche Tönung besaß. Und die große Kerbe zog sich weiter ostwärts ins Land hinein, ehe sie sich um eine Biegung nach Norden den Blicken entzog. Und dort entlang, am Rande der hohen Klippe, ritten die Männer.

Als sie schließlich die hohe Biegung umrundet hatten, konnten sie tief unter sich am Rande des Wassers eine kleine menschliche Siedlung erkennen: Häuser, die sich am Ufer des Fjords zusammenduckten, umgeben von einer hohen Palisade aus Baumstämmen.

Als das befestigte Dorf ins Blickfeld kam, hob Elgo die Hand und die Kolonne kam schwerfällig zum Halten. Pferde schnaubten, Leder knarrte. Für geraume Zeit standen die Vanadurin dort und blickten herab.

Dünne Rauchfäden stiegen hier und dort aus Kaminen auf und zwischen den winzigen Gebäuden war Bewegung zu erkennen.

Doch es war nicht das Dorf allein, das ihren Blick anzog, denn vertäut vor der Hafenmole lagen vier Drachenschiffe. Ihr großer Rumpf wirkte klein durch die Entfernung. Auch drei Hochseeknorren lagen dort vor Anker, Handelsschiffe, überragt von ihren hochbordigen Nachbarn. Und hier und dort hüpften Fischerboote wie Korken auf den Wellen.

Elgo gab seinen Männern das Zeichen zum Absitzen und rief sie zum Kriegsrat zusammen. Und er sprach zu ihnen in Valur, der alten Kampfsprache der Harlingar. Seine Stimme war gedämpft, doch alle konnten ihn hören.

»Harlingar, Söhne Harls, von diesem Punkt an werden wir kein Wort über unsere Absichten mehr verlieren, denn Lauscher könnten uns hören – Lauscher, die vielleicht sogar die Sprache der Vanadurin beherrschen. Und sollte uns unvorhergesehen ein böses Schicksal ereilen, dann wäre unser Plan in den gierigen Händen jener anderen und der Schatz, den wir erringen wollen, verloren.

Dort liegt unserer erstes Ziel: Skaldfjordstad. Ihr könnt sehen, dass Reynor seine Aufgabe erfüllt hat. Denn die Drachenschiffe unter uns sollen uns zu den Gestaden jenes fernen Landes tragen, wo unser Ziel liegt. Diese Schiffe werden mit Fjordsleuten bemannt sein – sie kennen die Wege des Meeres, wir hingegen nicht. Doch selbst diese wackeren Verbündeten dürfen wir nicht ins Vertrauen ziehen, denn es heißt, dass der Fluch des Dracongield die Herzen der Menschen auf seltsame Weise befällt.

Also schweigt von nun an über unsere Pläne. Wenn es unumgänglich wird, davon zu reden, sprecht nur in Valur, denn diese Sprache ist nur wenigen bekannt, die nicht von Harls Blut sind – und selbst dann redet nicht offen darüber, sondern verbergt den Sinn eurer Worte.«

Elgos Blick wanderte über den Kreis seiner Männer hinweg und Entschlossenheit sprach aus ihren Augen, denn keiner wollte die Beute in andere Hände als die der Vanadurin fallen sehen.

Elgo nickte Ruric zu und auf den scharfen Befehl des alten Kämpen saßen alle wieder auf und die Kolonne nahm ihren Weg auf das ferne Dorf zu. Doch ein einsamer, ungebetener Gedanke ließ Ruric nicht los: Wenn der Fluch des Dracongield die Herzen der Menschen auf seltsame Weise befällt, mein stolzer Prinz, wie wird er unsereins dann berühren?

Sie folgten gerade einem steilen, gewundenen Pfad, der in die baumbestandenen Hänge des Fjords einschnitt, als von unten der dumpfe Ton eines Auerochsenhorns erscholl: Ta-ruuu! Ta-ruuu! Tan-tan, ta-ruuu! (Alles frei! Alles frei! Reiter und Verbündete, der Weg ist frei!)

Daraufhin hob Elgo sein eigenes Horn an die Lippen und stieß zur Antwort hinein.

Sie ritten weiter durch die Bäume abwärts und kamen schließlich zu der Freifläche, die rings um das Dorf zum Schutz gegen die Räuber des Meeres gerodet worden war.

Aus dem Schatten der Palisade kam Jung Reynor geritten, und als er näher kam, sah man, dass seine blauen Augen strahlten, und sein Gesicht von einem breiten Lächeln überzogen war.

»Hál, mein Prinz!«, rief der blonde Jüngling aus, der nur ein Jahr weniger zählte als Elgos knapp zweiundzwanzig Lenze. »Skaldfjordstad steht Euch offen!« Und er wandte sich um und gab den Wachen auf der Befestigung ein Zeichen.

Als die Kolonne der Harlingar durch das offene Tor einritt, konnte Elgo sehen, dass das ganze Dorf sich versammelt hatte, um diesen Prinzen aus fernem Land zu sehen. Doch hier und dort sah er unter dem Fischervolk auch die härteren Gesichter von anderen, von Kriegern, von Drachenschiffbesatzungen. Fjordleute waren sie alle, doch einige zogen ihre Beute aus dem Meer, während andere über das Meer zogen, um Beute zu machen.

Die Fjordleute hatten blondes, rotes oder kupferfarbenes Haar und ihre Haut war hell. Einige trugen große, breite Schnurrbärte. Flachs-, honig- und bernsteinfarbene Zöpfe schmückten die Frauen und sie hatten bleiche Gesichter, einige auch Sommersprossen. Und von überall blickten helle blaue Augen auf die Reiter. Doch all dies überraschte Elgo nicht, denn es hieß, dass Fjordleute und Harlingar demselben Volk entstammten, wenngleich nun die einen das weite Meer mit Schiffen befuhren und die anderen auf Pferden über die endlosen Weiten der Steppe ritten.

Reynor führte die Kolonne zur Stadhåll, einem großen, mit Grassoden gedeckten Langhaus in der Mitte des Dorfes. Und dort auf den hölzernen Stufen erwarteten den Prinzen die Dorfältesten zusammen mit den Kapitänen der Drachenschiffe.

Die formelle Begrüßung war kurz, aber herzlich, und die anschließende Bewirtung Elgo und seinen Männern sehr willkommen, denn sie hatten viele Tage im Sattel gesessen und der Wegzehrung wird die Zunge bald überdrüssig.

Spanferkel gab es und Fisch und frisch gebackenes Brot sowie einen dicken Gemüseeintopf. Hörner mit Bier und Met wurden herumgereicht und Skalden sangen von den Helden der Altvorderenzeit. Und Elgos grüne Augen leuchteten auf, als er von solchen Männern und ihren Taten hörte. Früh während des Festes trug ein Sänger die Ballade von Schlomp dem Wurm und dem Schatz von Schwarzstein vor. Und während dieser Geschichte war es schwer für die Vanadurin, den Anschein höflichen Interesses zu wahren, doch keiner der Fjordleute schien von ihrem verdächtigen Schweigen Notiz zu nehmen. Aber der Augenblick ging vorbei, die Geschichte war zu Ende und ein anderer Barde stimmte die schlüpfrige Ode von Snorri, Borris Sohn, und der mystischen Maid des Mahlstroms an und die Harlingar fielen mit Inbrunst in den Gesang der Übrigen ein.

Bis tief in die Nacht hinein dauerte das Fest und der Gesang an. Doch selbst die Jungen müssen einmal schlafen, und so geschah es. Einige nickten über ihren Tellern ein, während andere sich auf dem Boden zusammenrollten. Wieder andere fanden eine willige Maid und wohin sie gingen, wird nicht erzählt. Und unter denen, welche die Stadhåll verließen, um ein vorbereitetes Nachtlager aufzusuchen, waren Elgo und Ruric.

Als der Schlaf ihn übermannte, kehrten Rurics Gedanken zu Schlomp zurück und zu der Zeit, als Elgo erstmals davon hörte, wie der große Kaltdrache über Schwarzstein gekommen war; denn wenn man so will, war es Ruric gewesen, mit dem die ganze Geschichte begonnen hatte …

Die Prüfung

Frühling, Sommer und Herbst, 3E1589[Dreizehn Jahre zuvor]

Tock! Tock, tock! Klack, klack!

Ruric zügelte Feuerstein, dass der weiß gefleckte Falbe abrupt auf dem taufeuchten Rasen zum Halten kam. Der Krieger auf Feuersteins Rücken legte den Kopf auf die Seite und versuchte, über dem Schnauben des Pferdes etwas zu hören.

Tock! Klack! Tock!

Da! Rurics Augen suchten nach der Quelle. Das kommt aus dem Dickicht. Klingt wie Fechtstöcke.

Leise saß Ruric ab, führte Feuerstein zu den Bäumen und schlang den Zügel um einen Ast.

Der Krieger suchte sich einen Weg durch das dichte Gehölz und gelangte schließlich zum Rand einer Lichtung, wo zwei Pferde angebunden waren. Im Dickicht verborgen, sah Ruric voll Staunen zu, wie zwei Halbwüchsige wild aufeinander eindroschen. Ihre Kampfstöcke blitzten auf der sonnenbeschienenen Lichtung.

Plötzlich stolperte einer rückwärts und setzte sich schwer auf den Hintern. Sein Stab flog durch die Luft.

»Elyn!« Die Züge des Jungen waren vor Zorn verzerrt. »Das hast du mit Absicht getan!«

Elyn stand einen Augenblick schwer atmend da. Schweiß lief ihr in Rinnsalen über das Gesicht.

»Lass mich mal sehen.« Ihre Stimme war sanft, als sie ihren Stock beiseite legte und neben ihm im Gras niederkniete, ihr Stirnband abnahm und mit dem Tuch nach seinem Gesicht langte.

»Nein!«, keuchte Elgo und warf den Kopf zur Seite. Blut lief ihm aus der Nase. »Nein!«, rief er nochmals, sprang auf und rannte zu seinem Pferd.

Elyn sah ihm nach, stand dann auf und band sich das Haar wieder zurück. Sie bückte sich, hob seinen Stock mit auf und folgte ihm, ein schlaksiges, fast elfjähriges Mädchen, das hinter einem fast elfjährigen Jungen herlief.

Elgo prallte plötzlich zurück und hätte sich beinah einmal mehr auf den Hintern gesetzt, hätte ihn nicht eine starke Hand aufgefangen, ehe er zu Boden ging.

»Haltet ein, mein Prinzling.« Rurics Stimme war grimmig, und Elgo blickte überrascht auf, denn in seinem Zorn hatte er kaum mehr nach vorn geblickt und war mit dem Krieger zusammengestoßen, der im Schatten am Rande der Lichtung verborgen stand.

»Waffenmeister Ruric, ich habe Euch nicht gesehen.« Elgo senkte den Kopf und wandte ihn zur Seite, um seine blutige Nase zu verbergen.

Doch Ruric ließ sich nicht narren. Er fasste den Knaben am Kinn und drehte das Gesicht zu dem eigenen hoch. »Nun, Jüngling, wollen wir uns erst mal um Euren lecken Zinken kümmern. « Und als Elyn zu ihnen trat: »Ihr hattet den rechten Gedanken, Prinzessin. Wir werden Euer Stirnband brauchen.«

Der Waffenmeister führte sie beide zum moosigen Ufer eines klaren Bächleins, das zwischen den Bäumen sprudelte. Elgo schmollte. Elyn versuchte beide Stöcke gleichzeitig zu halten, während sie ihr Haar losband. Ruric lächelte still in sich hinein.

»Stolz, Bub, Stolz«, knurrte Ruric, indem er am Bach niederkniete und das Tuch in das eiskalte Wasser tauchte. Er ließ den Jungen sich im weichen Gras niederlegen und presste das kalte Tuch in Elgos Nacken. »Stolz ist vieler großer Männer Sturz gewesen. Sie waren zu stolz, um aus ihren Fehlern zu lernen, und das hat ihren Fall herbeigeführt. Es wird eines Tages auch Euer Unheil sein, wenn Ihr nicht lernt, Euren stolzen Sinn zu bezähmen. «

Elyn setzte sich auf dem weichen Moos nieder, dessen winzige Blüten sich bereits in der Frühlingssonne geöffnet hatten, und atmete ihren süßen Duft ein, während Ruric ein weiteres Tuch aus seinem Ärmel zog, es anfeuchtete und über Elgos Nase legte. »Das wird Euren Kopf kühlen und die Blutung stillen.«

Während Elgo die beruhigende Kühle einsog, lehnte sich der Waffenmeister gegen einen Birkenstamm und blickte mit einem Lächeln zu Elyn hinüber. Dann wandte er sich wieder Elgo zu und seine Stimme nahm einen tadelnden Tonfall an. »Stolz«, sagte er, »hindert das Lernen. Sagt mir, Bub, wie konnte Elyn Eure Verteidigung durchbrechen, mit ihrem Stock an Eurem vorbeikommen? Könnt Ihr mir das erklären?«

»Ein fauler Trick …«, begann Elgo, doch das Aufbrüllen des Waffenmeisters ließ ihn verstummen.

»Schweigt!« Rurics Züge hatten sich verfinstert und Elgo wie auch Elyn schraken vor seinem Grimm zurück. »Habt Ihr denn nicht gehört, was ich sagte? Trollgebein und Drachenhaut, Junge, wie könnt Ihr erwarten, einmal König zu werden, wenn Ihr in solcher Dummheit verharrt?«

Ruric blickte finster auf den Jüngling hernieder und langsam schien der Zorn zu verebben. »Versuchen wir’s noch mal, Bub«, sagte er dann, etwas gelassener, »aber diesmal jault nicht wie ein Welpe, sondern denkt, bevor Ihr sprecht. Sagt mir nun als Krieger, als Vanadurin, als Harlingar, wie kam Elyn an Eurer Deckung vorbei?«

Elgo, ein wenig gedämpft, aber immer noch schmollend, dachte nach. »Ich weiß es nicht«, meinte er schließlich mürrisch.

»Ha!«, krähte Ruric und beugte sich vor. »Genau darum geht’s, Jüngelchen, Ihr wisst es nicht! Und wenn Ihr beleidigt abzieht, werdet Ihr es auch nie erfahren!« Die Stimme des Kämpen nahm an Schärfe zu. »Und das nächste Mal werdet Ihr denselben Fehler machen und genauso eins auf die Nase kriegen. Und solltet Ihr so einen Fehler machen, wenn Ihr erwachsen seid … nun, dann werdet Ihr ihn womöglich nicht überleben.«

Einmal mehr lehnte sich Ruric gegen den Baum und seine Stimme wurde sanfter. »Ach, Bub. Ich will gewiss nicht, dass Ihr Euer Feuer verliert, aber Ihr solltet von denen lernen, die es besser können als Ihr. Und im Stockfechten ist Elyn Euch überlegen. Darum solltet Ihr Eurer Schwester zuhören, sofern sie weiß, was sie getan hat und wie sie es getan hat. Und selbst wenn es nur ein Zufall war, solltet Ihr trotzdem versuchen, dahinterzukommen … und daraus zu lernen.«

Ruric schwieg, und einen langen Moment war nichts zu hören außer dem Plätschern des Baches und dem Rauschen der frischen Brise in den Bäumen. Schließlich kam Elgos Stimme: »Wie hast du das gemacht, Elyn?« Seine Worte klangen, als brächte er sie nur widerstrebend heraus.

Elyn blickte von der kleinen Blume auf, die sie hielt, sah Ruric an und auf sein Nicken hin wieder auf ihren Zwillingsbruder. »Wenn du mit dem linken Fuß zurücktrittst und dann wieder nach vorn, senkst du jedes Mal die linke Schulter, um von unten zu schlagen. Ich habe einfach abgewartet und dann mit dem Stock zugestochen, als du nach vorne kamst.«

»Ai-oi!«, rief Ruric aus. »Eine Kriegsmaid!«

»Ja!«, rief Elyn und warf die Blume beiseite. Ihr Gesicht war mit jäher Röte überzogen. »Ja! Das möchte ich sein, Waffenmeister Ruric. Eine Kriegsmaid wie in der Altvorderenzeit.«

Ein Blick der Überraschung und dann des Staunens trat in Rurics Augen, doch ehe er etwas erwidern konnte, fuhr Elyn schon fort: »Ja, Waffenmeister, eine Kriegsmaid.« In Elyns klaren Augen stand ein hellgrünes Funkeln und ihre Worte überschlugen sich: »Ich kann schon mit der Schleuder umgehen. Und Elgo hat mir das Stockfechten beigebracht. Aber ich brauche noch Übung mit dem Bogen … und … und auch mit dem Streitwagen.«

Jetzt brach Ruric doch in Gelächter aus. »Ho, Mädel, mit dem Streitwagen auch?«

Elyn wich von seinem Lächeln betroffen vor dem Waffenmeister zurück. Ruric wurde plötzlich ernst. »Ah, Prinzessin«, sagte er, »Streitwagen werden heute nicht mehr benutzt, abgesehen von den Spielzeugen beim Wagenrennen am Mittjahrsfest. Einen richtigen Streitwagen hat es seit Hunderten von Jahren nicht mehr gegeben. Das heißt, vielleicht modert noch einer im Museum des Avenkönigs dahin, aber Kriegsmaiden als Streitwagenlenkerinnen gehören der Vergangenheit an.«

Auf diese Worte hin schnaubte Elgo und das Blut lief ihm wieder aus der Nase. Verärgert hielt er sich das nasse Tuch vors Gesicht. Zorn schwang in seiner gedämpften Stimme. »Siehst du, Elyn! Ich hab’ dir doch gesagt, es hat keinen Sinn! Es tut mir Leid, dass ich je damit angefangen habe.«

Ruric warf dem Jungen einen schiefen Blick zu. »Träume sind nicht sinnlos! Irregeleitet vielleicht, aber nicht sinnlos.«

Elgo schniefte.

Verärgert über ihren Bruder, doch ermutigt durch Rurics Worte sprach Elyn voller Eifer: »Ja, Waffenmeister, ich habe einen Traum: eine Kriegsmaid zu sein, wie es sie damals gab in den Tagen Harls des Starken. Wagenlenkerinnen. Speerwerferinnen. Bogenschützinnen, Schleuderer. Kämpferinnen mit dem Stock und manchmal sogar mit dem Schwert oder anderen Klingen im Nahkampf. Späherinnen und Botinnen auch, wo das kleinere Gewicht einer Maid zu Pferd es möglich macht, weit auszureiten und große Entfernungen zurückzulegen.« Elyns Stimme sank und sie blickte zu Boden. »Ja, das möchte ich sein, Waffenmeister.«

»Aber Mädel, das alles endete mit dem Großen Krieg«, entgegnete Ruric. »Denn das Volk der Vanadurin war so ausgedünnt worden, so ausgeblutet, Krieger wie Kriegerinnen, dass die überlebenden Frauen beschlossen, ihre Waffen beiseite zu legen, dem Krieg zu entsagen für Herd und Heim, um Kinder statt Schwertern zu tragen, denn nur so konnten die Harlingar überleben. Und das, mein Kind, ist der Grund, weshalb es heute keine Kriegsmaiden mehr gibt.«

»Aber, Waffenmeister, das war vor Tausenden von Jahren!«, widersprach Elyn heftig. »Die Harlingar sind groß und stark. Es ist nicht mehr nötig, dass alle Frauen am Herd sitzen, dass alle Frauen die Kinder nähren, dass alle Frauen Heim und Hof hüten. Wie es einst war, so sollte es wieder sein. Es ist Zeit, dass die Kriegsmaiden wiederkehren.« Elyn schob das Kinn vor und zum ersten Mal bohrte sich ihr grün funkelnder Blick hart in Rurics blaue Augen.

»Pah!«, sagte Elgo mit einem verächtlichen Schniefen.

»Ach!«, knurrte Ruric, den die Haltung des Jungen zur Weißglut brachte. Am liebsten hätte er den Burschen übers Knie gelegt und ihm eine Lektion erteilt, die dieser so schnell nicht vergessen hätte. Stattdessen wandte sich der Kämpe in seinem Zorn an die Prinzessin: »Nun gut, Mädel, schließen wir einen Pakt: Ich lehre Euch die Fertigkeiten einer Kriegsmaid, aber Ihr müsst bei der Sache bleiben. Solltet Ihr nicht mehr folgen können oder das Interesse verlieren, ist Schluss, aber solange Ihr Euch Mühe gebt und Fortschritte macht, werde ich Euch ein Lehrer sein.«

Zu seiner Zufriedenheit hörte Ruric Elgo stöhnen und beobachtete, wie der Prinz sein Gesicht mit dem feuchten Tuch bedeckte, um nicht mit ansehen zu müssen, wie Elyn die Arme um den Hals des alten Kämpen schlang. Aber die klammheimliche Freude des Waffenmeisters über Elgos Unbehagen schwand rasch, als ihm aufging, auf was er sich da eingelassen hatte.

Ruric hielt sein Versprechen. Tag um Tag traf er sich mit Elyn auf der Lichtung am Bach. Und auf Geheiß des Waffenmeisters nahm auch Elgo an diesen Übungsstunden teil, denn Ruric wusste, dass Elyn einen Gegner von ihrer eigenen Größe und Statur brauchte, und er wusste auch, dass Elgo nicht nur zum Lernen kam, sondern auch, um zu verhindern, dass seine Schwester ihn überrundete. Denn Elgos Ausbildung auf den Übungsplätzen der Vanadurin würde erst in einem Jahr und zwei Monaten beginnen, mit zwölf, und so war der Prinz begierig darauf, etwas zu lernen und sein wachsendes Geschick im Kampf zu erproben, wenn er auch lieber gegen Jungen seiner eigenen Altersklasse angetreten wäre. Doch selbst unter diesen Bedingungen war Elgo im Nachteil, denn Elyn war jetzt in dem Alter, wo sie die nächsten zwei oder drei Jahre stärker, schneller und flinker sein würde als ihr nur wenige Augenblicke älterer Zwillingsbruder, dessen Mannwerdung noch bevorstand.

Und so hallte das Gehölz vom Geklapper hölzerner Breitschwerter und dem Geklacke von Stöcken wider, dem Zischen von Pfeilen und dem Sirren von Steinen, die aus der Schleuder zuckten. Und Speere wurden geworfen, mit »Dolchen« wurde gerungen und Ruric gelang es sogar, einen Streitwagen herbeizuschaffen und seinen Schülern zu zeigen, wie man ihn im Kampf lenkte.

Und der Waffenmeister stellte sie immer wieder vor neue Aufgaben und zeigte ihnen neue Methoden, einem Angriff zu begegnen, und neue Fähigkeiten, die sie lernen mussten.

Und sie lernten, obwohl Ruric sie oft unterbrach und den einen oder den anderen manches Mal ausschimpfte:

»… Halt! Bei Andraks schwarzen Nägeln, Junge, das war wieder Euer Stolz. Wollt Ihr es denn nie lernen, junger Prinz? Hört mir zu: Eure Schwester hat bei Eurem Angriff kühlen Kopf bewahrt, aber Ihr wurdet zornig, als sie zum Angriff überging, und da habt Ihr Eurem Temperament nachgegeben und ihr so gestattet, Euch zu treffen.«

»… Elyn, Elyn, was soll ich nur mit Euch machen? Bei dieser Übung ist es Eure Aufgabe, den Streitwagen zu lenken, und Elgos, den Speer zu werfen. Hört auf, ›Jetzt!‹ zu brüllen, wenn Ihr glaubt, die Lanze müsse geworfen werden. Es liegt an ihm, das zu beurteilen. Bei Adons Hammer, Mädchen, konzentriert Euch darauf, die Pferde gerade laufen zu lassen, anstatt im Zickzack wie betrunkene Möwen.«

So verging der Sommer und es wurde Herbst und immer noch gingen die Übungsstunden weiter. Inzwischen waren diese am Hof längst ein offenes Geheimnis, doch König Aranor verbot sie nicht, war er doch erfreut darüber, dass Elgos Ausbildung so früh begonnen hatte, während er sich über Elyns Interesse an Waffenkunde nur leicht befremdet zeigte. Doch Elyns Tante Mala, Tochter des Grafen Bost von den Fianhügeln in Pellar, die ältere Stiefschwester der verstorbenen Mutter der Zwillinge, Alania, war schockiert über Elyns Verhalten. Immerhin hatte Mala einige Zeit am Hofe des Hochkönigs zu Caer Pendwyr verbracht und wie Mala sagte: »… keine Dame an jenem Hofe würde auch nur davon träumen, die Kriegskunst zu erlernen, geschweige denn eine Kriegerin zu werden.«

Und Mala nörgelte und nörgelte, bis schließlich im Herbst trotz Rurics Einwänden Aranor dem Waffenmeister gebot, Elyn zum Kampfplatz zu bringen, wo Mut und Geschick der Kriegermaid gegen einige der älteren Burschen erprobt werden sollten, auf dass, so Mala, »… sie die Narretei ihres Tuns einsieht und sich den Dingen zuwendet, die sich für ein Mägdelein von edlem Geblüt geziemen.«

Langsam dämmerte der Morgen herauf und ein klammer Nebel hüllte alles ein. In den Niederungen wallte der Nebel in dichten Schwaden, doch um die Zinnen der Burg zogen nur dünne Schlieren und umhüllten das Licht der Pechfackeln mit einem dunstigen Schimmer. Burgtüren öffneten sich dröhnend und der König trat hervor, umgeben von seinem Gefolge, während Stallknechte mit Rossen am Zügel herbeieilten. Mit großem Lärm und Kettengerassel wurde das Fallgitter hochgezogen und das Tor geöffnet, als der Zug aufsaß und über den gepflasterten Hof und auf das neblige Feld sprengte.

Als sie zum Übungsplatz kamen, saßen alle ab und begaben sich auf ihre Plätze. Aranor, ein Mann in den Vierzigern, nahm in der königlichen Loge Platz und er zeigte mit keiner Geste, dass er Elyn kannte. Doch jeder, der auf Aranor blickte, konnte erkennen, dass Elyn und Elgo beide seinen Lenden entsprungen waren. Grüne Augen blickten aus einem offenen Antlitz und seine breite Stirn wurde bedeckt von einer Mähne aus kupferrotem Haar. Und diesbezüglich glich er seinen Kindern. Doch es war seine Haltung – aufrecht, anmutig und kraftvoll –, die ihn als Vater der Zwillinge auswies, wie auch ein Ausdruck tief in seinen Augen. »Der Falkenblick«, nannten ihn einige. »Nein, der Blick des Adlers«, meinten andere. Doch Falke oder Adler, derselbe Geist stand auch in Elyns und Elgos Zügen und bisweilen waren die Bewegungen der Zwillinge von einer Geschmeidigkeit und Leichtigkeit, die ihren Vater verriet – wenngleich Aranor auf Fragen stets behauptete, ihre Mutter habe den Zwillingen eine solche Anmut vererbt.

An Aranors Seite saß Mala. Ihr schwarzes Haar war wie üblich zu einem engen Knoten im Nacken zusammengezogen. Es war eine Stunde, die sie sonst nicht kannte, und ihr eisiger Blick und ihre schmalen Lippen sprachen Bände. Doch in ihren zusammengekniffenen Augen lag auch die Erwartung des nun bevorstehenden Triumphs, denn jetzt würde Elyn endlich erkennen müssen, wie närrisch sie gewesen war.

Elgo, dem es peinlich war, an der ganzen Sache beteiligt zu sein, rutschte auf einer der Bänke vor der königlichen Loge hin und her. Einige andere junge Burschen, Knappen zumeist, saßen bei ihm.

Draußen auf dem Platz stand Elyn. Ihr Gesicht war bleich, als hätte sie die Nacht zuvor kaum geschlafen. Doch ihre Augen waren hell und klar.

Auf dem Platz war auch eine Zielscheibe aufgestellt, ein schwarzer Umriss von einem des Rutcha-Gezüchts.

Ardon, ein Junge von vierzehn Sommern, wartete etwa zwanzig Schritt von der Scheibe entfernt mit gespanntem Bogen.

Als Ruric mit Elyn zur Abschusslinie ging, meinte er nur: »Mut, Mädel. Denkt daran: einatmen. Halb ausatmen und Atem anhalten. Ziehen. Ziel nehmen. Loslassen.«

Elyn nahm neben dem Burschen Aufstellung. Jeder bekam vier Pfeile. Elyn stand gerade wie ein junger Baum, legte den Pfeil auf die Sehne und spähte durch das Morgenlicht zu dem fernen Ziel.

»Gewiss werdet Ihr an diesem Sport nichts auszusetzen haben«, murmelte Aranor mit einem Blick auf Mala, die ein zartes Spitzentaschentuch als Schutz gegen die ziehenden Nebelschwaden vor Mund und Nase hielt. »Damen haben sich stets mit Pfeil und Bogen vergnügt.«

»Majestät belieben zu scherzen«, zischte Mala. »Diese Zielscheibe ist grässlich. Und sie hält keinen Bogen für Damen, sondern einen für Krieger – eine Waffe zum Töten!«

»Nicht der hässliche Bogen tötet den Feind, sondern der schlanke Pfeil«, erwiderte Aranor schroff.

Die beiden verstummten. Die Luft zwischen ihnen war geschwängert mit Malas Missfallen und Aranors Verärgerung. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich nun auf die zwei Bogenschützen auf dem Platz. Sie beobachteten, wie Ardon und Elyn tödliche Geschosse auf den Schattenriss zuschwirren ließen.

Die Pfeile bohrten sich mit dumpfem Aufschlag in die Zielscheibe, einer nach dem anderen, und alle vier Schiedsrichter traten vor, darunter auch Ruric.

»Alles Volltreffer, Majestät«, rief Agnor, der älteste der Schiedsrichter. »Drei von Ardons Pfeilen stecken enger zusammen als Prinzessin Elyns, doch sein vierter liegt außerhalb ihrer Trefferfläche. Ich würde meinen, der Ausgang ist unentschieden!«

Verärgert über die Entscheidung drehte sich Ruric auf den Fersen um und stapfte davon.

»Vier weitere Pfeile für jeden!«, rief Aranor, ohne sich um Malas verärgertes Zischeln zu scheren.

Während Ardon und Elyn sich auf ihre Schüsse vorbereiteten, ging Ruric zur Prinzessin. »Ruhig, Mädchen. Befreit Eure Gedanken von allen Ablenkungen. Denkt nur an das, was Ihr gelernt habt. Und vergesst nicht, Euch vorzustellen, wie Euer Pfeil die Zielscheibe mitten ins Schwarze trifft.«

Wieder zuckten acht Pfeile auf die Zielscheibe zu und wiederum traten die Schiedsrichter heran und betrachteten das Muster, das sich gebildet hatte.

»Wieder allesamt Volltreffer!«, rief Agnor. »Eines Kriegers Hand könnte die Einschläge von Ardons Pfeilen bedecken« – und Elyn sank das Herz –, »doch eine Kinderhand die der Prinzessin. Elyn hat gesiegt!«

Mit einem breiten Grinsen nahm Ruric Elyns Bogen und reichte ihr den Kampfstab.

Als Ardon auf der Bank der Knappen Platz nahm, erhob sich ein leises Murren unter den andern Burschen, dass er sich von einem Mädchen hatte schlagen lassen. Elgo bemühte sich, möglichst unsichtbar zu bleiben.

In der Loge lächelte Aranor Frau Mala zu, doch sie würdigte ihn keines Blickes.

Der zwölfjährige Bruth war als Elyns Gegner im Stockfechten auserkoren. Wie zuvor schon Ardon war auch er einen halben Kopf größer als Elyn. Doch während Körpergröße beim Bogenschießen wenig ausmachte, würden Bruths größeres Gewicht und Reichweite ihm beim Stockfechten Vorteile bringen.

Die Schiedsrichter stellten sich im Geviert um die Zweikämpfer auf: Der Ring würde sich mit dem Kampf bewegen.

Auf Agnors Signal stürmte Bruth vor und trieb Elyn mit einem wilden Angriff zurück. Die Stöcke knallten gegeneinander. Elyn wich Schritt um Schritt zurück. Ihre Handgelenke schmerzten unter der Wucht von Bruths Schlägen. Doch in ihrem Kopf hörte sie Rurics Stimme flüstern: Vor einem stärkeren Feind gebt nach, Mädel. Weicht ihm aus, bis er ermüdet. Gebt Acht auf seine Schwächen und wartet auf den richtigen Moment. Wenn er kommt, schlagt zu wie eine Viper: schnell und tödlich!

Und so wich die Prinzessin vor Bruths Angriff zurück, fing die hämmernden Schläge des Gegners mit ihrem eigenen Stock auf, lenkte sie nach unten, oben oder zur Seite ab und wartete geduldig auf den Augenblick, da sie Bruths Deckung durchbrechen konnte.

In der Loge wandte sich Mala empört an den König. »Aranor«, zischte sie, »setzt dem sofort ein Ende! Dieser brutale Tölpel verprügelt eine Prinzessin!«

»Liebe Dame«, bebte Aranors Stimme vor unterdrücktem Zorn, »auf einem Schlachtfeld hört der Kampf nicht auf, weil der eine Krieger hochgeboren ist und der andere nicht. Gleiches gilt für Kämpfer auf diesem Übungsfeld. Hier gibt es keine Adeligen. Hier gibt es nur Vanadurin!«

Mala knirschte mit den Zähnen, aber da sie den Gesichtsausdruck des Königs sah, hielt sie es für angebracht zu schweigen.

Trotz seiner Worte traten jedoch an Aranors geballten Fäusten die Knöchel weiß hervor.

Lange ließ Bruth Schlag auf Schlag niedersausen, doch er konnte Elyns Abwehr nicht durchbrechen und allmählich ließ die Wildheit seiner Schläge nach. Und dann und wann brachte nun die Prinzessin selbst Angriffe vor, um festzustellen, wie langsam die Arme des Gegners geworden waren. Plötzlich stieß Elyns Stock wie ein Blitz über den ihres Widersachers hinweg und prallte mitten auf den Helm, dass Bruth rücklings auf die harte Erde stürzte und der Stock seinen Händen entglitt.

Als Agnors dröhnende Stimme Elyn zur Siegerin ausrief, brachen auf der Bank der Knappen zornige Rufe los, die gegen Bruths Versagen gerichtet waren. Aber in der Loge lächelte Aranor triumphierend, während Mala dies nicht zu bemerken geruhte.

Nach einer kurzen Ruhepause stand Elyn vor Hrut, einem Burschen von dreizehn Sommern, der einen ganzen Kopf größer war als sie. In seiner rechten Hand trug er ein hölzernes Breitschwert mit stumpfer Klinge und auf seinem Gesicht lag ein verächtliches Grinsen.

Ruric trat auf die Prinzessin zu und legte ihr eine ähnliche Klinge in die Hand. »Dies ist die dritte und letzte Prüfung, Mädel«, sagte er. Seine Stimme war so leise, dass niemand sonst sie hören konnte. »Ihr braucht sie nicht zu bestehen, Ihr habt bereits zweimal gesiegt.« Auf das fast unmerkliche Kopfschütteln Elyns fuhr er fort: »Ah, Mädchen, ich hab’s mir gedacht, dass Euch nichts davon abbringen wird. Hört zu, er ist stärker und vielleicht auch geschwinder als Ihr, doch Klugheit gewinnt: Denkt dran, er ist rechtshändig.« Und ohne ein weiteres Wort trat Ruric zurück und ließ Elyn allein auf dem Feld.

Die Schiedsrichter bildeten wieder ihr gewohntes Geviert. Auf Agnors »Beginnt!«, grüßte Hrut Elyn mit seiner Waffe und sie tat es ihm gleich. Der Junge streckte das Breitschwert vor, mit kreisender Spitze, und Holz schlug gegen Holz beim ersten vorsichtigen Abtasten.

Hruts Selbstvertrauen stieg, als er sah, was Elyns erste Paraden über ihre Geschicklichkeit verrieten: Er war ihr deutlich überlegen. Doch er war kein Narr wie Bruth, vorzupreschen und sich durch wilde Schläge zu ermüden. Nein! Vielmehr würde er die Gegnerin mit seiner größeren Stärke und überlegenen Geschicklichkeit zermürben.

Jetzt hallte das Kampffeld vom Klickklack der Holzschwerter wider. Auf der Bank der Knappen brachen Rufe los, Anfeuerungsrufe für Hrut, Spottrufe gegen Elyn, denn sie konnten sehen, dass Hrut auf der Siegerstraße war, dass er es diesem Mädchen zeigte! Nur Elgo blieb stumm. Sein Mund war zu einem dünnen Strich zusammengepresst.

Schritt um Schritt drängte Hrut sie zurück, mit Hieb und Stich und Ausfall und Parade. Schritt um Schritt gab Elyn nach, mühte sich verzweifelt, Hruts Angriffe zu parieren – wohl wissend, dass sie nichts dagegen ausrichten konnte, doch nicht gewillt, bereits aufzugeben.

Und auch das überhebliche Grinsen konnte sie nicht von seinem Gesicht wischen.

Klugheit siegt … widerhallten Rurics Worte in ihrem Ohr. Und: Denk dran, er ist Rechtshänder …

Hrut holte zu einem hohen Überhandschlag aus und ließ einen Stoß gegen Elyns Rumpf folgen. Sich gedankenschnell beiseite werfend, rutschte Elyn auf dem nassen Boden aus und mit einem Schrei der Hilflosigkeit fiel sie auf die Knie, die Spitze ihres Schwertes zu Boden gerichtet, mit weit aufgerissenen Augen, den Handrücken gegen den Mund gepresst, um ein Aufstöhnen zu unterdrücken.

Triumphierende Röte überzog Hruts höhnisches Gesicht, als er einen Schritt nach vorn machte, um zum entscheidenden Schlag auszuholen. Doch genauso plötzlich wurde das waidwunde Reh zur Katze auf dem Sprung, wie Elyn es von Anfang an geplant hatte: Von unten herauf stieß sie das Schwert in Hruts ungeschützten Unterleib, dass Hruts Grinsen einem lautlosen Aufschrei der Überraschung und des Schmerzes wich. Er ließ das Schwert fallen, schlug die Arme vor sein Gedärm und fiel neben seiner Bezwingerin zu Boden, nach Luft schnappend und sich übergebend.

Mit Wutgebrüll und Schreien von »Unanständig! Unanständig !« sprangen die anderen Jungen von der Knappenbank auf und stürzten sich mit Stöcken und Schwertern auf Elyn. Als Letzter kam Elgo gelaufen, doch er überrannte sie alle und bahnte sich seinen Weg durch die Angreifer. Ruric schrie irgendeinen Befehl, doch keiner hörte auf ihn. Und Elyn, die die Jungen kommen sah, warf ihr Schwert beiseite und lief los.

Aranor war aufgesprungen, mit geballten Fäusten, doch er sagte nichts, während an seiner Seite Mala kreischte: »Aufhören! Aufhören!«

Aus dem Geviert der Schiedsrichter heraus rannte Elyn auf ihr Pferd zu. Doch nicht das Reittier war ihr Ziel, sondern ihr Kampfstock, der auf dem Boden lag. Als sie ihn aufnahm, war Elgo bereits bei ihr, und Rücken an Rücken, sie mit dem Stock, er mit dem Holzschwert, stellten sie sich ihren Gegnern. Jetzt begann der Kampf im Ernst. Knappen taumelten beiseite, hielten sich vor Schmerzen Rippen, Köpfe und zerschundene Hände. Doch auch Elyn und Elgo kamen nicht ungeschoren davon, waren die Angreifer an Zahl doch weit überlegen.

Die Schlacht endete jedoch rasch, als Ruric und Agnor und die anderen Schiedsrichter dazwischengingen und die Buben wie Strohpuppen beiseite schleuderten.

Zum Schluss standen von allen Kämpfern nur noch Elyn und Elgo auf eigenen Füßen, zerschunden, hier und da blutend, doch aufrecht, mit erhobenen Köpfen den Schiedsspruch des Königs erwartend.

»Herr«, erhob sich Elyns klare Stimme, »im gleichen wie im ungleichen Kampf haben Elgo und ich die geschlagen, die Ihr entsandt habt, um mich zu prüfen. Jetzt mögt Ihr mir – mir und meinem Bruder – gewähren, auf diesem Platz die echten Waffenübungen zu beginnen.«

Auf Elyns Worte hin brach Ruric in schallendes Gelächter aus.

Und aus der Loge tönte es: »Beim Horte Schlomps, Tochter!« Also sprach Aranor mit einem stolzen Lächeln. »Dein Wunsch sei dir erfüllt!«

Auf diese Worte hin riss Mala die Augen auf und sie ging

Titel der amerikanischen Originalausgabe

DRAGONDOOM

Deutsche Übersetzung von Helmut W. Pesch

Taschenbuchausgabe 10/05 Redaktion: Christian Jentzsch

Copyright © 1990, 2002 by Dennis L. McKiernan Copyright © 2005 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH

www.heyne.de

Titelillustration: Arndt Drechsler Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels

eISBN 978-3-641-08104-1

www.randomhouse.de

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