Drachenbann - Dennis L. McKiernan - E-Book

Drachenbann E-Book

Dennis L. McKiernan

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Beschreibung

Das große Drachen-Epos von Bestsellerautor Dennis L. McKiernan

Nach den atemberaubenden Abenteuern der Zwerge, Elfen und Magier nun endlich die wahre Geschichte über die heimlichen Helden der Fantasy: die Drachen. Dennis L. McKiernan entführt seine Leser erneut in die sagenumwobene Welt Mithgar, wo sich eine uralte Prophezeiung erfüllt. Und während sich die verbündeten Völker einem alten Gegner stellen, rüsten sich die Drachen für ihre große Schlacht.

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Seitenzahl: 482

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Das Buch

Seit Urzeiten wird in Mithgar eine geheimnisvolle Prophezeiung überliefert: Einst werden die Letztgeborenen Erstgeboren zum Licht des Bären reisen, um dort dem Bösen für immer Einhalt zu gebieten. Und so begeben sich die beiden Wurrlinge Faeril und Gwylly gemeinsam mit ihren Gefährten, den Elfen Rhiata und Avaran, auf eine gefährliche Reise. Sie wandern durch einsame Wälder und verschlungene Landschaften, bis sie ein verlassenes Kloster auf dem Großen Nord-Gletscher erreichen. Denn an diesem magischen Ort wurde einst der grausame Baron Stoke von den Vorfahren der Auserwählten verfolgt – und er verschwand, so will es die Über – lieferung, im ewigen Eis. Über eintausend Jahre später ist nun die Stunde der Wurrlinge gekommen. Die Prophezeiung könnte sich endlich erfüllen – doch die dunkle Macht des Baron Stoke scheint die Zeiten überdauert zu haben …

Dennis L. McKiernans MITHGAR-Romane:

Bd. 1: Zwergenkrieger Bd. 2: Zwergenzorn Bd. 3: Zwergenmacht Bd. 4: Elfenzauber Bd. 5: Elfenkrieger Bd. 6: Elfenschiffe Bd. 7: Elfensturm Bd. 8: Magiermacht Bd. 9: Magierschwur Bd. 10: Magierkrieg Bd. 11: Magierlicht Bd. 12: Drachenbann Bd. 13: Drachenmacht Bd. 14: Drachenbund

Der Autor

Dennis L. McKiernan, geboren 1932 in Missouri, lebt mit seiner Familie in Ohio. Mit seinen Romanen aus der magischen Welt Mithgar gehört er zu den erfolgreichsten Fantasy-Autoren der Gegenwart.

Inhaltsverzeichnis

Das BuchDer AutorWidmungEin Teil von MithgarVorwortANMERKUNGEN DES AUTORS1. Kapitel - AUS DEM STURM2. Kapitel - MYGGA UND FÉ3. Kapitel - FAERIL
29. – 31. Mai, 4E1980
Copyright

Martha Lee McKiernan,Komplizin, Geliebte und Freundin

Ein Teil von Mithgar

Vorwort

Ich wurde oft gefragt: »Woher kommen Ihrer Meinung nach Legenden? Gab es einmal eine Zeit, in der diese Sagen der Wahrheit entsprachen, wenn auch in einer einfacheren Form, nämlich bevor die Phantasie eines Geschichtenerzählers sie so sehr ausgeschmückt hat, dass sie nicht wiederzuerkennen waren?«

Und diese Fragen begleiten auch die folgenden: »Glauben Sie, dass es jemals Elfen, Zwerge, Wurrlinge und ihresgleichen gegeben hat? Wenn ja, was ist mit ihnen geschehen? Wo sind sie jetzt? Warum sind sie verschwunden? Wurden sie ausgelöscht?«

Ich bin ein Geschichtenerzähler und habe mich vielleicht des Vergehens verzerrender Ausschmückungen schuldig gemacht, andererseits … Möglicherweise arbeite ich auch auf einer höchst archaischen Ebene und berühre unbewusst die uralten Erinnerungen, die in meinen irischen Genen eingegraben sind. Vielleicht blubbern diese uralten Fragmente beim Erzählen hoch, oder die klopfen des Nachts an meine Gehirnlappen und verlangen Einlass – oder schlüpfen wie Helden in der Dunkelheit über die Grenzen des Unglaubens, um das Bewusstsein zu retten, das in seiner Eintönigkeit gefangen ist.

Falls es eine solche uralte Erinnerung ist, vielleicht gab es dann einst tatsächlich Elfen, Zwerge, Wurrlinge und dergleichen. Möglicherweise lebten sie auf der Erde – oder darin? – oder in der Luft oder im Ozean. Wenn ja, wo sind sie jetzt? Leben sie unter uns? Oder versteckt? Ausgelöscht sogar? Ich hoffe, dass sie sich nur verbergen und manchmal lediglich als Schemen im Augenwinkel auftauchen. Aber tief in meinem Herzen fürchte ich, dass sie verschwunden sind. Wohin? Das weiß ich nicht.

Es gab Zeiten, da habe ich Blicke auf das erhascht, was mein Unterbewusstsein weggesperrt hatte, Visionen, die in den Tiefen der Dunkelheit entstehen, wenn der Schläfer schlummert und die Zinnen des Bewusstseins nicht mehr so stark bewacht werden. Möglicherweise sind das die Fragmente, die dabei helfen, die Geschichte beim Erzählen zu formen, Blicke auf jene Visionen, die man in den Schatten der Nacht gesehen hatte.

Kommt, lasst uns gemeinsam das neueste uralte Fragment erforschen, diesen mitternächtlichen Stürmer der Bastionen, denn eingebettet im Auge des Jägers finden wir möglicherweise auch Antworten auf unsere Fragen, falls wir sie denn enträtseln können.

DENNIS L. MCKIERNAN

ANMERKUNGEN DES AUTORS

1. Die Quelle dieser Geschichte ist eine zerfledderte, verblichene Ausgabe des Reisetagebuches des Letztgeborenen Erstgeborenen, ein besonders glücklicher Fund aus einer Zeit noch vor der Separation. Es wurde von einem unbekannten Buchdrucker gedruckt (das Deckblatt fehlt), der behauptet, es nach Faerils eigenem Tagebuch verfasst zu haben.

2. Es finden sich viele Vorkommnisse in dieser Geschichte, in denen sich die Wurrlinge, Elfen und Menschen unter dem Druck der Ereignisse in ihrer Muttersprache verständigen; um die Mühsal unbeholfener Übersetzungen zu vermeiden, habe ich, wo erforderlich, ihre Worte ins Pellarische übertragen, das ist die Gemeinsprache Mithgars. Einige Worte und Redewendungen jedoch sperren sich jeder Übersetzung; diese habe ich unverändert gelassen. Andere Worte wirken möglicherweise wie Fehler, sind jedoch richtig wiedergegeben, zum Beispiel ist BärMeister tatsächlich ein Wort, auch wenn ein großes M in seiner Mitte auftaucht. Ebenso finden sich Worte in der alten Pendwyrischen Form des Pellarion, die keineswegs falsch geschrieben sind.

3. Meine Studien über das Reisetagebuch des Letztgeborenen Erstgeborenen ergaben, dass die uralte Sprache der Magie dem Altgriechischen ähnelt, wenngleich sie einen eigenen Stil hat. Mit Hilfe eines Fachkundigen habe ich diese Sprache ins Altgriechische übertragen, in das ich hier und da einige ungewöhnliche Wendungen einflocht.

4. Ich habe mich des übertragenen Arabischen bedient, um die Sprache der Wüstenbewohner wiederzugeben, da das Reisetagebuch keine Anleitung dazu lieferte.

5. Die »Gemeinsprache« der Elfen ist ausgesprochen archaisch. Um die Färbung dieses Dialekts zu erhalten, zum Beispiel bei der Verwendung der förmlichen Anrede »Sie«, habe ich auf die alten Formen »Ihr« und »Euch« zurückgegriffen. Beim besitzanzeigenden Fürwort habe ich »Euer« und »Ihrer« für die Elfensprache eingeführt. Widerstanden habe ich jedoch der Versuchung, andere archaische Worte wie »itzo«, »fürbaß«, »weiland« und ähnliche mehr zu verwenden.

6. Um Verwirrung zu vermeiden, möchte ich die Leser auffordern, auf die jeweiligen Angaben zu Daten zu achten, welche den zeitlichen Rahmen eines jeden Kapitels beschreiben. Zum überwiegenden Teil wird diese Geschichte linear erzählt, aber gelegentlich bin ich zu einem früheren Punkt in der Geschichte zurückgegangen, um für die Erzählung wesentliche Teile einzufügen.

7. Diese Geschichte handelt von der letzten Jagd auf Baron Stoke. Doch sie ist eng mit drei früheren Berichten verflochten, die die Jagd nach Stoke beschreiben. Diese Geschichten sind unter anderen in der Sammlung von Erzählungen aufgeführt, die als Tales from the One-Eyed Crow bekannt sind.

»Weissagungen sind häufig subtil … und gefährlich – Ihr mögt wähnen, dass sie das eine bedeuten, auch wenn sie in Wahrheit etwas vollkommen anderes zu meinen scheinen.«

1. Kapitel

AUS DEM STURM

Spätwinter, 5E988

[Gegenwart]

Jäger und Beute: Der plötzliche Schneesturm unterbrach das Rennen um Leben und Tod. Die Nordmeereule ging auf die sich wiegenden Zweige einer Ödlandkiefer nieder, der Eishase suchte unter dem Überhang eines Felsvorsprungs Schutz. Vom Wind getrieben fegte eine heulende Wand aus blendendem Weiß über die Landschaft, während Jäger und Gejagter auf das Ende des Sturms warteten, um dann die Jagd erneut zu beginnen, um über Flucht und Verfolgung, Leben und Tod zu entscheiden.

Doch vorläufig war die Jagd aufgeschoben, während Schnee und Eis über das Land fegten und gnadenlos auf alles einhämmerten, was sich in ihrem Weg befand. Der Wind heulte und ächzte und erfüllte die Welt mit dem Klang seiner Qual. Der Hase kauerte sich unter den Felsen und schloss die Augen, um sie vor dem Schnee zu schützen, der unter den Vorsprung peitschte, während hoch über ihm, in einem Baum, kaum zweihundert Meter entfernt, die Eule blinzelte und ihren Kopf nach Norden wandte. Ihre tödlichen Krallen umklammerten den Ast und trotzten seinem Schwanken.

Sie warteten.

Aber sie waren nicht allein in diesen Gebieten, dort an der nördlichen Flanke des Grimmwall-Massivs, denn etwas anderes, Gefährliches, fegte ebenfalls über die eisige Wüste.

Ob die Eule es zuerst witterte oder der Hase, wer weiß das schon?

Es kam aus dem Norden, aus der Richtung, in die die Eule starrte.

Dunkle Schatten, die sich in der Ferne bewegen, verhüllt vom Sturm. Sie kommen näher.

Etwa eine Achtelmeile nördlich des Baumes, auf dem die Eule hockte, unter dem Felsvorsprung, spürte der Hase die Erschütterungen. Es waren nicht jene, die dieses unberechenbare Land gelegentlich schon manchmal in Unruhe versetzten, sondern etwas, das wie ein unregelmäßiges Trommeln auf den Boden wirkte.

Schritte von pelzigen Füßen, Klauen, die nach Süden rannten, aus dem Norden. Mörderische Räuber.

Aus den peitschenden Zweigen der Kiefer musterte die Eule die nahenden Umrisse, bereit aufzufliegen, falls es nötig sein sollte.

Es sind mehr als einer. Sie kommen durch den Sturm. Schnell. Immer noch sind sie im Schneetreiben verborgen.

Der Hase öffnete ein Auge, rührte sich sonst jedoch nicht. Er verließ sich auf den Schutz des Schnees, seines weißen Fells und der Reglosigkeit.

Stampfende Klauen. Viele. Ein Rudel. Sie rennen.

Sie kamen näher, während die Eule sie beobachtete.

Es sind drei. In einer Reihe. Einer nach dem anderen. Lange, fließende Umrisse. Und jedem von ihnen folgt etwas Großes.

In das Heulen des Windes mischten sich merkwürdige Schreie, ein scharfer Knall. Die Ohren des Hasen zuckten.

Mehr als ein Rudel. Es sind mehrere. Allesamt tödliche Räuber. Einer nach dem anderen. Mit hämmernden Schritten. Und jemand schreit.

Jetzt war der Erste nah genug, dass ihn die Eule erkennen konnte.

Wölfe oder Ähnliches. Sie laufen in einer Reihe. Hinter ihnen noch ein Rudel. Jedenfalls sieht es so aus. Und danach noch eines.

Sie rannten nur wenige Schritte an dem Versteck des Hasen vorbei.

Zuckende Läufe. Wolfsläufe. Mörderläufe. Alle rennen. Graues Fell, schwarz und silbern. Sie sind zusammengebunden und rennen vor etwas Großem davon. Etwas, das über den Schnee gleitet.

Einer nach dem anderen zogen sie an dem Versteck des regungslos kauernden Hasen vorüber. Erst neunzehn Tiere, rennende, dann weitere neunzehn, und noch einmal so viele. Und etwas knallte in der Luft, etwas schrie: »Heja!«, »Heja!«, während sie vorbeidonnerten, mörderische Räuber, die durch Wind und Schnee rannten und dieses Gleitende hinter sich herzogen.

Obwohl sie vorbeirasten und kurz darauf verschwanden, verschluckt vom Sturm, rührte sich der Hase nicht.

Und eine Achtelmeile entfernt in dem windgepeitschten Baum beobachtete die weiße Eule, wie die drei Gruppen aus dem Schneesturm auftauchten, die Schlitten über das gefrorene Weiß zogen, die Kutscher auf den Kufen standen, ihre Peitschen knallen ließen und die Tiere – halb Wolf, halb Hund – vorwärtstrieben. Die Reisenden auf den Schlitten waren gegen die Kälte dick vermummt.

Der Kopf der Eule drehte sich, als sie unter ihr vorüberglitten und sich entfernten, durch den Schneesturm nach Süden rasten, dem sich auftürmenden Grimmwall-Massiv entgegen, das sich in der Ferne drohend erhob und den Weg versperrte.

Der Anblick und die Geräusche der Eindringlinge entschwanden rasch, verloren sich im Sturm.

Nur das Heulen des Windes und das Prasseln des Schnees blieben zurück.

Zeit verstrich.

Die Eule hockte immer noch auf ihrem Zweig.

Der Hase kauerte weiter unter seinem Vorsprung.

Nach Einbruch der Nacht ermattete schließlich der Sturm. Der Mond ging auf und tauchte die verschneite Landschaft in sein strahlendes Licht. In diesem silbrigen Glanz horchte der weiße Hase wachsam nach einem Anzeichen für Gefahr, während seine langen Ohren zuckten.

Nichts.

Vorsichtig tauchte er unter dem Felsvorsprung auf. Nach zwei kleinen Hüpfern hielt er erneut inne und lauschte, drehte die Ohren hierhin und dorthin und suchte mit aufgerissenen Augen die Umgebung ab.

Schließlich schlug er den Weg zu seinem Bau ein, der noch ein gutes Stück entfernt lag.

Und von dem hohen Zweig eines einsamen Baumes stürzte sich eine weiße Eule mit ausgebreiteten Schwingen zu einem langen, lautlosen Gleitflug hinab.

2. Kapitel

MYGGA UND FÉ

Spätwinter, 5E988

[Gegenwart]

»Heja!, Heja!«, schrie der Schlittenführer und trieb die Hunde voran. Shlee lief an der Spitze und gab das Tempo vor.

Gwylly beugte sich vor und spähte an Faeril vorbei, der vor ihm saß. Wie können die Hunde erkennen, wohin sie laufen?

Der Schnee fegte ihnen beinahe horizontal entgegen. Gwyllys Blickfeld war von dem Sturm äußerst eingeschränkt. Er konnte nur die Hunde sehen, die schnell und zuverlässig, mit lang gestreckten Ruten, voranstürmten und sich in das Geschirr legten, das sie an den Schlitten band. Doch kaum zehn Schritte vor Shlee konnte Gwylly nur noch tosendes Weiß erkennen. Wenn sich der Wurrling umdrehte, erkannte er hinter sich Laska, den Leithund der Schar, aber er erkannte kaum noch den Schlitten, in dem Riatha saß. Die dritte Schar jedoch, die Aravans Schlitten zog, war vom Schnee vollkommen verschluckt, und er hörte nur ab und zu das laute Knallen von Tchukas Signalpeitsche.

Er beugte sich vor. »Die Hunde!«, schrie er Faeril über dem scharfen Pfeifen der Kufen hinweg zu, »ich hoffe wirklich, dass sie wissen, wohin sie laufen!«

Hinter ihm lachte B’arr, der Schlittenführer. Es war ein kurzes, lautes Bellen. »Shlee weiß es, Kleiner. Shlee weiß es genau.«

Gwylly und Faeril drehten sich im Schlittenkorb herum und blickten in das lächelnde Gesicht des Aleutan. Seine Haut war bronzen, die Augen dunkel, das glatte Haar schwarz, ebenso wie sein Schnurr- und Backenbart. Der Schlittenführer trug einen pelzgefütterten Parka, eine ebensolche Hose und Mukluks. Seine Fäustlinge umklammerten den mit Tierhaut überzogenen Haltegriff des Schlittens und er stemmte die Füße fest auf die Kufen.

Der Aleutan wiederum sah zwei Wesen aus uralten Legenden vor sich, in Daunen gehüllt: Mygga, so hatte er sie genannt, wenngleich sie selbst sich Wurrlinge nannten. Ein kleines, zierliches Volk, mit mandelförmigen Facettenaugen, spitzen Ohren und einem gewinnenden Lächeln. Mit ihren Augen, Ohren und ihrer hellen Haut glichen sie so sehr den Fé, den Elfen, die in den Schlitten hinter ihnen saßen! Aber im Unterschied zu jenen waren die Mygga fast so klein wie Kinder. Sie reichten mit ihrem knappen einen Meter Länge kaum an die Größe von sechs- oder siebenjährigen Sprösslingen der Aleutani heran, obgleich der männliche Mygga, Gwylly, etwas größer war als der weibliche, Faeril. Pah, sie waren kaum größer als Rak oder Kano, B’arrs kräftige Zughunde am Ende der Schar.

Die Fé dagegen, die Elfen mit ihren schrägen Augen und den spitzen Ohren, waren ein wenig größer als ein erwachsener Aleutan. Die weibliche, Riatha, maß etwa einen Meter siebzig, während sie der Mann, Aravan, um eine Handbreit überragte.

Doch ungeachtet ihrer unterschiedlichen Größe waren beide – Mygga und Fé – stolz, so stolz wie Häuptlinge, hielten sich gerade, bewegten sich zielstrebig und blickten einem offen ins Auge, als gehörte ihnen die Welt.

Und gefährlich waren sie; mit Waffen aus Stahl und Silber und Sternenlicht und Kristall.

Die Wurrlinge, die Mygga, trugen weit reichende Waffen; die weibliche, Faeril, hatte zwei Gurte mit Wurfmessern über den Leib gekreuzt, fünf stählerne Klingen pro Gurt, alles in allem zehn Wurfmesser. Aber das war noch nicht alles. Denn in einem der Gurte steckte eine silberne Klinge, merkwürdigerweise jedoch war die Schlaufe am anderen Gurt, wo sich ihr Gegenstück hätte befinden sollen, leer. Der männliche Mygga trug ebenfalls einen Dolch, doch seine bevorzugte Waffe schien eine Schleuder zu sein. An seinem Gürtel hingen zwei Beutel mit Wurfgeschossen. Der eine war mit elliptischen Stahlgeschossen gefüllt, der andere, kleinere, mit kostbareren Kugeln aus Silber.

Die Waffen der Elfen dagegen, der Fé, schienen für den Nahkampf ausgelegt zu sein. Die weibliche Fé, die Féan, trug ein Langmesser und war mit einem wundervollen Schwert bewaffnet, dessen Klinge wie Sternenlicht schimmerte. Der männliche Féan trug ebenfalls ein Langmesser am Gürtel, das jedoch neben seinem Speer verblasste, der einen schwarzen Schaft und eine beeindruckende Klinge aus Kristall aufwies.

Doch nicht nur ihr Aussehen, ihr Gehabe, die Statur und ihre Waffen sagten den Aleutani, dass die Mygga und die Fé Wesen aus der Legende waren. Viel bedeutungsvoller schien es, dass die Hunde diesen vollkommen Fremden erlaubten, sich ihnen nicht nur zu nähern, sondern sie sogar zu berühren, sie zu streicheln, mit ihnen zu spielen; sogar Rak und Kano, die beiden wildesten Schlittenhunde, bildeten da keine Ausnahme, ebenso wenig wie der hochmütige Shlee. Dasselbe galt auch für die Gruppen von Ruluk und Tchuka. Für ihre Leithunde Laska und Garr, und auch für ihre Zugtiere, Chenk, Darga, Kor und Chun, sowie für alle anderen Hunde. Sie jaulten und winselten vor Aufregung, wann immer die Mygga und Fé in ihre Nähe kamen, und wälzten sich ergeben auf dem Boden, leckten ihnen die Hände, sprangen herum, gingen auf die Vorderpfoten und forderten zum Spiel auf. Diese wilden Tiere benahmen sich wie Welpen! Wahrhaftig, die vier waren gewiss Wesen aus den Legenden, die die Geschichtenerzähler an den Lagerfeuern zum Besten gaben, daran bestand nicht der geringste Zweifel.

»Heja! Heja!«

Die Schar kämpfte sich weiter durch den Sturm und zog den Schlitten, dessen Kufen scharf zischten.

Faeril sah Gwylly an. Der Blick ihrer amberfarbenen Augen bannte seinen smaragdgrünen. »Shlee kennt den Weg«, sagte sie lächelnd, sah erst B’arr an und dann wieder Gwylly. »Shlee kennt sich aus.« Damit drehte sich die Damman wieder herum und blickte nach vorn.

Vor ihr rannten neunzehn Hunde, jeweils in Paaren, bis auf Shlee, den Leithund. Sie liefen jeweils rechts und links von der Zugleine, und waren durch eigene Leinen mit dieser verbunden. Hätte Faeril den Abstand geschätzt, sie wäre zu dem Schluss gekommen, dass die Hunde – vom ersten bis zum letzten – über eine Weite von nahezu dreißig Metern vor dem Schlitten verteilt waren, damit sie Platz zum Laufen hatten. Faeril konnte kaum drei Meter über den Leithund hinwegsehen, bevor alles in Weiß versank. Daher wusste sie, dass Shlee in diesem Schneetreiben ebenfalls höchstens dreißig oder vierzig Meter weit sehen konnte, vorausgesetzt freilich, seine Sehkraft war nicht wesentlich besser als ihre. Was also würde passieren, fragte sich die kleine Damman, wenn eine Gletscherspalte oder ein Abgrund vor ihnen auftauchten?

Nach einer knappen halben Stunde erreichten sie den uralten Steinring auf dem niedrigen Hügel. Shlee hatte trotz des Sturms irgendwie den Weg dorthin gefunden. Ruluks Schlitten, geführt von Laska, und Tchukas mit Garr an der Spitze folgten ihnen unmittelbar. Das Schneetreiben hielt mit unverminderter Gewalt an und die Steinmauern der Ruine hoben sich nur als undeutliche, dunkle Silhouetten von der Hügelkuppe ab.

Die Aleutani platzierten ihre drei Gruppen in gebührlichem Abstand voneinander, rammten Pfähle in einiger Distanz voneinander in den gefrorenen Boden und banden je einen Hund an einen der Pfähle. Währenddessen gesellten sich Riatha und Aravan zu Gwylly und Faeril. Sie luden die Schlitten ab und schleppten das Gepäck durch den Sturm in die Trümmer eines kleinen, runden Gebäudes, das nach oben hin offen war, sodass der Schnee hineinwirbelte.

»Das hier stammt noch aus den uralten Zeiten«, sagte Riatha, deren Stimme im Sturm beinah unterging, und stellte ihr Bündel ab. Dann strich die goldhaarige Elfe mit der Hand über den Stein, während der Blick ihrer silberfarbenen Augen hin und her zuckte und sie den Kopf drehte und wendete, als sähe sie Unsichtbares und lausche lautlosen Stimmen.

»Ein Wachposten, würde ich sagen«, meinte Aravan und stellte sein Bündel neben das von Riatha. Der Lian war schlank und dunkelhäutig, mit rabenschwarzem Haar und dunkelblauen Augen, wie bei den anderen Elfen der Lian.

Ein schwaches Beben ließ die Erde erzittern, und Faeril legte ihre Hand auf die Steine. »Drachenhorst?«, fragte sie. Riatha nickte.

»Allerdings, Kleine. Von Kalgalaths Untergang, vor Tausenden von Frühlingstagen. So wie sich eine Glocke an ihren Schlag erinnert, weiß auch die Welt noch von der Vernichtung des Drachen.«

Faeril erwiderte nichts darauf, denn sie hatte die uralten Aufzeichnungen ihrer lang vergangenen Vorfahren gelesen, die vor mehr als dreißig Generationen gelebt hatten; die verblasste Schrift kündete von einer Gegend, in der es häufig Beben gab, dort oben im Grimmwall. Dennoch überlief es sie kalt, als sie jetzt spürte, wie die Erde tatsächlich bebte. Tausend Jahre alte Worte kamen ihr wieder in den Sinn und ihr Herz raste. Wenn sie erst ihr Ziel erreicht hatten, würden sie an einen Ort gelangen, an dem, das wusste sie, die Erde weit gewaltiger erzittern mochte, als sie dieses Echo aus einer längst vergangenen Ära zu rütteln vermochte. Und dieses Ziel würden sie schon bald erreichen, denn sie waren nur noch einen Tag davon entfernt: von dem Großen Nord-Gletscher, einem breiten, tiefen Fluss, für immer in Eis erstarrt, der kaum wahrnehmbar aus dem Grimmwall quoll. Obwohl sie nur noch eine Tagesreise davon trennte, spielte die Zeit eine entscheidende Rolle, denn sie wusste sehr wohl, dass in der Dunkelheit der Nacht das Auge des Jägers über ihnen schweifte und eine uralte Prophezeiung sich erfüllen würde, eine Weissagung, die ein Prophet vor mehr als einem Jahrtausend gemacht hatte. Faeril erschauerte bei diesem Gedanken.

Aravan hob die Hand und streckte sie nach dem oberen Rand des Mauerrestes aus. Er reichte bis auf knapp dreißig Zentimeter heran. »Nicht sehr hoch war er, dieser Wachposten, aber das Land darum herum ist noch flacher. Eine Plattform darüber oder – wer weiß? – auch ein Turm hätten vielleicht einen Platz geliefert, auf dem man stehen und rechtzeitig eine Warnung ausstoßen konnte, sollte sich ein Feind nähern.«

Gwylly zog seine Kapuze herunter und sah sich um. Sein rotes Haar fiel ihm über die Schultern. Es bildete einen scharfen Kontrast zu seinen grünen Augen. »Feind?« Der Wurrling deutete auf die sturmgepeitschte Ebene. »Welcher Feind? Da draußen ist alles verlassen.«

Aravan blickte lächelnd auf den kleinen Wurrling herunter. »Schaut nicht auf die leere Ebene, mein Waerling. Richtet Euren Blick stattdessen auf den Grimmwall, denn dort haust die Brut, in jenen Bergen vor uns. Und gegen sie diente dieser Posten einst als Wache: die Rûpt. Er stammt noch aus der Zeit vor Adons Bann, als sich die Rûpt überall herumtrieben und dieses Land in höchster Gefahr schwebte. Der große Krieg jedoch änderte all dies, sodass die Rûpt nunmehr im Grimmwall verbannt sind und sich in der Nähe der Orte aufhalten müssen, in denen sie sich verkriechen, wenn die Sonne über den Himmel zieht.«

Gwylly wusste, dass Aravan auf den Großen Krieg anspielte, damals, als Gyphon versucht hatte, Adon die Herrschaft über die Welten streitig zu machen. In diesem Kampf waren Gyphon die Völker Neddras, der Unterwelt, zu Hilfe geeilt, sowie Handlanger aus Mithgar, die Kistanier, Hyranier, einige Drachen und ein paar wenige Magier außer der Brut. Auf Adons Seite dagegen hatte sich hier in Mithgar eine große Allianz aus Menschen, Elfen, Zwergen und Wurrlingen gestellt; manche behaupteten gar, dass selbst die Utruni, die Steingiganten, auf Seiten der Allianz in den Kampf eingegriffen hätten.

Jedenfalls war es ein gewaltiger Krieg gewesen, dessen Ausgang sich lange in der Schwebe gehalten hatte. Am Ende jedoch hatte die Allianz obsiegt; Modru, Gyphons Leutnant hier in Mithgar, wurde vernichtet und die Rebellion brach zusammen.

Zur Strafe hatte Adon seinen Bann über die Brut ausgesprochen, angezeigt von einem strahlenden Stern am Himmel, der zuvor nicht dagewesen war. Dieser Stern hatte mehrere Wochen lang hell geleuchtet, bis er schließlich erloschen war und nimmermehr gesehen wurde. Während der Zeit jedoch, in der dieser Stern glühte, erkrankte die Brut an einer Seuche, wenn immer sie ins helle Licht des Tages trat. Je länger der Stern schien, desto tödlicher wurde diese Krankheit, bis am Ende schon ein Strahl der Sonne auf einem Rukh genügte, um ihm den Brennenden Tod zu bringen. Selbst wenn sich die Brut auch nur für einen kurzen Augenblick der Sonne aussetzte, brach das Opfer zusammen und verwandelte sich in einen Haufen Asche.

Die ganze Brut war mit Adons Bann geschlagen, und dazu auch andere Kreaturen, einschließlich einiger Drachen, die sich auf Gyphons Seite geworfen hatten. Sie waren jetzt Kalt-Drachen, denn Adon hatte sie zur Strafe ihres Feuers beraubt.

Die Menschen jedoch, die mit Gyphon gemeinsame Sache gemacht hatten, blieben von dem Bann verschont. Denn sie waren von dem Großen Verführer in die Irre geleitet worden. Adon vergab ihnen am Ende.

Das hatte Aravan gemeint, als er sagte, dass der Große Krieg alles verändert hätte. Jetzt zwang der Bann die Brut, sich zu verbergen, trieb sie in Verstecke im Grimmwall, wenn es Tag wurde. Aus demselben Grund wagte sich die Brut auch selbst in der Nacht nicht weit von ihren Verstecken fort, und sie würden kaum bis hierhin kommen, es sei denn große Not oder Furcht triebe sie. Denn die Sonne mochte sie vernichten, wenn sie nach Tagesanbruch auf diesen Ebenen von ihr überrascht würden und sie nicht rechtzeitig irgendwelche Schluchten oder Spalten fanden, in denen sie sich vor Adons Licht verkriechen konnten.

Gwylly musterte die Ruinen, während ihm Gedanken über Kriege und Banne durch den Kopf gingen.

Während der Wind heulte, den Schnee über die Mauern fegte und durch die zerborstene Tür drang, blickte der Wurrling zu Aravan hinauf. »Wie hätte dieser Ort denn verteidigt werden können? Er ist schließlich kaum größer als zehn meiner Schritte, also höchstens sechs von Euren. Schwerlich geräumig genug somit, einer großen Streitmacht Raum zu bieten. Ich denke doch, der Posten wäre schnell gefallen.«

»Das stimmt«, erwiderte Aravan. »Aber ein solcher Wachposten sollte auch nicht verteidigt werden. Falls der Feind gesichtet wurde, würden die Wachen von hier fortreiten und Alarm schlagen, vielleicht nachdem sie vorher ein Warnfeuer entzündet hatten.«

»Wie das Signalfeuer in Beacontor?«, erkundigte sich Faeril.

Gwylly schüttelte den Kopf. »Beacontor, Liebste, sollte verteidigt werden. Die Türme auf den Signalbergen waren von Mauern umringt. Dieser Ort jedoch weist keine solchen Festungswälle auf. Er verfügt nur über einen Turm, dazu noch einen recht kleinen.«

Riatha riss den Blick ihrer silberfarbenen Augen von den Mauern los und richtete ihn auf Gwylly. »Wenn wir suchten, würden wir gewiss die Reste von Stallungen finden, vielleicht auch einen Schuppen, in dem vor langer Zeit Pferde oder ein Gespann untergebracht wurden, mit dem man flüchten konnte, falls sich die Notwendigkeit ergab. Sie hätten das Signalfeuer entzündet und wären dann geflohen. «

Faeril strich sich eine Strähne ihres pechschwarzen Haares aus der Stirn und schaute durch die Tür auf den wirbelnden Schnee. »Wer wäre dann gewarnt worden? Wer hat hier gelebt, als dieser Turm errichtet wurde?«

»Aleutani, denke ich«, antwortete Aravan. »Denn schon damals brachten sie ihre Ren-Herden während des langen Sommers hierher, wo das Gras saftig und grün ist. So wie sie es heute noch tun.«

Faeril nickte. Sie hatte selbst einige der mit Geweihen geschmückten Ren auf ihren Winterweiden gesehen, die in den tiefen, geschützten Tälern am Rand des Nordmeeres lagen.

Erneut erzitterte der Boden unter ihren Füßen und Faeril trat an den eingestürzten Eingang. »Ist es denn sicher, hier zu übernachten? Ich weiß doch nicht recht, diese Erdstöße …«

Riatha lächelte die kleine Damman an. »Es ist sicher genug, Kleine. Das Land hier am Rand des Vorgebirges ist weit genug vom Grimmwall entfernt, und noch weiter vom Drachenhorst.«

Faeril blickte zu den Elfen hoch, nickte, wandte sich dann um und ging in den Sturm hinaus. Die anderen folgten ihr zu den Schlitten.

Sie mussten noch einmal gehen, um die benötigten Vorräte in die Steinruinen zu tragen. Während sich die Elfen an den Bündeln zu schaffen machten, machten sich Gwylly und Faeril auf die Suche nach Feuerholz. Die beiden Wurrlinge fanden zwar die eingefallenen Ruinen eines Stalles neben dem Turm, jedoch kein Brennholz.

Kaum waren die Wurrlinge von ihrer ergebnislosen Suche zurückgekehrt, da trat B’arr durch die Tür, gefolgt von Tchuka und Ruluk. Sie hatten ihre Gruppen an die Pfähle gebunden. B’arr lachte, als Gwylly ihn wegen des Feuerholzes befragte, und die beiden anderen Schlittenführer fielen in sein Lachen ein, als er ihnen die Frage in die Sprache der Aleutani übersetzte. Während B’arr und Ruluk Bündel mit gefrorenem Lachs auswickelten und die Fische mit der Axt in Stücke zerhackten, verschwand Tchuka nach draußen. Einen Augenblick später kehrte er zurück. In den Armen hielt er etwas, das wie große Scheiben Dreck aussah. Zu Gwyllys Verblüffung setzte der Schlittenführer diese Dreckplatten in Brand.

»Sode«, meinte Aravan, als würde das alles erklären.

Als Riatha Gwyllys verständnislose Miene sah, setzte sie hinzu: »Man nennt es auch Torf. Aber wie auch immer es geheißen wird, es brennt jedenfalls.«

Gwylly schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich habe es in der Nähe des Stalles gesehen, aber ich dachte …«

»… dass es einfach nur Erde wäre«, beendete Faeril seinen Satz, denn sie hatte dasselbe angenommen. »Aber ich hätte fragen sollen«, gab sie zu. »Denn ich komme aus den Waldsenken, wo es auch Torffelder gibt, in der Nähe von Großfarn und auch von Kleinfarn.«

»Pah!«, stieß B’arr hervor und sagte etwas auf Aleutanisch zu seinen Gefährten, das ein Lächeln auf ihre bronzefarbenen Gesichter zauberte. Dann wandte er sich an Aravan. »Nein, Anfé, das ist kein Feuertorf; es ist Ren mokk, also das, was Ihr Dung nennt. Von den Ren.«

Jetzt lachte Aravan. »Fermente! Renfermente. Getrockneter Dung. Ah, Schlittenführer, Ihr führt mir meinen Irrtum wahrlich vor Augen!« Gwylly und Faeril grinsten über beide Wangen, denn nicht nur die Wurrlinge hatten sich geirrt, sondern auch die Elfen.

Riatha lächelte ebenfalls, wenn auch nur flüchtig. Sie wurde rasch wieder ernst und abgelenkt, als sie den Blick in Richtung Grimmwall richtete, der jedoch nicht zu sehen war. »Was wie ein Ding scheint, entpuppt sich häufig als etwas gänzlich anderes. Selbst dann jedoch kann sich seine wahre Natur nicht gezeigt haben, und es mag sich am Ende als noch etwas anderes herausstellen.«

Gwylly starrte in die Glut des Dungfeuers, während er mit seinen Gedanken ganz woanders war. Er beobachtete den weißen, stechenden Rauch, der über die Mauer quoll, wo er von dem stürmischen Wind weggefegt wurde. Der Bokker überlegte, welchen Täuschungen sie noch begegnen würden, Täuschungen, die sich am Ende vielleicht als gefährlich herausstellen mochten.

B’arr stand auf und unterbrach Gwyllys düstere Gedanken. »Wollen die Mygga die Span füttern?« Er deutete auf einen Beutel mit zerhacktem Lachs. Seine schwarzen Augen funkelten.

Gwyllys Miene erhellte sich, während er eifrig nickte. Faeril deutete ebenfalls ihre Zustimmung an.

Bei dieser Reaktion der beiden Mygga grinsten Tchuka und Ruluk. Ihre Zähne leuchteten weiß gegen ihre schwarze Bärte und ihre bronzene Haut.

B’arr nahm ein Stück gehackten Lachses aus einem Beutel. »Dann wartet nur. Ich rufe.« Er trat in den Schneesturm hinaus. Die beiden anderen Aleutan nahmen sich jeder ebenfalls ein Stück Lachs und folgten B’arr nach draußen.

Sie gingen zu ihren Leithunden. Wie Gwylly, Faeril, Riatha und Aravan in den letzten zwölf Tagen und sechshundert Meilen gelernt hatten, wurden die Rudelführer als Erste gefüttert, als Letzte eingespannt und als Erste wieder vom Geschirr befreit. Jeder der Hunde war der dominante in seiner Schar, in seinem Span. Und der Schlittenführer unterstützte seine Stellung, indem er den Leithund mit genau der Ehrerbietung behandelte, die ihm gebührte, den anderen Hunden seines Spans diesen Respekt jedoch nicht erwies.

So wie B’arr es in seinem gebrochenen Pellarion erklärt hatte: »Leben hängt vom Span ab. Span hängt vom Leithund ab. Leithund vom Schlittenführer. Ich bin Schlittenführer. Shlee ist Span-Führer. Sein Leben in meinen Händen, mein Leben in seinen. Ich behandele ihn als Führer, er mich als seinen Herrn. Alle Hunde sehen das. Alle verstehen. Alle leben. Alle Hunde. Shlee. Ich.«

Nach einem Augenblick übertönte B’arrs Pfiff das Heulen des Sturms. Gwylly, der zwei Beutel mit Lachsstücken schleppte, und Faeril, die einen in den Händen hielt, traten durch die Tür in das Schneetreiben hinaus. Und nach einem weiteren Augenblick ertönte das Jaulen und Winseln der aufgeregten Hunde.

Der Sturm wurde nach Mitternacht schwächer, und am aufklarenden Himmel ging der silberne Mond auf.

Als Faeril mitten in der Nacht aufwachte, sah sie Riatha im Mondlicht stehen, den Blick nach oben gerichtet. Faeril blickte ebenfalls hinauf, durch das geborstene Dach. Eine eisige Hand schien sich um ihr Herz zu legen. Denn hoch oben an dem stillen Firmament sah sie das Auge des Jägers, der einen langen, feurigen Schweif über den sternenübersäten Himmel zog.

3. Kapitel

FAERIL

Frühsommer, 5E985

[Drei Jahre früher]

»Oh, das Auge des Jägers!«, rief Lacey und schaute von dem kleinen, in Leder gebundenen Buch auf. »Das klingt wirklich bedrohlich. Was ist das?«

Faeril hielt inne, balancierte das Wurfmesser in ihrer Hand und warf der rotblonden Damman einen Blick über die Schulter zu. »Lies weiter, Lacey«, sagte sie, drehte sich wieder um und schleuderte das Messer, das funkelnd durch die Luft flog und sich mit einem vernehmlichen Rumms neben die anderen Messer in das Holz grub.

Während Faeril zu dem Holzstamm ging und ihre Messer einsammelte, widmete sich Lacey wieder der Handschrift, während sie mit einer Hand über die Picknickdecke nach ihrem Becher tastete, ohne den Blick von den Buchstaben zu nehmen. Sie trank einen Schluck Tee und biss von dem Brot ab, doch ob sie schmeckte, was sie da aß, war fraglich, so gefesselt schien sie von dem Buch.

Die Sonne warf ihre Strahlen durch das Blätterdach, während der Mittag vorüberging, Faerils Messer sich in das Holz gruben und zu den Geräuschen des Waldes beitrugen: dem Singen der Vögel, dem schwachen Rascheln der Blätter in der leichten Brise, dem Summen eines Insekts und dem Murmeln des Baches, der den nahe gelegenen Hang hinabfloss.

Schließlich klappte Lacey das Reisetagebuch zu und schaute ihre entfernte Cousine an, die erneut Messer aus dem umgestürzten Baum zog. »Ach, Faeril, bei diesen alten Worten beschleicht mich ein Gefühl drohenden Unheils. «

Faeril stand am Baumstamm und schob ihre Wurfmesser wieder in die Laschen des Kreuzgurtes über ihrem Oberkörper. Pro Gürtel gab es sechs Scheiden, insgesamt also zwölf. In zehn steckten stählerne Klingen, in einer eine silberne, und die letzte war leer. Mit entschlossener Miene drehte sich Faeril herum und trat zu Lacey.

Lacey schaute von dem Reisetagebuch zu der Damman und dann wieder auf das Buch. »Du siehst so grimmig drein, Faeril. Ich glaube, du wirst mir gleich etwas sagen, das ich lieber nicht hören möchte.«

Faeril setzte sich auf eine Ecke der Picknickdecke. Mit einer Geste, die seit ihrer Kindheit zwischen Lacey und ihr zu einem Ritual geworden war, nahm sie die rechte Hand ihrer Cousine zwischen ihre beiden eigenen Hände, dann aber nur mit ihrer rechten und drückte die Handfläche ihrer freien Hand gegen Laceys. »Meine beste Freundin, ich verrate dir jetzt ein Geheimnis, das du hüten musst, bis die Zeit kommt, da es enthüllt werden darf.«

Langsam schloss Lacey die Hand und ballte sie, als schließe sie etwas Unsichtbares damit ein. Dann drückte sie die Faust an ihr Herz und öffnete einen Finger nach dem anderen, bis ihre flache Hand schließlich an ihrer Brust lag. »Meine beste Freundin, hier ruht es verschlossen, bis die Zeit kommt, es zu enthüllen.«

Faeril holte tief Luft. Ihre Stimme bebte vor Aufregung. »Ich verlasse die Waldsenken, Lacey. Ich wollte, dass jemand es weiß, jemand, der es Mutter erzählen kann.«

Lacey traten die Tränen in die Augen. »Du gehst weg? Du verlässt die Wald …? Aber warum denn nur, Faeril, warum? «

Auch Faerils Augen schwammen in Tränen. Aber nachdem sie ihr Geheimnis ausgesprochen hatte, wurden sie wieder ruhiger.

»Warum?«, wiederholte Lacey.

Faeril hob die Kreuzgurte über den Kopf und breitete sie vor sich aus. Der Stahl und das Silber funkelten. »Weil ich die erstgeborene Dammsel von den erstgeborenen Dammseln bin, zurück bis zu Petal selbst.«

Lacey schüttelte den Kopf und zerdrückte die Tränen zwischen den Lidern, während sie auf das Reisetagebuch blickte. »Ja, ich weiß. So wie deine Dam und ihre Dam und … Aber, aber Faeril, was hat das damit zu tun, dass du die Waldsenken verlässt?«

Faeril legte die Messergurte auf die Picknickdecke. »Morgen ist mein Geburtstag. Dann bin ich den Mädchenjahren entwachsen und werde eine junge Damman. Dann bin ich alt genug, mich auf den Weg zu begeben, der mir seit meiner Geburt vorgezeichnet ist … und das schon vor tausend Jahren. Und ein Weg, den nur ich gehen kann.«

Sie nahm das Tagebuch. »Lacey, dieses Buch erzählt die jahrhundertelange Jagd auf ein Monster, auf Baron Stoke, und zwar durch vier Gefährten: Riatha, eine Elfe aus Ardental; Urus, einen Baeron aus dem Herzen des Großwaldes, und durch meine Vorfahren Tomlin und Petal, Wurrlinge aus dem Weitimholz.

Dreimal stellten sie Stoke, und beim letzten Mal brachten sie ihn zu Fall, obwohl auch Urus, der Mensch, sein Leben dabei verlor. Er stürzte sich zu Tode, um das Monster mit sich zu reißen, um Stoke zu vernichten.«

»Weiß ich«, erwiderte Lacey. »Urus war sehr tapfer, sehr edel, und sein Tod war sehr traurig. Aber das ist eine uralte Legende, eine uralte Geschichte, und jetzt haben wir … heute.«

»Uralt, Lacey, ja, das stimmt schon. Aber etwas aus dieser Vergangenheit, aus dieser Zeit vor zehnhundert Jahren ragt unheilvoll bis in dieses Jetzt hinein, oder vielmehr, in die Zukunft, in unsere nahe Zukunft, und zwar, wie es scheint, eine Prophezeiung des Untergangs.«

Lacey riss bei diesen Worten erstaunt die Augen auf. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, sprach Faeril weiter. »Dieses Tagebuch erwähnt einen Sermon, der sich bald erfüllen wird, einen, der auf irgendeine Weise etwas mit Baron Stoke zu tun hat, obwohl … wie jemand, der vor Jahrhunderten sein Leben verwirkt hat, seine Klauen ausstrecken und die Gegenwart packen kann, das geht über meinen Verstand.«

Faeril blätterte das Buch durch, bis sie den gesuchten Eintrag gefunden hatte. »Und sieh selbst: Vor einem Millenium, so steht es hier, kam Lady Riatha zum Weitimholz und erzählte Tomlin und Petal von einer Prophezeiung, die von Rael, der Elfenkönigin von Ardental, gemacht worden war.«

29. – 31. Mai, 4E1980

Tage der Freude und Verzweiflung, denn Riatha ist gekommen.

Und dies hier ist das, was sie sagte …

Tomlin hörte das Pferd bereits den Pfad entlangkommen, bevor er es sehen konnte. Er stand auf der kleinen Veranda und legte zum Schutz gegen die tief stehende Nachmittagssonne die Hand über die Augen. Er lächelte strahlend, als er die goldhaarige Elfe erkannte, die in graues Leder gekleidet war und ihr Schwert auf dem Rücken trug. Sie ritt unter dem Baldachin des Waldes hervor auf die Lichtung.

Er drehte sich herum. »Petal!«, rief er in die Kate, »es ist Riatha!«

Rasche Schritte ertönten, und dann stürmten drei Dammen auf die Veranda hinaus, Klein-Riatha, Silberauge und Petal, alle mit Schürzen angetan. Auf Silberauges Wangen war eine Spur Mehl zu sehen, und Klein-Riathas Finger waren vom Beerensaft ganz blau.

Petal trat neben Tomlin. »Sollte es etwa …?«

Tomlin legte seiner Dammia einen Arm um die Schultern. »Stoke? Das glaube ich nicht, Petal. Wir beide haben gesehen, wie er in den tiefen Schlund des Eises stürzte.«

Petal lächelte ihren Gemahl furchtsam an, und sie warteten Seite an Seite umschlungen auf Riatha, die langsam über die Lichtung ritt.

Tomlins und Petals Dammsels, Silberauge und Klein-Riatha, oder wie sie zärtlich genannt wurden, Silberle und Atha, standen neben ihren Eltern und beobachteten, wie die Elfe näher kam. Ihre Augen funkelten erwartungsvoll. Sie waren Riatha bisher nicht begegnet, obwohl sie ihr Leben lang von ihr gehört hatten.

Die mit ihrem legendären Schwert bewaffnete Elfe ritt auf ihrem mondgetupften Grauen zu der winzigen Kate und stieg ab.

Petal trat vor, und Riatha kniete sich hin, um zunächst sie und dann Tomlin zu umarmen. Nach kurzem Zögern traten auch Silberle und Atha vor und wurden der Elfe vorgestellt.

Tomlin wollte die Zügel von Riathas Pferd nehmen, um den Hengst in den Stall zu führen, aber die Elfe hielt ihn auf und verwendete dabei seinen alten Spitznamen. »Ich versorge Strahl, Kiesel. Sammelt Ihr den Rest Eurer Familie, denn ich habe Kunde, die Euch alle angeht.«

Tomlins Herz tat einen schnellen Schlag, und ein Seitenblick auf Petal sagte ihm, dass auch ihr Herz heftig hämmerte.

Er sattelte sein Pony und ritt auf die Felder. Als er zurückkehrte, kroch die Dämmerung bereits über das Land. Seine beiden Bokker, Klein-Urus und Bärchen, begleiteten ihn. Laternen beleuchteten die Veranda, auf der sie das Abendessen einnehmen würden, denn die Decke der Kate war viel zu niedrig für die Elfe, und die Wurrlinge wollten ihr keinesfalls zumuten, sich ständig bücken zu müssen.

Also versammelten sich alle an diesem Maiabend, speisten, plauderten von Nichtigkeiten und unbedeutenden Dingen, während die Grillen im Gras zirpten. Als der Abend in die Nacht mündete, servierten Silberle und Atha heißen Tee und Heidelbeerkuchen.

Schweigen senkte sich auf die Familie und ihren Gast herab, ein Schweigen, das allmählich unbehaglich wurde, während die Sterne über ihnen dahinzogen.

Schließlich sagten Petal und Tomlin, als wären sie vom selben Einfall getrieben: »Riatha …«

Das Schweigen war gebrochen.

Die beiden Wurrlinge sahen sich an und Tomlin nickte Petal zu.

»Riatha«, sagte die Damman. »Was diese bedeutungsvollen Worte angeht, diese Worte, die meine ganze … Familie betrifft, was …?« Ihre Stimme brach, aber ihre unausgesprochene Frage hing schwer in der regungslosen Luft dieser Nacht im Weitimholz.

Die silberäugige Elfe schaute in das Gesicht eines jeden Waerlings und fand resolute Entschlossenheit in den Augen, die wie Edelsteine funkelten. »Ich bin gekommen, Euch die Worte von Rael zu überbringen, der Lady von Ardental, Gefährtin des Talarin, meines entfernten Cousins, denn sie besitzt manchmal die Macht der Weissagung.

Und eine solche hat sie ausgesprochen.

Allerdings hat sie von zwei verschiedenen Bestimmungen gesprochen, die ich Euch beide zu Gehör bringen möchte.

Die erste ihrer Visionen zeigte ihr eine Dunkelheit, die sich im Norden sammelt und sich irgendwann über das Land legen wird. Damit endete diese Vision. Was sie zu bedeuten hat – Krieg, Pestilenz, Hungersnot, Seuchen … das kann sie nicht sagen. Sie wird noch einige Jahre auf sich warten lassen. Dennoch ist diese Drohung bedeutsam genug, dass ich Euch empfehlen würde, Euch an einen sichereren Ort zu begeben, weg vom Weitimholz, vielleicht nach Süden oder ins geschützte Land der Sieben Senken.

Raels zweite Vision spricht von einer zweiten Bestimmung, die sich schwach in den fernen Winden der Zeit andeutet, eine Bestimmung weit jenseits dieses Ortes, und noch dazu eine, die laut Rael für mich gilt, und die, so wähne ich, auch Euch betrifft, Petal, und Euch ebenso, Kiesel.«

Tomlins Herz hämmerte zum zweiten Mal an diesem Tag wie wild, und er empfand den irrigen Wunsch, seine Familie hinter sich zu scharen, Schleuder und Silberkugeln zu nehmen, Petal zu bitten, sich mit ihren Wurfmessern zu gürten, und seinen Bokker und Dammsels zu befehlen, sich ebenfalls zu bewaffnen.

Eine Vision von Baron Stoke stieg monströs in seinem Hirn auf.

»Stoke!«, knirschte er, und die Wut in seiner Brust vertrieb die Furcht.

Die Kinder starrten mit großen Augen ihren Vater an, denn sie kannten die Geschichte von der Jagd auf Baron Stoke nur zu gut. Zwanzig Jahre lang hatten sie das Monster gesucht, Riatha, und Urus und Tomlin und Petal. Die vier Gefährten hatten Stoke schließlich gestellt, vor zehn Jahren, dort am Nord-Gletscher. Allerdings, die Kinder wussten

Titel der amerikanischen Originalausgabe THE EYE OF THE HUNTER (Part 1) Deutsche Übersetzung von Wolfgang Thon

Deutsche Erstausgabe 02/2008 Redaktion: Joern Rauser

Copyright © 1992 by Dennis L. McKiernan

Copyright © 2008 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH www.heyne.de

Titelillustration: Arndt Drechsler Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Karte: Andreas Hancock Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels

eISBN: 978-3-641-08093-8

www.randomhouse.de

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