Magiermacht - Dennis L. McKiernan - E-Book

Magiermacht E-Book

Dennis L. McKiernan

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Beschreibung

Die Macht der Magier

Bereits über 120.000 verkaufte Exemplare – mit seinen Romanen über schlagkräftige Zwerge und edle Elfen beweist Dennis L. McKiernan einmal mehr, dass er ein wahrer Meister der klassischen Fantasy ist: Dunkle Mächte bedrohen Mithgar und überziehen das Land mit Schrecken. Und das Schicksal aller Völker hängt ab von zwei Helden, die eigentlich keine sind …

Der Beginn eines neuen packenden Abenteuers!

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Seitenzahl: 366

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Das Buch

Im Norden der Welt erhebt sich der Schwarzmagier Modru und bedroht im Namen seines finsteren Herren Gyphon alle freien Völker Mithgars mit einem gewaltigen Krieg. Menschen und Elfen bleibt kein anderer Weg, als sich zur Schlacht zu rüsten. Inmitten dieser Kriegswirren wird ein Botenreiter des Königs überfallen, der eine äußerst wichtige Mission hatte. Sterbend bittet er den Wurrling Tipperton Thistledown, seinen Auftrag für ihn zu erfüllen. Und so begibt sich Tip gemeinsam mit seinem Freund Beau Darby auf die bedrohliche Reise, um ein geheimnisvolles Artefakt zu Agron zu bringen. Ihr Weg führt die Wurrlinge durch den gefährlichen Ödwald und in die Länder der Elfen, wo die Horden des Schwarzmagiers Modru bereits ihr Unwesen treiben. Tip und sein Gefährte müssen erkennen, wie viel von ihrem Erfolg abhängt – denn nicht weniger als das Schicksal der Welt steht auf dem Spiel.

Dennis L. McKiernans MITHGAR-Romane:

Bd. 1: Zwergenkrieger Bd. 2: Zwergenzorn Bd. 3: Zwergenmacht Bd. 4: Elfenzauber Bd. 5: Elfenkrieger Bd. 6: Elfenschiffe Bd. 7: Elfensturm Bd. 8: Magiermacht Bd. 9: Magierschwur Bd. 10: Magierkrieg Bd. 11: Magierlicht

Der Autor

Dennis L. McKiernan, geboren 1932 in Missouri, lebt mit seiner Familie in Ohio. Mit seinen Romanen aus der magischen Welt Mithgar gehört er zu den erfolgreichsten Fantasy-Autoren der Gegenwart.

Inhaltsverzeichnis

Das BuchDer AutorWidmungEin Teil von MithgarVorwortANMERKUNGEN DES AUTORS1. Kapitel2. Kapitel3. KapitelCopyright

Titel der amerikanischen Originalausgabe HÈL’S CRUCIBLE: INTO THE FORGE – PART 1 Deutsche Übersetzung von Wolfgang Thon

Für alle auf der Welt, die Fantasylesen und schreiben,undfür die lange Kette von Menschen,die sie verbindet.Zusammen können wir die MagieWirklichkeit werden lassen.

Ein Teil von Mithgar

Vorwort

Ereignisse sind wie Steine, die man in einen See wirft. Sie platschen und erzeugen Wellen, die sich konzentrisch ausbreiten. Bedeutungsvolle Ereignisse verursachen dabei – wie größere Steine – manchmal Wellen, die sogar jene erreichen, die ihnen im Weg stehen. Manchmal wird man dabei sogar überspült, falls man nicht weit genug von dem Ereignis entfernt ist. Und gelegentlich ist ein Ereignis-Stein so groß, dass sich seine Wellen auf die ganze Welt auswirken, wie die Dinosaurier ja am eigenen Leib erfahren mussten.

Es kommt auf die Größe des Steines und seine Eintrittsgeschwindigkeit an, ob die Schockwelle enorm oder winzig ist. Ob wir jedoch untergehen oder darauf schwimmen können, hängt nicht notwendigerweise von der Größe der ersten Woge ab, und auch nicht von unserem Abstand dazu, obwohl das schon eine gewisse Rolle spielt. Denn das Wasser ist ständig voller Wellen; einige davon sind groß, andere klein. Sie sind alle miteinander verwoben, verstärken sich an einer Stelle und neutralisieren sich dafür an einer anderen. Ebenso wie sich mehrere winzige Wellen vereinigen und eine halbe Welt entfernt eine gewaltige Wirkung erzeugen können. Das ist der sogenannte Schmetterlingseffekt. So wie andere große oder kleine Wellen sich auch gegenseitig vollkommen aufheben können.

Diese Geschichte nun handelt von großen Steinen und von Wellen, die sich miteinander verbinden und sich immer weiter ausbreiten.

– DENNIS L. MCKIERNAN

ANMERKUNGEN DES AUTORS

Magiermacht erzählt die Geschichte des Großen Krieges, gesehen durch die Augen von zwei Wurrlingen, Tipperton Thistledown und Beau Darby.

Die Geschichte beginnt im Jahr 2195 der Zweiten Ära von Mithgar. In dieser Zeit können die Rûpt oder Rukhs noch bei Nacht und am helllichten Tag umherstreifen, obwohl man sagt, dass sie ihrem schändlichen Tun lieber im Schutz der Dunkelheit nachgehen.

Die Geschichte des Großen Bannkrieges wurde aus verschiedenen Quellen rekonstruiert, von denen eine wichtige die Thistledown-Saga ist. Ich habe an einigen Stellen die Lücken mit eigenen Vermutungen ergänzt, aber im Großen und Ganzen entspricht die erzählte Geschichte der ursprünglichen Sage.

Wie bei einigen anderen Werken über Mithgar kommt es häufig vor, dass sich in der Hitze des Augenblicks Menschen, Magier, Elfen und andere unwillkürlich ihrer Muttersprache bedienen. Um jedoch lästige Übersetzungen zu vermeiden, habe ich, wo erforderlich, ihre Worte in Pellarion aufgeschrieben, der Umgangssprache Mithgars. Einige Worte und Redewendungen eignen sich jedoch nicht für die Übersetzung, und diese habe ich unverändert gelassen. Darüber hinaus mögen verschiedene Wörter falsch aussehen, sind tatsächlich aber korrekt – so ist zum Beispiel DelfHerr nur ein einzelnes Wort, obwohl mitten im Wort ein großes H steht.

Die Elfensprache Sylva ist sehr altertümlich und förmlich, aber im Interesse der Lesbarkeit sind die meisten altertümlichen Ausdrücke und Redewendungen eliminiert worden.

Für die besonders Neugierigen sei noch angemerkt, dass das w in Rwn wie uu ausgesprochen wird (w ist schließlich nichts anderes als ein doppeltes u). Rwn wird also nicht Renn ausgesprochen, sondern Ruhn.

Mithgar jedoch … Mithgar ist noch wild,ungestüm, wüst, turbulent und aufregend.Wir kommen hierher,wenn wir uns lebendig fühlen wollen.

1. Kapitel

Tipperton schrak in der eisigen Dunkelheit hoch. Was war das? Er blieb regungslos liegen und lauschte, versuchte durch das Murmeln des Baches, der unter dem Eis dahinströmte, ein Geräusch auszumachen. Ich dachte, ich hätte etwas gehört …

Tsching.

Da! Da ist es wieder!

Tsching Tschang … Tschang!

Metall auf Metall, aber weit entfernt. Was zum …?

Tipperton schwang seine Füße über die Bettkante und stolperte in dem eisigen Dämmerlicht über den kalten Holzboden. »Autsch!« Er stieß sich das Schienbein an einer Bank, die mitten im Weg stand.

Erneut klirrte Metall auf Metall, lauter diesmal, als würde sich die Quelle des Geräusches nähern.

Tipperton tastete auf dem Tisch nach der Laterne und fegte dabei Töpfe und Pfannen zu Boden, während das metallische Klirren immer lauter wurde. Jetzt konnte er dazwischen sogar gutturale Schreie und laute Schritte ausmachen.

Schließlich fand er zwischen den Töpfen die Laterne. Während er vergeblich versuchte, einen Feuerspan zu entzünden, ertönte ein schriller Schrei, und etwas Schweres stürzte mit einem Knall draußen vor der Tür zu Boden.

Tipperton riss den Feuerspan erneut an, und diesmal fing der Docht der Laterne Feuer. Er schob den Glaszylinder zurück und gelbliches Licht erfüllte die Mühlkammer. Es fiel über die massiven Dachbalken, beleuchtete die Zahnräder mit den hölzernen Zähnen, welche die gewaltigen Mühlsteine antrieben. Jetzt jedoch stand das Mahlwerk still, denn das Wehr war geschlossen, und weder durch die Mühlrinne noch über das Mühlrad floss Wasser.

Das Klirren und Scheppern wurde lauter. Tipperton trat zur Tür, schob den Querbalken zurück und riss das Portal weit auf. Im selben Moment prallte etwas oder jemand gegen die Mauer der Mühle. Das ganze Gebäude erzitterte unter der Wucht des Schlages, und durch die Lücken zwischen den Zedernholzbalken rieselte Getreidemehl herunter.

Nur mit seinem Nachthemd bekleidet und mit der Laterne in der erhobenen Hand trat Tipperton auf die Veranda heraus. »Heda, was soll dieser Lärm?« In der Dunkelheit außerhalb des Lichtkegels der Laterne sah er, wie sich schwarze Schatten bewegten.

»Verschwinde, du Narr!«, schrie jemand. Im selben Augenblick löste sich einer der Schatten aus dem Tumult und stürmte auf Tipperton zu.

Der Bokker sprang hastig zurück, schlug die Tür zu und warf den Querbalken in die Halterung, als die Person, die sich auf ihn gestürzt hatte, auch schon gegen das Holz prallte.

Auf der Veranda ertönte der Klang schwerer Schritte. Im nächsten Moment zerbarst ein Fenster, und die Glassplitter flogen nach innen. Tipperton rannte durch den Raum und riss seinen Bogen von seinem Platz über dem Kaminsims. Mitten in dem Kampfgetöse spannte der Bokker hastig den Bogen. Dann schnappte er sich den Köcher mit den Pfeilen, ließ die Laterne stehen und kletterte schnell die Leiter zur Galerie empor. Er rannte zu einer Schiebetür in der Wand und riss sie auf. Im kalten Licht der funkelnden Sterne am Winterhimmel und dem frostigen Strahlen des Viertelmondes, der hoch am südöstlichen Himmel stand, kletterte er auf die schneebedeckte Rinne der hölzernen Schleuse, deren Rand von einer dünnen Eisschicht überzogen war.

In dem Moment hörte er einen Schrei, einen schweren Sturz und … in der schlagartig eingekehrten Stille nahm Tipperton nur seinen eigenen hämmernden Herzschlag, sein angestrengtes Atmen und das leise Murmeln des Wassers unter dem Eis wahr.

Tipperton ließ den Pfeil auf der gespannten Sehne liegen, duckte sich und kroch weiter, bis er die Vorderseite der Mühle überblicken konnte. Dunkle Gestalten lagen im Schnee. Sie rührten sich nicht. Zwei oder drei lagen zusammengesunken auf der Veranda. Vorsichtig kroch Tipperton zu einer Stelle über einem Strebepfeiler der Mühlrinne und lauschte in die Nacht. Der Bokker zitterte in der eisigen Kälte, denn er stand mit nackten Füßen im Schnee auf der Eisschicht und trug nach wie vor nur sein dünnes Nachthemd. Er wartete eine Weile, aber nichts passierte. Alles blieb ruhig. Schließlich kletterte er die Leiter hinunter, hielt den Bogen vorsichtshalber schussbereit gespannt und ignorierte seine Füße, die allmählich vor Kälte gefühllos wurden, während er durch den Schnee auf eine der reglosen Gestalten am Boden stapfte.

Es war ein Rukh. Ein toter Rukh. Er war von einer Klinge förmlich zerstückelt worden. Die glasigen, reptilienartigen Augen starrten blicklos in den Himmel.

Tipperton ging weiter durch den zertretenen Schnee, und bittere Galle stieg ihm die Kehlte hoch, als er an einem toten, ausgeweideten Pferd vorbeikam, von dessen Kadaver noch warmer Dampf in die kalte Luft emporstieg. Dahinter lagen noch mehr tote Rukhs. Die o-beinigen Gestalten mit ihren spitzen Fledermausohren und der dunklen Haut trugen Lederharnische. Ihr dunkles Blut sickerte langsam in den Schnee. Ihre Waffen, Krummsäbel und Keulen, lagen überall verstreut. Die meisten Toten waren einer Klinge zum Opfer gefallen, einigen wenigen war jedoch auch der Schädel eingeschlagen worden. Aus ihren klaffenden Wunden stieg Dampf auf.

Den Pfeil immer noch schussbereit haltend, näherte sich Tipperton der Veranda. Ein toter Rukh lag mit dem Oberkörper auf den Holzbohlen, die Beine im Schnee. Links neben der Tür lehnten zwei Leichen. Die eine war ein Hlök. Er ähnelte einem Rukh, war jedoch größer, und seine Glieder waren weniger gekrümmt. Er war von einem Schwert durchbohrt worden, das seine toten Finger noch immer umklammerten. In der anderen Hand hielt er noch im Tod einen blutigen Krummsäbel. Die andere Leiche, die unter ihm lag …

… stöhnte!

Tippertons Herz machte vor Schreck einen Satz, er sprang zurück, spannte den Bogen und …

Warte! Das ist ein Mensch! Bei Adon, sieh dir bloß das viele Blut an!

Tipperton legte den Bogen zur Seite und zerrte den toten Hlök von dem Menschen herunter.

Der Mann schlug die Augen auf, als Tipperton ihn bewegte, schloss sie jedoch sofort wieder.

Du musst ihn hineinschaffen! Tipperton legte den Bogen ab, hob den Riegel an und stieß gegen die Tür. Sie gab nicht nach. Nitwit! Sie ist verbarrikadiert! … Moment, das Fenster! Rasch trat Tipperton um den Mann herum und an die Fensteröffnung. Er brach die restlichen Glasscherben heraus, kletterte hindurch und verletzte sich den Fuß, als er in die Glassplitter trat, die hinter dem Fenster auf dem Boden lagen. Zweimal Nitwit!

Er humpelte zur Tür und hob den Querbalken an. Die Tür schwang auf, als das Gewicht des Mannes nicht mehr von dem Balken gehalten wurde. Er fiel nach vorne in die Kammer. Tipperton gelang es mit viel Mühe, ihn gänzlich herein zu ziehen. Als der Bokker wieder hinaustrat, Bogen und Pfeile vom Boden aufklaubte und sich draußen umsah, pochte sein Herz vor Aufregung. Nichts. Er trat wieder in die Mühle und zog die Tür hinter sich zu.

Im Licht der Laterne, die noch auf dem Ofen stand, nahm Tipperton dem Mann den Helm ab. Darunter kam kurz geschorenes, dunkles Haar zum Vorschein. Er schob ihm ein Kissen unter den Kopf. Der Mensch war schlank, muskulös, und schien Mitte zwanzig zu sein. Aber bei einem Menschen kann ich das nicht gut einschätzen. Tipperton riss ein Tuch in Fetzen, um die Wunden seines Gastes zu verbinden. »Hör zu, mein Freund«, sagte er dabei laut. »Ich würde dich ja gern aus deiner Rüstung schälen, um deine Wunden zu versorgen. Aber ich fürchte, dass die Wunden nur stärker bluten, wenn ich dich herumschubse. Deshalb trenne ich nur dort die Stellen an deinem Lederwams weiter auf, wo es ohnehin schon durchlöchert ist.« Der Mann öffnete weder die Augen, noch antwortete er. Vermutlich war er bewusstlos. Der Bokker versorgte die Verletzungen, so gut er konnte. Er schnitt die Ärmel und die Hosenbeine auf, löste die Bänder an der Front des Lederharnischs, öffnete das Wams darunter und verband die Wunden. Die Verbände färbten sich rot, noch während er die nächste Wunde versorgte.

Jetzt schlug der Mensch die Augen auf. Sie waren von einem derartig hellen Blau, dass sie fast weiß wirkten. Ihr Blick richtete sich auf Tipperton. »Läufer.«

»Was … Was?«

»Mein … Pferd.«

Tipperton widmete sich angelegentlich der nächsten Wunde. »Tut mir leid«, erwiderte er leise. »Das Pferd ist tot.«

Der Mann seufzte und schloss seine unheimlichen, hellen Augen.

Rasch bandagierte Tipperton die letzten Verletzungen und zog anschließend eine Decke über den Mann. Dann streifte er sein Nachthemd ab, das mittlerweile blutgetränkt war, und zog sich hastig an. »Ich hole Hilfe. Einen Heiler. Er wohnt ganz in der Nähe.«

Als der Bokker seinen verletzten Fuß in einen Stiefel zwängte und seinen Mantel überwarf, schlug der Mann erneut die Augen auf, hob schwach eine Hand und winkte ihn zu sich.

Tipperton kniete sich neben den Verwundeten.

Der Mann starrte in Tippertons blaue Augen, die wie Saphire funkelten, und schien einen Entschluss zu fassen. Er bemühte sich, seinen ledernen Halsschutz zu öffnen. Mit Tippertons Hilfe gelang es ihm schließlich, die Schnüre zu lösen. Anschließend zog der Fremde ein Lederband aus dem Ausschnitt, an dem ein Anhänger hing. »Osten«, flüsterte er, als er dem Bokker den Anhänger, eine einfache, mattgraue Münze mit einem Loch in der Mitte, in die Hand drückte. »Geh nach Osten … Warne sie … Bring das zu … Agron.«

Tipperton runzelte verwirrt die Stirn. »Agron? Wer …? Nein, warte. Du kannst es mir später erklären.« Er streifte sich das Lederband über den Kopf und schob die Münze in sein Hemd. »Erst hole ich den Heiler.«

»Pass auf, Waerling.« Der Mann hatte seine hellblauen Augen wieder geschlossen. »Da draußen … lauern noch mehr.«

Tipperton holte tief Luft. »Ich nehme meinen Bogen mit.«

Der Fremde antwortete nicht.

Der Wurrling erhob sich zu seiner stattlichen Größe von fast einem Meter und schaute auf den Menschen herab. Dann griff er nach Bogen und Pfeile und blies die Laterne aus. Ich kann kein Leuchtfeuer gebrauchen, das den Rukh den Weg zeigt. Er schlich aus der Tür und zog sie leise hinter sich zu. Rasch glitt er zur Seite, drückte sich an die Wand und suchte die Dunkelheit nach Feinden ab. Da er niemanden sah, ging er den Hang hinauf und verschwand zwischen den Bäumen. Er mied den zweispurigen Karrenweg und hielt sich lieber im Schutz des Waldes. Nach wenigen Schritten fiel er in einen raschen Trott. Sein schwarzes Haar wehte hinter ihm her, während seine Füße über den Schnee zu fliegen schienen. Tipperton Thistledown eilte vollkommen lautlos durch den Wald, so wie es nur ein Wurrling vermochte.

2. Kapitel

Bumm, Bumm.

»Beau! Beau, wach auf!«

Erneut hämmerte jemand an die Tür der Kate und rüttelte am Riegel. »Beau! Verdammt noch mal!«

Beau Darby wachte mit einem Stöhnen auf. Es war eiskalt und finster.

Bumm!

»He …!«, krächzte Beau. »Moment mal! Wollt Ihr vielleicht die Toten zum Leben erwecken?« Mit einem leisen Fluchen schlich der Bokker über die kalten Holzbohlen zur Tür.

Rumms! »Beau …« Der ungebetene Gast setzte gerade zu einem neuerlichen Fluch an, als Beau den knarrenden Riegel zurückschob und die Tür aufriss. Ein eisiger Windhauch fegte herein. »Da bist du ja endlich, Beau! Zieh dich an und schnapp dir deinen Ranzen! Es hat Ärger gegeben. In meiner Mühle liegt ein Verwundeter!«

Im Licht der Sterne und des Mondes erkannte Beau seinen Freund Tipperton. Er war der einzige andere Wurrling, der in der Nähe von Gabelhain lebte. Er stand mit dem Bogen in der Hand auf der Schwelle seiner Kate. Die beiden Bokker waren fast gleich alt. Tipperton war ein Jungbokker von dreiundzwanzig Jahren, Beau war zweiundzwanzig. Dennoch wurden sie in Gabelhain wegen ihrer geringen Körpergröße häufig wie kleine Kinder behandelt.

»Was hast du gesagt, Tip?«

»Ich habe gesagt, in meiner Mühle liegt ein verwundeter Mensch!«

»Verwundet?«

»Ja. Rukhs und Hlöks haben ihn angegriffen. Er blutet aus vielen Wunden.«

»Er blutet?«

»Sag ich doch, Wurro, er blutet!« Tipperton drängte sich an Beau vorbei in die Kate und suchte humpelnd nach einer Laterne. »Sie haben sein Pferd umgebracht. Und ihn wollten sie auch töten. Einer hat sich sogar auf mich gestürzt. Aber der Mensch hat sie alle erwischt. Direkt vor meiner Mühle. Sieben, acht Rukhs und einen Hlök.« Endlich fand Tipperton die Laterne und zündete sie an.

In ihrem flackernden Schein schaute er Beau an. Der Wurrling stand immer noch an der Tür, mit leicht offenem Mund und wie vom Donner gerührt.

»Nun komm endlich, Beau. Wir dürfen keine Zeit verlieren!«

Endlich reagierte Beau. Er klappte den Mund zu und schloss die Tür. Er lief durch das Zimmer und zog sich dabei das Nachthemd über den Kopf. »Rukhs und anderes Gezücht? Hier in der Wildnis? Ganz in der Nähe von Gabelhain? Und sie haben an der Mühle gekämpft?« Er warf das Hemd auf das zerwühlte Bett und sah Tipperton aus staunend aufgerissenen, bernsteinfarbenen Augen an. »Was wollten sie denn überhaupt dort? Und überhaupt, wie geht es dir? Humpelst du etwa?«

»Ich habe mir einen Glassplitter in den Fuß getreten. War meine eigene Schuld. Darum kannst du dich kümmern, wenn wir den Menschen versorgt haben. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was sie an der Mühle wollten. Ich nehme an, es war reiner Zufall.«

Beau zog seine Hose an. »Warum sollten die Rukhs einen Menschen verfolgen?«

Tipperton zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Vielleicht war es ja auch anders herum. Ich meine, dass er sie verfolgt hat. Aber eines kann ich dir sagen: Ganz gleich, wer hinter wem her war, sie sind alle tot, alle bis auf ihn. Hoffe ich jedenfalls. Er hat noch gelebt, als ich ihn verlassen habe, aber er hat so schlimm geblutet, meiner Treu! Er hat viele Wunden davongetragen. Immerhin waren es verdammt viele Rukhs. Ich habe ihn so gut verbunden, wie ich konnte.«

Tipperton lief ungeduldig im Raum herum, während Beau das Wams über sein schulterlanges, braunes Haar zog und die Hände in die Ärmel schob. »Mach dir keine Sorgen, Tip. Wenn du seine Wunden ordentlich verbunden hast, bringen wir ihn schon durch.«

»Und wenn nun die Klingen der Rukhs vergiftet waren? Ich habe gehört, dass sie oft ein tödliches Gift auf ihre Schwerter schmieren.«

Beau steckte die Füße in die Stiefel und stand auf. »Umso mehr Grund haben wir, uns zu beeilen.« Er warf seinen Mantel über, schnappte sich den Ranzen mit seinen Arzneien und drehte sich zu seinem Freund herum. »Ich bin fertig. Gehen wir.«

Tipperton hob seinen Bogen auf. »Mach das Licht aus, und lass die Laterne im Haus. Der Mann hat gesagt, es wären noch mehr Rukhs und dergleichen unterwegs.«

Beau sah ihn erschrocken an, nickte dann jedoch und blies die Laterne aus. Im Dunkeln trat Tipperton an die Tür und spähte hinaus. »Die Luft ist rein!«, zischte er, schlüpfte nach draußen und durch den Schatten über die Lichtung zwischen die Bäume. Beau folgte ihm auf den Fersen. Lautlos huschten die beiden Wurrlinge im Licht der Sterne durch den Wald.

»Warte, ein Moment!«, flüsterte Tipperton. »Irgendwas stimmt da nicht.«

Die beiden Wurrlinge kauerten sich zwischen die Bäume am Waldrand und spähten über die Lichtung zu der dunklen Mühle. Das aufziehende Morgengrauen schwächte das Licht der Sterne und des Mondes ab.

Beau atmete mehrmals tief durch, um seinen rasenden Puls unter Kontrolle zu bringen. »Was ist denn? Ich kann nichts sehen.«

»Ich habe die Tür hinter mir zugezogen. Aber jetzt steht sie weit offen.«

»Meiner Treu!«

Sie blieben im Dämmerschatten der Bäume hocken. »Könnte der Mann«, fragte Beau schließlich, »die Tür vielleicht selbst aufgemacht haben? Möglicherweise ist er ja verschwunden. «

»Das könnte natürlich sein, aber ich halte es eher für unwahrscheinlich. Er war viel zu schwach dazu.«

Sie starrten noch eine Weile auf die Mühle. Nichts rührte sich. »Wenn wir noch länger warten«, meinte Tipperton schließlich, »dann verblutet der Mann vermutlich. Warte hier, Beau. Ich sehe nach, was da los ist. Wenn ich pfeife, komm schnell. Wenn ich schreie, renn um dein Leben.«

Bevor Beau antworten konnte, huschte Tipperton davon und schlug sich nach links in die Büsche.

Die Augenblicke verrannen so langsam wie träges Wasser.

Es wurde hell.

Schließlich glaubte Beau, einen Schatten auf der Veranda zu sehen.

Nach einigen Augenblicken leuchtete das gelbliche Licht der Laterne in der Mühle auf, und Tipperton trat erneut vor die Tür. Er pfiff leise und verschwand dann wieder im Inneren des Mühlhauses.

Beau schnappte sich seinen Ranzen und trottete über die Lichtung, vorbei an dem toten Pferd und den niedergemetzelten Rukhs. Als er durch die Tür in die Mühle trat, deutete Tipperton mit einem schmerzlichen Gesichtsausdruck auf den Mann. »Ich fürchte, du kannst nichts mehr für ihn tun, Beau. Jemand hat ihm die Kehle durchgeschnitten.«

Der Fremde lag in einer Blutlache, seine toten Augen starrten an die Decke, und sein Hals war fast ganz durchtrennt. Man hatte ihm die Lederrüstung ausgezogen und seine Sachen achtlos zu Boden geworfen. Helm, Stiefel und der Kettenpanzer waren verschwunden, und der Mühlraum selbst war offenbar durchwühlt worden. Der Tisch war umgefallen, das Bettzeug war zerfetzt, sämtliche Schubladen waren aus der Kommode gerissen und ihr Inhalt auf dem Boden verstreut worden. Beau ging an Tipperton vorbei, kniete sich neben den Mann auf den Boden und seufzte, während er dem Toten die Augen schloss. »Du hast recht, Tip. Niemand außer Adon kann jetzt noch etwas für ihn tun. Was ist deiner Meinung nach hier geschehen?«

Tippertons Kiefer mahlten. »Dieser Mensch hat gesagt, es würden noch mehr Rukhs da draußen herumschleichen. Vermutlich sind sie gekommen, als er wehrlos war, und haben ihn einfach abgeschlachtet.« Tip schlug seine rechte Faust in die linke Handfläche. »Diese verdammten Rukhs!«

Beau nickte. »Damals in den Waldsenken«, sagte er nachdenklich, »hat meine Tante Rose, gesegnet sei ihr Andenken, behauptet, dass alle Rukhs, und genau genommen alle Lebewesen aus der Neddra, mit einem Geburtsfehler behaftet wären: Ihnen fehle ein Herz. Ihrer Meinung nach dächten diese Wesen nur an sich selbst. Sie nannte sie ›Gyphons Gezücht‹. Sie glaubte, dass er sie absichtlich so erschaffen hätte, ohne Mitleid, Mitgefühl oder einem Gewissen. Dass sie diesem hilflosen Menschen die Kehle durchgeschnitten haben, hätte sie nicht überrascht.« Plötzlich schien Beau aus seinen Gedanken hochzuschrecken. Seine Augen wurden groß, als er Tipperton ansah, und dann warf er einen furchtsamen Blick zur Tür. »Meine Güte, Tip, glaubst du, dass da draußen noch mehr herumschleichen? In dem Fall …«

Tipperton schüttelte den Kopf und hob die Hand. »Nein, Beau«, unterbrach er seinen Freund. Er deutete nach draußen. »Es führt eine breite Spur in westlicher Richtung, über den Fluss und zu den Dellinhöhen. Die Waffen der toten Rukhs sind auch verschwunden. Ich nehme an, ihre Gefährten haben sie mitgenommen. Ebenso wie das Schwert, den Helm, den Schulterpanzer und die Stiefel des Mannes. Und wenn ich richtig gesehen habe, haben sie auch ein großes Stück aus dem Pferd herausgeschnitten, obwohl ich keine Lust habe, mir das genauer anzusehen. Man sagt ja, dass die Rukhs am liebsten Pferdefleisch essen. Nein, ich glaube, sie sind weg.«

Beau stieß den Atem aus und ließ die Schultern sinken, als er sich entspannte. »Was das Pferd angeht, hast du recht, Tip. Sie haben tatsächlich ein Stück herausgeschnitten, und der Sattel und die Satteltaschen sind auch zerstückelt.« Beau stand auf, betrachtete die Unordnung in dem Raum und schaute dann wieder den toten Menschen an. »Warum haben sie die Mühle durchsucht? Und ihm die Kleidung vom Leib gerissen? Und den Sattel und die Satteltaschen zerschnitten? Was haben sie wohl gesucht?«

Tipperton schüttelte langsam den Kopf, doch plötzlich riss er seine bernsteinfarbenen Augen weit auf. Er griff in den Ausschnitt seines Hemdes und angelte an der Lederschnur um seinen Hals, bis die Münze herauskam. Sie schimmerte matt im Licht. »Vielleicht wollten sie das hier haben.«

»Und wer ist dieser Agron?«

»Das weiß ich nicht, Beau. Der Mann hat nur gesagt: ›Geh nach Osten und bring das Agron.‹ Ich hätte nachfragen können, aber ich hielt es für wichtiger, Hilfe zu holen.«

»Nach Osten? Im Osten liegen nur der Ödwald und der … Grimmwall. Das sind schreckliche Orte. Tödlich. Dort wimmelt es von Rukhs und dergleichen.« Beau starrte Tipperton entsetzt an. »Vermutlich ist diese Brut genau dorther gekommen. «

»Trotzdem, Beau, genau das waren seine Worte – ›Geh nach Osten‹, hat er gesagt. Außerdem habe ich gehört, dass irgendwo zwischen hier und dem Grimmwall Elfen leben sollen. Natürlich gibt es dahinter noch alle möglichen anderen Länder.«

Beau betrachtete die Münze skeptisch. »Ich wüsste jedenfalls nicht, wieso dieser Anhänger eine besondere Bedeutung haben sollte. Ich meine, die Münze scheint aus ganz gewöhnlichem Zinn zu bestehen, und keinen großen Wert zu haben. Dazu ist sie ganz matt und hat kein Bild aufgeprägt. Nichts, kein Muster, keine Figur, nicht mal ein Motiv. Und zudem ist sie auch noch durchlöchert.« Beau schüttelte den Kopf und gab Tipperton die Münze an ihrem Lederband zurück.

»Für den Mann hatte sie jedenfalls eine Bedeutung. Und sehr wahrscheinlich bedeutet sie auch für diesen Agron etwas, wer auch immer das sein mag.« Tip warf einen kurzen Blick auf das Durcheinander und seufzte. »Vielleicht hast du recht, Beau. Möglicherweise hatte die Münze keine Bedeutung für die Rukhs. Vielleicht haben sie einfach nur nach Beute gesucht.«

Beau zuckte mit den Schultern und warf dann einen Blick auf die Leiche. »Wir müssen ihn bestatten, Tip. Am besten verbrennen wir ihn. Schließlich ist der Boden noch gefroren.«

Tip seufzte und nickte. Dann sah er zum Himmel hoch, an dem bereits das Morgenrot glühte. »Wir errichten einen Scheiterhaufen auf der Lichtung. Dann können wir die Rukhs und den Hlök gleich mit verbrennen.«

»Was ist mit dem Pferd? Sollen wir es auch verbrennen?«

Tipperton spitzte nachdenklich die Lippen und schüttelte schließlich den Kopf. »Nein … Ich denke, wir sollten es den Füchsen und den anderen Wildtieren überlassen.« Tipperton nahm seinen Bogen und ging zur Tür. »Ich hole eine Axt und schlage trockenes Holz. Du kannst ein paar Scheite aus meinem Holzvorrat nehmen und die Basis für den Scheiterhaufen legen.«

Beau stellte den Tisch auf und legte seinen Ranzen ab. Als er zur Tür ging, sah er, dass Tipperton regungslos auf der Schwelle stand.

»Was gibt’s?«, flüsterte Beau und schaute sich nach irgendwelchen Feinden um. Aber es war niemand zu sehen.

Tipperton stöhnte und deutete in Richtung Nordwesten. Dort war eine Lichtung zwischen den Bäumen, wo der Fluss verlief. »Das Signal am Leuchtfeuertor! Es brennt.«

3. Kapitel

»Das Leuchtfeuertor?« Beaus Blick folgte Tips ausgestrecktem Arm. Etwa dreißig Meilen entfernt schimmerte über einer Anhöhe der rote Schein eines Feuers. Es war das Signalfeuer, das jeden in der Region zu den Waffen rief, der es sehen konnte.

Jetzt stöhnte Beau. »Meine Güte! Erst dieses Gezücht, das hier herumschleicht, und nun das Feuer … ich fürchte, es kommen schwere Zeiten auf uns zu. Wenn ich nur an deine Mühle denke! Diese schrecklichen Kämpfe, der tote Mensch, die abgeschlachteten Rukhs und der Hlök!«

Tipperton schüttelte den Kopf. »Wenn das Signal auf dem Leuchtfeuertor angezündet wird, Beau, bedeutet das mehr als ein bisschen Ärger für uns hier in Gabelhain. Sicher, du könntest recht haben: Es könnte heißen, dass wir zu einem Scharmützel gegen irgendwelche Plünderer zu den Waffen gerufen werden. Aber wenn die Warnung an einem anderen Ort ausgelöst wurde, und zum Beispiel über die Signalkette aus dem Norden oder hoch oben von den Dellinhöhen weitergegeben wurde, tja dann …«

»Tip, ganz gleich, woher es kommt, es bedeutet nichts Gutes.«

Tipperton sah seinen Gefährten an. »Beau, wenn die Warnung über die Signalkette gekommen ist, bedeutet sie vielleicht sogar Krieg.«

Deutsche Erstausgabe 03/2007 Redaktion: Natalja Schmidt Copyright © 1997 by Dennis L. McKiernan Copyright © 2007 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH www.heyne.de

Titelillustration: Arndt Drechsler Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels

eISBN 978-3-641-08110-2

www.randomhouse.de

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