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Ein Sommer voller Kühe, Gänse und Gewissensfragen – und ein Hund namens Schweizer. Inmitten ländlicher Idylle und harter Arbeit erzählt Adam Scharrer in eindrucksvoller Sprache die Geschichte eines Hirtenjungen, der früh Verantwortung übernimmt – für die Tiere, für sich selbst und für das, was richtig ist. Ob beim Treiben der Herde, im Kampf mit einem wilden Stier oder im Streit um eine gestohlene Gans: Der Junge erlebt Abenteuer, die Mut, Ehrlichkeit und Widerstandskraft fordern. Diese autobiografisch geprägten Kindheitserinnerungen fesseln mit lebendigen Naturbildern, feinem Humor und einer stillen Rebellion gegen die Härte des Alltags. Ein literarisches Kleinod über das Erwachsenwerden auf dem Land, über Mensch und Tier – und über das stille Heldentum eines Jungen und seines Hundes.
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Seitenzahl: 41
Veröffentlichungsjahr: 2025
Adam Scharrer
Abenteuer eines Hirtenjungen
ISBN 978-3-68912-477-9 (E–Book)
Die Erzählung erschien erstmals 1935 in der Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR, Moskau, Leningrad.
Für das E-Book wurde die Erzählung dem Sammelband „Der Mann mit der Kugel im Rücken“ entnommen, erschienen 1979 im Aufbau Verlag Berlin und Weimar.
Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.
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Wenn die Schlüsselblumen blühen, die Linden schon in saftigem und dichtem Grün stehen, die Weiden voller „Kätzchen“ hängen und es aus allen Gärten nach Flieder duftet, rüstet der Hirt zum ersten „Austreiben“.
Die den langen Winter über im Stall stehenden Kühe müssen sich immer wieder von neuem an die Freiheit gewöhnen. Beim ersten Wiedersehen rennen sie mit den Schädeln aufeinander los, dass es weithin dumpf dröhnt. Manches Horn geht dabei zu Bruch, und die Sieger geben sich nicht zufrieden, wenn der Schwächere weicht. Sie jagen hinterher, versuchen die flüchtenden Gegner seitlich zu fassen und könnten ihnen mit ihren spitz ausgewachsenen Hörnern Haut und Fleisch aufreißen. Die Spitzen der Hörner werden daher einige Tage vor dem Austreiben abgesägt und stumpf geraspelt.
Das ist für die Kühe keine angenehme Sache. Manche sind kaum zu halten, trampeln aufgeregt hin und her, verdrehen grimmig den Kopf. Schon manches Sägeblatt ist dabei in Trümmer gegangen. Doch mein Vater war unerbittlich. Er verdiente durch das Absägen und Stumpfraspeln der Hörner einen Teil seines Jahreslohnes: pro Kuh ein Ei.
Als ich zum ersten Mal den Eierkorb trug, war ich fünf Jahre alt. Stolz stand ich im Stall des Weidenbauern. Eine kleine dürre schwarzgefleckte Kuh wehrte sich verzweifelt gegen die Sägerei. Sie bohrte den Kopf schnaubend in die Luft und riss Vater und die Magd mit hoch, kniete dann plötzlich nieder und tobte wie wild weiter. Vater und die Magd ließen sie los. Die Kuh blieb breitbeinig und störrisch stehen, dann hob sie den Schwanz, hustete, und ich war plötzlich völlig blind. Mein Gesicht war grün und saftig verdeckt. Die Eier im Korb hielt Vater unter den Brunnen und pumpte Wasser darüber. Dann reinigte er mir notdürftig Gesicht und Anzug mit einem Bündel Heu. Die Magd lachte aus vollem Halse, als sie mich – die Finger nach außen gespreizt – so stehen sah. „Su“, sagte Vater dann, „itz kast hamgehn, den richtign Hirtengeruch hast itz. Sog der Mutter, sie soll di ausziehn und waschn.“
Am andern Tag zog Vater seinen Burnus über, griff seinen Hirtenstecken und sein blitzblank geputztes Posthorn und schmetterte seine Hirtenmelodie durchs Dorf. Zuerst vorm Kapellenhof, dann vorm Hof des Kramerbauern, zuletzt, vom unteren Dorf herauf, am Brunnen.
Die Ställe öffnen sich. In den Höfen entsteht Hallo. Die alten Weidekühe gehen wohl ruhig ihren Weg, doch die übermütigen Färsen, die Jungkühe, die zum ersten Mal so frank und frei zum Hof hinausgehen, laufen nach allen Seiten auseinander, machen übermütige Sprünge. Die Kälber bleiben stehen, müssen gezogen und geschoben werden, denn sie haben in ihrem Leben nichts gesehen als ihren Stall und ihren Futtertrog. Und brumm! bruch! rennen schon drei, vier Paare die Schädel aufeinander, und eine Glocke liegt mit zerrissenem Riemen am Boden. „Wolf“ flitzt dazwischen, fasst die Raufbolde an den Fesseln. Von jedem Haus geht die Magd mit oder der Bauer oder die Bäuerin. Zwanzig bis dreißig Menschen, um einhundertfünfzig Kühe und Jungvieh auf den Anger zu bringen. Dazwischen der „Bummel“, das einzige erwachsene Rindvieh männlichen Geschlechts.
Ein Teil der Leute ging voraus, ein anderer und Vater mit Wolf hinterher, der Rest verteilte sich seitlich, damit die Äcker nicht zertrampelt werden. Wolf sauste eifrig links und rechts an der Herde entlang, trennte Kämpfende, brachte Ausreißer wieder ein. Erst als die Herde auf dem Anger war, kamen Vieh und Menschen langsam zur Ruhe. Auch die Färsen und Kälber entdeckten nun, dass hier Mutter Natur den Tisch für sie gedeckt hatte. Behaglich bissen sie in das saftige junge Gras. Vater steckte seine Pfeife in Brand, Männer und Frauen kamen ins Witzemachen. Wolf lag mit hängender Zunge, ließ keinen Augenblick die Augen von der Herde, obgleich er schon recht müde war. Über den Kornfeldern flatterten die Lerchen, im Sumpf wateten Störche. Von den Eichen her überschrien Schwärme lärmender Stare den Klang der Glocken. Nach einigen Tagen war die Herde zusammengewöhnt. Vater und ich waren allein.