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Zwischen den Fronten, auf der Suche nach Heimat – ein bewegendes Zeitzeugnis. Als russlanddeutscher Kriegsgefangener wird Johann Ostermann auf einen badischen Bauernhof geschickt – zurück in jenes Land, das seine Vorfahren einst verließen. Dort begegnet er einer erschöpften Familie, die mit Verlust, Mangel und der Willkür der Kriegswirtschaft kämpft. Ostermann wird zum stillen Beobachter, zum Teil des Alltags, zum Spiegel einer zerrissenen Gesellschaft – und zum Hoffnungsträger für eine bessere Zukunft. Adam Scharrers eindringlicher Roman ist nicht nur ein literarisches Dokument der Kriegszeit, sondern auch eine zutiefst menschliche Erzählung über Identität, Solidarität und den langen Weg zur inneren und äußeren Heimat.
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Seitenzahl: 35
Veröffentlichungsjahr: 2025
Adam Scharrer
Der Mann, der seine Heimat suchte
ISBN 978-3-68912-479-3 (E–Book)
Die Erzählung erschien 1979 im Aufbau Verlag Berlin und Weimar.
Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.
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Als der Feldwebel, der in Iwatzewitze die Namen der gefangenen Russen in eine Liste eintrug, den Namen Johann Ostermann hörte, horchte er neugierig auf. „Johann Ostermann?“, fragte er überrascht. „Jawohl!“ antwortete der vor ihm stehende, etwa dreißigjährige Mann in deutscher Sprache. „Ich stamme aus Kronau, einem deutschen Dorf in Russland.“
Ostermann wurde dem Abteilungsstab überwiesen und dann als Dolmetscher verwendet. Einige Monate später wurde er nach Deutschland transportiert und zur Arbeit auf einen Bauernhof im Dorf Lückenhausen abkommandiert. Diese Abkommandierung war ihm sehr willkommen. Im Dorf schien es ihm leichter, das Ende des Krieges abzuwarten, als in dem streng überwachten militärischen Betrieb. Auch hoffte er besseres Essen zu erhalten. Er hatte schon stark an Gewicht verloren infolge der elenden Suppen und winzigen Brotrationen.
Lückenhausen lag zwischen Karlsruhe und Rastatt. Diese Namen trugen auch einige Dörfer der deutschen Kolonie, in der Ostermann geboren war. Und nun sollte er das richtige Rastatt, das richtige Karlsruhe kennenlernen und die Dörfer und Menschen dieses Landes. Während er schweigend im Zug neben dem Unteroffizier saß, der ihn zu seinem zukünftigen Dienstherren begleitete, dachte er über dies eigenartige Geschick nach, auf diesem sonderbaren Wege wieder dahinzukommen, von wo seine Vorfahren einst ausgewandert waren. Je näher das Reiseziel rückte, desto ähnlicher wurde die Sprache der der Menschen in seinem Geburtsort. Hätten sie nicht gar so wortkarg und verschlossen um ihn herumgesessen und er nicht befürchtet, sich verdächtig zu machen, hätte er bestimmt versucht, ein Gespräch anzuknüpfen. So begnügte er sich, die Landschaft zu betrachten. Es war Hochsommer. Die Getreideernte war bereits vorüber, auf den Wiesen reifte die zweite Heumahd.
Lückenhausen war ein großes Dorf, ringsum viel Wald, unweit vor dem Dorf ein Bach. Große, stattliche zweistöckige saubergehaltene Häuser neben einstöckigen kleineren und ärmlichen, verwahrlosten Hütten. Der Bürgermeister sah die Überweisungsorder an, drückte seinen Stempel darauf, setzte seinen Namen darunter und sagte zu dem Unteroffizier: „Die Eckert, das ist das vierte Haus von hier, auf derselben Seite, grad gegenüber vom Brunnen.“
Sie trafen Frau Eckert im Hof. Eine großgewachsene Frau mit ernstem, blassem Gesicht und glatt gekämmtem, schwarzglänzendem Haar. Sie warf von einem Wagen Rüben in einen Korb, ging dann mit Ostermann und dem Unteroffizier ins Haus, las ebenfalls die Überweisungsorder durch, unterschrieb, musterte Ostermann noch einmal und sagte zu dem Unteroffizier: „Wird gar nicht so einfach sein mit ihm. Er kann doch nicht deutsch!“
„Ich denk, es wird schon gehen!“, sagte Ostermann. „Ich bin ein russischer Deutscher.“
Das Gesicht der Frau blieb jedoch streng. „Dann ist es ja gut“, sagte sie, und nachdem der Unteroffizier sich verabschiedet hatte: „Kommen Sie, ich zeige Ihnen gleich Ihre Kammer.“
Sie ging mit Ostermann eine Treppe hoch und führte ihn in eine kleine weiß getünchte Kammer. Dort stand ein Bett, ein Schrank, ein Tisch und ein Stuhl. Frau Eckert betrachtete misstrauisch das in Zeitungspapier gewickelte Bündel, das Ostermann in den Schrank legte, und sagte: „Vielleicht wollen Sie sich erst waschen? Kommen Sie nachher in die Küche, ich gebe Ihnen warmes Wasser und Seife.“
Als Ostermann in die Küche kam, lag neben der Waschschüssel ein Paket. „Nehmen Sie das auch mit“, sagte Frau Eckert. „Gehen Sie in den Stall, und riegeln Sie von innen zu.“ In dem Paket waren ein Hemd, eine Unterhose und Strümpfe.
Ostermann gewöhnte sich rasch ein, obgleich alles ganz anders kam, als er es sich vorgestellt hatte. Das Brot war knapp, die Suppen mager, die Vorräte angesichts des bevorstehenden Winters arg gering. Doch es schien ihm, als wolle man ihn wissen lassen, dass man in diesen Dingen keine Geheimnisse vor ihm habe. Kornspeicher und Keller waren tagsüber unverschlossen, und dass in der Rauchkammer kein Fleisch mehr hing, wusste Ostermann ebenfalls. Sie saßen zu vier Personen am Tisch, außer der Bäuerin noch Käte, eine dreizehnjährige Tochter, und Hans, ein hochgewachsener, schmalbrüstiger achtzehnjähriger Junge. Manchen Tag auch Taglöhnerinnen. Die Bäuerin teilte jedem seine Portion zu und behielt meist immer die kleinste übrig.