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Jerusalem im 9. Jahrhundert vor Christus: Königin Athalia herrscht mit eiserner Faust über Juda. Nach dem brutalen Massaker an ihrer eigenen Familie, bei dem sie alle königlichen Erben ermordete, um ihre Macht zu sichern, glaubt sie sich unantastbar. Doch im Verborgenen überlebt ein Kind – Joas, der rechtmäßige Thronerbe, versteckt und aufgezogen im Tempel Jahwes vom Hohepriester Jojada.Sieben Jahre später spitzt sich der Konflikt zwischen dem wahren Glauben und Athalias Baal-Kult dramatisch zu. Als die Königin den Tempel plündern will, setzt Jojada alles auf eine Karte: Der junge Joas soll seinen rechtmäßigen Platz einnehmen. In einem Netz aus göttlichen Visionen, politischen Intrigen und tödlichen Machtspielen entbrennt ein gnadenloser Kampf um Thron und Glauben.Eine zeitlose Geschichte über Tyrannei und Gerechtigkeit, Verrat und göttliche Vorsehung – Racines Meisterwerk in neuem Gewand, sprachlich modern und packend erzählt.
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Seitenzahl: 99
Veröffentlichungsjahr: 2025
Anno Stock
Athalia - Kein Drama nach Jean Racine
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Table of Contents
TEIL I: DAS BLUT DER KÖNIGE
KAPITEL 1: DER MORGEN DES MASSAKERS
KAPITEL 2: DER SCHWUR IM TEMPEL
KAPITEL 3: DAS VERBORGENE KIND
KAPITEL 4: DIE WACHE UND DAS GEWISSEN
KAPITEL 5: DIE NEUE ORDNUNG
KAPITEL 6: DIE ALTÄRE DES BAAL
TEIL II: SCHATTEN UND LICHT
KAPITEL 7: FÜNF JAHRE SPÄTER
KAPITEL 8: DIE KÖNIGIN ERWACHT
KAPITEL 9: DAS URTEIL
KAPITEL 10: DIE KRÖNUNG
KAPITEL 11: DIE ZERSTÖRUNG DER ALTÄRE
TEIL III: DAS GEWICHT DER KRONE
KAPITEL 12: DER PREIS DER MACHT
KAPITEL 13: DER SCHATTEN DES NORDENS
KAPITEL 14: DIE SCHLACHT UM JERUSALEM
KAPITEL 15: DER PREIS DES FRIEDENS
KAPITEL 16: RISSE IM FUNDAMENT
KAPITEL 17: DER FREMDE GAST
TEIL IV: DIE JAHRE DER PRÜFUNG
KAPITEL 18: DER TAG DER VERSÖHNUNG
KAPITEL 19: DER BAUMEISTER
KAPITEL 20: DER SCHATTEN AUS DEM NORDEN
KAPITEL 21: DIE SAAT DES VERRATS
KAPITEL 22: DER PREIS DES BLUTES
EPILOG: DAS ECHO DER GESCHICHTE
Impressum neobooks
ATHALIA – KÖNIGIN VON JUDA
Der erste Schrei zerriss die Morgenstille des Palastes.
Jehosheba fuhr aus dem Schlaf. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen, während sie sich orientierte. Das war kein Albtraum – das war die Stimme ihres Neffen, des kleinen Prinzen Ahazja. Barfuß eilte sie durch die kühlen Marmorkorridore des Palastes, ihre Füße klatschten auf dem polierten Stein. Der Geruch von Blut erreichte sie, bevor sie die Schreie hörten.
Nein. Nicht das.
Die Thronsaal-Türen standen weit offen. Was sie sah, würde sich für immer in ihre Seele brennen: Ihre Stiefmutter Athalia stand inmitten eines Blutbads, ihr purpurner Mantel getränkt mit dem Blut ihrer eigenen Enkel. Die Leibwachen – Söldner aus Tyrus, erkannte Jehosheba an ihren fremdländischen Rüstungen – zogen ihre Schwerter aus den kleinen Körpern.
"Du hättest schlafen sollen, mein Kind", sagte Athalia, ohne sich umzudrehen. Ihre Stimme klang ruhig, fast zärtlich. "Das hier geht dich nichts an."
Jehosheba presste sich gegen die kalte Wand. Ihr Blick fiel auf die Wiege in der Ecke – Baby Joash, kaum ein Jahr alt, schlief noch immer. Die Mörder hatten ihn übersehen, versteckt hinter einem umgestürzten Vorhang.
Ich muss ihn retten. Jetzt.
"Mutter", flüsterte sie, obwohl das Wort wie Asche in ihrem Mund schmeckte. Athalia war nie wirklich ihre Mutter gewesen. "Was hast du getan?"
"Was getan werden musste." Athalia drehte sich um. Blutspritzer zierten ihre Wangen wie grausame Sommersprossen. "Die Dynastie Davids endet heute. Ein neues Zeitalter beginnt – das Zeitalter der wahren Götter."
Die Wachen begannen, die Leichen wegzuschaffen. In diesem Moment der Ablenkung schlich Jehosheba zur Wiege. Ihre Hände zitterten, als sie das schlafende Baby an sich drückte. Der kleine Joash rührte sich, öffnete seine dunklen Augen – Davids Augen, die Augen der rechtmäßigen Könige Judas.
"Geh", sagte Athalia plötzlich. "Nimm das Kind und geh. Aber wenn du je zurückkehrst, wenn du je davon sprichst..." Sie ließ die Drohung unausgesprochen.
Jehosheba rannte. Durch die Palastgärten, wo die Morgensonne die Olivenbäume in goldenes Licht tauchte. Vorbei an den Wachen, die sie kannten und grüßten, ahnungslos über das Grauen im Thronsaal. Hinauf zum Tempel, wo ihr Mann Jehoiada bereits die Morgenopfer vorbereitete.
Als sie zusammenbrach, das Baby fest an ihre Brust gepresst, wusste sie: Dies war erst der Anfang. Der Kampf um Judas Seele hatte begonnen.
Der Hohepriester Jehoiada kniete vor dem Altar, als seine Frau hereinstürzte.
"Sie hat sie alle getötet", keuchte Jehosheba. "Alle außer diesem hier."
Das Baby in ihren Armen begann zu weinen – ein durchdringender Schrei, der von den Tempelwänden widerhallte. Jehoiada erhob sich langsam, seine sechzig Jahre lasteten schwer auf seinen Schultern. Er hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Die Zeichen waren deutlich gewesen: Athalias wachsende Paranoia, ihre Hinwendung zu den Göttern ihrer Heimat, die Söldner, die sie aus Phönizien hatte kommen lassen.
"Ist das...?"
"Joash. Der Jüngste." Jehoshabas Stimme brach. "Der letzte vom Blut Davids."
Jehoiada nahm das Kind behutsam in seine Arme. Der kleine Junge verstummte sofort, als spüre er die Heiligkeit des Ortes. Ein König, dachte der Priester. In meinen Armen halte ich den rechtmäßigen König von Juda.
"Wir müssen ihn verstecken", sagte er. Seine Gedanken rasten bereits. Der Tempel hatte verborgene Kammern, alte Räume aus Salomos Zeiten, die nur die höchsten Priester kannten. "Niemand darf wissen—"
"Mathan kommt."
Der Name ließ Jehoiadas Blut gefrieren. Mathan, der Oberpriester des Baal, Athalias religiöser Berater. Wenn er hier war...
"Versteck dich", befahl er seiner Frau. "Nimm das Kind. Die Kammer hinter dem Allerheiligsten. Schnell!"
Jehosheba verschwand in den Schatten des Tempels, gerade als Mathan mit einem Dutzend Soldaten eintrat. Der Baal-Priester war ein massiger Mann mit kahlem Schädel, auf dem Tätowierungen fremder Götter prangten.
"Jehoiada", grüßte Mathan mit einem Lächeln, das nicht seine Augen erreichte. "Die Königin verlangt deine Anwesenheit. Es gibt... Neuigkeiten."
"Ich habe vom Tod der Prinzen gehört", antwortete Jehoiada ruhig. Jahre der Übung halfen ihm, seine Emotionen zu verbergen. "Ein tragischer Verlust."
"Tragisch?" Mathan lachte. "Es ist eine Befreiung! Endlich ist Juda frei von der Tyrannei des falschen Gottes. Athalia wird eine neue Ära einläuten – eine Ära der wahren Götter."
Die Soldaten begannen, den Tempel zu durchsuchen. Jehoiada zwang sich zur Ruhe, während sie Vorhänge beiseite rissen und in Nebenräume spähten. Sie würden die verborgene Kammer nicht finden – davon wussten nur er und zwei weitere Priester.
"Du wirst morgen einen Treueschwur leisten", fuhr Mathan fort. "Alle Priester Jerusalems werden sich vor Königin Athalia verneigen. Oder..." Er zog seinen Finger über seine Kehle.
"Ich diene dem Gott Israels", sagte Jehoiada. "Und dem rechtmäßigen Herrscher Judas."
"Dann dienst du Athalia. Sie ist jetzt die rechtmäßige Herrscherin." Mathans Augen verengten sich. "Es sei denn, du weißt von einem überlebenden Erben?"
Die Frage hing schwer in der Luft. Jehoiada spürte den Schweiß auf seiner Stirn, zwang sich aber, dem Blick des anderen standzuhalten.
"Die Linie Davids ist beendet", log er. "Möge Gott ihrer Seelen gedenken."
Mathan nickte langsam, nicht ganz überzeugt. "Wir werden sehen. Die Königin hat Augen überall, Jehoiada. Vergiss das nicht."
Als die Soldaten abzogen, sank Jehoiada auf die Knie. Er wusste, was er tun musste. In den verborgenen Kammern des Tempels würde er einen König großziehen. Und eines Tages würde dieser König zurückkehren und den Thron seiner Väter beanspruchen.
Er legte seine Hand auf den Altar und sprach einen heiligen Schwur: "Bei dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs – ich werde dieses Kind beschützen. Und ich werde dafür sorgen, dass Davids Thron wiederhergestellt wird."
Der Wind heulte durch den Tempel, als hätte Gott selbst seinen Schwur gehört.
Joash mochte das Versteckspiel nicht mehr.
Jeden Tag dasselbe: Wenn die Tempelglocken läuteten, musste er in sein "besonderes Zimmer" gehen. Ein Raum ohne Fenster, wo nur eine kleine Öllampe brannte und die Wände mit seltsamen Zeichen bedeckt waren, die Onkel Jehoiada ihm beizubringen versuchte.
"Warum darf ich nicht mit den anderen Kindern spielen?", fragte er zum hundertsten Mal.
Tante Jehosheba – er durfte sie nur Tante nennen, niemals Mutter, obwohl sie sich wie eine Mutter um ihn kümmerte – strich ihm über das dunkle Haar. "Du bist besonders, mein Kleiner. Eines Tages wirst du verstehen."
Besonders. Das Wort hasste er. Die anderen Kinder, die er manchmal durch die Ritzen in der Wand beobachtete, waren nicht besonders. Sie durften im Tempelhof spielen, durften lachen und rennen. Er durfte nur in seinem Zimmer sitzen und die heiligen Schriften lernen.
"Erzähl mir wieder von König David", bat er. Das war seine Lieblingsgeschichte.
Jehosheba lächelte, aber ihre Augen sahen traurig aus. "David war ein Hirtenjunge, genau wie du gerne einer wärst. Aber Gott hatte größere Pläne für ihn..."
Während sie erzählte, stellte sich Joash vor, wie er gegen den Riesen Goliath kämpfte. Er nahm seinen Holzlöffel und schwang ihn wie eine Schleuder.
"Pass auf!", warnte Jehosheba, aber sie lächelte dabei.
Plötzlich hörten sie Schritte. Schwere Stiefel auf Stein. Jehoshabas Gesicht wurde bleich.
"Schnell, in dein Versteck!"
Joash kannte den Ablauf. Hinter dem falschen Wandpaneel war ein winziger Raum, gerade groß genug für ein Kind. Er kroch hinein, und Jehosheba schob das Paneel zu. Durch einen winzigen Spalt konnte er sehen und hören.
Ein Mann trat ein. Er roch nach Weihrauch und etwas Süßlichem, das Joash nicht mochte. Sein Kopf war kahl und mit seltsamen Bildern bemalt.
"Jehosheba", sagte der Mann. "Ich suche nach... Unregelmäßigkeiten."
"Hier gibt es keine Unregelmäßigkeiten, Mathan."
"Wirklich? Die Tempeldiener berichten von einem Kind. Einem Jungen, der hier lebt."
Joash hielt den Atem an. Meinte der Mann ihn?
"Es gibt viele Waisenkinder, die im Tempel Zuflucht suchen", antwortete Jehosheba ruhig. "Der Hohepriester kümmert sich um sie alle."
"Aber nur eines wird wie ein Prinz behandelt." Mathan trat näher. "Nur eines lernt die alten Schriften, als würde es sich auf etwas vorbereiten."
"Alle Kinder Gottes verdienen Bildung."
Mathan lachte. Es war kein nettes Lachen. "Die Königin wird interessiert sein zu hören, dass der Tempel Geheimnisse hütet. Vielleicht sollte ich gründlicher suchen..."
Seine Hand bewegte sich zur Wand, genau zu Joashs Versteck. Der Junge presste sich tiefer in die Dunkelheit, sein kleines Herz hämmerte so laut, dass er sicher war, der Mann würde es hören.
"Mathan!" Jehoiadas Stimme donnerte durch den Raum. Der Hohepriester stand in der Tür, seine Gestalt füllte den Rahmen aus. "Dies sind heilige Räume. Du hast hier nichts zu suchen."
"Ich suche im Auftrag der Königin."
"Die Königin hat keine Autorität im Haus Gottes." Jehoiadas Stimme war wie Eis. "Geh. Jetzt."
Für einen Moment starrten sich die beiden Männer an. Dann zuckte Mathan mit den Schultern.
"Wir werden sehen, wie lange dein Gott dich noch schützt, alter Mann."
Als er gegangen war, ließ Jehosheba Joash aus seinem Versteck. Der Junge zitterte.
"Wer war das? Warum sucht er mich?"
Jehosheba und Jehoiada tauschten einen Blick.
"Es ist noch nicht Zeit", sagte Jehoiada sanft. "Aber bald, mein Junge. Bald wirst du alles erfahren."
Diese Nacht träumte Joash von einem großen Thron und einer Krone, die zu schwer für seinen kleinen Kopf war. Und von einer Frau mit wilden Augen, die seinen Namen schrie.
Benaja hatte schon viele Geheimnisse in seinen dreißig Jahren als Tempelwache gehütet, aber dieses war anders.
Er stand in der Morgendämmerung auf seinem Posten, den Speer in der Hand, den Blick auf den Vorhof gerichtet. Die Stadt erwachte langsam – Händler öffneten ihre Läden, Bäcker trugen frisches Brot aus, der Geruch von gebratenem Fleisch wehte von den Garküchen herüber. Ein normaler Morgen in Jerusalem.
Nur dass nichts mehr normal war, seit die Königskinder ermordet worden waren.
"Benaja." Die Stimme ließ ihn zusammenzucken. Hauptmann Asarja stand hinter ihm, sein Gesicht eine Maske der Neutralität. "Der Hohepriester will dich sprechen."
Benaja nickte und übergab seinen Posten an einen jüngeren Wächter. Während er Asarja durch die Tempelkorridore folgte, fragte er sich, ob man sein Geheimnis entdeckt hatte. Vor drei Nächten hatte er es gesehen – das Kind, das nicht existieren durfte. Ein Junge, vielleicht fünf Jahre alt, der durch die Tempelhallen geschlichen war. Ein Junge mit den unverkennbaren Gesichtszügen des Hauses David.
Jehoiada erwartete ihn in seinem privaten Gemach. Der alte Priester sah müde aus, die Last der letzten Wochen hatte tiefe Furchen in sein Gesicht gegraben.
"Setz dich, Benaja."
Der Wächter gehorchte, seine Rüstung klirrte leise.
"Du hast etwas gesehen", sagte Jehoiada ohne Umschweife. "Vor drei Nächten."
Es war keine Frage. Benaja schluckte. "Ich... ich bin mir nicht sicher, was ich gesehen habe, Hoher Priester."
"Du hast ein Kind gesehen. Einen Jungen." Jehoiadas Augen bohrten sich in seine. "Und du hast geschwiegen."
"Ich diene dem Tempel", antwortete Benaja vorsichtig. "Und dem Gott Israels."
"Und wenn ich dir sagen würde, dass du durch dein Schweigen dem wahren König von Juda dienst?"