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London, Ende des 19. Jahrhunderts: Zwei Freunde führen ein Doppelleben, um den strengen Konventionen der Gesellschaft zu entkommen. Unter falschen Namen stürzen sie sich in amouröse Abenteuer, Intrigen – und in die größte Verwechslung ihres Lebens. Mit scharfem Witz, feiner Ironie und einem modernen Erzählton erzählt diese Romanadaption Oscar Wildes Komödie "Bunbury oder Ernst sein ist alles" neu. Eine Geschichte über Lüge und Wahrheit, Liebe und Identität – und die Kunst, sich selbst treu zu bleiben, während man jemand anderes spielt.
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Seitenzahl: 102
Veröffentlichungsjahr: 2025
Anno Stock
Im Ernst: Bunbury - Kein Drama nach Oscar Wilde
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Table of Contents
Kapitel 1: Der Mann mit den zwei Namen
Kapitel 2: Die Gouvernante und ihr Geheimnis
Kapitel 3: Bunbury in Hertfordshire
Kapitel 4: Zwei Ernsts und eine Verlobung
Kapitel 5: Die Schlacht der Verlobten
Kapitel 6: Lady Bracknells Einmarsch
Kapitel 7: Die Bedeutung der Taufe
Kapitel 8: Miss Prisms Manuskript
Kapitel 9: Der Brief aus Brighton
Kapitel 10: Begegnung im Regent’s Park
Kapitel 11: Ein unerwarteter Besuch und ein literarischer Salon
Kapitel 12: Der Salon der Enthüllungen
Epilog: Fünf Jahre später
Impressum neobooks
BUNBURY - Ein Roman nach Oscar Wilde
London, Juli 1895. Die Hitze drückte schwer auf die Stadt, als wäre sie eine dicke Wolldecke, die jemand über die Dächer geworfen hatte.
Jack Worthing stand vor der Haustür in der Halfmoon Street und zögerte. Seine Hand schwebte über dem polierten Messingklopfer. Er hasste diese Momente – diese Sekunden des Übergangs, in denen er aufhörte, Jack zu sein, und zu Ernst wurde. Es war, als würde er ein unsichtbares Kostüm überstreifen, komplett mit anderem Gang, anderer Stimme, anderen Sorgen.
Er holte tief Luft. Die Londoner Luft schmeckte nach Kohle und Pferdemist, nach tausend Leben, die sich kreuzten, ohne sich je zu berühren. Dann klopfte er.
"Ernst!" Algernon Moncrieff öffnete die Tür persönlich, was ungewöhnlich war. Sein Grinsen war so breit, dass Jack sofort misstrauisch wurde. "Was für eine Überraschung. Ich dachte, dein Bruder Jack hätte dich wieder auf dem Land festgehalten."
"Sehr witzig, Algy." Jack trat ein und warf seinen Hut auf den nächstbesten Stuhl. Die Wohnung war wie immer makellos – zu makellos für einen Junggesellen, der behauptete, ständig pleite zu sein. Das Klavier in der Ecke glänzte, als hätte es noch nie jemand angefasst, obwohl Jack wusste, dass Algernon stundenlang darauf herumklimperte, wenn ihm langweilig war.
"Ich finde schon, dass ich witzig bin." Algernon ging zum Klavier und spielte ein paar Takte irgendeiner Melodie, die Jack nicht kannte. "Übrigens, ich hab deine Zigarettendose gefunden. Die mit der interessanten Gravur."
Jacks Magen verkrampfte sich. Die Dose. Natürlich die verdammte Dose.
"'Von der kleinen Cecily mit ihrer ganzen Liebe an ihren lieben Onkel Jack'", zitierte Algernon und drehte sich auf dem Klavierhocker um, um Jacks Reaktion zu beobachten. "Komisch. Ich dachte, du heißt Ernst."
"Das ist... kompliziert."
"Das Leben ist immer kompliziert, mein Lieber." Algernon stand auf und ging zum Sideboard, wo eine Karaffe mit Brandy wartete. "Deshalb hab ich Bunbury erfunden."
"Bunbury?"
"Mein imaginärer Freund auf dem Land." Algernon goss zwei Gläser ein und reichte Jack eines. "Todkrank, der Arme. Liegt ständig im Sterben, kommt aber nie dazu. Ich muss ihn dauernd besuchen, besonders wenn meine Tante Augusta wieder eine ihrer grässlichen Dinnerpartys plant."
Jack starrte ihn an. Der Brandy brannte in seiner Kehle. "Du hast dir einen nicht existierenden Freund ausgedacht, um gesellschaftlichen Verpflichtungen zu entgehen?"
"Und du hast dir einen nicht existierenden Bruder ausgedacht." Algernons Augen funkelten. "Wir sind uns ähnlicher, als du denkst, mein lieber... wie heißt du eigentlich wirklich?"
Jack setzte sich schwer in einen der Ledersessel. Das Leder knarzte unter seinem Gewicht, ein vertrautes Geräusch in dieser vertrauten Wohnung, in der er so oft zu Gast war – als Ernst. "Jack. Jack Worthing."
"Jack." Algernon rollte den Namen auf der Zunge herum, als würde er einen neuen Wein probieren. "Passt nicht zu dir. Ernst passt besser. Ernst ist ein Name für jemanden, der Verantwortung trägt, der sich um Dinge kümmert. Jack klingt nach jemandem, der Spaß hat."
"Ich habe Verantwortung", protestierte Jack. "Ich bin Vormund."
"Von der kleinen Cecily, nehme ich an?" Algernon setzte sich ihm gegenüber, die langen Beine übereinandergeschlagen. Er trug, wie immer, den neuesten Schnitt aus der Savile Row, auch wenn er behauptete, die Rechnung seit Monaten nicht bezahlt zu haben. "Wie alt ist sie? Zwölf? Dreizehn?"
"Achtzehn."
Algernons Augenbrauen schossen nach oben. "Achtzehn? Und hübsch?"
"Das geht dich nichts an."
"Oh, sie ist also hübsch." Algernon lächelte. "Und du versteckst sie auf dem Land, während du in London den ernsten Ernst spielst. Sehr clever. Aber warum?"
Jack trank seinen Brandy aus und stellte das Glas ab. Draußen ratterte eine Kutsche vorbei, und für einen Moment war das das einzige Geräusch im Raum. "Weil", sagte er schließlich, "ich in London jemand sein kann, der ich auf dem Land nicht sein darf. Und auf dem Land kann ich jemand sein, der ich in London nicht sein kann."
"Philosophisch." Algernon nickte anerkennend. "Aber auch kompliziert. Was ist, wenn jemand dahinterkommt?"
"Niemand kommt dahinter. In London kennt mich niemand als Jack. Und auf dem Land kennt niemand Ernst – außer als meinen liederlichen Bruder, der ständig in Schwierigkeiten steckt und den ich regelmäßig aus der Patsche holen muss."
"Brilliant!" Algernon klatschte in die Hände. "Du hast dir selbst eine Ausrede geschaffen, um jederzeit verschwinden zu können. Genau wie ich mit Bunbury. Wir sind Genies, Jack. Oder Ernst. Wie soll ich dich jetzt nennen?"
Bevor Jack antworten konnte, klopfte es an der Tür. Lane, Algernons Diener, steckte den Kopf herein. Er war einer dieser Diener, die es schafften, gleichzeitig unsichtbar und allgegenwärtig zu sein.
"Lady Bracknell und Miss Fairfax sind eingetroffen, Sir."
Jack sprang auf, als hätte er sich verbrannt. "Gwendolen ist hier?"
"Natürlich ist sie hier." Algernon grinste. "Sie kommt jeden Donnerstag zum Tee. Mit meiner lieben Tante Augusta, die übrigens immer noch darauf wartet, dass du um Gwendolens Hand anhältst. Als Ernst, nehme ich an?"
"Ich... das ist..." Jack fuhr sich durch die Haare. "Ich bin nicht vorbereitet."
"Du bist nie vorbereitet. Das ist Teil deines Charmes." Algernon stand auf und klopfte ihm auf die Schulter. "Komm schon, Ernst. Zeit, deine Rolle zu spielen."
Die Tür ging auf, und Lady Bracknell rauschte herein wie ein Schlachtschiff in Seide und Spitze. Sie war eine dieser Frauen, die einen Raum nicht einfach betraten, sondern ihn eroberten. Ihr Blick fiel sofort auf Jack, und ihre Augenbrauen – perfekt gezupft und leicht hochgezogen – verrieten, dass sie ihn taxierte wie ein Pferdehändler eine zweifelhafte Stute.
"Mr. Worthing", sagte sie, und es klang wie eine Feststellung, nicht wie eine Begrüßung.
Hinter ihr erschien Gwendolen, und Jack vergaß für einen Moment, wie man atmete. Sie trug ein hellblaues Kleid, das ihre Augen zum Leuchten brachte, und ihr Lächeln – dieses kleine, wissende Lächeln – sagte ihm, dass sie genau wusste, welche Wirkung sie auf ihn hatte.
"Ernst", sagte sie, und sein falscher Name klang in ihrem Mund wie Musik. "Wie schön, Sie zu sehen."
"Miss Fairfax." Er verbeugte sich, nicht zu tief, nicht zu flach. In London war alles eine Frage des richtigen Maßes. "Sie sehen heute besonders reizend aus."
"Ich sehe immer reizend aus", erwiderte Gwendolen und setzte sich mit einer fließenden Bewegung auf das Sofa. "Aber es ist nett, dass Sie es bemerken."
Lady Bracknell schnaubte leise – ein Geräusch, das sowohl Missbilligung als auch Resignation ausdrückte. "Algernon, ich hoffe, du hast für angemessene Erfrischungen gesorgt. Ich hatte einen äußerst anstrengenden Nachmittag. Mrs. Markby hat mich zu ihrer Wohltätigkeitsveranstaltung eingeladen. Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte, als Geld für bedürftige Witwen zu sammeln."
"Aber Tante Augusta", sagte Algernon und reichte ihr eine Tasse Tee, "Wohltätigkeit ist doch eine noble Sache."
"Wohltätigkeit", erklärte Lady Bracknell, "ist eine Erfindung der Mittelklasse, um sich wichtig zu fühlen. Die Oberschicht braucht so etwas nicht. Wir sind von Natur aus wohltätig, allein durch unsere Existenz."
Jack unterdrückte ein Lachen, was ihm einen scharfen Blick von Lady Bracknell einbrachte. Gwendolen hingegen lächelte verstohlen.
"Ernst", sagte sie und klopfte neben sich auf das Sofa. "Setzen Sie sich zu mir. Ich möchte Ihre Meinung zu einem sehr wichtigen Thema hören."
Jack setzte sich, achtsam darauf bedacht, einen angemessenen Abstand zu wahren. Lady Bracknells Augen verfolgten jede seiner Bewegungen.
"Und welches Thema wäre das?", fragte er.
"Namen", sagte Gwendolen. "Ich finde, Namen sagen alles über einen Menschen aus. Nehmen Sie zum Beispiel Ernst. Das ist ein Name, der Vertrauen einflößt. Solidität. Beständigkeit. Ich könnte niemals einen Mann lieben, der nicht Ernst heißt."
Jack schluckte. "Niemals?"
"Niemals." Gwendolen sah ihm direkt in die Augen. "Es wäre unmöglich. Der Name ist Teil des Schicksals. Man kann seinem Namen nicht entkommen."
Algernon hustete leise, was verdächtig nach unterdrücktem Lachen klang. Jack warf ihm einen warnenden Blick zu.
"Aber sicher", sagte Jack vorsichtig, "kommt es doch mehr auf den Charakter an als auf den Namen?"
"Unsinn", mischte sich Lady Bracknell ein. "Der Name ist alles. Die Worthings zum Beispiel – nie gehört. Wer sind Ihre Eltern, Mr. Worthing?"
Die Frage traf Jack wie ein Schlag in die Magengrube. Er hatte gewusst, dass sie kommen würde, früher oder später. Lady Bracknell stellte immer diese Fragen. Es war ihre Art, die Spreu vom Weizen zu trennen.
"Ich... das heißt..." Er räusperte sich. "Ich habe keine Eltern. Ich bin Waise."
"Keine Eltern?" Lady Bracknells Stimme klang, als hätte er gerade gestanden, ein Verbrecher zu sein. "Wie kann man keine Eltern haben?"
"Ich wurde als Baby gefunden", sagte Jack leise. Die Wahrheit schmeckte bitter auf seiner Zunge. "Am Bahnhof Victoria. In einer Handtasche."
Die Stille, die folgte, war ohrenbetäubend. Selbst die Uhr auf dem Kaminsims schien aufgehört zu haben zu ticken. Lady Bracknell starrte ihn an, als hätte er sich in ein exotisches Tier verwandelt.
"In einer Handtasche?", wiederholte sie schließlich. Jedes Wort war ein eigener Satz.
"Ja."
"Am Bahnhof Victoria?"
"Ja. Gleis 24, um genau zu sein."
Lady Bracknell erhob sich. Es war keine normale Bewegung – es war wie das Aufrichten eines Monuments. "Mr. Worthing, in einer Handtasche gefunden zu werden, mag als Unglück durchgehen. Aber am Bahnhof Victoria gefunden zu werden, sieht nach Nachlässigkeit aus."
"Ich kann nichts für die Umstände meiner Geburt", protestierte Jack.
"Das mag sein", sagte Lady Bracknell. "Aber ich kann etwas für die Umstände der Heirat meiner Tochter. Und ich werde es nicht zulassen, dass sie in eine Familie einheiratet, deren Stammbaum in einer Gepäckaufbewahrung endet. Gwendolen, wir gehen."
"Aber Mama..." Gwendolen erhob sich widerwillig.
"Kein Aber. Ein Mann ohne Vergangenheit hat keine Zukunft. Zumindest nicht mit uns." Lady Bracknell rauschte zur Tür. "Algernon, ich erwarte dich morgen zum Dinner. Und bring jemanden mit angemessener Herkunft mit."
Die Tür fiel ins Schloss. Jack sank zurück ins Sofa.
"Nun", sagte Algernon nach einer Weile. "Das lief ja gut."
"Halt die Klappe, Algy."
"Ich meine es ernst. Oder sollte ich sagen, ich meine es Jack?" Algernon grinste. "Du hast ihr wenigstens die Wahrheit gesagt. Das ist mehr, als die meisten tun."
"Die Wahrheit." Jack lachte bitter. "Die Wahrheit ist, dass ich nicht weiß, wer ich bin. Ich habe einen Namen, der mir nicht gehört, eine Vergangenheit, die nicht existiert, und eine Zukunft, die gerade den Bach runtergegangen ist."
"Drama, Drama." Algernon schenkte ihnen beiden nach. "Du hast vergessen zu erwähnen, dass du auch einen Bruder hast, der nicht existiert, und ein Doppelleben führst. Das macht die Sache doch interessant."
"Interessant?" Jack starrte ihn an. "Ich habe gerade die Frau verloren, die ich liebe."
"Du hast Gwendolen nicht verloren. Du musst nur kreativer werden." Algernon hob sein Glas. "Auf die Kreativität. Und auf Bunbury. Möge er uns immer zur Verfügung stehen, wenn das Leben zu ernst wird."
Jack hob widerwillig sein Glas. Draußen begann es zu regnen, und die Tropfen trommelten gegen die Fenster wie kleine, ungeduldige Finger. Irgendwo in London war Gwendolen jetzt in einer Kutsche und fuhr nach Hause. Und irgendwo in Hertfordshire wartete Cecily auf ihren Onkel Jack, ohne zu wissen, dass er in London ein ganz anderer Mensch war.
"Weißt du, was dein Problem ist?", fragte Algernon.
"Erleuchte mich."
"Du nimmst das Leben zu ernst. Dabei ist es viel zu wichtig, um es ernst zu nehmen."
Jack sah ihn an. "Das ergibt keinen Sinn."
"Die besten Dinge im Leben ergeben keinen Sinn." Algernon ging wieder zum Klavier. "Liebe ergibt keinen Sinn. Kunst ergibt keinen Sinn. Gurkensandwiches um fünf Uhr nachmittags ergeben keinen Sinn. Und trotzdem machen sie das Leben lebenswert."
Er begann zu spielen, eine melancholische Melodie, die Jack nicht kannte. Der Regen wurde stärker, und Jack schloss die Augen. Er war müde. Müde vom Lügen, müde vom Verstecken, müde davon, zwei Menschen gleichzeitig zu sein.
"Algy?"
"Hm?"
"Was würdest du tun, wenn du ich wärst?"