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Willkommen in einer Stadt, in der jeder Streit zur Klage wird. Gerichtspräsident Dandin verwandelt sein Wohnzimmer in einen Gerichtssaal, Chicanneau verklagt Nachbarn, Luft und Wetter, die Gräfin prozessiert aus Prinzip – und mittendrin zwei Liebende, die zwischen Aktenbergen nach einem Weg zueinander suchen. Als der Eifer der Prozesssüchtigen jede Grenze sprengt und am Ende sogar ein Hund auf der Anklagebank sitzt, kippt der Alltag in pure Farce. Wird am Ende Vernunft oder Eitelkeit siegen?Diese eigenständige, zeitgemäße Romanadaption von Jean Racines Komödie entlarvt mit messerscharfer Satire und federleichtem Humor den Rausch der Klagewut. Zwischen Justiz, Bürokratie und privaten Obsessionen erzählt der Roman von der zähen Suche nach Gerechtigkeit, von Liebe gegen alle Paragrafen – und davon, wie leicht wir uns im Dschungel der Vorschriften verlieren. Ein Vergnügen mit Tempo, Wortwitz und überraschender Aktualität.
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Seitenzahl: 50
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Die Prozesssüchtigen - Kein Drama nach Jean Racine
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Table of Contents
Kapitel 1: Der Richter erwacht
Kapitel 2: Der Sohn träumt
Kapitel 3: Der Prozesssüchtige
Kapitel 4: Die beleidigte Herzogin
Kapitel 5: Die erste Konfrontation
Kapitel 6: Der Plan nimmt Gestalt an
Kapitel 7: Die Verkleidung
Kapitel 8: Im Haus des Prozesssüchtigen
Kapitel 9: Die Nachricht der Herzogin
Kapitel 10: Die Liebenden schmieden Pläne
Kapitel 11: Die außerordentliche Sitzung
Kapitel 12: Das heimliche Treffen
Kapitel 13: Der Hund vor Gericht
Kapitel 14: Die Folgen des Urteils
Kapitel 15: Die Verschwörung vertieft sich
Kapitel 16: Dandins Erwachen
Kapitel 17: Der gefälschte Vertrag
Kapitel 18: Die Entdeckung
Kapitel 19: Die Konfrontation
Kapitel 20: Das Urteil der Liebe
Epilog: Ein Jahr später
Impressum neobooks
Die Prozesssüchtigen
Ein Gesellschaftsroman aus dem Paris des Sonnenkönigs – wo Gerechtigkeit zur Obsession wird, Liebe sich hinter Paragraphen versteckt und selbst ein Hund vor Gericht landet. Eine zeitlose Geschichte über Menschen, die in den Systemen gefangen sind, die sie selbst erschaffen haben.
Erster Teil: Die Morgenstunden der Gerechtigkeit
Paris, Oktober 1668
Die Stadt lag noch im Nebel der Seine, als Perrin Dandin bereits zum dritten Mal in dieser Nacht erwachte. Wieder dieser Traum. Er stand im großen Saal des Parlement de Paris , die schwarze Robe klebte an seinem verschwitzten Körper, und plötzlich waren alle Akten leer. Weiße Seiten, soweit das Auge reichte. Die anderen Richter starrten ihn an, ihre Gesichter verschwammen zu grotesken Masken, und dann – dann begann er zu fallen.
Er griff reflexartig nach dem Gesetzbuch auf seinem Nachttisch. Coutume de Paris, Artikel 247. Die Beruhigungspille des modernen Juristen. Seine Finger strichen über die abgegriffenen Seiten, während draußen die ersten Karren über das Kopfsteinpflaster rumpelten.
Ordnung, dachte er. Ordnung ist alles.
Dandin schwang die Beine aus dem Bett. Der Holzboden knarrte unter seinen nackten Füßen, ein vertrautes Geräusch in diesem Haus, das er seit zwanzig Jahren bewohnte. Zwanzig Jahre Recht sprechen. Zwanzig Jahre zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden. Zwanzig Jahre, in denen die Grenze zwischen seinem Leben und dem Gesetz immer mehr verschwamm.
Er zog die schweren Vorhänge auf. Paris erwachte in Gold und Grau. Die Dächer glänzten feucht vom Morgentau, und irgendwo läuteten die Glocken von Saint-Germain-l'Auxerrois. In drei Stunden würde er wieder im Gericht sitzen. Dreiundzwanzig Fälle warteten heute auf ihn. Dreiundzwanzig Mal würde er den Hammer schwingen, dreiundzwanzig Mal Gerechtigkeit sprechen – oder das, was dafür durchging in diesem System aus Bestechung, Vetternwirtschaft und gekauften Ämtern .
Nach diesem Prozess, versprach er sich wie jeden Morgen. Nach dem Fall Chicanneau werde ich kürzertreten. Mehr Zeit mit Léandre verbringen. Ein besserer Vater sein.
Es war immer nach dem nächsten Prozess.
Unten polterte etwas. Petit Jean, sein treuer Portier, war bereits auf den Beinen. Der Mann schlief praktisch nie, als hätte er Angst, sein Herr könnte ohne ihn einen Prozess verpassen. Dandin lächelte bitter. Vielleicht war diese Angst nicht unbegründet. Erst letzte Woche hatte er versucht, mitten in der Nacht eine Verhandlung über den Diebstahl zweier Hühner abzuhalten. Petit Jean hatte ihn sanft, aber bestimmt zurück ins Bett geführt.
Bin ich verrückt geworden?
Die Frage schwebte im Raum wie der Morgennebel über der Seine. Er schob sie beiseite, wie er es jeden Morgen tat. Verrückt waren die anderen. Die, die das Recht nicht verstanden. Die, die glaubten, man könne ohne Ordnung leben, ohne Regeln, ohne die heilige Struktur der Paragraphen.
Er begann sich anzukleiden. Die schwarze Robe hing an ihrem Platz, frisch gebürstet von Petit Jean. Sie roch nach Lavendel und altem Pergament. Wenn er sie anzog, verwandelte er sich. Perrin Dandin, der Mann, verschwand. Richter Dandin trat an seine Stelle – unbestechlich, unerbittlich, unermüdlich.
Draußen auf dem Flur hörte er Schritte. Léandre war also auch schon wach. Sein Sohn, neunzehn Jahre alt und so anders als er selbst. Wo Dandin Struktur suchte, suchte Léandre Freiheit. Wo der Vater in Paragraphen dachte, dachte der Sohn in Versen. Sie hatten sich entfremdet in den letzten Jahren, wie zwei Schiffe, die in verschiedene Richtungen segelten.
Ich sollte mit ihm reden.
Aber worüber? Über das Wetter? Über die neuesten Urteile des Parlement? Léandre interessierte sich nicht für Jura. Er interessierte sich für... nun ja, Dandin wusste nicht genau, wofür sein Sohn sich interessierte. Früher hatte er Gedichte geschrieben, aber das hatte Dandin ihm ausgeredet. Kein Beruf für einen Mann, hatte er gesagt. Werd Jurist. Das ist eine sichere Sache.
Léandre hatte aufgehört zu widersprechen. Aber er hatte auch aufgehört, mit seinem Vater zu sprechen.
Léandre stand am Fenster seines Zimmers und beobachtete, wie die Sonne die Dächer von Paris in Brand setzte. Irgendwo da draußen, in einem der besseren Viertel, schlief sie noch. Isabelle. Selbst ihr Name war Musik in seinen Ohren.
Idiot, schalt er sich selbst. Du kennst sie kaum.
Aber war das nicht egal? Er hatte sie dreimal gesehen. Einmal auf dem Markt, wo sie Seide für ihren Vater kaufte. Einmal in der Kirche, wo ihr Profil im Kerzenlicht aussah wie von einem italienischen Meister gemalt. Und einmal – einmal hatte sie ihn angelächelt, als ihre Kutschen sich in einer engen Gasse begegneten.
Dieses Lächeln verfolgte ihn seitdem. Es war kein kokettes Lächeln gewesen, kein eingeübtes Hofieren. Es war... echt. Als hätte sie in ihm etwas gesehen, was er selbst nicht sah.
Er hörte seinen Vater unten in der Studierstube. Schon wieder über den Akten. Der Mann war besessen. Léandre erinnerte sich noch an Zeiten, da war Perrin Dandin ein normaler Vater gewesen. Sie waren zusammen angeln gegangen an der Seine, hatten Drachen steigen lassen auf den Feldern vor der Stadt. Aber das war lange her. Vor dem ersten großen Prozess. Vor der Beförderung. Vor der Sucht.