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Norwegen, 19. Jahrhundert: Peer Gynt ist ein Träumer, Lügner und Geschichtenerzähler – ein Mann, der vor der Realität in immer wildere Fantasien flieht. Nach einem skandalösen Brautraub und der Begegnung mit den Trollen in den Bergen lässt er alles zurück: seine verzweifelte Mutter Åse und Solveig, die einzige Frau, die wirklich an ihn glaubt.Peers Flucht wird zur Weltreise eines ruhelosen Geistes. Als Sklavenhändler in Afrika, als falscher Prophet in der Wüste, als Wahnsinniger in Kairo – überall sucht er sein "wahres Ich" und findet doch nur neue Masken. Reich wird er und arm, berühmt und vergessen, doch die eine Frage lässt ihn nie los: Wer ist Peer Gynt wirklich?Als gebrochener Mann kehrt er nach Jahrzehnten nach Norwegen zurück, wo der Tod bereits auf ihn wartet. Doch in Solveigs Hütte brennt noch immer ein Licht...Diese moderne Neuerzählung von Ibsens Meisterwerk ist eine zeitlose Parabel über einen Mann, der alles sein wollte – nur nicht er selbst.
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Seitenzahl: 72
Veröffentlichungsjahr: 2025
Anno Stock
Peer Gynt - Kein Drama nach Henrik Ibsen
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Table of Contents
Kapitel 1: Der Träumer und Geschichtenerzähler
Kapitel 2: Die Hochzeit und die erste Flucht
Kapitel 3: Im Reich der Trolle
Kapitel 4: Der Schatten der Vergangenheit
Kapitel 5: Die große Wanderschaft
Kapitel 6: Der Schatten der Vergangenheit
Kapitel 7: Aases Tod
Kapitel 8: Der Aufstieg des Geschäftsmannes
Kapitel 9: Der Fall
Kapitel 10: Anitra und die Wüste
Kapitel 11: Die Sphinx und der Wahnsinn
Kapitel 12: Die Flucht und der Sturm
Kapitel 13: Der Knopfgießer
Epilog: Das wahre Selbst
Nachwort des Bearbeiters
Impressum neobooks
PEER GYNT
Ein Roman nach Henrik Ibsen
Die Sonne brannte auf die kargen Hänge des Gudbrandsdals herab, als Peer Gynt den schmalen Pfad hinaufstieg, der zu seiner Mutter führte. Er war zwanzig Jahre alt, vielleicht ein wenig älter, mit wildem Haar, das ihm in die Stirn fiel, und Augen, die ständig nach etwas suchten, das größer war als die Wirklichkeit. Seine Kleidung hatte bessere Tage gesehen – das Hemd zerrissen, die Hose geflickt, die Stiefel durchgelaufen. Aber in seiner Haltung lag etwas Königliches, als wäre er nicht der Sohn eines bankrotten Säufers, sondern der rechtmäßige Erbe eines unsichtbaren Reiches.
Aase saß vor ihrer ärmlichen Hütte und flickte zum hundertsten Mal dasselbe Stück Stoff. Sie war eine kleine, zähe Frau, deren Gesicht die Geschichte eines harten Lebens erzählte – Falten der Sorge um die Augen, Linien der Enttäuschung um den Mund. Aber wenn sie ihren Sohn ansah, leuchtete etwas in ihrem Blick auf, eine Mischung aus Liebe und Verzweiflung, die nur Mütter kennen, deren Kinder zu groß für diese Welt träumen.
„Wo warst du diesmal?", fragte sie, ohne aufzublicken. Ihre Stimme klang müde, als hätte sie diese Frage schon zu oft gestellt.
Peer ließ sich neben ihr auf die morsche Bank fallen, die Arme weit ausgebreitet, als wollte er die ganze Welt umarmen. „Mutter, du glaubst nicht, was mir passiert ist! Ein Abenteuer, wie es die Welt noch nicht gesehen hat!"
Aase seufzte. Sie kannte diesen Tonfall. Gleich würde wieder eine seiner Geschichten kommen, wild und unmöglich, gespickt mit Details, die so lebendig waren, dass man fast glauben konnte, sie wären wahr. Fast.
„Ich war auf dem Gendin-Grat", begann Peer, und seine Augen glänzten wie die eines Kindes, das ein Geheimnis verrät. „Du weißt, dort oben, wo die Luft so dünn ist, dass man die Gedanken der Engel hören kann. Und da sah ich ihn – den größten Hirsch, den je ein Mensch erblickt hat! Seine Geweihe waren wie die Äste einer uralten Eiche, sein Fell schimmerte wie frisch gefallener Schnee."
„Peer", unterbrach Aase ihn, aber er war schon nicht mehr zu bremsen.
„Ich schlich mich an, leise wie der Nebel, der morgens über die Täler kriecht. Der Hirsch äugte mich, als wollte er sagen: ‚Komm nur, Peer Gynt, zeig mir, was du kannst!' Und dann – stell dir vor! – sprang ich auf seinen Rücken! Er bäumte sich auf, versuchte mich abzuwerfen, aber ich hielt mich fest an seinem Geweih. Und dann begann der wildeste Ritt meines Lebens!"
Peer sprang auf, gestikulierte wild, spielte gleichzeitig sich selbst und den Hirsch. Seine Stimme wurde lauter, dramatischer. „Über Schluchten sprangen wir, durch reißende Bäche, die Klippen hinauf und hinunter! Der Wind pfiff mir um die Ohren, die Welt verschwamm zu einem bunten Strudel. Und dann, Mutter, dann kamen wir an den Rand des Grats. Tausend Meter ging es hinunter, nichts als Luft und Tod unter uns. Der Hirsch zögerte, aber ich trieb ihn vorwärts. ‚Spring!', rief ich. ‚Spring, oder wir sind beide verloren!'"
Aase hatte aufgehört zu nähen. Sie starrte ihren Sohn an, hin- und hergerissen zwischen Ärger und einer seltsamen Bewunderung für seine Fantasie. „Und dann?", fragte sie wider Willen.
„Wir sprangen! Durch die Luft segelten wir wie Adler, nein, wie Götter! Unter uns der Abgrund, über uns der Himmel, und für einen Moment – nur einen winzigen Moment – war ich frei von allem. Frei von der Armut, frei von den Blicken der Leute, frei von..." Er brach ab, sein Blick wurde für einen Augenblick leer, als sähe er etwas, das er nicht in Worte fassen konnte.
„Frei von der Wahrheit", vollendete Aase bitter. „Peer, mein Junge, wann wirst du endlich aufhören zu lügen?"
„Lügen?" Peer sah sie verletzt an. „Mutter, nur weil du es nicht gesehen hast, heißt das nicht, dass es nicht wahr ist. Die Welt ist größer als das, was deine Augen sehen können."
„Die Welt ist genau so groß, wie sie ist", erwiderte Aase. „Und in dieser Welt sind wir arm, dein Vater hat unser Vermögen versoffen, und du... du verschwendest deine Zeit mit Träumereien, statt zu arbeiten!"
Peer setzte sich wieder, diesmal näher bei seiner Mutter. Er nahm ihre raue Hand in seine. „Aber Mutter, was ist das Leben ohne Träume? Sollen wir wie die anderen sein, die jeden Tag dasselbe tun, dieselben Wege gehen, dieselben Gedanken denken? Ich bin für Größeres bestimmt, das spüre ich."
„Größeres?" Aase lachte bitter auf. „Weißt du, was morgen ist? Ingrid Haegstad heiratet. Das ganze Tal ist eingeladen. Nur wir nicht. Weil wir niemand sind, Peer. Weil dein Vater uns zu Niemanden gemacht hat, und du..." Sie brach ab, Tränen glänzten in ihren Augen.
„Ingrid heiratet?" Peers Augen verengten sich. Er kannte Ingrid, das reichste Mädchen im Tal. Einmal, vor Jahren, hatten sie zusammen getanzt. Sie hatte gelacht über seine Geschichten, hatte ihm zugehört, als er von seinen Plänen erzählte, die Welt zu erobern. „Wen heiratet sie?"
„Mads Moen. Ein langweiliger, aber solider Mann. Er wird den Hof gut führen."
Peer sprang auf, eine plötzliche Energie durchfuhr ihn. „Mads Moen! Dieser Trottel, der nicht mal einen geraden Satz herausbringt, wenn eine Frau ihn ansieht?"
„Ein Trottel mit Land und Geld", erinnerte Aase ihn.
Aber Peer hörte schon nicht mehr zu. In seinem Kopf formte sich bereits eine neue Geschichte, wilder und gewagter als die vom Hirsch. Er sah sich selbst auf der Hochzeit erscheinen, sah Ingrids Gesicht, wenn er durch die Tür trat. Sah, wie er sie fortführte, fort von Mads Moen, fort von der Langeweile eines vorhersehbaren Lebens.
„Ich muss gehen", sagte er plötzlich.
„Wohin?" Aase griff nach seinem Arm. „Peer, was hast du vor?"
Er lächelte, dieses gefährliche Lächeln, das sie so gut kannte und so sehr fürchtete. „Ich werde mir holen, was mir zusteht."
„Dir steht gar nichts zu! Peer, bitte, mach keine Dummheiten. Denk an mich, denk an unseren Ruf..."
„Unser Ruf?" Peer lachte. „Welcher Ruf, Mutter? Der des Säufersohns? Des Tagträumers? Des Nichtsnutzes? Dieser Ruf kann nur besser werden."
Er küsste sie auf die Stirn, eine zärtliche Geste, die so gar nicht zu seiner wilden Energie passte. „Mach dir keine Sorgen. Morgen Abend bin ich zurück, und dann wird alles anders sein."
„Peer!" rief Aase ihm nach, aber er war schon auf dem Weg den Berg hinunter, seine Gestalt wurde kleiner und kleiner, bis sie nur noch ein Punkt war in der weiten Landschaft.
Aase blieb allein zurück, die Näharbeit vergessen in ihrem Schoß. Sie kannte ihren Sohn. Wenn er diesen Blick hatte, diese Entschlossenheit, die so nah am Wahnsinn lag, dann stand etwas bevor. Etwas, das ihr Leben noch komplizierter machen würde, als es ohnehin schon war.
Der Wind frischte auf, trug den Geruch von Regen mit sich. Aase zog ihren Schal enger um die Schultern und starrte in die Richtung, in die Peer verschwunden war. In der Ferne konnte sie die Lichter von Haegstad sehen, wo morgen die Hochzeit stattfinden würde. Eine Hochzeit, zu der sie nicht eingeladen waren.
„Was wirst du nur anstellen, mein Junge?", flüsterte sie in den Wind. Aber der Wind trug ihre Worte fort, hinaus in die Weite, wo sie sich verloren zwischen den Bergen und den Träumen ihres Sohnes.
Der nächste Tag brach grau und verhangen an, als hätte der Himmel selbst Bedenken gegen das, was kommen sollte. Peer hatte die Nacht in einer Scheune verbracht, eingehüllt in gestohlenes Heu und seine eigenen fiebrigen Träume. Als er erwachte, klebte ihm das Haar am Kopf, und seine Kleidung roch nach Stall und Schweiß. Aber in seinen Augen brannte ein Feuer, das heller war als die Sonne, die sich hinter den Wolken versteckte.
Er machte sich nicht die Mühe, sich zu waschen oder seine Kleidung zu richten. Wenn er schon als Außenseiter galt, dann wollte er auch als solcher auftreten. Die Wildheit war sein Markenzeichen, seine Rüstung gegen eine Welt, die ihn nicht verstand.