6,49 €
0,00 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 6,49 €
Schlesien im 19. Jahrhundert: In den Webstuben klappern die Webstühle – und mit jedem Schlag wächst die Verzweiflung. Hunger, Ausbeutung und Ohnmacht treiben die Menschen an ihre Grenzen. Doch unter der Oberfläche brodelt es: Wut, Hoffnung, Aufbegehren. Als die Weber erkennen, dass sie nichts mehr zu verlieren haben, erhebt sich ein ganzer Stand gegen die Ungerechtigkeit seiner Zeit. Diese moderne Adaption von Gerhart Hauptmanns "Die Weber" erzählt eindrucksvoll von sozialer Not, Menschlichkeit und dem Mut, sich zu wehren – mit aktuellem Sprachgefühl, emotionaler Wucht und historischer Tiefe.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 58
Veröffentlichungsjahr: 2025
Anno Stock
Die Weber - Kein Drama nach Gerhart Hauptmann
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Table of Contents
Prolog
Kapitel 1: Der letzte Groschen
Kapitel 2: Dreißigers Reich
Kapitel 3: Das Lied der Weber
Kapitel 4: Die Tage des Zorns
Kapitel 5: Die Saat der Rebellion
Nachwort des Autors
Impressum neobooks
Die Weber
Schlesien, Juni 1844: Die Fäden des Schicksals
Der Webstuhl klapperte wie ein krankes Herz.
Klack-klack. Klack-klack.
Anna Hilse zählte die Schläge nicht mehr. Nach sechzehn Stunden verschwammen die Zahlen ohnehin zu einem einzigen, endlosen Rhythmus, der sich in ihre Knochen fraß. Draußen dämmerte bereits der neue Tag über die schlesischen Berge, malte die Gipfel in ein zartes Rosa, das so gar nicht zu der Schwärze in den Weberstuben passen wollte.
Sie war nicht die Einzige, die wach war. In Peterswaldau und Langenbielau, in jedem verdammten Dorf zwischen Reichenbach und Schweidnitz, saßen sie an ihren Stühlen. Tausende von ihnen. Männer, Frauen, Kinder – eine ganze Armee von Schatten, die für einen Hungerlohn Stoffe webten, die sie sich selbst niemals würden leisten können.
"Wir weben, wir weben..."
Das Lied kam ihr in den Sinn, dieses gefährliche Lied, das seit Wochen von Haus zu Haus wanderte wie eine ansteckende Krankheit. Die Obrigkeit nannte es "Das Blutgericht". Ein Weber aus Peterswaldau hatte es gedichtet, hieß es, nachdem sein jüngstes Kind verhungert war. Anna schüttelte den Kopf. Solche Gedanken brachten nur Ärger.
Dreihundert Meter entfernt, in seiner Villa am Marktplatz, erwachte der Fabrikant Dreißiger mit einem unguten Gefühl. Er konnte es nicht benennen, dieses Kribbeln im Nacken, das ihn seit Tagen verfolgte. Die Zahlen stimmten. Die Bücher waren in Ordnung. Die englische Konkurrenz mit ihren mechanischen Webstühlen – nun, dagegen konnte man ankämpfen, wenn man nur die Löhne weiter drückte.
Nur die Löhne weiter drückte.
Er stand auf, trat ans Fenster. Unten auf der Straße bewegten sich bereits die ersten Gestalten. Weber, die ihre fertigen Stücke zur Abnahme brachten. Gebeugte Rücken, schlurfende Schritte. Dreißiger runzelte die Stirn. Waren es heute mehr als sonst? Oder bildete er sich das nur ein?
Sein Expedient Pfeifer hatte gestern wieder einen rausgeworfen. Einen alten Weber, der sich über die Qualitätskontrolle beschwert hatte. "Die nehmen uns aus wie Weihnachtsgänse", hatte der Alte geschrien, bevor die Knechte ihn vor die Tür setzten. Dreißiger seufzte. Diese Leute verstanden einfach nicht, wie Geschäfte funktionierten. Der Weltmarkt wartete nicht auf schlesische Sentimentalitäten.
In der Weberstube der Familie Baumert hing der Geruch von Krankheit und feuchtem Leinen. Der alte Baumert hustete Blut in ein Tuch, das seine Frau ihm wortlos reichte. Acht Kinder hatten sie einmal gehabt. Drei lebten noch.
"Morgen ist Zahltag", sagte seine Frau leise.
Baumert nickte nur. Zahltag. Als ob das noch etwas bedeutete. Dreißiger hatte letzte Woche wieder die Preise gesenkt. "Qualitätsmängel", hatte Pfeifer gesagt und mit seinem fetten Finger auf unsichtbare Fehler im Gewebe gedeutet. Fehler, die nur er sehen konnte. Fehler, die mit jedem Monat mehr wurden, während die Bezahlung schrumpfte.
Der Jüngste, der kleine Wilhelm, lag fiebernd in der Ecke. Neun Jahre alt und sah aus wie sechs. Die Knochen stachen durch die Haut wie bei einem verhungernden Vogel. Aber er konnte noch weben. Kleine Finger waren geschickt an den Fäden.
"Vater", flüsterte der Junge. "Erzählst du mir wieder von früher?"
Früher. Als die Weber noch stolze Handwerker waren. Als ein Stück Leinen noch etwas wert war. Als man von seiner Arbeit leben konnte, statt daran zu sterben.
Moritz Jäger kam mit der Morgendämmerung nach Peterswaldau zurück. Sieben Jahre war er fort gewesen, hatte als Soldat gedient, die Welt gesehen. Berlin, Hamburg, sogar Paris. Und überall hatte er dasselbe gesehen: Die einen wurden reicher, die anderen ärmer. Nur dass die anderen woanders wenigstens aufbegehrten.
Er trug noch seine Uniform, auch wenn seine Dienstzeit vorbei war. Sie gab ihm eine Autorität, die ein einfacher Weber niemals haben würde. Die Leute sahen zu ihm auf, wenn er durch die Gassen ging. Flüsterten hinter vorgehaltener Hand.
Der Jäger ist zurück. Der Moritz Jäger.
In seiner Tasche trug er Flugblätter aus Berlin. Gefährliche Worte über Rechte und Revolution. Über ein Deutschland, in dem nicht nur die Fabrikanten das Sagen hatten. Er wusste, was er riskierte. Aber er hatte genug Weberkinder sterben sehen. Genug Männer, die sich zu Tode schufteten. Genug Frauen, die ihre toten Säuglinge in Lumpen wickelten, weil sie sich keinen Sarg leisten konnten.
Die Sonne stieg höher über Schlesien. In den Webstuben klapperten die Stühle. In den Fabrikantenvillen wurde gefrühstückt. In den Wirtshäusern sammelten sich die ersten Tagelöhner.
Niemand ahnte, dass in drei Tagen die Webstühle stillstehen würden. Dass die Straßen voller wütender Menschen sein würden. Dass Blut fließen würde – das Blut der Weber und das Blut der Soldaten, die man gegen sie schicken würde.
Niemand ahnte, dass ein Lied zur Hymne werden würde. Dass ein Aufstand, der in diesen ärmlichen Stuben begann, ganz Deutschland erschüttern würde.
Anna Hilse webte weiter. Klack-klack. Klack-klack.
Dreißiger studierte seine Bücher.
Baumert hustete Blut.
Moritz Jäger faltete seine Flugblätter auseinander.
Und irgendwo, in einer Wirtsstube, die nach schalem Bier und Verzweiflung roch, begann jemand zu singen:
"Hier im Ort ist ein Gericht, Noch schlimmer als die Vehmen, Wo man nicht erst ein Urteil spricht, Das Leben schnell zu nehmen."
Die anderen fielen ein. Erst zögernd, dann lauter. Immer lauter.
Die Fäden des Schicksals begannen sich zu verweben. Zu einem Muster, das niemand vorhergesehen hatte. Zu einem Sturm, der alles verändern würde.
Zu einer Geschichte, die erzählt werden musste.
Der Morgen des 2. Juni 1844 brach grau und feucht über Peterswaldau herein. Emma Baumert stand bereits seit vier Uhr am Herd – wenn man die drei losen Ziegelsteine, über denen ein rostiger Topf balancierte, überhaupt so nennen konnte. Das Feuer darunter war kaum mehr als glimmende Kohle, gerade genug, um das Wasser lauwarm zu bekommen. Für mehr reichte das Holz nicht.
Sie teilte das letzte Stück Brot in fünf Teile. Fünf ungleiche Teile, denn der kleine Wilhelm brauchte mehr als die anderen. Er lag noch immer fiebernd in der Ecke, sein Atem ging rasselnd. Der Husten hatte ihn die ganze Nacht wachgehalten – und mit ihm die ganze Familie.
"Mutter", flüsterte ihre älteste Tochter Bertha. Mit ihren vierzehn Jahren sah sie aus wie eine alte Frau. Die Arbeit am Webstuhl hatte ihre Schultern nach vorne gezogen, ihre Finger waren steif und geschwollen. "Mutter, soll ich heute zur Abnahme gehen? Vater hustet wieder Blut."
Emma sah zu ihrem Mann hinüber. Der alte Baumert saß bereits an seinem Webstuhl, die Finger flogen mechanisch über die Fäden. Selbst im Halbschlaf konnte er weben. Nach vierzig Jahren brauchte er nicht mehr hinzusehen. Die Bewegungen waren in seinen Körper eingebrannt wie Brandmale.