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Kay hat ein Problem. Durch ein traumatisches Ereignis reagiert er heftig auf die Berührung anderer Männer, stößt sie reflexartig fort und flüchtet. Das macht eine Beziehung so gut wie unmöglich, aber so sehr er sich auch anstrengt, er kann sich nicht von diesen Fesseln befreien. Fast gibt Kay auf, doch dann zieht auf einmal der Gitarrist Jonas in der Wohnung gegenüber ein, küsst ihn in einer Nacht plötzlich und erschüttert damit Kays Welt. Einen Haken gibt es jedoch: Er ist nur für drei Monate in der Stadt, zieht anschließend weiter und ist an Beziehungen nicht interessiert. Zunächst gibt sich Kay mit der kurzen Zeit zufrieden, doch auch Jonas hat eine komplizierte Vergangenheit, die schließlich ans Licht kommt …
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Francisca Dwaine
Berühr mich, aber bitte tu es nicht
Inhalt:
Kay hat ein Problem. Durch ein traumatisches Ereignis reagiert er heftig auf die Berührung anderer Männer, stößt sie reflexartig fort und flüchtet. Das macht eine Beziehung so gut wie unmöglich, aber so sehr er sich auch anstrengt, er kann sich nicht von diesen Fesseln befreien.
Fast gibt Kay auf, doch dann zieht auf einmal der Gitarrist Jonas in der Wohnung gegenüber ein, küsst ihn in einer Nacht plötzlich und erschüttert damit Kays Welt.
Einen Haken gibt es jedoch: Er ist nur für drei Monate in der Stadt, zieht anschließend weiter und ist an Beziehungen nicht interessiert. Zunächst gibt sich Kay mit der kurzen Zeit zufrieden, doch auch Jonas hat eine komplizierte Vergangenheit, die schließlich ans Licht kommt …
'Berühr mich, aber bitte tu es nicht' ist der erste Teil eines Zweiteilers. Die Bände erzählen jeweils die Geschichte eines Paares und können auch für sich allein gelesen werden. Sie sind allerdings eng miteinander verknüpft und überlappen einander zeitlich. Daher empfehle ich das Lesen beider Romane.
Copyright © 2020 Francisca Dwaine
Alle Rechte vorbehalten.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt und darf nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin ganz oder in Auszügen vervielfältigt oder kommerziell genutzt werden.
Alle handelnden Personen wurden frei erfunden.
Cover © Francisca Dwaine
Unter Verwendung der Bilder von © artofphoto www.fotosearch.de © welcomia www.fotosearch.de und © Niner09 pixabay.com Vielen Dank an meine Betaleser, die mich bei der Entstehung dieser Geschichte tatkräftig unterstützt haben.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Epilog: 2 Monate später
Impressum
Kapitel 1
Kay kniete auf dem Bett. Er zitterte am ganzen Körper, während Rafael sich anzog. Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah dieser zu Kay zurück, wischte sich mit dem Handrücken über die blutende Lippe. »Du bist doch krank. Ich kann nicht glauben, dass ich tatsächlich dachte, wir könnten eine Beziehung führen.« Seine kastanienbraunen Haare waren durcheinandergewirbelt. Ob von dem Sturz vom Bett oder von Kays Händen wusste Kay nicht. Als Kay immer noch nichts sagte, schlug Rafael gegen die Wand. »Hast du gar nichts dazu zu sagen? Rede mit mir, verdammt noch mal!«
Kay fasste sich an die Brust, nahm tiefe Atemzüge. »Es … es tut mir-«
»Leid, ja, ich weiß. Es tut dir immer leid, aber das ändert nichts. Du änderst dich nicht.« Sichtlich verärgert fuhr sich Rafael durch die Haare, brachte sie damit aber nur noch mehr durcheinander.
Als er den plötzlichen Drang verspürte, sie für ihn zu glätten, ballte Kay die Hände zu Fäusten, zwang sich dazu, ihn nicht anzusehen. Das würde alles nur noch schlimmer machen. Es wäre nur eine weitere Bestätigung für Rafael, dass Kay nicht normal war. Obwohl er dies wusste, wurde das Verlangen stärker, türmte sich unaufhaltsam auf. Mit einem Keuchen biss sich Kay auf die Unterlippe, kniff die Augen zu.
»Ach, warum rede ich überhaupt noch mit dir? Ich bin hier fertig«, meinte auf einmal Rafaels Stimme. Seine Schritte entfernten sich.
Vor Furcht setzte Kays Herz gefühlt einen Schlag lang aus. Kay sprang auf, folgte ihm und holte Rafael ein, als dieser bereits die Schuhe anhatte und nach seinem Mantel griff. »Warte! Wir können doch noch mal über alles reden. Ich … ich schaffe es bestimmt. Wenn du mir nur etwas mehr Zeit gibst, dann …«
»Zeit? Ich habe dir drei Monate gegeben. Drei. Verdammte. Monate. Wer sonst wäre so geduldig mit dir gewesen?« Rafael schüttelte den Kopf. Er berührte den Schnitt auf seiner Lippe, zischte hörbar vor Schmerz. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass du mich getreten hast. Das ist doch nicht normal.«
»D-Du hast mich nur überrascht. Das war nichts als ein Reflex und passiert mir bestimmt nicht noch mal.«
»Vergiss es. Ich kann das nicht mehr. Geh endlich zum Psychiater und bekomm diesen Mist in den Griff. Danach kannst du dich meinetwegen wieder bei mir melden, aber mir reicht es jetzt.«
Tränen stachen in Kays Augen, doch er nickte und folgte Rafael zur Tür. Im Grunde hatte er nichts anderes erwartet. Nein, Rafael war sogar wesentlich länger bei ihm geblieben, als er gedacht hatte. Mit den meisten seiner Bekanntschaften kam es nicht einmal zu einer Beziehung, doch Rafael hatte zugestimmt, ihm Zeit zu lassen. Sie hatten Spaß gehabt, waren oft ausgegangen, doch sobald sie dann alleine gewesen waren … Kay hatte es versucht. Wirklich. Aber jedes Mal, wenn ihn jemand berührte, versteifte sich sein Körper. Kays Herz begann zu rasen, Schweiß brach aus und er wollte nur noch weg. Flüchten. Einige Male war ihm sogar schlecht geworden. Nicht nur bei Rafael, sondern auch bei jedem anderen Mann.
Und das alles nur wegen dieser einen dummen Erfahrung, die Kay nicht vergessen konnte und die gleichzeitig auch noch der Auslöser für viele andere Probleme war.
Während Kay betreten zu Boden sah, öffnete Rafael die Tür. Er trat nach draußen und stieß dabei fast mit jemandem zusammen, der gerade mit einem großen Karton die Treppe hochkam.
»Oh, hoppla! Vorsicht, mein Freund«, sagte der Mann mit einem Lachen in der Stimme. Durch eine Lücke der Sachen, die sich in dem Karton türmten, blinzelte Kay ein braunes Auge an.
»Selber Vorsicht«, brummte Rafael zurück, bevor er sich zu Kay umdrehte. »Ich bin dann jetzt weg. Denk an meine Worte. Ändere dich, wenn du nicht ewig allein bleiben willst.«
Kay antwortete mit einem schwachen Nicken und sah dabei zu, wie Rafael die Treppe hinunterging. Er kämpfte gegen das wehmütige Gefühl, das in seiner Brust brannte. Es war besser so. Rafael hatte schon lange den Eindruck gemacht, unglücklich zu sein. Besser sie trennten sich jetzt, bevor er noch mehr Zeit an Kay vergeudete und ihn letztendlich wirklich zu hassen begann.
Der Fremde war währenddessen mit dem Karton in die Wohnung gegenüber gegangen, hatte die Kiste im Wohnzimmer abgestellt und kam nun mit einer Flasche Bier wieder hinaus. Grinsend lehnte er sich an den Türrahmen der Wohnung. Seine langen braunen Haare waren zu einem Knoten zusammengebunden und dank des ärmellosen Shirts sah Kay seine muskulösen Oberarme. »War das dein Freund gerade? Ärger im Paradies?«
Kay richtete sofort den Blick zu Boden, bemerkte dabei, dass er nur Boxershorts und ein offenes Hemd trug. Letzteres zog er augenblicklich enger um seinen Körper. »W-wie kommst du darauf?«
»Na, so wie der Arsch mit dir geredet hat … glaub mir, du bist ohne den besser dran.« Der Mann wischte sich die Finger an seiner zerrissenen Jeans ab, ging auf Kay zu und schüttelte seine Hand. »Ich bin übrigens Jonas. Jonas Richter.«
Verwirrt sah Kay einen Moment lang zu der Wohnung zurück, doch dann fiel ihm das Gespräch ein, das er zuvor mit seinem eigentlichen Nachbarn gehabt hatte. »Richtig! Karim hat von dir erzählt. Du bleibst für drei Monate, oder?«
»So ist der Plan. Ich habe echt Glück gehabt. Normalerweise hätte ich bei einem Freund auf der Couch geschlafen oder wäre in eines dieser schmuddeligen Hotels untergekommen. Karims Wohnung ist dagegen ein Traum.« Jonas grinste Kay an. Er hielt seine Hand immer noch fest und als er sie endlich losließ, tat er dies so langsam, dass die gesamte Berührung eher einem Streicheln glich. »Und die Nachbarschaft ist auch nicht schlecht. Ich kann es kaum erwarten, dich näher kennenzulernen.«
Kay schluckte hart, nickte und sah dabei zu, wie Jonas in der Wohnung verschwand. Warum zum Teufel hatte er auf einmal eine Gänsehaut?
Kapitel 2
Nach dieser unangenehmen Trennung verbrachte Kay den Abend vor dem Fernseher, konnte den Bildschirm jedoch kaum sehen, weil ihm immerzu Tränen über die Wangen liefen. Er verfluchte sich selbst. Eigentlich sollte er nicht traurig sein. Von Anfang an hatte er damit gerechnet, dass es nicht funktionieren würde. Aber als Rafael selbst nach zwei Monaten immer noch nicht Schluss gemacht hatte, war schließlich doch noch ein Funken Hoffnung in Kay gewachsen. Vergeblich, wie er jetzt wusste.
Hin und wieder rieb Kay sich die Tränen aus den Augen und schaute auf sein Handy. Normalerweise würde er die Zeit nun mit seinem besten Freund verbringen, doch so oft Kay Oliver auch angerufen hatte, er meldete sich nicht. Kein Wunder, eigentlich. Heute war schließlich Freitag und daher verbrachte er die Zeit wahrscheinlich irgendwo in einem Club.
Im Gegensatz zu Kay liebte es Oliver, tanzen zu gehen. Jedes Wochenende ging er auf die Pirsch, schleppte jemanden ab und träumte dabei von der großen Liebe, nur um anschließend wieder enttäuscht zu werden. Das war eines der wenigen Dinge, die sie gemeinsam hatten: gescheiterte Beziehungen. Aber trotz ihrer unterschiedlichen Persönlichkeiten war Oliver einer der wenigen Menschen, die ihn wirklich verstanden. Er besaß eine unglaubliche Empathie und Liebenswürdigkeit, die es Kay unbegreiflich machten, dass er immer noch alleine war.
Umso mehr vermisste Kay ihn in diesem Moment. Oliver war Kays emotionaler Anker, der ihn bisher immer aus diesem tiefen Loch gezogen hatte, in das ihn seine gescheiterten Beziehungen warfen. Nicht sofort mit ihm reden zu können, das war … schlecht.
Seine Finger juckten bereits, sein gesamter Körper kribbelte. Rasch schloss Kay die Augen, atmete tief ein. Er hatte es unter Kontrolle. Sein Kopf spielte ihm nur wieder einen Streich. Wann immer Kay bei etwas scheiterte, fühlte er sich unrein. Er bekam diesen unerträglichen Drang, sich solange waschen zu wollen, bis seine Haut gerötet war und an einigen Stellen sogar riss. Der Waschzwang war der Ausdruck eines Versuchs, sein Scheitern rückgängig zu machen und sich selbst zu verbessern, zu reinigen. So hatte es ihm zumindest Dr. Schoffhof erklärt, bei dem er als Kind gewesen war. Inzwischen hatte Kay den Zwang halbwegs unter Kontrolle. Er litt immer noch an einer leichten Form von Mysophobie, doch sie beherrschte nicht mehr sein Leben, wie sie es zuvor getan hatte. Er spürte diesen enormen Drang, sich zu waschen, nur noch in Situationen wie diesen, wenn er sich selbst unrein und minderwertig fühlte.
Tief atmete Kay ein und aus, bis das Gefühl ein wenig verebbte. Am liebsten wäre er losgezogen, um Oliver zu suchen, doch es gab zu viele potentielle Orte, an denen er nun sein könnte und das letzte, was Kay gerade gebrauchen konnte, waren die lauten Bässe eines Clubs oder die gierigen Hände seiner Besucher.
Mit tränenden Augen sah er zum Kratzbaum, doch der buschige Schwanz zuckte nur hin und wieder. Wie so oft war Kay Luft für das Tier, das im Schlaf genüsslich schnurrte.
Seufzend schaltete er schließlich den Fernseher aus und ging zum Badezimmer, um sich fürs Bett fertig zu machen. Sobald er die Schwelle durchtreten hatte, klopfte es jedoch an seiner Wohnungstür. Ein Lächeln breitete sich sofort auf Kays verheultem Gesicht aus. Rasch lief er hin, um die Tür zu öffnen, doch anstatt in die seines besten Freundes sah er in die braunen Augen des neuen Nachbarns. Augen, die sofort anerkennend über Kays Körper wanderten.
Kays Wangen wärmten sich. Nachdem Rafael gegangen war, hatte er sich nicht die Mühe gemacht, sich anzuziehen. Immer noch trug er nur seine Boxershorts und ein offenes Hemd, das zudem inzwischen nass von seinen Tränen war. Beschämt zog er es erneut enger um seinen Körper, ignorierte den Drang, der in ihm hochkroch. Es war kein Schmutz. Nur salziges Wasser, nichts weiter. »J-Ja?« Kays Augen fielen auf den Pizzakarton, den Jonas auf einer Hand balancierte.
»Ich dachte nur, du hättest Lust, mit mir zu teilen. Wenn ich einen beschissenen Tag habe, stopfe ich mir immer den Bauch voll. Außerdem bin ich es nicht gewohnt, alleine zu essen und die neue Wohnung fühlt sich noch so fremd an, also …« All dies sagte Jonas in einem überraschenden Tempo und mit einer ungeheuren, fast schon nervigen Fröhlichkeit in der Stimme. »Wie wär's?«
Kay rieb sich mit dem Handrücken über die inzwischen juckenden Augen. »Das ist nett, aber ich bin gerade nicht in der Stimmung für Gesellschaft.«
»Unsinn. So, wie du beim Öffnen der Tür gelächelt hast, erwartest du doch jemanden. Einen Freund vielleicht? Keine Sorge, ich bin ein guter Zuhörer und bleibe gern, bis dieser jemand da ist.«
Erneut wollte Kay widersprechen, doch auf einmal schob sich Jonas an ihm vorbei und betrat die Wohnung. Kay öffnete den Mund, um zu protestieren, aber Jonas plapperte weiter. »Dein Wohnzimmer ist genauso, wie ich es mir vorgestellt habe«, meinte er, legte die Pizzaschachtel auf den Tisch, öffnete sie und nahm eines der bereits zurechtgeschnittenen Stücke in die Hand. »Sauber, ordentlich, alles hat seinen Platz. Genauso, wie Karim erzählt hat.«
»Er hat über mich geredet?«, fragte Kay. Als sich Jonas daraufhin auf seine Couch setzte und zu essen begann, schloss er seufzend die Tür. Diesen Kampf hatte er bereits verloren.
»Klar, hat er das. Er hat mich sogar ausdrücklich gewarnt, dich nicht anzurühren. Ich glaube, er mag dich. Also auf rein platonische Art. Denke ich zumindest. Ich habe ihn bisher noch nie mit einem Mann zusammen gesehen.«
»Was hat er denn genau gesagt?« Unsicher sah Kay zu Boden. Er würde nicht behaupten, dass er mit Karim befreundet war. Als Assistenzarzt hatte er wie Kay oft die Nachtschicht gehabt und dabei waren sie einander häufig im Treppenhaus begegnet. Einige Male hatte Karim ihm nach einer besonders schlimmen Nacht in der Notaufnahme sein Herz ausgeschüttet. Ansonsten hatte es zwischen ihnen nur die üblichen Nachbarschaftsgefälligkeiten gegeben, wie zum Beispiel das Gießen der Pflanzen oder das Füttern von Kays Katze.
»Eigentlich nicht viel. Du kennst ihn ja. Er ist nicht der Typ, der über andere redet, wenn sie nicht dabei sind. Im Grunde hat er nur gesagt, dass du außergewöhnlich ordentlich bist und oft Probleme mit Beziehungen hast. Warum hat es mit dir und Mr. Perfect denn nicht geklappt?«, fragte Jonas, während er hin und wieder einen Bissen von seinem Stück Pizza nahm. »Möchtest du darüber reden?« Als er sprach, fiel etwas Käse auf Kays Sofa.
Sofort nahm Kay einige tiefe Atemzüge, schloss die Augen und widerstand dem Drang, zum Haushaltsschrank zu rennen, um einen Lappen zu holen. »Ich will nicht reden und wäre auch wirklich gerne allein. Es ist nett, dass du mit mir Zeit verbringen willst, aber ich bin nicht in der Stimmung dafür.«
Jonas warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. »Würdest du dich denn besser fühlen, wenn du dich ins Bett legst und heulst? Allein?«
»Ich …« Das war eigentlich eine gute Frage. Eine, auf die Kay keine Antwort hatte. »Vielleicht nicht, aber … ich bin nicht so der gesellige Typ.«
»Das bin ich auch nicht«, meinte Jonas lachend. »Aber alleine ist doch niemand gerne. Komm schon, Kay, setz dich und iss. Dann fühlst du dich bestimmt besser.«
Kay öffnete bereits den Mund, doch da fiel Jonas' Blick auf einmal auf den Kratzbaum in der Ecke. Sichtlich aufgeregt sprang er auf und lief hin. »Ich sehe erst jetzt, dass du eine Katze hast!« Er streckte die Hand nach dem pelzigen Hintern aus.
»Warte! Nicht-«, begann Kay zu rufen, doch es war bereits zu spät.
Sobald Jonas das Fell berührte, sprang das buschige Geschöpf auf, drehte sich um und schlug mit der Tatze nach Jonas' Hand, die dieser sofort wegzog. »Autsch! Temperamentvoll, was?« Er war nicht schnell genug gewesen. Ein langer blutender Kratzer zog sich quer über seinen Handrücken.
Ungläubig schüttelte Kay den Kopf und ging ins Badezimmer, um Wundspüllösung und Pflaster zu holen. »Fisch ist eigentlich lieb, aber sie hasst es, wenn man sie beim Schlafen stört. Du kannst froh sein, dass sie dir nicht ins Gesicht gesprungen ist.« Er ging mit den Sachen zu Jonas, nahm seine Hand und schüttete etwas der Lösung auf den blutenden Kratzer. Anschließend pustete er auf die Stelle, um sie schneller zu trocknen, und platzierte das Pflaster darauf. Während der Behandlung spürte er Jonas' neugierigen Blick, ignorierte ihn jedoch weitestgehend. »So. Das sollte erstmal reichen.«
»Du bist der fürsorgliche Typ, was?«, fragte Jonas und Kay sah in sein grinsendes Gesicht.
»E-es ist doch ganz normal, dass ich dich verarzte, wenn meine Katze dich verletzt.« Als Kay bemerkte, dass er immer noch Jonas' Hand hielt, ließ er ihn blitzschnell los. Er richtete den Blick zu Fisch, die ihn anklagend betrachtete. Lächelnd begann Kay, Fischs Kopf zu kraulen. »Siehst du? Wenn man Fisch nicht überrascht, ist sie lieb. Desinteressiert, solange dein Name nicht Oliver ist, aber … lieb.«
»Fisch, hm?« Nun streckte auch Jonas ein weiteres Mal die Hand nach Fisch aus, hielt aber einige Zentimeter vor ihr inne. Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu, schloss dann aber die Lücke und berührte Jonas' Hand mit ihrem Kopf. »Ein ungewöhnlicher Name für eine ungewöhnliche Katze.«
»So ungewöhnlich ist sie gar nicht. Sie schläft fast den ganzen Tag lang, ignoriert meine Existenz, wenn sie nicht gerade etwas von mir will, und läuft liebend gerne auf meinem Laptop herum.«
»Hm. Ich kenne mich nicht so mit Katzen aus. Bin eher der Hunde-Typ.« Jonas grinste Kay an. »Und dieser Oliver, den du gerade erwähnt hast, wer ist das? Doch nicht dein Exfreund, oder? Fisch sieht aus, als hätte sie bessere Menschenkenntnis. Nichts für ungut.«
»Dir ist schon klar, dass du dich damit gerade selbst beleidigt hast? Du bist schließlich derjenige, den sie gekratzt hat.«
Jonas' Augen öffneten sich weit, doch dann lachte er. »Oh, ja. Das kann sein.«
Auch Kay lächelte auf einmal, doch als er sich dabei erwischte, bemühte er sich um eine gleichgültige Miene. »Oliver ist mein bester Freund. Seitdem er sein Thunfischsandwich mit ihr geteilt hat, liebt Fisch ihn heiß und innig.« Kay schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, wie er das angestellt hat. Ich habe ihr seitdem Tonnen von Thunfisch gegeben, aber sie würdigt mich trotzdem kaum eines Blickes.«
»Kommt daher der Name? Fisch?«
Kay schüttelte den Kopf. »Nein. Der kommt daher, dass ich früher einen Goldfisch namens Cat hatte. Die Katze Fisch zu nennen, erschien mir da nur fair.«
Erneut brach Jonas in Gelächter aus. »Kay, du bist merkwürdig, aber das mag ich.« Er sah zum Tisch zurück. »Jetzt sollten wir aber endlich essen. Sonst ist die Pizza gleich komplett kalt.«
Überrascht sah Kay ihn an. Jonas hatte es irgendwie geschafft, ihn in ein richtiges Gespräch zu verwickeln. Er schüttelte den Kopf, trat von ihm weg. »Wie gesagt, ich bin wirklich nicht in der Stimmung für so etwas.«
»Du willst lieber alleine in Selbstmitleid baden?«
Kays Wangen wärmten sich und seine Finger juckten bereits wieder, als würden winzige Ameisen auf ihnen laufen. »Das geht dich wirklich nichts an. Danke für das Angebot mit der Pizza, aber ich möchte jetzt, dass du gehst.«
Jonas seufzte, doch er ging zum Couchtisch und nahm ein weiteres Stück Pizza in die Hand. »Na gut, aber den Rest lasse ich dir hier. Ich denke, du kannst die Kalorien besser gebrauchen als ich.«
Kay war bereits dabei zu widersprechen, als Jonas zur Tür ging, ihm zuwinkte und seine Wohnung verließ. Unsicher sah Kay ihm nach, richtete dann den Blick zu der Pizza und als sein Magen knurrte, lief er seufzend zur Couch, um sich ein Stück zu nehmen.
Kapitel 3
Erst zwei Tage später kam Oliver Kay besuchen. »Es tut mir so leid!«, sagte dieser geknickt und umarmte Kay sofort, sobald er ihm die Tür geöffnet hatte. »Ich habe mein Handy bei meiner Schwester vergessen und am Wochenende war ich … beschäftigt. Deshalb habe ich deine Nachrichten erst jetzt bekommen.«
»Beschäftigt, hm? Mit wem?«
Mit einem theatralischen Seufzer ging Oliver zur Couch, setzte sich und tat etwas, das außer ihm niemand schaffte: Mit einem einfachen Winken seiner Hand rief er Fisch herbei, die sich augenblicklich auf seinem Schoß niederließ. »Es war nur eine einfache, harmlose Romanze. Ein bisschen Flirten, leidenschaftlicher Sex, Liebesschwüre … ein eifersüchtiger Freund, der auf einmal von der Montage zurückkommt und dich nackt die Straße hinunterjagt … nichts Besonderes eben.«
Mit großen Augen starrte Kay ihn an. »Was?« Offenbar war er nicht der Einzige, der Redebedarf hatte.
Traurig sah Oliver ihn an, streichelte dabei über Fischs Fell. »Ich hätte es wissen müssen. Niemand hat so viele Fotos von seinem Exfreund im Haus oder so viele Klamotten. Es hat sich herausgestellt, dass das ein Spiel für sie ist. Gerome, also der Kerl, der mich abgeschleppt hat, betrügt andauernd seinen Freund, lässt sich von ihm erwischen und dann gibt es heißen Versöhnungssex. So hat er mir es zumindest erklärt, als ich ihn heute zufällig im Café getroffen habe.«
»Du hast ihm doch hoffentlich die Meinung gesagt, oder?«
Oliver schüttelte den Kopf. »Du kennst mich doch. Ich habe mir ein Lächeln auf das Gesicht gezwungen, gesagt, es wäre schon in Ordnung und bin gegangen.«
Kay setzte sich zu ihm auf die Couch, legte den Arm um seine Schultern und zog Oliver an sich. »Wir zwei kriegen es einfach nicht hin, was?«
»Nee, vermutlich nicht. Wenn wir mal alt sind, wohnen wir bestimmt in einer WG mit zwanzig Katzen.«
Kay lächelte. »Und jede davon wird mich ignorieren wie Fisch, während sie dich alle lieben.«
»Das liegt nur an deinem Ordnungsfimmel. Sie mögen es nicht, wenn du nach Desinfektionsmittel riechst.« Oliver nahm Kays Hand, sah sich die gerötete und zum Teil kaputte Haut an. »Es ist wieder schlimmer geworden, hm? Hattest du wegen Rafael einen Rückfall?«
»Es … es ist nicht so schlimm wie damals. Der Drang ist nur ab und zu wieder da. Meistens kann ich ihn kontrollieren, aber manchmal …«
Oliver küsste seine Schläfe. »Ich habe es dir schon einmal gesagt. Rafael war nicht der richtige für dich. Er hat dich behandelt, als wärst du ein Wohltätigkeitsprojekt. Dadurch, dass er mit dir zusammen war, hat er sich wie ein tragischer Held gefühlt. Glaub mir, die Sorte ist noch schlimmer als die Art, die sich offen wie ein Arschloch verhält.«
»Ich weiß, aber … hat er nicht recht? Wer will schon mit jemandem zusammen sein, der so kaputt ist wie ich? Ich muss nehmen, was ich kriegen kann. Ich meine, wer würde schon freiwillig auf Sex verzichten?«
»Es gibt Menschen, die ihn gar nicht mögen. Vielleicht findest du so jemanden.«
Kay ließ den Kopf hängen. »Das will ich aber auch nicht. Ich will Sex, nur …«
»Kay, Rafael ist ein Arsch, aber mit einem hat er recht: Du solltest zur Therapie gehen. Mit deiner Mysophobie und dem Waschzwang hat sie dir geholfen, warum also nicht auch mit diesem Problem?«
»Ich will einfach nicht mit einem Fremden darüber reden. Dann müsste ich mich wieder daran erinnern, was damals … ich will das nicht. Ich will mich nicht an die Nacht erinnern und besonders nicht daran, wie mein Großvater mich behandelt hat.«
»Das weiß ich, aber so verdrängst du es nur. Dann passiert wieder etwas und der Zwang kommt zurück. Es ist immer die gleiche Geschichte.« Oliver drehte sich ihm zu, nahm Kays Gesicht in die Hände. »Versteh mich bitte nicht falsch. Rafael hat Unrecht, wenn er sagt, dich könnte niemand so lieben, wie du bist. Ich liebe dich und das wird sich niemals ändern. Trotzdem solltest du an diesem Problem arbeiten, wenn du wirklich eine normale Beziehung führen willst.« Auf einmal ließ Oliver ihn los und schlug mit der flachen Hand auf Kays Oberschenkel. Durch das laute Geräusch zuckte Fisch auf seinem Schoß zusammen und fauchte, doch Oliver besänftigte sie sofort, indem er ihre Ohren kraulte. »Genug von diesem deprimierenden Gefasel. Kommen wir zu den wirklich wichtigen Dingen: Wer ist dieser heiße Typ nebenan? Ist Karim ausgezogen? Ich sag dir, als der mir gerade auf der Treppe entgegengekommen ist und mich angelächelt hat, ist mir fast das Herz aus der Brust gesprungen. Der hat mich sofort an David Beckham erinnert.«
Kay verzog augenblicklich das Gesicht. »Oli, vergiss den bitte wieder ganz schnell. Ich versuche es auch.« Und das nicht nur wegen Jonas' Aufdringlichkeit am ersten Abend. Seitdem war Kay ihm aus dem Weg gegangen und nur ins Treppenhaus getreten, wenn er sicher war, ihm nicht zu begegnen. Leider konnte er ihn dennoch nicht ignorieren, denn an den folgenden zwei Abenden hatte Jonas seine Bekanntschaften mit nach Hause gebracht und es kaum mit ihnen in die Wohnung geschafft. »Der Kerl ist ein Aufreißer. Gestern habe ich durch den Türspion gesehen, wie er einem Fremden fast mitten auf dem Flur einen geblasen hat.«
»Ist nicht dein Ernst!«, rief Oliver aufgeregt. Ein riesiges Grinsen erschien auf seinem Gesicht. »Und du hast ihn dabei beobachtet?«
Eine unerträgliche Wärme stieg in Kays Wangen. »Nicht absichtlich. Er hat den Mann gegen seine Tür geschubst und das hat so geknallt, dass ich nachgesehen habe. Es hat sich angehört, als würde jemand versuchen, bei ihm einzubrechen.«
»Ah. Und als du gesehen hast, dass es nicht so war, hast du natürlich sofort weggeschaut, hm?« Oliver grinste ihn wissentlich an und Kay wandte den Blick ab.
»Okay, vielleicht nicht sofort. Ich meine, es war schon … interessant.« Und leidenschaftlich. So etwas hatte Kay noch nie gesehen. Jonas hatte sich bewegt, als würde er das Wort Scham nicht kennen. Der Kerl, den er mitgebracht hatte, wusste kaum, wie ihm geschah. Kay war richtig heiß geworden, doch dann war Jonas schließlich doch noch mit dem Mann in die Wohnung gegangen. Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Wenn er so weitermacht, muss ich Karim davon erzählen. Frau Kowinski von oben würde sich sofort beim Vermieter beschweren, wenn sie so eine Szene zu Gesicht bekäme. Es wäre schlimm, wenn er deswegen die Wohnung verliert.«
»Jetzt sei doch nicht so ein Spielverderber. Erzähl mir lieber mehr über diesen heißen Unbekannten. So wie du redest, hast du ihn doch nicht nur aus der Ferne beobachtet, oder?«
»Leider nicht.« Daraufhin erzählte Kay ihm von dem schlimmen Abend.
Allerdings war Oliver nicht empört von Jonas' Aufdringlichkeit, sondern stattdessen deutlich beeindruckt. »Aber das ist doch nett. Er wollte sich um dich kümmern, als ich nicht da war. Du hättest das Angebot annehmen sollen. Ich meine, er hat dir sogar seine Pizza geschenkt. Wer tut sowas heute noch?«
»Oli, ich habe ihm x-mal gesagt, er soll mich in Ruhe lassen und er ist trotzdem nicht gegangen.«
»Ja, aber vielleicht hat er dich durchschaut. Du sagst mir auch ständig, ich soll dich allein lassen und dann bist du froh, wenn ich bei dir bleibe.«
»Das ist etwas völlig anderes. Ich kenne ihn nicht einmal und trotzdem hat er sich einfach in meine Wohnung gedrängt.«
»Weil er gesehen hat, wie fertig du wegen Rafael gewesen bist. Wie gesagt, ich finde das nett. Vergleich damit doch mal mein Wochenende«, sagte Oli missmutig. »Ich wurde zwei Tage lang von einem Mistkerl durchgevögelt, nur um seinen Freund eifersüchtig zu machen. Dabei mochte ich ihn wirklich. Ich dachte, wir hätten eine Verbindung.«
Kay zog ihn zu sich. »Du musst damit aufhören, in den Clubs die wahre Liebe finden zu wollen, Oli. So wird das nichts. Besonders nicht, wenn du mit jedem gleich ins Bett steigst.«
»Leichter gesagt als getan. Ich bin ein Opfer meiner Gelüste. Ein knackiger Hintern und schon ist meine Selbstbeherrschung dahin.«
»Knackiger Hintern, Grübchen, starke Hände … und hast du dich nicht mal in einen Kerl verliebt, weil er deiner Meinung nach ein besonders schönes Schlüsselbein gehabt hat?«
Entschuldigend grinste Oliver ihn an. »Das kann sein. Ich weiß ja selbst, dass ich oft etwas voreilig bin. Vielleicht sollte ich auch zur Therapie gehen. Wir könnten das gemeinsam machen.«
Kay schüttelte aber den Kopf. »Tut mir leid. Dass jemand dabei ist, will ich noch weniger. Nicht einmal, wenn du das bist. Ich … möchte es einfach vergessen und nicht alles wieder ausgraben.«
»Wenn du es nicht tust, macht es das von alleine. Wie einer dieser ekligen Zombies, der aus seinem Grab steigt. Wenn du ihn selbst ausgräbst, kannst du ihn immerhin rechtzeitig mit einem Kopfschuss erledigen, bevor er dein Gehirn frisst.«
»Oli, diese Analogie ist widerlich. Du guckst zu viele Filme.«
»Widerlich vielleicht, aber zutreffend.« Oli setzte auf einmal Fisch neben sich auf die Couch und sprang auf. »Lass uns rausgehen. Trübsalblasen hilft keinem von uns, sich besser zu fühlen.«
»Wo willst du denn hin? Ich habe heute Nachtschicht im Museum und muss noch ein paar Stunden schlafen.«
»Aber bis dahin wird dir ein Spaziergang guttun. Komm schon. Ich gebe dir auch ein Eis aus.«
Missmutig stand Kay auf. »Aber nur für eine Stunde. Dann muss ich wieder zurück.«
Oli nickte. »Das sollte ausreichen.« Er strich noch einmal über Fischs Fell und küsste anschließend ihren Kopf. »Mach es gut, meine Süße. Ich komme dich bald wieder besuchen. Versprochen.«
Fisch schnurrte nur, gähnte und rollte sich anschließend auf dem Sofa zusammen.
***
Als Kay am frühen Morgen von seiner Nachtschicht zurückkam, wäre er am liebsten sofort ins Bett gekrochen, doch sein knurrender Magen hielt ihn davon ab. Gähnend schlich er an dem Kratzbaum vorbei und in die Küche, um sich wenigstens ein Brot zu schmieren. Er hatte sich bereits eine Scheibe genommen und stand kurz davor, das Messer in die Butter zu tauchen, als er Schritte im Treppenhaus hörte. Sie hielten vor seiner Tür und kurz darauf vernahm Kay ein Stöhnen.
Augenblicklich biss sich Kay auf die Unterlippe. Jonas hatte doch nicht schon wieder jemanden mit nach Hause genommen, oder? So viel Ausdauer konnte doch niemand haben.
Er kämpfte kurz mit sich, schließlich ging Kay jedoch zur Tür und schielte durch den Spion. Der Anblick, der sich ihm bot, ließ sein Herz augenblicklich höher schlagen. Jonas lehnte an der Tür von Karims Wohnung, ein Mann kniete vor ihm, während Jonas' Hände durch seine Haare fuhren.
Kay schluckte hart. Jonas' Gesicht war leicht gerötet. Er hielt sich eine Hand auf den Mund, unterdrückte sichtlich sein Stöhnen. Schweiß rann ihm über die Stirn und als er seine Augen öffnete, meinte Kay einen Moment lang, ihre Blicke würden sich treffen.
Jonas öffnete den Mund, sagte irgendetwas zu seinem Begleiter, der daraufhin von Jonas abließ und ihm in die Wohnung folgte. Kurz sah Kay noch Jonas' harten Schwanz, bis die Tür ihm schließlich den Blick verwehrte.
Kay bemerkte erst, wie schnell sein Herz klopfte, als er sich an die Brust fasste. Verdammt … das war die heißeste Szene gewesen, die er je beobachtet hatte. Ungläubig schüttelte Kay den Kopf, fasste sich an die Stirn. Was dachte sich Jonas nur dabei? Um vier Uhr morgens war zwar kaum jemand im Treppenhaus, aber es hätte ihn trotzdem einer der Nachbarn sehen können. Oder machte das den Reiz für ihn aus? Wollte er beobachtet werden? Und wenn es so war, hatte er dann womöglich gewusst, dass Kay zusah?
Noch einmal schüttelte er den Kopf. Unsinn. Woher sollte er das wissen? Es war ein Zufall gewesen. Nichts weiter.
Mit einem frustrierten Zischen ging Kay zurück in die Küche und schmierte sein Brot. Die Erregung, die er beim Beobachten der Szene verspürt hatte, ignorierte er dabei weitestgehend. Auf einmal ließ er jedoch das Messer fallen, hielt sich an der Arbeitsfläche fest, neigte den Kopf und atmete tief ein. So sehr sich Kay auch bemühte, er konnte Jonas' heißen Blick nicht vergessen.
Kapitel 4
In der darauffolgenden Nacht sah er Jonas nicht. Aber natürlich hatte Kay auch nicht auf ihn gewartet. Nein, er hatte bei Geräuschen nur hin und wieder durch den Türspion geschaut, um potenzielle Einbrecher zu erwischen. Ganz so, wie aufmerksame Nachbarn das eben taten.
Während er am nächsten Abend auf dem Boden saß und mit einer Angel immer wieder zwei Federn in Fischs Richtung bewegte, um sie dann kurz vor ihr wegzuziehen, biss sich Kay auf die Unterlippe. Schuldbewusst sah er in Richtung Tür.
Okay, vielleicht doch. Vielleicht war dieser kurze Moment, als sich gefühlt ihre Blicke getroffen hatten, das Aufregendste gewesen, das Kay seit langer Zeit erlebt hatte und nun war er hungrig nach mehr. Er wollte wieder diesen heißen Ausdruck in Jonas' Gesicht sehen … nein, nicht speziell in seinem, sondern einfach in dem irgendeines Mannes. Kay wollte Leidenschaft und Feuer spüren, ohne Angst zu haben oder zurückzuschrecken. Eben ganz so wie Jonas auf dem Flur. Unbekümmert, sorglos, ohne Hemmungen.
Gleichzeitig wusste Kay jedoch, er konnte genau das nicht haben. Wenn ihn ein Mann so berührte, wie es dieser Fremde mit Jonas getan hatte, würde sich Kays Körper nur wieder verkrampfen. Er würde weglaufen oder um sich schlagen, eben alles Mögliche tun, um der Situation zu entgehen.
Das änderte aber nichts an seiner Sehnsucht. Er wollte berührt werden und gleichzeitig fürchtete er genau das mehr als alles andere. Wer sollte das schon verstehen? Ganz sicher niemand wie Rafael oder auch sonst jemand.
Mit einem Seufzen legte Kay die Angel auf den Boden und warf einen Blick auf die Uhr über dem Fernseher. Seine Schicht im Museum begann erst in zwei Stunden.
Erneut sah er zur Tür, erwartete aber nicht, Jonas vor seiner Schicht zu sehen. Bisher war dieser nicht vor vier Uhr morgens nach Hause gekommen. Allmählich fragte sich Kay, was er eigentlich beruflich machte. Karim hatte ihm nur gesagt, er würde einige Jobs erledigen, doch was für welche das waren, hatte er nicht erwähnt.
Als Kay genauer darüber nachdachte, runzelte er die Stirn. Es gab da schon einen Beruf, der ihm in den Sinn kam und zu allem passte, was er bisher über Jonas wusste … Aber nein, das konnte nicht sein. Jonas hatte nicht wie ein Callboy auf ihn gewirkt. Außerdem hätte Karim ihm dann kaum erlaubt, in seiner Wohnung zu wohnen.
Aber andererseits konnte sich Kay schon vorstellen, dass Jonas einen guten Job machte. So leidenschaftlich, wie er gewesen war … sicherlich würden eine Menge Leute für seine Dienste bezahlen.
Rasch schüttelte Kay den Kopf. Er dachte zu viel über Jonas nach. Wahrscheinlich konnte er die Szene im Flur nur nicht vergessen, weil er inzwischen sein Limit erreicht hatte. Kay legte nicht gerne selbst Hand an. Besonders während seiner Beziehung mit Rafael hatte er versucht, so lange wie möglich ohne auszukommen. Es war ihm unfair vorgekommen, dass er sich selbst berührte, während er genau das seinem Freund nicht erlaubte. Außerdem weckte es schlechte Erinnerungen. Kay fühlte sich schmutzig und widerwärtig, wenn er es tat, und machte es daher nie zum Vergnügen.
Als er Schritte im Treppenhaus hörte, fuhr Kays Kopf herum. Zunächst zögerte er, doch dann schlich er zur Tür und sah durch den Spion. Es war tatsächlich Jonas und er war eindeutig betrunken. Torkelnd balancierte er einen Gitarrenkoffer auf seinem Rücken, ließ den schließlich zu Boden sinken und fummelte an seiner Jeans herum.
Zu allem Unglück war sein Oberkörper nackt. Jonas besaß einen starken Rücken, keine richtigen Bauchmuskeln, doch ein Ansatz zeichnete sich ab. Immer wieder tastete er seine Hosentaschen ab, fluchte anschließend.
Als sein Blick auf einmal in Kays Richtung fiel, zuckte dieser zusammen. Stirnrunzelnd trat Jonas auf seine Tür zu, klopfte dagegen. »Kay, bist du da? Ich habe meine Schlüssel vergessen. Kay?«
Kay biss sich auf die Unterlippe, sein Herz raste. Was sollte er tun? Jonas ignorieren? Er wollte ihn nicht hereinlassen. Einmal davon abgesehen, dass er bald zur Arbeit musste, war dieses Bild von Jonas im Flur noch zu frisch in Kays Kopf. Er wollte ihn nicht dort haben. Ob er Jonas nicht traute oder Angst davor hatte, er selbst könnte etwas tun, das er später bereute, wusste Kay nicht.
»Kay?« Noch einmal klopfte Jonas an und dann stöhnte er. »Verdammter Mist …«
Neugierig beobachtete Kay, was er als Nächstes tun würde. Zu seiner Überraschung nahm Jonas den Gitarrenkoffer, umarmte ihn, ließ sich vor der Tür von Karims Wohnung auf dem Boden nieder und schloss die Augen.
Ungläubig sah Kay ihm dabei zu, wie er innerhalb von Sekunden einschlief. Scheiße, dachte Kay daraufhin nur. Was nun? Frau Kowinski ging um diese Zeit immer ein letztes Mal mit ihrem Hund. Was würde sie tun, wenn sie sah, wie Jonas halbnackt auf dem Flur schlief und dabei die Treppe blockierte?
Kay fluchte leise. Außerdem war es gerade erst Anfang Mai und die Nächte noch verdammt kalt. Jonas würde sich wer weiß was holen, wenn er dort schlief. Es war Kay ohnehin ein Rätsel, was mit seinen Klamotten passiert war.
Mit einem Seufzen öffnete Kay schließlich die Tür. Spätestens, wenn er zur Arbeit musste, würde er Jonas ohnehin über den Weg laufen und wecken müssen, um nach unten zu kommen. So konnte er wenigstens sicherstellen, dass Frau Kowinski nichts von dieser Szene mitbekam.
Leise schlich Kay auf Jonas zu, hockte sich vor ihm hin. »Jonas?«, fragte er zögerlich, beobachtete dabei Jonas' Gesicht. Als Jonas die Nase rümpfte und schmatzte, grinste Kay. So wirkte er fast unschuldig. Ganz anders als der leidenschaftliche Liebhaber von neulich Nacht. Aus einer Laune heraus ging Kay in seine Wohnung, holte sich dort einen Einweghandschuh, zog diesen an und kehrte zu Jonas zurück. Grinsend hielt Kay ihm die Nase zu, bis Jonas schließlich nach Luft schnappte und um sich schlug.
»W-was … Kay?«
»Du solltest hier nicht schlafen. Hast du deine Schlüssel vergessen?«
Jonas blinzelte ihn an, stöhnte anschließend und dabei wehte Kay der Geruch seiner Fahne entgegen. »Das ist Dennis' Schuld. Er wollte unbedingt meine Jacke anprobieren und ich habe vergessen, sie mitzunehmen, als er mich nach Hause gefahren hat. Da sind Schlüssel, Handy, Geld, Kondome … eben alles drin.«
»Kondome? Wenn die alle da reinpassen, müssen die Taschen groß sein«, rutschte es Kay heraus, bevor er sich stoppen konnte.
Jonas grinste. »Ich wusste doch, dass du geguckt hast.«
Augenblicklich wich Kay die Farbe aus dem Gesicht. »Ich … ich weiß nicht, was du …«
»Tu doch nicht so. Du hast mich beobachtet, als dieser Kerl meinen Schwanz gelutscht hat. Ich dachte mir doch, ich hätte ein Geräusch gehört. Mach dir nichts draus. Jeder andere hätte das gleiche getan.« Auf einmal legte Jonas die Hand auf Kays Nacken. »Sag mir nur eines: Hat dir die Szene gefallen?«
Kalter Schweiß brach auf Kays Stirn aus. Jonas' Hand war heiß, gleichzeitig spürte Kay jedoch die typische Angst, die jedes Mal von ihm Besitz ergriff, als ihn jemand auf diese Art berührte. Er legte eine Hand auf Jonas' Brust, wollte ihn erst von sich drücken, doch ein Blick in diese Augen ließ Kay erstarren. Sie waren genauso wie in dieser einen Nacht. Ein Feuer schien in ihnen zu brennen, hielt Kay gefangen. Er schluckte hart.
Die Hand auf seinem Nacken bewegte sich auf einmal zu Kays Hinterkopf, zog ihn näher und dann berührten ihn Jonas' Lippen.
In diesem Moment hatte Kay einen Aussetzer. Er dachte an nichts mehr. Nicht an die Erinnerungen, nicht an diese Angst, die er wie ein schwaches Echo noch irgendwo in seinem Körper spürte, oder auch an die Furcht vor dem, was folgen würde: weitere Versuche, Enttäuschungen, Vorwürfe.
Da waren auf einmal nur Jonas' heiße Lippen und Hände, die Kay nach oben zogen. Jonas stand mit ihm auf, ließ seine Gitarre dort auf dem Boden liegen und stolperte mit Kay in dessen Wohnung.
Jonas' Zunge drang in seinen Mund, spielte mit ihm. Als wäre er halb verhungert, schnappte er immer wieder nach Kays Lippen. Schließlich erreichten sie die Couch, Jonas Hände fuhren über Kays Rücken nach unten und dann passierte es.
Kay erstarrte. Angst durchzog seinen Körper, übernahm sein Handeln und er schubste Jonas von sich. Dieser landete auf der Couch, bewegte sich nicht mehr.
Mit tiefen Atemzügen starrte Kay ihn an. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. »Jonas?«
Als er sich daraufhin immer noch nicht bewegte, ging Kay vorsichtig auf ihn zu, bückte sich, um in Jonas' Gesicht zu sehen, und zog eine Grimasse. Er war wieder eingeschlafen. Grunzend schnarchte Jonas sorglos vor sich hin, als hätte er nicht soeben Kays gesamte Welt erschüttert.
Dieser fasste sich an die Brust, versuchte sich zu beruhigen. Was war das nur für ein Kuss gewesen? Küsse waren zwar etwas, das Kay ertragen konnte, aber nie welche, die so … deutlich sexuell waren. Kay hatte an nichts mehr gedacht. Nicht einmal an das Trauma, das ihn so sehr beherrschte. Wie war das möglich?
Als Kay die Haustür unten hörte, lief er rasch in den Flur zurück, um Jonas' Gitarre zu holen und die Tür zu schließen, bevor Frau Kowinski ihn sah. Er lehnte den Gitarrenkoffer an die Garderobe und besah sich im Spiegel. Seine Wangen waren gerötet, die Haare von Jonas' Fingern durcheinandergewirbelt. Rasch glättete Kay sie wieder, schloss die Augen, und stützte sich an der Kommode ab.
Das war ein Ausrutscher gewesen. Jonas hatte ihn überrascht. Nichts weiter.
Unsicher sah Kay zurück in den Spiegel. Seine Lippen kribbelten und als er bemerkte, wie eng sich seine Jeans anfühlte, schüttelte er den Kopf.
Er musste morgen mit Oliver reden. Dringend.
Kapitel 5
Als Kay von seiner Schicht zurückkam, lag Jonas noch genauso da, wie er ihn verlassen hatte. Erleichtert atmete er auf. Kay hatte zwar nicht geglaubt, Jonas würde etwas anstellen, aber schließlich kannte er ihn noch nicht besonders gut. Karim war ein verantwortungsbewusster Mann und Kay bezweifelte, er würde jemandem seine Wohnung anvertrauen, der das Eigentum anderer nicht schätzte, aber Zweifel hatte er dennoch gehabt.
So leise wie möglich schloss Kay die Tür, doch sobald sie hinter ihm zugefallen war, zuckte Jonas zusammen. Sichtlich müde hob er den Kopf, blinzelte Kay an. »Isch scho' Morgen?«
Unweigerlich musste Kay grinsen. Jonas hatte zweifellos eine süße Seite. »Das kommt auf die Betrachtungsweise an. Es ist nach Mitternacht, falls du das meinst. Für mich beginnt der nächste Morgen erst in acht Stunden. Von daher …«
Sichtlich verwirrt runzelte Jonas die Stirn. »Ah.« Er sah an sich herab und daraufhin wieder zu Kay. »Ich habe meine Hose noch an.«
»Das hast du, ja.«
»Dann … haben wir nicht miteinander geschlafen?«
Kay schüttelte langsam den Kopf. »Nein, das haben wir nicht. Hast du einen Filmriss?«
»Teilweise. Dennis hat mir Drinks ausgegeben, weil er meinen Auftritt in letzter Sekunde abgesagt hat und er deswegen ein schlechtes Gewissen hatte. Ich … habe dich geküsst.« Jonas grinste. »Das war gut, oder?«
Als sich Kay an Jonas' hungrige Lippen erinnerte, fühlte sich sein Gesicht wieder warm an. »Es war … zumindest nicht schlecht.«
»Wir könnten es wieder tun!«, rief Jonas begeistert, sprang auf, hielt dann aber inne. »Nur nicht sofort. Erst muss ich pissen. Wo ist das Bad?«
Kay zeigte auf die Tür rechts von seinem Schlafzimmer. »Dort drüben, aber-« Bevor er weiterreden konnte, lief Jonas bereits ins Badezimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
Langsam senkte Kay den Zeigefinger, starrte Jonas verwirrt nach. »Dieser Kerl ist schlimmer als ein Tornado.« Seufzend ging er zu Fisch, die wie fast immer auf ihrem Kratzbaum lag und ihn empört anblinzelte. »Du konntest bei seinem Geschnarche bestimmt nicht schlafen, was? Keine Sorge, er ist bald wieder weg.«
Infolgedessen sah Fisch ihn misstrauisch an, als würde sie ihm nicht glauben und Kay verzog das Gesicht. »Du verbringst zu viel Zeit mit Oli. Dir ist schon klar, dass eigentlich ich dein Herrchen bin, hm?« Es war unwahrscheinlich, doch daraufhin hätte Kay schwören können, dass Fisch mit den Augen gerollt hatte.
»Du redest mit deiner Katze? Antwortet sie auch?«, fragte ihn auf einmal Jonas' amüsierte Stimme.
Leicht beschämt drehte sich Kay zu ihm um. »Auf ihre Weise. Meistens mit missbilligenden Blicken oder einem empörten Brummen.«
»Ah, eine Lady, die schwer zufriedenzustellen ist, was?«
»Das gilt für die meisten Frauen in meinem Leben.«
»Und was ist mit den Männern?«
Kay richtete den Blick zu Boden. Ja, das war genau das Thema, über das er um vier Uhr morgens mit einem eigentlich Fremden reden wollte. Als er aufsah und in Jonas' Ausdruck ehrliches Interesse entdeckte, antwortete Kay jedoch wie von selbst. »Die Männer verstehen mich meistens nicht. Das gleiche gilt aber auch für mich. Ich weiß nicht, warum ich so bin wie ich bin. Teilweise zumindest nicht.«
»Karim meinte ja, dass du Probleme hast … und wenn ich mich richtig erinnere, hatte der Kuss auch etwas Seltsames. Er war gut, aber du warst am Anfang sehr passiv.«
»Du hast mich überrumpelt.«
»Das meine ich nicht. Es war, als würdest du nicht richtig begreifen, was passiert. Als wärst du diese Art von Kuss nicht gewohnt. Da du aber einen Freund hattest, kann das nicht sein. Ihr hattet doch auch Sex, oder?«
Kay sah ihn immer noch nicht an. Er wollte nicht darüber reden. Erst recht nicht mit jemandem, den er kaum kannte. »Das ist alles sehr persönlich.«
»Ich hatte meine Zunge in deinem Mund. Viel persönlicher kann es nicht werden. Okay, es hätte auch mein Schwanz sein können, aber du verstehst sicher, was ich meine. Außerdem warst du wie ausgewechselt, als du den Kuss erwidert hast. Zögerlich, aber ich habe ein Biest in dir gespürt.« Jonas legte auf einmal seine Hände auf Kays Schultern, doch als Kay daraufhin heftig zusammenzuckte, nahm er sie rasch wieder weg. »Oh, tut mir leid.«
»Es ist nicht deine Schuld.« Kay trat einige Schritte von ihm weg, um mehr Abstand zwischen sie zu bringen. Ohne sich zu Jonas umzudrehen, sprach er weiter. »Um ehrlich zu sein, ich habe Probleme mit alldem. Ich … hasse es, angefasst zu werden. Nicht immer. Ich mag es zu kuscheln, aber … sobald es in Richtung Sex geht, muss ich weg. Ich bekomme den Drang zu flüchten.«
»Hattest du ein schlimmes Erlebnis?«
Kay nickte. »Bei meinem ersten Mal. Seitdem reagiert mein Körper heftig auf diese Art von Berührungen.«
»Das erklärt dann wohl die dicke Lippe von deinem Exfreund.