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Herbstbrunch - Eine gefährliche Partie Gay Romance Rod ist ein schmächtiger Junge, der seit Jahren unter seiner dünnen Statur leidet. Er versucht alles, seinen Körper zu verändern, doch dann geschieht etwas, das jeden Gedanken an sein Training verdrängt: Sein drogensüchtiger Kindheitsfreund Dom verschwindet spurlos. Als Rod dann auch noch gewarnt wird, nicht nach ihm zu suchen, beginnt eine gefährliche Partie, die ihn in Geschäfte hineinzieht, aus denen er sich besser herausgehalten hätte ... »Herbstbrunch - Eine gefährliche Partie« ist ein homoerotischer Liebesroman mit Krimielementen.
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Veröffentlichungsjahr: 2015
Inhalt
Rod ist ein schmächtiger Junge, der seit Jahren unter seiner dünnen Statur leidet. Er versucht alles, seinen Körper zu verändern, doch dann geschieht etwas, das jeden Gedanken an sein Training verdrängt: Sein drogensüchtiger Kindheitsfreund Dom verschwindet spurlos.
Als Rod dann auch noch gewarnt wird, nicht nach ihm zu suchen, beginnt eine gefährliche Partie, die ihn in Geschäfte hineinzieht, aus denen er sich besser herausgehalten hätte ...
»Herbstbrunch - Eine gefährliche Partie« ist ein homoerotischer Liebesroman mit Krimielementen.
Copyright © 2014 Francisca Dwaine
Alle Rechte vorbehalten.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt und darf nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin ganz oder in Auszügen vervielfältigt oder kommerziell genutzt werden.
Alle handelnden Personen wurden frei erfunden.
Cover © Francisca Dwaine
Unter Verwendung der Bilder von © Africa Studio - Fotolia.com
Kapitel 1: Von Muskeln und Ohrenstöpseln
Die Nebelmaschine trieb einen schwefeligen Geruch über die Tanzfläche des Rainsberry. Rod, ein schmal gebauter Junge mit braunen, nach hinten gekämmten Haaren, lehnte mit dem Rücken an der Theke der Bar und nahm einen Schluck von seinem Bier.
Es war kaum noch etwas zu erkennen, aber genau dafür liebten die Besucher des Rainsberry den stinkenden Rauch. Sobald die Augen nutzlos wurden, benutzen sie ihre Hände zum Sehen, griffen sich den nächstbesten Körper, trauten sich Dinge, die sonst nur hinter verschlossenen Türen gewagt wurden.
Zu gerne wäre Rod jetzt auch dabei, aber er wartete auf jemanden. Daniel würde selbst zur Geburt seiner Kinder zu spät kommen, wenn er nicht ebenso schwul und bindungsunfähig wie unzuverlässig wäre. Es würde Rod nicht einmal wundern, wenn er ihre Verabredung vergessen und sich stattdessen sein nächstes Opfer – oder Tanzpartner, wie Daniel sie nannte – gesucht hätte.
»Typisch ... absolut typisch«, sagte Rod und seufzte.
»Wer seufzt, verliert ein paar Jahre seines Lebens«, flüsterte eine Stimme und Rod schlug mit der flachen Hand nach hinten, um Larry, den Barkeeper, auf die Nase zu schlagen. »Au! Vorsicht!«, rief der. »Mein Gesicht ist mein Kapital!«
Rod drehte sich langsam um, hob eine Augenbraue und betrachtete Larry mit verschränkten Armen. Sein Gesicht sein »Kapital« zu nennen, musste entweder eine Übertreibung sein oder mit seinen sonstigen Fähigkeiten stand es noch weit schlimmer, als Rod erwartet hatte.
Larry besaß ein klobiges Gesicht, eine Kartoffelnase und dicke Augenbrauen. Seine Stirn ließ eine beginnende Glatze erkennen und ein Goldzahn ersetzte einen seiner Vorderzähne.
Rein vom Aussehen her, müsste er Ende vierzig sein, aber er schwor darauf, gerade erst die Dreißig durchbrochen zu haben.
Wer‘s glaubt!
Larry nahm ein Glas, trocknete es ab und setzte eine beleidigte Miene auf. »Jetzt sieh mich nicht so an. Ich mag vielleicht keine Schönheit wie du und deine Freunde sein, aber dafür bin ich großartig im Bett. Kannst du jeden fragen.«
»Ich glaub es dir einfach mal. Bekomme ich noch ein Bier?«
»Hast du denn auch noch Geld?«, fragte Larry misstrauisch.
Rod stützte sich mit den Unterarmen auf der Theke ab. Das zerschnittene Top, das er an diesem Abend anhatte, rutschte nach unten und gab den Blick auf seinen Brustbereich frei. Er senkte den Kopf und sah den Barkeeper mit seinem liebenswürdigsten Lächeln an.
Larrys Blick huschte sofort nach unten und seine Lippen zitterten, als Rod zwei Finger über seinen Arm tanzen ließ. »Bitte ... ich bin doch so schrecklich durstig«, sagte Rod und leckte sich über die Lippen.
»Verflucht ... na schön, aber nur, weil du so schrecklich süß bist.«
Rod rümpfte die Nase. Er mochte diese Bezeichnung gar nicht, aber immerhin bekam er durch dieses Gehabe, was er wollte ...
»Auf wen wartest du eigentlich?«, fragte Larry.
»Daniel. Er wollte aber schon vor einer halben Stunde hier sein.«
Ein Grinsen und Larrys Goldzahn blitzte auf. »Oh, ich dachte, da läuft nichts mehr zwischen euch?«
»Tut es auch nicht, aber er wollte mir etwas mitbringen.«
Larry schnaubte. »Da wirst du lange warten können. Wenn kein Sex oder Essen dabei herausspringt, kannst du so gut wie vergessen, dass er kommt.«
»Das will ich jetzt nicht gehört haben! Ich halte immer meine Versprechen«, sagte Daniel, als er neben Rod auftauchte und eine Tüte auf den Barhocker neben sich stellte. Wie immer trug er seine schwarze Lederjacke, kastanienbraune Haare fielen über seine Schultern und ein dünner Bart à la Johnny Depp zierte sein Kinn. Er schenkte Rod ein charismatisches Lächeln, das dieser nicht erwiderte.
»Wurde auch langsam Zeit!« Rod öffnete gierig die Tüte. »Ist auch alles dabei?«
»Klar! Meine Lieferungen sind immer perfekt.«
»Nur, damit wir uns nicht falsch verstehen«, mischte sich Larry ein. »Da sind keine Drogen drin, oder? Mein Boss sieht das nämlich nicht gern.«
Daniel lachte. »Drogen, klar. Rod ist doch der Letzte, der sich Stoff beschaffen würde. Nee, das ist etwas ganz anderes, aber nicht weniger bekloppt.«
»Hey, das sind Sammlerstücke!«, rief Rod, der sich die Tüte schnappte und mit leuchtenden Augen hineinsah.
»Altpapier wohl eher«, sagte Daniel mit einem Augenrollen und wandte sich wieder Larry zu. »Es sind alte Sportmagazine. Rod wollte jede Ausgabe, in der Phil Kleinbeck, großartiger Ex-Profiboxer, auch nur erwähnt wurde.«
»Oh, dann bist du immer noch verrückt nach ihm.« Larry warf ihm einen fast mitleidigen Blick zu.
Rod nahm die Tüte vom Hocker und stellte sie zwischen seine Beine. »Warum müsst ihr eigentlich immer so einen Aufstand machen?«, fragte er. »Er ist mein Vorbild und die Artikel sollen mich motivieren.«
»Und aus dem Grund wolltest du bestimmt auch besonders die Ausgaben mit großen Fotos haben.« Daniel schüttelte den Kopf. »Nur zu deiner Information: Es gibt Heftchen, die sich weit besser als Wichsvorlage eignen.«
Rods Blut schoss in seine Wangen. »Du bist ein Idiot.«
»Und du bist noch niedlicher, wenn du sauer bist«, sagte Daniel grinsend. »Es würde auch einen einfacheren Weg geben, um dir Fotos von Phil zu beschaffen: Frag ihn! Der würde bestimmt einen Kalender voll Bilder für dich machen. Sogar mit hartem Schwanz, wenn du besonders lieb fragst.«
»Du bist echt ein Arsch, Daniel«, sagte Rod. »Phil ist nicht mehr so. Er hat doch Mirko.«
Larry warf ihm einen zweifelnden Blick zu. »Du glaubst echt, dass das mit den beiden halten wird? Phil hatte bisher noch nie eine lange Beziehung.«
»Sie wohnen seit einem Jahr zusammen. Brauchst du wirklich noch mehr Beweise?«
»Scheiße ... ich hätte Mirko zu gerne einmal ohne Phil erwischt«, sagte Larry.
»Du glaubst doch nicht wirklich, du hättest mit deinem Trollgesicht eine Chance gehabt, oder?«, fragte Daniel lachend.
»Pass auf, was du sagst, Junge. Ich habe immer noch die Kontrolle über diese Bar. Wenn du mich also ärgerst, dann ...«
Rod rollte mit den Augen und schnappte sich die Tüte. Wenn die zwei einmal zu streiten anfingen, dann war keiner von ihnen noch zu halten. Es war, als würden Katze und Hund aufeinandertreffen.
Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick auf die Tanzfläche bahnte sich Rod einen Weg zum Ausgang. Jetzt, da er hatte, was er wollte, interessierten ihn das schlechte Bier und die heißen Körper nicht mehr.
Ja klar, sagte eine Stimme in seinem Kopf. Du bist ja nur chronisch untervögelt. Was interessieren dich da halb nackte Männerkörper, die sich aneinanderschmiegen und gegenseitig begrapschen?
Rod verließ den Nebelschleier durch den Ausgang, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
***
Am nächsten Morgen betrachtete sich Rod im Spiegel. Mehrmals drehte er sich, begutachtete seine Brust, die Arme und seinen Hintern. Ab und zu huschte sein Blick zu einigen der Zeitungsausschnitte, die an den Außenseiten seines Spiegels klebten. Sie zeigten einen muskulösen Mann in Shorts, der einen Box-Gürtel hochhielt und frech in die Kamera grinste. Damals war Phil noch in Rods Alter gewesen.
Von einer solchen Statur konnte der aber nur träumen. Obwohl Rod in den letzten Monaten reichlich trainiert und auch einige Muskeln hinzugewonnen hatte, blieb sein Körper schmächtig, sein Gesicht zu schön für einen Mann und der Gesamteindruck zuniedlich.
So wurde er immer wieder genannt, egal, ob mit neiderfülltem Unterton, wenn die Mädchen über ihn sprachen, oder mit spöttischem Gelächter, wenn andere Männer ihn verhöhnten. Aber was er auch tat, wie viel er auch trainierte, er gewann kaum an Muskeln hinzu. Allein für das winzige Sixpack, das er sich hart erarbeitet hatte, musste er dreimal so viel trainieren wie andere Männer.
Phil meinte, das wäre seine Veranlagung und Rod könne nichts daran ändern, aber wie sollte er das einfach so hinnehmen? Wie könnte er das, wenn ihn sogar sein Idol trainierte?
Rod schenkte den Bildern von Phil neiderfüllte Blicke. Genau so wollte er sein! Männlich, stark, imposant ... Rod war in den letzten Monaten etwas gewachsen, aber immer noch kleiner als der Durchschnitt und das tat seinem Image keinen Gefallen. Wann immer er in einen Klub ging, standen die Typen reihenweise Schlange, weil jeder von ihnen etwas von diesem süßen Twink abhaben wollte. Eine Sache bedachten sie dabei nicht: Rod war auch ein Mann.
Er wollte nicht ständig den Hintern hinhalten, verdammt noch mal! Aber wenn er das einer seiner Bekanntschaften mitteilte, wurde er ausgelacht. Als ob er wegen seines Aussehens sein Leben lang unten liegen müsste ... In was für einer Scheißwelt lebten die eigentlich?
Mit zusammengebissenen Zähnen nahm Rod seine Sporttasche vom Bett und ging die Treppe runter. »Du musst mir kein Frühstück machen. Ich esse unterwegs, Mama!«, rief er seiner Mutter zu, die in der Küche stand.
Ein empörter Blick traf Rod, den er nur zu gut kannte. Seine Mutter war eine Geschäftsfrau, wie sie im Buche stand. Streng, eitel, immer im Kostüm unterwegs, gepflegt und mit perfekt manikürten Fingernägeln. Sie arbeitete als freie Kuratorin und organisierte Kunstausstellungen. Daher war auch das gesamte Haus ständig voll mit Kunstwerken, die sie regelmäßig anschleppte. Rod konnte damit noch nie etwas anfangen.
Leider stand die nächste Ausstellung kurz bevor und durch einen Fehler in der Lieferanschrift wurden mehrere Holzkisten zu ihnen nach Hause geschickt anstatt in eine der Lagerhallen. So musste Rod zwei Kisten umrunden, bevor er überhaupt zur Tür gehen konnte. »Wann werden die Dinger endlich abgeholt?«
»Sobald die Spedition Zeit hat. Ach, ich wünschte, ich wäre zu Hause gewesen. Dann hätte ich deinen Vater davon abhalten können, die Lieferung anzunehmen.« Rods Mutter schürzte die Lippen, wie sie es immer tat, wenn sie den Fehler eines anderen missbilligte.
Rod sagte lieber nichts dazu. Er war bereits spät dran und ein Hinweis darauf, wie oft seine Mutter kistenweise Kunstwerke kaufte und daher jeder diesen Fehler machen konnte, würde ihn nur unnötig aufhalten. »Ich geh dann mal.« Er hatte die Tür schon fast erreicht, als ihn die messerscharfe Stimme seiner Mutter erneut aufhielt.
»Gehst du wieder in dieses Café?«, fragte sie. »Du musst richtige Sachen essen! Das Frühstück ist die-«
»Wichtigste Mahlzeit des Tages, ja, ich weiß. Sorry, Mama, aber ich bin spät dran und das Brunch liegt auf dem Weg.«
»Du solltest dich ohnehin auf dein Studium konzentrieren. Mir gefällt nicht, dass du immer noch in diesem Fitnessstudio arbeitest.«
Ja, und das erzählst du mir jeden verdammten Tag, dachte Rod, setze aber ein süßes Lächeln auf. Seitdem er vor etwas über einem Jahr in dem Studio angegriffen worden war, nutzte seine Mutter jede Gelegenheit, um ihm seinen Nebenjob auszureden. So arbeitswütig sie auch war, sie bemutterte ihn dennoch wie eine Glucke.
»Ich sammle Erfahrungen, verdiene gut und kann auch noch kostenlos trainieren«, sagte Rod. »Warum sollte ich den Job aufgeben?«
»Weil ... dir wieder etwas passieren könnte.«
»Mama, der Täter sitzt im Gefängnis. Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen.«
Seine Mutter ging auf ihn zu und fuhr mit einer Hand durch seine Haare. »Ich werde mir immer Sorgen um meinen kleinen Schatz machen.«
Energisch drückte Rod ihre Hand weg. »Nenn mich nicht so und lass das mit den Haaren endlich sein. Ich habe ewig im Bad gebraucht.«
»Ach ja? Du siehst aber aus, als wärst du so aufgestanden.«
Rod rollte mit den Augen. »So sollte es auch aussehen, aber das braucht Zeit!« Bei dem Stichwort huschte sein Blick zu der Uhr über dem Küchentisch. »Scheiße! Ich komme noch zu spät!« Er rannte zur Tür und zog seine Schuhe an.
»Vergiss deine Jacke nicht, mein Schatz! Es soll kalt werden!«
Fluchend nahm Rod seine Jacke und ging hinaus.
***
Leider hatte seine Mutter recht gehabt: Es war wirklich ziemlich kalt draußen. Die ersten Blätter waren gefallen. Die Wege strahlten durch die Morgensonne in einem rot-orangefarbenen Licht und an einigen Büschen hingen noch die Regentropfen der letzten Nacht.
Rod rieb die Hände aneinander, als er etwa zehn Minuten später im Brunch auftauchte. Das kleine Café in der Schildergasse war gut gefüllt, als Rod durch die Tür trat, an den weißen Tischen vorbeiging und die Verkaufstheke ansteuerte.
Sadi, ein Deutschtürke mit lockigen, schwarzen Haaren, dem das Brunch gehörte, hatte Rods Frühstück bereits eingepackt auf die Arbeitsfläche gelegt. »Wie jeden Morgen: Sandwich mit Schinken, Rührei und schwarzer Kaffee. Warum bist du eigentlich so spät dran?«
»Meine Mutter hat mich aufgehalten«, brummte Rod ihm zu. So richtig konnte er Sadi immer noch nicht leiden. Früher war er mal mit Phil zusammen gewesen, aber inzwischen hatte er eine feste Beziehung mit Nick, einem weiteren Kellner im Brunch. Den sah Rod allerdings nur noch selten. Fast immer war stattdessen so ein südländischer Faulpelz dort, der regelmäßig auf den Tischen einschlief.
»Dann beeilst du dich besser. Phil wird sauer, wenn du ihn warten lässt.«
Rod brummte ihm zu und bezahlte sein Frühstück. War ja klar, dass Sadi ihm wieder seine enge Freundschaft mit Phil unter die Nase reiben musste. Dabei war Rod inzwischen auch gut mit Phil befreundet. Wenn es auch schwierig werden konnte, wann immer der ihm von Mirko erzählte ...
Rod verabschiedete sich und ging zum Fitnessstudio weiter. Nur für drei Stunden war er heute dort. Danach fuhr er direkt zur Uni, wo er an einem Seminar teilnehmen musste.
Mit den Gedanken bei seiner Hausarbeit, die er gestern Abend mehr schlecht als recht fertiggestellt hatte, ging Rod auf das riesige Bürogebäude zu, in dessen Dachgeschoss das Muscle-Xtreme-Fitnessstudio lag. Er wäre fast in einen Mann hineingerannt, der plötzlich in seinen Weg trat.
Rod wollte ausweichen, sah dann aber in das Gesicht des Fremden. Er kannte ihn. »Dom, ich habe jetzt keine Zeit für dich«, sagte Rod genervt und wollte vorbeigehen, aber Dominik hielt ihn auf. Er wirkte müde, hatte die Augen nur leicht geöffnet. Für einen kurzen Moment schlich sich ein Gefühl von Mitleid in Rods Herz, aber er verdrängte es und versuchte ihm auszuweichen.
Dom griff nach Rods Schultern, riss ihn zurück. »Ich will doch nur mit dir reden! Bitte, gib mir eine Chance!«
»Ich habe dir tausende von Chancen gegeben! Du hattest einen hervorragenden Platz in einer Klinik, hättest es beinahe geschafft, von dem Zeug runterzukommen und was tust du? Du rauchst auf dem Klo Gras! Du hattest mir etwas versprochen!«
»Ich weiß ja, aber das ist alles nicht so leicht ... bitte Rod, nur eine Chance! Ich enttäusche dich auch nie wieder!«
»Das sagst du jedes Mal«, sagte Rod. Er schloss kurz die Augen, sammelte Kraft für seine nächsten Worte. »Aber ich habe dir gesagt, dass es so nicht weitergeht. So kann ich nicht mit dir zusammen sein. Du machst dich kaputt.«
»Aber ohne dich schaffe ich es erst recht nicht. Bitte, Rod!«
Rod sah ihn an. So gerne hätte er Dominik noch eine Chance gegeben, aber dann würde sich nie etwas ändern. Er kannte ihn bereits seit der Grundschule, aber in der letzten Zeit hatte ihre Freundschaft unter Doms Sucht gelitten. Seit fünf Jahren hatte Rods Freund Drogenprobleme, nahm die verschiedensten Sachen und kam nicht davon los. Während Rod sein Abitur gemacht hatte, war Dom dreimal verhaftet worden. Rod hatte ihm immer wieder helfen wollen, aber so oft er sich auch bemühte, es führte zu nichts. Dom erlitt einen Rückfall nach dem anderen.
»Wenn wir so weitermachen wie immer, wiederholt sich der ganze Mist nur, ohne dass sich etwas ändert. Deshalb stelle ich dir jetzt ein Ultimatum: Komm von den Drogen los oder du musst mich vergessen. Ich kann so nicht weitermachen.«
»Ich schaffe es bestimmt«, sagte Dom, aber sein Atem stank nach Rauch und auch seine Pupillen waren leicht geweitet. Rod kannte diesen Blick zur Genüge.
»Ich muss jetzt arbeiten gehen«, sagte er und lief an Dom vorbei.
Obwohl die Hände noch auf seinen Schultern lagen, ließ Dom ihn gehen.
***
Im Studio atmete Rod auf und schloss kurz die Augen. Das hatte er jetzt nicht gebraucht. Jedes Mal, wenn er Dom sah, kamen die Erinnerungen an früher zurück und mit jedem Mal wurde es auch schwerer, Dom zurückzuweisen. Wenn doch nur alles wie früher wäre ...
Rod atmete noch einmal durch, reckte die Schultern und ging in Richtung Umkleide.
Leider kam er nicht weiter als zwei Schritte. Phil kam auf ihn zu. »Hey, du bist zehn Minuten zu spät!«
Wie jedes Mal, wenn Rod ihn sah, schoss ihm das Blut in die Wangen. Selbst nachdem Phil aufgrund eines Unfalls seine Boxkarriere beenden musste, verkörperte er noch das Idealbild eines Mannes, das Rod anstrebte. Muskeln über Muskeln, ein fester Arsch, dieses markante Gesicht und kurze, blonde Haare ließen Rod nach Luft schnappen. Im Studio trug Phil fast nur ärmellose enge Shirts, die seine Oberarme zeigten. Gelegentlich fiel es Rod sogar schwer zu atmen, wenn er in seiner Nähe war.
»Tut mir echt leid«, sagte Rod und schaute mit seinem üblichen, liebenswürdigen Lächeln zu Phil hoch. »Ich wurde aufgehalten.«
»Oh, dein Dackelblick zieht hier nicht mehr, Freundchen. Sieh zu, dass du das nächste Mal etwas früher aufstehst! Ich kann dich nicht immer vor Jenn decken.« Phils Blick wurde sanfter. »Und jetzt, wo das aus dem Weg ist: Hat dir dein Freund wieder aufgelauert? Ich habe euch durchs Fenster gesehen. Soll ich mal mit ihm reden?«
»Das wird nicht nötig sein. Ich kenne Dominik schon ewig. Er macht nur eine schwierige Zeit durch«, sagte Rod. »Was steht denn heute auf dem Programm? Soll ich wieder das Probetraining übernehmen?«
Phil ging zur Theke, von der er ein Klemmbrett nahm. »Für heute gibt es nur drei Termine. Du hast nur bis Mittag Zeit, oder? Bekommst du das hin?«
»Überlass das nur mir. Ich geh mich eben umziehen. Möchtest du mitkommen?«, fragte Rod, klemmte die Zunge zwischen seine Zähne und grinste Phil an.
»Frech wie immer.« Phil wuschelte in Rods Haaren herum. »Sag das bloß nicht, wenn Mirko dabei ist. Du weißt, wie leicht er ausflippt. Wir haben ihn zu oft geärgert.«
Rod gab ein genervtes Brummen von sich. »Schon klar. Aber ehrlich mal: Du weißt gar nicht, was dir entgeht.«
»Reich du mir mal bis zum Kinn und dann reden wir weiter«, sagte Phil lachend und ging zur Boxhalle.
Mit einem Seufzen sah Rod ihm hinterher, ließ die Augen über Phils perfekte Rückseite wandern. Er biss sich auf die Unterlippe, während er sich zum gefühlten tausendsten Mal vorstellte, wie es wäre, in diesen muskelbepackten Traumtypen hineinzustoßen.
Phil sah vielleicht nicht mehr als einen niedlichen kleinen Jungen, wenn er Rod ansah, aber er hatte keine Ahnung von seinen heimlichen Gedanken. Leider würde er vermutlich genauso reagieren wie jeder andere, wenn Rod ihm diesen Vorschlag machte, und so langsam hatte er genug davon, ausgelacht zu werden.
Mit hängenden Schultern ging er in die Umkleide, stellte seine Sachen auf eine der Sitzbänke ab, verdrückte die erste Hälfte seines Sandwichs und trank den Kaffee. Er verzog das Gesicht, als das heiße Zeug seine Zunge berührte, fühlte sich aber nach wenigen Schlucken wacher. Eigentlich hasste er schwarzen Kaffee, aber als Rod zum ersten Mal sein Frühstück im Brunch bestellt hatte, war Sadi davon ausgegangen, er würde etwas mit ordentlich Zucker haben wollen. Rein aus Trotz hatte er dann behauptet, nur komplett schwarzen Kaffee zu trinken und nun konnte er nicht mehr zurück.
Wenigstens wurde er davon wach.
Nach dem ersten Teil seines Frühstücks zog sich Rod um und ging zurück in die Eingangshalle. Ein Mann mit Sporttasche stand bereits dort und schaute sich interessiert um. Das musste einer der Neuen sein.
Rod ging auf ihn zu und tippte auf seine Schulter. »Hallo, ich bin Rodney. Bist du für das Probetraining hier?«
Der Mann drehte sich um und strahlte Rod an. Er hatte ein kleines Muttermal auf der rechten Wange und kam ihm merkwürdig bekannt vor ... »Rod?«, fragte der Mann. »Das ist ja ein Zufall! Ich wusste zwar, dass du in einem Fitnessstudio arbeitest, hätte aber nie erwartet, dass es dieses hier sein würde.«
Rod legte den Kopf schief. Dann kannte er ihn wirklich? Aber er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern ... »Entschuldige, aber woher kennen wir uns denn?«
»Du erinnerst dich nicht? Obwohl das vielleicht gar kein Wunder ist ... Du hattest eine ziemlich schlimme Kopfverletzung und die meiste Zeit hast du im Koma gelegen. Ich bin René, einer der Pfleger. Ist ja auch schon ein Jahr her.«
Am liebsten hätte Rod sich mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen. Aber klar! Nachdem er angegriffen worden war, musste er eine ganze Weile im Krankenhaus liegen. René hatte sich damals zusammen mit seinen Kollegen um ihn gekümmert, und wenn er sich richtig erinnerte, war er dabei ziemlich nervig gewesen. »Tut mir leid«, sagte Rod. »Ist wirklich schon eine Weile her und ich habe dich ohne deine weißen Sachen nicht erkannt.«
»Ich sehe in normalen Klamotten so anders aus?«, fragte René lachend und sah an sich herunter. Im Moment trug er eine schwarze Sporthose und einen einfachen blauen Pullover.
»Irgendwie schon, ja.« Rod schüttelte den Kopf. »Aber du bist ja fürs Training und nicht zum Quatschen hier.« Hoffe ich. »Du willst bestimmt nicht über alte Zeiten plaudern.« Hoffe ich sehr.
»Och, eigentlich hätte ich da gar nichts gegen. Du warst einer meiner liebsten Patienten und hast damals richtig Licht in den faden Krankenhausalltag gebracht.«
»Ich bin doch die meiste Zeit über bewusstlos gewesen.«
»Und doch hast du mir den Tag versüßt!«
Da war wieder dieses Dauergrinsen und auch die nie enden wollende Energie, die Rod damals fast zur Verzweiflung getrieben hätte. Nichts war schlimmer, als mit rasenden Kopfschmerzen aus dem Koma zu erwachen und dann gleich so einen Flummi von einem Mann vor sich zu haben.
Und früh am Morgen konnte er darauf ebenso gut verzichten. »Schön, aber erst kommt die Arbeit. Als Erstes ist Stretching angesagt und danach kommt das Kardio-Training. Bist du bereit?«
»Ich bin immer bereit!«, sagte René strahlend und Rod glaubte ihm jedes Wort.
***
Nach einer Stunde Probetraining saß Rod ermattet auf einer der Bänke im Umkleideraum. Wie erwartet, hatte René die ganze Zeit über nicht aufgehört zu reden. Es war erstaunlich, wie lange er sprechen konnte, ohne überhaupt zu merken, dass Rod minutenlang kein Wort gesagt hatte.
Und zu seinem Unglück hatte René auch noch einen Jahresvertrag abgeschlossen.
Nach einigen Minuten wohltuender Stille kam Phil in den Raum. »Da bist du ja. Dein nächster Termin wartet bereits an der Bar.«
»Shh«, sagte Rod. »Gib mir nur noch eine Minute. Hast du jemals richtig zu würdigen gewusst, wie angenehm vollkommende Stille sein kann?«
Phil lachte. »Dann war das tatsächlich so ein Tratschweib, was? Ich habe euch nur ab und zu an den Geräten gesehen und der Typ hat nie die Klappe gehalten. Kennst du ihn irgendwoher?«
»Krankenhaus.« Rod seufzte. »Er war einer meiner Pfleger. Hab die Erfahrung verdrängt und ihn nicht mal erkannt.«
»Ich glaube, er steht auf dich«, sagte Phil glucksend. »Ist er schwul?«
»Kein Plan. Hat mich nie angemacht oder so und echt mal: Ich hoffe, er wird es auch nicht tun. Ich habe im Moment andere Probleme.«
»Dein Freund von heute Morgen?«
»Der auch. Aber auch die Uni ist stressig und meine Mutter nervt mich den ganzen Tag. Ich will so schnell wie möglich ausziehen, aber die Wohnungen in Köln sind einfach zu teuer.«
»Dann zieh doch in eine WG. Bei Joe, Patrick und Chip klappt das schließlich auch gut«, sagte Phil.
Mit leicht angewidertem Gesichtsausdruck schüttelte Rod den Kopf. »Nur über meine Leiche. Ich brauche Zeit für mich und nicht noch mehr Leute um mich herum. Meine Eltern sind schlimm genug.«
»Tja, zumindest einer wird dich in nächster Zeit öfter mit seiner Anwesenheit beehren«, sagte Phil. »Dein Ex-Pfleger will nämlich von dir betreut werden und Jenn hat bereits ihr Okay gegeben.«
Das Herz rutschte Rod in die Hose. Er hatte die ganze Zeit über gehofft, bald einen eigenen Kunden betreuen zu dürfen, aber doch nicht den! »Das ist nicht dein Ernst ...«
Phil setzte sich zu Rod und legte einen Arm um seine Schultern. »Sieh es positiv, Junge: Jenn vertraut dir und ist von deinen Fähigkeiten überzeugt. Ist das nicht klasse?«
»Bekomm ich zu dem Vertrauen denn eine Packung Ohrenstöpsel?«, fragte Rod missmutig.
»Da wird sich was einrichten lassen«, sagte Phil lachend und wuschelte durch Rods Haare.
Wann immer seine Mutter das tat, konnte Rod diese Art von Zuwendung nicht ausstehen, aber bei Phil bekam er stets dieses warme Gefühl in seinem Bauch. Er war längst nicht mehr so besessen von ihm wie früher, aber er war immer noch Rods Idol. Und verflucht heiß, natürlich.
Rod legte seinen Kopf auf Phils Schulter. »Du bist dir immer noch sicher, dass du Mirko nicht für mich verlassen willst?«
»Das Thema hatten wir oft genug, oder?«, fragte Phil mit sanfter Stimme. »Ich mag dich. Du bist süß, aber ich steh total auf meinen scharfen Polizisten. Da gibt es keinen Weg dran vorbei.«
»Ich will nicht mehr süß sein«, sagte Rod. »Ich will stark sein! So wie du.«
»Und das Thema hatten wir auch.« Phil nahm seinen Arm von Rods Schulter und gab ihm stattdessen einen Klaps auf den Rücken. »Für deine Veranlagung hast du viel geschafft, aber du kannst dich nicht vollkommen verändern, Rod. So bist du einfach und da ist doch nichts Schlimmes dran. Ganz im Gegenteil: Es stehen viele auf süße, heiße Kerlchen wie dich. Du hast die freie Auswahl.«
»Ja, aber hast du eigentlich eine Ahnung, wie oft ich ausgelacht werde? Ich will nicht immer nur gefickt werden, sondern auch mal ran, aber jeder, den ich treffe, hat nur das Eine im Kopf.«
»Oh, René würde sich bestimmt gerne von dir flachlegen lassen. Ich kann dir allerdings nicht garantieren, dass er dabei die Klappe halten würde«, sagte Phil schmunzelnd.
Rod stand auf und streckte sich. »Wie auch immer. Hast du Lust, morgen ins Rainsberry zu gehen? Meinetwegen kannst du auch Mirko mitnehmen, wenn‘s sein muss.«
»Ach, will sich der süße Rod was aufreißen?«
»Ich versuch‘s zumindest«, sagte Rod achselzuckend. »Wenn man so aussieht wie ich, dabei auf Typen, wie dich steht und keinen Bock hat, unten zu liegen, ist die Auswahl nicht allzu groß.«
»Du hast nur noch nicht den richtigen Partner gefunden. Ich lasse mich gerne von Mirko ficken.«
»Der ist doch auch größer als du.«
»Oh ja ... das ist er ...«, sagte Phil abwesend. Ein schmutziges Grinsen schlich sich auf sein Gesicht und Rod verdrehte die Augen.
»Was ist nun? Hast du Bock?«
»Ein andermal vielleicht. Ich habe Mirko in letzter Zeit kaum gesehen und morgen ist sein freier Tag. Den wollen wir ganz ungestört genießen, wenn du verstehst.«
»Erzähl mir noch mehr«, sagte Rod frustriert. Inzwischen konnte er gut damit leben, dass Phil vergeben war, aber das hielt ihn nicht davon ab, neidisch zu sein. Na schön, hin und wieder hatte er ihn nach der Arbeit verfolgt und sich auch so manches Mal an ihn herangemacht, aber das war völlig unschuldig gewesen. Wirklich.
»Sag mal, was ist denn nun mit deinem Freund los? In letzter Zeit habe ich ihn öfter gesehen und er sah nicht besonders gut aus. Hat er irgendwelche Probleme?«
»Davon möchte ich lieber nicht anfangen. Dom ist nur ... schwierig. Er hatte seit wir vierzehn waren immer wieder Probleme mit der Polizei. Mach dir aber keine Gedanken.«
»Wenn du meinst ...« Auch Phil stand auf. »Ich frag Mirko, ob er ein anderes Mal Lust hat, mitzukommen. Kann dir aber nicht versprechen, dass wir wirklich am Klub ankommen werden ...«
Rods Augen verengten sich angesichts Phils eindeutigen Gesichtsausdrucks. »Sei nicht so gemein«, sagte er, trat auf seinen Freund zu und umarmte einen seiner dicken Oberarme. »Du willst mich doch nicht alleine gehen lassen, oder? Wer weiß, was die dort mit jemandem wie mir anstellen ...«
Lachend drückte Phil ihn weg. »Die Nummer zieht schon lange nicht mehr bei mir, Kleiner. Inzwischen weiß ich, dass du längst nicht so unschuldig bist, wie du aussiehst.«
»Aber ich will wirklich nicht alleine gehen ...«, sagte Rod, sah zu Boden und schob seine Unterlippe vor.
Phil seufzte, fuhr ihm mit einer Hand durch die Haare. »Immer dieser Blick ... na schön, ich geb mein Bestes. Aber nur mit Mirko!«
Kapitel 2: Nächtliches Treffen
Zwei Tage später ging Rod von der Uni nach Hause. Seine Füße waren schwer wie Blei und das Rascheln der Blätter in der Dunkelheit brachte ihn bei jedem Geräusch dazu, den Kopf zu drehen.
Mit schlurfenden Schritten bewegte er sich durch die mit tanzenden Schatten gefüllten Straßen, verfluchte dabei die Tatsache, dass er kein Auto hatte. Das war eigentlich das Erste gewesen, was er sich von seinem Gehalt im Studio kaufen wollte, aber letztendlich war der Wunsch, die Koffer zu packen und endlich auszuziehen, größer gewesen.
Der spaßige Teil der Uni war längst vorbei und inzwischen quälte sich Rod nur noch durch die Prüfungen. Erst heute hatte er die grandiose Nachricht bekommen, sie würden am nächsten Freitag einen Test schreiben. Als ob er nicht schon genug zu tun hätte!
»Seit wann haben Sozialwissenschaften was mit Sport zu tun? Dafür habe ich mich nicht durchs Abi gequält, Mann.« Rod schimpfte weiter in die Dunkelheit hinein, während er wie einen Fuß vor den anderen setzte.
Zu allem Unglück hatte der Dozent die Vorlesung auch noch auf 21 Uhr verlegt, weil er vorher zu beschäftigt gewesen war. Rod konnte sich sehr gut vorstellen, wie diese Beschäftigung ausgesehen hatte. Blond, Körbchengröße D und im Studierendensekretariat arbeitend.
»Geiler Bock ... und wir müssen dafür leiden!« Rod hielt an und gab ein frustriertes Schnauben von sich. Sogar der bekam Sex. Wo war da noch die Gerechtigkeit?
Rod ging weiter, hing noch einige Schritte lang seinen Gedanken nach, blieb dann jedoch wieder stehen. Er meinte, eine Bewegung in den Büschen rechts von sich gehört zu haben ... War es vielleicht ein Tier? Eine Katze?
Ein Schauer lief Rod über den Rücken. Er konnte Katzen schon am Tag nicht ausstehen. Im Gegensatz zu Hunden waren sie zu unberechenbar. Und in der Nacht wollte er sie erst recht nicht um sich haben.
Schnellen Schrittes ging Rod weiter, aber nun hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Eine Katze würde ihn aber nicht verfolgen, oder? War es etwas anderes? Ein Mensch?
Sein Herzschlag beschleunigte sich und Rod griff in seine Tasche, um zur Sicherheit eine Dose Pfefferspray zu umklammern. Phil hatte es ihm zum Geburtstag geschenkt.
Obwohl seine Beine ihn kaum noch tragen wollten, lief Rod etwas schneller. Geräusche konnte er nicht mehr hören, aber da war immer noch dieses beunruhigende Gefühl ... »Es ist nur die Dunkelheit, Rod ... Sei nicht so ein Weichei!«, sagte er sich und sah mehrmals nach hinten. »Es ist nicht mal spät. Selbst Geister tauchen erst nach Mitternacht auf und ... und ... was rede ich denn für einen Stuss?«
Kopfschüttelnd lockerte Rod seinen Griff um das Pfefferspray, als ihn jemand von hinten auf die Schulter fasste. »Uwah!« Blitzschnell drehte Rod sich um, zog das Spray und hielt es in das Gesicht seines Angreifers. Beinahe hätte er es gedrückt, aber glücklicherweise erkannte er noch rechtzeitig, wer vor ihm stand. »Dom, du bist so ein Arsch! Du hast mich zu Tode erschreckt!«
»Sorry, du bist nur auf einmal so schnell gelaufen. Hast du immer noch Angst vor der Dunkelheit?« Dom lächelte ihn an und Rod errötete.
»Ich hatte noch nie Angst! Respekt höchstens. Was willst du denn schon wieder von mir?«
Betreten senkte Dom den Blick. Er sah nicht gut aus. Seine Jeans war zum Teil zerrissen und er trug nur einen dünnen Pullover, dessen Ärmel auch noch hochgekrempelt waren. War ihm nicht kalt?
»Ich will nur mit dir reden«, sagte Dom. »Du gehst mir immer aus dem Weg.« Seine Stimme klang rau und zögernd wie die eines kleinen Kindes, das wusste, es hatte etwas angestellt. Er zitterte, seine Augen wirkten durch die Schatten eher wie tiefe Höhlen und er schien nicht stillstehen zu können, trat von einem auf das andere Bein.
»Wundert dich das denn?«, fragte Rod. Es fiel ihm schwer, seine Stimme ruhig zu halten. So wollte er seinen Freund nicht mehr sehen ... »Du bist nur noch high. Jetzt gerade auch oder etwa nicht? Hast du Pillen genommen?«
Dom wich seinem Blick aus. »Du weißt, dass ich nicht anders kann.«
»Ja und deshalb weiß ich auch nicht mehr, wie ich dir noch helfen soll.« Rod hatte sich so oft den Kopf darüber zerbrochen, hatte zahlreiche schlaflose Nächte deswegen gehabt. Jedes Mal, wenn er dachte, Dom würde endlich den Absprung schaffen, fing er wenige Tage später wieder zu kiffen an. Inzwischen war es einfach zu viel für ihn geworden.
Dom schien das zu spüren. Er griff nach Rods Handgelenk und zog ihn in seine Arme, hielt ihn verzweifelt fest. »Das würde schon reichen. Bei mir sein, meine ich. Ich will nur das.«
Rod schloss die Augen. Die letzten Male, an denen Dom ihn so überfallen hatte, hatte er nachgegeben, aber konnte er ihm wirklich auf diese Weise helfen? Es wurde nur noch schlimmer. Jedes Mal.
»Ich kann nicht. Tut mir leid.« Rod wand sich aus Doms Umarmung. Seine Brust zog sich schmerzhaft zusammen, als Dom versuchte, ihn festzuhalten.
»Warte doch!« Dom griff noch einmal nach Rods Handgelenk und öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, aber eine andere Stimme unterbrach ihn.
»Ist alles in Ordnung hier?« Phil stand hinter ihnen und sah mit gerunzelter Stirn auf Doms Hand. »Wirst du belästigt, Rod?«
»Nein, ist schon gut. Warst du bei Sadi und Nick?«, fragte Rod und zog sein Handgelenk von Dom weg. Das Brunch befand sich ganz in der Nähe.
»Ja, zum Probeessen. Erdbeer-Schokoladentorte. Aber ist hier wirklich alles in Ordnung?«
Rod nickte. »Dom wollte gerade gehen.«
»Wollte ich nicht!«, sagte Dom und ging auf Phil zu. »Du! Du hast alles kaputtgemacht!«
Phils Augenbrauen schossen hoch. »Wie bitte?«
»Früher war Rod immer bei mir, aber seitdem du aufgetaucht bist ... alles ist Scheiße!« Dom trat noch einen weiteren Schritt vor, machte im direkten Vergleich mit Phil den Eindruck eines kampflustigen Chihuahuas. Er war nicht viel größer als Rod und reichte dem Exboxer nur knapp bis zum Kinn.
»Hör nicht auf ihn«, sagte Rod schnell und stellte sich vorsichtshalber zwischen die beiden Männer. Auch Phil hatte inzwischen seine entspannte Haltung abgelegt. Rod kannte seine Körpersprache zu gut. Er machte sich auf Ärger gefasst. »Dom ist nicht er selbst.«
»Aber selbst, wenn ich das wäre, wäre ich nicht gut genug für dich, oder?« Doms Stimme brach. Er fuhr sich durch die Haare, als hoffte er so, einen klaren Gedanken fassen zu können.
»Dom ...« Rod ging einen Schritt auf ihn zu, aber Dom wich ihm aus.
»Ich bin schon weg. Ich will das traute Glück nicht stören.« Er warf Phil noch einen giftigen Blick zu und rannte dann an ihm vorbei.
»Das war merkwürdig ...«, meinte Phil, als Dom in der Dunkelheit verschwand.
»Das kannst du laut sagen«, sagte eine Stimme.
Phil und Rod drehten sich um und Rod rutschte das Herz in die Hose. Das hatte ihm gerade noch gefehlt ... Mirko stand hinter ihnen. »Kann mir mal einer erklären, was mit ‚trautem Glück‘ gemeint war? Da läuft doch nichts zwischen euch, oder?«
Der Ärger in Mirkos Stimme war so offensichtlich, dass selbst ein Unbeteiligter sie wahrnehmen müsste. Nur Phil schien dafür taub zu sein. »Jetzt spinn du nicht auch noch rum. Da ist absolut nichts, oder, Rod?«
»Leider nicht. Du hast ihn ganz für dich allein«, sagte Rod.
»Die Frage ist nur, ob ich ihn noch will.« Mirko warf Phil einen so düsteren Blick zu, dass selbst der ihn richtig deuten musste. »Erst dieses ganze Herumgeflirte, um mich eifersüchtig zu machen, dann rennst du wie von einer Biene gestochen los, weil du Rods Stimme hörst und jetzt muss ich mir das anhören? Nein danke, darauf habe ich keinen Bock!«, sagte Mirko und ging an ihnen vorbei, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
»Fuck!« Phil sah seinem Freund trübsinnig nach. »Da hab ich‘s in letzter Zeit wohl wirklich übertrieben. Muss ich unbedingt wieder gutmachen ...«
»Tut mir leid«, sagte Rod.
»Ist doch nicht deine Schuld. Das ist auf meinem Mist gewachsen. Ich sehe dich dann morgen. Und sag mir Bescheid, wenn der Kerl noch einmal aufdringlich werden sollte.«
»Geht klar. Bis morgen!«
Rod sah noch zu, wie Phil hinter Mirko her hetzte und rieb sich seine verspannte Schulter. Für einen Moment hatte Rod Dom vor Phil in Schutz nehmen wollen. Dabei war es kein Wunder, dass er für Phil wie ein eifersüchtiger Exfreund aussehen musste. Obwohl Dom genau das war ... nur noch eine ganze Ecke komplizierter. Warum konnte Dom ihn nicht verstehen?
Das mit den Drogen ... das war zu viel für Rod. Er konnte seinen besten Freund nicht mehr so sehen.
»Und dann auch noch dieser verdammte Test ...«, murmelte Rod. Die Welt war einfach unfair.
***
Am folgenden Tag sah Rod der Arbeit nur ungern entgegen. Der Zusammenstoß von Dom und Phil war ihm unangenehm gewesen. Das Fitnessstudio war eigentlich der Ort, an dem er die Probleme mit seinem alten Freund am besten vergessen konnte. Phil allein sorgte dafür, dass Rod weniger an Dom und daran, was ihm alles passieren konnte, denken musste.
Und dann das! Seine Vergangenheit mit Dom und seine jetzige Arbeit im Studio waren bisher zwei getrennte Welten gewesen, doch nun waren sie aufeinander gekracht.
»Bist du dir wirklich absolut sicher, dass ich gar nichts tun kann?«, fragte Phil ihn im Umkleideraum und Rod hätte am liebsten seine Zunge verschluckt.
Er wollte nicht darüber reden! »Ist schon okay, wirklich. Dom macht vielleicht einen verrückten Eindruck, aber er ist eigentlich nicht so.«
»Und du verharmlost das nicht? Dir ständig aufzulauern ... das ist schon irgendwie extrem.«
»Ich glaube nicht, dass er mir wirklich aufgelauert hat. Zumindest nicht gestern Abend.« Nein, da war sich Rod sicher. Wenn er sich richtig erinnerte, gab es ganz in der Nähe von der Straße, wo er Dom getroffen hatte, einen Park und was Dom da gewollt hatte ... darüber musste Rod keine Sekunde lang nachdenken.
»Hey, wie ist es eigentlich noch mit Mirko gelaufen?«, fragte Rod, um vom Thema abzulenken. »Hat er sich wieder beruhigt?«
»Nicht wirklich. Wir hatten noch nicht einmal Versöhnungssex. Er zeigt mir die kalte Schulter.« Phil runzelte die Stirn. »Bin ich gar nicht mehr von ihm gewöhnt. Normalerweise vertragen wir uns noch am gleichen Tag.«
»Tut mir wirklich leid. Dom hätte das nicht sagen sollen.«
»Ist schon gut. Eigentlich war es auch nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Vielleicht hätte ich auf Patrick hören und Mirko nicht ständig eifersüchtig machen sollen. Hätte mir klar sein müssen, dass er irgendwann genug hat.«
»Das war wirklich nicht besonders schlau von dir«, sagte Rod kopfschüttelnd.
»Weiß ich doch. Es sind nur immer diese Blicke, die er mir zuwirft, wenn er so richtig rasend vor Eifersucht ist. Das habe ich noch nie erlebt. So intensiv ... ich bekomme schon weiche Knie, wenn ich nur daran denke!« Phils Mundwinkel zuckten nach oben und ein träumerischer Ausdruck trat auf sein Gesicht. »Sonst versucht er, sich immer unter Kontrolle zu halten. Aber wenn ich ihn auf diese Weise eiskalt erwische, lässt er sich gehen. Und zwar richtig.«
»Ja, und wenn du es übertreibst, dann wird er gehen. Und zwar richtig.«
Phils Lächeln verschwand. »Du hast ja recht. War blöd von mir. Es ist genauso, wie Sadi immer sagt: Ich handle zu impulsiv und denke nicht genug ... Zumindest nicht mit dem richtigen Körperteil.«
»Das Gleiche denke ich manchmal von Dom. Nur ist es etwas völlig anderes, womit er im Moment denkt.«
»Was war eigentlich mit ihm? Er schien nicht ganz bei sich gewesen zu sein ... War er betrunken?«
»So ungefähr.« Rod versuchte, Phils bohrenden Blicken auszuweichen, aber sein Freund blieb hartnäckig.
»Rod, du steckst da aber nicht in irgendwas drin, oder?«, fragte Phil, der sich inzwischen weit zu Rod hinuntergebeugt hatte und dabei die Miene eines enttäuschten Vaters aufsetzte.
»Natürlich nicht! Dom ist nur ... etwas verwirrt im Moment.«
»Gut, du solltest dich besser von solchen Leuten fernhalten. Wenn er abhängig sein sollte ... Mirko erzählt mir in letzter Zeit oft von Drogendealern, die er festgenommen hat. Scheinen sich in Köln richtig heimisch zu fühlen und laut dem, was ich so höre, sind das keine angenehmen Zeitgenossen. Sei lieber vorsichtig.«
»Dom ist aber nicht so. Er ... okay, er ist auf Drogen, aber er würde nie welche verkaufen. Ich kenne ihn schon mein ganzes Leben lang, weißt du? Wir sind zusammen aufgewachsen.«
Phil sah ihn verblüfft an. »Echt? Hätte ich gar nicht gedacht. Er scheint richtig auf dich zu stehen. Und du willst aber nichts von ihm?«
»Nicht so, wie er im Moment ist. Ich habe so viel versucht, um ihn von dem Zeug weg zu bekommen, aber er ist immer schwach geworden. Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Es wird alles zu viel.« Rod ließ den Kopf hängen. Er hasste sich dafür, dass er so einfach aufgegeben hatte, aber konnte es nach all dieser Zeit noch irgendetwas geben, das er tun konnte? Alles schien sinnlos geworden zu sein.
Phil legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Mach dir nicht so viele Gedanken. Letztendlich liegt es doch bei deinem Freund, was er tut. Du bist nicht dafür verantwortlich.«
»Das würdest du nicht sagen, wenn du die ganze Geschichte kennen würdest«, sagte Rod mit einem schwachen Lächeln.
»Und du wirst sie mir nicht erzählen, was?«
»Die behalte ich lieber für mich. Aber wenn du dir gerne Sachen erzählen lässt, warum übernimmst du dann nicht Renés Training für heute?«, fragte Rod hoffnungsvoll, sah Phil von unten her an und setzte seinen besten Dackelblick auf.
Phil fuhr mit der Hand durch Rods Haare, grinste ihm zu. »Netter Versuch, Kleiner, aber aus der Nummer kommst du nicht so einfach raus. Nutz die Chance lieber, um dich vor Jenn zu beweisen. Sie wird dir mit Sicherheit bald eine Gehaltserhöhung geben, wenn du dich gut anstellst.«
»Die könnte ich gebrauchen ... Vielleicht könnte ich dann doch bald in eine eigene Wohnung ziehen.«
»Deine Mutter ist immer noch so schlimm?« Phil öffnete seinen Schrank und nahm seine Tasche heraus. Mit zwei Handgriffen hatte er ein neues T-Shirt herausgefischt und schloss die Tasche wieder.
»Sie wartet nachts sogar auf mich und ruft ständig an«, sagte Rod.
»Ja ja, eine liebende Mutter zu haben, ist schon grausig.« Phil zog sein altes T-Shirt aus, roch einmal kurz daran, rümpfte die Nase und schmiss es achtlos in den Schrank.
Rod warf ein Handtuch nach Phil. »Tu nicht so, als würde dir das gefallen. Die Frau stellt mir sogar Fragen nach meinem Sexualleben. Ob ich mir auch einen netten Typen suche, vorsichtig bin und so weiter. Ganz schlimm war es, als sie über Verhütung reden wollte und noch nicht einmal das Wort Penis in den Mund nehmen konnte. Ich meine, die Frau ist praktisch Künstlerin! Sollte man da nicht etwas offener sein?«
»Hm, auf Gespräche wie das könnte ich auch verzichten, ja. Aber du darfst die Vorteile nicht vergessen. Wenn du alleine wohnst, musst du deine Wäsche waschen, bügeln, aufräumen, kochen ... Das darfst du alles nicht unterschätzen.«
»Das wäre es mir wert.«
Phil lachte. »Ich werd‘ dich dran erinnern, sobald deine gesamte Unterwäsche einen zarten rosa Ton angenommen hat. Nachdem ich damals ausgezogen bin, ist das mein erster Fehler gewesen. Sadi macht sich deswegen immer noch über mich lustig.«
»Es ist ja nicht so, als wenn ich nie etwas im Haushalt gemacht hätte. Meine Mutter hat ständig darauf bestanden, dass ich ihr helfe. Das würde das Mutter-Sohn-Verhältnis stärken, meinte sie. Inzwischen glaube ich, dass sie damit nur sichergehen wollte, dass sie mich unter Kontrolle hat. Wegen Dom und so.«
»Dann weiß sie das mit deinem Freund?«
Rod ließ den Kopf hängen. Wieder wurden Erinnerungen hervorgerufen, die er lieber vergaß. »Ja, und seitdem darf er auch nicht mehr in unser Haus. Was mich natürlich nicht davon abgehalten hat, ihn immer wieder rein zu schmuggeln. Aber es ist schon nervig. Ihrer Meinung nach sollte ich wie ein Mönch leben.«
»Sie liebt dich eben. Ist doch gut, wenn sie nicht generell etwas gegen dein Schwulsein hat. Ich kenne da ganz andere Geschichten. Und was deinen Freund angeht: Ich bin da ganz bei ihr. Ich meine, ich kenne ihn zwar nicht, aber so, wie er sich gestern verhalten hat, ist er von einer Heilung ziemlich weit entfernt. Wäre wirklich besser, wenn du ihm aus dem Weg gehst.«
»Wenn das so einfach wäre ...«, flüsterte Rod.
Phil warf ihm einen mitleidigen Blick zu, aber er konnte keine Ahnung haben, was Rod in Wirklichkeit damit gemeint hatte. Rod hatte keine Angst davor, dass Dom wieder vor ihm auftauchen würde, sondern fürchtete, was er selbst tun könnte, wenn es dazu kam.
Dom hatte schon immer einen besonderen Platz in seinem Herzen gehabt. Als Kinder hatten sie alles zusammen gemacht. Die ganze Nachbarschaft hatte sie gekannt und bewundert, was für gute Freunde sie waren. Dann wurde sogar mehr daraus und für einige wenige Monate hatte Rod geglaubt, er könnte nicht ohne Dom weiterleben.
Und ein bisschen dachte er das noch heute.
Phil stand auf einmal hinter Rod und massierte ihm die Schultern. »Lass das Grübeln, Kleiner. Du hast eine harte Trainingsstunde vor dir. Wenn es auch nervt, konzentrier dich besser auf René. Wer weiß, vielleicht hat er ja etwas Interessantes zu erzählen?«
»Ich halte mich einfach an dem Gedanken fest, dass ich durch seine Hilfe vielleicht bald ausziehen kann ... Das hilft.«
»Siehst du? Man muss nur positiv denken! Was kann schon passieren? Dass er dich zurück ins Koma redet?«
Rod gab ein bitteres Lachen von sich. »Darüber würde er sich wahrscheinlich noch freuen ... Er hat gesagt, ich wäre sein bester Zuhörer gewesen.«
Phil tätschelte Rods Schulter.
Kapitel 3: Anziehende Gegensätze
Am Ende der Woche wartete Rod vor dem Rainsberry auf Phil und Mirko. Er hatte gar nicht mehr damit gerechnet, aber offenbar hatte Phil es geschafft, Mirko zu beruhigen und ihn davon zu überzeugen, dass er und Rod nur Freunde waren. Oder er wollte es zumindest an diesem Abend schaffen. Phil war nervös gewesen, als er Rod im Studio erzählt hatte, dass sie gehen konnten.
Rods Gedanken dagegen waren nicht bei Mirko, sondern allein bei Dom, der ihm seit ihrem letzten Zusammentreffen nicht mehr aus dem Kopf ging. Er hoffte stark, an diesem Abend jemanden zu finden, der ihn wenigstens für einige Stunden von seinem alten Freund ablenken konnte. Er brauchte Sex, musste aber auch an etwas anderes als vergangenes Glück oder Suchttherapien denken. Rod brauchte diese Auszeit dringend.
Die Leuchtschrift warf genug Licht auf den Eingang des Gebäudes, um die Ziffern von Rods Uhr gelb aufleuchten zu lassen. Wie erwartet waren Phil und Mirko zu spät. Bisher nur einige Minuten, aber wie er sie kannte, konnte sich das bis zu Stunden hinziehen.
Rod steckte die Hände in die Taschen seiner Jacke, verfluchte sich selbst dafür, nur ein dünnes T-Shirt darunter angezogen zu haben. Die nässliche Kälte durchdrang seine Haut bis aufs Mark, ließ ihn leicht mit den Zähnen klappern.
Trotz seines Zitterns zog er bereits am Eingang einige bewundernde Blicke auf sich, was nicht zuletzt an seiner engen und ebenso viel zu dünnen Jeans liegen musste. Rod warf den Partygängern kurze Blicke zu, wusste aber schnell, dass niemand von ihnen seinem Typ entsprach. Zu wenige Muskeln, nicht gut aussehend genug, zu blond, zu klein ... Phil sagte ihm immer wieder, er wäre zu anspruchsvoll, aber der hatte auch jemanden wie Mirko in seinem Bett und besaß genug Muskeln für drei Typen. Wenn die Auswahl auch gering war, war es nicht gut, wenn er sich nur mit dem Besten zufriedengab?
»Na, wartest du auf deine Freunde?«, fragte eine tiefe Stimme und ein Arm schlang sich um Rods Hüfte.
Rod drehte sich nicht einmal um, als der Mann ihn auf die Wange küsste. Er kannte Daniels Stimme gut genug, um zu wissen, wessenSchwanz da an seinen Hintern gepresst wurde. »Phil und Mirko wollten kommen.«
»Woohoo! Dann ist der Abend ja gerettet! Die beiden sind immer ein Augenschmaus. Nichts im Vergleich zu dir, natürlich«, flüsterte Daniel ihm ins Ohr.
Mit rollenden Augen drehte Rod sich um. »Du kannst dir die Sprüche sparen. Es wird keine Wiederholungen mehr geben, verstanden? Oder bist du endlich bereit, dich von mir ficken zu lassen?«
Daniel warf ihm einen enttäuschten Blick zu. »Sorry, ich bin ja ein offener Typ, aber das wäre mir irgendwie ... Ich meine, du reichst mir gerade mal bis zum Kinn.«
Erneut sah Rod auf seine Uhr und ignorierte Daniel, der versuchte, in sein Blickfeld zu geraten, dann jedoch mit einem Schnauben aufgab. »Du bist doch nicht immer noch sauer wegen des letzten Mals, oder? Ich bin nur ehrlich gewesen.«
»Auf deine Ehrlichkeit hätte ich verzichten können«, sagte Rod.
»Hör mal, du bist nun mal süß und ein richtig hübscher Kerl. Die schärfsten Macker stehen Schlange, wenn du im Klub bist. Das ist doch geil! Du solltest stolz sein.«
Rod schloss die Augen. Er betete um Geduld. »Jetzt tu doch nicht so, als hätte ich das große Los gezogen. Wie würde es dirgefallen, auf ewig nur gefickt zu werden?«
Verlegen rieb sich Daniel seinen Hinterkopf. »Erwischt. Aber so schlimm ist es auch nicht. Wir hatten doch Spaß zusammen! Ich könnte uns vielleicht noch etwas auftreiben und wir feiern zu dritt. Dann kommst du auch zum Zug.«
Was Daniel damit meinte, wusste Rod zur Genüge. Obwohl er auch etwas für Phil und Mirko übrig hatte, stand er überwiegend auf Twinks und Rod hatte ganz sicher keine Lust, ein schmächtiges Milchgesicht zu ficken. »Das kannst du gleich vergessen. Unsere Geschmäcker sind zu verschieden.«
»Zu schade. Phil hat auch keine Zeit mehr für mich, seitdem er Mirko kennengelernt hat. Ich bin einsam.«
»Aber auch nur, bis du dein nächstes Opfer entdeckt hast ...«
»Opfer? Vor einigen Wochen hast du nicht gerade den Eindruck gemacht, dich aufzuopfern.«
Rod sah ihn düster an.
»Hey, hey, ich mein ja nur ... wir hatten Spaß und den könnte man doch wieder haben. In alter Aufstellung, natürlich. Ich mag dich wirklich, aber meine Fähigkeiten liegen in anderen Gefilden. Gegenseitiges Blasen wäre eine Option, klar, aber mein Hintern ist Sperrzone.«
»Ach ja? Und was ist mit den Gerüchten?«
»Welche Gerüchte?«
»Das mit dir und Larry«, sagte Rod und sein Mund verzog sich zu einem Grinsen, als Daniel zu schwitzen begann. Er hatte es von Phil, der es wiederum von Mirko erfahren hatte. »Man hört, du hättest dich an dem Abend, an dem ich das letzte Mal hier gewesen bin, mit Larry nach Hause verzogen. Ich dachte eigentlich, ihr könntet euch nicht ausstehen, aber ... gut für euch!«
»Hör mal, wenn Larry etwas gesagt haben sollte ... Ich bin komplett besoffen gewesen, okay?«, flüsterte Daniel eindringlich. Seine Augen huschten nach rechts und links, als würde er befürchten, belauscht zu werden. »Ich meine, schau ihn dir doch mal an! Glaubst du echt, ich hätte etwas mit ihm? Nicht mein Stil.«
»Ach, ich weiß nicht ... Larry kann doch eigentlich ganz nett sein«, sagte Rod grinsend.
»Hör endlich auf!«, sagte Daniel und biss sich auf die Unterlippe. »Verdammt, ja! Ich habe mit ihm geschlafen, zufrieden? Aber es war bestimmt nur einmal und es wird garantiert auch dabei bleiben. Ich meine, von seinem Aussehen einmal abgesehen ist er alt.«
»Er ist vermutlich Ende dreißig ...«
»Eben: alt! Und dann trägt er auch noch diesen Goldzahn. Wer macht das heute noch? Also nein, da bekomme ich was Besseres ab. Das habe ich echt nicht nötig!«
Rod grinste. »Dafür, dass du absolut kein Interesse hast, regst du dich aber ganz schön auf ...«
»Ich ... ach, lass mich doch in Ruhe! Ich geh was trinken!« Daniel stampfte davon.
»Grüß Larry von mir!«, rief Rod hinterher und Daniel zeigte ihm den Mittelfinger, bevor er im Rainsberry verschwand.
Rod lächelte, rieb seine Hände aneinander und hauchte sie kurz an. Dieses Zusammentreffen hatte seine Laune erheblich verbessert. Das war immerhin etwas.
Nach fünf endlosen Minuten, in denen Rod mehrmals von Klubbesuchern gefragt wurde, ob er alleine war, tauchten endlich Mirko und Phil auf. Sie kamen aus Richtung Parkplatz und gingen Händchen haltend auf Rod zu.
»Sorry, wir sind spät dran«, meinte Phil mit einem Dauergrinsen und Rod brauchte nicht zu fragen, warum sie sich verspätet hatten. Es war ohnehin immer der gleiche Grund. Einer der beiden tat etwas, das den anderen ablenkte, sie vergaßen die Zeit und kamen letztendlich erst eine halbe Stunde zu spät an ... wenn man Glück hatte. Wie man hörte, mussten Nick und Sadi schon einmal zwei Stunden auf sie warten. Insofern war Rod noch glimpflich davon gekommen.
»Hauptsache ihr seid jetzt da«, sagte Rod mit finsterer Miene. »Ich wurde ständig angemacht.«
»Bist du nicht dafür hier?« Phil hatte wieder dieses nervtötend glückliche Grinsen aufgesetzt, hielt Mirkos Hand und streichelte den Rücken mit seinem Daumen.
Rod riss seinen Blick von ihren Händen los und schaute in die Menge. »Schon, aber ich habe kein Interesse an Kerlen, denen der Sabber aus dem Mund läuft, sobald sie mich sehen. Ich suche mir meine Partner lieber selbst aus.«
»Dann such sie dir doch drinnen aus. Ich frier mir hier den Arsch ab«, sagte Mirko, ließ Phil los und ging auf den Türsteher zu.
»Beachte ihn gar nicht«, meinte Phil. »Der ist sauer, weil ich ihn mit hierher geschleppt habe. Er wollte lieber einen gemütlichen Abend vor der Glotze verbringen. Und ich kann dir sagen, er hat einiges getan, um mich dazu zu überreden. Du siehst also, was ich für Opfer für dich bringe, Kleiner.« Er zwinkerte Rod zu und folgte seinem Freund zum Eingang.
Im Rainsberry steuerten sie die Bar an, wo Phil ihnen etwas zu trinken spendierte. »Siehst du denn schon jemanden, der dir gefällt?«, fragte er Rod, der sich daraufhin umsah.
Einige Tanzende waren genau Rods Typ. Sie waren entweder oben herum nackt oder trugen hautenge Shirts, die jeden einzelnen Muskel hervorhoben. Das flackernde Licht der Scheinwerfer ließ ihre fließenden Bewegungen wie in Zeitlupe erscheinen und Rod biss sich auf die Unterlippe, versuchte trotz der Masse an Körpern einen Besonderen herauszufischen.
Mit zielgerichtetem Blick zog er seine Jacke aus, ließ sie neben sich auf den Barhocker fallen und strich sein dünnes, enges T-Shirt glatt.
Trotz der Wahnsinnskörper, die sich vor ihm bewegten, war Rod enttäuscht. Keiner von ihnen entsprach perfekt seinem Ideal und dem direkten Vergleich mit Phil hielt ohnehin niemand stand.
Das war auch den restlichen Gästen im Rainsberry nicht entgangen. Rod sah die beeindruckten Blicke, die sie Phil und Mirko zuwarfen. Nur die offensichtliche Verliebtheit und die forschenden Hände, mit denen sich die beiden ständig berührten, schien andere davon abzuhalten, auf sie zuzugehen.
Aber auch Rod wurde eine gewisse Aufmerksamkeit zuteil. Er spürte die Augen mehrerer Männer im Raum, konnte den ein oder anderen sehen, der seinem Begleiter etwas zuflüsterte und dabei auf Rod zeigte. Sie gefielen ihm jedoch alle nicht. Entweder waren sie zu klein, zu schmächtig oder einfach nicht sein Typ.
Keiner kommt an Phil ran ... wie immer, dachte sich Rod und nippte an seinem Glas.
Er hatte zu hohe Ansprüche, das wusste er, aber was sollte er tun? Er wollte nicht irgendwen, sondern jemand Besonderes, wenn auch nur für eine Nacht. »Ich glaube nicht, dass ich hier jemanden finden werde ...«
Phil grinste. »Na ja, ich hätte da auch eine andere Idee, was wir-«
»Wenn du das Wort 'Dreier' auch nur in den Mund nimmst«, sagte Mirko, »schneid ich dir eigenhändig die Kronjuwelen ab.«
Phils Mund klappte augenblicklich zu.
»Vielleicht sollte ich mir doch jemanden aus unserem Studio suchen. Die achten wenigstens auf ihre Körper.« Rods Stimme war nachdenklich. Er suchte mit seinen Augen die Bar ab, konnte Larry jedoch nicht mehr sehen und fragte sich, ob er heimlich mit Daniel verschwunden war.
Phil legte kumpelhaft einen Arm um Rods Schulter und bemerkte nicht, wie sich Mirkos Körper neben ihm versteifte. »Ach, geben wir René jetzt doch eine Chance?«
»Bloß nicht! Der würde mich zurück ins Koma reden.«
»Stell dich doch nicht so an«, sagte Mirko mit ärgerlicher Stimme. Er warf Phil einen wütenden Blick zu, der seinen Arm sofort zurücknahm und ihn entschuldigend anlächelte. Mirko wendete sich wieder Rod zu. »Du wolltest doch eh mit jemandem im Darkroom verschwinden. Was interessiert es dich dann, wie der Typ aussieht?«
Rod verschränkte die Arme. »Mich interessiert‘s. Du hast leicht reden. Wenn ich auch jemanden wie Phil hätte ...«
»Fängst du schon wieder damit an?«, fragte Mirko. Phil legte ihm eine beruhigende Hand auf die Schulter, die er aber wegstieß.
»Ach, hör doch mit deiner Eifersuchtsnummer auf. Ich will doch schon gar nichts mehr von Phil.« Auch Rod klang nun verärgert. Er konnte Mirkos Eifersucht verstehen – ihm würde es nicht anders gehen – aber inzwischen nervte dieses Gehabe.
»Das klang bisher aber anders«, sagte Mirko. »Meinst du etwa, ich würde dir glauben, dass du ihn so einfach aufgegeben hast, wenn du ihm vor wenigen Monaten noch nachgestiegen bist? Das ist doch nur eine neue Taktik von dir.«
Rod ballte die Fäuste, wollte einige unschöne Schimpfwörter erwidern, die seiner Mutter die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätten, aber Phil ging dazwischen.
»Streitet euch doch nicht wegen mir. Es ist genug Phil für alle da!« Phil legte die Arme um ihre Schultern – was durch den schieren Größenunterschied reichlich merkwürdig aussehen musste – und kassierte dafür zwei böse Blicke. Er seufzte. »Jetzt seid doch nicht immer so schlecht drauf. Wir sollten Spaß haben! Ich geh jetzt mit Mirko tanzen und du suchst dir endlich jemanden. In Ordnung, Rod?«
Rod gab ein zustimmendes Brummen von sich und Mirko und Phil verschwanden in der Menge. Betrübt schaute er ihnen nach. So hatte sich Phil den Abend sicherlich nicht vorgestellt ... Ob er sauer war?
Rod konnte nicht sagen, wie es ständig zu diesen Streitereien kam. Mirko und er hatten inzwischen sogar einige interessante und zivilisierte Gespräche hinter sich gebracht, aber immer wieder gab es auch solche Momente, in denen sie aufeinander krachten und explodierten.
Ein weiteres Mal hielt Rod nach Larry Ausschau, aber der war immer noch nicht zu sehen. Genauso wenig wie Daniel, was wahrscheinlich kein Zufall war ... Eigentlich wären sie ein unmögliches Paar, aber wer weiß? Wo die Liebe – oder Lust? – eben hinfiel.
Rod schaute noch einmal auf die Tänzer, konnte aber niemanden entdecken, der ihm gefiel. Sollte er es so wie immer machen und einfach jemanden nehmen, der seinem Typ zumindest ähnlich war?
Allerdings hatte er auch wirklich keine Lust, wieder ausgelacht zu werden ... davon hatte er sein Leben lang genug.
Rod lehnte sich an die Theke. Er fühlte die Augenpaare von mindestens drei Typen auf sich, die zwar in Ordnung waren, aber irgendwie ... sie waren eben kein Phil.
Frustriert rieb sich Rod den Nacken. Ja, er konnte Mirko verstehen. So wie er sich benahm, musste er ja eifersüchtig werden. Jeder, dem etwas an seinem Partner lag, würde vermutlich so reagieren.
Aber da war nun mal dieses perfekte Ideal in seinem Kopf, das einfach nicht verschwinden wollte. Wie oft hatte er schon Träume von Phil gehabt und Unsägliches mit ihm angestellt? Allein der Gedanke daran verursachte ein Kribbeln in seinem Bauch, erinnerte ihn an die zahllosen einsamen Nächte, die er in letzter Zeit verbracht hatte.
Gott, vermisste er Sex! Es wurde verdammt noch mal Zeit! Rod musste jetzt endlich seine Ansprüche herunterschrauben und irgendeinen dieser zwar nicht perfekten, aber doch passablen Kerle aussuchen.
Als wollte er ihm die Entscheidung abnehmen, kam ein Typ auf Rod zu und legte eine Hand auf seinen Rücken. Rod warf ihm einen abschätzenden Blick zu. Groß, recht gut gebaut, Gesicht war in Ordnung ... ja, der würde gehen.