4,99 €
Sommerbrunch - Bittersüßes Abenteuer Gay Romance Nach einem Jahr in den USA kehrt Patrick nach Köln zurück und hat nur einen Gedanken: Er möchte Nick für sich haben. Zu seinem Unglück ist der jedoch mit Sadi glücklicher denn je und sieht ihn nur als einen Freund an. Auch Patricks Vergangenheit steht seinem neuen Leben ihm im Weg und dann ist da noch der neue Kellner im Brunch, der nicht nur unheimlich gut aussieht, sondern sich auch langsam in Patricks Herz schleicht ... »Sommerbrunch - Bittersüßes Abenteuer« ist ein homoerotischer Liebesroman. Er spielt direkt nach Frühlingsbrunch. Hinweis: Die Geschichte einer der Nebenfiguren wird in der Kurzgeschichte "Fesselndes Spiel" erzählt, muss aber für diesen Roman nicht gelesen werden.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2015
Inhalt:
Nach einem Jahr in den USA kehrt Patrick nach Köln zurück und hat nur einen Gedanken: Er möchte Nick für sich haben.
Zu seinem Unglück ist der jedoch mit Sadi glücklicher denn je und sieht ihn nur als einen Freund an. Auch Patricks Vergangenheit steht seinem neuen Leben ihm im Weg und dann ist da noch der neue Kellner im Brunch, der nicht nur unheimlich gut aussieht, sondern sich auch langsam in Patricks Herz schleicht …
»Sommerbrunch - Bittersüßes Abenteuer« ist ein homoerotischer Liebesroman.
Copyright © 2014 Francisca Dwaine
Alle Rechte vorbehalten.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt und darf nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin ganz oder in Auszügen vervielfältigt oder kommerziell genutzt werden.
Alle handelnden Personen wurden frei erfunden.
Cover © Francisca Dwaine
Unter Verwendung der Bilder von © seqoya - Fotolia.com und © Africa Studio - Fotolia.com
Kapitel 1: Das vergangene Jahr
Patrick lief mit seiner Reisetasche an den Passanten vorbei. Immer wieder strich er sich die blonden Locken aus seinem Gesicht, schaute sich die Läden in der Schildergasse genau an und prüfte, ob es in seiner Abwesenheit das eine oder andere neue Geschäft in die Stadt geschafft hatte.
In dem einen Jahr hatte sich aber nicht viel getan. Zwei kleinere Läden waren weg und durch die Filialen einer Kette ersetzt worden. Als wäre er nie fort gewesen, brummten Kölns Straßen mit Leben. Touristen hetzten durch die Einkaufsstraßen, trugen T-Shirts mit kurzen Hosen und blieben alle paar Minuten stehen, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.
Die Sonne war in den letzten Junitagen auch hier heißer geworden und hatte endlich die 30-Grad-Marke überschritten. Obwohl Patrick durch die höheren Temperaturen in New York an dieses Wetter gewöhnt war, liefen auch ihm Schweißtropfen über die Wangen zum Kinn hinunter.
Die Reisetasche war kaum noch zu halten, aber nach einigen Minuten erreichte er endlich den Laden, den er gesucht hatte. Mit zögernden Schritten ging er auf das kleine Café zu, konnte seinen rasenden Herzschlag sogar in den eigenen Ohren hören. Er sah an den Passanten vorbei, warf einen Blick durch das Schaufenster und stellte enttäuscht fest, dass die Person, die er suchte, nicht zu sehen war.
Im Brunch hatte sich nicht viel verändert. Die gleichen weißen Tische und Stühle standen in dem Verkaufsraum. Eine Theke mit Kasse und Kuchenablage befand sich hinten neben der Küchentür.
Durch das Schaufenster erkannte Patrick sogar einige der Gäste wieder, die er öfters in dem Café getroffen hatte. Sein Herz schlug schneller, als er über all diese Köpfe hinwegsah und immer noch nach diesem bestimmten Gesicht suchte. Er sah Sadi an der Theke, aber von Nick war keine Spur zu entdecken.
Mit einem letzten tiefen Atemzug öffnete er die Tür des Cafés und ging hinein. Ein paar Leute sahen ihn an und es kam Patrick in den Sinn, wie merkwürdig er mit der Reisetasche aussehen musste. Er war vom Flughafen direkt hierhergekommen, hatte sich noch nicht einmal um eine Unterkunft bemüht. Zu groß war die Sehnsucht nach diesem Ort, nach diesem einen Menschen gewesen.
Der Flug hatte ihn einiges an Kraft gekostet. Seine Glieder schmerzten, die Augen brannten und eine tiefe Müdigkeit steckte in seinen Knochen.
Patrick wich den Blicken der Gäste aus, lief an einem Mann vorbei, der anscheinend mit dem Kopf auf einem der Tische eingeschlafen war, und ging auf Sadi zu.
Würde man dem Gesichtsausdruck seines Gegenübers Glauben schenken, dann wäre gerade sein schlimmster Albtraum wahr geworden. Und vermutlich war er das auch.
»Du bist zurück«, sagte Sadi, nachdem er einer Frau ihren Kaffee gereicht hatte. »Was für eine Überraschung.«
»Kann man sagen, ja. Wo ist Nick?«, fragte Patrick und stellte seine Tasche auf dem Boden ab. Er hatte weder die Kraft noch den Willen lange mit Sadi zu diskutieren, doch der hatte offensichtlich andere Pläne.
Die Augen des Mannes verengten sich, sahen ihn an, als wäre er ein besonders lästiger Käfer, der nichts in seinem Café zu suchen hatte. »Kaum zurück und da willst du ihn sofort sehen?«
»Ich war ein ganzes Jahr weg und hab ihn vermisst. Wir sind doch schließlich Freunde …« Patrick lehnte sich mit den Unterarmen auf der Theke ab, kam Sadis Gesicht näher. »Kannst du einem alten Freund nicht helfen? Du hattest ihn die ganze Zeit über für dich allein.«
Sadi wich nicht zurück, sondern kam ihm ebenfalls näher, lehnte sich herunter, sodass sie auf einer Augenhöhe miteinander sprechen konnten. Ihre Nasen berührten sich fast. »Und ich werde bestimmt nicht mit dir teilen. Du solltest endlich aufgeben, Patrick. Oder soll das hier eine Art Kriegserklärung sein?«
Patricks Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln. Das sollte es sein. Mit diesem Gedanken war er aus den USA zurückgekommen. Er hatte Nick so sehr vermisst … er wollte, nein,musste ihn für sich haben!
»Das wirst du nicht schaffen«, meinte Sadi, brach ihren Blickkontakt und sah nun auf Patrick hinab. Auch der richtete sich wieder auf. »Du kannst ihn mir nicht wegnehmen. Nick und ich gehören zusammen und nichts wird das ändern.«
»Das werden wir noch sehen.«
Sadi biss die Zähne zusammen, gab ein »Tsk-Geräusch« von sich und warf ein Küchentuch, das zuvor über seiner Schulter gehangen hatte, auf den schlafenden Mann auf dem Tisch. Es landete genau auf seinem Kopf, aber der Schwarzhaarige gab bloß ein langgezogenes Schnarchen von sich und schlief weiter.
»Verdammt nochmal … Joe! Wach endlich auf!«, rief Sadi und der Mann sprang auf, sah sich hektisch um. Das Küchentuch fiel auf den Boden, machte damit den Blick auf breite Schultern, markante Wangenknochen, einen Drei-Tage-Bart und – was Patrick am meisten überraschte – blaugraue Augen frei.
Er hatte etwas dunklere Haut, schien Südländer zu sein und sah Patrick auf einmal direkt an. »Oh, hey«, meinte er, strich sich die Haare glatt und lehnte sich an seinem Stuhl ab. »Dich kenn ich noch gar nicht. José Domínguez, Wanderer, begabter Elektriker und spanischer Romantiker«, sagte er, streckte die Hand zu Patrick aus. »Freut mich! Autsch!« Von irgendwoher hatte Sadi ein weiteres Küchentuch genommen und es diesmal in Josés Gesicht gepfeffert. Einige der Gäste kicherten. »Sadi, du hast mir meinen Auftritt versaut!«
»Wenn du innerhalb von Sekunden nach dem Aufwachen so eine Show abziehen kannst, dann kannst du auch arbeiten!«
»Sagst du nicht immer, dass ich freundlich zu unseren Gästen sein soll?«
»Patrick ist kein Gast, Joe! Er ist nur … eine unerfreuliche Erscheinung.«
»Patrick also …«, sagte Joe, lächelte Patrick an und gab ihm erneut die Hand zum Schütteln. »Und was hat Patrick gemacht, um den Zorn meines sonst so liebenswerten Chefs auf sich zu ziehen?«
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Patrick.
Es war eine Geschichte, die sich in den letzten zwölf Monaten immer wieder in seinem Kopf wiederholt hatte. Mehr als eine seiner Entscheidungen bereute Patrick bis zu diesem Tag. Damals war Nick in Sadi verliebt gewesen und das hatte den Jungen verwirrt. Er konnte nicht verstehen, wie er solche Gefühle für einen Mann haben konnte. Patrick hatte ihn in einer Bar kennengelernt und eines Tages kam Nick dann zu ihm, weil er testen wollte, ob er mit ihm schlafen konnte. Er wollte Gewissheit haben, ob er tatsächlich auf Männer stand.
Patrick hatte ihm damals nur zu gerne geholfen, aber mit einer Sache hatte er nicht gerechnet: Er hatte sich in Nick verliebt.
Seit diesem Tag konnte er nicht aufhören, an ihn zu denken. Trotz seiner Gefühle hatte er bisher aber keine Chance bei ihm gehabt. Zu groß war die Liebe zwischen Sadi und Nick gewesen … Groß genug, dass Patrick es nicht länger ertragen konnte und nach New York gegangen war.
Von allen Entscheidungen bereute er diese am meisten.
Joe zuckte mit den Schultern. »Ich habe immer Zeit für lange Geschichten. Erzähl!«, sagte er, schlug die Beine übereinander und lehnte sich halb auf den Tisch. Das dritte Trockentuch, das in seine Richtung flog, fing er diesmal mit einer Hand auf.
»Erinnere mich nochmal daran, warum ich dich eingestellt habe …«, sagte Sadi. Ein leises Knurren lag in seiner Stimme.
»Weil Nick keine Zeit zum Servieren hat, ich ein wahnsinnig guter Elektriker bin und … ich schätze, mein gutes Aussehen schadet auch nicht. Oder Mädels?« Joe zwinkerte zwei jungen Frauen am Nachbartisch zu, die dem Schauspiel genau zugeschaut hatten und nun kicherten.
Noch konnte Patrick sich keinen Reim aus dem Kerl machen, aber er schien nett zu sein. Ein Typ von nebenan, der jeden kannte und regelmäßig Partys mit der ganzen Nachbarschaft feierte. Der erste Eindruck konnte jedoch täuschen … das wusste Patrick inzwischen zu gut.
Joe zwinkerte auch Patrick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder Sadi zuwendete. »Warum hast du mich eigentlich geweckt?«
»Weil du arbeiten sollst, Joe! Im Café auszuhelfen bedeutet nicht, dass du den ganzen Tag schläfst!«
Joe schaute sich um. »Ist doch kaum was los. Alle sind zufrieden, nicht wahr?«, fragte er mit einem charmanten Lächeln einen jungen Mann, der sich an seinem Sandwich verschluckte.
»Es macht trotzdem keinen guten Eindruck, wenn ein Kellner am Tisch einschläft. Und jetzt los! Geh und wasch wenigstens das Geschirr ab!«
Der Südländer salutierte, warf Patrick noch ein weiteres strahlendes Lächeln zu und ging zu Sadi hinter die Theke, wo er die Tassen in das Waschbecken legte.
»Was ist denn mit Nick? Arbeitet er nicht mehr hier?«, fragte Patrick.
Es hätte nicht deutlicher sein können, dass Sadi nicht mit Patrick darüber reden wollte. Er verzog das Gesicht, als würden ihm seine nächsten Worte physische Schmerzen bereiten. »Nick arbeitet jetzt nur noch abends hier und José hilft immer aus, wenn es zu voll ist.«
»Und wo ist Nick jetzt?«
»Lernen. Es sind bald Prüfungen, also ist er oben geblieben und bereitet sich vor.« Bevor Patrick sich auch nur zu seiner Reisetasche bücken konnte, fügte Sadi hinzu: »Und du wirst ihn nicht stören! Komm meinetwegen heute Abend wieder. Warum bist du überhaupt so früh zurück? Wollte dich dein Freund nicht mehr haben?«
Patrick verwarf augenblicklich seinen Plan, erstmal bei einem alten Bekannten unterzukommen und setzte sich auf einen der Hocker an der Theke. Ihm war plötzlich danach, Sadi noch eine Weile zu quälen. »Ich bin froh, dass du fragst. Es ist eine lange Geschichte, aber du scheinst ja Zeit zu haben. Wenn Nick ohnehin erst später kommt …«
»Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dir zuhöre, wie du von deinem Ex-Lover erzählst oder was du auch sonst noch alles mit irgendwelchen Leuten in den USA getrieben hast …«
»Du hast doch gefragt. Also: Alles begann in einer stürmischen Nacht. Ich hatte mir gerade einen Hotdog an der Ecke besorgt, als-«
Sadi schnaubte, drehte sich um und verschwand ohne ein Wort in die Küche.
»Schade. Ich bin nicht mal bis zu der Stelle mit dem Taxifahrer gekommen«, sagte Patrick vergnügt. Eigentlich hatte er zu niemandem gesprochen, aber Joe ließ die Tassen im Spülstein liegen und kam zu ihm herüber.
»Ich hör dir gern zu«, sagte er und stützte sich mit beiden Armen auf der Theke ab. »Schieß los! Was ist mit dem Taxifahrer passiert?«
»Gar nichts. Ich wollte nur, dass Sadi abhaut. Die eigentliche Geschichte ist nicht für seine Ohren bestimmt …« Für eine Weile sah Patrick den Fremden ohne ein Wort an. »Wie bist du eigentlich hierhergekommen? Du siehst nicht wie ein herkömmlicher Kellner aus.«
»Ist dir das aufgefallen, ja?« Joe grinste vergnügt. »Dann fang ich am besten mit meiner Geschichte zuerst an. Möchtest du währenddessen was Warmes trinken?«
»Klar. Kannst du mir eine Latte machen?«
»Oh, ich mach die Besten«, sagte Joe. Pfeifend machte er sich an die Arbeit und erzählte dabei. »Ich bin vor etwa einem Jahr nach Köln gekommen. Ich bleibe nie lange an ein und demselben Ort, bin eigentlich ständig unterwegs. Das hier ist also ein verdammt langer Aufenthalt für mich. Sonst ziehe ich immer wieder von Stadt zu Stadt.«
»Und wo wohnst du dann?«
»Bei Freunden. Zurzeit bin ich bei 'Chip' untergekommen. Ein verrückter Vogel … so ein Punk, der sich mit Computern auskennt. Deshalb auch Chip. Na ja, jedenfalls macht der eine Menge Kohle mit … was auch immer er mit den Computern macht. Webdesign, Software programmieren und solche Sachen, glaub ich. Er hat ein großes Loft und lässt mich bei ihm pennen. Ist ganz witzig.«
»Und was ist mit Arbeit?«
»Mach ich, wo ich gerade bin. Meistens irgendwas mit der Elektrik. Was eben anfällt. Und diesmal hat mich Sadi eingespannt. Als ich hier vor einem Jahr angekommen bin, hatten die so eine Party am Laufen. Das Brunch war eigentlich schon geschlossen, aber Nick hat mich reingelassen. Ist ein toller Junge.«
»Das ist er …« Patricks Magen flatterte bei dem Gedanken an ihm. »Und dann hast du für sie gearbeitet?«
»Noch nicht. Erst, als der Kühlschrank kaputt gegangen ist und ich zufällig im Café gewesen bin. Seitdem geben sie mir immer mal wieder Arbeit. Und was machst du beruflich?«
Bei dieser Art von Frage musste Patrick schlucken. Wie eröffnete man auch einem Fremden, dass man seit Jahren als Callboy arbeitete und das letzte Jahr damit verbracht hatte, einen reichen Mann in New York zu begleiten?
Er zögerte. Die Erinnerungen an dieses Jahr waren nicht gerade angenehm. Sicherlich war er Joe keine Rechenschaft schuldig, aber es war schön, mit ihm zu reden. In New York hatte er neben ein paar Freunden nur Henry gehabt und selten hatte sich die Möglichkeit ergeben, sich richtig mit ihm zu unterhalten. In den letzten Wochen seines Aufenthalts hatte es nur noch Probleme gegeben. Ein so einfaches Gespräch zu führen … Patrick hatte bereits vergessen, wie das war.
»Ich bin eigentlich Friseur, hab aber das letzte Jahr im Ausland verbracht.«
»Mit deinem Lover, wie Sadi erzählt hat?«
»Nicht … so ganz. Ist kompliziert«, sagte Patrick.
»Das ist es doch immer. Also erzähl schon! Der gute Joe hat bereits eine Menge komische Geschichten gehört. Nichts kann mich schocken.«
»Hat denn der gute Joe schon mal von einem Callboy gehört, der mit einem Klienten zum Big Apple gereist ist, um sich dort für seine Gesellschaft bezahlen zu lassen?«
Joe richtete sich auf und runzelte die Stirn. »Du hast dich für Sex bezahlen lassen?«
Es bedurfte jahrelanger Übung, damit Patricks Lächeln nicht schwankte. Er hatte bereits jede Reaktion auf seinen kleinen Nebenjob kennengelernt. Fassungslosigkeit, Ekel, Gleichgültigkeit, unverhohlenes Interesse … inzwischen kannte er sie alle. Dennoch hasste er es, wenn ein Gespräch in diese Richtung ging.
»Ich hab schon vorher als Callboy gearbeitet. Das war nur eine gute Möglichkeit für mich, um mehr von der Welt zu sehen. Ich verstehe aber, wenn du jetzt nicht mehr mit mir reden möchtest.«
»Wie kommst du denn auf die Idee?«, fragte Joe. »Klar ist das jetzt nicht gerade eine Berufswahl, die ich verstehen kann, aber ich kenne genug andere Leute, die nichts Besseres machen. Und hey, ich arbeite meistens schwarz. Da kann ich mir kaum ein Urteil über dich erlauben. Schade ist es aber irgendwie doch …« Er sah in Patricks Augen, hielt seinen Blick mit den eigenen grau-blauen gefangen. »Ein Mann wie du … irgendwie gehörst du in eine Beziehung. Das habe ich im Gefühl. So richtig mit Familie, Kindern und allem Drum und Dran.«
Patrick hätte fast laut losgelacht. »Wie soll ich denn an Kinder kommen?«
»Na, wir dürfen doch jetzt heiraten, adoptieren … warum denn nicht? Ich glaube, du wärst ein toller Vater.«
In diesem Moment wusste Patrick nicht, wo er hinschauen sollte. Eine Familie … an so etwas hatte er nicht mehr gedacht, seitdem er herausgefunden hatte, dass er auf Männer stand und seine Mutter ihn aus dem Haus geworfen hatte. Das wäre nichts für ihn. Weder Kinder noch Heirat konnte er sich vorstellen. Nicht nach alldem, was er bereits in seinem Leben getan hatte.
»Das wird nie passieren«, sagte Patrick. »Du schätzt mich da ganz falsch ein.«
»Hey, ich bin Spanier. Ich kenne mich mit Familien aus. Vielleicht ist der Gedanke im Moment noch komisch, aber wenn du erst den Richtigen triffst … Mit einer geliebten Person an deiner Seite, was könnte es Schöneres geben, als eine Familie mit ihr zu gründen?«
Patrick sah starr auf die blanke Oberfläche der Theke. Familie war kein Thema, über das er gerne sprach. Für ihn gab es so etwas nicht und würde es vermutlich auch niemals geben. »Du schätzt mich falsch ein«, sagte er nochmal.
»Wenn du meinst …« Joe lächelte ihn an. »Aber diese Geschichte von Amerika will ich noch hören. Irgendwann bei einem Bier am besten … ich geb dir auch was aus.«
Patrick antwortete nicht darauf, wollte nicht zu- oder absagen. Dieser Mann war interessant, aber definitiv zu neugierig. Er hatte eine Leichtigkeit, die Patrick in seinem eigenen Leben vermisste, aber er schien sich auch gerne in fremde Angelegenheiten einzumischen und das war für ihn ein No-Go.
Patrick stand auf und griff sich seine Reisetasche. »Ich werde jetzt doch besser gehen.«
»Was ist denn mit deiner Latte?«
»Ich verzichte. Wenn Sadi irgendwann wieder kommt, kannst du ihm sagen, dass ich diesmal nicht so leicht aufgeben werde. Er versteht das dann.« Patrick wollte gehen, aber Joe hielt seine Hand fest.
Er sah ihn intensiv an und diese hellen Augen schienen sich in seine Seele zu bohren. »Warum bist du eigentlich so traurig?«, fragte er.
Erneut brachte Joe ihn mit einer einzigen Aussage aus der Fassung. Patrick zog seine Hand weg, blinzelte mehrmals schnell. »Ich bin nicht traurig«, sagte er mit erstickter Stimme. Dieser Mann ging ihm unter die Haut.
»Doch das bist du. Ist irgendetwas passiert? Kann ich dir helfen?«
Patricks Mund öffnete sich. Er schluckte, riss schließlich auch seinen Blick von dem des Mannes weg. Das brauchte er jetzt nicht. Er brauchte niemanden, der sich in sein Leben einmischen wollte. Er brauchte Nick, seine erste Liebe. Er brauchte dieses Verständnis, das nur er ihm geben konnte. »Ich brauche keine Hilfe.«
Damit ging Patrick zur Tür hinaus, ignorierte Joes Rufen genauso wie das schnelle Schlagen seines Herzens. Seine Füße trugen ihn zum Eingang rechts vom Brunch. Er schaute zu dem Fenster hoch, von dem er wusste, dass es zu Nicks Schlafzimmer gehörte. Ein ganzes Jahr hatte er ihn jetzt nicht gesehen … Sadi würde zwar ausflippen, aber Patrick konnte nicht länger warten! Es würde ihm erst besser gehen, sobald er endlich wieder diese dunklen Augen und Nicks Lächeln sah.
Die Tür des Eingangs war zum Glück meistens offen und so ging er ungehindert in das schmale Treppenhaus hinein. Ganz oben blieb er vor der Wohnungstür stehen, atmete noch einmal durch und drückte die Klingel.
»Einen Moment!«, rief Nicks Stimme von hinter der Tür und Patricks Herzschlag beschleunigte sich wieder. Einiges Gepolter, ein leises Fluchen konnte er hören. Dann klickte das Schloss, die Tür öffnete sich und legte den Blick auf die Person frei, die er mehr als alles andere vermisst hatte.
Nick stand in T-Shirt und Sporthose vor ihm. Seine nun längeren Haare reichten ihm bis zu den Schultern. Mit großen Augen sah er Patrick von oben bis unten an, lachte dann und warf die Arme um seinen Hals. »Du bist hier!«, schrie er. »Ich hätte nicht gedacht, dich so schnell wieder zu sehen!«
Erst zögerte Patrick, doch dann ließ er seine Reisetasche fallen, schloss ebenfalls die Arme um Nick. Es fühlte sich an, als könnte er nach langer Zeit endlich wieder atmen. »Ich habe dich vermisst«, flüsterte er.
»Ich dich auch.« Nick drückte sich von ihm weg, sah ihn noch einmal an. »Du siehst gut aus! Hättest mir aber auch sagen können, dass du so früh wiederkommst. In deinem letzten Brief stand nichts davon.«
Patrick lächelte. Nick einfach nur zu sehen … das hatte ihn glücklicher gemacht, als es der Anblick seiner Heimatstadt je könnte. »Es war eine spontane Entscheidung.«
»Ist etwas passiert? Deine letzten Briefe waren auch etwas … Du hast nicht besonders glücklich geklungen.«
»New York war nicht ganz so glamourös, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber wollen wir nicht erstmal reingehen?« Er sah an Nick vorbei. Auf dem Couchtisch waren eine Menge Ordner und Papiere gestapelt. »Oder hast du zu viel zu tun? Ich möchte nicht stören …«
»Das geht schon in Ordnung. Ich wollte sowieso eine Pause machen. Komm rein und erzähl mir alles über New York! Möchtest du einen Kaffee?«
»Hatte ich gerade erst«, log Patrick. »Ich war schon im Brunch. Wie ich hörte, musst du dich auf Prüfungen vorbereiten?« Patrick stellte seine Reisetasche neben dem Tisch ab und beide setzten sich auf die Couch.
»Ja, leider. Eigentlich macht mir nur Mathe Probleme. Geometrie ist einfach nicht mein Ding. Aber lass uns jetzt nicht darüber reden. Kein gutes Thema für eine Pause …« Nick verzog so angeekelt das Gesicht, dass Patrick lachen musste. Nie war ihm bewusster gewesen, wie sehr er ihn vermisst hatte.
Er sah ihn mit einem Lächeln an, seine Brust zog sich zusammen, die Finger verkrampften sich auf dem Sofakissen, damit er nicht plötzlich hinübergriff und ihn erneut in seine Arme zog. Patrick musste Geduld haben …
»Dann reden wir eben über etwas anderes. Du bist gewachsen«, stellte er fest. Es war ihm schon bei der Umarmung aufgefallen.
»Ja, um drei Zentimeter! Ich bin jetzt größer als Sadi«, sagte Nick grinsend. »Phil hat auch schon Angst, dass ich ihn noch einhole.«
Die Erwähnung von Sadis Namen hatte Patricks guter Laune wieder einen Dämpfer verpasst. »Wie geht es Phil eigentlich? Ist er noch mit diesem anderen Kerl zusammen?«
»Mirko? Klar! Die wohnen jetzt auch zusammen. Sind ständig am Streiten und vertragen sich dann noch am selben Tag. Du kannst dir vorstellen, wie …«
»Lebhaft. Aber ich bin kaum der Richtige, um das intensive Sexleben anderer zu kritisieren, was?«, fragte Patrick mit einem Augenzwinkern.
»Wo du gerade davon anfängst … Jetzt erzähl doch mal, wie es mit Henry gelaufen ist!«
»Nicht ganz so toll. Ich … hatte mich etwas in ihm getäuscht.«
Nick sah mit einem Mal besorgt aus. »Er ist doch nicht gewalttätig geworden, oder?«
»Das nicht, aber er war weniger ein Gentleman, als ich erwartet hatte.«
Patrick lehnte sich zurück und begann zu erzählen. »Alles begann mit meiner Ankunft in New York. Schon die ersten Minuten in dieser Stadt sind überwältigend gewesen …«, sagte er und erinnerte sich.
Kapitel 2: Der erste Tag in New York
Patrick stieg aus dem Taxi und sah erstaunt an dem riesigen Gebäude hinauf, in dem er die nächsten Monate leben sollte. Er musste den Kopf so stark in den Nacken legen, dass er zu schmerzen begann. Wie viele Stockwerke waren das? Dreißig? Vierzig? Oder mehr? Zumindest hatte er nie ein so hohes Gebäude in Deutschland gesehen.
Der Flug selbst war anstrengend, aber nicht besonders ereignisreich gewesen. Die meiste Zeit hatte er geschlafen und war erst wieder aufgewacht, nachdem sie den halben Atlantik überquert hatten. Es war sein erster Flug dieser Länge gewesen, aber letztendlich hatte er alles gut überstanden. Nur seine Knochen waren noch etwas steif und er streckte sich, brachte die Arme zum Knacken.
Der Taxifahrer half Patrick mit seiner Tasche, ließ sich bezahlen und verschwand dann inmitten der restlichen Autos auf der Straße. Patrick wurde ganz schwindelig, als er sich das Treiben auf der Madison Avenue anschaute. Köln war nichts dagegen. Kein Grün war in dieser Gegend zu sehen und die Luft war deutlich stickiger. Der überwältigende Lärm klingelte in seinen Ohren. Allerdings sollte sich der Central Park ganz in der Nähe befinden, wie ihm der Taxifahrer mitgeteilt hatte. Das hatte Patrick zumindest mit seinem brüchigen Englisch verstehen können …
Er ging in das Hochhaus hinein, blieb mit geöffnetem Mund zunächst in der Lobby stehen. Die Halle wirkte so riesig und nackt. Es gab nur einen Empfangstisch einige Meter vom Eingang entfernt und an den Wänden standen hin und wieder Ledersofas mit kleinen Beistelltischen. Patrick konnte sich in jeder glatten Oberfläche spiegeln. Der Boden sah aus, als wäre er aus irgendeinem gescheckten Stein … Marmor vielleicht? Auf so etwas hatte er noch nie auch nur einen Fuß gesetzt!
Das schien auch der Mann im Anzug am Empfang zu denken. »Excuse me, Sir. May I help you?«
»Yes!«, sagte Patrick und ging auf den Mann zu. »I … well … I must meet … äh …«
»Tu hablas español?«
»Ähm …«
»Français?«
»No …?«
»Deutsch?«
»Yes!«, sagte Patrick und atmete erleichtert auf. »Verstehen Sie mich?«
»Aber natürlich, Sir. Ich spreche alle Sprachen der hier residierenden Mieter. Das gehört zum Service. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich wollte zu Henry Morgan. Ich sollte heute bei ihm einziehen.«
Der Mann warf Patrick einen abschätzenden Blick zu. »Dürfte ich Ihren Namen erfahren?«
»Aber natürlich!«, sagte Patrick hastig. Verflucht, warum machten ihn solche Orte nur so nervös? »Patrick Lange.«
Mit einem letzten Blick auf Patrick schlug der Mann sein in Leder gebundenes Buch auf und ging mit dem Finger eine Liste entlang. »Ah, ja. Wir wurden über Ihre Ankunft in Kenntnis gesetzt. Ist das Ihr ganzes Gepäck?«, fragte der Mann und zeigte mit seinem Kugelschreiber auf Patricks Reisetasche.
»Ja, das ist alles. Henry sagte, ich könnte mir hier Neues kaufen.«
»Die Einkaufsmöglichkeiten sind wirklich ausgezeichnet, das stimmt. Wenn Sie mir noch Ihren Ausweis zeigen könnten, dann trage ich Sie ein. Mein Name ist übrigens David Robertson. Ich bin Ihr Concierge und werde Ihnen jeden Wunsch während Ihres Aufenthalts erfüllen.«
Jeden Wunsch … Patrick sah den Mann zum ersten Mal richtig an. Etwa Mitte dreißig, sehr gepflegt, groß, passte hervorragend in diesen Anzug hinein. Er erinnerte ihn stark an Henry, aber das lag vermutlich daran, dass sie sich in der gleichen Welt bewegten.
Patrick gab ihm seinen Ausweis und warf bei der Gelegenheit einen Blick auf Davids Hände. Auch nicht schlecht … eigentlich schade, dass er von Henry bezahlt wurde, ihm jederzeit zur Verfügung zu stehen. Ansonsten würde er diesen Mann sicherlich nicht abblitzen lassen, sollte sich die Chance ergeben. Obwohl David vermutlich nicht schwul war. Dafür hatte Patrick ein Auge.
»Das wäre erledigt«, sagte David und gab Patrick seinen Ausweis zurück. »Diese Schlüsselkarte stecken Sie bitte in den dafür vorgesehenen Schlitz im Aufzug. Sie werden dann automatisch in den richtigen Stock gebracht.«
Patrick nahm die Karte entgegen. »Und wenn ich jemanden besuchen möchte?«
»Selbstverständlich gibt es auch normale Knöpfe und eine Gegensprechanlage. Sie sollten allerdings vorsichtig sein. Die Großzahl unserer Mieter schätzt keine unangemeldeten Besucher.«
Und da ging diese Idee dahin. Henry würde es auch kaum gefallen, wenn Patrick plötzlich die anderen Reichen hier besuchte. Exklusivität schätzte er sehr. »Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen muss?«
»Ein Page wird gleich zu Ihnen kommen und zeigt Ihnen alles Weitere. Unsere Räumlichkeiten sind mit dem höchsten Komfort ausgestattet und benötigen etwas … Einarbeitung.«
Einarbeitung … was würde ihn dort oben denn erwarten? High-Tech-Ausrüstung?
Stirnrunzelnd bedankte sich Patrick und ging zum Aufzug. Auch der glänzte von innen, war sogar mit Spiegeln und Gold ausgestattet. Er steckte die Schlüsselkarte in den Schlitz unter den Knöpfen und der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Die Fahrt dauerte ewig. Erst nach Sekunden fiel ihm auf, dass der Concierge ihm nicht gesagt hatte, in welcher Etage Henry eigentlich wohnte.
Die Nummer über der Tür stieg und stieg. Als sie den 30. Stock erreichten und der Fahrstuhl immer noch nicht stoppte, schluckte Patrick. Hatte das denn kein Ende?
Eigentlich hatte er kein Problem mit Höhen, aber so langsam bekam selbst er ein unwohles Gefühl. Erst im 48. Stock hielt der Fahrstuhl endlich, gab ein helles »Ping« von sich und öffnete die Türen.
Patricks Mund klappte auf. Das Apartment war unglaublich. Offenbar hielt der Fahrstuhl direkt in der Wohnung. Ein riesiger Raum erstreckte sich vor ihm, endete erst in einer Fensterwand. Eine große, beige Eckcouch stand mitten im Raum, war zu dem größten Fernseher ausgerichtet, den Patrick je gesehen hatte.
Er schluckte wieder, trat vorsichtig aus dem Fahrstuhl in den Raum hinein. Als sein Fuß den Boden berührte, fürchtete Patrick fast, von einer Gruppe Sicherheitsleuten festgenommen zu werden, die ihm sagten, es wäre alles ein riesiger Fehler gewesen und er hätte dort nichts zu suchen. Doch auch beim zweiten, dritten und vierten Schritt geschah nichts dergleichen. Stattdessen ging er weiter hinein, staunte über die schwarzen Hochglanzmöbel und vor allem über die Aussicht. Das Apartment lag höher als die meisten Hochhäuser um sie herum und bot daher einen hervorragenden Blick auf Manhattan.
Langsam schlich sich ein Grinsen auf Patricks Gesicht und er begann damit, die anderen Räume zu erkunden. Er besah sich das marmorne Badezimmer, den Masterbedroom mit riesiger Spielwiese, die die Freude auf den heutigen Abend groß machte, die Küche, in der Henry bestimmt nur selten kochte, die aber dennoch besser ausgestattet als das Brunch war. Dieses Apartment … es war einfach nur gigantisch. Seine Erwartungen wurden unheimlich übertroffen! Dass Henry reich war, wusste Patrick, klar, aber das hier …
Nachdem er sich alles angesehen hatte, ging er zurück ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch fallen. Wozu brauchte Henry eigentlich den riesigen Fernseher? Diese Aussicht allein könnte ihn über Stunden hinweg unterhalten!
Eine Melodie ertönte auf einmal und Patrick sah sich überrascht um. »Herr Lange?«, fragte eine Stimme mit dickem, amerikanischem Akzent. Patrick konnte nicht sagen, woher sie überhaupt kam. »Ich bin hier, um Ihnen die Bedienung der Hightech-Ausstattung zu zeigen. Würden Sie bitte den Knopf am Fahrstuhl drücken?«
Patrick stutzte, ging aber zum Fahrstuhl zurück und tat, worum die Stimme ihn gebeten hatte. Die Türen öffneten sich und gaben den Blick auf einen jungen Mann in roter Uniform frei. Das musste der Page sein.
»Guten Tag«, sagte der Mann mit ausdruckslosem Gesicht und durchgestrecktem Rücken. Er schien deutlich machen zu wollen, dass sein Beruf die größtmögliche Ernsthaftigkeit erforderte. »Ich denke, wir fangen mit der Klimaanlage an. Folgen Sie mir bitte.«
Etwa dreißig Minuten später rauchte Patricks Kopf. In dieser Wohnung waren mehr technische Raffinessen versteckt, als es zunächst den Anschein machte. Abgesehen von der Klimaanlage gab es noch einige Schalter für das Öffnen mancher Schränke und für die Vorhänge. Eine Fernbedienung im Schlafzimmer, die der Page Patrick aber nicht vorführen durfte – und auf die er daher besonders gespannt war – machte ihn neugierig, verschiedene Knöpfe im Badezimmer versprachen Spaß und dann war da natürlich die Fernbedienung für den Fernseher … Wahrscheinlich brauchte er eine Ingenieursausbildung, um sich einen einfachen Film anzusehen.
»Wegen der Höhe lassen sich die Fenster nicht öffnen«, sagte der Page zuletzt. »Seien Sie aber versichert, dass das ganze Gebäude hervorragend durchlüftet wird. Haben Sie sonst noch irgendwelche Fragen?«
»Nur noch eine: Wissen Sie, wann Henry zurückkommen wird?«
»Herr Morgan sollte heute Abend zurückkehren. Manchmal wird er jedoch aufgehalten. Soll ich ihm eine Nachricht zukommen lassen?«
»Oh, das wird nicht nötig sein. Vielen Dank!«, sagte Patrick und der Page verließ das Apartment.
Kurz stand Patrick noch verloren vor dem Fahrstuhl, aber dann drehte er sich um und beschloss, den Fernseher doch einmal auszuprobieren. Vorzugsweise ohne eine Atombombe hochgehen zu lassen.
***
Stunden später lag Patrick auf der Couch. Das Abendprogramm lief im Fernseher und ihm war wunderbar warm. Er musste eingeschlafen sein, kam nur schwer aus seinen Träumen heraus. Eine Hand strich ihm sanft über die Wange, verschwand in seinen Haaren. Lippen berührten Patricks Stirn und er schlug langsam die Augen auf.
Henry stand über ihn gebeugt, sah mit einem Lächeln auf ihn hinunter. Sein Jackett hing über seinem Arm und die Krawatte hatte er bereits gelockert. Patrick setzte sich schnell auf, sah zu den Fenstern hinaus. Draußen war es stockfinster.
»Verdammt, tut mir leid!«, sagte er schnell. »Ich wollte dich eigentlich anders begrüßen. Nackt, mit Schleife und-«
»Das macht nichts. Ich bin auch viel zu spät dran. Du hättest ruhig ins Bett gehen können.«
Henrys tiefe Stimme zu hören, forderte sogleich eine Reaktion in Patricks Schwanz. Er war einer der Männer, mit denen er am häufigsten geschlafen hatte. Zwar waren da nie Gefühle zwischen ihnen gewesen, aber sie verstanden sich gut und das war bereits purer Luxus in seinem Geschäft. »Ich wusste nicht, in welches Schlafzimmer ich gehen sollte.«
»Du bist als meine Begleitung hier. Wir schlafen natürlich zusammen.« Er nahm die Krawatte ganz ab, ließ sie auf den nahen Sessel fallen und setzte sich neben Patrick. »Wie war dein Flug?«
»Langweilig«, sagte Patrick und konnte ein Gähnen nicht unterdrücken. »Wie spät ist es eigentlich?«
»Müsste schon nach 11 sein … hast du etwas gegessen?«
»Ich wollte auf dich warten.«
Henry nickte. »Gut, dann lass ich uns etwas bringen. Chinesisch? Italienisch?«
»Englisch«, sagte Patrick und lehnte sich zu Henry vor. Der lachte und gab ihm einen Kuss, bis Patrick sich zurückzog und erschrocken die Hand vor den Mund legte. »Oh, verdammt! Sorry, ich hätte mir erst die Zähne putzen müssen.«
Henry lachte nur erneut und küsste ihn wieder. »Eigentlich wollte ich etwas Richtiges essen, aber wie es aussieht, müssen wir das Dessert vorziehen. Ich hoffe, du bist bereit?«
»Immer«, sagte Patrick, leckte sich lasziv die Lippen und ließ sich von Henry ins Schlafzimmer ziehen. Sex mit diesem Mann war immer etwas Besonderes. Wie kein anderer hatte er Manieren im Bett und war doch versauter als die meisten von Patricks Kunden. Daher hatte er auch keine großen Bedenken gehabt, mit ihm zu gehen. Nie hatte Henry ihn von oben herab behandelt, beschimpft oder ihn verletzt. Und dazu kam noch, dass er ein außergewöhnlich guter Liebhaber war. Er wusste genau, wie er einen anderen Mann berühren musste, um ihn um den Verstand zu bringen.
Bestimmte Dinge tat er nie im Bett, wie zum Beispiel jemandem einen zu blasen oder auf sonst irgendeine Art seine Zunge zu benutzen, aber dafür setzte er seine Hände und Finger ein, machte es mit langen Küssen wieder gut. Selten fühlte sich Patrick wie ein Callboy, wenn er mit Henry schlief und das machte die Arbeit mit ihm umso schöner.
Sie erreichten das Schlafzimmer und Henry schälte sich die Klamotten vom Leib. Patrick wartete, bis er fertig war, wusste inzwischen, dass Henry es liebte, ihn selbst auszuziehen. Sobald Henry nackt vor ihm stand, begann er mit Patricks Hemd. Teil für Teil landete auf dem Boden.
»Ich habe dich schon vermisst«, sagte Henry, ließ seine perfekten Nägel über Patricks Brust kratzen und küsste seinen Hals. »Du wirst in nächster Zeit viel zu tun haben. Ich würde gerne einige Klienten an Land ziehen und ein Partner wie du könnte dabei nützlich sein.«
Patrick legte die Hände auf Henrys Arsch, wartete jedoch, bis der damit fertig war, ihn auszuziehen. Dieser Teil gehörte zu ihrem Spiel. Henry musste immer die Kontrolle behalten. »Klienten? Künstler, meinst du?«
»Die auch. Ich versuche mich an einem neuen Geschäftszweig. Umso wichtiger ist es, einen guten Eindruck zu machen.«
Patricks Atem raste, als Henry ihm mit einem Ruck den Gürtel aus den Schlaufen zog und daraufhin seine Hose öffnete. »Klingt gut … Ich kenne mich aber nicht mit Kunst aus.«
»Das macht nichts. Dein Job wird es nur sein, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Die meisten meiner Klienten haben Partner, die sich nicht auskennen. Ich bin überzeugt davon, dass du mit deinem Charme eine Menge erreichen kannst. Bevor du mir über den Weg gelaufen bist, hatte ich gar nicht vorgehabt, mir einen Callboy zu nehmen. Du kannst sehr überzeugend sein …«
»Sind das meine einzigen Qualitäten?«, fragte Patrick und im selben Moment rutschte seine Hose zu seinen Knöcheln.
Henry küsste ihn, ließ eine Hand unter seine Boxershorts gleiten. »Du weißt ganz genau, welche Qualitäten du hast, Patrick. Geh jetzt duschen und bereite dich vor. Du weißt ja, wie ich dich gerne habe.«
Patrick biss sich auf die Lippe. Er liebte es, wenn Henry so sprach. Seine tiefe Stimme allein könnte ihn zum Kommen bringen, wenn er weit genug war. »Fang nicht ohne mich an«, sagte Patrick grinsend und verschwand unter der Dusche, wusch sich den Schweiß von seinem nackten Körper.
Wie erwartet fand er dort auch eine Tube mit Gleitgel. Er spreizte die Beine, lehnte sich vor und stützte sich an der Wand der Dusche ab. Mit etwas Gel auf seinen Fingern drückte er gegen seinen Eingang, stöhnte laut, als er mühelos in ihn hineinglitt.
Er fügte weitere hinzu, spreizte sie in sich und gab tiefe, kehlende Laute von sich.
»Das habe ich auch vermisst«, sagte Henry. Er lehnte am Türrahmen, verschränkte die Arme über seiner nackten Brust und sah Patrick zu. »Du bist immer so herrlich laut und ungezügelt.«
»Ich muss doch testen, was die Wände hergeben«, sagte Patrick keuchend. »Deine Nachbarn sollen auch etwas von mir haben.«
Einen Moment lang meinte Patrick, etwas in Henrys Augen aufflackern zu sehen. »Ich teile mit niemandem. Das weißt du.«
Patrick drehte sich um, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Sein Glied streckte sich zu Henry hin, fing auf der Stelle seinen Blick ein. Patrick leckte sich die Lippen. »Das ist auch gut so. Ich konzentriere mich gerne auf eine Sache …« Patrick nahm seinen Schwanz in die Hand, streichelte ihn zweimal feste und stöhnte laut. Er grinste Henry zu.
»Du kleiner Bastard …« Henry ging auf ihn zu, drehte ihn herum und drückte Patrick gegen die Wand der Dusche. Er tastete ihn ab, ließ seine Hände wie bei einer Leibesvisitation über Patrick wandern.
»Ich kann nichts verstecken, Officer.«
Henry lachte, ging aber nicht weiter darauf ein. Er positionierte sich und stieß vor.
Patrick schrie auf, als sein heißes Glied ihn langsam streckte. Sein Stöhnen füllte den Raum. Er bewegte sich mit Henry, streichelte wieder sein eigenes Glied.
»Du wirst deine Zeit mit mir genießen, Patrick«, flüsterte Henry ihm ins Ohr. »Das kann ich dir garantieren.«
***
Patrick öffnete die Augen.
Diese Erinnerungen waren noch so frisch in seinem Gedächtnis. Er holte tief Luft und wollte weitererzählen, aber Nick streckte eine Hand zu ihm aus. »Stopp! Bitte keine weiteren Einzelheiten!«, sagte er lachend.
Patrick war fast froh, dass er ihn unterbrochen hatte. Zu dem Zeitpunkt war noch alles in Ordnung gewesen, aber dann … dann hatte sich Henry verändert.
»Das war aber die beste Stelle. Du weißt ja, wie gut ich bin. Sicher, dass du nicht mehr hören willst?«, fragte Patrick und zwinkerte Nick zu.
Dessen Lachen verwandelte sich in ein Husten. »Dass du auch immer wieder damit anfangen musst«, sagte Nick grinsend. »Wie war es denn sonst mit Henry?«
»Na ja, es war, wie er mir am ersten Tag gesagt hatte. Die Veranstaltungen, zu denen er mich mitgenommen hatte, bestanden weitestgehend aus Dinnerpartys und Tänzen, Eröffnungsfeiern und so weiter. Er wollte auf diese Weise neue Klienten an Land ziehen.«
»Dann hat es dir also mit ihm gefallen?«, fragte Nick.
»Erst hat es das, ja, aber wenn du mehr Zeit mit einem Menschen verbringst, dann lernst du ihn erst richtig kennen.« Patrick wog seine nächsten Worte sorgfältig ab. »Henry ist ein Geschäftsmann. Er tut immer das, was ihm den größten Vorteil bringt. Ich war nicht nur für die Nächte dort, sondern sollte auch seinen Freund spielen. In der Kunstbranche ist es schließlich nichts Besonderes, wenn man offen homosexuell ist. Henry glaubte, dass es ihm bei Verhandlungen helfen könnte, wenn seine Kunden dachten, er hätte einen festen Freund und das hat er sehr genau genommen.«
»Hat es denn geholfen?«
Patrick lächelte. »Macht es dir etwas aus, wenn wir später darüber reden? Ich bin verdammt müde und muss mich erstmal an die Uhrzeit gewöhnen. Jetlag.« Noch während er das sagte, fielen ihm beinahe die Augen zu. Er war seit Stunden unterwegs, und obwohl es erst kurz nach Mittag war, fühlte Patrick sich, als könnte er zwei Wochen lang durchschlafen.
»Hast du denn schon eine neue Wohnung?«, fragte Nick.
»Erstmal gehe ich ins Hotel, wenn ich nicht bei einem Bekannten unterkommen kann.« Bereits bei dem letzten Wort, das Patrick über die Lippen kam, wusste er, was Nick als Nächstes sagen würde.
»Das musst du doch nicht! Wir haben ein Gästezimmer, also kannst du bei uns-«
»Nick, denk an Sadi. Was glaubst du, wie er reagieren würde, wenn du ihn fragst, ob ich bei euch wohnen kann?«
Erstaunt sah Nick ihn an. Natürlich hatte er nicht daran gedacht. Dafür war er zu naiv und auch etwas zu unschuldig. Es gab nureinen Mann, bei dem er an Sex dachte, und obwohl Patrick und er bereits miteinander geschlafen hatten, gab es jetzt nur Sadi in seinem Kopf. Was würde Patrick nur dafür geben, wenn er die Zeit zurückdrehen könnte und sofort nach ihrer Nacht um Nick gekämpft hätte …
Der Gedanke tat weh, aber Patrick würde nicht aufgeben, seinen Fehler von damals wieder gutzumachen. Selbst dann nicht, wenn es auch noch so hoffnungslos erschien.
»Mach dir keine Sorgen. Ich bin an Hotels gewöhnt.« Er durchwuschelte Nicks Haare, stand auf, schnappte sich seine Reisetasche und ging zur Tür.
»Hast du denn wenigstens einen Job?«, fragte Nick.
»Den werde ich schon finden. Köln hat nicht gerade einen Mangel an Friseursalons.«
»Dann lass dich bald wieder blicken, ja? Ich will unbedingt mehr von New York hören.«
Ein Ziehen ging durch Patricks Brust, als er Nick ansah. »Bis später«, sagte er, fuhr noch einmal mit einer Hand durch Nicks Haare und drehte ihm dann den Rücken zu.
Während er die Treppe hinabging, wurde die Sehnsucht nach Nick nur noch stärker. Würde er sich nun immer so fühlen, wenn er in seiner Nähe war? Würde er dieses Verlangen überhaupt unterdrücken können? Seine Brust schmerzte, als würden diese Gedanken sie zerquetschen wollen.
Patrick ging langsam durch die Eingangstür nach draußen.
»Das hätte Sadi bestimmt nicht gerne gesehen«, sagte eine Stimme und Patrick drehte den Kopf nach links. Joe stand vor der Tür des Brunchs und rauchte eine Zigarette.
»Solltest du nicht arbeiten?«, fragte Patrick ihn.
»Solltest du dich nicht von dem Freund meines Chefs fernhalten?«, fragte Joe, lachte, als Patrick sein Gesicht zu einer Grimasse verzog. »Ich sag ihm nichts, wenn du ihm nichts sagst. Wo willst du eigentlich hin?« Mit einem neugierigen Blick sah er auf Patricks Tasche.
»Ich wüsste zwar nicht, was dich das angehen sollte-«
»Autsch!«
»- aber ich gehe mir fürs Erste ein Hotel suchen und mach mich dann auf Wohnungssuche.«
Joe sah ihn belustigt an. »Und du glaubst, dass du so schnell etwas findest? In Köln?«
»Hast du etwa einen besseren Vorschlag?«, fragte Patrick. Allmählich ging ihm der Typ gewaltig auf die Nerven. So nett er auch war, er hatte so etwas … Penetrantes. Als würde ihm die Aufmerksamkeit anderer Menschen überallhin folgen und er sich ständig und überall einmischen müsste. Wie nannte man das noch gleich in den USA? Busybody?
»Du könntest bei mir und Chip unterkommen«, sagte Joe nachdenklich. »Er ist im Moment eh nie da.«
»Und du glaubst, dass ich mit dir zusammenwohnen will?« Patrick schaffte es nicht, den bissigen Unterton aus seiner Stimme herauszuhalten. Er war so müde, konnte kaum die Augen aufhalten und wollte nur noch ein Bett sehen … für Manieren hatte er keine Energie mehr.
Joe zuckte mit den Schultern. »Ich weiß ja nicht, wie viel du in New York verdient hast, aber reicht es wirklich für ein anständiges Hotel, bis du eine Wohnung gefunden hast? Willst du all das Geld zum Fenster hinauswerfen?«
Leider hatte er nicht unrecht. Allein der Rückflug hatte ein kleines Vermögen gekostet und die Hotels hier waren teuer.
»Komm schon! Ich beiße nicht und Chip ist auch ganz okay, wenn man ihn erst kennenlernt.«
Patrick zögerte immer noch und Joe rollte mit den Augen. Er ging auf ihn zu, schnappte sich seine Reisetasche und warf sie sich über die Schulter. »Folge mir. Wenigstens für einige Nächte kannst du es versuchen, oder?«
Zuerst stand Patrick einfach nur da, aber Joe ging auf einmal mit seiner Tasche die Straße hinunter. Er sprintete hinterher. »Warte! Was ist überhaupt mit deinem Job?«
Kapitel 3: Geschichten
Nachdem ihn Joe dazu überredet hatte, mit ihm zu kommen und Patrick nur aufgab, weil er viel zu müde war, um zu diskutieren, standen sie nun vor einer schweren Metalltür.
Patrick betrachtete Joes Rücken skeptisch. Er hatte ihn in ein altes Fabrikgebäude geführt, das inzwischen umgebaut worden war und mehrere Wohneinheiten enthielt. Ein Fahrstuhl hatte sie direkt zum Dachgeschoss gebracht und Patrick schwor sich, das nächste Mal die Treppe zu nehmen. Der klapprige Aufzug hätte ihm fast einen Herzinfarkt verpasst.
Joe schloss auf und schob die Tür zur Seite.
Als sich der Raum vor ihm öffnete, staunte Patrick nicht schlecht. Einige Stahlpfeiler führten zu einem Spitzdach, dessen leicht rostige Stahlträger die Decke zierten. Am Ende des Raumes führte eine Wendetreppe nach oben zu einem Vorbau. Was ihn allerdings noch mehr staunen ließ, waren die unzähligen Computerteile, die über Boden, Tische und sogar Stühle verteilt lagen. In einer Ecke stand ein großer Schreibtisch mit drei Bildschirmen, von denen einer immerzu blinkte.
»Die ignorierst du am besten«, meinte Joe, als er Patricks Blick folgte. »Die gehören Chip und er will nicht, dass man seine Sachen anfasst. Ist eben ein Computerfreak.«
'Freak' schien Patrick noch etwas untertrieben. »Was, sagtest du noch, macht er beruflich?«
»Offiziell ist er Programmierer und … Webdesigner? Aber Christopher meint, dass er noch etwas anderes macht. Was genau weiß ich aber auch nicht.«
»Christopher?«
»Ja, ein alter Freund von mir und Chips Partner. Er hat mir diesen Schlafplatz verschafft, weil die beiden sowieso fast immer in Christophers Wohnung sind und … Du willst sie auch nicht zusammen erleben. Sind geradezu abartig verliebt.«
Patrick sah sich noch einmal um. »Aber diese Wohnung ist riesig … Wie kann er sich die überhaupt leisten?«
»Zum einen macht er mit seinem Job ziemlich viel Kohle, aber die Wohnungen sind auch nicht besonders teuer. Der Zustand ist nicht der Beste und die Gegend ist nicht gerade beliebt. Hier fahren zu viele LKWs. Deshalb wohnen auch fast nur Studenten in dem Haus und haben sich mit mehreren eine Wohnung gemietet.«
»Verstehe …«, meinte Patrick und ging etwas weiter in den Raum hinein. »In New York gab es viele solcher Apartments.«
»Ich dachte, du wärst in einem schicken Hochhaus untergekommen?«
»Ja, aber ich hab auch noch andere Menschen außer Henry kennengelernt und einer von ihnen hatte ein Apartment, wie man sie aus den Filmen kennt. Mit Feuerleiter vor dem Fenster und so weiter.« Daran erinnerte er sich gerne. Es waren nicht diese schicken und noblen Partys gewesen, die ihm besonders gefallen hatten, sondern ganz spontane Feiern mit viel Alkohol und lauter Musik. Nur selten hatte er dafür Zeit gehabt, aber jede Einzelne von ihnen würde für immer in seinem Gedächtnis bleiben.
»Wenn es doch so toll war, warum bist du zurückgekommen? Nur wegen Nick?«, fragte Joe
»Willst du mir nicht den Rest zeigen?« Patrick war bereits auf dem Weg zu einer der Türen, als Joe wieder sprach.
»Na schön, wenn du nicht reden willst …« Joe klatschte einmal in die Hände. »Dann beginnen wir mit der Führung. Es gibt zwei Schlafzimmer. Eines gehört natürlich Chip. Du kannst aber das andere haben und ich schlafe auf der Couch.«
Patrick schüttelte den Kopf. »Ich schlafe auf der Couch.«
»Auch gut.« Pfeifend ging Joe los und führte ihn zum ersten Raum.
Patrick verpasste sich mental eine Ohrfeige. Er hatte fest damit gerechnet, Joe würde auf die Couch bestehen.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ihn Joe.
»Ja. Ja natürlich. Ähm, was ist dort drin?«, fragte Patrick und zeigte auf die erste Tür.
Für einen kurzen Moment sah ihn Joe noch an, doch dann sagte er: »Das ist Chips Schlafzimmer und absolut tabu. Mein Zimmer ist hier.« Er ging ein paar Schritte weiter und öffnete die nächste Tür. Wie erwartet konnte Patrick zahlreiche Klamotten und Abfall auf dem Boden sehen.
»Räumst du eigentlich nie auf?«
Grinsend rieb sich Joe sein mit Bartstoppeln versehenes Kinn. »Eigentlich war es selten in einem besseren Zustand. Ich habe nicht viel Zeit.«
Patrick rümpfte die Nase. Immerhin hatte Joe den Anstand, peinlich berührt auszusehen.
Joe zeigte zu einem Raum unter dem Vorbau. »Das Bad findest du dort drüben unter der Galerie. Die Küche ist oben. Noch Fragen?«
»Kann man die Couch wenigstens ausziehen?«
»Nö, aber sie ist sehr bequem. Wenn du trotzdem nicht darauf schlafen willst, können wir uns auch mein Bett teilen. Hätte ich nichts gegen.« Wieder schenkte er Patrick ein strahlendes Lächeln.
Sein Charme hätte sicherlich eine deutlich stärkere Wirkung auf Patrick, wenn der es noch schaffen würde, die Augen aufzuhalten. Stattdessen musste er gähnen, sah sehnsüchtig durch die Tür auf Joes Bett. »Höchstens, wenn du mich bezahlst und selbst dann könnte ich dir nicht garantieren, dass ich nicht dabei einschlafe.«
»Schade … dabei kuschel ich so gerne.« Nachdem Joe einen langgezogenen Seufzer ausgestoßen hatte, fügte er hinzu: »Aber geschlafen wird noch nicht. Jetzt lass uns erstmal deinen Einzug feiern. Magst du Pizza?«
***
Patrick fühlte die Müdigkeit in allen Knochen, doch Joe schien wenig Verständnis dafür zu haben. Er ließ nicht locker, ging zu dem Italiener um die Ecke und holte ihnen zwei Pizzen. Bereits halb am Schlafen, schreckte Patrick hoch, als die Tür beim Aufgehen quietschte und Joe mit zwei Schachteln zurück in die Wohnung kam. Dabei hatte er es sich erst auf der Couch bequem gemacht.
»Du hast mir nicht gesagt, was du willst, also habe ich dir einfach die Standardversion besorgt: Margherita.« Joe stellte beide Pizzen auf den Couchtisch und ging dann zur Küche hoch, um ihnen Besteck zu holen.
Bis vor einigen Sekunden war Patrick davon überzeugt gewesen, keinen Hunger zu haben, aber nun traf ihn der genüssliche Duft von verlaufendem Käse, Tomaten, Oregano und knusprigem Teig. Sein Magen knurrte laut.
Er öffnete beide Schachteln und nahm sich die Margherita. Joe schien sich für Thunfisch entschieden zu haben.
Nachdem Joe zurück war, begannen sie zu essen. »Also, was hast du denn so in New York gemacht? Außer deinem Job natürlich«, fragte Joe irgendwann.
»Eigentlich nicht viel. Ich bin oft shoppen gewesen und abends gab es immer wieder Essen und Partys, auf die ich mitgehen sollte.«
»Und wie sind die New Yorker so?«, fragte Joe mit vollem Mund.
Patrick verzog das Gesicht. Hatte der Kerl eigentlich gar keine Manieren? »Sie sind anders«, sagte er. »Eigentlich haben nur die wenigsten wirklich Zeit für Fremde. Alles läuft schneller in einer solchen Großstadt ab. Die ersten Tage waren gewöhnungsbedürftig.«
Für einen Moment aß Joe still seine Pizza weiter. »Sag mal, woher kennst du eigentlich Nick? Ich hab Sadi danach gefragt, aber der wollte nichts sagen.«
Patricks Gedanken wanderten. Die Müdigkeit schien ihn gesprächiger zu machen, als er eigentlich sein wollte. Er erzählte Joe, wie er Nick zum ersten Mal in einer Bar getroffen und der dann mit Patrick geschlafen hatte, um seine eigene Sexualität zu testen. Diese Nacht würde er nie vergessen. Er hatte sie sich eingeprägt, so gut es ging und wünschte sich nichts sehnlicher als viele Wiederholungen von ihr. Im Moment musste in einsamen Nächten allerdings noch seine Hand herhalten.
Nachdem er mit dem Erzählen fertig war, gab Joe einen Pfiff von sich. »Kein Wunder, dass Sadi dich nicht mag. Und seitdem bist du auf Nick scharf? Warum?«
Patrick legte die Gabel ab und lehnte sich zurück, starrte zur Decke mit den Stahlträgern hinauf. »Das ist etwas, das ich mich auch gefragt habe. Ich hab mit vielen geschlafen, aber Nick … ich konnte nie aufhören, an ihn zu denken. Vielleicht weil er bisher der Einzige war, der sich wirklich für mich interessiert hat. Für alle anderen war es ein Geschäft, aber er hat mit mir geredet, wollte Dinge über mich wissen.«
»Klingt, als hättest du dich bei ihm wohlgefühlt«, sagte Joe und nahm einen weiteren Bissen von seiner Pizza.
»Das habe ich auch, ja.«
Joe lachte. »Du willst Sadi also wirklich den Freund ausspannen? Na dann viel Glück!«
»Was weißt du schon?«, fauchte Patrick zurück. Er wollte das nicht hören! Er wollte sich von niemandem sagen lassen, was er ohnehin schon wusste. Noch hielt er an diesem winzigen Funken Hoffnung fest und weigerte sich, Nick aufzugeben.
»Auch wenn man es mir nicht ansieht, ich bin viel in der Welt herumgekommen. Da sieht man so einige verliebte Pärchen und Sadi und Nick sehen nicht so aus, als würden sie sich irgendwann trennen.«
Patrick schloss die Augen. Er versuchte, Joe nicht zuzuhören, doch seine Stimme war zu laut und … und was noch viel schlimmer war: Er hatte Recht. Patrick wusste das. Dennoch schüttelte er den Kopf, während Joe weiter erzählte.
»Sie sehen jeden Tag verliebter aus. Es gibt einfach Paare mit einer gewissen Aura. Da weiß man instinktiv, dass sie zusammengehören.«
»Nick hat mir geschrieben und gesagt, dass er immer noch Probleme mit Sadis Familie hat«, sagte Patrick stur. Das war der eine Strohhalm, an den er sich klammerte. Nick konnte nicht mit Sadi glücklich sein. Das hatte sich Patrick die letzten Monate so oft eingeredet, dass er es beinahe glaubte.
»Aber doch nur mit dem Bruder«, sagte Joe. »Seine Eltern haben Nick so herzlich aufgenommen, wie es unter den Umständen nur ging.«
Erstaunt sah Patrick ihn an, vergaß für einen Moment seinen inneren Kampf. »Du weißt etwas darüber?«
»Ich bin doch fast jeden Tag im Brunch. Sadis Bruder macht immer Stress, aber Nick bekommt das ganz gut hin. Der ist taff und Sadi hilft ihm. Sie kommen zurecht.«
Das konnte Patrick unmöglich glauben. Aus Nicks Briefen hatte er herauslesen können, dass etwas nicht stimmte. Zwar redete Nick nie offen darüber, aber die Andeutungen waren klar genug. Zum Beispiel, wenn er von Familientreffen redete, zu denen er eigentlich nicht gehen wollte. Die Briefe hatten einen traurigen Unterton, da war er sich ganz sicher.
Zumindest eingeredet hatte er sich das.
»Ich glaube, du verrennst dich da in etwas. Nick himmelt Sadi an.« Joes Worte waren behutsam, ganz so, als wenn er Patrick nicht verstimmen wollte. »Du bildest dir nur ein, dass es Probleme gibt. Sie sind glücklich.«
»Nur, weil Nick es nicht besser weiß.«
Joes Augenbrauen schossen hoch, aber er kommentierte Patricks Aussage nicht. Stattdessen nahm er eine Flasche Wasser und trank daraus. »Gut, dann lassen wir das Thema. Was bist du eigentlich von Beruf? Du hast doch bestimmt noch eine Ausbildung neben deinem lukrativen Nebenjob, oder?«
»Friseur.«
»Ehrlich? Ein schwuler Friseur?«, fragte Joe grinsend und brachte Patrick dazu, mit den Augen zu rollen.
»Ja, ja, lach du nur. Und was bist du? Ein schwuler Kellner? Von denen hat Köln auch genug.«
»Eigentlich bin ich ein bisexuelles Mädchen für alles.« Joe zwinkerte ihm zu. »Ich bin gelernter Elektriker, mache aber alles, was so anfällt.«
»Stimmt, das hattest du ja bereits erwähnt. Ein richtiger Schwarzarbeiter.«
»Ich bevorzuge die Bezeichnung 'unabhängiger steuerbefreiter Arbeiter der nicht ganz legalen Art', aber ja. Nur Sadi hat leider darauf bestanden, mich anzumelden.«
Patrick konnte sich auch das zweite Augenrollen nicht verkneifen. »Typisch für ihn. Die Hölle friert zu, wenn er je etwas Verbotenes tun sollte.« Als Joe ihn nur mit einem Lächeln ansah, das Patrick sofort auf die Nerven ging, fragte er: »Was?«
»Ach, ich hab mir nur gedacht, dass du Sadi nicht magst, weil du eifersüchtig bist. Er ist eigentlich ganz nett, wenn man von der übertriebenen Strenge, die er seinem geschundenen Mitarbeiter entgegenbringt, einmal absieht, natürlich.«
»Nicht zu mir.«
Joe aß das letzte Stück seiner Pizza, wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und lehnte sich zurück. »Wenn du dich an meinenFreund heranschmeißen würdest, dann würde ich dich auch nicht besonders gut leiden können. Für Nick wird es auch nicht einfach sein, so zwischen den Stühlen zu stehen.«
»Im ersten Moment nicht, aber sobald er erstmal gemerkt hat, dass ich die bessere Wahl bin … warum grinst du immer noch so?«
»Entschuldige. Du erinnerst mich nur an einen Typen, von dem mir meine Großmutter eine Geschichte erzählt hat. Hatte sie mal irgendwo auf ihrer Reise durch Spanien gehört. Im Grunde ging es darum, dass er in die schönste Frau des Dorfes verliebt war. Leider war sie bereits mit ihrem Verlobten glücklich. Beide sahen sich als Konkurrenz an und beschlossen, sich mit Schwertern bis zum Tod zu duellieren. Der Verlobte gewann. Als der andere am Boden lag und seine letzten Atemzüge tat, rannte ein Mädchen zu ihm, das er schon seit seiner Kindheit kannte und das um ihn weinte. Da begriff er, wie sehr ihn die Schönheit der anderen Frau geblendet hatte und wie glücklich er stattdessen mit dem anderen Mädchen hätte werden können. Er starb in absoluter Verzweiflung.«
»Deprimierende Story, die aber so gar nichts mit mir zu tun hat. Ich habe keine Kindheitsliebe«, sagte Patrick.
»Nein, aber du versteifst dich so auf eine vergebene Person und könntest dadurch dein Glück verpassen.«
Patrick schnaubte. »Es gibt keine Person, die Nick ersetzen könnte.«
»Ich wollte dir auch nur einen guten Rat geben. Wäre doch schade, wenn du vergisst, nach vorne zu schauen und dir zum Beispiel ein gutaussehender, spanischer Romeo durch die Lappen gehen würde.«
Mit erhobenen Augenbrauen verdrückte Patrick das letzte Stück seiner Pizza und rieb sich dann die Augen. »Selbst, wenn ich einen kennen würde, bräuchte ich keinen gutaussehenden Spanier,« Joe schob an dieser Stelle gespielt beleidigt seine Unterlippe vor, »sondern höchstens etwas Schlaf. Macht es dir etwas aus, wenn wir unser Gespräch jetzt beenden? «
Joe seufzte. »Na schön. Ich muss ohnehin zurück ins Brunch. Meine Pause ist gleich vorbei.« Er packte das Geschirr zusammen und warf die Pappschachteln in den Müll, während Patrick sich langsam auszog.
Den neugierigen Blicken war er sich bewusst, aber sie störten ihn nicht. Dafür hatte er sich zu oft vor anderen ausgezogen.
»Hast du eigentlich keine Angst?«, flüsterte Joe.
Patrick warf sein T-Shirt auf die Couch und öffnete seine Hose. »Warum sollte ich die haben?«
»Du kennst mich kaum, bist mit mir in meine Wohnung gekommen und ziehst dich dann auch noch vor meinen Augen aus. Jeder andere Mann wäre wenigstens etwas vorsichtiger.«
Patrick drehte sich zu Joe um. »Du bist mit Sadi und Nick befreundet. Ich glaube kaum, dass du irgendetwas versuchen würdest.« Er hatte natürlich bereits daran gedacht, dass es unklug wäre, Joe blind zu vertrauen. Besonders nach all seinen Erfahrungen wäre das dumm. Andererseits hatte er vor Henry noch nie einen Menschen falsch eingeschätzt und Joe war nervig, aber nicht gefährlich.
»Dann liegt es also nicht an meiner charmanten Art, dass du mir vertraust?«, fragte Joe.
»Du bist charmant? Wirklich?«
Joe lachte. »Komm schon! Ich weiß, dass ich gut aussehe und mir wird nachgesagt, ich hätte den Ruf eines Casanovas. Findest du mich nicht wenigstens ein kleines bisschen heiß?«
Patrick hob eine Augenbraue an, öffnete seine Hose und ließ sie zu seinen Knöcheln fallen. Joes Augen schossen mit ihr nach unten. »Das kann ich dir sagen, sobald ich wieder wach bin.« Ein herzhaftes Gähnen entfloh seinem Mund. Nur noch mit Boxershorts bekleidet, griff er sich eine Wolldecke, die auf der Couch lag, warf sein T-Shirt auf den Boden und deckte sich zu. Er unterdrückte einen Seufzer, als er endlich die Beine ausstrecken konnte und die Augen schloss.
»Soll ich dir noch eine andere Decke holen oder reicht dir die?«, fragte Joe.
»Schlaf … nur Schlaf …«, flüsterte Patrick und war innerhalb von Sekunden eingeschlafen.
***
Joe wartete noch einen Augenblick und ging dann auf Patrick zu, hockte sich vor ihm hin und strich ihm ein paar Haare aus den Augen. Die Atmung des Mannes war ruhig und eben. Er musste wirklich erschöpft sein.
Lächelnd beobachtete Joe den Schlafenden. Patrick war genau sein Typ und bereits nach den wenigen Minuten, die er mit ihm verbracht hatte, fühlte er sich zu ihm hingezogen. Er hatte ein gewisses Licht, das ihn anzog.
Interessant war er auch. Joe liebte es, Geschichten von anderen Menschen anzuhören. Patricks schien besonders interessant zu sein. Erst die Sache mit Nick, dann die Flucht nach New York … was danach wohl passiert war? Würde er es Joe verraten, wenn er danach fragte?
Wie vielen Männern begegnete man schon mit einer solchen Geschichte? Mit so vielen Geheimnissen?