Bis bald, Carlotta! - Wilma Burk - E-Book

Bis bald, Carlotta! E-Book

Wilma Burk

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Beschreibung

Das Buch erzählt vom Krieg, von den Wunden die so vielen Familien geschlagen wurden, wenn sie erfuhren, dass wieder einer nie mehr zurückkehren wird. Und doch wurden Menschen auch in dieser Zeit groß und mussten im Leben ihren Weg gehen. Jedes Alter forderte sein Recht. Das Kind wollte lachen, der junge Mensch lieben und eben leben. Und dann kam das Kriegsende. Die Befreiten atmeten durch und die Geschlagenen versuchten weiterzugehen mit ihrem Schmerz. So mancher wollte auch nicht mehr bleiben, sondern dahin gehen, wo es keine Ruinen gab, und ein neues Leben beginnen. Das war oft eine schwere Entscheidung und zog so manche schmerzhafte Trennung nach sich.

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Seitenzahl: 85

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Wilma Burk

Bis bald, Carlotta!

Erzählung

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Bis bald, Carlotta!

Impressum neobooks

Bis bald, Carlotta!

Eingestaubte Kisten auf dem Dachboden bergen manchmal kostbare Überraschungen. So ergeht es auch mir, als ich beim Aufräumen darin krame und beschriebene, vergilbte Blätter finde, auf denen ich damals, Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, all meine Hoffnungen und meinen Schmerz aufgeschrieben hatte. Beim Lesen tauche ich wieder ein in eine Zeit, die längst vergangen ist. Und doch ist sie mir so nah, als wäre alles gerade eben erst geschehen, als ich lese:

Ich habe Stefan wiedergesehen, heute, nach zehn Jahren! Kurz, viel zu kurz war unsere Begegnung zwischen Ankunft und Abfahrt eines Zuges auf einem Bahnhof gewesen. Dennoch reichte es, all die vergangenen Jahre in Nichts zerrinnen zu lassen.

Nun warte ich auf seinen Anruf. Wie konnte ich nur glauben, dass mir sein Name, dass er mir nichts mehr bedeuten würde? Wie konnte ich nur annehmen, dass zehn Jahre gereicht hätten, um die Wunde, die mir unsere Trennung geschlagen hatte, zu heilen? In dem Augenblick, als ich ihn wiedersah, zerriss die so unverletzbar geglaubte Haut darüber. Nun schmerzt es mich aufs Neue und ich frage mich, hatte ich wirklich gelernt, mit meinem Leben zufrieden zu sein, war ich wirklich damit ausgesöhnt, alles stets allein zu regeln und unternehmen zu müssen, wie die kleine Reise, von der ich an diesem regennassen Tag in die Stadt zurückkehrte?

Müde war ich auf dem Bahnhof aus dem Zug gestiegen, von niemand erwartet, von niemand begrüßt. Fröstelnd hatte ich an mein leeres, eintönig graues Leben gedacht, in das ich nun wieder eintauchen musste. Da traf mich Stefans Ruf „Carlotta“ wie aus einer anderen Welt. Aber es war hier und jetzt gewesen. Wie angewurzelt war ich stehen geblieben. Nur er hatte mich so genannt, nicht Lotte, nicht Charlotte wie die andern. Alles gewaltsam Verdrängte wurde in mir wieder wach, die Erinnerung an eine Zeit, in der ich diesen Namen von ihm liebevoll, zärtlich oder auch verliebt neckend gehört hatte.

Noch zweifelte ich, seine Stimme gehört zu haben, weil es nicht sein konnte. Doch als ich mich umschaute, blickte ich in seine hellen Augen.

Mit wenigen Sprüngen war er bei mir, seine Hände packten meine Schultern und hielten mich fest. „Bist du es wirklich?“ Er lachte. Sekunden dehnten sich zu Ewigkeiten, in denen ich, unfähig zu sprechen, vor ihm stand und blitzartig aufnahm, was ich sah: Er hatte sich kaum verändert, breiter war er geworden, die Gesichtszüge härter und seine Haare schienen von der Stirn geflohen zu sein.

„Carlotta, höre!“, holte er mich aus meinen Gedanken. „Ich habe dich überall gesucht. Himmel, dass ich dich jetzt hier vor mir sehe!“ Er drückte mich an sich. Benommen ließ ich es geschehen. Hastig redete er weiter: „Gib mir deine Adresse. Kann ich dich telefonisch erreichen. Schnell! Der Zug fährt gleich ab.“ Eilig kramte er ein Stück Papier und einen Stift hervor und ich schrieb so schnell ich konnte.

Nur ein flüchtiger Moment war unserem Wiedersehen auf dem zugigen und nasskalten Bahnhof gegönnt. Die Lokomotive des Zuges zischte bereits ungeduldig. Ein Ruck ging durch die Wagenkette. Stefan riss mir den Zettel aus der Hand und sprang auf den Zug auf. In der Tür drehte er sich noch einmal um und rief: „Heute Abend um acht, ich rufe dich an. Bis bald, Carlotta!“, dann schloss er die Tür des Abteils. Ein Pfiff der Lokomotive, rollende Räder, vorbei, vorbei! So schnell vorbei. „Ja, Stefan!“, wollte ich rufen. Aber keinen Ton brachte ich heraus. Hatte ich überhaupt ein Wort gesagt? Der Zug verließ den Bahnhof und ich blieb aufgewühlt zurück.

Von meinen Gefühlen überwältigt, die Menschen um mich herum vergessend, hockte ich mich auf meinen Koffer und weinte wie ein kleines Mädchen. Ich schluchzte, als könnte ich damit die in der Ferne verschwindenden Rücklichter des Zuges und Stefan zurückholen.

Wie oft hatte ich damals, in der Kriegszeit, so auf einem zugigen Bahnhof gestanden und den Rücklichtern eines davonfahrenden Zuges nachgesehen, mit dem Stefan dahin fahren musste, wo das Leben nicht mehr viel galt, wo es nur noch heißen konnte: „Du oder ich“ und der Tod reiche Ernte hielt. Nie hatte ich gewusst, ob ich ihn noch einmal wiedersehen würde, und immer war ich allein gewesen.

Heute aber stand Greta, Stefans Schwester, neben mir. Besorgt beugte sie sich zu mir herunter, zog mich am Ärmel und forderte mich auf: „Charlotte, du wirst dich erkälten, es zieht hier. Komm, lass uns gehen!“

Willenlos erhob ich mich, nahm meinen Koffer auf und folgte ihr. Doch ich nahm nichts um mich herum wirklich wahr. Erst allmählich, mit jedem Schritt, den mich Greta die Bahnhofstreppe hinunterführte, fand ich in die Gegenwart zurück. Welch rätselhafter Zufall hatte diese Begegnung herbeigeführt?

„Das ist wirklich eine seltsame Fügung“, sagte Greta, ehe wir uns trennten. „Stefan hat in den wenigen Tagen, die er hier war, überall nach dir gesucht, doch niemand konnte ihm sagen, wo du geblieben bist. Es war, als wärst du vom Erdboden verschwunden. Warum stehst du nicht im Telefonbuch, wenn du Telefon hast?“, wollte sie wissen.

„Ich habe es erst seit kurzer Zeit. Vielleicht steht es erst in der nächsten Telefonbuchausgabe“, antwortete ich und dachte: ‚Nein, verschwunden bin ich nicht, aber wie vergraben lebe ich. Die Verbindungen zu den Menschen von früher waren abgerissen, mussten abreißen.’ Doch Greta sagte ich das nicht.

Noch vor wenigen Wochen, als ich mir das Telefon zugelegt hatte, ahnte ich nicht, zu welcher Kostbarkeit es für mich werden sollte. Nun würde es mir eine Verbindung zu Stefan verschaffen. Noch heute Abend werde ich erneut seine Stimme hören. Dabei verblasst sein Gesicht, wie es vor zehn Jahren war. Ich sehe ihn vor mir, so, wie er eben auf dem Bahnhof vor mir gestanden hat. Und Stefan, wie hat er mich gesehen?

Ich hatte längst verlernt, mich kritisch anzuschauen, aber nun, kaum zu Hause angekommen, war mein erster Weg zum Spiegel. Hart fiel das Urteil aus. Müde Augen sahen mich aus einem blassen Gesicht an. Nicht einmal die Urlaubsreise hatte daran etwas ändern können. Matt war mein Haar, hager die Figur, farblos die Kleidung, wie ein graues Mäuslein, eine weltfremde Jungfer. War ich schon so alt? Wann hatte ich die blühende Jugend verloren? Was hatte er gedacht, als er mich so sah? Doch vielleicht …! Ich schaute mir tiefer in die Augen und mir war, als würde es dahinter brodeln, als wäre allein durch die Begegnung mit Stefan wieder Leben in mir erwacht. Hatte er es erkannt, als wir uns in die Augen sahen? Hatte ich für ihn noch irgendeine Ähnlichkeit mit der Carlotta, die er früher gekannt und geliebt hatte?

Nun sitze ich hier, wage nicht, mich vom Telefon zu entfernen und fiebere seinem Anruf entgegen.

Dabei wollte ich es nicht einmal haben. Frau Wolter, ein einsamer Mensch wie ich, die mir zeitweise in meinem Ladengeschäft, einer kleinen Leihbücherei, aushilft, hatte mich dazu überredet. Sie meinte, so viele Jahre nach dem Krieg sei das jetzt zeitgemäß für meine Bücherei und ich könne damit sogar noch etwas verdienen, wenn ich Kunden, die kein Telefon besäßen, telefonieren ließe. Ich war ihrem Rat gefolgt, wenn auch ziemlich freudlos.

Die Zeit des Wartens dehnt sich und die Gedanken kreisen.

Noch klingt in mir nach, was Greta von Stefan erzählt hat. Nur wenige Tage sei er bei ihnen gewesen. Jetzt fahre er zu seinen Schwiegereltern nach Hannover, um von dort seinen fünf Jahre alten Sohn abzuholen. Danach will er mit ihm nach Amerika zurückfliegen. „Der Junge hat keine Mutter mehr. Sie ist vor einem Jahr gestorben. Darum hat ihn Stefan längere Zeit bei seinen Großeltern in Deutschland untergebracht“, hatte Greta noch erklärt, ehe sie sich von mir verabschiedete. Dabei sah sie mich so seltsam an. Dachte auch sie in diesem Augenblick, dass es mein Sohn sein könnte, wenn alles anders gekommen wäre?

Als ich mit Stefan zum ersten Mal in meinem Leben zusammentraf, saßen wir in einer Buddelkiste und er warf mir eine Hand voll Eierpampe (nassen Sand) ins Gesicht. Ich schrie und zeterte mit jedem Sandkorn mehr, das mir in den Mund drang. Er bekam dafür von seiner Mutter einen Katzenkopf und ich durfte mir, wieder gereinigt, zum Trost einen Bonbon nehmen.

Dies war keineswegs dazu angetan, in uns eine gegenseitige Zuneigung zu erwecken. Später machte er mir erneut klar, dass er mich nicht mochte. Wir gingen bereits in die Schule, als er mir eine Hand voll Kletten ins Haar warf. Jeder Versuch, sie wieder herauszubekommen, misslang. Sie verfingen sich nur umso tiefer in meinem Haar und es ziepte höllisch. Heulend lief ich nach Haus. Meine beiden großen Brüder, an denen ich abgöttisch hing, schworen ihm daraufhin Rache. Sie lauerten ihm auf und sparten nicht mit Prügel. Das hätte beinahe einen Schulskandal zur Folge gehabt. Obgleich die Lage heikel war, erfüllte mich Stolz auf meine Brüder, die mich so gerächt hatten.

Es schien, als würden Stefan und ich für alle Zeit unversöhnlich bleiben. Es hätte sogar nicht viel gefehlt, da wäre die Freundschaft zwischen unseren Familien daran zerbrochen.

Doch mit den Jahren wurden unsere Streitereien harmloser. Schließlich beschränkte er sich darauf, mich „Lotte“ zu rufen, weil er genau wusste, wie sehr ich diesen Namen hasste. Da allerdings rasierte er sich bereits und meine Zöpfe waren längst abgeschnitten.

Später versuchten wir uns gemeinsam in den ersten Tanzschritten. Dabei wurden wir nicht müde, den andern zu versichern, schuld sei nur ein Missgeschick, dass wir zusammen zur Tanzstunde gingen. Doch wie oft wir es auch wiederholten, wir begegneten bei ihnen stets nur einem seltsamen Lächeln, das uns ärgerte. Längst wussten die andern mehr als wir. Sie hatten bereits erkannt, dass wir unsere Zuneigung nur noch hinter Rüpeleien versteckten.