Das Berghotel 318 - Verena Kufsteiner - E-Book

Das Berghotel 318 E-Book

Verena Kufsteiner

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Beschreibung

"Jetzt sieh doch mal, wie die sich anschauen, Gerda", meint Hedi, während sie die kleine Familie beobachtet, die auf das Hotel zugelaufen kommt.
"Wovon sprichst du?", fragt Gerda ihre Chefin.
"Na von unseren neuen Gästen, der Frau Langholm und dem Herrn Zöller. Da kommen sie gerade über die Wiesen gelaufen, schau!", erklärt Hedi. "Und das herzige kleine Madel - ach, ist sie net ein Zuckerpupperl?"
Gerda folgt dem Blick ihrer Vorgesetzten. Doch sie kann bei Weitem nicht erkennen, was Hedi an dem Bild der harmonischen Familie stört.
"Na, siehst du denn net, wie verliebt die sind?", erwidert Hedi nun etwas genervt.
Gerda lacht. "Mei, die haben ein Kind zusammen. Da dürfenʼs freilich verliebt ausschauen, gell?"
"Aber die beiden haben getrennte Zimmerl", echauffiert sich Hedi.
Während Gerda diese Offenbarung nicht ungewöhnlich erscheint, ahnt die Hotelchefin, dass sich mit den neuen Gästen ein Geheimnis ins Berghotel einmietet hat. Aber sie wird schon noch dahinterkommen!


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Inhalt

Cover

Lias erster Urlaub

Vorschau

Impressum

Lias erster Urlaub

Das zuckersüße Mädchen verzaubert alle im Berghotel

Von Verena Kufsteiner

»Jetzt sieh doch mal, wie die sich anschauen, Gerda«, meint Hedi, während sie die Familie beobachtet, die auf das Hotel zugelaufen kommt.

»Wovon sprichst du?«, fragt Gerda ihre Chefin.

»Na von unseren neuen Gästen, der Frau Langholm und dem Herrn Zöller. Da kommen sie gerade über die Wiesen gelaufen, schau!«, erklärt Hedi. »Und das herzige kleine Madel – ach, ist sie net ein Zuckerpupperl?«

Gerda folgt dem Blick ihrer Vorgesetzten. Doch sie kann bei Weitem nicht erkennen, was Hedi an dem Bild der harmonischen Familie stört.

»Na, siehst du denn net, wie verliebt die sind?«, erwidert Hedi genervt.

Gerda lacht. »Mei, die haben ein Kind zusammen. Da dürfen's freilich verliebt ausschauen, gell?«

»Aber die beiden haben getrennte Zimmerl«, echauffiert sich Hedi.

Während Gerda diese Offenbarung nicht ungewöhnlich erscheint, ahnt die Hotelchefin, dass sich mit den neuen Gästen ein Geheimnis ins Berghotel einmietet hat. Aber sie wird schon noch dahinterkommen!

Die Bässe der Musik drangen aus der Veranstaltungshalle nach draußen. Dazwischen ließ sich immer wieder hysterisches Kreischen vernehmen.

Merit lehnte ihren Kopf zurück und betrachtete die Sterne. Nur schwer waren sie auszumachen. Die Lichtverschmutzung der Stadt war zu groß. Also zog sie die Packung Zigaretten aus ihrer Tasche und öffnete sie. Nur noch fünf Zigaretten befanden sich in der zerdrückten Verpackung. Sie sollte wirklich langsam mit dem Rauchen aufhören. Doch bis es so weit war, zog sie eine der Glimmstängel heraus und steckte die Packung wieder zurück in ihre Tasche. Es dauerte ein wengerl, bis das Feuerzeug dem Wind standhielt. Als sie es geschafft hatte, die Zigarette anzuzünden, nahm sie zufrieden einen tiefen Zug und schaute wieder in den Himmel.

Das Vibrieren der Bässe drang weiter nach draußen. Von der Straße vor ihr rauschte der Verkehr. Berlin schien niemals stillzustehen.

Sie fragte sich, wie es wohl wäre, in einer so großen und hippen Stadt zu leben. Wäre sie hier ein anderer Mensch? Vielleicht ein bisschen aufregender? Würde sie wöchentlich ins Theater gehen? Würde sie Retro-Kleidung aus Secondhand-Läden tragen? Oder gar einen völlig neuen Look ausprobieren?

Merit Langholm sah an sich hinunter. Mit ihren langen braunen Haaren, den blauen Augen und der gewöhnlichen Jeans sah sie alles andere als interessant aus. Das einzig Ungewöhnliche an ihr waren die tiefen Grübchen, die ihrem Gesicht etwas Spitzbübisches verliehen. Frustriert zog sie an der Zigarette und kam zu dem Schluss, dass Berlin auch keinen anderen Menschen aus ihr machen würde.

Merit blickte auf ihre Armbanduhr. Nun spielte die Jodelband bereits seit anderthalb Stunden, und es klang nicht danach, dass sie bald zu einem Ende käme. Langsam bereute sie, dass sie ihrer Mutter diesen Kurztrip inklusive Konzert ihrer Lieblingsvolksmusikgruppe geschenkt hatte.

Gestern Nachmittag hatten die zwei Frauen nach ihrer Ankunft als Erstes ein Sushi-Restaurant aufgesucht und waren dann in die Komische Oper gegangen, wo das Ensemble ehemalige Bühnenkostüme verkauft hatte. Zwar hatten Merit und Ingrid mehrere Kostüme anprobiert und sich fast tot gelacht, doch gekauft hatten sie nichts.

Danach waren sie zu einem Comicladen namens Grober Unfug gependelt, um ihrem Bruder eine kleine Auswahl an den illustrierten Büchern mitzubringen. Theo war ein Nachzügler gewesen. Nur zu gut erinnerte sich Merit daran, wie das Gesicht ihrer damals fünfzigjährigen Mutter ausgesehen hatte, nachdem sie vom Gynäkologen wiedergekommen war. Schwanger.

Heute war Theo zehn und ein kleiner verwöhnter Bursche, der Merit immerzu Streiche spielte, wenn sie sich sahen. Selbst Harald, Merits Stief- und Theos leiblicher Vater, ließ sich mit seinen vierundsechzig Jahren noch zu dem einen oder anderen Unsinn anstiften.

»Warum stehen Sie hier draußen? Etwa schon genug vom Konzert?«

Merit schreckte auf. Überrascht blickte sie neben sich und sah, dass ein Mann aus der Halle gekommen war. Mit der Narbe auf der Wange sah er aus wie aus einer anderen Zeit. Einer Zeit, in der sich Mitglieder von Burschenschaften noch einen Schmiss zugefügt hatten. Als sie ihren Blick jedoch an ihm hinabgleiten ließ, wurde ihr erster Eindruck sofort korrigiert. Er sah alles andere als altmodisch aus. Die Jeans und das T-Shirt zeugten deutlich davon, dass es sich nicht um einen Zeitreisenden handelte.

»Glauben Sie es mir, wenn ich Ihnen sage, dass ich nicht freiwillig hier bin?«, fragte sie zurück und zog einen Mundwinkel hoch.

Der Mann zog ebenfalls eine Packung Zigaretten aus seiner Hosentasche und zündete sich kurz darauf eine an.

»Sofort«, antwortete er.

Merit wagte einen Blick nach rechts, und als sich ihre Blicke trafen, lachten beide verlegen.

»Also, was steckt dahinter? Knallharte Erpressung? Oder wurden Sie verschleppt und hier abgeladen?«

»Weder noch«, antwortete Merit und trat zu dem Abfalleimer links von sich. Sie drückte ihre Zigarette aus und warf sie hinein.

»Lassen Sie mich raten!«, fuhr er dazwischen. »Mutter oder Oma?«

Merit lachte wieder, schüttelte aber den Kopf, da er richtig geraten hatte.

»Mutter«, gab sie schulterzuckend zu.

»Ick finde, dann passt Erpressung doch ganz gut, oder?«

Der Mann zog an der Zigarette und stieß den Rauch zwischen seinen Lippen aus. Die Art, wie er sie dabei schief ansah, hatte etwas Schelmisches.

Merit überlegte und schaute dabei schräg nach oben. Dann kam sie zu dem Schluss: »Ja, irgendwie schon. Immerhin bekäme ich sonst vermutlich nur noch die Reste vom Sonntagsbraten ab, wenn ich nicht mitgekommen wäre.«

»Oder nur noch Socken und Haushaltsgeräte zu Weihnachten«, mutmaßte der Fremde.

»Oder müsste mir jede Woche anhören, warum ich noch nicht geheiratet habe«, führte sie weiter aus und fuhr erschrocken zusammen.

Dieses Detail war zu intim, um es einem Fremden zu verraten. Doch der blieb stumm und grinste nur, während er den Blick wieder nach vorne auf die Straße gerichtet hielt.

Um schnell vom Thema abzulenken, fragte sie: »Was glauben Sie, wie lange darin noch gejodelt wird?«

Der Mann zuckte die Schultern. »Noch zwei Stunden«, antwortete er.

»Woher wollen Sie das so genau wissen?«

Mehr aus Verlegenheit als aus Langeweile zog Merit eine weitere Zigarette aus ihrer Packung. Wie sehr sie Volksmusik verabscheute. Immer diese gespielte gute Laune, als gäbe es nichts anderes als Sonnenschein und Frühling. Da wurde ihr ganz schlecht.

»Habe die Band schon gestern gesehen«, antwortete der Mann.

Merit drehte sich überrascht nach ihm um und sah ihn spöttisch an. Er kam ein paar Schritte auf sie zu und bot ihr Feuer an. Als sie über die Flamme hinweg in seine Augen sah, erkannte sie, dass sie braun waren.

»Dann sind Sie also ein großer Fan, ja? Wenn Sie die Band gleich zweimal hintereinander sehen.«

Sie konnte sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen. Der Mann sah nicht so aus, als wenn er auf Volksmusik stand. Aber das taten die Bandmitglieder ja auch nicht. Die Kerle waren gerade mal um die vierzig. Wie sie da auf die Idee gekommen waren, sich der Volksmusik zu widmen, konnte Merit nicht nachvollziehen. Na ja, gut. Vielleicht spielten die Einnahmen eine entscheidende Rolle. Immerhin war die komplette Tour ausverkauft.

»Nee«, antwortete der Mann. »Ick arbeite nur hier.«

Erschrocken schlug sich Merit eine Hand vor den Mund.

»Oh Mist, gehören Sie zu der Crew? Ich wollte Sie nicht beleidigen oder so. Ich bin nur nicht so angetan von der Musik. Das ist wirklich alles. Aber meine Mutter ist total hin und weg von ihnen ...«

»Halt mal die Luft an, Kleine«, unterbrach er ihren Redeschwall. Dabei kam zum ersten Mal heraus, dass er im Berliner Dialekt sprach. »Ick bin als Veranstaltungstechniker für die Stadt angestellt. Mein fester Arbeitsplatz ist hier in der Halle.«

»Puh«, machte Merit und wischte sich mit dem Handrücken theatralisch über die Stirn. »Ich wüsste nicht, was ich schlimmer gefunden hätte. Dass ich Sie aus Versehen beleidigt hätte oder dass Sie einer von den Jodelheinis wären.«

»Wieso interessiert dich denn, wer ick bin?«, fragte er nun und sah keck zu ihr hinüber.

Nun fühlte sich Merit doch wieder in eine andere Zeit versetzt. Ein wenig in die Fünfziger. Mit der Zigarette zwischen den Lippen hätte er einem Rock'n'Roll-Star gleichkommen können. Fehlte nur noch, dass er seine Lederjacke holte und sie auf eine Spritztour auf seinem Motorrad mitnahm.

Nun konnte sie sich wirklich das Lachen nicht mehr verkneifen.

»Na ja«, sagte sie, kam jedoch nicht weiter.

»Na ja?«, wiederholte er.

»Ähm.«

»Ja?« Mit jedem Wort kam er ein Stückerl näher.

»Man muss ja wissen, mit wem man es zu tun hat«, antwortete sie lahm. Na super, Merit, schlagfertiger ging's wohl nicht?, dachte sie.

Das Gesicht des Mannes war nur wenige Zentimeter vor ihrem zum Stehen gekommen. Mit forschendem Blick sah er sie an. Sie spürte, wie ihr Herz wild zu klopfen begann.

Dann fragte er: »Lust auf eine Spritztour?«

***

Neun Monate später

Verfluchter Mist! Das waren Schmerzen direkt aus der Hölle!

»Schön pressen, Frau Langholm! Bald ist es geschafft.«

»Pressen Sie doch mal, wenn Sie das Gefühl haben, von innen heraus aufgerissen zu werden«, schrie Merit die Hebamme mit den kurzen blonden Haaren an.

Dann presste sie, glaubte aber, einen ausgewachsenen Elefanten in sich zu tragen, sodass sie wieder frustriert losließ.

»Und jetzt tief Luft holen und dann geht's weiter«, sprach die Hebamme motivierend auf sie ein.

Dabei wollte Merit nur eines. Ihre Ruhe. Und die Hebamme meucheln, damit sie mit ihrem scheinheiligen Getue aufhörte.

Während die Wehen Merit kurz zum Durchatmen kommen ließen, verfluchte sie Ben Zöller dafür, was er ihr angetan hatte. Mit seinem schiefen Grinsen und der verfluchten Narbe auf seiner Wange. Eine Nacht. Und was hatte sie davon? Die Schmerzen ihres Lebens.

»Und jetzt ganz fest pressen!«, befahl die Hebamme, und ihr Ton zeigte deutlich, dass sie nun keinen Widerspruch mehr duldete.

Merit tat wie befohlen. Sie presste. Sie spürte, wie der Schmerz aus ihrem Unterleib tiefer verlagert wurde.

Mit aller Kraft presste sie und versuchte zu ignorieren, was alles passieren könnte. Als sich zu ihrem eigenen Schrei ein weiterer gesellte, war sie erlöst. Erschöpft ließ sie sich in das Kissen sinken. Es war nass von ihrem Schweiß.

Ihre Augen suchten nach dem Elefanten, konnten jedoch nur ein kleines zappelndes Würmchen erkennen. Das Würmchen, das mit seinen winzigen Füßchen monatelang auf ihrer Blase Stepptanz geübt hatte. Dann liefen ihr Tränen über das Gesicht.

»Herzlichen Glückwunsch, Frau Langholm. Sie haben eine wundervolle kleine Tochter.«

Mit einem seligen Lächeln hielt die Hebamme das Baby so, dass Merit es anschauen konnte. Doch bevor sie es in ihre Arme gelegt bekam, wurde das Kind – ihr Kind – zunächst untersucht.

Merit konnte den Blick nicht abwenden. So verwundert war sie über das, was da gerade passiert war.

Eine Schwester erklärte ihr, dass sie nun noch mal wegen der Nachgeburt pressen müsste. Obwohl Merit alles nur noch wie aus einem Dämmerzustand mitbekam, folgte sie der Anweisung. Die Zeit, in der ihre Wunde genäht wurde, zog sich endlos lange dahin. Doch dadurch, dass sie lokal betäubt war, spürte sie die Stiche nicht.

»Und jetzt können Sie zwei sich erst mal kennenlernen«, sprach die Hebamme irgendwann und legte das kleine Bündel Mensch in Merits Arme. Sie drückte ihr Mädchen vorsichtig an ihren Körper.

Das Gesichtchen war völlig schrumpelig, weshalb die Nase wie eine winzige Knolle daraus hervorlugte. Die Äuglein waren so verquollen, dass Merit kaum die Augenfarbe der Kleinen erkennen konnte. Doch am erstaunlichsten fand sie die Händchen. Winzig klein und doch vollständig. Sanft reichte Merit ihrer Tochter den Zeigefinger, den das Baby reflexartig umschloss.

Zeit hatte keine Bedeutung mehr. Immer wieder gingen Schwestern ein und aus. War es eben ein Kinderarzt gewesen, der ihre Tochter untersucht hatte? Merit wusste es nicht mehr. Ihre Aufmerksamkeit galt nur noch dem kleinen Menschen in ihren Armen. Und gleichzeitig fühlte sie sich schmerzhaft allein.

Sie hatte Ben geschrieben, als die Wehen eingesetzt hatten. Und er hatte versucht, sie anzurufen. Aber da sie im Auto gewesen war, um zur Klinik zu fahren, hatte sie nicht abnehmen können. Und dann war alles so schnell gegangen, dass sie nicht mehr in der Lage gewesen war zu telefonieren.

Ihre Tränen der Erleichterung und der Freude vermischten sich nun mit den Tränen der Einsamkeit und des Bedauerns. Wie schön musste es sein, ein Kind zu bekommen, wenn man in einer Beziehung war? Wie magisch musste der Moment sein, wenn man von seinem Partner gehalten wurde, während das Kind das Licht der Welt erblickte? Merit würde es nie erfahren.

Ein Klopfen holte sie aus ihren Gedanken zurück. Nur einen Sekundenbruchteil später erschien das Gesicht ihrer Mutter in der Tür.

»Ist es schon da?«, fragte sie und begann ebenfalls zu weinen. Ihr Gesicht strahlte unbändige Freude aus.

»Hallo, Mama«, begrüßte Merit ihre Mutter. »Das ist Lia, eure Enkeltochter.«

Hinter Ingrid erschien auch Harald in der Tür. Beide traten schließlich ein, wobei Ingrid nur Augen für den Säugling hatte. Harald schloss leise die Tür. Merit schmunzelte, als sie sah, dass ihr Stiefvater wie auf Watte ging. Sorgfältig darum bemüht, keinen Laut zu erzeugen.

»Darf ich es mal halten?«, fragte Ingrid gerührt und deutete auf das Bündel.

Merit nickte. Mit ihren Augen verfolgte sie jede Bewegung ihrer Mutter. Harald stand unbeholfen in einiger Entfernung.

»Wo ist Theo?«, fragte sie ihn daher, um ihm die Befangenheit zu nehmen. Es funktionierte. Er trat näher und zog sich einen Stuhl heran.

»Beim Training«, antwortete er. Theo spielte seit vier Jahren Fußball. Sein Ziel war es, in die C-Jugend von Kiel Holstein zu kommen. In zwei Jahren hätte er dieses Ziel erreicht. »Und wo ist ...?«

Merit sah ihren Stiefvater an. Statt die Frage auszuformulieren, machte er ein schiefes Gesicht und deutete mit seiner Hand hinter sich auf die Tür. Die junge Mutter zog ihre Augenbrauen hoch.

»Du kannst ruhig seinen Namen sagen«, sprach sie zu ihm und lächelte über seine Verlegenheit.

Harald hatte ihr nie Vorwürfe gemacht, seit man wusste, dass sie ein Kind von einem Mann erwartete, mit dem sie nur eine Nacht verbracht hatte. Das rechnete sie ihm hoch an. Ihre Mutter dagegen hatte ihr oft genug Vorhaltungen gemacht. Monatelang hatten sich die Frauen deswegen gestritten. Erst in den letzten beiden Monaten hatte Ingrid es unterlassen, ihrer Tochter das Leben noch schwerer zu machen. Merit hoffte, dass es nach der Geburt von Lia nicht weitergehen würde. Sie wollte doch nur ihr kleines Mädchen großziehen. Notfalls auch allein.

»Weiß nicht, wie er heißt«, entschuldigte sich Harald schließlich.

Sie konnte es ihm nicht verübeln. Nun, da sie ihr Kind ohne jegliche Unterstützung zur Welt hatte bringen müssen, spürte sie die Enttäuschung selbst wie eine berauschende Welle, in der sie zu ertrinken drohte.

»Hampelmann! So heißt der Bandit, der meine Tochter geschwängert hat«, meldete sich nun auch Ingrid zu Wort, und ihr Gesicht stand in einem starken Kontrast zu ihren harschen Worten.

»Mama, bitte«, flehte Merit sie erschöpft an.

Doch dann wurde die Tür erneut geöffnet.

»Na, was machen Sie denn alle hier drin? Frau Langholm liegt doch noch gar nicht auf ihrem Zimmer.«

Die Schwester, die auch bei der Geburt dabei gewesen war, kam energisch auf das Bett zugelaufen. Sie sah die Besucher vorwurfsvoll an, sodass sich Merit instinktiv fragte, wie sich Ingrid Zutritt zum Kreißsaal verschafft hatte.

»Jetzt darf ich Sie bitten, den Kreißsaal zu verlassen. Wir bringen Frau Langholm gleich auf ihr Zimmer.«

Ingrid legte das Baby behutsam in die Arme ihrer Tochter und machte ein Gesicht, als würden sie sich nun für Jahre nicht mehr sehen. Dann gingen sie und Harald hinaus.

»Wie geht's Ihnen denn?«, wandte sich die Schwester nun an Merit.

Sie nickte nur, fühlte aber eine bleierne Müdigkeit. Ein Blick aus dem Fenster sagte ihr, dass es schon Abend war. Wie lange war sie bereits hier?