Das Berghotel 310 - Verena Kufsteiner - E-Book

Das Berghotel 310 E-Book

Verena Kufsteiner

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Beschreibung

An einem herrlichen Augusttag erhalten die Kastlers einen seltsamen Brief. Er stammt von der neunjährigen Lilly. Sie wünscht sich so sehr, ihren Geburtstag, der in zwei Wochen ansteht, mit ihrem Vater im schönen Berghotel zu verbringen. Ihr Brieffreundin Samantha will dann mit ihrer Mutter ebenfalls dort einchecken. Die beiden Mädchen haben sich nämlich im Geheimen einen Plan ausgedacht: Sie wollen Lillys Vater und Samanthas Mutter zusammenbringen. Doch als alle Beteiligten im Berghotel eingetroffen sind, wird schnell klar: So einfach ist die Sache nicht. Die frechen kleinen Kupplerinnen sind sehr verschieden - und eigentlich mögen sie sich nicht besonders. Außerdem ist da noch die schöne Schriftstellerin Beate. Sie zieht sich gern an einen stillen Ort im Hotelgarten zurück, denn seit einem Reitunfall hinkt sie. Finden am Ende alle das Glück, das sie sich wünschen?


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Inhalt

Cover

Zwei freche Kupplerinnen

Vorschau

Impressum

Zwei freche Kupplerinnen

Wie sie ihre Eltern ins Berghotel lockten

Von Verena Kufsteiner

An einem herrlichen Augusttag erhalten die Kastlers einen seltsamen Brief. Er stammt von der neunjährigen Lilly. Sie wünscht sich so sehr, ihren Geburtstag, der in zwei Wochen ansteht, mit ihrem Vater im schönen Berghotel zu verbringen. Ihre Brieffreundin Samantha will dann mit ihrer Mutter ebenfalls dort einchecken. Die beiden Mädchen haben sich nämlich im Geheimen einen Plan ausgedacht: Sie wollen Lillys Vater und Samanthas Mutter zusammenbringen. Doch als alle Beteiligten im Berghotel eingetroffen sind, wird schnell klar: So einfach ist die Sache nicht. Die frechen kleinen Kupplerinnen sind sehr verschieden – und eigentlich mögen sie sich nicht besonders. Außerdem ist da noch die schöne Schriftstellerin Beate. Sie zieht sich gern an einen stillen Ort im Hotelgarten zurück, denn seit einem Reitunfall hinkt sie. Finden am Ende alle das Glück, das sie sich wünschen?

Der Chefkoch des Sporthotel Am Sonnenhang im Tiroler Zillertal trat ins Freie und schaute auf den wolkenlosen Himmel. Was die Gäste des Hotels freute – heute war wieder einmal ein herrlicher Augusttag, die Sonne strahlte nur so vom blitzblauen Himmel –, ließ Leo Hofbacher aufstöhnen. Er hatte den ganzen Vormittag knusprige Schnitzeln herausgebacken, ihm stand der Schweiß auf der Stirn, und er hätte sich sehr über ein kühles Lüfterl gefreut.

Natürlich waren die »Hundstage« hier in den Bergen besser zu ertragen als sonst wo. Es war warm genug zum Baden und Faulenzen, aber auch nicht zu heiß. Gerade kehrten die ersten Wanderer wieder von ihren Touren zurück. Eine ältere Dame grüßte den Koch mit freundlichem Winken.

»Danke für den guten Tipp, Herr Chefkoch! Mein Mann und ich haben den Ausflug zum Hexenstein sehr genossen. Da hat sich das frühe Aufstehen allemal ausgezahlt. Jetzt haben wir uns Ihr köstliches Menü aber mehr als verdient!«

Leo, der wusste, dass die Dame jede Art von deftigen Suppen mochte, während ihr Mann ein richtiger »Mehlspeistiger« war, lachte.

»Für Sie gibt es heute eine Leberknödelsuppe, Frau Wannstein, danach haben wir ein gutes Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat oder wahlweise Gemüselaibchen, zu denen wir die Zutaten gerade erst frisch in unserem Bauerngartl geerntet haben. Einen saftigen Schweinsbraten mit Kraut haben wir auch vorbereitet. Und als Nachspeise«, er nickte zu Herrn Wannstein, der sich schon die Lippen leckte, »da gibt's Topfenstrudel mit Vanillesauce. Oder Pfirsichknödel.«

»Oder beides«, stellte Herr Wannstein fest und rieb sich den wohlgenährten Bauch.

Seine Frau schaute zuerst streng, dann lachte sie auch.

»Nach unserer sportlichen Betätigung können wir uns jetzt wirklich getrost die Mägen vollschlagen.«

Die beiden betraten das Hotel, um sich auf ihrem Zimmer schnell noch frisch zu machen.

Leo sah ihnen lächelnd nach und wandte sich dann an seinen Chef, Andreas Kastler, der gerade beim Eingang ein paar Worte mit der Postbotin gewechselt hatte und nun mit ein paar Briefen in der Hand zur Terrasse schlenderte.

Andi deutete nach oben. »Bestes Sommerwetter«, sagte er zu Leo. Dann sah er dessen schweißglänzendes Gesicht. »Bist du fürs Erste fertig, Leo? Dann leg dich doch noch ein Stunderl in den Schatten. Hedi hat unseren Azubi, den Stefan, gerade nach hinten geschickt, frische Limonade zu machen. Er soll der Frau Briefträgerin ein Glas davon bringen, denn die hat heute noch eine weite Tour vor sich und soll uns ja net wegschmelzen.«

»Das ist eine gute Idee, Andi. Wenn man die ganzen Weiler und verstreuten Bauernhäuser dazurechnet, ist unser St. Christoph ganz schön weitläufig. Ich schau wieder in die Küche und erledige die letzten Vormittagsarbeiten fürs Mittagessen, dann werde ich vielleicht wirklich unter einem Baum ein kleines Schläfchen machen.«

Andi nickte ihm zu, war aber mit seinen Gedanken schon ganz woanders. Nachdenklich wog er einen der Briefe in der Hand und schaute immer wieder auf die mit krakeligen Buchstaben geschriebene Adresse. Er beschloss, den Brief gemeinsam mit seiner Frau Hedi zu öffnen, die liebte nämlich alles Außergewöhnliche.

Hedi saß im Büro und studierte die Abrechnungen des vergangenen Monats. Ihre blonde Haarpracht saß dabei wie eine Krone oben auf dem Kopf. Andi fand es entzückend, wie seine Hedi ihre Nase krauszog, wenn sie sich so konzentrierte. Aber das hätte er freilich nie ausgesprochen, denn Hedi war eine eitle Person. Unter allem Umständen wollte sie diverse Gesichtsfalten so lange wie möglich vermeiden. Hätte sie von ihrem Nasenkräuseln gewusst, dann würde sie sich diese Marotte schleunigst abgewöhnen. Und das wäre in Andis Augen äußerst schade gewesen.

»Schau einmal, Spatzl, die Post ist gekommen«, sagte er und legte den seltsamen Brief obenauf.

Sofort griff Hedi danach.

»Was ist denn das für eine komische Handschrift?«, murmelte sie und kräuselte schon wieder ihre Nase.

Andi musste schmunzeln. Seine Frau war eine stattliche Person, eine dralle Mittvierzigerin mit einem wohlgeformten, üppigen Körper. In ihren prächtigen Dirndlkleidern und mit der rustikal-eleganten Kranzlfrisur sah sie nicht wie ein junges Madl aus, sondern wie das, was sie war: eine herzliche, kluge, manchmal ein wenig resche Geschäftsfrau. Genau das gefiel Andi so an ihr. Aber wenn sie beim Lesen grimassierte, war noch das junge Ding von damals zu erkennen, in das sich Andi seinerzeit verliebt hatte. Schnell drückte er ihr ein Busserl ins Haar.

Hedi griff sich an den Kopf und richtete das verschobene, hellblonde Kranzl gerade. Aber sie schenkte ihm ein herzliches Lächeln. Dann widmete sie sich wieder ihrer Lektüre.

Beim Lesen hellte sich ihr Gesicht auf. »Jetzt verstehe ich, warum die Briefmarke so schief auf dem Kuvert klebt und die Buchstaben nur so herumtanzen«, sagte sie schmunzelnd. »Der Brief kommt von einem Kind. Einem ziemlich klugen Kind, würde ich sagen, denn die Kleine ist erst neun Jahre alt.«

Andi versuchte sich zu erinnern, ob er mit neun Jahren schon Briefe geschrieben hatte, und er war sich ziemlich sicher: Nein. Er hatte damals mehr Zeit auf dem Fußballplatz verbracht als mit Büchern, schließlich war sein Berufswunsch »Torschützenkönig bei der Fußballweltmeisterschaft« gewesen und nicht »Hoteldirektor«.

»Hör zu«, sagte Hedi und begann zu lesen, ein bisschen stockend manchmal, wenn sie erst Buchstaben zusammenordnen und Wörter erraten musste:

Liebes Hotel!

Ich heiße Lilly Schreiner und wohne mit Papa in Wien. Meine Brieffreundin Samantha hat vor langer Zeit bei euch ihre Ferien verbracht und sagt, es ist schön. Ich will Papa überreden, herzufahren, aber er denkt nicht daran. Samantha will dann auch kommen. Mein Papa ist immer so allein und Samanthas Mama braucht einen neuen Freund, denn der alte ist doof. Können Sie mir einen Klo..., Hedi stockte, lächelte und las das Wort dann, wie es geschrieben war: einen »Kloprept« schicken, den lasse ich dann am Küchentisch liegen. Dann sieht ihn mein Papa, und wir kommen nach Tirol. Ihre Lilly Schreiner! – Darunter steht noch eine Zeile: neun Jahre alt. Und darunter steht: In zwei Wochen habe ich Geburtstag! Und noch eine Zeile tiefer: Schmalzhofgasse. Und darunter steht noch ein Wort: Bitte und darunter steht noch eines: Danke! – Was hältst du davon, Andi?« Hedi hatte den Brief in den Schoß sinken lassen, und jetzt sah sie ihren Mann fragend an. »Hat sich da jemand einen Scherz mit uns erlaubt?«

Andi schüttelte den Kopf. »Nein, das glaub ich net. Das klingt genauso, wie ein aufgewecktes Mäderl reden würde. Was ist ein Kloprept?«, fragte er nachdenklich.

»Ich denke, sie meint einen Prospekt. Anscheinend hat sie da ein paar Buchstaben durcheinandergebracht. Die Kleine kommt mir vor wie ein Kind, das seine Abenteuer nur in Büchern erlebt.«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Ich weiß auch net. Ist nur so eine Idee. Sie drückt sich ein bisschen altklug aus und verwendet Fremdwörter, die sie offenbar nur gelesen, nie verstanden hat. Egal. Ich schicke ihr natürlich einen ›Kloprept‹.« Hedi schmunzelte.

»Ich frage mich, welche Freundin vor langer Zeit einmal bei uns war. Hoffentlich ist das nicht zu kompliziert herauszufinden.«

»Aber geh! Das kann sich maximal um zwei bis drei Jahre handeln. Für Neunjährige ist das schon ein ganzes Erdzeitalter!«

»Du hast recht. Weißt du was, Spatzl, ich suche die Adresse dieser Samantha heraus, und wir schicken beiden frechen Kupplerinnen einen Klo..., einen Prospekt.«

»Allerdings ...«, murmelte Hedi und kräuselte schon wieder ihre Nase. »Das Kind hat weder Postleitzahl, noch Hausnummer dazugeschrieben ...«

»Lass mich nur machen«, sagte Andi und zog, noch während er sprach, den Schreibtischstuhl hinter dem zweiten Arbeitsplatz hervor. »Du weißt ja, dass an mir ein Detektiv verloren gegangen ist! Ich finde die Adresse dieses Mädchens heraus. Und weißt du, wie wir ihren Papa überzeugen können, dass es sich lohnt, hierherzufahren?«

»Ich hab so eine Idee«, lächelte Hedi, »aber sag!«

»Wir legen dem Prospekt ein Brieferl bei und bieten für Geburtstagskinder ein kleines Überraschungsprogramm an. Das sollte den Herrn Schreiner wohl überzeugen!«

»Und woran hast du gedacht?«

»Darüber zerbreche ich mir in zwei Wochen den Kopf!«

Der »Detektiv« leistete ganze Arbeit. Eine Stunde später hatte Andi nicht nur die genaue Wiener Adresse von Paul Schreiner, Goldschmied, herausgefunden, sondern auch jene von Samantha Bischof und ihren Eltern, die in Hamburg lebten.

»Ich erinnere mich wieder an diese Leute«, sagte Hedi stirnrunzelnd.

»Von wem redet ihr?« Gerda Stahmer, die den Vormittag hinter der Theke der Rezeption verbracht hatte, lehnte sich gegen den Türrahmen des Büros. Die Sonne schien dabei auf ihr fein geföhntes, brünettes Haar und brachte es zum Strahlen. Auch Gerdas elegantes Sommerkleid, das in Gelb und Orange gehalten war, leuchtete im hellen Schein.

»Hella und Jens Bischof sowie Tochter Samantha, sieben Jahre«, las Andi aus den alten Notizen in seinem Computer. »Familienzimmer im ersten Stock, Mutter: Tennis, Vater: Bergsteigen.«

»Mutter: Tennis, Vater: Bergsteigen«, knurrte Hedi. »Das ist wirklich nur eine Randnotiz. Das waren die beiden, die ununterbrochen gestritten haben, erinnerst du dich, Gerda?«

Diese ließ sich nun auch auf ihren Schreibtischstuhl fallen, streckte die Beine aus und schlüpfte für ein paar Minuten aus ihren hochhackigen Schuhen.

»Ahhh«, stöhnte sie erleichtert, dann wandte sie sich ihrer Chefin und Freundin Hedi zu: »Schrecklich war das. Das arme Kind hat uns mit seiner Langeweile terrorisiert. Ich war in jenen Tagen hin- und hergerissen zwischen Ärger und Mitleid.«

»Ich erinnere mich jetzt auch«, gestand Andi. »Die Kleine war schon mit sieben Jahren eine fürchterliche Zicke. Ich habe mich so um sie bemüht, aber man konnte ihr nichts recht machen. Na, ich weiß net, ob ich die noch einmal wiedersehen mag!« Er schob den Zettel, auf dem er die Hamburger Adresse notiert hatte, von sich.

»Doch, Andi. Weil die Eltern inzwischen wohl zu einer Lösung gefunden haben werden!«, sagte Hedi energisch. »So wie damals –, das war ja kein Dauerzustand. Lilly Schreiners Brief zufolge lebt die Frau jetzt allein. Also haben sich die beiden Streithansln wohl scheiden lassen. Ehrlich gesagt würde es mich schon interessieren, was da passiert ist und wie sich das Mädchen entwickelt hat.«

Andi tauschte einen verzweifelten Blick mit Gerda, die in diesem Punkt sicher seiner Meinung war. Er verspürte wenig Lust auf die schadenfrohen Streiche dieses Mädchens, die nie wirklich lustig gewesen waren. Doch auch, wenn es »zwei gegen eine« stand, war die Sache schon entschieden. Am Ende hatte Hedi nämlich immer das letzte Wort.

Mit resoluten Handgriffen schob sie je einen Prospekt und eine hübsche Ansichtskarte vom Hotel in zwei Kuverts. Sie schrieb auf die eine der beiden Ansichtskarten noch ein paar Zeilen – das war jene für Lilly und ihren Vater Paul –, adressierte sie und legte sie auf den Stapel für die ausgehende Post.

***

»Sag, Lilly, hast du heute etwa schon die Post hereingeholt?« Paul Schreiner, ein großer, schlanker Mann, Ende dreißig, schaute verwundert auf den Esstisch im Wohnzimmer, der nicht nur feierlich gedeckt war, sondern auf dem auch noch ein Stapel Briefe lag. Seine ein wenig zu langen, dunklen Haare waren zerzaust, anscheinend hatte er sich, wie es seine Angewohnheit war, den Kopf gerieben, ohne es zu bemerken.

»Du weißt ja, Papa, dass mir ein bisserl langweilig ist, jetzt, wo die Sommerferien schon so lange dauern ...«, sagte das kleine, ein wenig pummelige Mädchen mit dem dunkelbraunen Lockenkopf und strich mit höchster Konzentration Marmelade auf ihr Butterbrot.

Die gesenkten Augen und die hochroten Wangen waren jedoch ein eindeutiges Indiz dafür, dass die Kleine etwas im Schilde führte. Paul Schreiner hätte das sofort bemerkt, wenn – ja, wenn er seine Tochter genauer angeschaut hätte. Aber er war müde. An diesem Augusttag wäre er eigentlich lieber nachmittags mit Lilly ins Freibad gegangen – er hatte es ihr auch vage versprochen gehabt. Stattdessen hatte er sich über den Entwurf einer Brosche verzettelt. Seine Kundin, Frau Hohenstein, die vor einer Woche die Bestellung aufgegeben hatte, war nicht zufriedenzustellen. Sie konnte sich weder für den Stein, noch für die Form des Schmuckstücks entscheiden – Paul arbeitete seit Tagen daran, ihre ständig wechselnden Ideen umzusetzen. Am Ende würde die Hohenstein wahrscheinlich noch um den Preis feilschen. Ach, er kannte solche Kunden, denen man es nicht recht machen konnte.

Doch weil der Goldschmied Paul Schreiner nun einmal für seine außergewöhnlichen Kreationen bekannt war, kamen immer genau solche Leute zu ihm. Als wollten sie ihn quälen! Die ließen ihn nicht einfach tun – oh, er hatte ein paar wirklich gute Ideen für diese Brosche! Nein, die verlangten erst einmal, dass er ihre Sonderwünsche erfüllte, von denen einer seltsamer war als der andere. Erst wenn die Leute dann selbst erkannten, dass die Entwürfe in ihren Köpfen besser ausgesehen hatten als in Wirklichkeit, ließen sie ihm freie Hand. Und waren am Ende jedes Mal begeistert und nannten ihn einen »Meister«, einen »Künstler« und ein »Genie«.

Dabei war es, so dachte Paul bescheiden, nur die Kombination aus Fantasie und Handwerk. Von Ersterer besaß er eine Menge, und Zweiteres beherrschte er nun einmal gut. Das Problem war, dass der Goldschmied mit diesen zickigen Personen einfach zu gutmütig war. Und so war er heute nicht mit Lilly ins Schwimmbad gegangen, sondern hatte Stunden vor seiner Werkbank und dem Schreibtisch gesessen und an der Brosche getüftelt.

»Was hast du denn heute gemacht, Lilly?«, erkundigte er sich mit einem Anflug schlechten Gewissens.

»Ich habe gelesen! Stell dir vor, Pippi Langstrumpf ...«

Paul unterbrach das Kind mit einem schweren Seufzen.

»Ich wünschte, du würdest selbst rausgehen und etwas erleben«, sagte er leise. »Du hättest doch auch ohne mich ins Freibad gehen können. Deine Freundinnen waren heute alle dort, und Lottas Mutter hat mir angeboten, dich mitzunehmen ...«

»Das sind nicht meine wirklichen Freundinnen, Papa«, sagte Lilly bestimmt. »Glaub mir, es war viel schöner, daheim zu bleiben und zu lesen!« Dann schien ein Gedanke in dem Kind aufzublitzen, Lilly legte ihre Hand auf den Stapel von Briefen und zog eine Karte hervor, schob sie, scheinbar zufällig zu ihrem Vater hinüber. »Aber eigentliiiiich«, begann sie gedehnt, »eigentlich fände ich es schön, mit dir eine Woche zu verreisen. In die Berge zum Beispiel ...«

»In die Berge? Du? Willst du etwa wandern?«, fragte Paul erstaunt.