Das Berghotel 317 - Verena Kufsteiner - E-Book

Das Berghotel 317 E-Book

Verena Kufsteiner

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Beschreibung

Kaum einer ist romantischer veranlagt als Buchhändlerin Jule. Doch mit fast dreißig fehlt ihr immer noch der geeignete Mann für echte Romantik in ihrem Leben. Stattdessen flüchtet sie sich in fiktive Geschichten, liest Liebesromane und schaut Weihnachtsfilme zu jeder Jahreszeit. Auch zu ihrem runden Geburtstag plant sie daher genau das: einen Filmabend mit ihren besten Freundinnen - und das nicht irgendwo, sondern im Winterurlaub in den Bergen!
Doch statt sich wie geplant nach einem schönen Wellnesstag mit Jule vor den Fernseher zu kuscheln, verbringen die Freundinnen den Abend lieber mit ein paar gleichaltrigen Männern, die sie im Berghotel kennengelernt haben.
Als Jule sich von ihrer ungewollten Geburtstagsparty verabschiedet, begegnet sie dem charmanten Ragnar, der ebenfalls Gast im Berghotel ist und achtzehn Jahre älter ist als sie. Als sie ihm von ihrer Enttäuschung erzählt, verbringt er den Filmabend mit ihr - und es wird so romantisch, wie sie es sich nicht hätte erträumen können! Doch als er ihren vollen Namen erfährt, verschwindet der Märchenprinz schneller wieder, als Jule lieb ist...

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Inhalt

Cover

Der 30. Geburtstag

Vorschau

Impressum

Der 30. Geburtstag

Drei Freundinnen und ihr schicksalhafter Urlaub im Berghotel

Von Verena Kufsteiner

Kaum einer ist romantischer veranlagt als Buchhändlerin Jule. Doch mit fast dreißig fehlt ihr immer noch der geeignete Mann für echte Romantik in ihrem Leben. Stattdessen flüchtet sie sich in fiktive Geschichten, liest Liebesromane und schaut Weihnachtsfilme zu jeder Jahreszeit. Auch zu ihrem runden Geburtstag plant sie daher genau das: einen Filmabend mit ihren besten Freundinnen – und das nicht irgendwo, sondern im Winterurlaub in den Bergen!

Doch statt sich wie geplant nach einem schönen Wellnesstag mit Jule vor den Fernseher zu kuscheln, verbringen die Freundinnen den Abend lieber mit ein paar gleichaltrigen Männern, die sie im Berghotel kennengelernt haben.

Als Jule sich von ihrer ungewollten Geburtstagsparty verabschiedet, begegnet sie dem charmanten Ragnar, der ebenfalls Gast im Berghotel ist und achtzehn Jahre älter ist als sie. Als sie ihm von ihrer Enttäuschung erzählt, verbringt er den Filmabend mit ihr – und es wird so romantisch, wie sie es sich nicht hätte erträumen können! Doch als er ihren vollen Namen erfährt, verschwindet der Märchenprinz schneller wieder, als Jule lieb ist...

Die Jeans? Hatte sie. Pullover? Alle im Koffer. Sportsachen, falls sie mal ins Fitnessstudio gehen sollten? Die lagen ganz unten. Unterwäsche, Socken, Kuschelpyjama – alles eingepackt.

Jule atmete tief durch, als sie die Liste mit allen Habseligkeiten für den bevorstehenden Urlaub beiseitelegte. Mit einem zufriedenen Surren glitt der Reißverschluss ihres Koffers zu. Alle Punkte auf der Liste waren abgehakt. Jetzt blieb ihr nur noch ein Blick auf die Uhr. Neun Uhr dreißig. In wenigen Minuten würden Franzi und Kerstin hier sein. Franzi fuhr, weshalb es nicht verwunderte, dass sie sich verspäteten.

Jule hob das Gepäck von ihrem Bett. Die Daunendecke darunter zeigte einen Abdruck des Koffers, sodass sie gewissenhaft einmal mit der Hand über die Decke strich. Sie liebte ihr kleines Häuschen am Rande von Köln. Gerade hier in der Großstadt war Wohnraum so teuer, dass sie ihr Heim umso mehr zu schätzen wusste. Dass sie daher pfleglich, vielleicht sogar penibel darauf achtete, dass alles hübsch darin aussah, erschien ihr wie eine logische Konsequenz.

Gerade als sie einen Blick durch das mit Regentropfen benetzte Fenster warf, blinkte ihr Smartphone auf. Jule tippte auf den abgebildeten grünen Hörer.

»Ich komm raus«, lachte sie, ohne eine Begrüßung ihrer Freundin Kerstin abzuwarten. Dann legte sie auf.

Schnell huschte sie in den Flur, wo sie sich einen Mantel überwarf. Mütze und Schal hatte sie bereits im Koffer verstaut. Dann stieg sie in ihre Stiefel und hängte sich ihre Handtasche um. Zurück im Schlafzimmer griff sie nach ihrem Koffer. Doch bevor sie ihr Haus für einen zweiwöchigen Urlaub in St. Christoph verließ, ging sie noch mal in jedes Zimmer, um einen letzten Blick hineinzuwerfen. Alle Fenster waren geschlossen. Die Elektrogeräte waren ausgeschaltet. Mit einem freudigen Kribbeln im Bauch ging sie schließlich in den Flur. Dort lächelten ihre Eltern ihr von einem Foto entgegen. Jule lächelte zurück.

»Tschüss, Mama! Tschüss, Papa«, flüsterte sie, küsste ihre Finger und legte sie schließlich auf das Bild.

Kurze Wehmut drohte, die Vorfreude zu verdrängen. Doch als Jule die Haustür öffnete und Franzi mit einem aufgeregten Hupen andeutete, sich zu beeilen, verflog diese schon wieder.

Urlaub! Nach zwei Jahren endlich noch mal verreisen. Auch, wenn Jule Bäumer für ihren 30. Geburtstag andere Pläne gehabt hatte, war sie sich sicher, dass er in diesem kleinen Dorf in Tirol ein wahres Erlebnis sein würde. Wie konnte es anders sein?

***

»Anderl? Telefon!« Die Stimme von Andi Kastlers Ehefrau Hedi drang bis zu ihm in die obere Etage durch.

Fluchend legte der Hotelchef den Rasierer auf das Waschbecken. Ein kleiner Blutstropfen erschien an seinem Kinn.

»Himmel Herrgott! Wer ruft denn so früh an?«, schimpfte er, mehr zu sich selbst.

»Anderl? Komm mal herunter! Der Franz ist am Apparat.«

Manchmal glaubte er, dass seine Frau durch Wände hören konnte. Oder hellsehen. Vielleicht hatten aber auch einfach die vielen glücklichen Ehejahre dazu geführt, dass sie immer schon den Schritt des anderen voraussagen konnten.

»Ich komm fei, Spatzl. Nur keine Hektik am frühen Morgen!«

Mit sicheren Schritten und das Gesicht noch zur Hälfte mit Rasierschaum bedeckt eilte Andi die Treppe hinunter. Dabei hinterließ jede Stufe ein knarrendes Geräusch, wie nur alte Holztreppen es konnten. Das mochte er besonders. Dass alles in ihrem kleinen Häuserl an Gemütlichkeit erinnerte.

Hedi stand mit dem Hörer in der Hand in der Küche und goss gerade zwei Haferl voll Kaffee. Hinter ihr war das Fensterl beschlagen, weil Hedi zum Frühstück Eier gebacken hatte.

»Und wie geht's der Ophelia? Mei, was hab ich die lange net mehr gesehen«, redete die Frau mit den goldglänzenden Haaren und schien in ein Gespräch mit seinem alten Freund Franz vertieft zu sein. »Ah, du, der Anderl ist gerade gekommen. Ich geb ihn dir. Und bestell der Ophelia ganz liebe Grüße von mir ... Mei, ihr müsst's uns aber besuchen kommen, gell ... Ja ... Freilich ... Mach ich doch immer ... Also dann ... Pfiat di!«

Andi wartete geduldig, bis seine Frau alle Abschiedsformeln ausgesprochen hatte, bevor er die Hand nach dem Hörer ausstreckte.

»Franz? Hast du Langeweile, dass du mich jetzt schon in den Morgenstunden anrufen musst?«, scherzte der Hotelchef und freute sich ungemein, die Stimme seines fernen Freundes zu hören.

Er hatte Franz Weidinger während seiner Ausbildung kennengelernt. Das war bereits eine halbe Ewigkeit her. Seitdem hatten die Männer Kontakt gehalten. Auch wenn sie es nicht schafften, sich regelmäßig zu treffen, blieben sie sich gegenseitig treu, riefen einander an oder schrieben sich Nachrichten übers Handy.

»Na, du alter Sauhund. Ich hab's vor Sehnsucht nach dir nimmer aushalten können. Weißt du doch«, konterte Franz zurück und ließ denselben Schelm in seiner Stimme erkennen, den er bereits als junger Bub gehabt hatte.

»Das hätte ich mir auch denken können, dass die Ophelia irgendwann die Nase gestrichen voll von dir hat. Aber du, ich bin da kein Ersatz für deine Frau.«

Andi Kastler sah, wie seine Hedi dramatisch mit den Augen rollte und ihren Kopf schüttelte. Zu oft hatte sie schon solch einen Schlagabtausch unter den Männern beobachtet. Anfangs noch schockiert, hatte sie schnell erkannt, dass die beiden Haudegen nur scherzten. Mittlerweile hatte sie nichts als ein müdes Lächeln für sie übrig.

»Jetzt mal Spaß beiseite, Andi«, wurde Franz nun ernster, »ich hab wichtige Neuigkeiten für dich. Oder vielmehr für euch.«

»Nun sag schon, was los ist. Sonst mach ich mir noch Sorgen«, antwortete Andi und horchte auf die Stimme seines Freundes.

Als dieser den Grund seines frühen Anrufs genannt hatte, wurde Andi Kastler ganz still. Er wusste, dass sich alles verändern würde, wenn er Hedi von der Neuigkeit erzählte. Die Hölle würde losbrechen.

»Franz, ich danke dir! Auch wenn ich gar net wissen will, wie du das herausbekommen hast. Weißt du, wie er aussieht? ... Ah, net, in Ordnung ... Aha ... Mei, da schau her ... Aha ... Mach ich, Franz ... Du auch! Pfiat di!«

Nachdem Andi aufgelegt hatte, wagte er, den ungeduldigen Blick seiner Frau zu erwidern. Mit dem gefüllten Brötchenkorb in der Hand stand sie vor ihm und wartete mit großen Augen darauf, dass er sprach.

»Anderl, wie lang willst du mich noch auf die Folter spannen?«, platzte es schließlich aus ihr heraus.

Als könnte sie die Anspannung nicht weiter aushalten, fuhr sie fort, den Frühstückstisch zu decken. Köstliche Marmeladen wurden ebenso auf das Holztischerl gestellt wie das Kräutersalz, das Andi so gern mochte. Gerade zu gebackenen Eiern schmeckte es besonders gut.

»Hedi, du musst jetzt stark sein«, begann der gestandene Mann, der wusste, was nun auf ihn zukommen würde. Bei den Worten verharrte Hedi in ihrer Bewegung. »Kannst du dich noch daran erinnern, als du gestern Abend gesagt hast, wie sehr du dich darauf freust, dass der Hochbetrieb erst in zwei Wochen losgeht?«

»Freilich. Ich bin doch net deppert. Aber nun sag schon, was los ist. Langsam machst du mir Angst«, bat sie ihn. Vorsichtshalber zog sie einen Stuhl heran, auf den sie sich setzte.

»Spatzl, ich glaube, ganz so ruhig wird's nun doch net«, gab Andi zu bedenken.

»Doch net?«, wiederholte sie in Erwartung eines großen Unglücks.

»Na. Der Franz, der gerade angerufen hat ...«

»Mei, nun hör aber auf mit dem Schmarrn, und sag schon, was los ist. Du machst mich ganz narrisch, Anderl!«, polterte seine Frau los und schoss sogleich wieder von dem Stuhl hoch.

Wie ein Wirbelwind huschte sie zu Schubladen und Schranktüren, um das Geschirr und Besteck fürs Frühstück zu holen. Mit einem lebhaften Klappern wurde alles auf das Tischerl gestellt, bis sie sich selbst hinsetzte und sich eine herrlich duftende Semmel aus dem Brotkorb nahm.

»Ja, Herrschaftszeiten, man darf jawohl noch kurz darüber nachdenken können, wie man seiner Frau schonend beibringt, dass ...«, setzte Andi an und nahm sich ebenfalls eine Semmel aus dem Korb.

»Anderl«, warnte Hedi ihn, grinste allerdings dabei, sodass er auch nicht mehr ernst bleiben konnte.

»Da ist ein Hotelkritiker unterwegs zu uns«, offenbarte er schließlich.

Er griff nach der Brombeermarmelade. Die Beeren hatte er dafür im letzten Sommer selbst gepflückt. Vierzehn Gläser hatte Hedi davon einkochen können.

Erst als er kräftig in seine Semmel biss, wurde ihm bewusst, dass Hedi verstummt war.

»Mei, jetzt mach dich net verrückt. Das wird schon werden, Spatzl«, sprach er beruhigend.

Doch er wusste, dass keine Worte die Macht besaßen, seine Frau in solch einer Angelegenheit zu beruhigen.

»Ein Hotelkritiker, Anderl? Und der ist schon unterwegs zu uns?«, fragte sie noch einmal nach. Er nickte. »Aber das würde bedeuten, dass wir überhaupt keine Zeit mehr haben, uns darauf vorzubereiten. Jessas Maria, was das bedeutet!«

Schon sprang Hedi ein weiteres Mal von ihrem Stuhl auf. Sie griff zu dem Telefon und wählte eine Nummer, die sie freilich auswendig kannte.

»Gerda? Gut, dass ich dich erreiche. Du musst sofort zum Leo gehen und ihm sagen, dass er die Menükarte für die gesamte Woche umstellen muss. Ja, alles. Und dann müssen die Zimmermadeln noch durch die Gästezimmer und alles wischen, was net glänzt. Und sag der Rosi, dass wir unbedingt ihren gedeckten Apfelkuchen brauchen ...«

Andi beobachtete seine Frau, wie sie mit wehendem Dirndl die Küche verließ und Anweisungen in den Hörer gab, die ihm auf die Schnelle nicht eingefallen wären. Seine Hedi war eben ein Organisationstalent.

Als er einen Schluck von seinem Kaffee nahm, blieb ein wengerl von dem Rasierschaum an dem Haferl hängen. Rasieren musste er sich fei auch noch. Na, das würden ein paar turbulente Tage werden.

***

»Wow!« Das war Kerstins Fazit, als sie den Wagen geparkt hatten und nun aus dem Autofenster das im alpinen Stil gehaltene Gebäude anblickten. Wie eine stolze Königin thronte das Berghotel in majestätischer Schönheit vor ihnen. Holz und Glas. Eine riesige Panoramaterrasse. Alles eingebettet in die weißen Daunen der gewaltigen Schneedecke.

Die drei jungen Frauen machten den Eindruck, als wären sie vom Anblick ihrer vorübergehenden Wohnstätte eingeschüchtert.

»Das trifft es ganz gut«, gab auch Franzi zu. Dann drehte sie sich mit einem breiten Grinsen zu Jule um, die auf der Rückbank saß. »Das wird so toll werden, Mädels! Ich wusste, dass es die richtige Entscheidung war, in die Berge zu fahren. Auf Mallorca wäre es jetzt eh noch nicht richtig warm.«

Jule lächelte zurück, schaute dann aber wieder auf das Hotel. Bei dem Anblick konnte sie gar nicht anders, als ihrer gut gelaunten Freundin zuzustimmen.

»Wenn das drinnen auch so aussieht, kann überhaupt nichts mehr schiefgehen«, befand Kerstin. Die Frau, deren Locken ihr Gesicht wie eine Kapuze umrahmten, klopfte sich schließlich auf die Schenkel. »Also, worauf warten? Aussteigen, Mädels!«

Da sich die drei Freundinnen einig waren, dass sie nachher damit beschäftigt sein würden, sich das Hotel und die Umgebung anzuschauen, nahmen sie gleich ihr Gepäck mit. Jule hatte nie verstehen können, warum Franzi einen SUV fuhr. Jetzt, wo sie die Koffer sah, änderte sich das.

»Ich will auf jeden Fall in die Sauna«, träumte Kerstin, als sie sich dem Eingang des Berghotels näherten. Der Schnee unter ihren Stiefeln knirschte. Das erinnerte Jule an die Atmosphäre von Weihnachtsfilmen.

»Und ich gönne mir eine Massage mit Rosenöl. Das soll hier ein richtiger Geheimtipp sein«, schwärmte Franzi. »Was hast du dir vorgenommen, Julchen?«

Jule sah auf den Boden. Sie beobachtete, wie ihre Füße Spuren im Schnee hinterließen.

»Ich hab mir eigentlich gar nichts vorgenommen«, gab sie zu. »Ich wollte mich überraschen lassen.«

Gebucht hatten die Freundinnen gemeinsam. Es war ein verregneter Mittwochabend gewesen. Sie hatten einen Mysteryfilm geschaut und dabei Lasagne gegessen. Da der Film vor einer winterlichen Kulisse gespielt hatte, war Franzi auf die Idee gekommen, einen Urlaub in den Bergen zu verbringen. Kerstin war für ein wärmeres Urlaubsziel gewesen. Doch als sie beim Stöbern im Internet auf das Sporthotel »Am Sonnenhang« gestoßen waren, war die Entscheidung schnell gefallen. Und hier waren sie nun. Und schenkten ihrer Freundin Jule das, was ihre Mutter nicht mehr konnte.

»Weißt du was?«, meinte Kerstin und trat neben ihre Freundin, der sie einen Arm um die Schultern legte. »Ich glaube, du machst das genau richtig.«

Lachend gingen die Freundinnen auf die Eingangstür zu. Jule legte eine Hand auf den großen Türgriff, als die Tür plötzlich aufgezogen wurde. Kurz geriet sie ins Straucheln, als sie mit der Tür nach innen gezogen wurde. Doch dann sah sie sich einem Mann gegenüber, der sie um mindestens einen Kopf überragte. Ein überraschter Ausdruck erschien auf dem Gesicht des Mannes, dessen elegante Kleidung kaum zur Umgebung passte. Er trug einen anthrazitgrauen Anzug mit einer passenden Weste unter dem Jackett. Jule hatte gedacht, dass sich während dieser Jahreszeit nur Skifahrer und Snowboarder in den Bergen aufhielten.

»Oh, Verzeihung!«, sagte der Mann und streckte ihr die Hand entgegen, als wollte er sie auffangen.

»Nichts passiert«, entgegnete Jule und kam sich im selben Moment dämlich vor.

Der Mann wirkte so elegant und reif, dass sie sich davon einschüchtern ließ. Mit einem vorsichtigen Lächeln sah sie in sein Gesicht. Hohe Wangenknochen und kantige Züge. Sofort kam ihr der Gedanke, dass er etwas Nordisches an sich hatte.

Der Mann straffte sich und nickte dann kurz den Freundinnen zu.

»Also dann«, sagte er und hielt den Frauen galant die Tür auf. »Herzlich willkommen.« Und als er ihnen entgegenlächelte, entblößte er eine Reihe weißer gepflegter Zähne.

»Sie sind hier aber nicht der Portier, oder?«, fragte Franzi forsch und warf sich ihr leuchtendblondes Haar über die Schulter.

Jule kannte die Geste. Es zeigte, dass ihre Freundin interessiert war.

»Nein, tut mir leid«, dementierte der Mann, wieder mit diesem Lächeln, das man bei einer romantischen Verabredung erwarten würde.

»Na, fragen kann man ja mal«, meinte Franzi süffisant.

Daraufhin verabschiedete er sich mit einem Nicken und ging schließlich nach draußen. Obwohl Jule ihm gerne nachgesehen hätte, war es ihr ein wenig unangenehm, wie ihre Freundinnen durch die Tür starrten.

»Wollen wir uns dann anmelden, wenn ihr fertig seid?«, fragte sie, nicht ohne Spott in der Stimme.

»Nur noch einen Moment«, erwiderte Kerstin, »alles klar, jetzt ist er weg. Heißer Typ!«

»So was von heiß«, stimmte auch Franzi zu. »Wenn er der Masseur wäre, würde ich mich dreimal täglich massieren lassen.« Ein Kichern drang aus Kerstins Kehle.

Nur Jule verdrehte ihre Augen. »Ihr seid unmöglich!«

***

»Guten Tag«, grüßte er die Frau mit den goldblonden Haaren an der Rezeption. Nachdem er versehentlich sein Handy im Auto hatte liegen lassen, hatte er noch mal zum Parkplatz umkehren müssen.

Was ihm zuerst auffiel, war, dass die Frau an der Rezeption ihre Haare so geflochten hatte, dass sie wie ein Bilderrahmen für das schöne und freundliche Gesicht wirkten.

»Grüß Gott! Mein Name ist Hedi Kastler. Was kann ich für Sie tun?« Ihre Stimme war genauso glockenhell, wie er es erwartet hatte.

»Ragnar Johansson. Ich habe ein Zimmer reserviert«, antwortete er und zog das Portemonnaie aus seinem Jackett.

Frau Kastler klärte ihn über alle wichtigen Informationen auf, überreichte ihm zuerst ein Faltblatt mit den Essenszeiten und schließlich die Schlüsselkarte zu seinem Zimmer. Ein Portier kam wie aus dem Nichts und nahm Ragnar den Koffer ab. Es war Kilian Garnreitner, »der Mann für alle Fälle«. Er kümmerte sich nicht nur um das Gepäck der Gäste, sondern holte auch Gäste schon mal vom Bahnhof ab.