Das Berghotel 320 - Verena Kufsteiner - E-Book

Das Berghotel 320 E-Book

Verena Kufsteiner

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Beschreibung

"Julia", stammelt Holger Pichler äußerst verlegen und unangenehm überrascht. "Was machst du denn ... Warum bist du ... Hey, ich weiß, wie das ausschaut." - Ja klar, und die angesprochene Julia, zufällig seine Ehefrau, weiß es auch: Vor ihr steht ihr Mann, von dem sie geglaubt hat, dass er sie ebenso liebt wie sie ihn, und ist gerade so gut wie unbekleidet, völlig zerzaust und nicht allein (!) aus einem Heuhaufen in der Scheune geklettert. Das ist das Ende aller Träume, das Ende von Julias bisherigem Leben, das sich in einem hübschen Weinlokal in der Steiermark abgespielt hat und von dem sie gedacht hat, dass es noch viele Jahre so glücklich weitergehen würde.
Was bleibt, ist die Flucht an einen Ort, wo die junge Gastronomin nachdenken und ihre Seele wieder heilen kann. Das Berghotel in St. Christoph erscheint Julia genau richtig dafür, doch mit der Ruhe ist es vorbei, als sie bei einer Wanderung eine idyllische Berghütte entdeckt, an der ein Schild hängt: "Zu verkaufen!" Kann das der ersehnte Neuanfang sein?


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Inhalt

Cover

Plötzlich Hüttenwirtin

Vorschau

Impressum

Plötzlich Hüttenwirtin

Julia wagt einen Neuanfang in Tirol

Von Verena Kufsteiner

»Julia«, stammelt Holger Pichler äußerst verlegen und unangenehm überrascht. »Was machst du denn ... Warum bist du ... Hey, ich weiß, wie das ausschaut.« – Ja klar, und die angesprochene Julia, zufällig seine Ehefrau, weiß es auch: Vor ihr steht ihr Mann, von dem sie geglaubt hat, dass er sie ebenso liebt wie sie ihn, und ist gerade so gut wie unbekleidet, völlig zerzaust und nicht allein (!) aus einem Heuhaufen in der Scheune geklettert. Das ist das Ende aller Träume, das Ende von Julias bisherigem Leben, das sich in einem hübschen Weinlokal in der Steiermark abgespielt hat und von dem sie gedacht hat, dass es noch viele Jahre so glücklich weitergehen würde.

Was bleibt, ist die Flucht an einen Ort, wo die junge Gastronomin nachdenken und ihre Seele wieder heilen kann. Das Berghotel in St. Christoph erscheint Julia genau richtig dafür, doch mit der Ruhe ist es vorbei, als sie bei einer Wanderung eine idyllische Berghütte entdeckt, an der ein Schild hängt: »Zu verkaufen!« Kann das der ersehnte Neuanfang sein?

Wunderbar warm schien die Sonne auf den kleinen Buschenschank herab. Nicht umsonst wurde die Steiermark als das »grüne Herz Österreichs« bezeichnet, ringsumher erstreckten sich malerische, sanft geschwungene Wiesen und Wälder.

An einem so warmen Sommertag hielt man es kaum daheim in den vier Wänden aus. Urlauber und Einheimische zog es hinaus an die frische Luft. Und manch einer kehrte im Buschenschank ein, um sich zu stärken. Das alte Bauernhaus war idyllisch gelegen. Im Schatten großer Apfelbäume waren Tische und Bänke aufgebaut, an denen die Gäste saßen und sich eine zünftige Brettljause oder ein kühles Bier schmecken ließen. Kinder spielten lachend auf den umliegenden Fallobstwiesen, tummelten sich im Sandkasten oder streichelten die Kaninchen, für die Julia liebevoll einen großen Auslauf angelegt hatte.

Das herzförmige Schild mit der Aufschrift Julias und Holgers Buschenschank schaukelte sachte in der lauen Brise. Julia lächelte, als ihr Blick darauf fiel. Dieses Schild war eine der ersten Änderungen gewesen, die sie vorgenommen hatte, als sie nach der Hochzeit hierher zu Holger gezogen war und an seiner Seite angefangen hatte, im Lokal zu arbeiten. Ihr war es wichtig, dem Ganzen eine persönliche Note zu verleihen und dem Buschenschank auch ihren eigenen Stempel aufzudrücken.

Holger verbrachte schon praktisch sein ganzes Leben hier, vor ihm hatten bereits seine Eltern das Jausen-Gasthaus geleitet, und er hatte als kleiner Bub schon hier gespielt und getobt, aber sie war schließlich neu dazugekommen.

Gut gelaunt wandte sie sich dann wieder den Gästen zu, trug ein Tablett mit Bierkrügen an einen der Tische und plauderte kurz mit der Gruppe Wanderer.

Wo steckten nur wieder die beiden Serviermadeln? Für die Hauptsaison hatten Holger und sie sich Unterstützung geholt. Aber eine der Serviererinnen, Lisa hieß sie, arbeitete nicht so ganz nach Julias Zufriedenheit. Immer wieder zog sie sich heimlich zum Rauchen zurück und qualmte hinten bei der Scheune, wo sie sich unbeobachtet fühlte, eine Zigarette nach der anderen. Die andere hingegen, Jessie, war eigentlich tüchtig und fleißig. Doch jetzt war sie ebenfalls nicht zu sehen, und die Arbeit blieb an Julia allein hängen. Wofür holte man sich denn Hilfe ins Haus, wenn man dann doch allein die Bierkrüge schleppte und in der Küche die Jausen richtete?

Holger hingegen war entschuldigt. Der hatte sich neulich einen Nerv eingeklemmt und lag jetzt oben im Wohnzimmer, weil er sich kaum bewegen konnte.

Egal, dachte Julia schulterzuckend. Sie kam hier auch allein zurecht. So viele Gäste waren es nun auch wieder nicht. Fröhlich pfiff sie vor sich hin und nahm an einem anderen Tisch die Bestellungen auf, wobei sie mit der Familie, die eine große Brettljause wünschte, ein wenig scherzte.

Wie sehr sie es liebte! Ein Lächeln trat auf ihr Gesicht, als sie in die Küche zurückeilte, um die Brettljause vorzubereiten. Die Gäste zu verköstigen, dabei mit so vielen Leuten Kontakt zu haben, in so idyllischer Umgebung zu arbeiten und zu wohnen ... Es war einfach herrlich. Ganz anders als das Leben in Graz, wo sie aufgewachsen war. Eine schöne Stadt, aber Julia gehörte einfach aufs Land, da fühlte sie sich so richtig wohl. Sie war einfach Wirtin mit Leib und Seele. Wenngleich der Buschenschank nicht von Anfang an ihr gehört hatte und auch jetzt auf dem Papier noch Holgers Eigentum war, ging sie doch ganz in ihrer Tätigkeit her auf.

Allmählich war es schon später Nachmittag. Nicht mehr lange, dann würde der Buschenschank für heute schließen. Wenn nachher die letzten Gäste weg waren, wollte Julia ihrem Hobby nachgehen und in ihrer liebsten Zeitschrift Die Landküche blättern. Darauf freute sie sich jetzt schon. In jeder Ausgabe gab es tolle Rezepte, Interviews mit Köchen und Wirten ... Da holte sie sich gern Inspiration für ihren kleinen Betrieb. Hier wurde zwar freilich nichts Aufwendiges zubereitet, es gab nur kalte Brettljausen, hausgemachtes Brot und einige Produkte aus der Region, groß aufgekocht wurde hier nicht. Aber gutes Essen war nun mal Julias Leidenschaft, und so schmökerte sie gern im Magazin.

Als sie die bestellte Brettljause hinaustrug, streifte eine getigerte Katze um ihre Beine.

»Hast recht, Mitzi. Gut, dass du mich dran erinnerst. Du und deine Freunde, ihr bekommt auch gleich noch was zu fressen. Aber nix vom guten Schinken und der würzigen Wurst, davon brauchst du gar net träumen«, sagte sie schmunzelnd.

Das Katzerl mauzte, als hätte es sie verstanden.

Jeden Tag stellte Julia ein Schälchen mit Futter für die Katzen, die in der Gegend herumstromerten, in die Scheune.

Holger hielt davon nichts.

»Du fütterst die Viecherl nur fett und faul«, pflegte er zu sagen. »Wenn sie hungrig sind, fangen sie mehr Mäuse. Wozu sollen sie sich denn anstrengen, wenn du sie hier so verköstigst?«

Sie grinste, als sie daran dachte und sich dabei seinen mürrischen Tonfall vorstellte. Manchmal hatte er wenig Verständnis für sie. Das mochte am Altersunterschied liegen. Sie war gerade mal Mitte zwanzig, während er die vierzig schon überschritten hatte. Manch einer ihrer alten Freunde aus Graz wunderte sich darüber, dass sie in ihren jungen Jahren in einem Lokal auf dem Land »versauerte«, statt in der Stadt zu feiern – und auch, warum sie sich auf einen Mann einließ, der so viel älter war als sie. Aber Julia selbst zweifelte nie an ihren Entscheidungen, sie war nun einmal glücklich mit ihrem Leben.

Eigentlich konnte sie auch jetzt gleich die Katzen füttern gehen, überlegte sie. Wenn Lisa tatsächlich bei der Scheune herumlungerte und rauchte, konnte sie das Serviermadel auch direkt dazu ermahnen, ihr mit den Gästen unter die Arme zu greifen. Wenn sie nur wüsste, wo sich Jessie herumtrieb ... Die war doch sonst so zuverlässig.

Julia füllte einen Napf mit Katzenfutter und lief beschwingt zur Scheune hinüber. Doch auf dem Weg kam ihr schon Lisa entgegen. Im Mundwinkel des Mädels hing tatsächlich eine Zigarette.

Julia setzte schon zu einem Tadel an, doch da fiel ihr auf, wie blass Lisa aussah. Sie wirkte ganz erschrocken, als hätte sie einen Geist gesehen.

»Ist was passiert? Was ist denn los?«, fragte Julia irritiert.

Lisa stammelte herum: »Gar nix. Ähm, Julia, ich glaub', da willst du grad net rein.«

Sie deutete hinter sich auf die Scheune.

***

Irritiert schaute Julia Lisa an, die sichtlich am liebsten im Boden versinken wollte.

»Warum soll ich denn net in die Scheune?«

Aber Lisa druckste nur herum, aus ihr war keine klare Antwort mehr herauszubekommen. Sie murmelte eine Entschuldigung und eilte dann zurück zum Biergarten, um sich endlich wieder an die Arbeit zu machen.

Unschlüssig schaute Julia zur Scheunentür.

Jetzt erst recht, schoss es ihr durch den Kopf.

Sie atmete tief ein und aus. Ein ungutes Gefühl hatte von ihr Besitz ergriffen. Warum hatte Lisa bloß so erschrocken dreingeschaut? Wäre es vielleicht besser, dem Rat des Serviermadels zu folgen und sich von der Scheune fernzuhalten?

»Unsinn«, murmelte sie dann. »Was sind denn das für depperte Gedanken? Da wird schon kein wild gewordener Löwe auf mich warten. Und auch kein Poltergeist. Also warum sollte ich net reingehen?«

Es war doch nur eine harmlose Scheune, in der sie in den vergangenen Jahren unzählige Male gewesen war. Außerdem strich Mitzi ungeduldig mauzend um ihre Beine und erinnerte sie damit an das Katzenfutter, das sie in der Hand hielt.

Also gab sich Julia einen Ruck. Mit großen Schritten lief sie das restliche Stück auf die Scheune zu und öffnete das Tor mit einem Schwung. Staub tanzte im goldenen Nachmittagslicht, das ins Innere der schummrigen Scheune fiel. Im ersten Moment sah Julia gar nicht viel, ihre Augen mussten sich erst ans Halbdunkel gewöhnen. Aber sie hörte hektisches Rascheln und einen unterdrückten Fluch.

»Holger?«, rief sie verunsichert, als sie seine Stimme erkannte.

Was macht er denn hier draußen? Er sollte doch eigentlich oben im Wohnzimmer sein, um seinen eingeklemmten Nerv auszukurieren!

Endlich schälten sich Konturen aus der Dunkelheit heraus, sie konnte etwas erkennen – und gleichzeitig wünschte sie, sie hätte gar nichts gesehen. Das Katzenfutter fiel ihr aus den Händen und verteilte sich auf dem Boden.

Vor ihr sah sie ihren eigenen Mann, der hastig seine Hose zuknöpfte. Und Jessie, die hektisch ihre Kleidung zusammensuchte, ins Dirndl schlüpfte und dabei vor lauter Eile beinahe wieder ins Heu gefallen wäre, in dem sie sich wohl gerade mit Holger gewälzt hatte. Beide hatten Heu im zerzausten Haar hängen. Jessie war knallrot im Gesicht und hatte den Blick gesenkt, sie konnte Julia gar nicht in die Augen schauen.

Holger hingegen starrte seiner Frau erschrocken entgegen.

»Julia«, stammelte er. »Was machst du denn ... Warum bist du ... Hey, ich weiß, wie das ausschaut.«

Julia war wie vom Donner gerührt. Es fühlte sich an, als hätte sie gerade eine schallende Ohrfeige bekommen. Alles in ihr sträubte sich dagegen, zu glauben, was sie vor sich sah. Das war ein Traum, nur ein böser Traum. Zumindest versuchte sie, sich das verzweifelt einzureden. Doch die bittere Realität ließ sich nicht ausblenden. Julia musste der Wahrheit ins Auge sehen.

»Hör auf«, brachte sie keuchend hervor. »Sag jetzt net, dass alles net so ist, wie es ausschaut. Verkauf mich wenigstens net für blöd. Schlimm genug, was da gerade passiert. Mach's net schlimmer, indem du mich jetzt auch noch beleidigst und mir Märchen auftischst.«

»Aber es hat nix bedeutet«, stotterte er. »Die Jessie bedeutet mir ja nix.«

Jessie zuckte zusammen, die Worte hatten sie getroffen. Während sie ihre Bluse schief zusammenknöpfte, drückte sie sich an Julia vorbei und floh aus der Scheune. Dabei trat sie noch ins Katzenfutter und wäre beinahe ausgerutscht.

Julia beachtete sie gar nicht. Ihr Blick war starr auf ihren Mann gerichtet.

»Warum, Holger?«, fragte sie leise. »Wir waren doch so glücklich miteinander. Warum musstest du alles kaputtmachen?«

Er hatte sich vom ersten Schock erholt und seine Selbstsicherheit wiedergefunden.

»Julia, jetzt mach doch kein Drama draus«, forderte er barsch. »Wir sind noch immer glücklich. Es ändert sich ja nix. Ich bin halt ein Mann.«

Sie schnappte nach Luft und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.

»Was ist das denn für eine depperte Ausrede? Du bist ein Mann, also musst du dich an jedes hübsche Madel heranmachen, dass net bei drei auf den Bäumen ist?«

So merkwürdige Ansichten hatte sie eigentlich der Vergangenheit zugehörig gewähnt: Einem Mann läge es eben in der Natur, sich nicht auf eine Frau festzulegen. Julia konnte über diesen Schwachsinn nur den Kopf schütteln. Sie hatte geglaubt, Holger wäre da anders. So eine Ausrede jetzt aus seinem Mund zu hören, war schockierend. Kannte sie ihn denn überhaupt wirklich?

Er knöpfte sein Hemd zu.

»Jetzt wirst du aber hysterisch. Tust, als würd' ich dir andauernd fremdgehen. Was ist dabei, wenn man sich woanders Appetit holt, solang man zu Hause isst?«

»Du hast aber woanders gegessen, um bei deinem Beispiel zu bleiben«, gab sie giftig zurück.

Er schnaufte und strich sich durchs Haar, dann setzte er hinzu: »Schon gut. Pass auf, ich sag' dir, wie es weitergeht. Wir entlassen die Jessie und suchen uns eine neue Serviererin. Am Wochenende gehen wir schön essen und ich mach's wieder gut. Wie klingt das?«

Seine blonden Haare lagen sonst immer perfekt in Form, jetzt standen sie in alle Himmelsrichtungen ab. Julia war der Altersunterschied zwischen ihnen nie wirklich aufgefallen, doch im hereinfallenden Licht konnte sie die Falten um seine Augen, den Mund und an seiner Stirn nicht übersehen. Es war, als sei er innerhalb weniger Augenblicke um zehn Jahre gealtert. Vielleicht nur, weil sie ihn schlagartig nicht mehr durch die rosarote Brille betrachtete.

Julia zitterte immer noch, doch jetzt nicht mehr vor Erschrecken, sondern vor Wut.

»Du sagst mir gar nichts mehr, schon gar nicht, wie es weitergeht«, zischte sie empört. »Denkst du, weil ich jünger bin, wär' ich naiv und du könntest alles mit mir machen? Das lass ich mir net gefallen. Die Jessie ist net das Problem. Du bist es! Freilich ist's niederträchtig von ihr, dass sie mit einem verheirateten Mann geschlafen hat. Aber du, Holger, du bist derjenige, der fremdgegangen ist! Sie hat dich wohl kaum gezwungen. Du bist derjenige, dem ich vertraut hab' und der mich betrogen hat.«

»Und jetzt?« Er schaute sie verunsichert an.

Mit dieser Reaktion hatte er offensichtlich nicht gerechnet.

Sie war so wütend, dass sie den Schmerz in diesem Moment nicht einmal fühlte.

»Das war's, Holger. Das war's mit uns. Ich kann vieles verzeihen, aber keinen solchen Vertrauensbruch. Ich will die Scheidung.«

***

Schluchzend lag Julia auf dem Bett. Wie viele Tränen waren schon in dieses Kissen gesickert? Sie wusste gar nicht mehr, wie lange sie schon da lag. Jegliche Kraft hatte sie verlassen. Die Wut, die sie erst aufrecht gehalten und ihr Energie verliehen hatte, war einer tiefen, grenzenlosen Traurigkeit gewichen.

Mühsam und schwerfällig richtete sie sich jetzt auf. Mit schleppenden Schritten ging sie zum Schminktisch, über dem ein großer Spiegel hing. Beim Anblick ihres Spiegelbildes schauderte sie. Sie sah ja schrecklich aus, mit verquollenen roten Augen, verstrubbelter Frisur und blassem Gesicht. Man sah ihr an, dass sie fast die ganze Nacht geweint und kaum Schlaf gefunden hatte.

Sie griff nach ihrer Bürste und begann, ihre Haare zu entwirren. Dicht und schokoladenbraun reichten sie ihr bis zur Hüfte. Normalerweise glänzten die Haare in einem warmen Goldschimmer, doch jetzt wirkten auch sie matt und glanzlos. Als hätte Holger Verrat jegliches Leuchten aus ihrem Körper gesaugt und sie als leere Hülle hinterlassen.

Das Haus war schrecklich leer und still. Holger war zu einem Freund gefahren, damit sie sich aus dem Weg gehen konnten. Zweifellos lästerten die beiden gerade über Julia und darüber, wie sehr sie doch überreagierte.