Das Berghotel 340 - Verena Kufsteiner - E-Book

Das Berghotel 340 E-Book

Verena Kufsteiner

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Beschreibung

Hoch über St. Christoph liegt an einem sanften Berghang die Gruber-Alm, wie alle sie nennen, obwohl seit über fünfzig Jahren niemand aus der Familie Gruber mehr hier war. Einst hat die liebevoll als "Kräuterhexe" bezeichnete Marianne Gruber hier Wildblumen und Kräuter angepflanzt, um sie in Heilmischungen und Tees zu verkaufen. Doch eine Verkettung tragischer Umstände zwang die früh verwitwete junge Frau damals, mit ihrer kleinen Tochter die Alm und später auch ihre Heimat zu verlassen. Mariannes Enkelin Larissa ist es heute, die sich nach St. Christoph aufmacht, um zu erforschen, was aus der Gruber-Alm geworden ist. Über der blühenden Almwiese spürt das Großstadtmadel Larissa vor allem eines - den Zauber der unberührten Natur der Berge. Und der kann vielleicht das Leben der Familie Gruber noch einmal wenden ...


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Seitenzahl: 124

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Wo die Wildblumen blühen

Vorschau

Impressum

Wo die Wildblumen blühen

Die Wiese am alten Hof wird zum Ort der Hoffnung

Von Verena Kufsteiner

Hoch über St. Christoph liegt an einem sanften Berghang die Gruber-Alm, wie alle sie nennen, obwohl seit über fünfzig Jahren niemand aus der Familie Gruber mehr hier war. Einst hat die liebevoll als »Kräuterhexe« bezeichnete Marianne Gruber hier Wildblumen und Kräuter angepflanzt, um sie in Heilmischungen und Tees zu verkaufen. Doch eine Verkettung tragischer Umstände zwang die früh verwitwete junge Frau damals, mit ihrer kleinen Tochter die Alm und später auch ihre Heimat zu verlassen.

Mariannes Enkelin Larissa ist es heute, die sich nach St. Christoph aufmacht, um zu erforschen, was aus der Gruber-Alm geworden ist. Über der blühenden Almwiese spürt das Großstadtmadel Larissa vor allem eines – den Zauber der unberührten Natur der Berge. Und der kann vielleicht das Leben der Familie Gruber noch einmal wenden ...

Obwohl das kleine Blumengeschäft in einer ruhigen Seitenstraße der Wiener Innenstadt lag, war es stets gut besucht. Es hatte sich herumgesprochen, dass die junge Floristin, die hier neuerdings arbeitete, mit Herzblut bei der Sache war. Die sechsundzwanzigjährige Larissa Gruber hatte nicht nur ein gutes Auge für Farbzusammenstellungen – sie war auch noch flink und stets darum bemüht, auf die Sonderwünsche der Leute einzugehen.

Wenn gerade keine Kunden im Laden waren, stellte Larissa hübsche Sträuße zusammen und hatte dafür immer neue Ideen. So konnte es vorkommen, dass sie Buntstifte und Radiergummis in ihre Kreationen einarbeitete und damit genau das richtige Geschenk für eine Lehrerin schuf. Ein andermal hatte sie die Stiele zarter Frühlingsblumen mit Girlanden aus Bonbons umwickelt und den duftenden Strauß auf diese Weise zum perfekten Dankeschön für eine Naschkatze gemacht. An Ideen mangelte es der jungen Frau mit den langen goldblonden Haaren, die sie während der Arbeit zu einem dicken Seitenzopf geflochten hatte, niemals.

Kein Wunder also, dass Larissas Chefin, Barbara Meierl, eine bedauernde Grimasse zog, als ihre beste Angestellte um eine spontane Urlaubswoche bat.

»Muss das sein? Ausgerechnet jetzt, wo die frischen Pfingstrosen hereinkommen und wir gleich mehrere Hochzeiten zu beliefern haben? Du weißt doch, dass der Juni einer unserer stärksten Monate ist!«

»Es tut mir wirklich leid, Frau Meierl, aber Sie wissen ja, dass meine Oma vor zwei Wochen einen Unfall hatte. Sie wurde gestern aus dem Krankenhaus entlassen, sitzt nun Trübsal blasend herum und lagert das Gipsbein hoch. Ich habe Oma versprochen, im Juli mit ihr in die alte Heimat nach Tirol zu fahren, bis dahin kann sie sicher wieder herumhumpeln. Aber unsere Almhütte ist mit den Jahren verfallen, und ich muss vorab das Terrain sondieren. Wer weiß, ob da oben überhaupt noch etwas steht ...? Womöglich ist die Alm mit den Jahren zugewuchert oder von einer Mure verschüttet worden, dann wäre es für meine Oma nur ein schmerzliches Wiedersehen. Ich möchte mich gern vornweg in St. Christoph umschauen.«

Frau Meierl war kein Unmensch. Sie kannte Larissas Oma inzwischen recht gut, denn die alte Dame war bis vor Kurzem oft bei ihren Spaziergängen am Blumenladen vorbeigekommen und hatte ihre Enkeltochter bei deren Blumenkreationen klug beraten. Schließlich war die ehemalige Gruber-Bäuerin so etwas wie eine »Kräuterhexe«. Wenn es um Wildpflanzen ging, konnte der alten Dame niemand ein X für ein U vormachen.

Frau Meierl hatte selbst schon oft gebannt Marianne Grubers Geschichten von ihrem früheren Leben als Almbäuerin zugehört. Pflanzen und Wildblumen spielten darin stets eine große Rolle. Marianne wusste nicht nur von den geheimen Kräften dieser schönen Naturgeschöpfe, sondern sie kannte auch vielerlei Sagen und Märchen rund um die Pflanzenwelt und schien dabei stets ein wenig über den Dingen zu schweben.

So war es vor zwei Wochen auch zu dem Unfall gekommen, der dann zum Glück relativ glimpflich ausgegangen war: Marianne Gruber hatte in Gedanken versunken die rote Fußgängerampel einfach übersehen, war auf die Straße getreten und von einem Taxi angefahren worden. Dennoch hatte sie Glück gehabt. Ein komplizierter Beinbruch war zwar kein Klacks für eine Dreiundachtzigjährige, aber die Gruberin war zäh, und es war klar, dass sie sich wieder erholen würde.

»Nun gut«, gab Frau Meierl deshalb nach. »Ich weiß ja, dass du dir unterm Jahr viel Mühe gibst, Larissa. Deshalb werde ich schon eine Woche ohne dich auskommen.«

»Vielen Dank! Ich werde vor meiner Abfahrt nach Tirol auch eine Extraschicht einlegen und alles für die Püringer-Hochzeit vorbereiten!«, versprach Larissa und löste die Bänder ihrer knöchellangen dunkelgrünen Schürze.

»Aber was hast du denn genau vor?«, wollte die Chefin wissen. »Ich dachte, eure Almhütte ist nur noch eine Ruine?«

»Das wissen wir nicht genau. Oma war seit fünfzig Jahren nicht mehr dort oben«, erzählte Larissa mit leiser Stimme, während sie ihren Zopf löste. »Die Erinnerungen an die Vergangenheit waren zu schmerzlich. Aber gleichzeitig ist da auch eine Sehnsucht nach ihrem alten Zuhause, und der Unfall hat diesen Traum wieder wachgerufen. Also werde ich mal dorthin fahren und mich genau umschauen.« Sie schüttelte ihre Schürze aus und hängte sie auf den Haken neben der Tür. Dann schmunzelte sie: »Und dafür werde ich einmal mein Dasein als ›Stadtpflänzchen‹ verlassen und mich in die freie Natur begeben. Es wird mir nicht schaden, einmal selbst in der Erde zu graben, anstatt all mein Wissen aus Büchern zu beziehen. Ich bin sicher, dass ich mit vielen Ideen und Anregungen für das Geschäft wiederkommen werde!«

Die Chefin erwiderte das Lächeln.

»Wer weiß, Larissa, vielleicht trittst du ja noch in die Fußstapfen deiner Oma und entwickelst dich zur Kräuterhexe. Ich hätte nichts dagegen!«

Als Larissa Gruber wenig später die Kärntner Straße entlang ging, um im Steffl, dem Wiener Dom und Wahrzeichen, eine Kerze für Omas Genesung aufzustellen, musste sie immer wieder an die Worte ihrer Chefin denken.

Ja, wer weiß, dachte sie voller Vorfreude.

***

Marianne Gruber nippte mit grimmiger Miene an ihrem Kräutertee.

»Da ist zu wenig Minze drin«, bemerkte sie vorwurfsvoll.

Ihre Tochter Iris, die extra einen Termin mit einem Klienten verschoben hatte, um die Mutter zu besuchen, verdrehte hinter deren Rücken genervt die Augen. Erleichtert hörte sie kurz darauf den Schlüssel und schloss wenig später ihre Tochter Larissa in die Arme.

»Schön, dass du da bist«, flüsterte sie der jungen Frau ins Ohr. »Es wird Oma aufheitern, dich zu sehen. Die Untätigkeit macht sie leider schrecklich griesgrämig.«

Tatsächlich hellte sich das Altfrauengesicht sofort auf, als Marianne ihre Enkeltochter hereinkommen sah.

Iris runzelte belustigt die Stirn und meinte: »Nun denn, dann kann ich ja reinen Gewissens wieder in die Kanzlei zurückgehen.«

Sie nahm ihre feine Ledertasche und schlüpfte in die hochhackigen Designerschuhe. Und weg war sie.

»So ist das mit den Karrierefrauen«, sagte Marianne, aber dabei lächelte sie stolz. Immerhin hatte sie einst alles dafür gegeben, dass die Tochter studieren und Anwältin werden konnte. Als Iris kurz vor dem Staatsexamen unerwartet schwanger geworden war – Vater unbekannt – hatte Marianne eben noch härter zugepackt und einen weiteren Job angenommen. Die Enkeltochter Larissa war seitdem ihre ganze Freude. Auch, weil ihr Larissa innerlich und äußerlich so ähnlich geworden war. »Setz dich zu mir!«, bat sie, und Larissa nahm, wie früher, zu Füßen der Oma Platz.

»Ich habe vorhin mit der Chefin gesprochen und alles geklärt«, berichtete Larissa. »Morgen werde ich noch für eine Hochzeitsbestellung vorarbeiten, übermorgen fahre ich nach Tirol!«

Marianne seufzte schwer. Seit sie als junge Frau die Heimat verlassen hatte, war sie nie zurückgekehrt. Anfangs hatte es sich nicht ergeben, später hatte die Furcht vor den schmerzlichen Erinnerungen überwogen. Ihr von langen Spaziergängen wettergegerbtes Gesicht und das knackende »K«, wenn sie sprach, verrieten jedoch ihre Herkunft aus dem westlichen Bergland Österreichs.

»Du musst das Grab deines Großvaters besuchen«, sagte sie zum wiederholten Mal. »Und beim Ochsenwirt Kaspressknödel essen. Zum ersten Gang in einer Rindsuppe, danach isst du noch eine Portion mit grünem Salat. So gehört es sich.«

Larissa nickte artig. Das alles hatte sie längst beschlossen.

»Stell dir vor, Oma: Übermorgen um dieselbe Zeit werde ich schon auf unserer Alm sein!«

»Du weißt aber schon, dass es nicht unsere Alm im eigentlichen Sinne ist, gell? Dein Großvater und ich haben das Grundstück bloß auf hundert Jahre gepachtet und dem Besitzer, dem Steiniger-Leopold, dafür eine stattliche Summe bezahlt. Es war alles Geld, das wir hatten. Das Grundstück ist rechtlich aber im Besitz der Steiningers geblieben.«

Marianne zog eine Grimasse, als sie den Namen aussprach.

Larissa beeilte sich, weiterzureden: »Wie auch immer. Übermorgen werde ich vor meinem Zelt sitzen und der Sonne beim Untergehen zuschauen ...«

»Willst du wirklich in einem Zelt übernachten?«

»Klar. Ich werde später noch eines besorgen. Dazu einen Campingkocher und einen Daunenschlafsack. Mehr brauche ich nicht. Es wird herrlich!«

Marianne runzelte die Stirn.

»Die Natur dort oben ist hart«, warnte sie. »Und du bist doch nur ein Stadtpflanzerl. Denk an das Pfadfinderlager ...«

Larissa schmunzelte. Eine vorwitzige Spinne hatte seinerzeit dafür gesorgt, dass Iris das Madel aus dem Zeltlager hatte holen müssen.

»Vergiss net, Oma, ich bin inzwischen Floristin geworden und mit der Natur vertraut!«, gab sie zurück.

Marianne Gruber wiegte den weiß umwölkten Kopf hin und her, enthielt sich aber eines weiteren Kommentars. Später, als Larissa neuen Kräutertee bereitet hatte – diesmal stimmte der Anteil an Minze – erzählte Oma wie so oft von früher.

»Wir waren bettelarm«, begann sie. »Dein Opa Fritz und ich hatten nichts außer unserer Liebe und der kleinen Hütte, die Fritz mit eigenen Händen errichtet hatte. Er war sehr geschickt. Ich habe hinterm Haus meinen Kräutergarten gepflegt. Ein Jahr später, da war ich schon in der Hoffnung, habe ich die ganze Almwiese mit Wildblumen bepflanzt. Bald schon kamen die Leute aus dem Dorf zu uns herauf, um sich meine Kräutertees und Cremes zusammenstellen zu lassen. Aber dann ...«

»Aber dann ...«, murmelte Larissa betreten, denn sie kannte den Ausgang der Geschichte.

»Dein Opa hat beim Bau der Feldkopf-Gondelbahn mitgeholfen und dabei gutes Geld verdient. Wir dachten, wir hätten es endlich geschafft. Dann kam das Gewitter, und der Blitz fuhr in eine der Stahlleitungen, eine der Gondeln wurde aus der Führung geschleudert. Dein Großvater hatte keine Chance. Ich stand vor unserer Hütte, sah gerade zum schwarzen Himmel über dem Feldkopf hinüber und fing an, mir Sorgen zu machen. Da stand der Bauleiter vor mir und sagte es mir: ›Dein Mann ist tot, Gruberin.‹«

Marianne hielt inne, um sich die Augen mit dem Taschentuch abzutupfen. Larissa hatte die Hand ihrer Oma genommen und drückte sie fest.

»Aber ich wollte nicht aufgeben. Es war doch unser gemeinsamer Traum, auf der Almhütte zu leben! Also habe ich noch härter angepackt und trotz der Schwangerschaft die Wiese mit den Kräutern und Wildblumen bestellt. Der Nachbar Steininger, dem die Almwiese gehört, wollte mich von der Stelle weg heiraten, trotz meiner Schwangerschaft. Für ihn wäre es wohl ein gutes Geschäft gewesen, denn so hätte er die wertvolle Wiese zurückbekommen. Nach meiner Zurückweisung hat er mir Geld angeboten, wenn ich das Grundstück freigebe. Ich habe es nicht übers Herz gebracht. Jener Sommer war heiß und schwül, und das Kind – deine Mutter – wurde in einer sternklaren Nacht geboren. Kurz darauf stand die Ernte an. Mein Nachbar, ...«, Marianne zögerte, als sich ein grimmiger Ausdruck über ihr Gesicht legte, »... der Steininger-Leopold, hat mir versprochen, zu helfen. Doch als es so weit war, ein weiteres Gewitter herannahte und alles schnell gehen musste, saß der Lump im Wirtshaus und ließ sich volllaufen. Das war sicher mit Absicht, um mich von der Wiese zu vertreiben. So hat mich der Kerl ausgetrickst. Ich hatte mich auf sein Wort verlassen. Als es zu donnern anfing, habe ich das plärrende Kind im Haus eingesperrt und die ganze Nacht durchgearbeitet. Aber es hat nichts genützt. Der Regen hat die Kräuter zerstört – und aus war der Traum. Den Steininger Leopold hat es sicher gefreut. Nun war er mich los.«

Larissa streichelte ihrer Oma über das Bein.

»Aus Stolz hast du auf seine Abzahlung verzichtet und bist fortgegangen, zuerst nach Mayrhofen, dann nach Innsbruck und später nach Wien«, setzte sie die vertraute Geschichte fort. »Du hast Mama und mich großgezogen und dafür gesorgt, dass wir anständige Menschen werden. Mama ist eine erfolgreiche Anwältin, ich bin Floristin. Und du hast ein großartiges Lebenswerk geschaffen!«

Da konnte Marianne nicht widersprechen. Sie legte ihre knorrige Hand auf den Scheitel der jungen Frau.

»Jetzt will ich nur noch erleben, wie es weitergeht«, sagte sie leise, dann schmunzelte sie. »Bist du denn mit deinem Martin glücklich?«

Larissa zuckte kurz zurück. Martin Ehm, ein junger Anwalt, den sie in der Kanzlei kennengelernt hatte, wo sie ihre Mutter öfter besuchte, war nun schon seit zwei Jahren ihr fixer Freund. Sie verbrachten viel Zeit zusammen und führten eine gute Beziehung. Gerade vorhin hatte Martin sie mit der Ankündigung überrascht, ebenfalls nach Tirol fahren zu wollen.

»Ich habe morgen und übermorgen noch Gerichtstermine, deshalb kann ich dich nicht begleiten«, hatte er gesagt. »Aber ich komme so schnell wie möglich nach. Dann haben wir ein paar Tage Urlaub in den Bergen, ist das nicht großartig?«

Larissa hatte ihm freudig zugestimmt. Insgeheim war sie jedoch nicht ganz so begeistert gewesen. Dieser Trip in die Vergangenheit ihrer Familie sollte ihr allein gehören, wie auch das Campingabenteuer auf der Almwiese. Außerdem passte auch das Drumherum nicht: Martin hatte gehobene Ansprüche und pflegte in guten Hotels zu logieren. Er würde sich dort oben mit Zelt und Schlafsack sicher nicht wohlfühlen. Tatsächlich hatte Martin gleich darauf von den feinen Golfclubs und Tennisplätzen der Umgebung geschwärmt, die er sich anschauen wollte.

Jetzt ärgerte sich Larissa, dass sie ihm die Fahrt nicht gleich ausgeredet hatte. Aber wer weiß, dachte sie nun: Martins Terminkalender war dicht gedrängt voll, wahrscheinlich würde er sich sowieso nicht spontan so lange freinehmen können. Sein Plan war also nichts anderes als ein nettes Angebot gewesen. Da brauchte sie sich nicht zu sorgen!

»Erzähl mir, wir du und Opa einander kennengelernt habt«, bat sie, wie schon so oft.

Dies war schon als kleines Mädchen ihre Lieblingsgeschichte gewesen.

Marianne lächelte und holte tief Luft.

»Nun denn«, begann sie und nahm einen Schluck aus ihrer Teetasse. »Ich war ein armes Häuslerkind, dein Großvater der Sohn eines früh verstorbenen Bergbauern. Ich war immer schon an Pflanzen interessiert und wanderte oft zu den höher gelegenen Almwiesen hinauf, wo die seltenen Exemplare wachsen. Eines Tages kam ich zu einer Felsnische, in der ein wunderschöner Strauch vom Roten Holunder gedieh. Eben öffneten sich die ersten Blüten ... diese sind von einem zarten Gelb, und sie duften fein nach Zitronen. Erst die Beeren leuchten im Spätsommer scharlachrot. Nun hat es mit dieser Pflanze eine besondere Bewandtnis: Man sagt, dass zwei, die sich unter den frühsommerlichen Blüten zum ersten Mal begegnen, füreinander bestimmt sind. Ich hielt das für eine schöne Legende und bewunderte die Blüten. Doch als ich aufsah, stand da plötzlich ein fescher Mann zwischen den Felsen: Das war dein Großvater.«

Marianne lächelte verklärt, und Larissa lehnte ihren Kopf an Omas gesundes Bein. Sie hatte diese Geschichte schon als Mäderl geliebt und sich damals fest vorgenommen, dereinst den Roten Holunder in den Bergen aufzusuchen und darauf zu warten, dass ein Prinz zwischen den Felsen hervortreten würde.