Das Berghotel 352 - Verena Kufsteiner - E-Book

Das Berghotel 352 E-Book

Verena Kufsteiner

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Beschreibung

Nach zwanzig Jahren kehrt Fanny von Feuerstein in ihre Heimat zurück - als wohlhabende Gräfin, doch innerlich immer noch das unsichere Bauernmädchen Franzi Staudigl von einst. In St. Christoph erwarten sie keine offenen Arme, sondern ein Netz aus alten Vorurteilen, Gerüchten und Neid. Während sie versucht, den Verkauf der verlassenen Familienvilla abzuwickeln, holt sie die Vergangenheit erbarmungslos ein. Zur gleichen Zeit erleben Anna und Milli, zwei lebensfrohe Friseurinnen aus Wien, im Berghotel ihr gewonnenes Urlaubsglück. Ungewollt werden sie Zeuginnen des brodelnden Dorftratsches um die "skandalöse Gräfin" - und spüren schnell, dass hinter der kühlen Fassade eine tiefe Einsamkeit und ein verletztes Herz lauern ...

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Seitenzahl: 123

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Sommergäste und Dorfgeflüster

Vorschau

Impressum

Sommergäste und Dorfgeflüster

Klatsch, Tratsch und eine Liebe, die niemand erwartet hat

Von Verena Kufsteiner

Nach zwanzig Jahren kehrt Fanny von Feuerstein in ihre Heimat zurück – als wohlhabende Gräfin, doch innerlich immer noch das unsichere Bauernmädchen Franzi Staudigl von einst. In St. Christoph erwarten sie keine offenen Arme, sondern ein Netz aus alten Vorurteilen, Gerüchten und Neid. Während sie versucht, den Verkauf der verlassenen Familienvilla abzuwickeln, holt sie die Vergangenheit erbarmungslos ein.

Zur gleichen Zeit erleben Anna und Milli, zwei lebensfrohe Friseurinnen aus Wien, im Berghotel ihr gewonnenes Urlaubsglück. Ungewollt werden sie Zeuginnen des brodelnden Dorftratsches um die »skandalöse Gräfin« – und spüren schnell, dass hinter der kühlen Fassade eine tiefe Einsamkeit und ein verletztes Herz lauern ...

»Soll ich dir Ponyfransen schneiden?« Schon griff sich die junge Frau mit dem rötlich gefärbten Kurzhaarschnitt eines von Annas Haarbüscheln, zog es über die Stirn nach vorn und setzte bereits die Schere an.

»Bist du verrückt geworden, Milli?«, protestierte Anna und riss sich mit einem Ruck los. Wie ein frisch gebadeter Hund schüttelte sie ihre Mähne zurecht, die ihr gleich darauf wie ein blonder Wasserfall weit über den Rücken fiel.

Milli fiel vor Lachen beinahe hintüber.

»Du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, ich würde deinen kostbaren Prinzessinnenlook zerstören?«, fragte sie kichernd. »Ich hab' doch nur geblufft.«

Anna verdrehte die Augen. »Klar. Aber du weißt ja: Wenn es um meine Haare geht, verstehe ich keinen Spaß.«

»Ob Ponyfransen oder nicht: Wir müssen uns eine Frisur ausdenken, mit der du am Zuckerbäckerball alle Blicke auf dich ziehen wirst. Das ist schließlich auch eine gute Werbung für unseren Friseursalon!«

Eine Weile lang starrten die beiden Freundinnen nebeneinander in den goldgerahmten Spiegel. Aufmerksam und kritisch glitten ihre Augen abwechselnd über das jeweils eigene Gesicht und jenes der besten Freundin.

Dann begannen sie, gleichzeitig zu sprechen: »Ich werde die Haare offen tragen! – »Ich verpasse dir eine kunstvolle Hochsteckfrisur!«, schufen sie neuerlich eine Pattsituation.

Sie grinsten. So erging es ihnen schon seit ihrer ersten Begegnung, als sie im Kindergarten aufeinander zugelaufen waren: »Magst du mit mir Puppenspielen?« – »Komm, gehen wir zu den Bauklötzen!«, hatten sie gerufen und dann erschrocken innegehalten.

Hätten sie die Situation damals nicht mit einem spontanen Lachen gelöst – und die Puppen einfach mit in die Bauecke genommen – wäre ihnen viel entgangen. Denn seit diesem Tag waren die beiden Freundinnen unzertrennlich. Ob die Kinder schon damals geahnt hatten, dass ihre Freundschaft eine »ewiggültige« werden würde, die Hürden aller Art mit Bravour meisterte?

Inzwischen hatten Anna und Milli eine Reihe unglücklicher Liebeleien, Entfremdungen, aber auch Eifersüchteleien und aus Neid gewachsene Krisen heil überstanden. So mancher »Märchenprinz« hatte sich als Frosch entpuppt, doch die beste Freundin war geblieben. Die beiden Frauen hatten denselben Beruf erlernt – in demselben Friseursalon in einem Wiener Außenbezirk – und träumten davon, sich irgendwann einmal mit einem kleinen, feinen Salon selbstständig zu machen. Erst letztens hatte ihre Chefin, Frau Wasner, angedeutet, dass sie sich freuen würde, wenn die Mädels in ein paar Jahren ihren Betrieb weiterführen würden. Seitdem gaben sich die beiden noch mehr Mühe.

Siebzehn Jahre waren seit dem Tag im Kindergarten vergangen. Unterschiedliche Meinungen waren für die beiden jungen Frauen schon lange kein Hindernis mehr. Und so fanden Anna und Milli auch heute einen praktischen Kompromiss: Anna mit dem langen Goldhaar würde die Haare teilweise hochgesteckt, ansonsten offen tragen. Millis Rotschopf würden sie mit viel Haargel und Silberflitter die perfekte Ballfrisur verpassen.

»Wie nett von Frau Wasner, dass sie uns den Salon nach Betriebsschluss zur Verfügung stellt«, sagte Anna und zückte die Spraydose. »Wir haben schon Glück mit unserer Chefin!«

»Das stimmt. Überhaupt. Dass sie damals uns beide als Azubis angenommen hat, wo sie doch nur ein Lehrmädchen gesucht hat, war wirklich großartig.«

»Wir sind nun einmal die Unzertrennlichen.« Anna stellte die Spraydose an den Rand des Waschbeckens, um mit Milli abzuklatschen. »Außerdem haben wir Frau Wasner noch nie enttäuscht. Wir sind gut in unserem Job. Und wenn beide Azubis die Lehre mit Auszeichnung abschließen, fällt das auch auf die Chefin zurück. Dank uns kommen wieder junge Kundinnen in den Laden.«

»Ja, Frau Wasner weiß schon, was sie an uns hat. Sonst hätte sie uns wohl auch nicht die Ballkarten geschenkt.« Millis Blick fiel auf das Kuvert, das die Chefin ihren Mitarbeiterinnen letzte Woche zugesteckt hatte.

Milli lehnte sich kurz zurück und sagte träumerisch: »Ob uns Frau Wasner wohl wirklich ihren Betrieb überlassen wird?«

»Klar«, gab sich Anna optimistisch. »Aber bis dahin ist noch viel Zeit – und das ist auch gut so. Mit knapp zwanzig Jahren will ich mich vor allem mal amüsieren. Zum Beispiel heute!« Rechtzeitig, bevor die Wolke aus Glitzerspray sie erreichte, schloss sie die Augen.

Als die beiden Freundinnen zwei Stunden später aufbrachen, war ihnen nicht anzusehen, dass ihre Kleider aus dem Second-Hand-Laden stammten. Mit bemerkenswerter Raffinesse hatten sie ihre Abende darauf verwendet, zwei ausgediente, zunächst unscheinbare Kleider in echte Hingucker zu verwandeln. Und so trug die blonde Anna heute Abend eine eisblaue Robe, deren Rock mit einem kunstvollen Muster aus glitzernden Rosenranken aus Pailletten bestickt war. Milli hatte sich für einen schwarzen Jumpsuit entschieden, dessen Säume sie mit weinroten Borten umnäht hatte.

Das Taxi brachte die beiden Ballbesucherinnen in die innere Stadt und hielt direkt vor der Hofburg, vor dessen Eingang sich bereits eine Menge eleganter Damen und Herren drängte. Und wie selbstverständlich wurden Anna und Milli mit diesen in das ehrwürdige Gebäude gespült, in einer Wolke aus schweren Parfüms und Blumenduft, von Vorfreude und dem einen oder anderen Gläschen Sekt, das sie beim Frisieren getrunken hatten, beschwipst.

***

»Sieh doch nur!« Milli zupfte Anna am Ellenbogen und deutete zu zwei jungen Frauen in opulenten Ballkleidern. Während die eine mit funkelnden Blicken den Türsteher ablenkte, schmuggelte die andere schnell eine prall gefüllte Tüte an dem jungen Mann vorbei.

Anna tauschte einen schnellen Blick mit ihrer Freundin, schließlich waren die beiden seit ihren ersten Leseversuchen begeisterte Krimi-Fans. Schon als kleine Mädchen hatten sie alles verschlungen, was die nächstgelegene Bibliothek hergegeben hatte, und bis heute machten sich die Freundinnen mitunter ihren Spaß, scheinbare Kriminalfälle aufzudecken. So hatte sich das Rätsel der »Spontandauerwelle« bei einer älteren Kundin, die den Salon seit Jahren regelmäßig bloß zum »Waschen, Schneiden und Föhnen« aufgesucht hatte, als wunderbare Liebesgeschichte entpuppt – die Dame war auf der Straße ganz zufällig ihrer Jugendliebe begegnet und hatte plötzlich den Mut gefunden, eingefahrene Wege zu verlassen.

Das »Geheimnis der neuen Haarfarbe« hatte einen ähnlichen, aber weniger romantischen Grund gehabt: Die betreffende Kundin hatte ihren Mann beim Fremdgehen ertappt und festgestellt, dass sie allein ohnehin besser dran war. Frisuren spiegelten nun einmal den Gemütszustand der Menschen wider, und so fügten sich für Milli und Anna Beruf und Hobby gut zusammen.

Nun waren sie also wieder einem Geheimnis auf der Spur – allerdings war die Lösung der eingeschmuggelten Tüte nicht sonderlich spektakulär: Mira und Lena, wie sich die jungen Frauen bald den beiden Freundinnen vorstellten, waren knapp bei Kasse und hatten sich ihre Getränke unerlaubterweise selbst mitgebracht – ein eher langweiliger Fall. Doch immerhin fanden Milli und Anna auf diese Weise Anschluss an eine Gruppe aufgeweckter junger Leute. Mira, Lena, Philip und Dominik studierten Musical und verstanden es nicht nur, zu tanzen, sondern waren auch für jeden Spaß zu haben. Zudem war ihr Getränkesortiment äußerst interessant, und sie teilten es gern mit ihren neuen Bekannten.

»Nehmt ihr an der Mitternachts-Tombola teil?«, fragte Lena.

»Ich weiß nicht«, gab Milli, noch atemlos von einer wilden Polka, zurück. »Die Lose sind nicht ganz billig. Ich schau erst einmal, was zu gewinnen ist!«

Gemeinsam schlenderte die Gruppe zu dem großen Gabentisch, auf dem die Gewinne ausgebreitet waren. In einer Liste konnten die Freundinnen nachlesen, was alles angeboten wurde.

»Oh! Mein Körpergewicht in Bonbons!«, begeisterte sich Milli, die eine Naschkatze war.

»Dies ist noch besser!«, rief Anna und zeigte auf den Hauptpreis. »Eine Woche Aufenthalt für zwei Personen im Sporthotel Am Sonnenhang in den Zillertaler Alpen!«

Mira grinste. »Was für ein Zufall. Ich komme von dort. Was wohl meine Eltern sagen würden, wenn ich im Hotel chillen würde, anstatt daheim die Mistgabel zu schwingen?« Sie lachte herzhaft, dann wandte sie sich an die beiden neuen Freundinnen. »Im Ernst: Nirgends ist es so schön wie bei uns im Zillertal. Und am allerschönsten ist es in St. Christoph, das ein wenig versteckt vom Trubel in einem kleinen Tal liegt. Wenn du die Straße von Mayrhofen kommend hochfährst, siehst du eine Weile lang nur Buschwerk und dichten Mischwald. Und dann, nach der letzten Kehre, öffnet sich plötzlich der Wald wie von Zauberhand, und das Tal liegt vor dir: sonnendurchflutet, freundlich und mit seinem Geruch nach Bergen, Wiesenblumen und Misthaufen!«

Sie lachte und machte ein verklärtes Gesicht, in dem ein Anflug von Heimweh zu erkennen war.

»Linker Hand geht's gleich zum Hotel hinauf, das auf einem der beiden Hügel liegt. Die Fotos versprechen nicht zu viel: Es ist wunderschön. Das Ehepaar Kastler ist immer voll Herzlichkeit um das Wohl seiner Gäste bemüht. Geradeaus liegt dann der Hauptort mit seiner hübschen, weiß getünchten Kirche und dem goldenen Zwiebelturm, der schon von Weitem glänzt, wenn die Sonne darauf scheint. Unser Dorf ist von Bergen umgeben: Dem Frauenhorn, dem Hexenstein und freilich dem Feldkopf mit seinem auch im Sommer gleißenden Schneefeld ...« Miras Stimme, die eben noch einen reschen Tiroler Akzent entwickelt hatte, verebbte. Die junge Frau wandte sich um und grinste verlegen. »Ihr solltet unbedingt Lose kaufen«, sagte sie.

Milli neigte interessiert den Kopf nach vorn.

»Bist du sicher, Mira, dass du Musicalsängerin werden willst und nicht Tourismusbeauftragte?«, lachte sie. Dann wurde sie ernst. »Dieser Gewinn wäre wirklich ein Hit«, seufzte sie sehnsuchtsvoll. »Stell dir vor, Anna, wir beide in Dirndlkleidern auf einer Almwiese. Sieh doch nur die schönen Fotos! Lass uns unbedingt zwei Lose nehmen!«

***

Etwa 500 km westlich von der Wiener Hofburg sprachen an jenem Nachmittag zwei andere Frauen über das bevorstehende Ereignis: eine etwas dralle Mittvierzigerin mit blondgefärbten Haaren, die sie zu einer Kranz-Krone hochgesteckt hatte, und eine um etwa zehn Jahre jüngere Brünette im dunkelblauen Hosenanzug. Es waren Hedi Kastler, die Besitzerin des Sporthotels Am Sonnenhang und ihre Freundin und Hausdame des Hotels Gerda Stahmer, die sich eine kleine Pause von der Arbeit gönnten und sich mit Kaffee und frischem Gebäck stärkten.

»Heute ist Balltag!«, sagte die blonde Hedi Kastler und zupfte nebenbei ein vertrocknetes Blatt von einer der Zimmerlinden. »Wer wohl das große Los ziehen wird?«

Gerda schob das Revers ihres Hosenanzugs zurecht.

»Oh, ich finde das schrecklich aufregend!« Nach dieser Ansage biss sie so herzhaft in ihren Krapfen, dass der Zucker ihr Gesicht stäubte.

Ihre Chefin reichte ihr eine Serviette.

»Die Überraschung liegt auf beiden Seiten«, sagte Hedi. »Wer sich ein Tombola-Los kauft, rechnet doch bestenfalls mit dem Gewinn einer Torte – und wird später mit einem Gutschein für einen Sommerurlaub nach Hause gehen.«

»Es könnte also auch jemand kommen, der so gar nichts für die Berge übrighat«, überlegte Gerda, nachdem sie sich mit der Serviette Zucker und Marmelade von der Nasenspitze gewischt hatte.

»In diesem Fall, liebe Gerda, werden die Leute den Gutschein wohl weiterschenken. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass irgendjemand so ...« Hedi suchte nach dem richtigen Wort und rührte scheppernd in ihrem Kaffeehaferl.

»Stumpfsinnig?«, bot Gerda an.

Hedi lachte. »Geh, ›stumpfsinnig‹ ist ein hartes Wort. Manche Leute wissen ja gar net, was ihnen entgeht, wenn sie das Bergland meiden. Aber sagen wir es so: Ich denke, wer auch immer heute Abend das große Los ziehen wird, darf zufrieden sein!«

Gerda nickte. »Freilich. Weil wir uns auch immer die allergrößte Mühe geben, unsere Gäste glücklich zu machen!« Verträumt fügte sie hinzu: »Ich war noch nie auf einem richtigen Ball ...«

»Aber geh!« Resolut stellte Hedi Kaffeehaferl und Teller auf den Tisch. »Wir veranstalten im Hotel doch ständig Tanzereien!«

»Ja schon. Du organisierst das immer großartig, Hedi. Versteh mich nicht falsch. Ich rede von einem dieser grandiosen Bälle, für die die Wienerstadt weltberühmt ist. Wo die Herren Frack oder Smoking tragen und alle Frauen lange, wallende Kleider und kostbare Perlen. Wo die Tanzsäle mit üppigen Blumengestecken dekoriert sind, ein ganzes Orchester aufspielt und man in den Armen eines starken Manns zu den ewig gültigen Walzermelodien von Johann Strauss übers Parkett schwebt ... Weißt du, Hedi, so etwas möchte ich irgendwann einmal auch erleben.« Sie seufzte schwer.

Hedi Kastler wusste, dass Gerda, die im Job so erfolgreich ihre Frau stand, insgeheim eine unheilbare Romantikerin war. Da war es nur verständlich, dass ein Ballabend ganz oben auf ihrer Wunschliste stand. Und weil die Hotelbesitzerin nie lange fackelte, wenn sie eine neue Idee hatte, beschloss sie sofort, ihrer Freundin zum nächsten Weihnachtsfest eine Ballkarte für die nächste Saison samt Aufenthalt in einem Wiener Hotel zu schenken. Warum hatte sie bisher nie daran gedacht?

»Warum schmunzelst du so?«, wollte Gerda wissen.

»Ach ...«, Hedi war auch fix im Improvisieren, »ich erinnere mich daran, wie ich vor Jahren mit Andi beim Kaffeesiederball war. Die Veranstaltung fand ebenfalls in der prächtigen Hofburg statt. Und ja, es war ein großartiges Erlebnis. Die vielen Lichter aus den prunkvollen Lustern, die Blumen, die Kleider ... und doch ...«

»Was meinst du? War es denn nicht schön?«

Hedi zuckte mit den Schultern. Sie dachte an das Gedränge auf der Tanzfläche und an das grässlich ratschende Geräusch, das ihr Kleid von sich gegeben hatte, als ihr eine andere Frau mit dem spitzen Absatz ihres Stöckelschuhs in den Saum getreten war – der Bluterguss auf dem Knöchel hatte Hedi nicht halb so sehr geschmerzt wie das ruinierte Kleid. Doch sie wollte ihrer Freundin jetzt nicht den schönen Traum zerstören.

»Doch, doch«, sagte sie deshalb schnell und holte die positiven Erinnerungen an jene Ballnacht hervor. »Es war großartig. Stell dir vor, in den Waschräumen gab es Fauteuils aus rotem Plüsch, damit sich die Damen zwischendurch ein wenig ausruhen konnten. Das war vielleicht ein Plaudern und Plappern, sag ich dir! Die einen lehnten erschöpft, aber mit glühenden Wangen in den Ohrensesseln, die anderen saßen derweil auf kleinen Hockern vor altmodisch gerahmten Spiegeln und besserten ihr Make-up nach. Und währenddessen wurden Erlebnisse und Lippenstifte ausgetauscht, und die Madeln warnten einander vor den sogenannten ›Zehentretern‹, also den ungeschickten Tanzpartnern.«

»Was für ein schöner Gemeinschaftsgeist!«, hauchte Gerda schwärmerisch.

Hedi nickte. »Oh ja. Und es roch nach Haarspray und schweren Parfüms. Der Tüll raschelte, der Schmuck klimperte ...« Eigentlich, dachte Hedi, eigentlich bekam sie selbst grad Lust auf einen Ballbesuch. Doch leider wusste sie genau, dass ihr Mann Andi, der ihr sonst jeden Wunsch erfüllte, in diesem Fall nicht mitspielen würde. Damals hatte er auf dem Heimweg die drückenden Schuhe ausgezogen und in den nächsten Mülleimer gesteckt. »Das war's!«, hatte er resolut gesagt. »Ein- für Allemal!«

Doch Gerda brauchte nichts von zerrissenen Kleidern, Blasen an den Füßen und aufgelösten Ballfrisuren zu wissen. Sie sollte ihre eigenen Erfahrungen machen. Und Erfahrungen waren immer wertvoll, selbst wenn es dabei um einen Bluterguss am Knöchel ging.