Das Ja zum Leben und zum Menschen, Band 17 - Wolfgang Nein - E-Book

Das Ja zum Leben und zum Menschen, Band 17 E-Book

Wolfgang Nein

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Beschreibung

Das Anliegen der Predigt ist die Lebenshilfe. Mit dem Leben zurechtzukommen, ist nicht einfach. Das liegt an der Komplexität und Unergründlichkeit des Daseins, an der Ambivalenz des Seins, an der endlosen Zahl unbeantwortbarer Fragen, an dem Nebeneinander und Gegeneinander und Ineinander von Schönem und Schrecklichem, von Freud und Leid, von Verfügbarem und Unverfügbarem, und an dem Wunsch, in der Weite des Alls und der Unendlichkeit von Raum und Zeit für die begrenzte Dauer unserer persönlichen Existenz ein wenig Heimat zu finden, ein Zuhause und Geborgenheit. Der christliche Glaube ist ein hilfreiches Angebot, denn es besteht in einem unerschütterlichen und liebevollen Ja zum Leben und zum Menschen. Kirche ist wichtig, der Gottesdienst ist wichtig, die Predigt ist wichtig. Diese Predigtreihe möchte einen kleinen Beitrag zu diesem großen Thema leisten.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Er hat die Sinnfrage überflüssig gemacht

5. Januar 1975

2. Sonntag nach dem Christfest

Johannes 12,44-50

Befreiung aus inneren Gefangenschaften

9. Februar 1975

Estomihi

(Sonntag vor der Passionszeit)

2. Mose 33,12-23

Ostern: Eine andere Wirklichkeit hat sich offenbart

31. März 1975

Ostermontag

Lukas 24,36-49

Durch die Leidenszeit hindurchsehen

20. April 1975

Jubilate

(3. Sonntag nach Ostern)

Jesaja 40,26-31

Was haben wir durch Jesus Christus? Ewiges Leben?

27. April 1975

Kantate

(4. Sonntag nach Ostern)

Emmauskirche

Johannes 6,64b-69

Sehnsucht nach der verlorenen Einheit

8. Mai 1975

Himmelfahrt

Johannes 17,20-26

Heiliger Geist – der Beistand des Unverfügbaren

11. Mai 1975

Exaudi

(6. Sonntag nach Ostern)

Emmauskirche

Johannes 7,37-39

Das Alte immer wieder neu auslegen

25. Mai 1975

Trinitatis

Matthäus 28,16-20

Jesus ist vertrauenswürdig

8. Juni 1975

2. Sonntag nach Trinitatis

Matthäus 9,9-13

Josefs und Jesus’ Barmherzigkeit

22. Juni 1975

4. Sonntag nach Trinitatis

1. Mose 50,15-22a

Anerkennung ist nicht machbar

24. August 1975

13. Sonntag nach Trinitatis

Matthäus 6,1-4

Im Leid auf Gottes Barmherzigkeit vertrauen

14. September 1975

16. Sonntag nach Trinitatis

Klagelieder 3,22-33.39-41

Die Gebote und die Liebe zu Gott und den Menschen

28. September 1975

18. Sonntag nach Trinitatis

3. Mose 19,1-3.13-18

Handeln, schlafen, danken

5. Oktober 1975

19. Sonntag nach Trinitatis

Erntedankfest

Gnadenkirche

Markus 4,26-29

Fremd fern der Heimat und fremd in dieser Welt

12. Oktober 1975

20. Sonntag nach Trinitatis

Tag des ausländischen Mitbürgers

1. Mose 3,23

Luthers „gnädiger Gott“ kann für uns ein Segen sein

31. Oktober 1975

Reformationstag

Berufsschule / St. Petri

Matthäus 20,1-15

Gutes tun für Menschen und zur Ehre Gottes

2. November 1975

23. Sonntag nach Trinitatis

Matthäus 5,13-16

Mit Hoffnung den Schrecken der Zukunft entgegen

16. November 1975

Volkstrauertag

Emmauskirche

Lukas 21,8-19

Umkehr: Selbstkritisch sein und sich helfen lassen

19. November 1975

Buß- und Bettag

Matthäus 12,30(31-32)33-37

Hinter unsere Lebenswirklichkeiten schauen

7. Dezember 1975

2. Advent

Offenbarung 3,1-6

Das Geschenk des lieben Gottes

24. Dezember 1975

Heiligabend

Lukas 2,1-20

Die Liebe macht den Stall zur behaglichen Wohnung

26. Dezember 1975

2. Weihnachtstag

1. Johannes 1,1-4

Jesus Christus – der Ausweis Gottes

11. Januar 1976

1. Sonntag nach Epiphanias

1. Johannes 5,9-13

Lebenskraft durch menschliche Nähe

1. Februar 1976

4. Sonntag nach Epiphanias

St. Gertrud, Döse

Kolosser 2,8-15

Wann und wie und wo kommen wir zur Ruhe?

29. Februar 1976

Estomihi

(1. Sonntag vor der Passionszeit)

Hebräer 4,9-13

Christ sein ist etwas Besonderes

7. März 1976

Invokavit

(1. Sonntag der Passionszeit)

Konfirmation

2. Korinther 6,1-10

Wort des Lebens – des so sehr ersehnten Lebens

28. März 1976

Laetare

(4. Sonntag der Passionszeit)

Philipper 2,12-18

Der göttliche Weg zum Frieden

11. April 1976

Palmsonntag

(6. Sonntag der Passionszeit)

St. Jacobi, Lüdingworth

Sacharja 9,9-10

Jesus – im göttlichen Sinne Mensch und menschlich

15. April 1976

Gründonnerstag

Hebräer 2,14-18

Hirten sollen die Herde weiden und nicht sich selbst

2. Mai 1976

Misericordias Domini

(2. Sonntag nach Ostern)

Emmauskirche

Hesekiel 34,1-16

Mission durch fürsorgliches Handeln

16. Mai 1976

Kantate

(4. Sonntag nach Ostern)

Apostelgeschichte 16,16-34

Vertrauensvoll für den christlichen Glauben werben

23. Mai 1976

Rogate

(5. Sonntag nach Ostern)

Emmauskirche

Kolosser 4,2-6

Heimat in der Unendlichkeit von Raum und Zeit

27. Mai 1976

Himmelfahrt

Kolosser 1,15-20

Gute Worte können heilen und lebendig machen

5. September 1976

12. Sonntag nach Trinitatis

Ordination

Apostelgeschichte 9,32-43

Bibelstellen

Vorwort

Predigten haben mit dem ganzen Leben zu tun. Sie haben zu tun mit dem persönlichen und dem gesellschaftlichen Leben und dem weltweiten Miteinander der Völker. Sie haben mit den Grundfragen des Lebens zu tun und mit konkreten Ereignissen im Kleinen wie im Großen. Sie stellen Fragen und sie geben Antworten, Antworten freilich im Sinne eines Angebots. Sie greifen dabei vor allem auf die biblischen Texte und ihre Auslegung in den zweitausend Jahren seit ihrer Zusammenstellung zurück.

Das Anliegen der Predigt ist die Lebenshilfe. Mit dem Leben zurechtzukommen, ist nicht einfach. Das liegt an der Komplexität und Unergründlichkeit des Daseins, an der Ambivalenz des Seins, an der endlosen Zahl unbeantwortbarer Fragen, an dem Nebeneinander und Gegeneinander und Ineinander von Schönem und Schrecklichem, von Freud und Leid, von Verfügbarem und Unverfügbarem, und an dem Wunsch, in der Weite des Alls und der Unendlichkeit von Raum und Zeit für die begrenzte Dauer unserer persönlichen Existenz ein wenig Heimat zu finden, ein Zuhause und Geborgenheit.

Wir leben in der Regel wie selbstverständlich vor uns hin. Es ist ein Segen, dass wir das – von Natur aus – können. Es gibt aber immer mal wieder Situationen, in denen uns quasi der feste Boden entzogen wird, in denen für uns alles infrage steht, wir jegliche Orientierung verlieren und wir verzweifelt nach Halt suchen, und sei es an einem „Strohhalm“. Dieser „Strohhalm“ kann in einem guten Wort bestehen und in menschlicher Nähe.

Die Predigt bietet gute Worte aus der Schatzkiste der biblischen Texte an. Und sie bietet menschliche Nähe an. Denn ihre Botschaft lautet: „Das gute Wort wurde Mensch.“ Die Geborgenheit liebevoller menschlicher Nähe gibt Halt, Orientierung, Sinn. Alle grundsätzlichen Fragen und Unsicherheiten bleiben zwar, aber sie geraten in den Hintergrund. Die Kraft zum frohen Leben kann sich entfalten.

Die Predigt kann auch Sachinformationen vermitteln und wissenschaftliche Erkenntnisse einbeziehen. Sie kann Bibeltexte historisch-kritisch auslegen. Sie kann Bezüge zur weltlichen Literatur herstellen. Dies alles soll aber dem Zweck der Lebenshilfe dienen.

Die Predigt ist Teil eines Gottesdienstes. Sie ist ein leibhaftiges Wortereignis. Es muss zwar nicht so sein – und kann auch nicht so sein –, dass der Prediger mit seiner ganzen Person das abdeckt, was er predigt. Denn was er zu predigen hat, ist weit größer als er selbst. Aber im Sinne des Wortes Jesu an seine Jünger: „Wer euch hört, der hört mich“, befindet sich hinter dem Vordergründigen der Predigt und ihres Predigers das Hintergründige. Es wäre unsachgemäß, mit dem begrenzten Maßstab des (allzu) Menschlichen das Göttliche messen zu wollen.

Die Predigt wird ergänzt durch die anderen Teile des Gottesdienstes, die auf ihre je eigene Art – durch weitere Texte, durch Gesten und Rituale und auf musikalische Weise – das letztlich Unbegreifliche und Unsagbare des Daseins und die biblische Überlieferung erlebbar machen.

Die Predigt richtet sich an Gottesdienstbesucher, die Speise für ihr Herz und Hirn erhoffen, mit der sie gestärkt in den Alltag hinausgehen können. Dass sich die Hoffnung erfüllt, bleibt letztlich unverfügbar. Es ist wichtig, dass das Angebot bestehen bleibt.

Der christliche Glaube ist ein hilfreiches Angebot, denn es besteht in einem unerschütterlichen und liebevollen „Ja zum Leben und zum Menschen“. Kirche ist wichtig, der Gottesdienst ist wichtig, die Predigt ist wichtig. Diese Predigtreihe möchte einen kleinen Beitrag zu diesem großen Thema leisten.

Viel Freude beim Lesen!

Wolfgang Nein, Juli 2019

Er hat die Sinnfrage überflüssig gemacht

5. Januar 1975

2. Sonntag nach dem Christfest

Johannes 12,44-50

Weihnachten ist wieder schnell vergangen. Das ist jedenfalls das Gefühl, das sich bei mir einstellt, sobald wir neue Jahr hinter uns gebracht haben. Vielleicht geht Ihnen das genauso. Hier steht zwar noch der Tannenbaum, aber wir nehmen ihn kaum noch zur Kenntnis. Mit den Weihnachtsliedern ist es vorbei. Sie sehen aus dem Gesangbuch, dass wir bereits Lieder aus der Epiphaniaszeit singen.

Epiphanias ist das Fest der Erscheinung des Herrn. Das hat zwar noch mit der Geburt Jesu zu tun. Aber es ist schon stärker geprägt von den Auswirkungen dieser Geburt auf die Menschen, von der Verbreitung der Nachricht, dass der Sohn Gottes zu den Menschen gekommen ist. Das Evangelium, das wir vorhin gehört haben, berichtet von den Weisen aus dem Morgenland, die von weither angereist kommen, um dem kleinen Kind ihre Geschenke darzubringen. Sie kehren zurück in ihr Land und nehmen die Kunde von der Geburt des Königs der Juden mit sich.

Von der Ausbreitung der guten Nachricht ist auch das Lied bestimmt, das wir eben gesungen haben: „O König aller Ehren, Herr Jesu, Davids Sohn, hilf, dass allhier auf Erden den Menschen weit und breit dein Reich bekannt mög werden zur Seelen Seligkeit.“ Diese Grundstimmung von Epiphanias hat schon von alters her einen missionarischen Charakter.

Wohl aus diesem Grund wird in Hamburg zum Beispiel Anfang Februar die Hamburger Missionswoche abgehalten. In der Zeit nach Weihnachten stellt sich die Frage: Wie kommt die gute Botschaft unter die Leute? Wie kommt das, was da in der Verborgenheit geschehen ist, an das Licht der Öffentlichkeit?

Ganz kluge Leute könnten sagen: Weihnachten, die Geburt Jesu Christi, reicht noch nicht aus für die Mission. Zu der Geburt müssen noch das Leiden Christi, seine Kreuzigung und schließlich seine Auferstehung hinzukommen. Nur so wird das Erscheinen Gottes auf Erden zu einem Ereignis, das es wert ist, unter alle Menschen verbreitet zu werden. Das ist ganz richtig. Erst nach der Auferstehung ist die Verkündigung komplett, ist der Inhalt des Pakets vollständig, das nun in alle Welt verschickt werden kann.

Aber das alles bedenken wir ja Weihnachten schon mit oder sollten es wenigstens tun. Die Geburt dieses Kindes ist ja nur deshalb von so großer Bedeutung, weil wir schon das Ganze seines Lebens kennen, weil wir schon von seinem Wirken auf Erden, seinem Leidensweg, seiner Kreuzigung und Auferstehung wissen. Die Weihnachtsfreude ist nur im Zusammenhang des ganzen Geschehens verständlich und nur in diesem Zusammenhang kann Jesus Christus verkündigt werden.

Es ist also durchaus angebracht, in der Nachweihnachtszeit ein besonderes Augenmerk auf die Mission zu werfen, wenn wir das Ereignis Weihnachten in seiner vollen Bedeutung bedenken. Denn rückblickend betrachtet ist eben die Geburt Jesu Christi der Augenblick, in dem das ganz Neue eingetreten ist, indem nämlich Gott in einem Menschen unter die Menschen gegangen ist. Von da ab ist unser Verhältnis zu Gott neu geworden. Es ist seitdem unlösbar mit der Person Jesus Christus verbunden. Johannes bringt das deutlich zum Ausdruck. Er lässt dieses in seinem Evangelium im zwölften Kapitel sagen.

Unser Verhältnis zu Gott ist ein ganz persönliches geworden. Es führt über die Person Jesus Christus. Das ist es zunächst einmal, was in diesem Text zum Ausdruck kommt: „Wer an mich glaubt“, sagt Jesus, „der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat.“ Es ist kein Verhältnis, das durch eine theoretische Erkenntnis bestimmt ist, etwa in dem Sinne, dass wir meinen: Gott muss es geben, weil da irgendjemand die Welt erschaffen haben muss. Irgendjemand muss den Stein ins Rollen gebracht haben. Irgendjemand muss die letzte Ursache für das Leben sein.

Das ist eine theoretische Erkenntnis, etwas, was uns unser Verstand sagt, unsere Logik. Das ist etwas ganz Unpersönliches. Wir dürfen einmal an dieser Stelle fragen, wozu uns eine solche Erkenntnis in unserem Leben nützlich sein könnte. Ich sehe da einen großen Nutzen nicht. Ob ich sage: „Weil es eine letzte Ursache für das Leben auf Erden geben muss, gibt es Gott“, oder ob ich das nicht sage, das ist für mein Leben von ziemlich geringer Bedeutung. Daraus ergibt sich keine Antwort auf die wirklich ernsten Fragen meines Lebens.

Ob wir dagegen Jesus Christus als den Sohn Gottes annehmen oder nicht, das ist von unendlich großer Bedeutung; damit steht und fällt unser Leben. Das jedenfalls sagt Jesus in dem Evangelium des Johannes, das wir eben gehört haben: „Wer Jesus Christus nicht annimmt, der richtet sich selbst zugrunde.“ Es heißt in unserem Text: „Wer mich verachtet und nimmt mein Wort nicht auf, der hat schon seinen Richter: Das Wort, welches ich geredet habe, das wird ihn richten am jüngsten Tage.“

Ist der Glaube an Jesus Christus so entscheidend, dass davon Leben und Tod abhängen? In unserem Text bekommen wir nur eine Antwort in Bildern, in Bildern, die Johannes oft wiederholt hat und die uns darum sehr vertraut sind: „Ich bin gekommen in die Welt, ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe“, sagt Jesus. Und weiter: „Ich bin nicht gekommen, dass ich die Welt richte, sondern dass ich die Welt rette.“

Jesus ist gekommen, uns aus der Finsternis zu retten, heißt es in dem Bild. Können wir einmal einen Augenblick stehen bleiben und uns fragen: Welches ist eigentlich die bedeutungsvollste Frage unseres Lebens? Welches ist das schwierigste Problem, dem wir mit unserem Leben gegenüberstehen?

Ich meine, es ist die Frage nach dem Sinn unseres Lebens. Wir werden geboren und wir müssen leben. Was soll das? Wo uns diese Frage plagt – und wen von uns hat sie noch nicht geplagt? –, da stecken wir mit beiden Beinen in der Finsternis. Denn auf diese Frage können wir uns keine Antwort geben. Wir können uns selbst keinen Grund nennen, warum wir leben sollten, warum es gut sein sollte zu leben.

Wir leben nun einmal, das ist eine Tatsache, eine Tatsache, für die wir nichts können, mit der wir uns aber abfinden müssen im Guten oder im Bösen. Wo wir über unser Leben nicht mehr sagen können als dies, da leben wir in der Finsternis. Denn da ist unser Leben im Grunde gleichgültig, eine Last, die im Regelfall nicht schwer genug ist, als dass wir sie mutwillig abwerfen würden, und nicht leicht genug, um sie mit Freuden tragen zu können. So leben, ist, wie einem widerspenstigen Pferd aufsitzen, das eigenwillig vorangaloppiert, an das wir uns festklammern, um nicht herunterzufallen, und von dem wir nicht wissen, wie wir absteigen können.

Wenn wir uns von dem Leben nur so vorwärtsstoßen lassen oder wenn wir uns an der Frage nach dem Sinn des Lebens zermürben, dann leben wir im Grunde am Leben vorbei, sind wir schon halb gestorben. Die Gleichgültigkeit und die Angst sind Schatten, die unser Leben verfinstern.

Was bedeutet nun Jesus Christus für unser Leben, für unsere Frage nach dem Sinn des Lebens?

In Jesus Christus ist uns ein Weg gegeben, das Leben ganz zu leben. Er hat uns von der Frage nach dem Sinn des Lebens, von der Angst befreit. Er hat nicht eine Antwort auf diese Frage gegeben. Nein, er hat sie überflüssig gemacht.

Und wie hat er das getan?

Nun, in Jesus Christus ergeht an uns ein Angebot der Liebe. Und dieses Angebot besagt: In unserem Leben gibt es nur eines, was wichtig ist – nämlich diese Liebe anzunehmen.

Wie sollen wir das verstehen? Es ist ganz einfach und zugleich ganz schwierig. Vielleicht hilft uns ein Bild weiter von einer Mutter. Die Mutter hat ihr weinendes Kind im Arm und beruhigt es mit den Worten: „Nicht weinen, mein Kind, es ist alles in Ordnung.“

„Es ist alles in Ordnung“, das kann nicht heißen: Die Welt ist in Ordnung. Nein, in Ordnung ist die Welt nicht. Das weiß auch die Mutter und daraus könnte dem Kind kein Trost erwachsen. Nein, aber die Mutter ist da und hat das Kind liebevoll im Arm. Und das ist für das Kind das Wichtigste. Und so ist für das Kind doch alles in Ordnung. Das Kind ist ganz getröstet, weil es im Arm der Mutter geborgen ist und der liebevollen Geste vertraut.

„Nicht weinen, mein Kind, es ist alles in Ordnung“, das heißt für uns: „Fürchtet euch nicht, denn ich bin bei euch!“ In Jesus Christus nimmt Gott die Menschen liebevoll in seine Arme. Die Welt ist nicht besser geworden. Alle Probleme sind noch da. Aber, wir sind geborgen. Nur aus dieser Geborgenheit heraus können wir ein volles Leben führen.

„Fürchtet euch nicht, denn ich bin bei euch!“ Damit sind wir zum Vertrauen aufgerufen, sind wir aufgerufen, alle Sorgen, Fragen, Zweifel von uns zu werfen.

Wir wissen, wie schwer es uns fällt, im Vertrauen zu leben, im Zutrauen, wie schwer es uns fällt, uns annehmen zu lassen. Wir wollen uns unsere Sorgen nicht einfach abnehmen lassen, wollen gern unsere Probleme lösen, und können es doch nicht. Wir machen immer wieder die schmerzliche Erfahrung, dass wir da scheitern, wo uns das Vertrauen in die bergende Kraft Gottes fehlt.

Gott ist in Jesus Christus zum Menschen geworden und hat mit uns die Not des Lebens durchlitten. Er hat sich uns ganz persönlich zugewandt. Er will bei uns sein und uns trösten. Darin ist unsere Freude über das Kommen Christi begründet, und dafür danken wir Gott von Herzen.

Befreiung aus inneren Gefangenschaften

9. Februar 1975

Estomihi

(Sonntag vor der Passionszeit)

2. Mose 33,12-23

Wir kennen alle die Geschichten von der Führung des Volkes Israel aus Ägypten in das gelobte Land Kanaan. Ob es diese Wanderung der Israeliten tatsächlich gegeben hat, ob sie eine historische Tatsache ist und ob sie sich, wenn ja, so abgespielt hat, wie sie uns geschildert wird, das ist sehr umstritten.

Eines ist doch deutlich – das ist für uns wichtiger, meine ich, als das historische Ereignis –, dieser Auszug aus Ägypten stellt in lebendigen Geschichten die Situation unseres Lebens dar.

In Ägypten ist das Volk Israel in Gefangenschaft. Gott verspricht den Israeliten, sie zu befreien, sie aus der Knechtschaft herauszuführen in die Freiheit, in ein Land, in dem sie Ruhe finden können.

Das Volk begibt sich auf die Wanderschaft. Doch es ist ein Weg mit vielen Hindernissen. Die Israeliten beginnen, daran zu zweifeln, dass es richtig war, den Ausbruch zu wagen. Und sie beginnen daran zu zweifeln, dass der Gott, der ihnen die Freiheit verheißen hat, in der Lage ist, sein Versprechen einzuhalten. Der Gott, der sie führen will, verliert immer wieder ihr Vertrauen.

Doch letztlich erreichen sie das gelobte Land und können sich dort einrichten. Sie sind am Ziel ihrer Wanderung angelangt. Aber damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Sie sind damit noch nicht zur Ruhe gekommen.

Obwohl sie nun schon eine lange Erfahrung mit ihrem Gott hinter sich haben, erlebt haben, dass er seine Zusage hält, bleibt ihr Verhältnis zu ihrem Gott gestört. Mal zweifeln sie an ihm, mal ist er ihnen gleichgültig, mal lehnen sie ihn ganz und gar ab.

So haben sie zwar die Wanderschaft hinter sich, aber zur Ruhe sind sie dennoch nicht gekommen. Zur Ruhe können sie erst da kommen, wo sie sich ganz auf ihren Gott einlassen.

„Die Erzählungen von dem Auszug aus Ägypten spiegeln bedeutungsvoll die Situation unseres Lebens wieder“, sagte ich. Gefangen sind wir nicht in Ägypten. Wir sind gefangen in der Sorge um uns selbst: Wir meinen, in unserem kurzen Leben etwas erreichen zu müssen, und bedenken dabei das Ende nicht, das alles zunichtemacht.

Wir sorgen uns um unser Ansehen unter unseren Mitmenschen, als ob wir nicht spätestens als zittrige Alte doch dem mitleidigen Lächeln der anderen ausgesetzt wären. Wir sorgen uns um unseren Wohlstand, als ob uns am Ende nicht doch alles genommen würde. Wir sorgen uns um unsere Gesundheit, als ob unser Körper früher oder später nicht doch zerfallen würde. Wir sorgen uns um ein langes Leben.

Es sind eitle Sorgen, die uns gefangen halten, die unser Leben regieren, die uns knechten wie die Knuten der ägyptischen Aufseher.

Auch uns ist die Befreiung verheißen. Gott will uns aus der Sorge um uns selbst befreien. In Jesus Christus will er uns zu sagen: „Ihr Menschen seid Knechte euer selbst. Lasst euch von euch selbst befreien. Werft all eure Sorgen weg und lebt einen jeden Tag ohne Angst vor dem, was morgen ist.“

Gott will uns in Jesus Christus zeigen, dass er die Menschen liebt und von ihnen nicht mehr erwartet, als dass sie sich lieben lassen. Wie Verliebte sollen wir sein, die sich wünschen, dass die Zeit stehen bliebe. Denn für sie ist die Zeit erfüllt. Sie sind zur Ruhe gekommen. Sie wollen nicht mehr als das, was sie hier und jetzt haben.

Zu so anspruchsloser Annahme unseres Lebens will uns Gott in Jesus Christus aufrufen, von dem gesagt wird: Mit seinem Kommen war die Zeit erfüllt. Wenn wir das Wort recht aufnehmen, kann es uns von der Sorge um den nächsten Tag befreien und uns Ruhe heute geben.

Nur mögen Sie sagen: „All dieses theologische Gerede ist uns zu abstrakt. Das verstehen wir nicht. Das ist uns zu undeutlich. Wir sehen zwar ein: Der Mensch ist in einer miesen Lage. Er hat vielerlei Sorgen und so richtig fertig wird er mit ihnen nicht. Aber dass Gott daran etwas ändern könnte, das leuchtet uns nicht ein. Gott, das ist nur ein so schwammiger Begriff, der immer dann herhalten muss, wenn man nicht weiterweiß. Um unsere Probleme zu lösen, bedarf es handfesterer Sachen: Die Altersfürsorge, das Gesundheitswesen, die soziale Sicherung müssen verbessert werden. Der Staat muss sich vernünftige Programme einfallen lassen, um unsere Existenz vor allen Unbillen zu bewahren und unser Wohlergehen zu fördern. Verhältnisse müssen geschaffen werden, die jegliche Sorge überflüssig machen.“

An diesem Einwand ist manches richtig. Der Aufruf zu tatkräftigem Einsatz für die Herstellung menschenwürdiger Lebensverhältnisse ist es immer wert, ernstgenommen zu werden. Aber das Problem, von dem wir reden, wird damit nicht gelöst.

Denn wir wissen einerseits aus der täglichen Erfahrung und aus der Geschichte, dass Menschen sich keine dauerhafte menschenwürdige Lebensordnung schaffen können. Wir wissen andererseits, dass auch da, wo die Verhältnisse geordnet sind, wo die Menschen gesund sind und nach landläufiger Meinung eigentlich nichts mehr zu wünschen übrig bleibt, dennoch die Sorge da ist, die daher rührt – ob wir das nun zugeben oder nicht –, dass unsere Existenz letztlich doch ganz und gar ungesichert ist, dass wir letztlich nichts haben, woran wir uns festhalten können, dass es letztlich nichts gibt, was von Dauer ist. Alles ist ungewiss, unberechenbar, vergänglich. Und das ist schwer zu ertragen.

In den Geschichten vom Auszug aus Ägypten kommt dieses Problem ganz deutlich zum Ausdruck. Gott hat zwar gesagt: „Ich befreie euch aus der Knechtschaft und führe euch in das Land, wo ihr Ruhe finden sollt.“ Aber was nützt ein Führer, den man nicht sehen kann? Auch wenn Gott sagt: „Ich sende meinen Engel vor euch her, der euch führen soll“, was nützt das, wenn der Engel nicht zu sehen ist?

Eben diese Frage richtet Mose einmal an Gott, indem er sagt – ich gebe den Predigttext aus dem 2. Buch Mose im 33. Kapitel einmal etwas verkürzt wieder –, Mose sagt also zu Gott: „Siehe, du sprichst zu mir: Führe das Volk hinauf! und lässt mich nicht wissen, wen du mit mir senden willst. Habe ich denn Gnade vor deinen Augen gefunden, so lass mich deinen Weg wissen, damit ich dich erkenne und Gnade vor deinen Augen finde.“

Gott sprach: „Mein Angesicht soll vorangehen, ich will dich zur Ruhe leiten.“ Und Mose sprach zu ihm: „Wenn dein Angesicht nicht vorangeht, so führe uns nicht von hier hinauf. Denn woran soll erkannt werden, dass ich und dein Volk vor deinen Augen Gnade gefunden haben, wenn nicht daran, dass du mit uns gehst?“ Und Mose sprach weiter: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ Und Gott sprach: „Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorüberziehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des Herrn: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Aber mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.“

Mose möchte gern sichergehen. Er möchte gerne wissen, wer sie durch die Wüste führt, und er möchte den Führer gern mit eigenen Augen sehen. Doch das bleibt ihm verwehrt. Gott bleibt unsichtbar. Das Einzige, was Mose erreicht, ist dies: Er erhält von Gott erneut die Zusage, dass er sie sicher durch die Wüste leiten werde in das Land, in dem sie Ruhe finden sollen.

Auch Mose hätte allen Grund zu sagen: „Das ist mir nicht genug. Eine bloße Zusage ohne handfeste Garantien – darauf können wir uns nicht einlassen.“

Und das Volk, das mit ihm durch die Wüste gehen soll, wird von solchen Bedenken in der Tat immer wieder geplagt. Doch das Vertrauen gewinnt schließlich die Oberhand. Und die Israeliten gelangen ans Ziel.

Wir stehen in unserem Leben vor eben dieser Frage: Sollen wir uns auf die Zusage Gottes einlassen, dass er uns mit seinem Wort aus der Trostlosigkeit unseres Daseins herausführen kann in die Fülle des Lebens, in ein Leben ohne Angst und Sorge, ein Leben ohne verstiegene Ansprüche, ohne Illusionen und abergläubische Hoffnungen, ohne Verzweiflung und Resignation?

Wir haben die Zusage Gottes in Jesus Christus erhalten. Damit ist uns der Weg gezeigt. Mehr können wir nicht erwarten. Mehr Sicherheit können wir nicht haben. Der Rest ist Wagnis des Glaubens. Ich meine, es lohnt sich, auf die Wanderschaft zu gehen aus der Knechtschaft unserer Sorge um uns selbst heraus in das Land der Freiheit, in dem der heutige Tag bereits die ganze Fülle des Lebens in sich trägt.

Ostern: Eine andere Wirklichkeit hat sich offenbart

31. März 1975

Ostermontag

Lukas 24,36-49

Das Kreuz, gerade das Kreuz ist das Zeichen, das Symbol der Christen. Das Kreuz ist doch eigentlich ein Zeichen des Schreckens, der Galgen der Römer, könnte man sagen. Ein Zeichen der Niederlage, des Todes. Für Christen ist es ein Zeichen des Triumphes geworden.

Ist das nicht paradox, widersprüchlich? Da hängt der leitende, ohnmächtige Christus am Holz. Ohnmächtig? Ja. Und dennoch ist dieses Bild zur Kraft für viele Menschen geworden.

Die Kreuzigung ist eben noch nicht das Letzte, was wir von Jesus Christus hören. Er ist auferstanden. Die Auferstehung, sie verwandelt das Kreuz in ein Zeichen des Sieges.

Die Auferstehung, ein Bild, ein skandalöses Bild, weil es unserem Verstand, wir können das ruhig zugeben, unserem gesunden Menschenverstand geradezu wehtut. Lassen Sie uns hören, wie Lukas in seinem Evangelium im 24. Kapitel die Begegnung der Jünger mit dem Auferstandenen schildert.

Die jünger sind von Angst und Schrecken gepackt, weil sie einen Geist zu sehen glauben. Bei uns stellt sich vielleicht ein etwas mitleidiges Lächeln ein oder ein bisschen Ärger, weil uns eine solche Geschichte zugemutet wird. Es haben ja viele Leute, auch gelehrte Leute, darüber gestritten, ob ein wirklich Toter wieder wirklich lebendig werden kann, ob Jesus wirklich tot und wieder wirklich zum Leben erwacht war.

Ich meine, der Streit ist müßig. Davon hängt christlicher Glaube wirklich nicht ab. Es wäre einfältig, ja, vielleicht sogar ketzerisch zu meinen, der christliche Glaube hätte nur dann seinen Sinn und seine Berechtigung, wenn Jesus wirklich tot gewesen und wieder wirklich lebendig geworden ist. Wenn der christliche Glaube auf solchen Zauberkunststückchen des lieben Gottes aufbauen sollte, dann wäre er wahrhaftig auf Sand gebaut.

Nein, es ist ein Bild. Die Geschichte von der Auferstehung ist ein Bild – von tiefer Bedeutung allerdings, in dem zum Ausdruck kommt, was nur der Glaube erfassen kann, dass nämlich in Jesus Christus der Tod überwunden ist.

Aber was soll das heißen? Ist der Tod nicht eine Realität wie eh und je? Eine schreckliche Realität, denken wir an das Massensterben der Hungernden und der vom Krieg geplagten Menschen. Und immer noch werden wir geboren, um letztlich doch wieder zu sterben.

„Der Tod überwunden“, das können wir wieder nur auf paradoxe, auf scheinbar widersprüchliche Weise sagen: Es ist alles beim Alten geblieben, und doch ist alles zugleich neu geworden. Beides ist gleichzeitig wahr: der Tod und das ewige Leben.

Wir erinnern uns an die Geschichte vom Leben Jesu: Er hat vielerlei Gutes getan, Tote auferweckt, war freundlich zu den Menschen, so wird uns erzählt. Und doch war sein ganzes Leben überschattet von Leid. Kaum dass er geboren war, suchte Herodes ihn zu töten. Er musste immer vor Nachstellungen auf der Hut sein. Die Passionsgeschichten schildern, wie er schließlich von einem seiner eigenen Jünger verraten, dann von den Römern gefangen genommen und schließlich ans Kreuz gehängt wurde. Er wurde verspottet: „Anderen hat er geholfen und kann sich selbst nicht helfen. Steig herab vom Kreuz, wenn du der Sohn Gottes bist, dann wollen wir dir glauben.“

Es schien, als hätte diese Welt ihre eigenen unumstößlichen Gesetze, das Recht des Stärkeren, als wäre ein Mensch wie Jesus fehl am Platz, ein armer, mittelloser, machtloser Mensch. Er war zu gut für unsere Welt. Sie hat seine Freundlichkeit nicht ertragen. Er wollte an ihren Gesetzen rütteln. Das konnte ja nicht gut geht. Er war eine Provokation. Deshalb haben sie zugeschlagen, ihn ans Kreuz genagelt. Die alte Welt schien wieder in Ordnung. Die Selbstgerechten konnten ihr hochmütiges Gelächter weiter lachen, die Verzagten konnten weiterzagen. Es war alles beim Alten geblieben, nichts war neu geworden, das war bis Karfreitag. Das eherne Gesetz der Welt regierte: „Beuge dich oder stirb!“

Dann Ostern. Christus ist auferstanden, für immer auferstanden. Die Provokation der Liebe ist wieder da, eine neue Chance, jeden Tag neu, unser Leben lang.

Die Auferstehung schafft Hoffnung. Das Gesetz der alten Welt ist doch durchbrochen. Gott hat gesiegt. Dem Hohngelächter ist der Boden entzogen.

Die Auferstehung ist Vergebung. Die böse Tat ist aufgedeckt, die Schuld offenbart. Dennoch führt sie nicht in die ewige Verdammnis. Gott hat seinen Sohn erweckt, das Ergebnis der Untat ist wieder rückgängig gemacht. Die Menschen dürfen aus der Erfahrung lernen und einen neuen Anfang wagen.

Freilich, die Auferstehung tut ihr gutes Werk nicht bei jedem und schon gar nicht automatisch. Sie bekehrt den nicht, der zur Umkehr nicht bereit ist. Das gute Wort von der Vergebung und der Hoffnung vernimmt nur der, der nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit dem Herzen hört.

Die ewigen Zweifler werden auch weiter zweifeln. Als Jesus den Jüngern erscheint, sind auch sie zunächst entsetzt, wollen das Geschehene nicht wahrhaben. Die Auferstehung ist ein schwerer Brocken auch für ihren Verstand. Wir kennen ja auch die Geschichte vom ungläubigen Thomas. Wie Lukas erzählt, zerstreut Jesus die Vorbehalte der Jünger schnell.

Möge ihm das auch bei uns gelingen. Wenn wir recht hören, vermögen wir wohl den befreienden Ruf Gottes zu hören: Die Welt, die du siehst, die du anfassen kannst, die du hören, schmecken, fühlen kannst, sie ist nicht die letzte und einzige Wahrheit. Sie ist die harte, grausame Wirklichkeit. Sie ist kalt zum Erfrieren, trostlos zum Weinen – nicht nur Naturkatastrophen, Unglücksfälle, Krankheit, Armut, nein, auch und vor allem menschliches Versagen, menschliche Schuld, Hartherzigkeit, Lieblosigkeit.

Aber es gibt noch eine fröhliche Wirklichkeit, die, wenn wir sie nur erkennen, alles in einem neuen Licht erscheinen lässt: die Wirklichkeit von Liebe, Vergebung, Versöhnung, Hoffnung, Sorglosigkeit.

Der Schrecken der alten, trostlosen Welt ist symbolhaft dargestellt im Kreuz von Golgatha. Dieses Kreuz tragen wir sichtbar mit uns verbunden. Es steht in jeder Kirche. Aber das Kreuz der Christen ist nicht nur das, was wir sehen, ein Werkzeug der Hinrichtung, ein Abbild der grausamen Wirklichkeit, sondern es deutet zugleich auf eine andere Wirklichkeit, die der fröhlichen Hoffnung. Und genau so, vielleicht hilft uns dieses Bild des Kreuzes, genau so ist die sichtbare Wirklichkeit, die wir täglich schmerzlich erfahren, nicht das Letzte und Einzige.

Die Geschichte von der Auferstehung hilft uns, uns von ihr befreien zu lassen, durch sie hindurchzublicken.

Das ist die Überwindung des Todes in Jesus Christus: dass er in das Dunkel unseres Gefängnisses eingebrochen ist, die Türen aufgerissen hat, den Schleier der Umnachtung von unseren Geistern weggerissen hat.

Ostern ist das fröhliche Fest der Christenheit. „Jesus Christus lebt“, das ist die Botschaft der Auferstehung. Die Provokation der Liebe ist wieder unter uns. Wir können uns der Herausforderung stellen. Wir sind besser ausgerüstet als zuvor, um eine Erfahrung reicher: Die Kreuzigung auf Golgatha hat uns das Ausmaß der menschlichen Verirrungen vor Augen geführt. Die Auferstehung hat uns die Größe der göttlichen Gnade gezeigt. Seien wir jetzt mutig und fröhlich. Lassen wir uns lieben und zur Liebe provozieren. Und sagen wir Dank dem, der uns die österliche Freude bereitet hat, wie es heißt in dem Lied, das wir vorhin gesungen haben: „Wir danken dir, Herr Jesu Christ, dass du vom Tod erstanden bist, und hast dem Tod zerstört sein Macht und uns zum Leben wiederbracht.“

Durch die Leidenszeit hindurchsehen

20. April 1975

Jubilate

(3. Sonntag nach Ostern)

Jesaja 40,26-31

Ein junger Pastor in Schleswig-Holstein ließ auf einer Konfirmation die Gottesdienstbesucher wissen: „Von all den Menschen, die ich kenne, haben viel zu wenige Humor.“