Predigten - Kirche, Gemeinde, Gottesdienst - Wolfgang Nein - E-Book

Predigten - Kirche, Gemeinde, Gottesdienst E-Book

Wolfgang Nein

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Beschreibung

Der Sinn und die Existenzberechtigung von Kirche, Gemeinde und Gottesdienst werden zunehmend hinterfragt. Die in diesem Buch abgedruckten Predigten bekräftigen dagegen die Bedeutung von Kirche, Gemeinde und Gottesdienst. Diese Bekräftigung hat ihren Grund in der Bedeutung der christlichen Botschaft, die sich mit Blick auf die existentielle Situation des Menschen zusammenfassen lässt mit dem Titel der Predigtreihe: Das Ja zum Leben und zum Menschen.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kirche

Geist und Materie

9. Juni 2003

Pfingstmontag

Apostelgeschichte 2,1-13

Hier geht es um Grundfragen des Lebens

7. April 1991

Quasimodogeniti / 1. Sonntag nach Ostern

Konfirmation

Psalm 139,14

Einladung, das Leben zu bedenken und zu feiern

13. Juni 1999

2. Sonntag nach Trinitatis

Partnerschaft Uyole – St. Markus

Matthäus 22,1-14

Kirche – ein Haus für das Mehr an Leben

6. April 1986

Quasimodogeniti / 1. Sonntag nach Ostern

Konfirmation

1. Petrus 2,5

Christ sein – mit Herz und Händen

10. Mai 1992

Jubilate / 3. Sonntag nach Ostern

Konfirmation

Johannes 1,14a

Kirchentür zwischen vita und scriptura

31. Oktober 2003

Reformationstag

Epheser 5,1

Glaube, Hoffnung, Liebe

31. Oktober 2005

Reformationstag

1. Korinther 13,13

Angebot, das Gute zu entdecken

20. Juni 1993

2. Sonntag nach Trinitatis

Matthäus 22,1-14

Kirche im Sozialismus

17. Juni 1984

Trinitatis

Matthäus 28,19-20

Neue Sicht – Freude, Skepsis, Ablehnung

17. September 1989

17. Sonntag nach Trinitatis

Partnergemeinde Heilgeist, Stralsund

Johannes 9,35-41

Gottes Dienst an uns und unser Dienst

2. April 1995

Judika / 5. Sonntag der Passionszeit

Einführung der Diakonin

Markus 10,45

Mission durch fürsorgliches Handeln

16. Mai 1976

Kantate / 4. Sonntag nach Ostern

Apostelgeschichte 16,16-34

Ein offenes Herz für gute Worte

27. Januar 2008

Sexagesimae / 2. Sonntag vor der Passionszeit

Apostelgeschichte 16,9-15

Im Auftrag eines Höheren

12. Juli 2009

5. Sonntag nach Trinitatis

Lukas 5,1-11

Gemeinde vor 2000 Jahren und heute

20. Juli 1980

7. Sonntag nach Trinitatis

Apostelgeschichte 2,41a.42-47

Programm für den Gemeindeaufbau

13. Juli 1986

7. Sonntag nach Trinitatis

Apostelgeschichte 2,41a.42-47

Krise macht kreativ

21. Januar 1996

3. Sonntag nach Epiphanias

Apostelgeschichte 10,21-35

Werbung für den christlichen Glauben?

15. Januar 2006

2. Sonntag nach Epiphanias

1. Korinther 2,1-10

Wir haben einen Auftrag

14. Juli 1985

6. Sonntag nach Trinitatis

Matthäus 28,16-20

Abschiedsgottesdienst

30. Mai 2010

Trinitatis

Römer 7,25a

Der bleibende Auftrag der Kirche

5. Januar 2020

2. Sonntag nach dem Christfest

Jesaja 61,1-3(4.9)10-11

Unterschiede auf gemeinsamer Grundlage

19. Juni 1994

3. Sonntag nach Trinitatis

Partnerschaft St. Markus – Uyole, Tansania

1. Korinther 9,19-23

Gottesdienst, Alltag und die Glaubwürdigkeit

13. Februar 1994

Estomihi / Sonntag vor der Passionszeit

Amos 5,21-24

„Solange es die Kirche noch gibt“

18. Februar 2001

Sexagesimae / 2. Sonntag vor der Passionszeit

Jesaja 55,6-11

Verschiedene Kulturen und das gemeinsame Christliche

14. Oktober 1984

17. Sonntag nach Trinitatis

Epheser 4,1-6

Verschieden und verbunden

1. Juni 2008

2. Sonntag nach Trinitatis

Epheser 4,5

Gemeinde

Bibel, Lebenspraxis, Feier

23. Januar 1994

Letzter Sonntag nach Epiphanias

Gemeindeversammlung

Johannes 1,14

Die Zukunft der Gemeinde?

19. Januar 1997

Letzter Sonntag nach Epiphanias

Einführung des Kirchenvorstands

2. Korinther 4,6-10

Leben ist mehr als Überleben

9. November 1997

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres

Gottesdienst zu Beginn des Basars

Johannes 2,1-17

Wer ist die Gemeinde? Die Gemeinde sind wir!

Juli – September 2000

Gemeindebrief

Lebenszelle Gemeinde

12. Januar 2003

1. Sonntag nach Epiphanias

Einführung des neugewählten Kirchenvorstands

Römer 12,3-8

Fortbestand der Gemeinde durch menschliche Nähe

14. Januar 1998

Pastorenkonvent

Römer 12,1

Urgemeinde und Gemeinde in der Großstadt

9. Oktober 1994

19. Sonntag nach Trinitatis

Jakobus 5,13-16

Paulus, Baumeister der Gemeinde

9. September 1984

12. Sonntag nach Trinitatis

1. Korinther 3,9-15

Die christliche Botschaft hält Gemeindestreit aus

22. Juli 1984

5. Sonntag nach Trinitatis

2. Thessalonicher 3,1-5

Gemeindeaufbau mit Hindernissen

8. Juni 1992

Pfingstmontag

1. Korinther 12,4-11

Wir sind zu vorbildlichem Verhalten berufen

16. Juli 2000

4. Sonntag nach Trinitatis

1. Petrus 3,8-15a(15b-17)

Als christliche Gemeinde füreinander da sein

6. August 2000

7. Sonntag nach Trinitatis

Philipper 2,1-4

„Dienst“ in der Gemeinde

16. Januar 1994

2. Sonntag nach Epiphanias

Verabschiedung von Pastor Otfried Reinke

Römer 12,11

Wie verbindlich sind Formen?

18. Oktober 1992

18. Sonntag nach Trinitatis

Römer 14,17-19

Wohnort Gottes

12. August 2007

10. Sonntag nach Trinitatis

Johannes 4,19-26

20 Jahre Uyole – St. Markus

15. Juni 2008

4. Sonntag nach Trinitatis

Gäste aus Uyole

Epheser 4,5

„Ihr seid das Salz der Erde“

5. Juli 2009

4. Sonntag nach Trinitatis

Matthäus 5,13

Gottesdienst

Der Wert des Gottesdienstes

14. Juni 1997

Außentagung des Kirchenvorstands

Psalm 100

Gottesdienst – Feier des Lebens

24. August 1997

13. Sonntag nach Trinitatis

Lukas 10,25-37

Zeichen gegen die Ohnmacht

12. September 2004

14. Sonntag nach Trinitatis

Gedenken der Menschen in Beslan

Themengottesdienst „Liturgie, Rituale, Symbole“

Klagelieder 3,22-24.26.31.32

Gottesdienst: Medizin für Leib und Seele

17. Oktober 1993

19. Sonntag nach Trinitatis

Markus 1,32-39

Herz und Hirn

31. Oktober 2008

Reformationstag

Römer 3,21-28

Anhang

Gemeindekonzept: Fortbestand als Einzelgemeinde

Bibelstellen

Vorwort

Der Sinn und die Existenzberechtigung von Kirche, Gemeinde und Gottesdienst werden zunehmend hinterfragt. Die in diesem Buch abgedruckten Predigten bekräftigen dagegen die Bedeutung von Kirche, Gemeinde und Gottesdienst. Diese Bekräftigung hat ihren Grund in der Bedeutung der christlichen Botschaft, die sich mit Blick auf die existentielle Situation des Menschen für mein Verständnis am besten zusammenfassen lässt mit dem Titel der Predigtreihe „Das Ja zum Leben und zum Menschen“.

Es gibt keine gesellschaftliche Institution, die sich in ganzheitlicher Weise des Menschen in seiner existentiellen Situation annimmt – außer der Kirche. Jedem Menschen auf diesem Erdball ist seine Existenz mit all den schönen und schweren und in vielfacher Hinsicht unverfügbaren Seiten ungefragt aufgetragen worden – mit der Herausforderung, die Jahrzehnte seines im Grunde unbegreiflichen Daseins bewusst zu gestalten.

Bei der Suche nach einem tragfähigen Lebenskonzept und mit dem Angebot einer Hilfestellung in dem Auf und Ab des Lebens steht die Kirche dem Menschen zur Seite. Sie greift mit ihrem Angebot insbesondere zurück auf die Überlieferungen der jüdisch-christlichen Tradition. Sie bietet ihr Angebot dar in Gestalt einer heute weltweiten Institution mit besonderen Gebäuden, in denen sich Menschen zur Besinnung und seelischen Erbauung und zur Feier versammeln können und mit Einrichtungen der praktischen Hilfe für die vielfältigen materiellen und seelischen Probleme des Menschen.

Es erscheint wie ein Wunder, dass sich aus den kleinen Anfängen vor 2000 Jahren mit einer äußerlich so machtlos erscheinenden Gestalt und den so einfachen Anhängern eine kraftvolle weltumspannende Bewegung hat entwickeln können. Die Predigten bringen immer wieder zum Ausdruck, dass es sich bei der inneren Kraft dieser Bewegung um die letztlich unbegreifliche und unzerstörbare Liebe zum problembeladenen Menschen und zum ganzen problembeladenen Dasein handelt. Diese Liebe haben manche Menschen der Zeitenwende als geradezu übermenschlich und erlösend empfunden und haben sie verkörpert erlebt in dem einen bestimmten Menschen, Jesus von Nazareth, den sie uns als Sohn Gottes überliefert haben.

Diejenigen, die das Besondere in jenem Jesus von Nazareth wahrgenommen und ernstgenommen haben, versuchten, seine göttliche Ausstrahlung, seine Worte und Taten zu interpretieren und in eigene Worte zu fassen. Sie trafen sich, sie erzählten ihre Erfahrungen und Gedanken weiter und schrieben sie auf. Sie taten sich zusammen, bildeten Gemeinden und gaben sich für ihre Treffen und ihr Miteinander eine Struktur. Durch die wachsende Zahl Interessierter entstanden immer neue Gemeinden, zunächst unter Juden, dann auch unter Nichtjuden.

Die Anhänger jenes Jesus von Nazareth wurden bald als eigenständige religiöse Gruppierung wahrgenommen und als solche nicht nur wohlwollend betrachtet. Sie wurden bedroht, einige erlitten den Märtyrertod. Dennoch wuchs ihre gesellschaftliche Bedeutung. Im 4. Jahrhundert erhob Kaiser Konstantin die neue – christliche – Bewegung zur Staatsreligion. Es bildete sich die Institution Kirche mit organisatorischen Strukturen, mit immer komplexeren Festlegungen der inhaltlichen Grundlage und gottesdienstlicher Feiern. Dieser Vorgang besteht in einer ständigen Bewegung, die bis heute andauert.

Auch nach 2000 Jahren müssen wir das, was mit den Worten und Taten und der göttlichen Ausstrahlung jenes Jesus von Nazareth begann, für uns heute auslegen. Wir stehen somit zum einen immer wieder wie am Anfang, können zum anderen aber – im Gegensatz zu den ersten Anhängern – in unsere Überlegungen das einbeziehen, was sich in den zurückliegenden 2000 Jahren entwickelt hat. Wir müssen nicht bei Null anfangen.

Gegenwärtig können immer mehr Menschen immer weniger mit Kirche, Gemeinden und Gottesdiensten anfangen. Die Kirche als Institution steht derzeit zum einen wegen der Fälle von Kindesmissbrauch sehr in der Kritik. Schon lange ist die Kirchensteuer ein Grund dafür, dass sich Menschen von der Kirchen abwenden. Darüber hinaus scheint das Empfinden für die transzendente Seite dessen, was Kirche zu vermitteln hat, abzunehmen. Die Wissenschaften und technischen Entwicklungen haben zu der weit verbreiteten Auffassung geführt, dass grundsätzlich alles erklärbar und machbar sei. Historische Positionen aus dem Bereich der Kirche zu wissenschaftlichen Themen werden immer wieder herangezogen, um zu zeigen, dass Kirche aus Sicht der Wissenschaften und des modernen Denkens nicht ernst zu nehmen ist. Und dass Kirche z. B. in kritischen Momenten auf die Frage nach dem „Warum?“ keine Antwort zu geben weiß bzw. die aus dem kirchlichen Bereich gegebenen Antworten nicht als nachvollziehbar empfunden werden, wird als Schwäche der Kirche ausgelegt. Hinzu kommt der Eindruck, dass das, was Kirche zu den Dingen des Lebens und zu gesellschaftlichen Problemen und Entwicklungen zu sagen hat, von anderen außerhalb von Kirche kompetenter vermittelt wird.

Die hier abgedruckten Predigten wie die ganze Predigtsammlung verweisen immer wieder auf die Grenzen alles Menschlichen, auf das unauflösbare Geheimnis des Seins, auf die Übergröße des Unverfügbaren im Vergleich zum Verfügbaren, auf die unauflösbaren Ambivalenzen des Seins, auf den zunehmenden Entscheidungsdruck infolge des fehlenden Instinktes und der Entwicklung des menschlichen Bewusstseins. Sie verweisen auf die ins Unermessliche wachsende Verantwortung in der Folge der sich immer umfänglicher entwickelnden technischen Möglichkeiten. Die Predigten verweisen zudem immer wieder auf das Gemenge von geradezu unglaublichen Schönheiten und Großartigkeiten dieses Daseins zum einen und unfassbar Schrecklichem zum anderen. Und sie verweisen immer wieder auf die Art des Menschen, der zum einen Großartiges zu leisten vermag und gut und liebevoll, zum anderen aber unfassbar böse sein kann.

Die Predigten gehen davon aus, dass der Mensch mit diesem ihm ungefragt aufgetragenen Dasein letztlich in grundsätzlicher und vielfacher Hinsicht überfordert ist. Sie gehen davon aus, dass der Mensch insofern einen erheblichen Bedarf an Zuspruch, an Vergewisserung, an Orientierung, an Lebenshilfe hat. Kirche hält in dieser Hinsicht ein überaus wertvolles Angebot bereit. Sie kann mit ihrer Botschaft und ihren konkreten Ausprägungen helfen, das Leben in einem konstruktiven und menschlichen Sinne anzunehmen und zu gestalten.

Da die Bedeutung des kirchlichen Angebots von vielen nicht mehr wahrgenommen und wertgeschätzt wird, wenden sich viele Menschen von der Kirche ab. Sie treten aus der Kirche aus, nehmen immer weniger an Gottesdiensten teil und äußern sich über Kirche zunehmend geringschätzig. In der Folge verringern sich die finanziellen Ressourcen von Kirche. Dies wiederum führt zur Notwendigkeit von Sparmaßnahmen und dem Versuch, Einnahmen auf neuen Wegen zu erzielen. Neben dieser materiellen Folge verstärkt sich auch kirchenintern eine Unsicherheit bezüglich der inhaltlichen Grundlage der Kirche und deren Gestaltung in organisatorischen Strukturen, in Traditionen und Gottesdiensten.

Die Predigten dieser Predigtsammlung unterstreichen die Bedeutung von Kirche für den einzelnen Menschen, für die Gesellschaft und für das weltweite Miteinander. Sie unterstreichen die Bedeutung von Gemeinden als den Lebenszellen der Kirche und von Kirchen als besonderen Gebäuden. Sie unterstreichen die Bedeutung des Gottesdienstes als gemeinschaftlicher Feier des Lebens, als Hilfe zur Orientierung in den Fragen des Daseins und zur Stärkung einer lebensbejahenden und menschfreundlichen, liebevollen Einstellung.

Wolfgang Nein, Juni 2021

Kirche

Geist und Materie

9. Juni 2003

Pfingstmontag

Apostelgeschichte 2,1-13

Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes. Was hat es mit dem Geist auf sich?

Geist und Materie, das Geistige und das Materielle – das sind zwei ganz verschiedene Welten und doch gehören sie zusammen wie die zwei Seiten einer Medaille oder besser gesagt: wie die Idee und ihre Ausführung oder – wie die Philosophen sagen – wie Essens und Existenz. Unser ganzes Dasein könnten wir verstehen als die materielle Gestalt des Geistes Gottes. Die Kirche könnten wir verstehen als die materielle Gestalt des Geistes Jesu.

Manche sagen: „Ich glaube nur, was ich sehe“, und bringen damit zum Ausdruck, dass sie mit dem Unsichtbaren, dem Geistigen, nicht recht was anzufangen wissen, dass sie dem Geistigen nicht recht was zutrauen, es im Grunde für ihr Leben für bedeutungslos halten.

Stellen wir uns aber einmal zum Beispiel vor, wir wollten als Gemeinde etwas ganz Praktisches, ganz Handfestes tun, ein Haus bauen zum Beispiel. Ein Haus ist etwas ganz Anschauliches. Das kann man sehen, das kann man anfassen, das kann man betreten, das kann man gebrauchen. Dennoch, was das Verhältnis von Geistigem und Materiellem anbetrifft, ist das fertige Haus nur wie die Spitze des Eisbergs. Denn das meiste am Haus ist das Unsichtbare, das Geistige.

Es gibt das Haus nur, weil jemand die Idee gehabt hat, das Haus zu bauen. Es muss jemand den Wunsch, die Lust, den Mut, das Interesse gehabt haben, das Haus zu bauen. Jemand muss sich Argumente zurechtgelegt haben, dass es besser ist, das Haus zu bauen, als es nicht zu bauen. Und es muss sich jemand – vielleicht mit anderen zusammen – überlegt haben, wie das Haus gebaut werden sollte, wie viele Stockwerke, ob mit oder ohne Keller, mit wie vielen Zimmern, die Raumaufteilung, die Materialien, den Stil des Hauses, ob es zeitgemäß oder der Zeit voraus, ob es einfach nur praktisch und wirtschaftlich oder ob es auch schön sein sollte und welche Zwecke es eigentlich erfüllen sollte.

Was ich sagen möchte, ist dies: Was am Ende als anschaubares Gebäude dasteht, hat seine Vorgeschichte in geistiger Arbeit. Das Haus ist letztlich nur das in Materie gefasste Konzept des Geistes, in Form gegossener Geist. Es ist lediglich das materielle Endprodukt eines ziemlich langwierigen, vielleicht jahrelangen, komplizierten, vielfältigen geistigen Prozesses. Das meiste am Haus, eben diese geistige Seite, ist – wie beim Eisberg – unsichtbar.

Um das Unsichtbare im Nachhinein zu erforschen, könnten wir im Archiv nachschauen, was da in den Unterlagen von den Vorüberlegungen aufgeschrieben und aufgezeichnet ist.

Wir könnten auch versuchen, vom fertigen Haus Rückschlüsse zu ziehen darauf, wes Geistes Kind die Planer des Hauses wohl gewesen sind. Von der ganzen Schöpfung könnten wir Rückschlüsse auf den Geist des Schöpfers zu ziehen versuchen. Von der konkreten Gestalt der Kirche könnten wir Rückschlüsse zu ziehen versuchen auf den Geist Jesu.

Materie ist also nicht nur Materie. Sie ist zu Feststoff gewordener Geist.

Was haben diese Überlegungen nun mit Pfingsten zu tun, Pfingsten, dem Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes in die Herzen der Jünger Jesu – vor 2000 Jahren in Jerusalem?

Das, was wir heute als Kirche kennen und erleben, hat dereinst seinen Anfang genommen in dem, was damals zunächst nur Geist war, Erinnerung an die gemeinsamen Jahre mit Jesus und sein Auftrag, das gemeinsam Erfahrene weiterzugeben. Aus jenen Anfängen ist Kirche geworden, und zwar Kirche als die große, schließlich weltweite Gemeinschaft von Menschen, Kirche als die schließlich weltweite Organisation und Kirche als die Vielfalt von Kirchengebäuden in aller Welt – das hat alles seinen Anfang genommen in den Köpfen und in den Herzen einiger Menschen damals. Wie daraus dann langsam Konkretes geworden ist, können wir in der Apostelgeschichte und in den neutestamentlichen Briefen recht gut nachvollziehen. Ein theologisches und kirchliches Konzept hat sich entwickelt und hat sich über die Jahrhunderte immer wieder gewandelt, durch die Jahrtausende hindurch und von Ort zu Ort, von Land zu Land, von Gemeinde zu Gemeinde, von Mensch zu Mensch.

Wenn wir heute ein konkretes Kirchengebäude betrachten, unsere Kirche St. Markus zum Beispiel, dann werden wir hierin noch die geistigen Spuren der allerersten Zeit entdecken und zugleich die geistigen Veränderungen über die Jahrtausende und die geistigen Besonderheiten unseres Kulturkreises und der Gemeindeverantwortlichen vor 100 und vor 50 Jahren und den Geist der Architekten jener Zeiten.

Wenn wir uns jetzt zum Beispiel entschlössen, eine neue Kirche zu bauen, dann müssten wir zunächst erhebliche geistige Vorüberlegungen anstellen und geistige Forschungsarbeit leisten. Wir müssten zum Beispiel überlegen, was eigentlich das Uranliegen von Kirche ist und wie Kirche als Kirchengebäude heute eine zeitgemäße und zugleich zukunftsweisende Gestalt haben könnte. Das Ansinnen eines Kirchenneubaus hat es in unserer Gemeinde übrigens vor gar nicht so langer Zeit, 1961 nämlich, gegeben. Im Gemeindehaus können Sie gern die damaligen Grundrissentwürfe für eine neue Kirche einsehen. Damals meinte man, unsere Kirche sei zu klein und würde die wachsende Zahl der sonntäglichen Gottesdienstbesucher gar nicht mehr fassen. Aber keine Angst, wir haben jetzt nicht vor, eine neue Kirche zu bauen.

Die geistige Arbeit ist die Voraussetzung für alles Weitere. Das Gebäude selbst wäre am Ende nur die Ausführung, die Materialisierung des geistigen Konzeptes.

Natürlich hat das Materielle dann auch eine eigenständige Wirkung. Ob das Gebäude am Ende wirklich das geistige Konzept widerspiegelt, ist dann die Frage. Vielleicht sagt das fertige Ergebnis etwas Anderes aus, als gemeint war, und wirkt dann auf den Geist der betrachtenden Menschen anders als eigentlich beabsichtigt.

Insofern ist da keine einfache, gradlinige, einseitige Beziehung zwischen dem Geistigen und dem Materiellen. Manche sagen zum Beispiel, Jesus hat den Heiligen Geist in die Welt gegeben und wir haben die Kirche daraus gemacht. Damit wollen sie kritisch feststellen: „Die Kirche in ihrer konkreten Gestalt ist nicht die Ausprägung des Geistes Jesu. Die Kirche im Konkreten sagt etwas Anderes aus, als Jesus eigentlich gemeint hat. Die Kirche widerspricht in manchem sogar dem Geist Jesu.“ Das ist eine harte Kritik.

In aller Bescheidenheit müssen wir eingestehen, dass wir uns – wie die Jünger damals auch, nur nach bestem Wissen und Gewissen – in treuem Glauben – darum bemühen können zu verstehen, was Jesus in seinem Innersten bewegt und angetrieben hat, was seine Vorstellungen von unserem Dasein und unserem menschlichen Miteinander gewesen waren. Wir brauchen – wie die Jünger damals – zum Verstehen und Nachvollziehen und zum Anwenden auf die heutige Zeit nicht nur die Texte sondern auch die Unterstützung des Geistes, damit der Wille Jesu durch uns auch heute seinen ursprünglichen Zweck erfüllen kann: dass nämlich dem Menschen geholfen werde in seinen vielfältigen existentiellen Fragen und Problemen.

Wenn wir uns fragen: „Was hat uns Pfingsten heute zu sagen?“, dann können wir vielleicht antworten: Pfingsten weist uns immer wieder auf die geistige Seite unseres Daseins hin und mahnt uns, diese ernst zu nehmen. Und Pfingsten erinnert uns daran, dass es nicht irgendein Geist ist, der damals auf die Jünger gekommen und durch die Jünger in unsere Welt hineingekommen ist, dass es vielmehr der Geist Gottes, der Geist Jesu, der Heilige Geist ist. Und dass wir, wenn wir Pfingsten ernst nehmen, uns eben diesem Geist öffnen sollen und uns durch ihn in unserem ganzen Leben leiten lassen und mit ihm unser Leben gestalten sollen.

Wenn wir uns also zum Beispiel daranmachen, etwas zu bauen, sei es ein konkretes Gebäude, ein Haus, eine Kirche, oder wenn wir uns daranmachen, Gemeinde zu bauen, Kirche zu bauen, eine Gemeinschaftsordnung zu bauen, eine Weltordnung, eine Weltwirtschaftsordnung zu bauen, dann ist es wichtig, die geistige Vorarbeit zu leisten, indem wir uns vom Pfingstgeist leiten lassen, und nicht nur von den offenen oder verdeckten geistigen Strömungen unserer Zeit, die sich keineswegs immer mit dem Geist Jesu vereinbaren lassen.

Wir stehen insofern auch vor der Aufgabe, die Geister zu unterscheiden. Durch welche geistigen Konzepte lassen wir uns beeinflussen? Wes Geistes Kinder sind wir? Wes Geistes Kinder sind wir, wenn wir es zum Beispiel hinnehmen, dass Milliarden von Menschen in Hunger und Elend leben oder wir uns daran zu gewöhnen beginnen, dass das Recht des Stärkeren wieder salonfähig wird oder wir uns damit abfinden, dass wir trotz aller technischen Hilfsmittel immer weniger Zeit zu haben meinen? Wir haben reichlich Grund, um den Geist Gottes zu bitten.

Dass Jesus damals aufgetreten war und nach seinem Heimgang seinen Geist hinterlassen hat, das hatte seine Gründe in einem Bedarf an Veränderung in der damaligen Gesellschaft und in den Herzen der Menschen. Er wollte – und was er wollte, das verstand er als seinen göttlichen Auftrag – er wollte mehr Liebe in diese Welt hineinbringen, auch Liebe dem feindselig Gesonnenen gegenüber. Er wollte die Barmherzigkeit mit dem Schwachen, dem Hilfsbedürftigen stärken. Er wollte zur Vergebung ermutigen. Er wollte die Kraft der Hoffnung und den Glauben an das Gute im Menschen stärken. Er warb für Mitmenschlichkeit und wandte sich gegen den Egoismus. All das, wofür er warb, das lebte er selbst, ja, für das, was ihm wichtig war, gab er sein Leben hin.

Gott machte der Menschheit das Geschenk, dass er diesen Jesus von Nazareth nicht zunichte machen ließ durch die Unverständigen und Böswilligen, dass er ihn vielmehr wieder auferstehen ließ und seinem Anliegen in den Herzen der Menschen Unsterblichkeit gab.

Der Geist Gottes, der in Jesus Christus Mensch geworden war, ist auf die Anhänger Jesu übergegangen und hat durch sie und durch immer neue Menschen durch die Jahrtausende hindurch weitergewirkt bis auf den heutigen Tag.

Möge der Geist Jesu auch uns leiten und uns helfen, das Leben auf diesem Erdball im Sinne der Liebe Gottes zu allen Menschen zu gestalten.

Hier geht es um Grundfragen des Lebens

7. April 1991

Quasimodogeniti / 1. Sonntag nach Ostern

Konfirmation

Psalm 139,14

Liebe Konfirmandinnen, liebe Konfirmanden!

Manche Menschen spüren beim Anblick geöffneter Kirchentüren eine Schwellenangst in sich. Sie mögen nicht in die Kirche eintreten aus Scheu vor dem, was da drinnen wohl sein mag, und aus Unsicherheit darüber, wie es ihnen da drinnen wohl ergehen mag.

Euch ist dieser Kirchraum nicht mehr fremd. Ihr habt in den letzten knapp zwei Jahren die Schwelle dieser Kirche des Öfteren überschritten, einige häufiger als andere. Ihr dürft diese Kirche mit allen Räumlichkeiten und den Menschen, die dazugehören, gerne wie ein zweites Zuhause in Anspruch nehmen. Einige von euch haben in den kirchlichen Räumen bereits genächtigt und gefeiert. So soll und kann und darf es sein, und so wird es hoffentlich auch noch lange bleiben.

Ich möchte auch Sie alle ermuntern und ermutigen: Treten Sie in Kirchen ein. Es sind Räume für Menschen, Räume zum Wohle des Menschen. Nehmen Sie an Gottesdiensten teil. Da geht es um uns im besten denkbaren Sinne.

Wenn wir eine Kirche betreten, werden wir allerdings, auch wenn wir keine Schwellenangst haben, dennoch empfinden, dass dies kein x-beliebiger Raum ist, dass hier noch etwas anderes Großes, Geheimnisvolles dran ist, was uns in der Regel dazu bewegt, in Kirchen nur verhalten zu sprechen und uns maßvoll zu bewegen. Die Kirche ist eben auch und insbesondere ein Raum Gottes, ein Raum also, in dem wir etwas von dem spüren, was über uns hinausgeht, was über unser Wissen und Können hinausgeht, was mehr und größer ist als wir und was wir letztlich nur durch unsere Fragen erreichen können.

Vielleicht sind euch in einer stillen Stunde schon mal Gedanken durch den Kopf gegangen, die man nicht gerade jeden Tag hat, Gedanken ganz grundsätzlicher Art – dass ihr euch zum Beispiel mal gesagt habt: „Eigentlich hat mich damals keiner gefragt, ob ich geboren werden wollte, ob ich gerade in Deutschland, in dieser Gegend, in dieser Zeit, von diesen Eltern, in dieser Umgebung als Junge oder Mädchen zur Welt kommen wollte.“

Das hat uns alle keiner gefragt. Man hat uns einfach in diese Welt gesetzt – in diese Welt. Wir konnten nicht mitreden, uns nichts aussuchen, auch nicht unsere Begabungen, unser Aussehen, was uns doch eigentlich alles so wichtig ist.

Wenn wir allein dieses bedenken: dass wir existieren ohne unser Zutun, und dass wir in eine Existenz hineingestellt sind, die wir uns nicht ausgesucht haben, dann geht, glaube ich, wohl jedem auf, dass unser Dasein von einem großen Geheimnis umgeben ist. Über so etwas denken wir nicht tagtäglich nach, aber in manchen Augenblicken überkommen uns solche Fragen, die wir nicht beantworten können.

Die Kirche ist der Raum, von dem wir spüren: Hier geht es um das Geheimnis des Lebens, um die Rätsel unseres Daseins. Und hier geht es um die Frage, wie wir es denn nun halten wollen mit dieser Existenz, in die wir so ungefragt hineingeraten sind.

Ja, wie stellen wir uns zu unserem Dasein? In der Kirche können wir hören, was andere auf diese Frage geantwortet haben. Die Bibel ist eine Schatzkiste voller Antworten auf solche grundsätzlichen Fragen. Sie ist voller Antworten vieler Menschen aus vielen Jahrhunderten. Dies ist nicht irgendein Buch. Hierin geht es um die Grundfragen unseres Lebens. In diesem Buch klagte zum Beispiel einer: „Ach, hättest du doch den Leib meiner Mutter verschlossen und mich gar nicht erst zur Welt kommen lassen, dann wäre mir viel Elend erspart geblieben!“ Und ein anderer preist Gott mit überschwänglichen Worten für das Geschenk des Lebens.

Der geheimnisvolle Urgrund unseres Lebens wird in diesem Buch ganz persönlich beschrieben: Nicht durch ein unergründliches, anonymes Schicksal existieren wir, sondern Gott hat uns in seiner Liebe erschaffen, ein Schöpfer mit den persönlichen Zügen eines liebenden Vaters oder einer liebenden Mutter. So muss man das Leben nicht verstehen. So kann man es aber verstehen: als ein wunderbares, kostbares Geschenk, das es wert ist, dass man jeden Tag „Danke“ sagt: „Danke, dass ich leben darf!“

Es gibt hier noch mehr Antworten in diesem Buch auf die Frage: „Wie stelle ich mich zur Tatsache, dass ich existiere?“ Einer sagt: „Ich verstehe mein Leben als eine Aufgabe, als eine Aufgabe, zur Ehre des Schöpfers dem Leben zu dienen, nicht nur meinem Leben, auch dem Leben meiner Mitmenschen, auch dem Leben meiner Feinde und dem Leben der ganzen Schöpfung.

Wer sein Dasein so versteht, der wird dann wissen, wozu er seine Begabungen bekommen hat. Der wird wissen, wozu er seinen Verstand bekommen hat: nämlich zum Beispiel zu überlegen, wie er einen Kranken gesundmachen kann. Der weiß, wozu er seine Hände bekommen hat: nämlich einem, der hingefallen ist, wieder aufzuhelfen. Und er weiß, wozu er einen Mund bekommen hat: dem anderen etwas Nettes zu sagen, damit sein Kummer davonfliegt.

Also langer Rede kurzer Sinn: Der Kirchenraum ist der Ort, an dem grundsätzliche Fragen unseres Lebens zur Sprache kommen. Wo ist das sonst möglich?! Und hier sind wir mit unseren Fragen nicht allein; hier sind noch andere da. Und hier habe ich die Fragen und Antworten der Menschen vieler Generationen, in diesem ganz besonderen Buch, aus dem im Gottesdienst gelesen und das hier erklärt wird.

Und noch eines ist wichtig: In der Kirche, im Gottesdienst, werden diese grundsätzlichen Lebensfragen nicht nur theoretisch und abstrakt angegangen. Hier wird zugleich gefeiert. Hier wird das Leben gefeiert. Das Leben mit all seinen Rätseln, seinen Ungereimtheiten, seinen Widersprüchlichkeiten, seinen Belastungen wird hier gefeiert als dieses wunderbare Geschenk Gottes, das es zu bewahren und zu preisen gilt und das unseres Dankes und unserer ganzen Hingabe wert ist.

Und der Mensch wird hier gefeiert – der Mensch, das heißt wir alle und alle anderen mit uns, der Mensch, dieses sonderbare Geschöpf, das zu so großen Leistungen fähig ist und das auch so unglaubliche Untaten vollbringen kann. Der Mensch in seinen Größen und Niedrigkeiten, mit seinen Stärken und seinen Schwächen, der wird im Gottesdienst gefeiert als ein Geschöpf Gottes, das sich der Liebe seines Schöpfers trotz allem gewiss sein darf.

Überhaupt ist es vielleicht das Erstaunlichste und Großartigste, was hier in der Kirche zum Tragen kommt: dass all das, was uns am Leben und am Menschen, auch an uns selbst, zu schaffen macht, hier eine positive Wandlung erfährt. Aller Kritik, allen Zweifeln, allen Vorbehalten dem Leben und den Menschen und uns selbst gegenüber wird hier das große Dennoch ausgesprochen: Dennoch ist das Leben etwas ganz Wunderbares, dennoch ist der Mensch ein großartiges Geschöpf, dennoch sind auch wir, jeder einzelne von uns, liebenswerte Wesen.

Dieses Ja zum Leben, das Ja zum Menschen, das Ja zur ganzen Schöpfung ist das Schöne an der Kirche, das Schöne an der Bibel, an unserem christlichen Glauben. Deshalb beglückwünsche ich euch, dass ihr mit eurer heutigen Konfirmation eure Verbundenheit mit der Kirche und dem christlichen Glauben zum Ausdruck bringt. Und deshalb möchte ich Ihnen allen Mut machen: Nehmen Sie das wunderbare Angebot unserer Kirche und unseres Glaubens reichlich in Anspruch. Wir haben Grund zum Feiern, Grund, unseren Schöpfer zu preisen und ihm zu danken für das Leben und alle guten Gaben.

Einladung, das Leben zu bedenken und zu feiern

13. Juni 1999

2. Sonntag nach Trinitatis

Partnerschaft Uyole – St. Markus

Matthäus 22,1-14

Der für den heutigen Sonntag regulär vorgesehene Predigttext aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 22, ist die Parallelstelle zur Evangelienlesung von der Einladung zum großen Abendmahl in Lukas 14. Sie wissen vielleicht, dass Matthäus und Lukas oft den gleichen Text anbieten, weil sie von gemeinsamen Vorlagen abgeschrieben haben. Genau abgeschrieben haben sie nicht immer. Sie haben ihre Vorlagen oftmals nach eigenen Ideen ein wenig verändert. Sich solche Bearbeitungen genauer anzusehen, ist ganz interessant. Wenn Sie an so etwas Interesse haben, sollten Sie bei einem entsprechenden Text einfach mal an einem Predigtvorgespräch teilnehmen.

Den Lukastext haben wir als Evangelienlesung gehört. Ich verlese jetzt den Predigttext aus Matthäus, dann kann ich im weiteren Verlauf auf beide Versionen – auf die von Matthäus und die von Lukas Bezug nehmen. Ich möchte mich schon jetzt fast dafür entschuldigen, dass die Version bei Matthäus einige ziemlich brutale Aspekte hat.

Wir haben im Vorbereitungskreis überlegt, wie wir diesen Predigttext mit dem besonderen Anlass des heutigen Gottesdienstes verbinden können, mit dem Anlass, dass wir heute unsere Partnerschaft mit der Gemeinde Uyole in Tansania feiern.

Da fällt mir als erstes auf, wenn ich jetzt so in den Kirchraum blicke, dass unserer Einladung zu diesem Gottesdienst relativ wenige gefolgt sind. – Schön, dass Sie gekommen sind! Viele sind aber nicht gekommen. Insofern befinden wir uns als Einladende in einer ähnlichen Situation wie derjenige, der bei Lukas zum großen Abendmahl einlädt, und wie der König im Matthäusevangelium, der eine Hochzeit ausrichtet.

In Uyole in Tansania sieht das ganz anders aus als in St. Markus. Da wird die Kirche heute morgen wieder voll sein, übervoll vielleicht. Wenn mein Kollege dort, der Pastor David Ngogo – einige werden sich noch an ihn erinnern –, wenn Pastor Ngogo heute morgen seine Predigt so ähnlich anfängt wie ich jetzt, dann wird er vielleicht sagen: Die in unserer Partnergemeinde St. Markus, die haben genau das Problem, das der Predigttext schildert: Die laden zum Gottesdienst ein, und es kommen nur wenige.

Vielleicht setzt er seine Predigt dann fort mit Spekulationen darüber, warum so viele nicht kommen, welche Gründe sie vorbringen würden, wenn man sie fragte. Diese Frage hatten wir ja letztes Jahr hin und her bewegt, als wir ihn mit drei anderen aus Uyole bei uns zu Besuch hatten. Ich möchte diese Frage im Augenblick zurückstellen, die Frage, warum der eine und der andere nicht zur Kirche kommt.

Ich möchte zunächst einmal auf die Lösung schauen. Wie verhalten sich die beiden Gastgeber unserer Bibeltexte angesichts der mäßigen Reaktion auf die Einladung? In beiden Texten ist es so, dass die Einladung dann einfach ausgeweitet wird auf andere Personenkreise – auf die irgendwo da draußen. Bei Matthäus heißt es: „Geht hinaus auf die Straße und ladet zur Hochzeit ein, wen ihr trefft. Und die Knechte gingen auf die Straße hinaus und holten zusammen, wen sie trafen, Böse und Gute; und die Tische wurden alle voll.“ So erzählt es Matthäus. Und Lukas zitiert die Anweisung des Einladenden an seinen Knecht mit den Worten: „Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe Arme, Behinderte, Blinde und Lahme herein.“ Als dann immer noch Platz war, sagte der Gastgeber: „Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, damit mein Haus voll werde.“

Gerade diese letzte Anweisung hat nun wieder einen besonderen Bezug zu unserem Uyole-Thema. „Geht an die Zäune“ – da steckt nämlich der Missionsauftrag drin. Geht über die Grenzen hinaus, auch über die Landesgrenzen hinaus – da sind doch auch noch Menschen, vielleicht freuen die sich über die Einladung.

Hinter dieser Einladung – wie überhaupt hinter diesem ganzen Thema – steckt die Erfahrung der ersten Christen, dass damals in Israel viele Menschen von dem neuen Glauben an Jesus Christus nichts wissen wollten, und dass sich dann in der Tat mancher auf den Weg über die Grenzen Israels hinausbegeben und für den Glauben an Christus missioniert hat, geworben hat, wie wir heute sagen würden, vor allem Paulus – in Griechenland, in der heutigen Türkei, in Italien und anderswo. Diese Einladung, den Glauben an Jesus Christus anzunehmen und sich seinen Anhängern anzuschließen, diese Einladung hat sich dann ausgebreitet über den ganzen Erdball und fortgesetzt durch alle Jahrhunderte hindurch bis auf den heutigen Tag. Sie ist mal mehr angenommen worden, mal weniger.

Wir können jetzt noch einmal auf die Frage zurückkommen, was Menschen dazu bewegen könnte, sich der Kirche zuzuwenden – in Uyole einerseits, in St. Markus andererseits. Die Motive werden zum Teil vielleicht ähnlich, zum Teil sicherlich auch verschieden sein.

In Uyole – und das gilt für ganz Tansania – sind die Lebensverhältnisse überaus ärmlich. Es fehlt an allem, an medizinischer Versorgung, an Schulen, an Kindergärten, an Arbeitsmöglichkeiten. Auch die Ernährungssituation ist sehr bescheiden. Vielleicht fühlen sich Menschen dort besonders angesprochen von der Hinwendung der Kirche zu den Armen: „Geh hinaus auf die Straßen der Stadt und führe die Armen herein“, heißt es bei Lukas. Dieses Herz für die Armen ist seinem ganzen Evangelium abzuspüren.

Arme gibt’s auch unter uns, vielleicht mehr, als wir denken. Es gibt viel verdeckte Armut, aber wir haben den Sozialstaat. Wenn sich der auch im Umbau befindet, so ist es bei uns doch so, dass sich der Arme zunächst an den Staat wendet und dort um Unterstützung bittet, auf die er ja sogar in vielfacher Weise einen Rechtsanspruch hat. Das war bei uns im letzten Jahrhundert noch ganz anders, vor 150 Jahren z. B., als die Marthastiftung gegründet wurde, die heute Träger des Altenheims St. Markus ist. Mitte des vorigen Jahrhundert sah sich die Kirche in der Pflicht, ähnlich vielleicht wie heute in Tansania, sich intensiv den sozialen Problemen der Menschen zuzuwenden. Damals wurde die Einrichtung gegründet, die wir heute Diakonisches Werk nennen. Die Kirche ist auch bei uns heute noch sehr mit allen möglichen sozialen Problemen befasst. Viele Menschen sehen darin immer noch die bedeutsamste Aufgabe der Kirche in unserer Gesellschaft. Das sehe ich allerdings angesichts unseres Sozialstaates nicht ganz so.

Ich sehe die Bedeutung der Kirche mehr an einer anderen Stelle, die nicht nur die Armen betrifft, sondern jeden Menschen, ganz unabhängig von seinem Kontostand und seiner sozialen Stellung. Ich sehe die Bedeutung der Kirche mehr im Hinblick auf die existentiellen Probleme des Menschen, d. h. „Probleme“ sollte ich gar nicht sagen. Besser wäre einfach zu sagen: Die „existentielle Situation“ des Menschen. Was meine ich damit?

Ich meine z. B. den schlichten Tatbestand, dass wir geboren werden und irgendwann wieder sterben werden. Das ist ein Grundtatbestand unseres Daseins. Und dieser Grundtatbestand ist schon eine ziemlich sonderbare Angelegenheit. Wir werden aus fast nichts geboren, wissen nicht warum, sind auch nicht gefragt worden, wir wissen nicht, woher wir kommen und wohin wir gehen, haben uns auch nicht die Rahmenbedingung unseres Daseins aussuchen können und müssen dann irgendwie damit klarkommen.

Allein dieser Grundtatbestand unseres Daseins wirft so viele Fragen auf und ist mit so vielen Problemen verbunden und ist eine solche Herausforderung an uns, dass allein schon von daher Kirche immer eine große Bedeutung haben wird. Denn die Kirche ist die Einrichtung in unserer Gesellschaft, die sich mit den Grundfragen des Lebens beschäftigt, und zwar in einem ganzheitlichen Sinne. In der Kirche geht es nicht darum, die Grundlagen unseres Daseins zu erforschen, im wissenschaftlichen Sinne etwa, sondern darum, das Leben zum Thema des Nachdenkens zu erheben, wie ich das jetzt mache. Es geht auch darum, das Leben zu feiern und dafür zu danken, wie wir das z. B. nachher noch machen werden im Taufgottesdienst. Es geht auch darum, Mut zu machen, die Probleme des Lebens anzugehen, die Schwierigkeiten konstruktiv zu überwinden, und überhaupt „Ja“ zu sagen zum Leben. Es geht auch darum, das Staunen zu fördern darüber, dass es dieses ganze Dasein überhaupt gibt und dass es so voller schier unglaublicher Wunder ist.

Aber dann auch dieses andere Thema – das sind wir selbst: der Mensch, dieses ganz besondere und auch etwas sonderbare Wesen mit all seinen schönen und schrecklichen Seiten; der Mensch: das Genie, der Fast-alles-Könner, aber doch so verletzlich und in vielem so hilflos, der große Konstrukteur, aber auch der Zerstörer. Da ließe sich so viel sagen – und da muss auch viel gesagt werden – über den Menschen und zum Menschen. Da hat die Kirche eine ewige Aufgabe.

Wir dürfen das in aller Unbescheidenheit sagen: Die Kirche ist die große gesellschaftliche Einrichtung, die sich mit den Grundfragen des Lebens befasst. Nennen Sie mir eine andere Einrichtung, die das in dieser Ganzheitlichkeit tut! Es gibt keine andere Einrichtung.

Es ist keineswegs so, dass die Kirche etwa auf alles eine Antwort hätte. Aber sie hat die Fragen und die Themen und die Zuständigkeit und die Tradition und die Rituale, um sich dieses Themas annehmen zu können. Und sie bietet eine Grundposition an, nach der Menschen immer sehnsüchtig verlangen werden: eine positive, bejahende Grundposition dem Leben und dem Menschen gegenüber. Die Kirche bewahrt und gestaltet und stärkt das Ja zum Leben und das Ja zum Menschen.

Da können wir doch alle nur froh und dankbar sein, dass es die Kirche gibt, egal, ob wir arm oder reich sind, ob wir in Deutschland leben oder irgendwo in Afrika. In dieser Hinsicht sind wir uns in Uyole und in St. Markus wohl gleich – hinsichtlich dieser Grundfragen unseres Daseins.

Was unsere beiden Gemeinden anbetrifft, St. Markus und Uyole, da gibt es Gemeinsames, und da gibt es Unterschiede. Ob mein Kollege heute auch noch etwas über die Kleiderordnung sagt, weiß ich nicht. Matthäus hat ja diese ziemlich brutale Szene, wo einer, der zur Hochzeit erschienenen Gäste nicht ordentlich gekleidet ist und deswegen hinausgeworfen wird. Ich nehme mal an, dass man sich in Uyole wirklich festlich kleidet, wenn man zur Kirche geht, soweit das eben der Geldbeutel erlaubt. Ob man da auch so streng vorgeht wie bei Matthäus, weiß ich nicht. Bei uns ist das ja nicht mehr so – zum Glück. Aus dem Gottesdienst hinauswerfen werden wir niemanden wegen unangemessener Kleidung. Das ist sicherlich ein aufregendes Gesprächsthema; das will ich hier aber nicht vertiefen.

Wichtiger scheint mir, dass die Einladung von damals, von vor zweitausend Jahren, weitergetragen worden ist und dass sie von Ihnen heute morgen angenommen worden ist. Wir werden die Einladung immer weitergeben. Das ist wichtig und hilfreich und gut – für uns in St. Markus, für die Menschen in Uyole und für alle Menschen.

Kirche – ein Haus für das Mehr an Leben

6. April 1986

Quasimodogeniti / 1. Sonntag nach Ostern

Konfirmation

1. Petrus 2,5

Liebe Konfirmanden! Ich möchte euch jetzt einmal ganz persönlich ansprechen; denn dies ist euer Tag. Ihr gebt heute dem christlichen Glauben euer Ja-Wort. Das kling nach Eheschließung und kirchlicher Trauung. Verheiratet werden sollt ihr mit der Kirche nicht gerade. Aber ihr bekennt euch heute doch zu einer Beziehung, die – so hoffe ich wenigstens – alle Merkmale trägt, die auch eine gute Ehe ausmachen. Ich hoffe und wünsche für euch, dass ihr euren Partner – ich sage einmal kurz „die Kirche“ und meine damit den christlichen Glauben, die Bibel und die Tradition mit allem, was dazugehört – dass ihr diesen Partner, die Kirche, wirklich gern habt und dass da eine lebenslange Beziehung draus wird, die gleichermaßen in guten wie in schweren Tagen hält, und dass es eine Beziehung des gegenseitigen Gebens und Nehmens wird, in der einer das Wohl des anderen mit großer Einsatzbereitschaft und auch mit Geduld und mit Nachsicht und gegenseitigem Verzeihen fördert.

Wenn wir uns umschauen und nachsehen, welche Beziehung denn zwischen Christen und ihrer Kirche tatsächlich besteht, wird man wohl zu dem Schluss kommen müssen: Vom Abbild einer guten Ehe kann da oft kaum die Rede sein. Aber wie es in einer Beziehung aussieht, das hängt von beiden Seiten ab. Ein gutes Miteinander setzt voraus, dass jeder sein Teil beiträgt. Das gilt eben auch für die Beziehung zwischen Christen und ihrer Kirche.

Ich möchte bei dem Stichwort „Kirche“ noch ein wenig bleiben und meine Gedanken anschließen an einen Satz, der auch in unserem Vorstellungsgottesdienst eine Rolle gespielt hatte, ein Satz aus dem 1. Petrusbrief, Kapitel 2, Vers 5: „Ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Haus.“

Hier geht es um euch und um die Kirche als geistliches Haus. Es fällt der Begriff „Steine“, den wir im Vorstellungsgottesdienst so sehr hin und her bewegt hatten. Zwei Bilder haben wir hier vor uns, zum einen die Kirche als ein Gebäude wie dieses, in dem wir uns befinden, aus harten Steinen gebaut. Zum anderen die Kirche aus lebendigen Steinen gebaut. Damit sind die einzelnen Christen gemeint, die gemeinschaftlich auch das bilden, was wir Kirche nennen. Beide Bilder stehen in enger Beziehung zueinander und beide haben mit euch zu tun. Das möchte ich nun ausführen.

Zunächst die Kirche als Gebäude. Was stellt sie dar, was bedeutet sie? Was kann sie für euch bedeuten? Ich möchte nur wenige Aspekte herausgreifen.