Das wird mir alles nicht passieren ... - Marlene Streeruwitz - E-Book

Das wird mir alles nicht passieren ... E-Book

Marlene Streeruwitz

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Beschreibung

Marlene Streeruwitz versteht es in einzigartiger Weise, die Abgründe der Wirklichkeit auszuloten und in Sprache zu fassen. In ihren neuen Erzählungen schildert sie elf Schicksale, elf Figuren, die eines gemeinsam haben: die Entscheidung, sich ihren äußeren Bedingungen unterzuordnen oder auf einer autonomeren Lebensgestaltung zu bestehen. Diese elf literarischen Lernstücke finden ihre Fortsetzung auf der Website des Buches, auf der alle Fragen diskutiert werden, die diese elf Geschichten aufwerfen. Auf dieser Webseite wird verraten, wie die Personen ihr Leben weiter gestalteten und welche Überlegungen für sie ausschlaggebend waren. Die Theorie erschließt sich so aus der Praxis, und jenseits von dogmatischen Lösungen lassen sich durch Vielfalt die Räume der Emanzipation neu beschreiben.

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Marlene Streeruwitz

Das wird mir alles nicht passieren …

Wie bleibe ich FeministIn.

Fischer e-books

Andrea S.

Es war nicht wegen des Sex.

Sie machte ihm keinen Vorwurf wegen des Sex. Aber es war alles sehr schwierig geworden, und die Probleme schleppten sich so unlösbar weiter, weil sie im Bett nicht mehr zueinander fanden und danach dann wieder miteinander lachen hätten können.

Sie trug das Tischtuch durch das Schlafzimmer und breitete es über den kleinen Tisch auf dem winzigen Balkon da. Man konnte auf der Dachterrasse oben nicht essen. Es war zu stürmisch. Aber er tat so, als wären der Sturm und die Hitze von ihr herbeigerufen, damit sie die Dachterrasse verlassen und auf dem kleinen Balkon essen mussten. Es war zu heiß und zu stürmisch. Daran konnte sie doch nichts ändern.

Sie hatte alles wieder hinuntertragen müssen. Teller. Besteck. Gläser. Servietten. Das Tischtuch, das für den kleinen Tisch viel zu groß war und auf dem Boden auflag. Sie schob den Stoff weit unter den Tisch und rückte den Sessel an die Wand. Joachim brauchte Platz.

Er hatte ihr erst nicht geglaubt, dass man oben nicht essen konnte. Er war auf die Dachterrasse heraufgekommen und hatte ihr dann nur murrend recht gegeben. Er hatte sich an den Tisch gesetzt und sagen wollen, dass das doch gemütlich wäre. Ein Windstoß hatte die Serviette aufgewirbelt und das langstielige Weinglas umgelegt. Wozu man nun diesen Aufwand betrieben hätte, hatte er gestöhnt. Wenn man die Dachterrasse ohnehin nie benutzen konnte. Sie seien zu wenig zu Hause, hatte sie gesagt. Man müsse die Gelegenheiten abwarten können und nicht nach einem Terminplan leben müssen. Aber er war schon auf der Wendeltreppe hinuntergestapft und hatte die Metallkonstruktion ins Schwingen und Klirren gebracht. Er hatte sie nicht mehr hören können.

Sie war oben stehen geblieben und hatte in die Ebene hinausgesehen. Es war wenigstens nicht mehr ihre Schuld. Oder es wurde wenigstens nicht mehr gesagt, es wäre ihre Schuld. Zuerst war es ihre Aufgabe gewesen, den Bau der Dachterrasse zu beaufsichtigen. Dann war es ihre Aufgabe geworden, den Dachgarten einzurichten. Sie arbeite schließlich nur 30 Stunden, war gesagt worden. Sie hätte also Zeit. Sie hatte ihre Arbeitszeit in der Klinik auf diese 30 Stunden reduziert, weil sie daneben an einem Forschungsprojekt mitarbeitete und sich damit habilitieren wollte. Darüber wurde nicht gesprochen. Das wurde als ihr Hobby angesehen. Und es stimmte, er arbeitete ununterbrochen und verdiente auch ununterbrochen. Er war stets in Sitzungen und Komitees und Kongressen und Besprechungen. Gesundheitspolitik bestand aus Reden. In alle Richtungen wurde geredet und vereinbart und wieder neu geredet, weil schon wieder eine neue Entwicklung im Gesundheitsmanagement neue Vereinbarungen erforderte. Er war gejagt von den Neuerungen, die Einsparungen verhießen.

Nach ihren drei Versuchen mit der Dachterrasse hatte er es dann übernommen. Sie hatte es zuerst selbst machen wollen. Sie hatte Bücher studiert. Sie hatte mit anderen Dachgartenbesitzerinnen geredet. Sie hatte im Internet recherchiert. Sie hatte Gartengeräte besorgt. Sie hatte Erde geschleppt. Blumentöpfe gehievt. Sie hatte die Pflanzen hinaufgetragen. Nach zwei Jahren waren alle Rosensträucher, Oleanderbäumchen, Bougainvilleen, die Lorbeerbäumchen und die Wandelröschen ausgedörrt und zerzaust.

Zu viel Wind, hatte der Gärtner gesagt, der dann geholt worden war. In dieser Höhe käme man mit so ehrgeizigen Pflanzen nicht weiter. Sie hatte einwenden wollen, wie viel Wind auf die Oleanderbäume am Gardasee einpeitschte. Sie hatte nichts gesagt. Es ging nicht darum, sich vor diesem Mann zu verantworten. Sie hatte einen schönen Dachgarten haben wollen und deshalb nichts gesagt.

Bambussträucher als Windschutz und Obstbäumchen in Riesentöpfen als Schattenspender und wieder Rosen. Aber diesmal wären es die richtigen Sorten, hatte der Mann bedeutungsvoll gesagt. Es waren dieselben Sorten ausgepflanzt worden, die sie schon eingesetzt hatte. Sie hatte ihre Gartenbücher genau studiert gehabt. Sie war Wissenschaftlerin. Sie hatte Joachim von den Rosensorten erzählt, aber der hatte gesagt, dass dieser Mann doch ein Gärtner sei und schon wissen würde, was er täte. Nach zwei Jahren waren die Bäumchen und Sträucher verkümmert und die Rosen tot.

Der nächste Gärtner ließ Metallzäune errichten und setzte Kletterpflanzen. Clematis, Geißblatt, Kletterrosen, Pfeifenstrauch, Efeu und Baumwürger. Sie waren dann beide lange verreist gewesen. Joachim war auf einem Kongress in Kiel gewesen und sie hatte einen Vortrag in Chicago gehalten. Sie hatten einander in Hamburg getroffen und waren da einige Tage geblieben. Auf dem Dachgarten war die Bewässerungsanlage ausgefallen.

Ob sie die Anlage vielleicht falsch programmiert hätte, war sie dann vom Installateur gefragt worden. Sie hatte nichts gesagt und war weggegangen. Hätte sie dem Mann erklären sollen, was sie den ganzen Tag im Labor tat und wie weit sie die technischen Anforderungen, eine Bewässerungsanlage zu bedienen, hinter sich gelassen hatte. Der Mann hätte ihr nur gesagt, dass man auch zu viel wissen konnte und hätte weiterhin ihr die Schuld gegeben. Der Fehler lag dann an einem Ventil in der Zuleitung, aber niemand sagte irgendetwas Entschuldigendes zu ihr und irgendwie blieb auch diese Zerstörung des Dachgartens ihre Schuld.

Joachim hatte dann übernommen. Sie könne sich zwar habilitieren, aber einen Dachgarten, das schaffe sie nicht. Er hatte es lächelnd gesagt und einen neuen Gärtner beauftragt. Weißer und rötlicher Mauerpfeffer. Polster von Immergrün und fette Hennen aller Art. Eine bunte Wüste war das dann. Sie fand das sehr attraktiv. Sie hätte das von Anfang an machen können. Es war seine Vorstellung gewesen, die Büsche und Bäume und blühenden Rosen und Sträucher zu haben. Sie saß gerne unter dem einbetonierten Schirm und studierte die Pölsterchen von Sukkulenten und 30 verschiedene Steinbrecharten. Saxifraga Arendsii Granulata Paniculata.

Sie schaute diese winzige Vielfalt der Blättchen und Stängel an. Es hatte gelernt werden müssen, wie so ein Dachgarten gemacht werden musste, und sie konnte ruhig zusehen, wie Versuche sich entwickelten. Er wollte Lösungen. Gleich und sofort musste es eine Lösung geben. Das war sein Beruf. Für einen Spitalsverwalter ging es um diese raschen Lösungen. Aber warum hatte er vergessen, wie sie auf der gerade fertigen Dachterrasse gestanden waren und die Richtung der Steinbänke zu bestimmen war. Eine war dann mit Blick auf den Kahlenberg aufgestellt worden, von der anderen konnte man in den Südosten hinaussehen. Er war damals herumgegangen und hatte gesagt, wo er die Rosen haben hatte wollen. Wo die Oleanderbüsche. Sie hatte da noch nichts von Dachterrassen verstanden. Er auch nicht. Es war ein schöner Augenblick gewesen. Die Dachterrasse das gemeinsame Projekt, nachdem die Kinder aus dem Haus waren. Seine und ihre.

Sie hatte das Tischtuch so weit unter den Tisch geschoben, damit er nicht draufsteigen konnte und alles in einer Verwicklung von seinen Beinen im Tischtuch auf den Boden geschleudert wurde. Er war so dick geworden, dass er nicht mehr sehen konnte, was unterhalb seines Bauchs geschah. Sie konnte sich nicht erinnern, wann das mit dem Dickwerden begonnen hatte. Am Anfang war jede Zunahme zu sehen gewesen. Seine Kleidung hatte nicht mehr ausgereicht und sie hatte lange zugesehen. Er war ein erwachsener Mensch und selbst im Gesundheitswesen. Er musste wissen, wie er sich selbst mit diesem Zunehmen behandelte. Sie hatte zuerst gedacht, seine Sekretärinnen sollten ihm die nötigen Hinweise geben. Seine Sekretärinnen waren die Tagesehefrauen. Sie hatten so viel mehr Einfluss als sie. Aber es geschah nichts. Die Hose schnitt in seine Taille und schließlich war es so weit und er konnte sie gar nicht mehr schließen. Als er die Hose seines Abendanzugs mit einem schwarzen Schuhband zusammenhalten wollte, konnte sie nicht länger zusehen. Sie wollte den Abend absagen und ein Gespräch führen. Sie hatte besprechen wollen, was es bedeutete, dass er sich sei- nen bisherigen Kleidern entzog, als wolle er ihnen entwachsen. Sie hatte besprechen wollen, was es bedeuten konnte, dass er sich selbst so vergrößern musste. So ausweiten. Aber er bestand darauf, auszugehen. Es blieb bei dem schwarzen Schuhband, das die Hose zusammenhielt. Es war eine chirurgische Maßnahme gewesen, wie er diese Hose zuschnürte. Der Kummerbund verbarg die Konstruktion, aber er durfte nichts trinken. Er hatte die Verschnürung so gemacht, dass er sie nur mit einem Schnitt wieder öffnen konnte, wenn er pinkeln hätte wollen. Sie waren sehr bald von diesem Sommerball des Rotary Clubs Wien-Mitte Punkt zurückgekehrt. Er war fröhlich gewesen und hatte nur besprochen, wie er seinem Umfang ein Schnippchen geschlagen und es doch geschafft hatte, im Smoking auszugehen. Sie hatte darüber reden wollen, wie stark er sich verändert hatte und dass er doch wissen musste, dass man seinem Umfang kein Schnippchen schlagen konnte.

Eine Zeit ging sie dann für ihn die Kleider einkaufen. Er hatte sich geweigert zuzugeben, dass ihm nichts mehr passte. Sie hatte die Hosen austauschen müssen. Als er dann in ihr Arbeitszimmer kam und ihr triumphierend zeigte, dass ihm diese Hose sehr wohl passte und dass sie einsehen müsste, dass sie mit ihrem Keifen über sein Gewicht vollkommen unrecht hätte. Sie war gerade von einem Gespräch mit dem Institutsvorstand am Allgemeinen Krankenhaus gekommen, der ihre Forschung nur veröffentlichen wollte, wenn er als Wichtigster über dem Artikel angeführt würde. Sie war dagesessen und hatte den Satz im Kopf »Frau Kollegin, Sie wissen, dass Sie ohne mich keine Chance haben.« Sie hatte gewusst, wenn sie das Joachim erzählte. Er würde mit den Achseln zucken und sagen, dass sie doch wissen müsse, wie die Welt funktioniere. Sie hatte sich verlassen gefühlt. Nicht unterstützt. Und der Mann. Sein Triumph über sie und ihr Keifen. Sie hatte es ihm gesagt. Ruhig. Sie konnte sich erinnern, dass sie es ihm zwar sagen hatte müssen, dass diese Hose Größe 60 war und nicht seine alte Größe 52. Aber sie hatte es ihm ruhig gesagt. Genervt, aber ruhig.

Es war da schon alles sehr schwierig geworden. Der tägliche Sex war sowieso irgendwann aufgegeben gewesen und am Wochenende wollte er überhaupt seine Ruhe. Sie hatte getrennte Schlafzimmer vorgeschlagen. Es gab genug freie Räume und er hatte wirklich laut zu schnarchen begonnen. Er ließ ein Ankleidezimmer aus dem Zimmer ihres Sohns machen und stellte ein Fitnessgerät auf. Das Fitnessgerät wurde zu einer Kleiderablage. Als Fitnessgerät war es nie benutzt worden.

Die Kleiderfrage war dann doch gelöst worden. Es gab Schneider, die sich auf diese neuen Ausmaße spezialisiert hatten, und irgendeiner der Sitzungskollegen hatte ihm dann einen Tipp gegeben. Er sah imposant aus. Die zeltförmigen Sakkos waren so geschickt geschnitten, dass er in Ruhe darunter zunehmen konnte. Es gab immer eine nächste Zeltgröße und er war längst nicht der Einzige. Immer wieder traf sie in seiner Umgebung auf Männer wie ihn, die ihre Fresssucht so geschickt kleiden konnten. Diese dicken und sehr dicken Männer hatten nie dicke Frauen. Die Frauen waren höchstens das, was zur Zeit ihrer Mutter vollschlank geheißen hatte. Einer Frau wäre ein solches Dickwerden nicht möglich gewesen oder sie wäre verlassen worden. Deswegen. Da war sie sicher. Wenn dieser ungeheuerliche Umfang ihr Problem gewesen wäre, Joachim hätte sie irgendwohin geschickt, sich darum zu kümmern, und wenn das nichts geholfen hätte, er hätte sie ganz einfach nicht mehr mitgenommen. Joachim hätte sich dann bei gesetzten Essen neben das Fräulein Weiser setzen lassen. Diese Frau bestand auf der Anrede »Fräulein«. Bei jeder männlichen Person, die das Fräulein Weiser kennenlernte, konnte sie mit verdrehten Augen erklären, dass sie damit nur die Wahrheit sagen wolle. Sie sei eben ein »Fräulein« und sie wolle nichts Falsches behaupten.

Ihr war das Fräulein Weiser von Joachim vorgestellt worden und er hatte die Erklärung des »Fräulein« gleich mitgeliefert. Das Fräulein Weiser wäre eines der so seltenen Exemplare einer wahrheitsliebenden Person und bestünde deshalb auf dieser Anrede. Sie hatte gerade angesetzt zu fragen, ob es sich bei der Bezeichnung »Fräulein« um ein Geständnis der sexuellen Unschuld oder der gesellschaftlichen Stellung handle. Sie wollte fragen, ob sich kein Mann gefunden hatte, die Unschuld zu rauben oder war sie nur von keinem Mann bisher geheiratet worden. Joachim hatte sie rasch weitergezogen und ihr zugezischt, dass dieses Fräulein Weiser sehr wichtig wäre. Sie mache die Termine des Clubobmanns seiner Partei, und wenn er etwas erreichen wolle, dann müsse man das Fräulein Weiser ernst nehmen. Er erbitte sich den gebotenen Respekt. Er hatte sie zum Buffet gezerrt und begonnen, Shrimpscocktail auf einen Teller zu laden. Sie hatte ihn angesehen. Er war rot im Gesicht gewesen. Er war wütend auf sie. Er schlug mit dem Löffel auf die Platte mit dem Shrimpscocktail ein und er hatte gleich einen großen Teller für die Vorspeise genommen. Sie hatte sich wegdrängen lassen und war auf die Terrasse hinausgegangen. Sie konnte kaum noch essen. Wenn er neben ihr aß, dann verschnürte sich ihr die Kehle. Auf der Terrasse traf sie auf das Fräulein Weiser, die mit einem Parteikollegen von Joachim schmuste. Sie war wieder in den Saal gegangen und da hatte sie die Ehefrau des Mannes getroffen, der gerade mit dem Fräulein draußen beschäftigt war.

Sie hatten dann lange miteinander geredet. Diese Frau war eine Marketingspezialistin und Vizepräsidentin der Niederlassung einer internationalen Agentur. Diese Frau hatte gleich über sie gelacht und sie gefragt, ob sie ihren Mann mit dem Fräulein Weiser gesehen hätte. Ob sie denn nicht wüsste, dass jeder mit dem Fräulein Weiser herumschmusen müsste. Das wäre eben die Umkehrung. Früher hätten Männer die Frauen belästigt, jetzt müssten die Männer auch herhalten. Ob sie das denn störe. Sie hatte den Kopf geschüttelt. Es war die Wahrheit so. Es hätte sie nicht gestört. Aber sie wollte Joachim nicht mehr neben sich haben.

Er war dann so betrunken gewesen, dass sie ihn nur mit Hilfe des Taxifahrers in die Wohnung hinaufbringen hatte können. Der Taxifahrer war freundlich besorgt gewesen und hatte sie an der Tür fragend angesehen. Sie hatte ihm ein sehr großes Trinkgeld gegeben. Sie könne das allein. Der Mann hatte sich noch einmal umgedreht. Hätte sie ihm sagen sollen, dass Joachim nicht gewalttätig wurde, wenn er so viel getrunken hatte. Er wurde eher anhänglich und wollte aus seiner Kindheit erzählen. Sie hatte dann das erste Mal in ihrem Arbeitszimmer geschlafen. Joachim wälzte sich im betrunkenen Schlaf über das ganze Doppelbett und das Schnarchen wäre selbst mit Ohrstöpseln sehr laut zu hören gewesen.

Sie hatte den Tisch gedeckt. Er kochte. Sie war froh, einen Abend zu Hause sein zu können. Er kochte gut. Wenn er selbst kochte, aß er nicht so viel. Wenn er selbst kochte, dann war seine Portion normal. Sie würde selber essen können. Sie würde mit ihm essen können.

Er hatte sie natürlich verlassen. Sie musste stehen bleiben und den Gedanken wiederholen. Er hatte sie verlassen. Längst hatte er sie verlassen. Mit jedem Zentimeter seines Umfangs hatte er sich von ihr entfernt. Er hatte sich von ihnen entfernt. Von ihnen als Paar, das miteinander essen und trinken konnte, und der Sex war so selbstverständlich daran gebunden gewesen. Leben. Das Leben selbst hatte sich darin ausgedrückt. Essen und Trinken und Sex und Reden und Lachen und jeden Tag anders. Er hatte sich mit dem Essen aus diesem Leben geflüchtet und manchmal mit dem Trinken, und der Sex war zu einer Dienstleistung geworden. Ihr Sex war zu einer Dienstleistung an ihm geworden.

Sie stand vor dem Bett. Sie hörte ihn kommen. Sie trat zurück. Sie hielt die Flasche in der Hand. Er trug die Teller. Er hastete mit den vollen Tellern durch das Schlafzimmer. Er stellte die Teller auf den Tisch und setzte sich. Er ließ sich in den Gartensessel fallen und lehnte sich zurück. Er schob seine Beine unter den Tisch. Er stieg in das viel zu lange Tischtuch. Wie sie es sich gedacht hatte und deshalb die Falten des Tischtuchs so weit unter den Tisch geschoben. Er zog die in den Stoff verwickelten Beine gegen den Widerstand des Stoffs wieder zurück. Die tiefen Falten des schweren Damasts ballten sich zwischen seinen Füßen. Er wollte sich davon befreien und schleuderte den Stoff mit kleinen scharfen Bewegungen von sich weg. Die Weingläser fielen um. Der eine Teller wurde an den Tischrand gezogen. Er hob seinen Teller hoch und begann unter dem Tisch gegen das Tischtuch zu treten. Zu strampeln. Er saß mit seinem Teller hochgehalten und strampelte gegen den schweren Stoff. Sie stand am Bett und sah ihm durch das große Glasfenster auf den Balkon zu. Er schaute besorgt auf seinen Teller, während er mit zappelnden Tritten das Tischtuch von sich stieß. Sie stellte die Flasche auf ihrem Nachtkästchen ab und eilte auf den Balkon. Sie verschob beim Weggehen das Buch unter der Lampe auf dem Nachtkästchen. Das Buch stieß an die Lampe. Die Lampe schwankte gegen die Flasche. Als sie sich an der Tür zum Balkon umdrehte, lag die Flasche im Ehebett und der Rotwein sickerte in die weißleuchtende Tagesdecke.

Christian F.

Es war nicht wegen des Geldes.

Er stand in der Ecke des Empfangssalons der Botschaft und hielt sein Glas.

Es war nicht wegen des Geldes. Sie verdiente ja genug. Bettina verdiente mittlerweile ganz gut und sie bekam auch noch alle diese Zulagen im Auslandsdienst. Er war bei ihr mitversichert. Es gab keine Geldsorgen. Es gab keine Geldsorgen für die Familie. Er selber. Er benötigte nichts. Er war sogar eher geniert, wenn sie mit ihm ging und wieder ein ordentlicher Anzug gekauft werden musste. Er sollte gut aussehen.

Bettina war das wichtig. Sie wollte bei den Botschaftsempfängen auf ihn weisen können und sagen, dass das ihr Mann sei. Das sei ihr Mann, und dann wollte sie ihm lächelnd zunicken und weitergehen und mit dem Nächsten reden. Das war ihr Job. Sie machte das gut. Er konnte sehen, dass sie das gut machte. Sie glitt durch die Menge und schaute sich um. Sie machte das freundlich. Die Männer hielten Ausschau und stürzten sich auf die gewünschten Gesprächspartner. Bettina schwamm auf ihre Zielperson zu und hielt vor ihr ein. Es lächelten auch alle. Er sah ihr zu und musste selbst lächeln. Bettina war eine strahlende Person. Alle mussten lächeln, wenn Bettina neben ihnen auftauchte, und alle wandten sich ihr vollkommen zu.

So wie er. Er war diesem Auftauchen ja auch verfallen. Sie war zu ihm in die Werkstatt seines Vaters gekommen und war dann so auf einmal neben ihm gestanden, und er hatte sie immer schnell hinausgeführt, damit sie nichts von dem Holzstaub in die Augen bekam. Da waren sie allein gewesen. Da hatte er nicht sehen können, dass sie sich für jede Person so interessierte. Er hatte da in der Werkstatt in Sandl den Vergleich nicht gehabt. Er hatte in der Werkstatt da denken müssen, ihr gesamtes Interesse gelte seiner Arbeit.